Oberlandesgericht München Endurteil, 07. Juli 2016 - 10 U 76/14
vorgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten vom 08.01.2014 wird das Endurteil des LG München II
I. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger bis zum Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, eingetretene Schäden, sowie jegliche künftige Schäden zu ersetzen, die auf dem Unfallereignis vom 05.08.2009 gegen 17.45 Uhr auf der Ortsverbindungsstraße von H. nach G. im Gemeindegebiet von … H. beruhen. Dies gilt, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden, sowie hinsichtlich materieller Schäden zu einem Anteil von 50 Prozent, hinsichtlich immaterieller Schäden unter Berücksichtigung hälftigen Mitverschuldens.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
3. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien können jeweils die Vollstreckung (hinsichtlich der Kosten) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
das Ersturteil aufzuheben und nach dem Antrag erster Instanz zu erkennen (BB 1 = Bl. 154 d. A., Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 27.06.2014, S. 2 = Bl. 184 d .A.).
das Ersturteil aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen (Bl. 147 d. A.; Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 27.06.2014, S. 2 = Bl. 184 d .A.).
- Somit legte der Beklagte zu 1) von der ihm zur Verfügung stehenden Sichtstrecke von 17,5 m 4,72 oder 6,67 m ungebremst zurück, während er den Kläger 5,4 bis 9,5 m früher hätte erkennen können (Gutachten, S. 32 = Bl. 327 d. A.).
- Stattdessen hätte der Beklagte zu 1) aus einer Geschwindigkeit von 10 km/h 0,7 s früher, also 2,4 s vor der Kollision reagieren können, bei einer Geschwindigkeit von 12 km/h 0,9 s früher, also 2,9 s vor dem Anstoß (Gutachten S. 32, 43 = Bl. 327, 338 d. A.). Zu diesen Zeitpunkten befand er sich 4,3 m und 4,7 m vor der späteren Anstoßstelle.
- Der Anhalteweg aus einer Geschwindigkeit von 10 km/h bis zu Stillstand beträgt unter den bereits festgestellten Umständen 4,33 m, aus einer Geschwindigkeit von 12 km/h 5,61 m (Gutachten, S. 32/33, 43 = Bl. 327/328, 338 d. A.). Im ersten Fall wäre der Beklagte zu 1) 0,37 m vor der 4,7 m entfernten Kollisionsstelle zum Stillstand gekommen (Gutachten, S. 32, 43 = Bl. 327, 338 d. A.), im zweiten Fall - über die von der Sachverständigen aus 10 km/h errechneten 5 cm (Gutachten, S. 33 = Bl. 328 d. A.) hinaus - 1,31 m nach der dann 4,3 m entfernten Kollisionsstelle. Da sich dieser Abstand auf die Vorderfront des Mähwerks bezieht, wäre der Unfall trotzdem vermieden worden, weil der Kläger unter dem Mähwerk durchgerutscht ist und damit weitere 1,9 m bis zur Vorderkante des linken Vorderreifens zur Verfügung standen.
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Urteil einreichenOberlandesgericht München Endurteil, 07. Juli 2016 - 10 U 76/14 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden die Vorschriften des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Maßgabe Anwendung, dass im Fall der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Verletzten gleichsteht.
Tenor
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 35.000,- € festgesetzt.
Gründe
A.
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 14.000,- €, zu bezahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.03.2012,
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.698,13 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.03.2012 zu bezahlen,
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin jeden weiteren materiellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 23.05.2011 in Feldkirchen zu 70 Prozent zu ersetzen, jeden weiteren immateriellen Schaden unter Berücksichtigung ihres Mitverschuldens von 30 Prozent, jeweils soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.
die Berufung zurückzuweisen.
B.
I.
- Hinsichtlich der Klägerin wäre die gesamte Annäherung an die Unfallstelle vom Ort des Fahrtbeginns, das beabsichtigte Fahrtziel und das Fahrverhalten, insbesondere auf dem Gehweg ab dem Kreisverkehr, zu erfragen, und mit den Angaben der Beklagten zu 1) und der Zeugin Marlene E. abzugleichen gewesen. Zudem wäre durch Vorhalte zu klären gewesen, wie die Klägerin angehalten und die Fahrbahn beobachtet, und dennoch geglaubt haben will, die Fahrbahn ohne Gefahr überschreiten zu können. Zuletzt wären Größe und Gewicht zum Unfallzeitpunkt zu ermitteln gewesen (die in Rücksicht auf die mündliche Verhandlung „heutigen“ Daten (Bl. 47 d. A.) sind weniger wichtig), weil diese entscheidende Anknüpfungspunkte für die Berechnungen des Sachverständigen bildeten.
- Die Angaben der Beklagten zu 1) enthalten einen nicht aufgelösten Widerspruch, soweit sie „ca. 30 bis 50 Meter vor der späteren Unfallstelle … zum ersten Mal bewusst die Kinder … gesehen habe“, andererseits erklärt hatte, „… zu dem Zeitpunkt, als ich die Kinder zum ersten Mal gesehen habe, waren sie ca. 10 Meter vor meinem Fahrzeug“. Auch insoweit wäre eine vollständige Beschreibung der Annäherung sowohl der Kinder, als auch der Beklagten zu 1) selbst an die spätere Unfallstelle ab dem Zeitpunkt des Verlassens des Kreisverkehrs notwendig gewesen, zumal, wie aus den Lichtbildern ersichtlich, Fahrbahn und Gehweg übersichtlich sind und wegen des Gefälles höhere Geschwindigkeiten und verlängerte Bremswege entstehen können. Dies gilt umso mehr, als sich die Beklagte zu 1) in der gegen die Klägerin geführten Unfallanzeige durchaus als Zeugin geäußert und eine Vorgangsschilderung abgegeben hat, die hinsichtlich der Einzelheiten noch ungenauer als die gerichtliche Darstellung ist, und mangelnde Beobachtung und Aufmerksamkeit nicht ausgeschlossen erscheinen lässt (Ermittlungsakten, Bl. 24 d. A.). Zuletzt wäre klärungsbedürftig gewesen, welche Vorstellungen sich die Beklagte zu 1) hinsichtlich der für jeden Verkehrsteilnehmer klar erkennbaren Verkehrsinsel mit Überquerungshilfe gemacht hat, und anhand welcher Umstände sie die die Annahme getroffen hat, die Klägerin werde diesen Weg nicht wählen. Nach vorläufiger Einschätzung des Senats sprach jedenfalls keine höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin auf dem Gehweg geradeaus weiterfahren werde, als dass sie die Straßenseite werde wechseln wollen.
- Damit wurde dem Gutachter und dem Gericht die Möglichkeit genommen, die jeweilige unmittelbare Unfalldarstellung zu erweitern und zu präzisieren, die Parteien ergänzend zu befragen und weitere Anknüpfungspunkte zu gewinnen. Weiterhin wurde die Verpflichtung eingeschränkt, das Gutachten von Amts wegen auf seine Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen, und mit den Schilderungen der Parteien abzugleichen.
- Das Ersturteil versagt sich eine vollständige Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen Angaben der Beklagten zu 1) und den Gutachtensergebnissen (BGH NJW 2015, 411: „entsprechend dem Gebot des § ZPO § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt“; MDR 1982, 212), indem die Annahmen des Sachverständigen ungeprüft übernommen und floskelhaft für zutreffend erklärt werden (EU 6 = Bl. 76 d. A.), ohne die erleichterte Beweisführung nach dem Anscheinsbeweis und die gebotene Anwendung der für die Klägerin günstigsten Anknüpfungstatsachen zu beachten.
- Deswegen und darüber hinaus wird übersehen (EU 7 = Bl. 77 d. A.), dass zum Ersten die Beklagte zu 1) schon nach eigenen Angaben die Klägerin und ihre Schwester auf dem Gehweg nicht sorgfältig und durchgängig beobachtet hat.
- Der Kraftfahrzeugverkehr ist gegenüber Fußgängern bevorrechtigt (§ 25 III StVO), sofern nicht ein Fußgängerüberweg (§§ 25 III 1, 41 I StVO, Anlage 2, Zeichen 293) vorliegt (§ 26 I StVO). Eine in der Straßenverkehrsordnung nicht geregelte Überquerungs- oder Querungshilfe (BGH NZV 1998, 369), wie die unstreitig von der Klägerin genutzte Verkehrsinsel in der A.-Straße in F., stellt keinen Fußgängerüberweg im Rechtssinne dar und beeinflusst das Vorrangverhältnis nicht (König, NZV 2008, 492 ff, [494 unter IV.]; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 26, Rn. 10).
- Dennoch hat der Kraftfahrer die allgemeinen Verkehrsregeln zu beachten, insbesondere Geschwindigkeitsvorschriften (§§ 3 III, I StVO; BGH NJW 1992, 1459; OLG Düsseldorf NZV 1994, 70), aber auch das Sichtfahrgebot (BGH NJW 1984, 50 ff. [51 unter 2. c)]), und das Rücksichtnahmegebot (§ 1 II StVO). In diesem Rahmen hat er den gesamten Verkehrsraum, auch bezüglich auf den Gehwegen gehender oder stehender Fußgänger, sorgfältig zu beobachten (OLG Hamm NZV 2000, 371 ff. [372 unter 3. a)]; KG VRS 100, 269 = BeckRS 2001, 00140; BGH VersR 66, 736; OLG Düsseldorf, NZV 2002, 90; OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.06.2009 - 1 U 79/09 [juris]), sowie rechtzeitig und richtig auf etwaige Fehler anderer Verkehrsteilnehmer zu reagieren (BGH NJW-RR 1991, 347; OLG Hamm NZV 1993, 314; KG VRS 100, 269). Bei unachtsamem Verhalten eines Fußgängers bestehen Brems- und Ausweichpflicht (OLG Koblenz NZV 2012, 177; OLG Hamm r+s 1989, 396 = VRS 78, 5), sowie die Notwendigkeit, die Geschwindigkeit herabsetzen, sobald der Fahrer sieht, dass ein Fußgänger die Straße betritt (OLG Düsseldorf VRS 56, 2). Letztere Verpflichtung besteht sogar bei witterungsbedingten Sichtbeeinträchtigungen (OLG Saarbrücken r+s 2010, 479; OLG Hamm r+s 1989, 396).
- Diese Verpflichtungen bestehen uneingeschränkt auch bei schweren Sorgfaltsverstößen eines Fußgänger, etwa wenn dieser die Fahrbahn trotz für ihn Rotlicht zeigender Lichtzeichenanlage in oder an der Ampelfurt überschreiten will (BGH Urt. v. 29.04.1975 - VI ZR 225/73 [juris] = VersR 1975, 858; NJW 1992, 1459; VersR 1967, 608). Angesichts dieser Verpflichtungen kommt eine Bewertung des Mitverschuldens des Fußgängers, die jegliche Haftung des Kraftfahrers ausschließt, lediglich in besonderen Ausnahmefällen und nur dann in Betracht, wenn dieser keinerlei Verkehrsverstöße begangen hat (OLG Köln NZV 2002, 369; OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.06.2009 - 1 U 79/09 [juris]; OLG Frankfurt, Urt. v. 28.09.2010 - 10 U 1/10 [juris]; OLG Saarbrücken, Urt. v. 08.02.2011 - 4 U 200/10 - 60 [juris]; OLG Köln, Beschl. v. 19.03.2012 - I-16 U 169/11, 16 U 169/11 [juris]).
- Eine abweichende Bewertung ist im Streitfall schon deswegen nicht veranlasst, weil Sonderfälle, wie etwa ein Abwarten der Klägerin auf einer Verkehrsinsel, ein Hervortreten hinter einem Verkehrsstau (OLG Hamm NZV 2000, 371) oder eine Vernachlässigung eines naheliegenden Fußgängerüberwegs (BGH NJW 1958, 1630; NZV 1990, 150; KG VRS 100, 269; KG VM 1992, 27; i. Ü auch dort nur hälftige Haftung; OLG Hamm NZV 2000, 371; OLG Dresden NZV 2001, 378), unstreitig nicht vorliegen. Selbst wenn jedoch ein derartiger Vertrauensschutz angenommen würde, beseitigt dieser einerseits nicht die Verpflichtung, die gesamte Fahrbahn zu beobachten, um rechtzeitig auch wegen der in solchen Fällen gegebenen Abstandsverkürzung reagieren zu können (OLG Hamm, a. a. O.; BGH VersR 1966, 736; BGH VersR 1968, 897; OLG Köln VersR 1987, 513; OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 1249; KG VersR 1993, 201), und zwar zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Fußgänger die Fahrbahn betritt (OLG Bremen VersR 66, 962; OLG Düsseldorf VersR 1979, 649). Andererseits setzt der genannte Vertrauensgrundsatz jedenfalls ein merkliches Verhalten des Fußgängers voraus, das die Erwartung des Kraftfahrers, ihm werde die Vorbeifahrt gestattet, stützen kann (KG VersR 1968, 259: „Blickkontakt“; OLG Karlsruhe VersR 1971, 1177; OLG Hamm r+s, 2002, 192; BGH VersR 1961, 592).
- Darüber hinaus bestehen besondere Sorgfaltspflichten gegenüber Kindern (§ 3 IIa StVO), diesen gegenüber muss sich ein Kraftfahrer, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung ausgeschlossen ist (BGH NJW 1994, 2829: gegenüber alten Menschen). Diese Fassung des Gesetzestextes begründet zusätzlich eine Anscheinsbeweislage, die für Kinder und gegen den Kraftfahrer streitet. Nach dem unstreitigen Tatbestand des Ersturteils (EU 2 = Bl. 72 d. A.) fuhr die zum Unfallzeitpunkt elfjährige Klägerin, mit einem Tretroller und gefolgt von ihrer achtjährigen Schwester, fahrbahnparallel auf dem Gehweg, um diesen nach links zu verlassen und die Straße an einer als Überquerungshilfe dienenden Verkehrsinsel zu überfahren. Die Klägerin ist somit wegen ihres erheblich unter dem 14. Lebensjahr liegenden Alters (OLG Hamburg NZV 1990, 71) ersichtlich in den Schutzbereich der Verkehrsvorschrift einbezogen, dagegen finden Erwägungen des Erstgerichts zur Unzumutbarkeit dieser besonderen Vorsicht (EU 8 = Bl. 78 d. A.) eine Stütze weder im Gesetz, noch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Meinung, erhebliche, verkehrsbedingte Geschwindigkeitsverringerungen eines Kraftfahrers zum Schutz von Kindern auf dem fahrbahnnahen Gehweg könnten den Stadtverkehr beeinträchtigen und ein erhöhtes Unfallrisiko herbeiführen, ist nicht nur durch keinerlei tatsächliche Feststellungen belegt, sondern auch nicht zu begründen.
- Aus dem grundsätzlichen Vorrang des Kraftfahrzeugverkehrs folgt schon allgemein keineswegs ein geschütztes Vertrauen darauf, dass Fußgänger sich immer verkehrsgerecht, vorsichtig und der StVO entsprechend verhalten, sondern nur unter besonderen Umständen (BGH VersR 1955, 156; BayObLG VRS 58, 85 = S. 221; BGH NJW 1966, 1211; BayObLG NJW 1978, 1491; OLG Karlsruhe VersR 1982, 450; OLG Hamm r+s 1988, 102; BGH NJW 2000, 3069). Dies gilt verstärkt gegenüber Kindern (OLG Hamburg NJOZ 2008, 2792; OLG Karlsruhe NZV 2012, 596).
- Hieraus folgt, dass eine Bewertung des klägerischen Mitverschuldens als so gewichtig, dass jegliche Haftung der Beklagten entfalle, kaum vertretbar ist (OLG Karlsruhe NZV 2012, 596, OLG Hamm NZV 1991, 69: Haftung des Kraftfahrers zu 1/3 bei leichtem Verschulden oder bloßer Betriebsgefahr; OLG Hamm NZV 2006, 151: zu 40% wegen groben Verschuldens des Kindes; OLG Hamm r+s 2001, 60: Haftung des Kraftfahrers zu 2/3).
II.
III.
IV.
V.
Die Vorschriften des § 7 gelten nicht,
- 1.
wenn der Unfall durch ein Kraftfahrzeug verursacht wurde, das auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20 Kilometer in der Stunde fahren kann, es sei denn, es handelt sich um ein Kraftfahrzeug mit autonomer Fahrfunktion im Sinne des § 1d Absatz 1 und 2, das sich im autonomen Betrieb befindet, - 2.
wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war oder - 3.
wenn eine Sache beschädigt worden ist, die durch das Kraftfahrzeug befördert worden ist, es sei denn, dass eine beförderte Person die Sache an sich trägt oder mit sich führt.
Tenor
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 11.262,47 € festgesetzt.
1. Auf die Berufung des Klägers vom 08.12.2015, eingegangen am 09.12.2015, wird das Endurteil des LG München II
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG München II vorbehalten. Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz, sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Weiter ergeht gemäß §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO folgender Beschluss:
Tatbestand
das Ersturteil aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung an das Landgericht München II zurückzuverweisen,
hilfsweise die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
- an den Kläger 10.662,47 € und ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 600,- €, jeweils nebst Zinsen aus diesen Beträgen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16.06.2014 und 03.06.2014 zu bezahlen,
- an den Kläger für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten 1.132,88 € zu bezahlen, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.09.2014 (BB 2 = Bl. 139 d. A.).
die Berufung zurückzuweisen (Bl. 146 d. A.).
Gründe
- Einen unstreitigen Teil weist der erstinstanzliche Tatbestand nicht auf (EU 2 = Bl. 127 d. A.), obwohl in den Entscheidungsgründen durchaus entscheidungserhebliche Tatsachen als unstreitig bezeichnet und behandelt werden (EU 4 = Bl. 129 d .A.). Aus den Verfahrensakten und den im Ersturteil in Bezug genommenen Schriftsätzen (EU 3 = Bl. 128 d. A.) ergibt sich zudem ohne weiteres, dass etliche dieser Tatsachen tatsächlich unstreitig sind, wie insbesondere die Unfallörtlichkeit und der Unfallzeitpunkt, sowie das Abkommen des Klägers nach rechts von der Fahrbahn (Klageschrift v. 03.09.2014, S. 3 = Bl. 3 d. A., Klageerwiderung v. 21.10.2014, S. 2 = Bl. 19 d. A.), die Mindestgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 22.04.2015, S. 2 = Bl. 86 d. A.) und Äußerungen des Beklagten zu 2) an der Unfallstelle (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 22.04.2015, S. 2/3 = Bl. 86/87 d. A.).
- Das streitige Klägervorbringen des Ersturteils ist insofern unvollständig, als der Kläger den Waldweg, in den der Beklagte zu 2) habe einbiegen wollen, für kaum wahrnehmbar, die Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs für relativ hoch, und ein Blinken des Fahrtrichtungsanzeigers für ausgeschlossen halten will (Schriftsatz v. 04.11.2014, S. 2 = Bl. 31 d. A.; EU 2 = Bl. 127 d. A.). Ebenso fehlt ein Hinweis auf berichtigende Angaben zum Überholvorgang (Schriftsatz v. 04.11.2014, S. 3 = Bl. 32 d. A.), der gerade nicht durch einen Verweis auf die Klageschrift ersetzt werden kann.
- Im streitigen Beklagtenvorbringen lässt das Ersturteil die Behauptung außer Acht, der vorgenannte Feldweg sei weithin erkennbar und sichtbar gewesen (Schriftsatz v. 16.01.2015, S. 1 = Bl. 59 d. A.).
- Die Wiedergabe der Klageanträge (EU 3 = Bl. 128 d. A.) ist unrichtig, weil der Kläger nicht mehr den zum Versäumnisurteil führenden Zahlungsantrag aus der Klageschrift gestellt, sondern hinsichtlich eines Teilbetrags die Klage zurückgenommen hatte (Schriftsatz v. 23.04.2015, Bl. 89 d. A.).
- welche Sichtverhältnisse der Kläger (zum Unfallzeitpunkt) in Annährung an die spätere Unfallstelle vorgefunden hat, sowohl im Hinblick auf das Beklagtenfahrzeug, als auch im Hinblick auf die Überholstrecke und den nach links abzweigenden Feldweg,
- welche Ausgangsgeschwindigkeiten der Kläger und der Beklagte zu 2) zu Beginn des Unfallgeschehens gefahren waren, sowie an welchem Ort und in welcher Entfernung zu einander sie ihr Fahrmanöver (der Kläger einen Überholvorgang, der Beklagte zu 1) einen Linksabbiegevorgang) begonnen haben,
- zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Beschleunigungen der Beklagte zu 2) das Linksabbiegen begonnen, und welche Wegstrecke er in welcher Zeit zurückgelegt hat,
- zu welchen Zeitpunkten und mit welchen Beschleunigungen der Kläger nach links ausgeschert und wieder auf die rechte Fahrbahn zurückgelenkt, und welche Wegstrecke er dabei in welcher Zeit zurückgelegt hat (Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft München II, 56 Js 23498/14
- welche Fahrlinie des Klägers unter Berücksichtigung der ohne weiteres ermittelbaren Fahrzeugendlage (Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft München II, 56 Js 23498/14
- inwieweit eine Beeinflussung durch den begonnenen Abbiegevorgang des Beklagtenfahrzeugs aus technischer Sicht möglich, wahrscheinlich oder auszuschließen ist.
- Ein im Rahmen der Fahrzeughalterhaftung wirksamer Zusammenhang zwischen dem Abkommens des Klägers von der Fahrbahn und dem Betrieb des Traktors der Beklagten kann schon dann entstanden sein, wenn entsprechend dem umfassenden Schutzzweck des § 7 I StVG ein durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflusster Schadensablauf vorliegt, also die von einem Kraftfahrzeug typischer Weise verursachten Gefahren zum Schadenseintritt beigetragen haben können (Senat, Urt. v. 06.02.2015 - 10 U 70/14
- Die (zunächst technische) Unvermeidbarkeit des Unfallgeschehens kann nicht nur anhand einzelner Gesichtspunkte, etwa der Erkennbarkeit der Signaleinrichtungen des Beklagtenfahrzeugs für den Kläger, sowie der Beachtung der doppelten Rückschaupflicht für den Beklagten zu 2), beurteilt werden, sondern muss einerseits das gesamte Fahrverhalten klären, andererseits die Frage, ob ein überdurchschnittlich sorgfältiger und vorsichtiger Kraftfahrer überhaupt in eine derartige Verkehrslage geraten wäre.
- Zuletzt ist festzustellen, ob die Unfallschilderungen der Parteien aus technischer Sicht möglich, nachvollziehbar oder auszuschließen sind, und sich mit der Endstellung der Fahrzeuge vereinbaren lassen. Insbesondere erlauben geeignete Computer-Simulationsprogramme eine Berechnung und anschauliche Darstellung verschiedener Unfallhergänge, die auf ihre Vereinbarkeit mit den Unfallschilderungen der Beteiligten überprüft werden können.
- Die Auffassung, der Kläger habe „eher“ den laufenden Blinker am Traktor des Beklagten zu 2) übersehen, wurde weder unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls gefunden, noch hierfür eine denkgesetzlich mögliche, widerspruchsfreie und nachvollziehbare Begründung (BGH NJW 2012, 3439 [3442]; NJW-RR 2011, 270) geliefert. Insbesondere enthält das Ersturteil lediglich eine knappe Wiedergabe der Angaben des Beklagten zu 1) und keinerlei Einschätzung deren Glaubhaftigkeit und deren Beweiswerts (EU 4 = Bl. 129 d. A.), insoweit wird zur Vervollständigung auf die Hinweise des Senats (Bl. 148/149 d. A.) verwiesen.
- Die Wiedergabe der Erklärungen des Klägers beschränkt sich auf unsichere Angaben, ob der Beklagte zu 2) geblinkt habe (EU 4 = Bl. 129 d. A.), ohne sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob, gegebenenfalls wie lange vor dem Abbiegen der Beklagte zu 2) den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt habe, und ob dem Kläger dies nur deswegen entgangen sein könne, weil tatsächlich kein Blinken stattgefunden habe.
- Das Landgericht folgert aus dem Beweisergebnis, dass ein laufender Fahrtrichtungsanzeiger für den Kläger nicht aufgrund dessen Anordnung am Beklagtenfahrzeug hätte übersehen werden können, sowie dass dem Kläger nicht gelungen sei, dem Beklagten zu 2) ein Fehlverhalten nachzuweisen (EU 4 = Bl. 129 d. A.). Jedoch sind diese Tatsache weder notwendige, noch hinreichende Bedingungen eines straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichtverstoßes: Zum ersten kann der Beklagte zu 2) sich trotz ordnungsgemäßer Anwendung des Blinkers verkehrswidrig verhalten haben (§ 9 I 4 StVG), zum anderen beweist der Umstand, dass der Kläger einen gesetzten Blinker hätte bemerken können und müssen, noch nicht, dass dieser Blinker auch gesetzt gewesen wäre.
- Zuletzt geht das Landgericht von einer unzutreffenden Beweislast aus, selbst wenn die Annahme zugrunde gelegt wird, aufgrund des „berührungslosen“ Unfalls treffe den Kläger eine erweiterte Beweislast. In diesem Fall hätte der Kläger lediglich zu beweisen, dass der Betrieb des Beklagtenfahrzeugs zur Entstehung des Unfalls beigetragen (vgl. etwa BGH VersR 1988, 641) und sich auf den Schadensverlauf ausgewirkt habe (Senat, Beschl. v. 27.08.2015 - 10 U 1984/15
Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden die Vorschriften des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Maßgabe Anwendung, dass im Fall der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Verletzten gleichsteht.
Tenor
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 35.000,- € festgesetzt.
Gründe
A.
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 14.000,- €, zu bezahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.03.2012,
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.698,13 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.03.2012 zu bezahlen,
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin jeden weiteren materiellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 23.05.2011 in Feldkirchen zu 70 Prozent zu ersetzen, jeden weiteren immateriellen Schaden unter Berücksichtigung ihres Mitverschuldens von 30 Prozent, jeweils soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.
die Berufung zurückzuweisen.
B.
I.
- Hinsichtlich der Klägerin wäre die gesamte Annäherung an die Unfallstelle vom Ort des Fahrtbeginns, das beabsichtigte Fahrtziel und das Fahrverhalten, insbesondere auf dem Gehweg ab dem Kreisverkehr, zu erfragen, und mit den Angaben der Beklagten zu 1) und der Zeugin Marlene E. abzugleichen gewesen. Zudem wäre durch Vorhalte zu klären gewesen, wie die Klägerin angehalten und die Fahrbahn beobachtet, und dennoch geglaubt haben will, die Fahrbahn ohne Gefahr überschreiten zu können. Zuletzt wären Größe und Gewicht zum Unfallzeitpunkt zu ermitteln gewesen (die in Rücksicht auf die mündliche Verhandlung „heutigen“ Daten (Bl. 47 d. A.) sind weniger wichtig), weil diese entscheidende Anknüpfungspunkte für die Berechnungen des Sachverständigen bildeten.
- Die Angaben der Beklagten zu 1) enthalten einen nicht aufgelösten Widerspruch, soweit sie „ca. 30 bis 50 Meter vor der späteren Unfallstelle … zum ersten Mal bewusst die Kinder … gesehen habe“, andererseits erklärt hatte, „… zu dem Zeitpunkt, als ich die Kinder zum ersten Mal gesehen habe, waren sie ca. 10 Meter vor meinem Fahrzeug“. Auch insoweit wäre eine vollständige Beschreibung der Annäherung sowohl der Kinder, als auch der Beklagten zu 1) selbst an die spätere Unfallstelle ab dem Zeitpunkt des Verlassens des Kreisverkehrs notwendig gewesen, zumal, wie aus den Lichtbildern ersichtlich, Fahrbahn und Gehweg übersichtlich sind und wegen des Gefälles höhere Geschwindigkeiten und verlängerte Bremswege entstehen können. Dies gilt umso mehr, als sich die Beklagte zu 1) in der gegen die Klägerin geführten Unfallanzeige durchaus als Zeugin geäußert und eine Vorgangsschilderung abgegeben hat, die hinsichtlich der Einzelheiten noch ungenauer als die gerichtliche Darstellung ist, und mangelnde Beobachtung und Aufmerksamkeit nicht ausgeschlossen erscheinen lässt (Ermittlungsakten, Bl. 24 d. A.). Zuletzt wäre klärungsbedürftig gewesen, welche Vorstellungen sich die Beklagte zu 1) hinsichtlich der für jeden Verkehrsteilnehmer klar erkennbaren Verkehrsinsel mit Überquerungshilfe gemacht hat, und anhand welcher Umstände sie die die Annahme getroffen hat, die Klägerin werde diesen Weg nicht wählen. Nach vorläufiger Einschätzung des Senats sprach jedenfalls keine höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin auf dem Gehweg geradeaus weiterfahren werde, als dass sie die Straßenseite werde wechseln wollen.
- Damit wurde dem Gutachter und dem Gericht die Möglichkeit genommen, die jeweilige unmittelbare Unfalldarstellung zu erweitern und zu präzisieren, die Parteien ergänzend zu befragen und weitere Anknüpfungspunkte zu gewinnen. Weiterhin wurde die Verpflichtung eingeschränkt, das Gutachten von Amts wegen auf seine Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen, und mit den Schilderungen der Parteien abzugleichen.
- Das Ersturteil versagt sich eine vollständige Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen Angaben der Beklagten zu 1) und den Gutachtensergebnissen (BGH NJW 2015, 411: „entsprechend dem Gebot des § ZPO § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt“; MDR 1982, 212), indem die Annahmen des Sachverständigen ungeprüft übernommen und floskelhaft für zutreffend erklärt werden (EU 6 = Bl. 76 d. A.), ohne die erleichterte Beweisführung nach dem Anscheinsbeweis und die gebotene Anwendung der für die Klägerin günstigsten Anknüpfungstatsachen zu beachten.
- Deswegen und darüber hinaus wird übersehen (EU 7 = Bl. 77 d. A.), dass zum Ersten die Beklagte zu 1) schon nach eigenen Angaben die Klägerin und ihre Schwester auf dem Gehweg nicht sorgfältig und durchgängig beobachtet hat.
- Der Kraftfahrzeugverkehr ist gegenüber Fußgängern bevorrechtigt (§ 25 III StVO), sofern nicht ein Fußgängerüberweg (§§ 25 III 1, 41 I StVO, Anlage 2, Zeichen 293) vorliegt (§ 26 I StVO). Eine in der Straßenverkehrsordnung nicht geregelte Überquerungs- oder Querungshilfe (BGH NZV 1998, 369), wie die unstreitig von der Klägerin genutzte Verkehrsinsel in der A.-Straße in F., stellt keinen Fußgängerüberweg im Rechtssinne dar und beeinflusst das Vorrangverhältnis nicht (König, NZV 2008, 492 ff, [494 unter IV.]; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 26, Rn. 10).
- Dennoch hat der Kraftfahrer die allgemeinen Verkehrsregeln zu beachten, insbesondere Geschwindigkeitsvorschriften (§§ 3 III, I StVO; BGH NJW 1992, 1459; OLG Düsseldorf NZV 1994, 70), aber auch das Sichtfahrgebot (BGH NJW 1984, 50 ff. [51 unter 2. c)]), und das Rücksichtnahmegebot (§ 1 II StVO). In diesem Rahmen hat er den gesamten Verkehrsraum, auch bezüglich auf den Gehwegen gehender oder stehender Fußgänger, sorgfältig zu beobachten (OLG Hamm NZV 2000, 371 ff. [372 unter 3. a)]; KG VRS 100, 269 = BeckRS 2001, 00140; BGH VersR 66, 736; OLG Düsseldorf, NZV 2002, 90; OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.06.2009 - 1 U 79/09 [juris]), sowie rechtzeitig und richtig auf etwaige Fehler anderer Verkehrsteilnehmer zu reagieren (BGH NJW-RR 1991, 347; OLG Hamm NZV 1993, 314; KG VRS 100, 269). Bei unachtsamem Verhalten eines Fußgängers bestehen Brems- und Ausweichpflicht (OLG Koblenz NZV 2012, 177; OLG Hamm r+s 1989, 396 = VRS 78, 5), sowie die Notwendigkeit, die Geschwindigkeit herabsetzen, sobald der Fahrer sieht, dass ein Fußgänger die Straße betritt (OLG Düsseldorf VRS 56, 2). Letztere Verpflichtung besteht sogar bei witterungsbedingten Sichtbeeinträchtigungen (OLG Saarbrücken r+s 2010, 479; OLG Hamm r+s 1989, 396).
- Diese Verpflichtungen bestehen uneingeschränkt auch bei schweren Sorgfaltsverstößen eines Fußgänger, etwa wenn dieser die Fahrbahn trotz für ihn Rotlicht zeigender Lichtzeichenanlage in oder an der Ampelfurt überschreiten will (BGH Urt. v. 29.04.1975 - VI ZR 225/73 [juris] = VersR 1975, 858; NJW 1992, 1459; VersR 1967, 608). Angesichts dieser Verpflichtungen kommt eine Bewertung des Mitverschuldens des Fußgängers, die jegliche Haftung des Kraftfahrers ausschließt, lediglich in besonderen Ausnahmefällen und nur dann in Betracht, wenn dieser keinerlei Verkehrsverstöße begangen hat (OLG Köln NZV 2002, 369; OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.06.2009 - 1 U 79/09 [juris]; OLG Frankfurt, Urt. v. 28.09.2010 - 10 U 1/10 [juris]; OLG Saarbrücken, Urt. v. 08.02.2011 - 4 U 200/10 - 60 [juris]; OLG Köln, Beschl. v. 19.03.2012 - I-16 U 169/11, 16 U 169/11 [juris]).
- Eine abweichende Bewertung ist im Streitfall schon deswegen nicht veranlasst, weil Sonderfälle, wie etwa ein Abwarten der Klägerin auf einer Verkehrsinsel, ein Hervortreten hinter einem Verkehrsstau (OLG Hamm NZV 2000, 371) oder eine Vernachlässigung eines naheliegenden Fußgängerüberwegs (BGH NJW 1958, 1630; NZV 1990, 150; KG VRS 100, 269; KG VM 1992, 27; i. Ü auch dort nur hälftige Haftung; OLG Hamm NZV 2000, 371; OLG Dresden NZV 2001, 378), unstreitig nicht vorliegen. Selbst wenn jedoch ein derartiger Vertrauensschutz angenommen würde, beseitigt dieser einerseits nicht die Verpflichtung, die gesamte Fahrbahn zu beobachten, um rechtzeitig auch wegen der in solchen Fällen gegebenen Abstandsverkürzung reagieren zu können (OLG Hamm, a. a. O.; BGH VersR 1966, 736; BGH VersR 1968, 897; OLG Köln VersR 1987, 513; OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 1249; KG VersR 1993, 201), und zwar zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Fußgänger die Fahrbahn betritt (OLG Bremen VersR 66, 962; OLG Düsseldorf VersR 1979, 649). Andererseits setzt der genannte Vertrauensgrundsatz jedenfalls ein merkliches Verhalten des Fußgängers voraus, das die Erwartung des Kraftfahrers, ihm werde die Vorbeifahrt gestattet, stützen kann (KG VersR 1968, 259: „Blickkontakt“; OLG Karlsruhe VersR 1971, 1177; OLG Hamm r+s, 2002, 192; BGH VersR 1961, 592).
- Darüber hinaus bestehen besondere Sorgfaltspflichten gegenüber Kindern (§ 3 IIa StVO), diesen gegenüber muss sich ein Kraftfahrer, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung ausgeschlossen ist (BGH NJW 1994, 2829: gegenüber alten Menschen). Diese Fassung des Gesetzestextes begründet zusätzlich eine Anscheinsbeweislage, die für Kinder und gegen den Kraftfahrer streitet. Nach dem unstreitigen Tatbestand des Ersturteils (EU 2 = Bl. 72 d. A.) fuhr die zum Unfallzeitpunkt elfjährige Klägerin, mit einem Tretroller und gefolgt von ihrer achtjährigen Schwester, fahrbahnparallel auf dem Gehweg, um diesen nach links zu verlassen und die Straße an einer als Überquerungshilfe dienenden Verkehrsinsel zu überfahren. Die Klägerin ist somit wegen ihres erheblich unter dem 14. Lebensjahr liegenden Alters (OLG Hamburg NZV 1990, 71) ersichtlich in den Schutzbereich der Verkehrsvorschrift einbezogen, dagegen finden Erwägungen des Erstgerichts zur Unzumutbarkeit dieser besonderen Vorsicht (EU 8 = Bl. 78 d. A.) eine Stütze weder im Gesetz, noch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Meinung, erhebliche, verkehrsbedingte Geschwindigkeitsverringerungen eines Kraftfahrers zum Schutz von Kindern auf dem fahrbahnnahen Gehweg könnten den Stadtverkehr beeinträchtigen und ein erhöhtes Unfallrisiko herbeiführen, ist nicht nur durch keinerlei tatsächliche Feststellungen belegt, sondern auch nicht zu begründen.
- Aus dem grundsätzlichen Vorrang des Kraftfahrzeugverkehrs folgt schon allgemein keineswegs ein geschütztes Vertrauen darauf, dass Fußgänger sich immer verkehrsgerecht, vorsichtig und der StVO entsprechend verhalten, sondern nur unter besonderen Umständen (BGH VersR 1955, 156; BayObLG VRS 58, 85 = S. 221; BGH NJW 1966, 1211; BayObLG NJW 1978, 1491; OLG Karlsruhe VersR 1982, 450; OLG Hamm r+s 1988, 102; BGH NJW 2000, 3069). Dies gilt verstärkt gegenüber Kindern (OLG Hamburg NJOZ 2008, 2792; OLG Karlsruhe NZV 2012, 596).
- Hieraus folgt, dass eine Bewertung des klägerischen Mitverschuldens als so gewichtig, dass jegliche Haftung der Beklagten entfalle, kaum vertretbar ist (OLG Karlsruhe NZV 2012, 596, OLG Hamm NZV 1991, 69: Haftung des Kraftfahrers zu 1/3 bei leichtem Verschulden oder bloßer Betriebsgefahr; OLG Hamm NZV 2006, 151: zu 40% wegen groben Verschuldens des Kindes; OLG Hamm r+s 2001, 60: Haftung des Kraftfahrers zu 2/3).
II.
III.
IV.
V.
Tenor
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 39.577,47 € festgesetzt.
Gründe
A.
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils,
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, nicht unter 20.000,- €, zu bezahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.02.2012,
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an den Kläger Verdienstausfall bis Juni 2013 in Höhe von 4.728,32 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, sowie monatlich 229,05 € ab 01.07.2013 zu bezahlen,
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger jeden weiteren materiellen Schaden aus dem Unfallereignis zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen oder übergegangen sind.
die Berufung zurückzuweisen.
B.
I.
- Zum ersten bestand keinerlei Anlass, auf derartigen, schriftsätzliches Vorbringen ergänzenden „qualifizierten“ Parteivortrag zu verzichten zumal sich beide Parteien im Strafverfahren nicht geäußert haben (Akten 340 Js 10280/12
- Zum zweiten wurde dem Gutachter und dem Gericht die Möglichkeit genommen, eine unmittelbare Unfalldarstellung zu erhalten, die Parteien ergänzend zu befragen und weitere Anknüpfungspunkte zu gewinnen.
- Zum dritten wurde die Verpflichtung eingeschränkt, das Gutachten von Amts wegen auf seine Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen, und mit den Schilderungen der Parteien abzugleichen.
II.
III.
IV.
V.
VI.
- Mindestbetrag des Schmerzensgeldes:20.000,- €
- Feststellungsinteresse entsprechend der Schätzung des Klägers,
- Künftige Verdienstausfallrente, 3,5-facher Jahresbetrag:9.620,10 €
- Rückständiger Verdienstausfall bis Klageerhebung (Juli 2013) 4.728,32 + 229,05 €.
Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden die Vorschriften des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Maßgabe Anwendung, dass im Fall der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Verletzten gleichsteht.
Gründe
Oberlandesgericht München
10 U 3814/14
Im Namen des Volkes
verkündet am 04.09.2015
7 O 5027/12 LG Traunstein
Die Urkundsbeamtin: ...
In dem Rechtsstreit
…
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
gegen
1) …
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
2) …
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigter zu 1 und 2: Rechtsanwalt …
wegen Schadensersatzes
erlässt der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht … und die Richter am Oberlandesgericht … und … im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 31.08.2015 folgendes
Endurteil:
1. Auf die Berufung der Klägerin vom 02.10.2014 wird das Endurteil des LG Traunstein
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG Traunstein vorbehalten. Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz, sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Weiter ergeht gemäß §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO folgender
Beschluss:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 95.296,50 € festgesetzt.
Gründe:
A.
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.01.2012,
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin Haushaltsführungsschaden in Höhe von 17.296,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.01.2012 zu bezahlen,
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin jeden weiteren materiellen Schaden aus dem Unfallereignis zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind,
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 2.118,44 € zu bezahlen.
B.
I.
- Der Sachverständige rechnet trotz starker Bremsung mit einer - zugunsten des Beklagten zu 1) nur mäßigen - Bremsverzögerung von 7,5 m/s². Abgesehen davon, dass dieser Wert nicht begründet wird, bleibt nicht nachvollziehbar, warum ein BMW 320 CI - bei unterstelltem ABS und mittlerem Alter - nicht übliche Verzögerungswerte von 9 - 10 m/s² erreichen sollte, zumal der Fahrzeugführer beweisbelastet für ein schlechteres Bremsverhalten wäre.
- Der Anhalteweg von 11,2 Metern ist - wegen des räumlich vor der eigentlichen Anstoßstelle liegenden Splitterfeldes - zweifelhaft und möglicherweise länger. Dies hätte unter sonst gleichen Umständen eine höhere Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 1) zur Folge, während die Begrenzung auf 50 km/h nicht begründet ist und die Beklagten gegenüber der Klägerin begünstigt. Unverständlich ist, dass diese angenommene Bremsspur nicht in die Skizze des Sachverständigen (Anlage 2 zum Gutachten) übertragen wurde.
- Die schlechte Erkennbarkeit der Klägerin aufgrund ihrer Bekleidung wird unterstellt („kann sie nur schwer zu erkennen gewesen sein“), ein die Sichtbarkeit günstig beeinflussendes Schuhwerk (im Übrigen auch Socken, Bl. 16 d. Gutachtens) werden zwar angedeutet, aber nicht unterstellt, und etwaige konkrete Auswirkungen nicht berechnet.
- Die doppelte Unsicherheit, wann und wo die Klägerin für den Beklagten zu 1) erstmals hätte wahrgenommen werden können („nicht nachweisbar … auffällig gewesen sein muss [Hervorhebung des Senats]), wird nicht sachgerecht aufgelöst. Der Sachverständige hätte - bei Annahme der für die Klägerin günstigsten Umstände - zunächst feststellen müssen, wann der Beklagte frühestens zum einen die Klägerin selbst, zum zweiten ihre Absicht, die Fahrbahn zu überqueren, erkennen konnte. Wenn der Sachverständige folgert, eine Reaktion sei vom Beklagten zu fordern gewesen, als die Klägerin gerade die Fahrbahn betreten habe (Bl. 15 d. Gutachtens), hätte dies einer Darlegung und Begründung bedurft, warum die Wahrnehmbarkeit nun eindeutig, dagegen vorher nicht gegeben gewesen sei. Darüber hinaus wird als „Fakt“ bezeichnet, dass der Beklagte zu 1) 37 Meter von der späteren Unfallstelle entfernt gewesen sei, als die Klägerin die Fahrbahn betreten habe (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 08.08.2014, S. 3 = Bl. 105 d. A.), obwohl lediglich eine durch Annahmen gestützte Berechnung vorliegt. Diese ist zudem ungenau (50 km/h ungebremste Annäherungsgeschwindigkeit und zeitliche Entfernung bis zum Unfall von 2,7 Sekunden errechnen eine Strecke von 37,5 Metern) und führt wiederum zu einer Betrachtung zugunsten der Beklagten.
- Der Sachverständige stellt fest, der Beklagte zu 1) habe bis zur Bremsung eine Zeit von 2,7 Sekunden weitgehend ungenutzt verstreichen lassen. Dabei bleibt unklar, welche leicht verspätete Reaktion angesetzt wurde und wie sich diese ausgewirkt hat. Wenn die übliche Reaktionszeit von 0,8 Sekunden gewählt würde, hätte der Beklagte zu 1) 1,9 Sekunden lang nicht sachgerecht reagiert, was einen erheblichen Sorgfaltsverstoß zur Folge hätte. Selbst wenn eine verlängerte Reaktionszeit von 1,3 Sekunden zugebilligt würde, bliebe ein Reaktionsverzug von 1,4 Sekunden erheblich und nicht nachvollziehbar. Die Berufung rügt zu Recht (BB 5 = Bl. 140 d. A.), dass auch insoweit kein Anlass für eine Bewertung zugunsten der Beklagten besteht.
- Der Sachverständige geht davon aus, der Beklagte zu 1) hätte spätestens reagieren müssen, als die Entfernung zur Klägerin noch knapp 30 Meter betragen habe. Diese Herleitung wird nicht begründet, was die Berufung zu Recht beanstandet (BB 8 = Bl. 143 d. A.). Deswegen kann weder beurteilt werden, ob die richtige Beweislastverteilung zugrunde gelegt wurde, noch warum nicht ausreichend sein sollte, Füße und Beine der Klägerin im Scheinwerferlicht zu erkennen. Darüber hinaus unterliegt der Sachverständige einer unzulässigen doppelten Berücksichtigung für die Beklagten günstiger Annahmen: die schlechte Erkennbarkeit der Kläger (die ausschließlich auf dem Zusammenwirken zwischen Kleidung und Lichtverhältnissen beruhen kann) wird gleichzeitig zur Begründung verspäteter Wahrnehmung und verzögerter Reaktion herangezogen (Bl. 17 d. Gutachtens). Ab dem Zeitpunkt der Wahrnehmung, dieser entspricht der Reaktionsaufforderung, kann die Reaktionszeit schon denkgesetzlich nicht mehr durch Wahrnehmungsschwierigkeiten oder -beeinträchtigungen behindert werden. Der Sachverständige geht selbst davon aus, insoweit eine Betrachtung „zugunsten“ des Beklagten zu 1) vorgenommen zu haben, weil er den Ansatz der üblichen Reaktionszeit für „unzulässig“ hält (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 08.08.2014, S. 4 = Bl. 106 d. A.). Er übersieht dabei zum einen, dass diese „grundsätzlich“ verwendeten Werte weder mit dem streitgegenständlichen Fall verglichen, noch deren Herleitung wissenschaftlich begründet wurden, zum zweiten die verzögerte Wahrnehmung bereits in der Entfernung von knapp 30 Metern berücksichtigt worden ist.
- Soweit der Sachverständige meint, der Beklagte zu 1) habe auch „etwas früher“ als 2 Sekunden vor dem Zusammenstoß reagieren können, nämlich wenn die Klägerin helles Schuhwerk getragen hätte, widerspricht er seinen eigenen Feststellungen: Erstens sei die Klägerin zwei Sekunden vor der Kollision von den Scheinwerfern direkt angeleuchtet worden, zweitens sei eine Reaktion jedenfalls 1,3 Sekunden vor dem Anstoß möglich gewesen. Dabei bleibt unverständlich, warum der Sachverständige bloße Allgemeinheiten liefert (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 08.08.2014, S. 4 = Bl. 106 d. A.): wenn der Beklagte zu 1) erst nach 2 Sekunden reagiert haben sollte, jedoch bereits nach 1,3 Sekunden hätte reagieren können, hätte er um 0,7 Sekunden zu spät reagiert und hierbei ungebremst 9,72 Meter zurückgelegt. Diese Verzögerung entspräche fast der üblichen Reaktionszeit (0,8 Sekunden) und wäre damit nicht „leicht“, sondern bereits deutlich verspätet, worauf die Berufung zu Recht hinweist (BB 8/9 = Bl. 143/144 d. A.).
- Der Sachverständige missachtet vollständig, dass selbst unter für den Beklagten zu 1) günstigen Annahmen (Bremsverzögerung 7,5 m/s², Reaktionszeit 1,3 s, Erkennbarkeit 30 m) ein Anstoß mit einer Restgeschwindigkeit von 27 km/h erfolgt wäre. Die daraus folgende wesentlich verminderte Aufprallenergie hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu wesentlich weniger schwerwiegenden Verletzungen geführt. Die rechtlichen Auswirkungen dieser Umstände hätte der Sachverständige kennen und berücksichtigen müssen (s. etwa BGH NJW 2000, 3069; KG NZV 2006, 526: „Der für eine Haftung erforderliche Ursachenzusammenhang ist schon dann anzunehmen, wenn der Unfall bei ordnungsgemäßer Fahrweise des Pkw zu deutlich geringeren Verletzungen des Kl. geführt hätte“).
- Zuletzt fehlt dem Gutachten eine Beurteilung der Licht- und Sichtverhältnisse gerade für den Beklagten zu 1), dessen entsprechende Schilderung nicht erfragt wurde und deswegen nicht bekannt ist (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 29.08.2013, S. 4 = Bl. 64 d. A.). Deswegen hätte der Sachverständige zwingend eine vollständige Unfalldarstellung des Beklagten zu 1) zur Kenntnis nehmen und würdigen müssen, zumal die Lichtbilder (Bl. 17-20 des Gutachtens, Bl. 83 d. A.) nach Einschätzung des Senats jedenfalls keine besonders schlechte Sicht belegen.
II.
1. Eine derartig mangelhafte Beweiserhebung stellt einen Zurückverweisungsgrund nach § 538 II 1 Nr. 1 ZPO dar (Senat,
III.
IV.
V.
VI.
- Mindestbetrag des Schmerzensgeldes:75.000,- €
- Geschätztes Feststellungsinteresse:3.000,- €
- Haushaltsführungsschaden:17.296,50 €.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
Tenor
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 39.577,47 € festgesetzt.
Gründe
A.
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils,
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, nicht unter 20.000,- €, zu bezahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.02.2012,
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an den Kläger Verdienstausfall bis Juni 2013 in Höhe von 4.728,32 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, sowie monatlich 229,05 € ab 01.07.2013 zu bezahlen,
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger jeden weiteren materiellen Schaden aus dem Unfallereignis zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen oder übergegangen sind.
die Berufung zurückzuweisen.
B.
I.
- Zum ersten bestand keinerlei Anlass, auf derartigen, schriftsätzliches Vorbringen ergänzenden „qualifizierten“ Parteivortrag zu verzichten zumal sich beide Parteien im Strafverfahren nicht geäußert haben (Akten 340 Js 10280/12
- Zum zweiten wurde dem Gutachter und dem Gericht die Möglichkeit genommen, eine unmittelbare Unfalldarstellung zu erhalten, die Parteien ergänzend zu befragen und weitere Anknüpfungspunkte zu gewinnen.
- Zum dritten wurde die Verpflichtung eingeschränkt, das Gutachten von Amts wegen auf seine Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen, und mit den Schilderungen der Parteien abzugleichen.
II.
III.
IV.
V.
VI.
- Mindestbetrag des Schmerzensgeldes:20.000,- €
- Feststellungsinteresse entsprechend der Schätzung des Klägers,
- Künftige Verdienstausfallrente, 3,5-facher Jahresbetrag:9.620,10 €
- Rückständiger Verdienstausfall bis Klageerhebung (Juli 2013) 4.728,32 + 229,05 €.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.