Sozialgericht Nürnberg Urteil, 27. März 2017 - S 2 U 125/12

bei uns veröffentlicht am27.03.2017

Gericht

Sozialgericht Nürnberg

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin zu Recht nach der Gefahrtarifstelle 25 (Herstellung von Bekleidung) und 26 (Herstellung von Schuhen) veranlagt worden ist und ob ab dem Beitragsjahr 2004 die Beitragsbescheide daher rechtmäßig ergangen sind.

Die Klägerin ist nach eigener Auskunft eine Sportmarke, das weltweit führend Schuhe, Textilien und Accessoires entwickelt, vertreibt und vermarktet.

Mit Antrag vom 17.12.2009 wurde eine Umschichtung der Entgelte von der Gefahrtarifstelle 25 und 26 in die Gefahrtarifstelle 1012 (Handel mit Textilien, Schuhen) rückwirkend zum Kalenderjahr 2004 beantragt.

Die Klägerin trug vor, mit der Entwicklung des Unternehmens vom Sportschuhhersteller zur international agierenden Premium-Marke sei die eigene Produktion von Waren bereits vor vielen Jahren aufgegeben worden. Die Klägerin beziehe ihre Ware vollständig als Handelsware weltweit von Drittunternehmern. Die Klägerin sei ein international tätiges Marketing- und Handelsunternehmen.

Die Einordnung in die Gefahrtarifstelle 25 und 26 sei nicht mehr zutreffend, da keine Mitarbeiter mehr in der Produktion tätig seien und auch keine Tätigkeiten ausführten, die mit der Produktion in Zusammenhang stehe.

Den Gefahrtarifstellen 25 und 26 seien im wesentlichen Mitarbeiter zugeordnet worden, die in den Bereichen Vertriebsaußendienst, Vertriebsleitung, International Retail Management, IT oder Produktmanagement tätig seien. Sie seien aber der Gefahrtarifstelle 1012 (Handel mit Textilien und Schuhen) zuzurechnen.

Es sei deshalb eine Korrektur der Beitragsbescheide ab 2004 erforderlich.

De Beklagte hat hierzu ausgeführt, am 20.09.2010 sei das Unternehmen besichtigt und die herrschenden Unternehmensverhältnisse überprüft worden.

Die Betriebsbegehung habe ergeben, dass es sich weiterhin um ein Herstellungsunternehmen handele. Designer und Entwickler gäben das Erscheinungsbild der Artikel vor und stellten so die Identität der Produktserien zum Haus der Klägerin her. Das Unternehmen weise alle wesentliche Komponenten eines Herstellers im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung auf, nur die massenhafte Vervielfältigung der kreierten Qualitätsprodukte erfolge in Billiglohnländern. Die Massenproduktion werde von eigenen kompetenten Fachkräften produkt- und fertigungsbezogen begleitet. Verantwortlich dafür sei auch das Tochterunternehmen W., Hongkong. Sieben Mitarbeiter dieser Tochterfirma würden auf der Gehaltsabrechnungsliste der Klägerin geführt. Zudem trete die Klägerin im Geschäftsverkehr ausschließlich als Hersteller auf.

Mit Schreiben vom 21.10.2010 hat die Klägerin u.a. vorgetragen, dass die Durchführung eines Überweisungsverfahrens an die BG Handel und Warendistribution gegebenenfalls unter Beteiligung der Schiedsstelle für Katasterfragen beantragt werde, falls der Hauptantrag gänzlich abgelehnt werde.

Mit Schreiben vom 22.02.2011 hat die Beklagte dazu Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass vor einer abschließenden Entscheidung ein Schiedsverfahren durchgeführt werden solle. Die Klägerin hat hierzu mit Schreiben vom 11.03.2011 ihr Einverständnis erteilt.

Mit Bescheid vom 26.05.2011 hat die Beklagte den Antrag der Klägerin, eine Umschichtung der Entgelte in die Gefahrtarifstelle Kennziffer 1012 rückwirkend zum Kalenderjahr 2004 vorzunehmen, abgelehnt. Die Klägerin sei weiterhin Herstellerunternehmen.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie trug vor, in der Hauptsache sei eine Umschichtung der Entgelte von den Gefahrtarifstellen der Herstellung von Textilien und Schuhen zu der Gefahrtarifstelle Handel mit Textilien und Schuhen für die korrekturfähigen Jahre beantragt. Dies sei abgelehnt worden. Damit komme der Hilfsantrag (Überweisung an die BG Handel und Warendistribution) zum Tragen. Ein solches Schiedsverfahren sei verpflichtend durchzuführen, wenn ein Unternehmer einen Antrag auf Überweisung stelle. Es sei deshalb zuerst ein Schiedsverfahren durchzuführen und dann über den Hilfsantrag (Überweisung an andere BG) zu entscheiden.

Die Beklagte hat dazu mit Schreiben vom 12.07.2011 erwidert, im Falle der Klägerin ginge es überwiegend um die Umschichtung von Entgelten. Ein solcher Sachverhalt falle nicht in die Kompetenz der Schiedsstelle. Im Übrigen sei ein Schiedsstellenverfahren nicht durch ein Unternehmen aktiv zu betreiben.

Die Klägerin bestand auf einer Durchführung eines Schiedsverfahrens. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass in einem nach ihrer Ansicht vergleichbaren Fall ein Verfahren vor dem Schiedsgericht anhängig sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2012 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Beitragsbescheide und den Ablehnungsbescheid hinsichtlich einer beantragten Änderung der Veranlagung zurück.

Dagegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg.

Die Klägerin trägt vor, sie sei seit ihrer Unternehmensgründung in Mitgliedschaft der Beklagten. Die Klägerin wurde im Jahr 1948 als Hersteller von Sportschuhen gegründet. Sie habe sich von der eigenen Herstellung von Sportschuhen immer mehr entfernt. Die eigene Produktion von Schuhen sei bereits vor fast 20 Jahren vollständig aufgegeben worden. Die Klägerin habe sich allein auf den Handel mit Bekleidung und Schuhen ausgerichtet, so dass sie als ein reines Marketing-und Handelsunternehmen international agiere. Sie beziehe die Ware heute vollständig als Handelsware von Drittunternehmen außerhalb des Konzerns, überwiegend aus Fernost und Süd-/Ost-Europa.

Die Mitarbeiter beschäftigten sich mit Vertrieb, Produktmanagement, Marketing und Logistik und in diesem Zusammenhang auch mit dem Design der Produkte, ohne dass eine Fertigung durch die Klägerin erfolge. Die Koordinierung der Beschaffung erfolge durch das Unternehmen W. mit Sitz in Hongkong. Die W. übernehme auch die Qualitätskontrolle. Der Vertrieb der Waren erfolgt im Wesentlichen über den Sportfachhandel. Die Klägerin sei als Muttergesellschaft der weltweiten Konzernunternehmen sowie als Verwaltungs-, Marketing- und Handelsunternehmen tätig. Am Standort der Unternehmenszentrale in A-Stadt sei das Unternehmen mit einem umfangreichen Verwaltungsbereich ansässig. Darüber hinaus seien dort überwiegend die globalen Zentralbereiche der einzelnen Unternehmensbereiche wie Vertrieb, Produktmanagement, Marketingplanung, Development, Designlogistik oder Retail ansässig. Die Beklagte habe die Klägerin nach dem Gefahrtarif mit der Herstellung von Bekleidung, Herstellung von Schuhen sowie dem kaufmännischen Teil veranlagt. Der Unternehmensgegenstand der Klägerin liege aber allein in dem Handel und Marketing von Produkten. Nach dem Sinn des berufsgenossenschaftlichen Prinzips müsse jeder Gewerbezweig entsprechend der für ihn eigentümlichen Gefährdung belastet werden. Diesem Zweck diene die Schaffung von Gefahrengemeinschaften. Eine Fertigung finde im klägerischen Unternehmen nicht statt. Ein Produktionsbetrieb habe ohne Frage ein weitaus höheres Gefährdungspotenzial als ein Handelsunternehmen.

Die Beklagte erwidert hierzu, Art und Gegenstand des Unternehmens der Klägerin sei unverändert die Herstellung von Sportbekleidung und Schuhen. Die Verlegung der Massenvervielfältigung, deren Ablauf die Klägerin bis ins Detail steuere und überwache, aus Kostengründen in Billiglohnländer zu verlegen mache aus dem Unternehmen als international anerkanntem Markenhersteller kein Handelsunternehmen. Das Unternehmen der Klägerin weise alle wesentlichen Komponenten eines Herstellers auf. Die Klägerin greife, soweit sie nicht selbst tätig werde, bei der Auslandsfertigung in erster Linie auf ihre Tochterfirma W., Hongkong zurück, aus deren Management mindestens sieben Mitarbeiter auf der Gehaltsabrechnungsliste der Klägerin stehen. Die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens beginne und ende in Deutschland. Hier würden die Produkte für eine eigene Marke entwickelt und die genauen Herstellungsvorgaben festgelegt. Mit dem Eintreffen der im Ausland vervielfältigten Ware setze sich der Wertschöpfungsprozess wieder in Deutschland mit der Qualitätskontrolle der aus dem Ausland angelieferten Ware und der anschließenden Vertriebstätigkeit fort.

Der unternehmerische Schwerpunkt des Unternehmens liege im eigenständigen Design, in der Entwicklung und der Produktionssteuerung und -überwachung. Die unabhängige Schiedsstelle für Katasterfragen bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. und bei dem Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung teile auch diese Rechtsauffassung. Sie habe in zwei vergleichbaren Fällen entsprechend argumentiert. Auch die aktuelle Gewerbeanmeldung der Klägerin spreche für diese Argumentation, da sich dort die Klägerin selbst offiziell als Hersteller von Schuhen, Bekleidung und Sportartikeln aller Art bezeichnet.

Die Klägerin erwidert, dass im klägerischen Unternehmen keine umfassende Qualitätskontrolle erfolge. Diese finde vielmehr vor dem Versand der Waren im Ausland statt. Es erfolgten lediglich Stichproben durch die Klägerin. Das klägerische Unternehmen habe gar keinen Herstellungsbereich in Deutschland.

Darüber hinaus entfalte das Votum der Schiedsstelle für Katasterfragen auf das vorliegende Verfahren keine Wirkung. Es binde nur die Berufsgenossenschaften untereinander. Im Votum der Schiedsstelle würden aus der Motivation heraus, den Mitgliedsbestand der Beklagten unverändert und zu Lasten der Klägerin zu erhalten, Ausführungen getätigt. Bei der Bildung der Gewerbezweige und deren Zuordnung komme es daher entscheidend auf die in der jeweiligen Unternehmensart anzutreffenden Arbeitsbedingungen an. Ein Handelsunternehmen halte vornehmlich Arbeitsplätze im Büro und Logistik vor, in einem Produktionsbetrieb hingegen erfolge eine Herstellung in Produktionshallen. Zum Votum der Schiedsstelle sei festzuhalten, dass es keinerlei Rechtsbindungen unter den Beteiligten dieses Verfahrens entfalte und inhaltlich auch als falsch zurückzuweisen sei. Es sei zurückzuweisen, dass die Klägerin durch ihre Tochterfirma W. in Hongkong die Fertigung überwachen würde.

Die Beklagte erwidert hierauf, dass in den amtlichen Gewerbemeldebescheinigungen die Klägerin bis zum heutigen Tag in erster Linie als Hersteller bezeichnet werde. Der Erkennungswert der Marke der Klägerin in der Öffentlichkeit werde und solle aus Unternehmenssicht zuallererst mit der Herstellung dieser Markenartikel hergenommen werden. Dabei sei es selbstverständlich, dass Herstellung im Deutschland des 21. Jahrhunderts in der Bekleidungsbranche nicht mehr vollständige Eigenerzeugung bedeuten würde. Doch auch ein mehrschichtiges Erzeugungsverfahren von der Entwicklung bis zum Vertrieb, im Fall der Klägerin, veränderte Art und Gegenstand des Unternehmens nicht in der dargestellten Form. Es bleibe weiter ein Herstellungsunternehmen.

Entscheidungserheblich könnten hier nicht die Teilaspekte wie Art und Umfang der Qualitätskontrolle sein. Vielmehr habe eine Gesamtbewertung aller Umstände und Verfahrensabläufe zu geschehen. Nur ein Erzeuger selbst verknüpfe sein unternehmerisches Schicksal untrennbar mit dem eigenen Produkt. Im Gegensatz dazu seien bekanntermaßen Handelsunternehmen nicht auf Gedeih und Verderb einem Produkt bzw. einer Marke verpflichtet. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass im Votum der Schiedsstelle Firmen beurteilt worden seien, deren Betriebsverhältnisse denen der Klägerin vergleichbar seien. Es sei auch noch einmal darauf hinzuweisen, dass mindestens sieben Mitarbeiter aus dem Management der Firma W. direkt auf der Gehaltsabrechnungsliste der Klägerin stünden. Alleine dadurch würde eine enge Verbindung und ausschließliche Produktionssteuerung durch die deutsche Mutterfirma der Klägerin eindrucksvoll dokumentiert.

Die Klägerin trägt hierzu noch vor, dass der Inhalt der Gewerbeanmeldung keine gewollte Außendarstellung des Unternehmensgegenstands der Klägerin sei. Die Klägerin sei ein SportLifestyle- Unternehmen. Die Entwicklung einer innovativen Marke mit entsprechenden Produkten und innovativen Kampagnen stünden im unternehmerischen Mittelpunkt. Die Klägerin empfinde sich nicht als Herstellungsunternehmen, sondern als Vermarktungsunternehmen einer Marke in Form einer Vision, eines Lifestyles.

Die Klägerin verstehe sich selbst als Handelsunternehmen mit einer optimierten Markenstrategie. Bezüglich der Ausführungen der Beklagten zu den Beschäftigten des Unternehmens W. sei anzufügen, dass in Unternehmensgruppen/Konzernen Verantwortlichkeiten existieren, die auf mehrere Gesellschaften verteilt würden.

Die Beklagte hat dazu unter anderem erneut ausgeführt, dass reine Handelsunternehmen keine Markenprodukte entwerfen würden. Im Falle der hundertprozentigen Tochter W. sei auch eine direkte und unmittelbare Einflussnahme der Klägerin klar zu erkennen.

Im Rahmen eines Erörterungstermins am 8.5.2014 wurde die Verhandlung vertagt, um der Klägerseite Gelegenheit zu geben, entsprechende Nachweise über die betroffenen Arbeitnehmer vorzulegen.

Die Klägerin hat sodann, wohl auf Anregung des früheren Vorsitzenden der Kammer, ein Vergleichsangebot vorgelegt.

Die Beklagte hat dazu ausgeführt, eine Kompromisslösung sei für sie nicht darstellbar, da es um die Kernfrage zum Status des Unternehmens der Klägerin gehe.

Die Klägerin hat sodann vorgetragen, dass die Klägerin 1/6 des Umsatzes mit dem Handel mit Accessoires erwirtschafte. Diese Accessoires würden nicht vom klägerischen Unternehmen hergestellt. Insofern finde hier ein Handel mit Accessoires wie Parfüm etc. statt. Diesbezüglich habe ebenso keine Veranlagung der Herstellung von beispielsweise Parfüm, sondern in jedem Fall eine erweiterte Zuordnung zum Handel stattzufinden.

Die Beklagte erwidert, der im Rahmen eines fremdartigen Nebenunternehmens betriebene Handel mit tatsächlicher Fremdware wie Parfüm usw. sei nie streitgegenständlich gewesen. Entsprechend den Bestimmungen des Gefahrstarifes könnten die darin beschäftigten Mitarbeiter selbstverständlich der bestehenden Handelsveranlagung bzw. entsprechenden Tätigkeit der Büroveranlagung zugeordnet werden. Die Beklagte gehe aber davon aus, dass dies Seitens der Klägerin in den jährlichen Lohnnachweisen auch demgemäß gehandhabt werde. Es sei erstaunlich, dass eine Firma, die nach dem Vortrag der Klägerin lediglich von Schreibtisch aus Artikel durch Dritte produzieren lasse, nach eigenem Bekunden international zu den führenden Unternehmen der Sportartikelindustrie zähle. Es müssten dafür neue Entwicklungen und Technologien gleichbleibender hoher Qualität hergestellt werden. Nur ein entsprechend aufgestelltes Herstellungsunternehmen könne sich diesen Anforderungen dauerhaft erfolgreich stellen.

Dass dabei die Massenproduktion im Ausland erfolge, treffe im unterschiedlichen Umfang auf weite Bereiche der Textil- und Bekleidungsindustrie zu. Das sich daraus ergebende mehr oder weniger geänderte Gefährdungspotenzial wirke sich auch selbstverständlich über das Unfallgeschehen im Gewerbezweig Herstellung von Bekleidung auf die Gefahrklasse und damit die Beitragshöhe aus.

Die Klägerin führt aus, Handel sei dadurch gekennzeichnet, dass ein Händler fertige Produkte ankaufe oder durch Dritte produzieren lasse und an Dritte weiterveräußere. Ob sich dieser Handel auf Parfüm, Taschen, Bekleidung oder Schuhe beziehe, könne hinsichtlich des Unternehmensgegenstandes keinen Unterschied machen.

Hierzu für die Beklagte aus, die Klägerin nehme den unstreitigen Handel mit Fremdware wie Parfüm erneut zum Anlass, die dortigen Verhältnisse undifferenziert auf die gesamte Produktpalette der Klägerin zu übertragen.

Die Klägerin beantragt,

  • 1.Die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin ab dem 1.1.2004 neben der kaufmännischen Gefahrtarifstelle ausschließlich zur Gefahrtarifstelle Handel mit Textilien und Schuhen nach dem Gefahrtarif der BGHW (Sparte Großhandel) zu veranlagen bzw. dieser Gefahrtarifstelle Lohnsummen zuzuordnen.

  • 2.Die Beitragsbescheide ab dem Jahr 2004 abzuändern und die sich aus dem Antrag zu 1. ergebenden Beitragsrückerstattungen zuzüglich Zinsen zu leisten.

Der Beklagtenvertreter beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorliegende Akte und die von der Beklagten beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die gegen die Bescheide vom 26.04.2010, 22.02.2011, 29.03.2011, 27.04.2011, 26.05.2011 und 6.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2012 erhobene Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Streitgegenstand des Verfahrens sind die Beitragsbescheide 2009 vom 26.04.2010, Beitragsänderungsbescheide 2006, 2007 und 2008 vom 22.02.2011, Beitragsänderungsbescheid 2009 vom 29.03.2011 und Beitragsbescheid 2010 vom 27.04.2011und der Ablehnungsbescheid vom 26.05.2011 sowie der Veranlagungsbescheid vom 6.10.2011 für die Zeit ab 1.1.2012. Die streitgegenständlichen Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2012 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der Gefahrtarif wird nach Gefahrtarifstellen gegliedert, in denen Gefahrgemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden (§ 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Diese Gefahrklassen werden aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet. Durch gefahrtarifliche Bestimmung hervorgerufene Härten im Einzelfall sind als Folgen der zulässigen generalisierenden versicherungsrechtlichen Regelungen hinzunehmen. Unter den Gefahrtarifstellen sind nach unterschiedlichen Zuordnungsmerkmalen Risikogemeinschaften zu bilden. Nach der Natur der Sache kommen die Tarifarten des Gewerbezweigtarifs oder des Tätigkeitstarifs in Betracht. Die unter diesen Gesichtspunkten gebildete Anzahl und Art der Gefahrtarifstellen stehen im Ermessen der Vertreterversammlung. Alle Tarifarten sind grundsätzlich zulässig. Es besteht keine Verpflichtung, für abgrenzbare Unternehmensteile eines zugehörigen Unternehmens nach den dort jeweils verrichteten Tätigkeiten (zum Beispiel Büro/Verwaltung) verschiedene Gefahrtarifstellen einzurichten. Diese Ausnahme ist zwar möglich, nicht aber verbindlich (vergleiche BSG, Urteil vom 24.6.2003, Az.: B 2 U 21/02 R).

Da der Gewerbezweigtarif seine Rechtfertigung aus der Gleichartigkeit der Unfallrisiken und Präventionserfordernisse bei technologisch verwandten Betrieben bezieht, kommt es für die Bildung der Gewerbezweige und die Zuordnung zu ihnen entscheidend auf die in der jeweiligen Unternehmensart anzutreffenden Arbeitsbedingungen an. Angesichts der Entwicklung der modernen Arbeitswelt zu einer Dienstleistungsgesellschaft verlieren zwar klassische technologische Abgrenzungskriterien immer mehr an Bedeutung, dennoch bleiben für den Zuschnitt der Gewerbezweige in erster Linie Art und Gegenstand des Unternehmens maßgebend, da sie den zuverlässigsten Aufschluss über die Unfallgefahren in den Unternehmen geben (vergleiche BSG, Urteil vom 28.11.2006, Az.: B 2 U 1/05 R und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.08.2012, Az.: L 8 U 1970/10).

Steht die nach technologischen Kriterien richtige Zuordnung fest, kann die Zugehörigkeit zu dem Gewerbezweig nicht mit dem Hinweis auf eine unterschiedliche Belastungssituationen Frage gestellt werden. Die Bildung von Gefahrklassen nach dem Gewerbezweigprinzip hat zur zwangsläufigen Folge, dass es innerhalb der Gewerbezweige nicht nur gewerbetypische, sondern auch vom Durchschnitt der Gruppe mehr oder weniger deutlich abweichende Unternehmen und Unternehmensarten gibt. Dass alle dem Gewerbezweig zugehörigen Betriebe und Einrichtungen trotz unterschiedlicher Gefährdungslagen zur selben Gefahrklassen veranlagt und deshalb einzelne von ihnen stärker mit Beiträgen belastet werden als es ihrem tatsächlichen Gefährdungsrisiko entsprechen würde, ist als Folge der bei der Tarifbildung notwendigen Typisierung hinzunehmen (vergleiche BSG, Urteil vom 28.11.2006, aaO.).

Entgegen der Einwendungen der Klägerin ist aber eine Zuordnung Ihres Unternehmens zu einer anderen Tarifstelle rechtlich nicht geboten. Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass der das Unternehmen der Klägerin kennzeichnende Unternehmensgegenstand die Herstellung von Textilien und Schuhen im Sportartikelbereich ist, und nicht lediglich der Handel mit solchen.

Zwar verkennt die Kammer nicht, dass es zu einer Verschiebung der Unternehmensausrichtung der Klägerin gekommen ist. Dennoch ist zur Überzeugung der Kammer die Klägerin weiterhin ein Herstellungsunternehmen. Es entspricht den unternehmerischen Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte, insbesondere auch im Bereich der Bekleidungsindustrie, dass die Produktion der Ware im Ausland erfolgt, um die Lohnkosten deutlich niedriger zu halten. Dennoch bleibt ein Unternehmen, wenn es lediglich die Produktion und gegebenenfalls auch Teile der Qualitätskontrolle ins Ausland verlagert, weiterhin nicht ein Handelsunternehmen, sondern ein Herstellungsunternehmen.

Dass die Klägerin sich selbst als Lifestyleunternehmen sieht, welches nicht herstellt, sondern entwickelt und vertreibt, kann hier nicht die entscheidende Bewertungsgrundlage sein. Vielmehr sieht die Kammer unter Abwägung aller Argumente und des vorgetragenen Sachverhaltes die Klägerin als Herstellungsunternehmen, weil nicht das Eigenbild der Klägerin über ihren Unternehmensgegenstand bzw. das von ihr anvisierte Bild, das in der Öffentlichkeit erzeugt werden soll, sondern eine objektive Bewertung unter Abwägung aller Positionen maßgeblich für die Beurteilung sein muss.

Im Fall der Klägerin ist es für die Kammer unabdingbar, dass hier die Marke verkauft wird, welche von der Klägerin entworfen, im Ausland hergestellt, beworben und dann vertrieben wird. Im Gegensatz zu dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin gerade nicht mit einem x-beliebigen Unternehmen, z.B. einer Warenhauskette, zu vergleichen ist, welches beispielsweise Waren verschiedener Hersteller und Qualitätsstandards verkauft, die es nicht selbst herstellt, sondern nur einkauft. Bei einem solchen Unternehmen steht nicht die (eigene) Marke im Vordergrund, es werden Marken verschiedener Hersteller vertrieben.

Die Klägerin allerdings transportiert mit ihren Produkten eine eigene Marke, eine Zugehörigkeit, einen bekannten Namen und damit eine spezielle Käufernachfrage, die sie von anderen Unternehmen unterscheidet. Die Produkte der Klägerin werden nicht gekauft, um lediglich irgendeine Art von Sportartikel zu erwerben und den Konsum von Sport- und Bekleidungsartikeln oder gar Lifestyleartikeln zu bedienen, sondern gezielt, um Artikel der international bekannten Marke der Klägerin zu erwerben. Die Produkte der Klägerin stehen und fallen mit deren Namen und dem Wunsch der Käufer, gerade ein Produkt der Klägerin und kein anderes zu erwerben. Durch diese Attraktivität des Namens und der Marke setzt sich die Klägerin von bekannten oder unbekannten Marken oder Produkten in ihrem Produktbereich ab.

Es ist nicht der Handel mit irgendwelchen Waren, sondern der Entwurf, das Design, die hohe Qualität und die Marke der Klägerin maßgeblich für den Erfolg und die Käufernachfrage, und somit maßgeblicher Unternehmensgegenstand.

Die Kammer konnte sich der Argumentation der Klägerin nicht anschließen, dass sie mit der Herstellung der Textilien und Schuhe ihrer Marke nichts mehr zu tun habe. Vielmehr geht die Kammer davon aus, dass die maßgeblichen Schritte der Herstellung weiterhin in der Hand der Klägerin liegen. Dass hochwertige Textilien und Schuhe selbst nicht mehr in Deutschland hergestellt werden, entspricht einer unternehmerischen und gesellschaftlichen Entwicklung, die alle gleichgelagerten Unternehmen mit solchen Produktpaletten treffen und sich auch gleichgelagert dahingehend entwickelt haben, dass die Produktion ins Ausland verlagert wurde.

Auch für den mündigen Käufer qualitativ hochwertiger Marken wie die der Klägerin ist heutzutage klar im Bewusstsein, dass die Produkte nicht in Deutschland, sondern überwiegend im asiatischen Bereich hergestellt werden. Trotz der umfassenden und informativen Ausführungen der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung über die Produktionsabläufe, den Mitarbeitereinsatz und die Vernetzung verschiedener weiterer Konzernunternehmen ist für die Kammer nicht anzuzweifeln, dass die Klägerin ein Herstellungsunternehmen geblieben ist.

Die Klägerin ist nach Auffassung der Kammer Herstellerin von Bekleidung und Schuhen ihrer Marke. Die Klägerin designt und entwickelt ihre Produkte selbst. Nach den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung werden dann verschiedene Prototypen, auch im Ausland, hergestellt und sodann der Klägerin zur Verfügung gestellt, die dann je nach Farbe oder Material eine Auswahl trifft, welche der grundsätzlich von ihr bereits entwickelten Stücke in Produktion gehen sollen. Das grundsätzliche Design, der Schnitt, die zu verwendenden Textilien und die grundsätzliche Farbgebung sowie das grundsätzliche Material und die Position des Markenlogos und auch die Verpackung, in welcher die Produkte später vertrieben werden sollen, werden von der Klägerin in maßgeblicher Weise vorgegeben.

Aus Sicht der Kammer ist und bleibt die Klägerin wesentlich am Herstellungsprozess beteiligt. Nur so kann sie letztlich den qualitativ hochwertigen Standard ihrer Produkte sicherstellen. Für die Kammer ist es unerheblich, ob und in welchem Rahmen Qualitätsprüfungen im Ausland oder im Inland vorgenommen werden. Neue Produktlinien, neue Produkte, neues Design, all das wird von den Mitarbeitern der Klägerin entworfen und vorgegeben, egal an welchem Ort dieser Welt. Im Rahmen der herrschenden Mobilität ist es dabei für die Kammer nicht ausschlaggebend, ob sich der Designer eines Produktes am Sitz der Klägerin im A-Stadt befindet oder an einem anderen Ort, maßgeblich für die Kammer in ihrer Bewertung ist, dass die Idee für neue oder geänderte Produkte von Mitarbeitern der Klägerin für diese entwickelt wurden oder werden. Aus Sicht der Kammer ist hier auch maßgeblich, dass die hohe Qualität der Produkte der Klägerin nur so zu halten ist, wenn durch Standards und Richtlinien die Qualitätskriterien gegebenenfalls auch an Tochterunternehmen, welche sich um die Herstellung im Ausland kümmern, vorgegeben werden.

Aus Sicht der Kammer ist trotz Veränderung des Herstellungsprozesses bei der Klägerin keine derartige Verschiebung dahingehend zu erkennen, dass die Klägerin nur noch Handel mit Produkten betreibt.

Den wesentlichen und maßgeblichen Unterschied zu reinen Handelsunternehmen sieht die Kammer darin, dass die Klägerin ihre Produkte, ihren Namen, und ihre Marke verkauft und die wesentlichen und grundlegenden Entscheidungsprozesse und Grundlagen der Produkte selbst eigenständig entwickelt und vorgibt. Für die Kammer ist diese Art des Unternehmensgegenstandes und der Tätigkeit der Klägerin zu weit entfernt vom Unternehmensgegenstand eines reinen Handelsunternehmens und viel näher bei dem eines Herstellungsunternehmens. Auch wenn sich die inneren Abläufe im Unternehmen der Klägerin insbesondere bei elementaren Schritten im Herstellungsprozess verändert hat und die Klägerin in ihrer eigenen Unternehmensentwicklung ihr unternehmerisches Hauptaugenmerk auf Design, Marketing und Vertrieb richtet, bleibt dennoch aus Sicht der Kammer die „Hülle“ des Unternehmens weiterhin bestehen in Form eines Herstellungsunternehmens. Die Veränderung der Produktionsprozesse im Falle der Klägerin sieht die Kammer lediglich als einen generellen Entwicklungsschritt von Unternehmen in den letzten Jahrzehnten an, weg von der reinen Produktion im Inland, aber bei bleibender maßgeblicher Beeinflussung und Kreativität der Produktionslinien im Inland, und hin zur Produktion von eigenen Waren in Ländern mit erheblich geringerem Lohnniveau. Dies macht aber ein Herstellungsunternehmen noch lange nicht zu einem Handelsunternehmen.

Zur Überzeugung der Kammer betreibt die Klägerin nicht lediglich Handel, sondern ihr Unternehmensschwerpunkt liegt weiterhin in der Herstellung von Sportbekleidung und Sportschuhen von gehobener Qualität. Eine Veranlagung nach den Gefahrtarifstellen „Herstellung von Textilien“ und „Herstellung von Schuhen“ erscheint somit gerechtfertigt.

Eine fehlerhafte Veranlagung ist deshalb nicht zu erkennen. Ein Anspruch auf Veranlagung nach einer anderen Tarifstelle des Gefahrtarifs scheidet damit aus.

Auch die beantragte Beitragsänderung der Beitragsbescheide ab 2004 hat somit nicht zu erfolgen.

Nach alledem war die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Absatz 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

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Referenzen - Gesetze

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 157 Gefahrtarif


(1) Der Unfallversicherungsträger setzt als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest. In dem Gefahrtarif sind zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen. Für die in § 121 Abs. 2 genannten Unternehmen der Seefahrt kann die Berufsgenossenscha

Referenzen

(1) Der Unfallversicherungsträger setzt als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest. In dem Gefahrtarif sind zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen. Für die in § 121 Abs. 2 genannten Unternehmen der Seefahrt kann die Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation Gefahrklassen feststellen.

(2) Der Gefahrtarif wird nach Tarifstellen gegliedert, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden. Für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten kann eine Tarifstelle mit einer Gefahrklasse vorgesehen werden.

(3) Die Gefahrklassen werden aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet.

(4) Der Gefahrtarif hat eine Bestimmung über die Festsetzung der Gefahrklassen oder die Berechnung der Beiträge für fremdartige Nebenunternehmen vorzusehen. Die Berechnungsgrundlagen des Unfallversicherungsträgers, dem die Nebenunternehmen als Hauptunternehmen angehören würden, sind dabei zu beachten.

(5) Der Gefahrtarif hat eine Geltungsdauer von höchstens sechs Kalenderjahren.

(6) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.