Oberlandesgericht München Endurteil, 22. Dez. 2017 - 10 U 429/17
Gericht
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers vom 08.02.2017 wird das Endurteil des Landgerichts München I
I. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.09.2009 zu zahlen.
II. Die Beklagten werden weiterhin verurteilt, samtverbindlich an den Kläger weitere 360,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.06.2013 zu zahlen.
III. Die Beklagten werden weiterhin verurteilt, samtverbindlich den Kläger von einer Inanspruchnahme vorgerichtlich angefallener Anwaltskosten gegenüber seinem anwaltlichen Vertreter in Höhe von 606,28 € freizustellen.
IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
V. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits (erster Instanz).
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
I. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger über die bisherige Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 2.500,00 € sowie durch das Endurteil des Landgerichts München I
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten samtverbindlich verpflichtet sind, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Schadensereignis vom 17.03.2009 entstanden und noch bezifferbar sind, bzw. noch entstehen werden, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergegangen ist.
III. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 12.500,00 € zuzüglich 5 Prozentpunkte über den Basiszinssatz hieraus seit dem 15.04.2010 zu bezahlen.
IV. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 45.000,00 € zuzüglich 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu bezahlen.
V. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 2.866,72 € zuzüglich 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu bezahlen.
VI. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger über die vom Erstgericht ausgeurteilten 360,00 € weitere 2.190,00 € zuzüglich 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 05.06.2013 zu bezahlen.
VII. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von einer Inanspruchnahme vorgerichtlich angefallener Anwaltskosten gegenüber seinem anwaltlichen Vertreter in Höhe von 1.310,76 € freizustellen.
Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I
B.
I.
– Soweit sich der Sachverständige Dr. Ma. ausweislich S. 3 des Protokolls der erstinstanzlichen Sitzung vom 22.01.2015 (= Bl. 136 d.A.) im Zusammenhang mit der Frage des Vorliegens eines neurologischen Schadens beim Kläger auch auf die Anlage K4 berufen hat, ist dem Kläger zwar zuzugeben, dass dies fragwürdig ist. Entscheidend ist indes, dass die Sachverständigen Dr. H., Dr. K. und Dr. M. keine unfallbedingten neurologischen Schäden beim Kläger festgestellt haben. Denn nur auf solche, kausale Schäden kam es für den Sachverständigen Dr. Ma. an (vgl. auch S. 46 seines Gutachtens, Bl. 109 ff d.A., wo es heißt: „Unfallbedingte neurologische Ausfälle sind nicht beschrieben worden.“).
– Soweit der Kläger beanstandet, der Sachverständige Dr. Ma. habe eine schwerere HWS-Distorsion sowie einen orthopädischen Dauerschaden ausgeschlossen, ohne die Wirbelsäulenuntersuchung beim Kläger abgeschlossen zu haben, ist zu bemerken, dass der Sachverständige gleichwohl hinreichende Erkenntnisse gewonnen hatte, um auf S. 47 seines o.g. Gutachtens die entscheidenden Feststellungen treffen zu können, nämlich dass die paravertebrale Muskulatur beim Kläger normal entwickelt ist und dass keine Hinweise auf einen vorzeitigen Verschleiß oder destabilisierende Veränderungen vorliegen. Der Sachverständige ist zudem angehört worden; weitere Fragen hatten der Kläger bzw. der Klägervertreter an ihn nicht gestellt (vgl. S. 3 des o.g. Sitzungsprotokolls = Bl. 136 d.A.).
– Soweit sich der Kläger daran stört, dass der Sachverständige Dr. Ma. die Frage des Einflusses psychovegetativer Faktoren zwar angeschnitten, aber nicht untersucht hat, ist darauf hinzuweisen, dass solche Fragen in das Sachgebiet des psychiatrischen Sachverständigen fallen, nicht des orthopädischen, und dass ein psychiatrisches Sachverständigengutachten erholt worden ist.
– Soweit das Erstgericht zu der Überzeugung gekommen ist, dass die unfallbedingten Verletzungen des Klägers nach 5 ½ Monaten folgenlos ausgeheilt waren, steht dies – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht im Widerspruch zu den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Ma., sondern entspricht diesen exakt. Der Sachverständige Dr. Ma. hat nämlich auf S. 53 seines o.g. Gutachtens eine vollständige Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von sechs Wochen nach dem Unfall sowie eine verminderte Belastbarkeit für die Dauer von weiteren vier Monaten festgestellt bzw. eine MdE für sechs Wochen von 100%, für weitere vier Wochen von 50%, für weitere zwei Monate von 20% und für einen weiteren Monat von 10%.
– Es ist nicht ersichtlich, was der Kläger aus seiner Kritik, die Sachverständige Dr. H. habe nur den Verdacht (die Vermutung) des Vorliegens einer Otosklerose geäußert, zu seinen Gunsten herleiten will. Der Kläger verkennt, dass er die Beweislast dafür trägt, die von ihm dargelegten Verletzungen aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls erlitten zu haben. Es geht nicht darum, dass die Beklagten eine andere Ursache nachweisen müssten.
– Soweit der Kläger rügt, die Ausführungen der Sachverständigen Dr. H. auf S. 39 ihres Gutachtens (Bl. 153ff d.A.) seien unzutreffend, wonach der Kläger bei der gutachterlichen Untersuchung angegeben habe, eine Hörminderung erst ca. zwei Wochen nach dem streitgegenständlichen Unfall bemerkt zu haben, gilt wiederum Folgendes: Es ist zunächst zu unterscheiden zwischen der Frage, wann die behauptete Hörminderung erstmals auftrat (dazu beantragt der Kläger die Vernehmung der Zeugin S.) und der Frage, was der Kläger gegenüber der Sachverständigen geäußert hat (dass der Kläger etwas anderes geäußert hätte, trägt er bereits nicht substantiiert vor). Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass der Sachverständigen ausweislich S. 5 ihres o.g. Gutachtens bereits bei Abfassung des Gutachtens sehr wohl bekannt war, dass – den klägerischen Angaben zur Folge – die Lebensgefährtin des Klägers meine, dass alle Beschwerden direkt nach dem Unfall begonnen hätten. Im Übrigen müssen die Ausführungen der Sachverständigen im Zusammenhang gewürdigt werden: Demnach kommt es gem. S. 39 ihres o.g. Gutachtens nicht nur auf die Frage des zeitlichen Abstandes zwischen dem Unfall und dem erstmaligen Auftreten der Hörminderung an, sondern auch auf den Verlauf der Hörkurve und die beim Kläger gemessene Schallleitungskomponente.
– Soweit der Kläger meint, es komme nicht auf die Dauer, sondern die Intensität der Abknickbewegung an, erschließt sich nicht, inwiefern er über eine höhere Sachkunde als die Sachverständige Dr. H., einer Fachärztin für HNO-Heilkunde, verfügen sollte.
– Soweit der Kläger weiterhin beanstandet, die Sachverständige Dr. H. habe die Frage nicht beantwortet, ob aus dem Umstand, dass eine Verletzung des Gleichgewichtsorgans in der Bildgebung nicht nachgewiesen worden ist, folgt, dass Koordinationsstörungen ausgeschlossen sind, erschließt sich bereits die Relevanz dieser Frage nicht: Denn selbst wenn ein solcher Ausschluss nicht statthaft sein sollte, hätte der Kläger nicht nachgewiesen, dass er unter auf dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall beruhenden Koordinationsstörungen leidet. Im Übrigen hätte der Kläger in der erstinstanzlichen Sitzung vom 06.10.2016 Gelegenheit gehabt, diese Frage (nochmals) an die Sachverständige zu richten, wovon jedoch explizit kein Gebrauch gemacht worden ist (vgl. S. 4 des Sitzungsprotokolls = Bl. 175 d.A.), und zwar auch nicht im Rahmen des klägerischen Schriftsatzes im 30.11.2016 (Bl. 180/183 d.A.).
– Entsprechendes gilt für die – pauschale – Kritik des Klägers an den Ausführungen der Sachverständigen Dr. K. und Dr. M.: Weder in der o.g. Sitzung vom 06.10.2016 noch im Rahmen des o.g. Schriftsatzes vom 30.11.2016 wurden weitere Fragen an diese Sachverständigen gerichtet. Darüber hinaus lässt sich der Berufungsbegründung nicht entnehmen, was im Einzelnen an den gutachtlichen Feststellungen falsch sein sollte. Dass der Kläger mit den Ergebnissen der Sachverständigen nicht einverstanden ist, stellt keinen rechtlich relevanten Berufungsgrund dar.
II.
– Addiert man zu dem Betrag i.H.v. 19.898,56 € den vom Erstgericht zugesprochenen Betrag i.H.v. 1.860,00 €, so errechnen sich nicht 21.758,00 €, sondern 21.758,56 €.
– Es ist jedoch bereits nicht zutreffend, von dem Betrag i.H.v. 19.898,56 € auszugehen. Denn in diesem Betrag enthalten ist auch ein Betrag i.H.v. 10.000,00 €, welchen die Beklagte zu 2) vorprozessual auf die Position Verdienstausfall gezahlt hat, ohne dass damit ein Anerkenntnis verbunden gewesen wäre.
– Ebenso wenig zutreffend ist es, den Betrag i.H.v. 1.860,00 € hinzuzurechnen. Denn darin enthalten ist zum einen ein Betrag i.H.v. 350,00 € bzgl. der Position Haushaltsführungsschaden, welcher nicht Gegenstand der vorprozessualen Rechtsverfolgung war, und zum anderen ein Betrag i.H.v. 10,00 € („Eigenbeteiligung“), welcher vom Erstgericht zu Unrecht zugesprochen worden ist (s.u.).
III.
IV.
V.
VI.
VII.
Annotations
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.