Verwaltungsgericht Berlin Urteil, 18. Aug. 2021 - VG 28 K 288.18 A

published on 04/08/2023 01:12
Verwaltungsgericht Berlin Urteil, 18. Aug. 2021 - VG 28 K 288.18 A
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Gericht

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VERWALTUNGSGERICHT BERLIN

Im Namen des Volkes

Urteil

 

In der Verwaltungsstreitsache

 

des Herrn A,

Klägers,

 

Verfahrensbevollmächtigte(r): Rechtsanwälte Streifler & Kollegen, Wilhelmstraße 46, 10117 Berlin,

 

g e g e n

 

die Bundsrepublik Deutschland,

vertreten durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, dieses vertreten durch

das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

- Außenstelle Berlin -,

Badensche Straße 23, 10715 Berlin,

Beklagte,

 

hat das Verwaltungsgericht  Berlin, 28. Kammer, durch den Richter Vietze als Einzelrichter im Wege schriftlicher Entscheidung am 18. August 2021 für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 11O % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Be­ klagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Tatbestand

Der im Oktober 1982 geborene Kläger begehrt, über die Zuerkennung subsidiären Schutzes hinaus, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Der Kläger ist eritreischer Staatsangehöriger. Er reiste im Mai 2016 nach Deutsch­land ein und stellte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 17. Mai 2016 einen Asylantrag. In der persönlichen Anhörung beim Bundesamt im Februar 2018 erklärte der Kläger; er gehöre der Volksgruppe der Tigray (in der Niederschrift der Anhörung „Tigrinya" genannt) an. Er stamme aus Menekseito und habe die Schule mit 11 Jahren begonnen. Nachdem er die sechste Klasse beendet habe, sei er 1999 in Asmara festgenommen und zum Militärtraining in Sawa geschickt worden. Diese Ausbildung dort habe drei Monate gedauert. Da­ nach sei er Soldat gewesen und habe nach einem Jahr und sechs Monaten einen Militärausweis erhalten. Er sei in Afinbol stationiert gewesen und habe in der Land­wirtschaft gearbeitet. Der Betrieb habe Agroindustrie Afinbpl geheißen. 2003 habe es einen Zwischenfall gegeben. Eine der Hütten, wo er stationiert gewesen sei, habe Feuer gefangen und er sei verdächtigt worden, die Hütte angezündet zu haben. Er sei geschlagen worden und ins Gefängnis gesteckt worden. Vor seiner Ausreise ha­be er Urlaub gehabt und sei in sein Dorf zurückgekehrt. Als er zu Hause gewesen sei, habe er Familienbesuch von Verwandten aus Asmara bekommen. Später seien diese Leute weggegangen und nach Äthiopien geflohen. Auf diese Leute sei ge­schossen worden. Er sei zu Hause geblieben und später verdächtigt worden, diesen

Leute geholfen zu haben. Obwohl er gesagt habe, diesen Leuten bei der Flucht nicht geholfen zu haben, sei er festgenommen worden. Er sei drei Tage in Gefangenschaft gewesen. Dort hätten Soldaten ihn festgebunden und Flüssigkeiten mit Zuckerwas­ ser über seinen Körper geschüttet. Ein Soldat, den er von früher gekannt habe, habe die Fesseln gelöst und so sei ihm zusammen mit diesem Soldaten schließlich an einem Abend die Flucht gelungen. Danach sei er aus Eritrea auf dem Landweg nach Äthiopien geflohen. Das sei im Juli 2007 gewesen.

Mit Bescheid vom 15. Mai 2018, dem Kläger zugegangen am 18. Mai 2018, erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Asylan­ trag im Übrigen ab. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft  be­ gründete das Bundesamt damit, dass es an einer individuellen und konkreten Verfol­gungshandlung  aufgrund eines asylrechtlich relevanten Verfolgungsgrundes  fehle.

Der Kläger hat am 31. Mai 2018 Klage erhoben, mit der er sein Begehren auf Zuer­ kennung der Flüchtlingseigenschaft  weiterverfolgt.  Er ist der Ansicht, die Vorausset­ zungen hierfür lägen vor, da er vor seiner Flucht verdächtigt worden sei, Familienan­ gehörigen zur Flucht nach Äthiopien verholfen zu haben. Im Zusammenhang  mit  dem Entzug aus der Dienstverpflichtung sei es wahrscheinlich,  dass er bei einer Rückkehr nicht nur als Deserteur, sondern als Oppositioneller bzw. Staatsgegner oder Verräter gesehen werde. Die Festnahme und die als Folter zu qualifizierenden Maßnahmen machten deutlich, dass staatliche Stellen in ihm eine politische Motiva­tion sähen, die diesen staatlichen Stellen unliebsam sei.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 15. Mai 2018 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigen­ schaft zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, und bezieht sich auf die angefochtene Entscheidung.

Mit Beschluss vom 21. Januar 2021 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichter­ statter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 25. Januar 2021 bzw. 29. Januar 2021 das Einverständnis mit einer schriftlichen  Entscheidung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts­akte und den Verwaltungsvorgang des Bundesamts, die neben den Erkenntnismitteln der Kammer zu Eritrea vorgelegen haben und - soweit entscheidungserheblich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die gemäß § 76 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) aufgrund des Beschlusses der Kammer der Einzelrichter zu entscheiden hat, ist unbegründet.

Der Bescheid des Bundesamtes vom 15. Mai 2018 ist hinsichtlich der Ablehnung der des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtmäßig und verletztden Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 AsylG.

Ein solcher Anspruch besteht, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seinr Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung o­ der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Her­ kunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfol­ gungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteu­ renregeln die §§ 3a bis 3e AsylG.

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen; das entspricht dem Maßstab der be­ achtlichen Wahrscheinlichkeit.  Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab  setzt voraus, dass bei eir:ier zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssach­verhalts die fü r eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besit­zen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Da­ bei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne.einer Gewichtung und Ab­wägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzuwenden. Es kommt . darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, be­sonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgeru­fen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23/12 -, juris Rn.. 32; Beschluss vom 7. Februar 2008 - 10 C 33/07 -, juris Rn. 37).

Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung bereits vor der Ausreise im Herkunftsstaat (Vorverfolgung) als auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluhtgründe), insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer be­ reits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylG).

Gemessen hieran vermag das Gericht für den Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsfällung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) - selbst wenn man die vom Kläger in der Anhörung vor dem Bundesamt dargestellte Fluchtgeschichte als wahr unterstellt - keine hinreichende Verfolgungsgefahr zu erkennen.

Etwaig dem Kläger drohende Maßnahmen wie eine Inhaftierung, Folter oder die Ein­ ziehung zum Nationaldienst knüpfen jedenfalls nicht an einen in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund - insbesondere nicht an seine politische Überzeugung - an. Nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Aus­ länder in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfol­ger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt. Dabei ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob der Asylsuchende tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung füh­ren, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend setzt eine flüchtlingsschutzrelevante  politische Verfolgung voraus, dass zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten und in § 3b AsylG konkretisierten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG beschriebenen Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen muss (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Be­troffenen gerade in Anknüpfung  an einen oder mehrere Verfolgungsgründe  zu tref­ fen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen" eines Verfolgungsgrundes erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Diese Zielgerichtetheit  muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung  be­ wirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe  im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein. Für eine derartige "Verknüpfung" reicht ein Zusammenhang  im Sinne einer Mitverursachung aus. Ein betimmter Verfolgungsgrund  muss nicht die zentrale Motivation oder allei­nige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme  sein; indes genügt eine lediglich entfern­ te, hypothetische Verknüpfung  mit einem Verfolgungsgrund  nicht den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG (BVerwG, Urteil vom 04. Juli 2019 - 1 C 37/18 -, juris Rn. 12 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Eine diesen Maßstäben entsprechende Verknüpfung liegt etwa dann nicht vor, wenn die staatliche Maßnahme nicht über das hinausgeht, was auch bei der Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug regelmäßig angewandt wird. Eine nicht flüchtlingsschutzrelevante  Strafverfolgung kann in politische Verfolgung  um­ schlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene wegen eines flüchtlingsschutzrelevanten  Merkmals eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleidet (BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 2 BvR 2954/09 -, juris, Rn. 24 mit weiteren Nachweisen). Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System eines fremden Staates seiner Bevölkerung allgemein auferlegt, vermögen für sich allein einen Asylanspruch nicht zu begründen. Zur Bestimmung einer politischen Verfolgung kommt es vielmehr darauf an, ob der Staat seine Bürger in ihrer politischen Überzeugung zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschafts­struktur aufrechtzuerhalten trachtet und dabei die Überzeugung seiner Staatsbürger unbehelligt lässt (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 - 9 C 36/83 -, juris Rn. 34).

Dementsprechend stellen Bestrafungen wegen Kriegsdienstverweigerung, selbst wenn sie von weltanschaulich totalitären Staaten ausgehen, nicht schlechthin eine politische Verfolgung dar. Anhaltspunkt für die Anknüpfung an flüchtlingsschutzrele­ vante Merkmale ist regelmäßig die außergewöhnliche Härte einer drohenden Strafe, insbesondere die in der Praxis verhängte und exekutierte Todesstrafe, wenn in ei­nem totalitären Staat ein geordnetes und berechenbares Gerichtsverfahren fehlt und Strafen willkürlich verhängt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 131.90 -, juris Rn. 19; BVerwG, Beschluss vom 24. April 2017 - 1 B 22/17 -, juris Rn. 14 mit weiteren Nachweisen).

Nach dieser Maßgabe lässt sich vorliegend nicht feststellen, dass dem Kläger wegen seiner eigenen Desertion, wegen ihm unterstellter Hilfe zur Flucht seiner Familien­ angehörigen öder wegen einer drohenden Einziehung zum Nationaldienst Inhaftie­rung oder Folter wegen einer ihm von den eritreischen Behörden zugeschriebenen politischen Gegnerschaft oder eines anderen flüchtlingsschutzrelevanten  Merkmals droht.

Es kann nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit die Überzeu­gung gewonnen werden kann, dass der Stacit Eritrea allen Deserteuren und Dienst­ verweigerern sowie deren Familienangehörigen - auch wenn er ihnen im Einzelfall eine Beteiligung an der Desertion oder Dienstverweigerung unterstellt - ohne weitere Anhaltspunkte eine gegnerische politische Überzeugung zuschreibt und sie gerade im Hinblick darauf zu bestrafen sucht (BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 1 C 29/17 -, juris Rn. 18 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Juli 2021 - 13 S 1563/20 -, juris Rn. 32 ff.; Kammerurteil vom 1. September 2017 - VG 28 K 166.17 A -, juris Rn. 36 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Zwar gibt es verschiedene Umstände, die für die Zuschreibung einer politischen Überzeugung im Falle einer Desertion bzw. Verweigerung des Nationaldienstes und einer damit begründeten Flucht aus Eritrea sowie der Beteiligung an einer solchen Tat und für eine hieran anknüpfende Bestrafung sprechen. Diese für die Zuschrei­bung einer gegnerischen politischen Überzeugung sprechenden Umstände besitzen jedoch kein größeres Gewicht und überwiegen nicht die dagegen sprechenden. So lässt die Strafpraxis nicht erkennen, dass der Staat Eritrea Deserteuren, Dienstver­ weigerern oder deren Familienangehörigen - auch wenn er ihnen im Einzelfall eine Beteiligung an der Desertion oder Dienstverweigerung unterstellt - eine gegnerische politische Überzeugung zuschreibt und si'e gerade im Hinblick darauf „als Verräter" besonders bestraft. Nach Art. 37 der Proklamation Nr. 82/1995 werden - vorbehaltlich strengerer Strafen nach dem Strafgesetzbuch von 1991 - alle Verstöße gegen die dortigen Bestimmungen mit Geldstrafe und/oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet. Nach dem Strafgesetzbuch von 1991 werden - während Kriegszei­ ten - die Dienstverweigerung mit bis zu fünf Jahren und die Desertion mit mindes­tens fünf Jahren und in besonderen Fällen mit der Todesstrafe bestraft. Nach dem im Jahr 2015 erlassenen Strafgesetzbuch wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft, wer sich vorsätzlich dem Militärdienst entzieht oder einen anderen hierzu anstiftet oder im dabei Hilfe leistet, wobei im besonders schweren Fall - „during time of emergency involving the armed forces of Eritrea, general mobi­lization, or war" - eine Freiheitsstrafe von sieben bis zehn Jahren vorgesehen ist. Dabei liegen allerdings keine Erkenntnisse vor, dass dieses Strafgesetzbuch in der Praxis (anstelle der älteren Rechtsgrundlagen) tatsächlich angewendet wird. (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2020 - Fassung vom 25. Januar 2021, S. 14; Schweizer Staats­ sekretariat für Migration - SEM -, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22. Juni 2016, S. 17 mit weiteren Nachweisen; European Asylum Support Office - EASO -, Herkunftsländer-Informationsbericht: Eritrea - Nationaldienst, Aus­ reise und Rückkehrer, September 2019, S. 43 f. Über die tatsächliche Sanktionierungspraxis der Desertion oder Dienstverweigerung selbst sowie einer bloßen Beteiligung hieran liegen nur wenige Informationen vor.

Den vorliegenden Berichten zufolge werden im Inland aufgegriffene Deserteure von ihren militärischen Vorgesetzten außergerichtlich und willkürlich mit Haft bestraft, wobei die Haft bei Deserteuren zwischen einem Monat und zwei bzw. drei Jahren betragen. soll. Auch im Inland aufgegriffene Dienstverweigerer werden Berichten zu­ folge außergerichtlich und willkürlich mit einigen Monaten oder Jahren Haft bestraft. Familienmitglieder von Deserteuren oder Dienstverweigerern werden manchmal für einige Wochen oder Monate inhaftiert, um Druck auf die gesuchten Personen auszu­ üben, sich wieder bei ihrer Einheit zu melden. Dies gilt so lange, wie die gesuchte Person noch in Eritrea vermutet wird. Wenn die Person das Land verlassen hat, werden die Familienangehörigen üblicherweise entlassen. Es liegen aber auch Be­ richte vor, nach denen ein Elternteil willkürlich inhaftiert worden ist, nachdem die Familie eine Strafe für die Flucht des Familienangehörigen im wehrdienstfähigen Alter nicht bezahlen konnte (vgl. SEM, Focus Eritrea: Volksarmee („Volksmiliz"),17. Dezember 2019, S. 19 f.; SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale  Ausreise, 22. Juni 2016, S. 19 ff.; EASO, Herkunftsländer-Informationsbericht: Erit­ rea - Nationaldienst, Ausreise und Rückkehrer, September 2019, S. 43 f.; Amnesty International, Stellungnahme Asylstreitverfahren an das Verwaltungsgericht Magde­burg vom 2. August 2018, S. 4, 7). Wenngleich keine Informationen zur allgemeinen Strafverfolgungspraxis vorliegen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante .Lage in Eritrea, Stand: November 2020 - Fassung vom 25. Januar 2021, S. 14), bleiben die derzeit verhängten Haftstrafen für Desertion und Dienstverweigerung von regelmäßig einigen Monaten bis zu wenigen Jahren offen­ bar hinter den gesetzlichen Höchststrafen in Eritrea zurück. Gegen die Zuschreibung einer politischen Überzeugung spricht, dass die genannten Vorschriften nicht an eine bestimmte politische Haltung oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale anknüpfen, sondern nur an den Umstand, dass sich die Betroffenen dem Nationaldienst entzo­ gen haben.

Eine an eine vermeintliche politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung von Deserteuren und Dienstverweigerern folgt auch nicht aus der willkürlichen und außergerichtlichen Inhaftierung. Vielmehr sind in Eritrea willkürliche Festnahmen ohne Haftbefehle und Angabe von Gründen auch in anderen Fällen üblich (vgl. Aus­ wärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2020 - Fassung vom 25. Januar 2021, S. 9 f.; Bericht der UN­ Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Eritrea, Stand: 5. Juni 2015, S. 221 Abs. 792), so dass sie weite Teile der Bevölkerung gleichermaßen treffen. überdies lassen auch die unmenschlichen Haftbedingungen nicht auf eine - im Ver­hältnis zu anderen Straftätern in Eritrea - außergewöhnlich  harte Bestrafung wegen einer politischen Überzeugung schließen. Die Bedingungen in den Gefängnissen in Eritrea sind (zum Teil unmenschlich)  hart und lebensbedrohlich. Zwar sollen in be­sonders schl_immen Haftanstalten häufig gerade solche Personen untergebracht werden, deren Vergehen die eritreischen Behörden als besonders schwer ansehen, hierzu sollen aber auch unpolitische Straftaten wie beispielsweise Schmuggel oder illegale Geldwechselgeschäfte  gehören (vgl. Bericht der UN­ Untersuchungskommission  zur Menschenrechtslage in Eritrea, Stand: 5. Juni 2015, S. 248 Abs. 890; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2020 - Fassung vom 25. Januar 2021, S. 20). Nach alledem kann den Berichten eine an eine vermeintliche politische Gegnerschaft anknüpfende härtere Bestrafung von Deserteuren und Dienstverweigerern ni'cht ent­ nommen werden, was ein starkes Indiz dafür ist, dass auch deren Familienangehöri­ge, selbst wenn ihnen iEinzelfall eine Beteiligung an der Desertion oder Dienst­ verweigerung  unterstellt wird, eine solche - nicht zu erwarten haben (Kammerurteil vom 1. September 2017 - VG 28 K 166.17 A -, juris Rn. 40).

Zu berücksichtigen  ist weiter, dass die eritreische Regierung einen Schießbefehl („shoot-to-kill order") bezüglich illegal ausreisender  Personen erlassen haben soll. Selbst wenn man dies als Indiz für die Zuschreibung einer politischen Überzeugung ansehen Wollte, würde dies jedoch dadurch relativiert, das.s der Schießbefehl nicht (mehr) systematisch und weniger rigoros angewandt wird. Die UN­ Untersuchungskommission  berichtet etwa, dass die Ausreisenden  nicht mehr getö­tet, sondern zwecks Festnahme verletzt werden sollen. Für eine entsprechende  Pra­xis der Grenztruppen sprechen auch die Berichte über Verhaftungen illegal ausrei­sender Personen in Grenzregionen (vgl. Bericht der UN-Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Eritrea, Stand: 5. Juni 2015, S. 319 f. Abs. 1116; Bericht der UN-Untersuchungskommission  zur Menschenrechtslage in Eritrea, Stand: 8. Juni 2016, S. 32 f. Abs. 133, S. 78 f. Abs. 315; SEM, Focus Eritrea: Update National­dienst und illegale Ausreise, 22. Juni 2016, S. 30 f. mit weiteren Nachweisen; Amne­ sty International, Stellungnahme Asylstreitverfahren an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom 2. August 2018, S. 4).

Ferner ist zu beachten, dass die Flucht vor dem Nationaldienst in Eritrea zu einem Massenphänomen geworden  ist. Die gravierenden  Menschenrechtsverletzungen  in Eritrea bewegen zehntausende zumeist junge Menschen dazu, ihr Land zu verlassen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2020 - fassung v.om 25. Januar 2021, S. 7 f.). Nach dem Bericht der UN-Untersuchungskommission - unter Berufung auf Eurostat - haben im Jahr 2015 insgesamt 47.025 Eritreer in Europa Asyl beantragt und die Gesamtzahl der Flüchtlinge aus Eritrea lag im Juni 2015 bei 444.091, was etwa 12 % der Bevölke­rung des Landes entspricht (vgl. Bericht der UN-Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Eritrea, Stand: 8. Juni 2016, S. 18 Abs. 68). Amne,sty Inter­ national berichtet, dass 90 % der Flüchtlinge das Land im Alter zwischen 18 und 24 Jahren verlassen, wobei der Fluchtgrund überwiegend der eritreische Nationaldienst sei (Amnesty International, Just Deserters: Why indefinite national service. in Eritrea has created a generation of refugees, August 2016, S. 6). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Praxis der Grenztruppen zwar als drakonische Maßnahme des eritrei­schen Staates zur Verhinderung der Flucht und der Aufrechterhaltung der Herr­schaftsstruktur dar. Gleichwohl ist nicht feststellbar, dass der Schießbefehl Ausdruck einer zugeschriebenen politischen Überzeugung der Fliehenden nicht nicht lediglich Mittel zum Zweck ist, die Flucht aus Eritrea zu verhindern (Kammerurteil vom 1. September 2017 - VG' 28 K 166.17 A -, juris Rn. 41).

Für eine Zuschreibung einer gegnerischen politischen Überzeugung spricht, dass der eritreische Nationaldienst als „Schule der Nation" verstanden wird (gl. EASO, Her­ kunftsländer-1nformationsbericht:  Eritrea - Nationaldienst, Ausreise und Rückkehrer, September 2019, S. 24 f.) und ihm im Staat Eritrea eine besondere ideologische und politische Bedeutung zukommt. Zwar könnte der Vorwurf der Desertion, Dienstver­ weigerung oder Beteiligung an der jeweiligen Tat eines Familienmitgliedes ange­ sichts der ideologischen Bedeutung des Nationaldienstes als Akt der Illoyalität ge­ genüber dem Staat mit einer zugeschriebenen gegnerischen politischen Überzeu­gung verbunden sein. Es überwiegen dennoch die Umstände, die dagegen sprechen, dass der eritreische Staat allein aufgrund der Entziehung vom Nationaldienst oder der Beteiligung hieran eine gegnerische politische Überzeugung zuschreibt und ge­rade diese zu bestrafen sucht.

Der Nationaldienst ist für den Staat Eritrea nicht nur von besonderer politischer, son­ dern auch zunehmend von wirtschaftlicher  Bedeutung. Insbesondere baut die ge­ samte Volkswirtschaft Eritreas auf dem Nationaldienst auf. Nach der Nationaldienst­ Proklamation von 1995 dient der Nationaldienst nicht nur der Landesverteidigung, sondern auch dem Wiederaufbau des Landes nach dem Unabhängigkeitskrieg und der Vermittlung der nationalen Ideologie. So diene er auch dazu, das Gefühl der na­tionalen Einheit im eritreischen Volk zu stärken und subnationale Gefühle zu eliminieren (vgl. Auswärtiges -Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, November 2020 - Fassung vom 25. Januar 2021, S. 14 ff.; EASO, Her­kunftsländer-·lnformationsbericht: Eritrea - Nationaldienst, Ausreise und Rückkehrer, September 2019, S. 25, 27). Andererseits berichtet die UN­ Untersuchungskommission, dass der Nationaldienst ungeachtet der 1995 vorge­ brachten Ziele heute vorrangig dem Zweck diene, die wirtschaftliche Entwicklung des Staates zu beschleunigen, staatsnahe Unternehmen zu begünstigen und Kontrolle über die eritreische Bevölkerung auszuüben. Allerdings berichtet die Kommission auch, dass Festnahmen - etwa aufgrund von Desertion oder Ausreise - häufig mit dem Vorwurf verräterischen Verhaltens begründet werden (Bericht der UN­ Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Eritrea, Stand: 8. Juni 2016, S. 58 Abs. 234,· S. 59 Abs. 240; Bericht der UN-Untersuchungskommission zur Men­schenrechtslage in Eritrea, Stand: 5. Juni 2015, S. 114 Abs. 431). Dabei ist aber zu beachten, dass die Berichte der UN-Untersuchungskommission  einen Zeitraum von 25 Jahren abdecken, ohne dabei Entwicklungen aufzuzeigen, da die zugrundelie­genden Zeugenaussagen keiner bestimmten Zeit zugeordnet werden (gl. Auswärti­ ges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante  Lage in Eritrea, Stand: No­vember 2016, S. 6). überdies bezieht sich die UN-Untersuchungskommission  in ih­ren Berichten hauptsächlich auf die Fälle von Eritreern, die in den Jahren 2002 bis 2008 zurückgeführt wurden (vgl. Bericht der UN-Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Eritrea, Stand: 5. Juni 2015, S. 114 ff. Abs. 427 ff.; S. 300 Abs. 1070). Die UN-Untersuchungskommission berichtet außerdem .von zwei Fällen aus der jüngeren Vergangenheit, in denen Rückkehrer nicht bestraft wurden: Im Jahr 2014 seien sieben ältere Männer - im Gegensatz zu den jüngeren  Männern - freige­ lassen worden und auch eine weitere Gruppe rückgeführter Eritreer, die die Zahlung einer 2%- Steuer belegen konnten, sei nicht verhaftet  und eingezogen worden (vgl. Bericht der UN-Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Eritrea, Stand: 5. Juni 2015, S. 115 f. Abs. 436).

Gerade die dem letztgenannten Fall zugrundeliegende Moglichkeit der Erlangung des sog. „Diaspora-Status" zeigt aber, dass der totalitäre Staat Eritrea von der. Be­strafung von Deserteuren und Dienstyerweigerern zugunsten ökonomischer  Interes­sen absieht und einer möglicherweise dahinterstehenden politischen Überzeugung jedenfalls derzeit keine entscheidende Bedeutung beimisst. Nach aktuellen Erkennt­nissen können illegal ausgereiste Eritreer, die sich drei Jahre im Ausland aufgehal­ten haben, gegen die Zahlung einer sog. „Aufbau-" oder „Diasporasteuer"  und Unter­zeichnung eines sogenannten  Reueformulars jedenfalls  zu Besuchszwecken relativ problemlos nach Eritrea ein- und wieder ausreisen, ohne mit einer Bestrafung rech­nen zu müssen. Dies soll auch gelten, wenn sie den Nationaldienst verweigert haben oder aus diesem desertiert sind (vgl. etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl­ und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2020 - Fassung vom 25. Januar 2021, S. 26 f.; SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22. Juni 2016, S. 32 ff.; EASO, Herkunftsländer-Informationsbericht: Erit­rea - Nationaldienst, Ausreis.e und Rückkehrer, September 2019, S. 9 f., 60 ff.). Da­ bei hat das Gericht insbesondere berücksichtigt, dass die Berichte hierüber zum Teil auf Interviews mit Rückkehrern in Eritrea beruhen, die von Mitarbeitern eritreischer Behörden begleitet und übersetzt wurden. Die vorliegenden anekdotischen Berichte stimmen allerdings in vielen Bereichen lm Wesentlichen miteinander überein und ergeben so gleichwohl ein relativ zuverlässiges Bild. Soweit die Berichte in manchen Bereichen wie z. B. der Rekrutierung sowie der Bestrafung von Dienstverweigerern ungleich sind, deutet dies eher auf eine inkonsistente Praxis der Behörden hin (vgl. SEM, Focus Eritrea: Volksarmee („Volksmiliz"), 17. Dezember 2019, S. 4; UK Horne Office, Report of a Horne Office Fact-Finding Mission, Eritrea: illegal exit and natio­ nal service, Oktober 2016, S. 8, 107-114, 117, 214-220, 228-24).

Jedenfalls legen die Berichte nahe, dass tatsächlich zahlreiche Eritreer von der Rückkehrmöglichkeit Gebrauch machen, etwa für die Teilnahme an Hochzeiten, für Familienbesuche oder Urlaub. Das Auswärtige Amt berichtet sogar davon, dass es eine relativ große Gruppe von Menschen gebe, die zwischen Eritrea und anderen Ländern hin- und herpendelten (vgl. SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22. Juni 2016, S. 34; UK Horne Office, Report of a Horne Office Fact-Finding Mission, Eritrea: illegal exit and national service, Oktober 2016, S. 101; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2020 - Fassung vom 25. Januar 2021, S. 22 f.). Da davon auszu­gehen ist, dass sich Verhaftungen trotz Zahlung der „Diasporasteuer" bei im Ausland lebenden Eritreern schnell herumsprechen würden, sieht das Gericht in dem tatsäch­lichen Gebrauchmachen von dieser Möglichkeit ein starkes Indiz dafür, dass zumin­dest zu Besuchszwecken eingereiste Eritreer, die zuvor im dienstpflichtigen Alter das Land illegal verlassen haben, tatsächlich nicht bestraft werden (vgl. Kammerurteil vom . 1. September 2017 - VG 28 K 166.17 A -, juris Rn. 44).

Das Verhalten des eritreischen Staates gegenüber  Familienangehörigen von Deser­ teuren und Dienstverweigerern bestätigt dieses Ergebnis. Zwar sind Übergriffe auf Familienangehörige, denen eine Beteiligung an einer Desertion oder Dienstverweige­ rung unterstellt wird, seltener geworden. Berichte hierüber gibt es nur noch sporadich. Allerdings ist es noch zu einigen Fällen gekommen (vgl. EASO, Herkunftslän­ der-Informationsbericht:  Eritrea - Nationaldienst, Ausreise und Rückkehrer, Septem­ ber 2019, S. 44 f.). Mitunter erfolgen Festnahmen von Familienangehörigen mit dem Ziel, die geflohenen  Deserteure oder Dienstverweigerer zur Rückkehr zu bewegen (vgl. Bericht der UN-Untersuchungskommission  zur Menschenrechtslage in Eritrea, Stand: 5. Juni 2015, S. 203 f. Abs. 748). Berichtet wird außerdem, dass die inhaftier­ ten Familienangehörigen - auch wenn die geflohene Person nicht zurückkehrt - zu­ mindest in der Regel gegen die Zahlung von rund 50.000,00 Nakfa freigelassen wer­ den (Bericht der UN..:Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Eritrea, Stand: 5. Juni 2015, S. 204 Abs. 749 ff.; vgl. aber auch .Bericht der UN­ Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Eritrea, Stand: 8. Juni 2016, S. 28 Abs. 109).

Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der „Diaspora-Status"  keine hinreichende Sicherheit vor einer möglichen Bestrafung des jeweiligen Rückkehrers bietet. Eine Verfolgung im Einzelfall ist nicht ausgeschlossen, da es kein rechtsstaatliches Ver­ fahren gibt und entsprechende Garantien nicht existieren. Dies gilt aber insbesonde­re für bekennende Regierungsgegner, die mit oppositionellen Aktivitäten hervorge­treten sind (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante  Lage in Eritrea, Stand: November 2020 - Fassung vom 25. Januar 2021, S. 23).

Da der eritreische Staat aber grundsätzlich die Möglichkeit eines „Diaspora-Status" eröffnet, ist gleichwohl hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass er mit der Deserti­on bzw. der Verweigerung des Nationaldienstes sowie einer Beteiligung hieran nicht in entscheidender Weise eine politische Überzeugung verbindet, die ihn zu Verfol- gungshandlungen veranlasst. Daher genügt die Flucht vom Nationaldienst ohne Hin­ zutreten besonderer Umstände des Einzelfalls noch nicht für die Annahme eines po­ litischen Verfolgungsgrundes  (vgl. Kammerurteil vom 1. September 2017 - VG 28 K 166.17 A -, juris Rn. 46; a. A. VG Cottbus, Urteil vom 10. November 2017 - . 6. K 386/15.A -, juris Rn. 50).

Auch unter Berücksichtigung  des individuellen Verfolgungsschicksals des Klägers steht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit fest, dass ihm der Staat Eritrea eine gegnerische politische Gesinnung zuschreibt und ihn gerade wegen dieser zu inhaf­ tieren sucht. Dass sich der Kläger oder seine Verwandten vor ihrer Ausreise. opposi­ tionell oder sonst politisch betätigten, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger hat selbst angegeben, dass es unmöglich sei, sich in Eritrea politisch zu betätigen. Selbst wenn der Kläger wegen der ihm angeblich unterstellten Fluchthilfe wie von ihm behauptet gefoltert worden wäre, spräche angesichts der Berichte über in­ haftierte Familienangehörige von Deserteuren viel dafür, dass dies dazu dienen soll­te, den Aufenthaltsort der betreffenden Verwandten in Erfahrung zu bringen bzw. diese zur Rückkehr zu bewegen (vgl. EASO, Herkunftsländer-Informationsbericht: Eritrea - Nationaldienst, Ausreise und Rückkehrer, September 2019, S. 44). Dass ihm eine konkrete Unterstützungshandlung  bei der angeblichen Fluchthilfe vorgewor­fen wurde, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch im Hinblick auf den Zwischenfall aus dem Jahr 2003, als der Kläger nach seiner Darstellung verdächtigt worden sei, eine Hütte angezündet zu haben, ist weder vorgetragen noch sonst er­sichtlich, dass der eritreische Staat ihm danach eine gegnerische politische Gesin­nung zuschrieb. Immerhin war der Kläger nach 2003 noch mehrere Jahre im Natio­naldienst tätig.

Vor diesem Hintergrund knüpft auch eine etwaig der Kläger drohende erneute Ein­ ziehung zum Nationaldienst nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit  an einen Ver­ folgungsgrund an. Da weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass dem Kläger beachtlich wahrscheinlich eine Einziehung einem Militärdienst in einem Konflikt droht, besteht auch keine starke Vermutung für eine solche Verknüpfung (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 -, juris Rn. 61).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden ge­mäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessord­nung.

 

 

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