Tenor

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.740,72 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit 30.06.2016 zu bezahlen, und den Kläger von Ansprüchen der Kanzlei Rechtsanwälte … in Höhe von 492,54 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 40%, die Beklagten tragen als Gesamtschuldner 60%.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der jeweils zu vollstreckenden Forderung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert beträgt 7.906,20 €.

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 07.04.2016 geltend. Gegen 21.45 Uhr fuhr der Kläger mit seinem PKW ... von P. kommend auf der Bundesstraße ... in Fahrtrichtung P1. Nach dem ... Kreisel wollte der Kläger eine vor ihm fahrende Fahrzeugkolonne überholen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob vor dem Kläger 3 oder 4 Fahrzeuge fuhren. Das unstreitig 2. Fahrzeug der Kolonne war das Fahrzeug der Beklagtenseite (Kz. ...), das von der Beklagten zu 1 geführt wurde, dessen Halter der Beklagte zu 2 ist und das bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert ist. Als der Kläger während des Überholvorganges auf Höhe des Fahrzeugs der Beklagtenseite war, steuerte die Erstbeklagte dieses Fahrzeug nach links, um ihrerseits zu überholen. Hierbei kam es zu einer Berührung der beiden Fahrzeuge, wodurch am Fahrzeug des Klägers Schaden entstand in Höhe von 6.800,- €. Der Kläger macht des Weiteren Gutachterkosten in Höhe von 1.047,20 €, Kosten für die Fahrwerksvermessung in Höhe von 29,- € sowie eine Auslagenpauschale in Höhe von 30,- € geltend.

Der Kläger trägt vor, für den Unfall habe die Beklagtenseite allein einzustehen. Die vor ihm fahrenden drei Fahrzeuge seien über eine längere Strecke mit 80 km/h bewegt worden, obwohl 100 km/h erlaubt gewesen seien. Er habe nicht, etwa durch Zurückfallen und durch Betätigen der Lichthupe, der Beklagten zu 1 gestattet, ihrerseits auf die linke Fahrbahn auszuscheren. Die Beklagte zu 1 habe auch nicht den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Er habe daher davon ausgehen dürfen, dass ihm das Überholen gefahrfrei möglich sein werde, zumal die vor ihm fahrenden Fahrzeuge so dicht aufeinander aufgefahren seien, dass sie insgesamt nicht mehr Länge der Fahrbahn beansprucht hätten als ein LKW mit Anhänger.

Der Kläger beantragt,

  • 1.Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 7.906,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu zahlen.

  • 2.Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 729,23 € durch Zahlung an die Rechtsanwälte … freizustellen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten tragen vor, der Kläger sei 5., nicht 4. Fahrzeug der Kolonne gewesen. Erlaubt seien 100 km/h gewesen, die Kolonne sei mit 50 km/h gefahren. Die Beklagte zu 1 habe das vor ihr fahrende Fahrzeug überholen wollen, habe ordnungsgemäß Rückschau gehalten und links geblinkt. Kurz vor dem Ausschervorgang habe sie den Kläger mit seinem Fahrzeug im Rückspiegel auf dem linken Fahrstreifen gesehen, der Kläger habe kurz aufgeblendet und habe die Fahrt verlangsamt, woraus sie geschlossen habe, dass er ihr das Ausscheren ermöglichen wolle. Als sie dies getan habe, habe der Kläger plötzlich beschleunigt, sodass es zur Kollision gekommen sei. Die Beklagten halten überdies Teile der Gutachterrechnung vom 19.04.2016 für übersetzt, ebenso wie die klägerseits geltend gemachte Auslagenpauschale.

Zum sonstigen Vorbringen der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Das Gericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22.09.2016 (Bl. 26/30 d.A.) den Kläger zum Unfallhergang informatorisch angehört; das Gericht hat außerdem die Zeugin … uneidlich vernommen. Auf das Protokoll wird Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.

I.

1. Der Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen des Unfalls folgt dem Grunde nach aus den §§ 7 I, 18 I StVG, § 823 I BGB, § 115 I Nr. 1 VVG.

2. Die Beklagten trifft aber gemäß § 17 I StVG nicht die alleinige Haftung bezüglich des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls, sondern die Beklagtenseite ist für den Verkehrsunfall nur zu 60% verantwortlich. Gemäß §§ 17 I, II, 18 III StVG hängt die Haftungsverteilung von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der hiernach gebotenen Abwägung sind ausschließlich unstreitige oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (OLG Saarbrücken, NJW-RR 2015, 279, juris Rn. 53 m.w.N.).

a) Vorliegend ist insoweit beachtlich, dass die Beklagte zu 1 gemäß § 5 IV 1 StVO nur ausscheren durfte, wenn hierbei eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen war. Überdies hatte sie gemäß § 5 IV a StVO das Ausscheren zum Überholen rechtzeitig und deutlich mittels Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Dies steht nicht zur Überzeugung des Gerichtes fest.

Die hierzu vernommene Zeugin … konnte verlässliche Angaben zum Unfallhergang nicht machen. Ihre Aussage war vielmehr unergiebig und sichtlich von dem Bestreben geprägt, der Beklagten zu 1, ihrer Schwester, einen Gefallen zu tun. Das Gericht braucht nicht zu entscheiden, ob die Zeugin ihr Erinnerungs- und Wahrnehmungsvermögen während eines Unfallsgeschehens erheblich überschätzt, oder ob sie bewusst die Unwahrheit gesagt hat. Jedenfalls ist der Darstellung der Zeugin nicht zu folgen. Die Zeugin hat nämlich zunächst angegeben, der Kläger sei im Überholvorgang gewesen und habe abgeblendet und abgebremst, dann habe er aber Gas gegeben und so sei es zur Kollision gekommen. Auf die Frage, wie sie - auf dem Beifahrersitz sitzend und überdies bei nächtlicher Dunkelheit - dies bemerkt haben sollte, hat die Zeugin sodann erstmals angegeben, sie habe ihre Handtasche auf dem Rücksitz gehabt, habe sich nach hinten gebeugt, um in die Handtasche zu greifen, und habe dabei gesehen, dass der Kläger aufgeblendet habe. Aus dem Abstand der Lichter habe sie geschlossen, dass der Kläger sodann sein Fahrzeug zurückfallen lässt. Dies ist jedenfalls nicht glaubhaft. Die Zeugin, die mit dem Suchen in der Handtasche unter rückwärts gebeugter Körperhaltung befasst war, will binnen weniger Sekunden festgestellt haben, dass der Kläger aufblendet und dann sein Auto zurückfallen lässt; dies, obwohl sie durch das beschriebene (vom Kläger übrigens bestrittene) Aufblenden geblendet sein musste. Gleichzeitig will sie auch noch bemerkt haben, dass die offenen langen Haare ihrer Schwester sich bewegten, woraus sie zuverlässig geschlossen haben will, dass die Beklagte zu 1 den Kopf nach links wandte, um ihrer Rückschaupflicht zu genügen. Zugleich will sie auch noch gehört haben, dass der linke Blinker in Betrieb war. Wie all dies unter den geschilderten Umständen der Wahrnehmungsfähigkeit nach möglich gewesen sein sollten, ist unerfindlich. Überdies ist darauf zu verweisen, dass ein Lichtzeichen des Klägers gemäß § 5 V 1 StVO allenfalls als Ankündigung des Überholmanövers, keinesfalls aber als ein „Zurückstehen“ gedeutet werden durfte.

Die Beklagte zu 1 ist ihrer Sorgfaltspflicht also nicht gerecht geworden.

b) Andererseits muss der Kläger sich entgegenhalten lassen, dass zwar das Überholen einer Kolonne nicht von vornherein unzulässig ist, dass aber jedenfalls unter den gegebenen Umständen ein Überholen bei unklarer Verkehrslage i.S.d. § 5 III Nr. 1 StVO festzustellen ist. Eine derartige unklare Verkehrslage ist nämlich gegeben, wenn nach den objektiven Umständen mit gefahrlosem Überholen nicht gerechnet werden darf. Unklar ist die Verkehrslage insbesondere, wenn eine Kolonne vorausfährt und mit dem Ausscheren und Linksabbiegen eines Fahrzeugs aus der Kolonne zu rechnen ist (OLG Saarbrücken, a.a.O., Rn. 108). Gleiches gilt für den Fall, dass der Kläger als Überholer damit rechnen muss, dass weitere, vor ihm in der Kolonne fahrende Fahrzeuge überholen wollen. Angesichts der Gesamtumstände, die der Kläger geschildert hat, und die teilweise unstreitig sind (erlaubte 100 km/h, ungehinderte Sicht nach vorne, kein Gegenverkehr, Geschwindigkeit der vordersten Fahrzeugs nur 80 km/h) lag es überaus nahe, dass auch weitere in der Kolonne fahrende Fahrzeugführer zum Überholen ansetzen würden.

Außerdem hat der Kläger selbst vorgetragen, die vor ihm fahrenden Fahrzeuge seien so dicht aufeinander aufgefahren, dass ihre Gesamtlänge der eines LKW mit Anhänger entsprochen habe. Dies kann - auch wenn, der Darstellung des Klägers folgend, vor ihm nur drei Fahrzeuge fuhren - nur dann der Fall gewesen sein, wenn die vor ihm fahrenden Fahrzeugführer den Sicherheitsabstand von 40 m (bei 80 km/h) bei Weitem nicht einhielten. Der Kläger hätte also - etwa im Fall eines unerwartet auftauchenden Hindernisses - keinesfalls gefahrlos in die Kolonne einscheren können, sondern war von vornherein gezwungen, die gesamte Kolonne zu überholen.

c) Unter Abwägung aller Gesichtspunkte, insbesondere der gleich hohen Betriebsgefahr der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge, hält das Gericht deshalb eine Haftungsverteilung von 60/40 zu Lasten der Beklagtenseite für angemessen.

3. Der Sachschaden am Fahrzeug des Klägers ist unstreitig.

Die Sachverständigenkosten sind nachgewiesen durch Vorlage der Rechnung der … vom 19.04.2016; diese Rechnung durfte der Kläger begleichen und der Beklagten in Rechnung stellen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die offenbare Unrichtigkeit dieser Rechnung (insbesondere - insoweit beklagtenseits angegriffen - betreffend Grundhonorar und Kosten für Lichtbilder) dem Kläger bewusst gewesen wäre, sodass er seinerseits die Rechnung hätte beanstanden müssen.

Die Kosten für die Fahrwerksvermessung in Höhe von 29,- € sind zwischen den Parteien unstreitig.

Die Auslagenpauschale beträgt nach ständiger Rechtsprechung des hiesigen Landgerichts 25 €.

Eirsatzfähig ist daher ein Gesamtschaden in Höhe von 7.901,20 €, hiervon schulden die Beklagten 60%, somit 4.740,72 €.

4. Aus diesem Betrag schulden die Beklagten überdies die vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von (303 × 1,3 + 20 × 1,19 =) 492,54 €.

5. Der Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen folgt aus § 291 BGB.

II.

Kosten: § 92 I ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.

Der Streitwert folgt der Klageforderung.

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Gesetz über den Versicherungsvertrag


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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 291 Prozesszinsen


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bei uns veröffentlicht am 24.02.2017

Tenor I. Auf die Berufung des Klägers vom 15.01.2016 wird das Endurteil des LG Deggendorf vom 11.10.2016, Az.: 31 O 266/16, abgeändert und wie folgt neugefasst: 1. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an den Kläger 6.

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Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.