Landgericht München I Endurteil, 31. März 2016 - 5 HK O 14432/15

bei uns veröffentlicht am31.03.2016

Gericht

Landgericht München I

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

IV. Der Streitwert wird auf € 150.000,- festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten mittels aktienrechtlicher Beschlussmängelklage um die Wirksamkeit von Beschlüssen über Wahlen zum Aufsichtsrat.

I.

1. Die Satzung der Beklagten - einer börsennotierten Aktiengesellschaft, die induktive Komponenten, Teile für Schaltungen und andere mechatronische Baugruppen entwickelt, produziert und vermarktet und über ein Grundkapital von € 4.287.000,- verfügt - enthielt unter anderem folgende Bestimmungen:

㤠14

Beschlussfassung der Hauptversammlung

...

(2) Die Beschlüsse der Hauptversammlung werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen und, soweit eine Kapitalmehrheit erforderlich ist, mit einfacher Mehrheit des vertretenen Kapitals gefasst, soweit nicht das Gesetz zwingend eine größere Mehrheit vorschreibt.

(3) Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als abgelehnt; nur im Falle von Wahlen entscheidet das Los.

...

§ 15

Versammlungsleitung

...

(2) Der Vorsitzende leitet die Versammlung, bestimmt die Reihenfolge der Gegenstände der Tagesordnung sowie die Art und Form der Abstimmung.

...“

Am 5.6.2015 veröffentlichte die Beklagte im Bundesanzeiger die Einladung zu ihrer Hauptversammlung auf den 17.7.2015. Zu Tagesordnungspunkt 4 „Wahl des Aufsichtsrats“ enthielt die Einberufung (Anlage zu Anlage B 2) folgende Ausführungen:

„Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht gemäß § 96 Abs. 1AktG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 der Satzung aus drei Mitgliedern, die von der Hauptversammlung zu wählen sind. Die Amtszeit der derzeitigen Mitglieder des Aufsichtsrats endet mit Ablauf der Hauptversammlung vom 17. Juli 2015.

Der Aufsichtsrat schlägt vor, die Herren

a) Diplom-Betriebswirt (FH) ... P.

b) Diplom-Betriebswirt (FH) ... F., T. geschäftsführender Gesellschafter der ...,

c) Diplom-Betriebswirt (WA) ... Z., Geschäftsführer der ...,

für die Zeit bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2019 beschließt, zu Mitgliedern des Aufsichtsrats zu wählen.

Die Hauptversammlung ist an Wahlvorschläge nicht gebunden.

Über die Besetzung der einzelnen Sitze im Aufsichtsrat wird jeweils getrennt abgestimmt, womit einer Empfehlung in Ziffer 5.4.3 des Deutschen Corporate Governance Kodex entsprochen wird. ...“

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Satzung sowie der Einberufung wird in vollem Umfang auf Anlage B 3 sowie die Anlage zu Anlage B 2 Bezug genommen.

2. Die Hauptversammlung der Beklagten fand am 17.7.2005 statt. Ausweislich der notariellen Niederschrift bestimmte der Versammlungsleiter als Art und Form der Abstimmung die öffentliche Abstimmung durch Handerheben im Subtraktionsverfahren. Dabei wurde nach der Niederschrift dieses Verfahren dahingehend erläutert, dass sich die Aktionäre, die für einen Antrag stimmen wollen, sich nicht melden und Aktionäre bzw. Aktionärsvertreter, die gegen einen Antrag stimmen oder sich der Stimme enthalten wollen, ihre Hand zu heben hätten, bis ihre Stimmen von den Abstimmungshelfern erfasst seien. Im Verlaufe der Hauptversammlung schlug die Aktionärin ... S. den Kläger als Kandidaten für die Wahl zum Aufsichtsrat vor, der auf entsprechende Frage des Versammlungsleiters auch seine Bereitschaft zur Kandidatur bejahte. Zu Beginn der Wahl bestimmte der Versammlungsleiter das Wahlverfahren dahingehend, dass für die drei zur Verfügung stehenden Aufsichtsratsposten zunächst die drei vom Aufsichtsrat vorgeschlagenen Kandidaten zur Abstimmung stehen würden; werde dieser Vorschlag angenommen, habe sich der Vorschlag von Frau S. erledigt. Mit dieser Vorgehensweise erklärte sich der Kläger nicht einverstanden und beantragte, vorrangig über den Vorschlag von Frau S. abstimmen zu lassen, was der Vorsitzende ablehnte. Sodann wurden die Voten zu den Tagesordnungspunkten 4 a) bis 4 c) - also zur Wahl der Kandidaten der Verwaltung - von den Wahlhelfern abgefragt. Bezüglich aller drei Kandidaten des Aufsichtsrats gab es 15.810 Nein-Stimmen, während es für Herrn P. 2.782.455 Ja-Stimmen bei 237.797 Enthaltungen, für Herrn F. 1.364.484 Ja-Stimmen bei 1.655.768 Enthaltungen und für Herrn Z. 2.782.455 Ja-Stimmen bei 237.797 Enthaltungen gab.

Daraufhin stellte der Versammlungsleiter jeweils die Wahl der drei Herren zum Mitglied des Aufsichtsrats fest, weshalb eine Abstimmung über den Vorschlag von Frau S., den Kläger zum Aufsichtsratsmitglied zu wählen, nicht mehr stattfand.

Der Kläger, der seine Aktien schon vor der Einberufung zur Hauptversammlung im Bundesanzeiger erworben hatte, erklärte Widerspruch zur Niederschrift der beurkundenden Notarin.

II.

Zur Begründung seiner am 13.8.2015 per Telefax beim Landgericht München I eingegangenen und dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 7.10.2015 zugestellten Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, aus den Regelungen in §§ 14 Abs. 3 und 15 Abs. 2 der Satzung ergebe sich eine Ermessensbeschränkung des Versammlungsleiters dahingehend, dass er bei, Frau S. hätte nachfragen müssen, welchen der Kandidaten sie durch den Kläger zu ersetzen wünsche. Ohne Festlegung müsse jeder Kandidat des Aufsichtsrats gegen den vorgeschlagenen Kandidaten zur Abstimmung gestellt werden. Die Wahl des Subtraktionsverfahrens führe ebenso zu einem Verstoß gegen die Pflicht zur vollständigen Ermessensausübung, nachdem § 14 Abs. 3 der Satzung die Anwendung dieses Verfahrens bei Wahlen ausschließe. Das Vorgehen des Versammlungsleiters verletze das Gebot der Gleichbehandlung, weil die beiden Alternativen der Kandidaten des Aufsichtsrates und des Vorschlages von Frau S. hätten gleich behandelt werden müssen. Es sei bei beiden (Sach-) Anträgen nicht möglich gewesen, in gleicher Weise im Rahmen der Abstimmung um Stimmen zu werben angesichts der Verwehrung der Teilnahme des Antrags von Frau S. an der Abstimmung. Den Aktionären sei unklar gewesen, wie zu verfahren sei, wenn sie für den Kläger hätten abstimmen wollen, weil dies bei den Erläuterungen des Versammlungsleiters für einen durchschnittlichen Teilnehmer einer Hauptversammlung nicht klar gewesen sei. In seiner Replik vom 28.12.2015 rügt der Kläger darüber hinaus, die Durchführung der Wahl als Simultanwahl stehe in Widerspruch zu der Einzelwahl, wie sie in der Entsprechenserklärung der Beklagten auch angeführt worden sei; die Durchführung einer Simultanwahl müsse in der Satzung einer Aktiengesellschaft ausdrücklich gestattet sein. Zudem fehle es an der notwendigen Transparenz, wenn bei einer Simultanwahl ohne Kenntnis des jeweiligen Abstimmungsvorgangs bzw. -ergebnisses die Stimme abgegeben werde. Die Vorgehensweise, zunächst die aussichtsreichsten Vorschläge zur Wahl zu stellen, vernachlässige die Bekanntheit des Klägers als langjährigen und bekannten Besucher der Hauptversammlungen der Beklagten. Ebenso hätte ihm die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, sich als Kandidat für den Aufsichtsrat vorzustellen und zu präsentieren sowie die vom Gesetz vorgegebenen Pflichtangaben zu machen.

Der Kläger beantragt daher:

Auf die Anfechtung des Klägers hin werden die in der Hauptversammlung am 17.07.2015 gefassten Beschlüsse zu dem Tagesordnungspunkt 4 a „Wahl Aufsichtsrat - Herr P.“, dem Tagesordnungspunkt 4 b „Wahl Aufsichtsrat - Herr P.“ und dem Tagesordnungspunkt 4 c „Wahl Aufsichtsrat - Herr Z.“ für nichtig erklärt.

III.

Die Beklagte beantragt demgegenüber:

Klageabweisung.

Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, ein Gesetzesverstoß lasse sich nicht bejahen. Die Satzung enthalte keine zwingenden Vorschriften über die Reihenfolge und Form der Abstimmungen, sondern lege die Kompetenz des Versammlungsleiters zur Bestimmung dieser Formalien fest. Dieser habe das Abstimmungsverfahren und insbesondere das Verfahren zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder ausführlich dargestellt, ohne dass es Verständnisschwierigkeiten auf Seiten der Aktionäre - auch beim Kläger - gegeben habe. Vielmehr sei dieser aufgestanden und habe lautstark eine Abstimmung zunächst über seine Wahl verlangt. § 14 Abs. 3 der Satzung enthalte keine Abweichung vom Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit und bedeute nicht, eine nach dem Mehrheitsprinzip durchgeführte Wahl sei keine „echte Wahl“. Eine Verpflichtung des Versammlungsleiters zur Nachfrage, welche Wahl genau gewünscht werde, bestehe nicht. Bei der Art und Reihenfolge der Abstimmungen stehe ihm ein weites Ermessen zu, das er dahingehend ausüben dürfe, entsprechend dem Gebot der Sachdienlichkeit über den Wahlvorschlag mit den größten Erfolgsaussichten zuerst abstimmen zu lassen. Etwas anderes mit der Verpflichtung, zunächst über den Gegenvorschlag abstimmen zu lassen, gelte nur im Anwendungsbereich des vorliegend zweifelsohne nicht erfüllten § 137AktG. Ebenso wenig verstoße das angewandte Subtraktionsverfahren gegen das Gesetz oder die Vorgaben aus § 14 Abs. 3 der Satzung. Eine Verletzung des Gebots der Gleichbehandlung lasse sich angesichts der gewählten Vorgehensweise nicht bejahen. Die durchgeführte Wahl entspreche den Anforderungen an eine zulässige Einzelwahl, weil Sukzessiv- und Simultanabstimmung gleichberechtigt nebeneinander stünden. Auch stehe die in der Hauptversammlung durchgeführte Wahl in Einklang mit der von der Beklagten abgegebenen Entsprechenserklärung nach § 161AktG.

IV.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.1.2016 (Bl. 48/52 d. A.).

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet, weil keine Verletzung des Gesetzes oder der Satzung im Sinne der §§ 251 Abs. 1, 243 Abs. 1AktG angenommen werden kann.

1. Eine solche Verletzung resultiert nicht aus der gewählten Reihenfolge der Abstimmung über die Wahlvorschläge. Der Versammlungsleiter durfte zunächst über den Wahlvorschlag der Verwaltung abstimmen lassen und für den hier dann gegebenen Fall, dass dieser eine Mehrheit findet, den im Verlauf der Hauptversammlung gestellten Gegenantrag von Frau S. als gegenstandslos betrachten.

a. § 134 Abs. 4AktG überlässt es der Satzung, die Form und Ausübung des Stimmrechts festzulegen. Demgemäß enthält § 15 Abs. 2 der Satzung der Beklagten die Regelung, wonach der Vorsitzende des Aufsichtsrats die Versammlung leitet und neben der Reihenfolge der Gegenstände der Tagesordnung auch die Art und Form der Abstimmung festlegt. Zu dieser Festlegung gehört insbesondere die Reihenfolge, in der über mehrere Anträge abgestimmt wird. Eine Ausnahme hiervon macht lediglich § 137AktG. Hat ein Aktionär einen Vorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 127AktG gemacht und beantragt er in der Hauptversammlung die Wahl des von ihm Vorgeschlagenen, so ist nach dieser Vorschrift über seinen Antrag vor dem Vorschlag des Aufsichtsrats zu beschließen, wenn es eine Minderheit der Aktionäre verlangt, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des vertretenen Grundkapitals erreichen. Die Voraussetzungen dieser Norm sind vorliegend offensichtlich schon deshalb nicht erfüllt, weil Frau S. als Aktionärin die Wahl des Klägers erst im Verlaufe der Hauptversammlung beantragte, was zweifelsohne auch unter Berücksichtigung der Vorgaben aus § 124 Abs. 4 Satz 2AktG zulässig war. Allerdings muss es dann auch bei Wahlen zum Aufsichtsrat bei dem Grundsatz verbleiben, dass der Versammlungsleiter den Vorschlag als Erstes zur Abstimmung stellen kann, dem er die größten Erfolgsaussichten einräumt (so die ganz h.M.; vgl. nur Habersack in: Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 101 Rdn. 25; LG Hamburg AG1996, 233; Rieckers in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 133 Rdn. 55 a; Bürgers/Israel in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl., § 101 Rdn. 5; Ramm NJW1991, 2753). Gerade die Vorschrift des § 137AktG zeigt, dass außerhalb ihres Anwendungsbereichs auch bei Wahlen zum Aufsichtsrat die Festlegung dem pflichtgemäßen Ermessen des Versammlungsleiters obliegt und dieser dabei auch die Erfolgsaussichten berücksichtigen darf.

b. Ein anderes Ergebnis lässt sich nicht aus der Regelung in § 14 Abs. 3 der Satzung der Beklagten herleiten. Diese Vorschrift besagt lediglich, wie bei Stimmengleichheit zu verfahren ist. Aus dem Zusammenspiel von § 15 Abs. 2 und § 14 Abs. 3 der Satzung kann indes - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht abgeleitet werden, die Satzung sehe vor, es müsse „echte Wahlen“ geben, also die Auswahl aus einer größeren Zahl von Kandidaten als es zu vergebende Aufsichtsratsposten gibt.

Dies ist das Ergebnis einer Auslegung der Satzung der Beklagten, die entsprechend allgemeinen Grundsätzen bei allen materiell-rechtlichen Satzungsregelungen, die das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Mitgliedern regelt, nach objektiven Kriterien erfolgt und dabei vor allem den Wortlaut, den Zweck und die systematische Stellung berücksichtigen muss (vgl. nur Hüffer, AktG, 11. Aufl., § 23 Rdn. 39). § 14 Abs. 3 der Satzung bezieht sich auf das Ergebnis der Stimmenauszählung und kann sowohl Ja- als auch Nein-Stimmen betreffen, bei denen dann im Falle der Wahl des Aufsichtsrats das Los entscheidet und ein Antrag nicht als abgelehnt gilt. Davon zu unterscheiden ist die zeitlich vorangehende Regelung in § 15 Abs. 2 der Satzung über die Reihenfolge der Abstimmung. Folglich sind die Abstimmungsmodalitäten und das Abstimmungsergebnis in der Satzung der Beklagten deutlich voneinander abgegrenzt. Aus der Regelung in § 14 Abs. 3 2. Alt. der Satzung, die für Wahlen eine Ausnahme vom Grundsatz betrifft, dass bei Stimmengleichheit der Vorschlag als abgelehnt gilt, kann kein Rückschluss darauf gezogen werden, der Versammlungsleiter müsse den Vorschlag eines Aktionärs gegen den Vorschlag der Verwaltung zur Abstimmung stellen oder sogar über diesen vorab abstimmen lassen, sofern nicht die Voraussetzungen des § 137AktG erfüllt sind.

Die Anwendung des Mehrheitsprinzips bei der Wahl des Aufsichtsrats auch in der hier gewählten Form, zunächst über den Vorschlag des Aufsichtsrats abstimmen zu lassen, führt nicht zu dem Schluss, eine „echte Wahl“ habe nicht stattgefunden. Jeder Aktionär hatte die Möglichkeit, bei jeder der Abstimmungen über den Aufsichtsrat mit „Nein“ zu stimmen.

Folglich hatte er eine echte Alternative, weshalb auch bei dieser Vorgehensweise nach dem Mehrheitswahlrecht eine gesetzeskonforme Wahl bejaht werden muss.

Daher konnte der Versammlungsleiter auch entsprechend der Regelung in § 15 Abs. 2 der Satzung den Antrag des Klägers, zunächst über den Antrag von Frau S. abstimmen zu lassen zurückweisen; dies ist von der ihm satzungsmäßig eingeräumten Kompetenz gedeckt gewesen.

c. Ein Ermessensfehlgebrauch des Versammlungsleiters resultiert auch nicht aus dem Umstand, dass er nicht nachfragte, welchen der Kandidaten Frau S. durch den Kläger ersetzt wissen wolle. Der Antrag der Aktionärin war insoweit hinreichend klar, als sie die Wahl des Klägers in den Aufsichtsrat wünschte. Insoweit bestand keine Unklarheit. Der Antrag ist so auszulegen, dass in all den Fällen, in denen die Nein-Stimmen für den Kandidaten des Aufsichtsrates überwiegen, der Kläger als Kandidat zur Wahl gestellt würde und dass dann entsprechend der Entscheidung des Versammlungsleiters über den Abstimmungsmodus über die Wahl des Klägers entschieden werden müsste. Über diese Vorgehensweise hat der Versammlungsleiter die Aktionäre hinreichend deutlich informiert. Einen Anspruch darauf, dass der Kläger in jedem Fall als Kandidat zur Abstimmung gestellt wird, kennt weder das Aktiengesetz noch die zulässigerweise erfolgte Regelung in § 15 Abs. 2 der Satzung, wonach der Versammlungsleiter die Art und Reihenfolge der Abstimmung festlegt.

d. Die Wahl des Subtraktionsverfahrens bedeutet keine Verletzung des Sachlichkeitsgebots durch den Versammlungsleiter und kann folglich auch keinen Ermessensfehler rechtfertigen, weil dieses Auszählverfahren gesetzeskonform ist. Die Abstimmung erfolgte ordnungsgemäß im Sinne des § 133AktG.

(1) Es bestehen keine grundlegende Bedenken gegen die Wahl dieser Auszählungsmethode, bei der von der Gesamtzahl der Hauptversammlungsteilnehmer die festgestellten Enthaltungen und Nein-Stimmen abgezogen und aus der Differenz rechnerisch die Zahl der Ja-Stimmen ermittelt wird. Die auch hier angewandte Subtraktionsmethode wird in Rechtsprechung und Literatur weithin als grundsätzlich zulässig angesehen, wenn - wie hier erfolgt - die Gesamtteilnehmerzahl für jeden einzelnen Abstimmungsvorgang hinreichend zuverlässig aus dem Teilnehmerverzeichnis und einer gegebenenfalls daneben geführten Präsenzliste entnommen werden kann (vgl. OLG Frankfurt AG1999, 231, 232; 2007, 374; OLG Hamm NZG2003, 924, 925 = AG2004, 38; Hüffer, AktG, a. a. O.,, § 133 Rdn. 24; Rieckers in: Spindler/Stilz, AktG, a. a. O., § 133 Rdn. 26; Grundmann in: Großkommentar zum AktG, 4. Aufl.-, § 133 Rdn. 130; Spindler in: Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 133 Rdn. 24; Müller in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., § 133 Rdn. 8; von der Linden NZG2012, 930, 932). Bezüglich der Zuverlässigkeit der Präsenzermittlung trug der Kläger keine Bedenken vor; zudem ergibt sich aus der notariellen Niederschrift mit hinreichender Deutlichkeit, dass Veränderungen in der Präsenz jeweils angepasst wurden und das Teilnehmerverzeichnis somit stets aktualisiert worden war.

Regelungen über ein bestimmtes Abstimmungsverfahren müssen nicht in die Satzung einer Aktiengesellschaft aufgenommen werden; vielmehr kann die Entscheidung darüber, in welcher Form abgestimmt wird, dem Versammlungsleiter - wie hier in § 15 Abs. 2 der Satzung geschehen - durch die Satzung übertragen werden.

(2) Eine fehlerhafte Abstimmung resultiert auch nicht aus der Erwägung heraus, das Subtraktionsverfahren sei nicht, zumindest nicht hinreichend erklärt worden. Der notariellen Niederschrift ist zu entnehmen, dass vor der Erledigung der Tagesordnung entsprechend den Ausführungen auf Seite 5 der Niederschrift das Subtraktionsverfahren zutreffend erläutert wurde. Vor der Abstimmung über die Aufsichtsratswahl führte der Versammlungsleiter nochmals aus, dass über die Anträge jeweils einzeln abgestimmt werde, Gegenstimmen und Stimmenthaltungen aber in einem Arbeitsgang eingesammelt würden, wie dies auf Seite 12 der Niederschrift festgehalten ist. Damit aber kam es sogar unmittelbar vor der Abstimmung nochmals zu Hinweisen, dass nur Enthaltungen und Nein-Stimmen gezählt würden. Damit konnten aber in Bezug auf das Wahl- bzw. Abstimmungsverfahren bei einem objektiven durchschnittlichen Aktionär keine Zweifel über das Procedere aufkommen. Abgesehen davon ist dieses Verfahren nicht so kompliziert, dass diese Erläuterungen des Versammlungsleiters von einem durchschnittlichen Aktionär nicht verstanden würden. Wenn einer der anwesenden Aktionäre tatsächlich das Verfahren nicht oder nicht hinreichend verstanden haben sollte, hätte jederzeit die Möglichkeit bestanden, vom Fragerecht des § 131 Abs. 1AktG Gebrauch zu machen.

2. Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des § 53 aAktG kann nicht angenommen werden. Nach dieser Vorschrift sind Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln. Daneben besagt diese Norm vor allem aber auch, dass einzelne Aktionäre nicht ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden dürfen, weshalb diese Vorschrift vor allem als Verbot willkürlicher Ungleichbehandlung als zentralem Kerngehalt des aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes beinhaltet (vgl. Fleischer in: Schmidt/Lutter, AktG, a. a. O., § 53 a Rdn. 4; Cahn/von Spannenberg in: Spindler/Stilz, AktG, a. a. O., § 53 a Rdn. 18; Drygala in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 53 a Rdn. 10).

a. Dies kann vorliegend indes bereits deshalb nicht angenommen werden, weil der Versammlungsleiter bei der Festlegung der Wahl- und Abstimmungsmodalitäten zur Reihenfolge der Abstimmung nicht das Gesetz verletzt hat. Ein rechtmäßiges Verhalten im Laufe einer Hauptversammlung kann folglich keinen Verstoß gegen das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot begründen.

b. Ein solcher Verstoß ergibt sich auch nicht aus der Erwägung heraus, dem Kläger sei keine Gelegenheit gegeben worden, sich als Kandidat vorzustellen. Eine derartige Verpflichtung ist dem Aktienrecht fremd - eine Hauptversammlung ist selbst dann, wenn Wahlen namentlich zum Aufsichtsrat auf der Tagesordnung stehen, keine Bühne, auf der dann eine Art „Wahlkampf“ durchgeführt werden müsste. Welche Informationen bei Ergänzungsverlangen oder Gegenanträgen den Aktionären zugänglich zu machen sind und wie dann zu verfahren ist, ist abschließend in §§ 124, 126, 127AktG geregelt. Ein Anspruch auf Vorstellung kann dem Aktiengesetz angesichts dessen insbesondere auch dann nicht entnommen werden, wenn ein entsprechender Antrag erst während der Hauptversammlung gestellt wird.

3. Die Anfechtbarkeit der Wahlbeschlüsse lässt sich nicht aus einem Verstoß gegen die Grundsätze des Deutschen Corporate Governance Kodex ableiten, weil vorliegend eine sogenannte Simultanwahl durchgeführt wurde.

a. In Rechtsprechung und Literatur ist bereits umstritten, inwieweit Verstöße gegen die Grundsätze des Deutschen Corporate Governance, Kodex überhaupt zu einer Anfechtung führen können, wobei dies namentlich Wahlbeschlüsse betrifft. Hierzu wird teilweise in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, ein Verstoß gegen die im Deutschen Corporate Governance Kodex enthaltenen Vorgaben könne mangels Gesetzesqualität nicht zur Anfechtbarkeit eines Wahlbeschlusses führen (vgl. LG München I NZG2008, 150, 151 f. = ZIP2007, 2360, 2361 = AG2008, 90, 91; Hüffer ZIP2010, 1979 ff.; Rieder NZG2010, 737 f.; Kiefner NZG2011, 201, 203, 205 ff.). Demgegenüber geht die wohl überwiegend vertretene Auffassung davon aus, eine Abweichung von den Veröffentlichungen der Entsprechenserklärung nach § 161AktG führe zu einer Stimmabgabe aufgrund einer fehlerhaften Information und demzufolge zur Anfechtbarkeit; zudem liege ein Verstoß gegen die in die Zukunft gerichtete freiwillig eingegangene Selbstbindung vor, der die Nichtigkeit des dem Wahlvorschlag zugrunde liegenden Aufsichtsratsbeschlusses nach sich ziehe (vgl. OLG München NZG2009, 508, 510 = ZIP2009, 133, 134 ff. = AG2009, 294, 295 - MAN; LG Hannover NZG2010, 744, 746 ff. = AG2010, 459, 460 ff. = ZIP2010, 833, 834 ff. - Continental; W. Goette in: Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 161 Rdn. 94; Wittmann/Kirschbaum in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, a. a. O., § 161 Rdn. 76 a; E. Vetter NZG2008, 121, 123 f.; ders. in: Festschrift für Uwe H. Schneider, 2011, S. 1345, 1360 ff.; Habersack in: Festschrift für W. Goette, 2011, S. 121 ff.).

b. Vorliegend kann diese Frage jedoch unentschieden bleiben, weil die Beklagte die Vorgaben aus Ziffer 5.4.3. des Deutschen Corporate Governance Kodex nicht verletzt hat und demzufolge weder von einer Nichtigkeit des Beschlusses des Aufsichtsrats mit der Folge der Anfechtbarkeit eines Wahlbeschlusses noch von einem Informationsdefizit ausgegangen werden kann, nachdem vorliegend eine Einzelwahl zulässigerweise in Form der Simultanwahl durchgeführt wurde. Bei der Einzelwahl findet für jedes in den Aufsichtsrat zu wählendes Mitglied ein gesonderter Wahlgang statt; bei der Simultanwahl gilt letztlich nichts anderes, weil hier die Einzelwahl lediglich in einem Abstimmungsgang zusammengefasst wird, ohne dass sich daraus aber etwas am Charakter der Einzelwahl ändern würde (vgl. Hopt/Roth in: Großkommentar zum AktG, a. a. O., § 101 Rdn. 43; Habersack in: Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 101 Rdn. 20; Hüffer, AktG, a. a. O., § 101 Rdn. 6; Jung DStR2014, 960, 961).

Dem kann nicht entgegengehalten werden, bei der Simultanwahl stimme der Aktionär in Unkenntnis des Ergebnisses des jeweiligen Abstimmungsvorgangs ab, während er dies bei der als Sukzessivwahl durchgeführten Einzelwahl wisse. Dies kann nicht gegen die Zulässigkeit der Simultanwahl eingewandt werden, weil dies dann auch eine im Rahmen einer Hauptversammlung stattfindende geheime Wahl verbieten würde; diese wird von der h.M. indes vom Grundsatz her als zulässig angesehen - nur einen Anspruch auf geheime Wahl oder Abstimmung hat der einzelne Aktionär nicht (vgl. Rieckers in: Spindler/Stilz, AktG, a. a. O., § 134 Rdn. 82; Hüffer, AktG, a. a. O., § 134 Rdn. 35; von der Linden NZG2012, 930, 932). Die Zielsetzung der Einzelwahl wird dadurch vor allem auch nicht vereitelt, weil unverändert die Möglichkeit besteht, zwischen den einzelnen Kandidaten beim Abstimmungsverhalten zu differenzieren.

c. Angesichts dessen kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob der Sachvortrag zur durchgeführten Simultanwahl überhaupt berücksichtigungsfähig ist, nachdem er erstmals nach Ablauf der Monatsfrist in der Replik vom 28.12.2015 und damit nach Ablauf der Monatsfrist des § 246 Abs. 1AktG vorgetragen wurde, oder ob damit lediglich die innerhalb, dieser Frist erhobene Rüge zum Wahlverfahren konkretisiert wurde. Insoweit könnte unter Umständen noch davon ausgegangen werden, dass sich der tatsächliche Kern der Anfechtungsklage und damit die entsprechende Angriffsrichtung des Vortrages gegen die Abläufe bei der Wahl richtet und unter Hinweis auf die durchgeführte Simultanwahl und deren Unzulässigkeit nur mehr konkretisiert wurde (vgl. allgemein hierzu BGH NJW1966, 2055; Hüffer/Schäfer in: Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 246 Rdn. 44). Doch selbst wenn der Tatsachenvortrag in vollem Umfang berücksichtigungsfähig sein sollte und keine neue Angriffsrichtung angenommen werden kann, liegt aus den oben geschilderten Gründen eine Gesetzesverletzung im Sinne der §§ 251 Abs. 1, 243 Abs. 1AktG nicht vor.

Folglich konnte die Klage keinen Erfolg haben.

II.

1. Die Entscheidung über die Kosten resultiert aus § 91 Abs. 1 Satz 1ZPO; als Unterlegener hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und Satz 2ZPO.

3. Die Entscheidung über den Streitwert hat ihre Grundlage in §§ 247 Abs. 1AktG, 5 ZPO und entspricht der vorläufigen Festsetzung des Streitwerts im Beschluss vom 18.08.2015.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 5 Mehrere Ansprüche


Mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche werden zusammengerechnet; dies gilt nicht für den Gegenstand der Klage und der Widerklage.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 247 Aussetzung bei abgeschnittenem Verkehr


Hält sich eine Partei an einem Ort auf, der durch obrigkeitliche Anordnung oder durch Krieg oder durch andere Zufälle von dem Verkehr mit dem Prozessgericht abgeschnitten ist, so kann das Gericht auch von Amts wegen die Aussetzung des Verfahrens bis

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Hält sich eine Partei an einem Ort auf, der durch obrigkeitliche Anordnung oder durch Krieg oder durch andere Zufälle von dem Verkehr mit dem Prozessgericht abgeschnitten ist, so kann das Gericht auch von Amts wegen die Aussetzung des Verfahrens bis zur Beseitigung des Hindernisses anordnen.

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