Landgericht Augsburg Beschluss, 02. Feb. 2018 - 054 T 2108/17

bei uns veröffentlicht am02.02.2018
vorgehend
Amtsgericht Augsburg, XIV 33/17 (B), 30.05.2017

Gericht

Landgericht Augsburg

Tenor

1. Der Antrag des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen auf Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts ... vom ... den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen auf Feststellung, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen vom ... bis zum Erlass des Beschlusses des Gerichts vom ... rechtswidrig war, wird zurückgewiesen.

3. Der Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen vom ... auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Amtsgerichts ... vom ... wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste eigenen Angaben zufolge am ... auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am ... stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in ... einen Asylantrag und wurde ebenfalls am ... angehört. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom ... wurde der Antrag des Betroffenen auf Anerkennung als Asylberechtigter und der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter gleichzeitiger Androhung der Abschiebung nach Afghanistan abgelehnt. Ebenfalls wurde kein subsidiärer Schutzstatus zuerkannt. Abschiebungsverbote wurden nicht festgestellt.

Der Betroffene erhob am ... gegen diesen ablehnenden Bescheid Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht .... Die Klage wurde vom Verwaltungsgericht ... mit Urteil vom ... als unbegründet abgewiesen. Rechtskraft trat am ... ein. Der Bescheid vom ... ist somit bestandskräftig und der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig.

Dem Betroffenen wurde bereits mit Bescheid vom ... eine Frist für die freiwillige Ausreise bis ... Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens gewährt. Diese Ausreisefrist ist fruchtlos verstrichen. Etwaige Bemühungen des Betroffenen zum freiwilligen Verlassen des Bundesgebiets während der ihm eingeräumten Ausreisefrist waren nicht erkennbar und wurden auch nicht von ihm geltend gemacht. Bei seiner Vorsprache bei der ... am ... gab der Betroffene an, die Bundesrepublik nicht freiwillig verlassen zu wollen, um in sein Heimatland zurückzukehren. Bei diesem Gespräch wurde der Betroffene auch zum einen über die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise informiert. Zum anderen wurde ihm dargelegt, dass eine Abschiebung zur Folge hätte, dass er innerhalb der ihm im Bescheid des BAMF vom ... gesetzten Frist nicht wieder in das Bundesgebiet einreisen dürfte.

Der Betroffene war nicht bereit, bei der Klärung seiner Identität mitzuwirken, obwohl er mehrfach auf seine entsprechenden Mitwirkungspflichten hingewiesen wurde. Seinen Angaben zufolge habe er niemals ein Personalpapier besessen. An der Beschaffung von identitätsklärenden Dokumenten wirkte der Betroffene nicht mit. Er ignorierte auch den Bescheid der ...om ... in welchem er aufgefordert wurde, am ... beim ... zur Fest- und Sicherstellung seiner Identität und Herkunft vorzusprechen, und nahm diesen Termin nicht wahr. Der Betroffene wurde sodann am ... im ... vorgeführt.

Zwischenzeitlich haben die afghanischen Behörden der Rückübernahme des Betroffenen zugestimmt. Die für die Abschiebung erforderlichen Heimreisedokumente liegen nunmehr vor.

Nach Mitteilung der für die Sammelabschiebungsmaßnahmen zuständigen Bundespolizei ist der Betroffene in Absprache mit den afghanischen Behörden für die Abschiebung mit dem Flug PVG ... um ... über ... am ... vorgesehen.

Mit Schreiben vom ... beantragte die ... gegen den Betroffenen Ausreisegewahrsam vom ... bis zum Ablauf des ... zum Zwecke der Durchführung der Sammelabschiebung am ... mit dem Flug PVG ... um ... über ... sowie die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung anzuordnen ....

Mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom ... wurde sodann im Wege der einstweiligen Anordnung der vorläufige Gewahrsam bis zur unverzüglichen Vorführung des Betroffenen zur Anhörung vor dem Amtsgericht ... angeordnet. Der Betroffene wurde am ... in Gewahrsam genommen und am ... vorgeführt ....

Mit Beschluss vom ... ordnete das Amtsgericht ... den Ausreisegewahrsam gegen den Betroffenen bis höchstens ... unter Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung an ... Ausweislich des Anhörungsprotokolls erklärte der Betroffene nach Bekanntgabe des Beschlusses und Rechtsmittelbelehrung, dass er mit der Abschiebung einverstanden sei ...

Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts ... legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen mit Schriftsatz vom ... Beschwerde ein ..., die mit Schriftsatz vom ... näher begründet wurde .... Ebenfalls mit Schriftsatz vom ... beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen festzustellen, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen vom ... bis zum Erlass des Beschlusses des Gerichts vom ... rechtswidrig war ....

Das Amtsgericht ... hat der Beschwerde mit Verfügung vom ... nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht vorgelegt ....

II.

1. Der Antrag vom ... auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Amtsgerichts ... vom ... ist zulässig, aber unbegründet und war daher zurückzuweisen.

a) Die Zulässigkeit des Feststellungsantrags des Verfahrensbevolllmächtigten scheitert nicht daran, dass der Betroffene ausweislich des Anhörungsprotokolls nach Bekanntgabe des Beschlusses und Rechtsmittelbelehrung erklärte, dass er mit der Abschiebung einverstanden sei. Nach Ansicht der Kammer stellt dies keinen endgültigen Verzicht im Sinne von ... dar. Erforderlich für die Annahme eines Verzichts ist eine unbedingt und eindeutige zweifelsfreie Erklärung, sich des Rechts auf Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht begeben zu wollen. Dies hängt nicht vom Gebrauch des Wortes „Verzicht“ ab, sondern davon, ob Umstände vorliegen, aus denen sich der Verzicht zweifelsfrei ergibt. In Verfahren der Freiheitsentziehung sind strenge Anforderungen an eine Verzichtserklärung zu stellen, weil die Interessenlage regelmäßig gegen einen Rechtsmittelverzicht spricht .... In der Formulierung mit der Abschiebung einverstanden zu sein, liegt für die Kammer keine eindeutige zweifelsfreie Erklärung, auf eine Beschwerde verzichten zu wollen.

b) Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit ist jedoch unbegründet. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses lagen nämlich die Voraussetzungen für diese Maßnahme vor.

aa) Der Betroffene ist Ausländer .... Er hat keinen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland und hat die Bundesrepublik zu verlassen. Die „Verlassenspflicht“ des Betroffenen ergibt sich aus dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom .... Diese Entscheidung ist bestandskräftig ..., der Betroffene ist seit ... vollziehbar ausreisepflichtig ....

Das Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist an einen Verwaltungsakt der Behörde gebunden, der nach der grundgesetzlichen Kompetenzanordnung einer gerichtlichen Kontrolle nur durch die Verwaltungsgerichte unterliegt .... Eine selbständige Aufklärungspflicht bezüglich der Verlassenspflicht hat das Freiheitsentziehungsgericht nur dann, wenn sich die Ausreisepflicht unmittelbar aus gesetzlichen Vorschriften ergibt. Ansonsten ist das Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit an rechtsbeständige Entscheidungen der Verwaltung gebunden.

bb) Die Voraussetzungen des ... sind erfüllt.

Die Ausreisefrist ist abgelaufen. Der Betroffene war nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert, die Überschreitung der Ausreisefrist ist als erheblich anzusehen. Der Betroffene hat zudem ein Verhalten gezeigt, das erwarten lässt, dass er die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird, indem er fortgesetzt seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten verletzt hat.

Dem Betroffenen wurde bereits mit Bescheid vom ... eine Frist für die freiwillige Ausreise bis ... nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens gewährt. Diese Ausreisefrist ist fruchtlos verstrichen. Etwaige Bemühungen des Betroffenen zum freiwilligen Verlassen des Bundesgebiets während der ihm eingeräumten Ausreisefrist waren nicht erkennbar und wurden auch nicht von ihm geltend gemacht. Bei seiner Vorsprache bei der ... am ... gab der Betroffene an, die Bundesrepublik nicht freiwillig verlassen zu wollen, um in sein Heimatland zurückzukehren. Bei diesem Gespräch wurde der Betroffene auch zum einen über die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise informiert.

Zum anderen wurde ihm dargelegt, dass eine Abschiebung zur Folge hätte, dass er innerhalb der ihm im Bescheid des BAMF vom ... gesetzten Frist nicht wieder in das Bundesgebiet einreisen dürfte.

Der Betroffene war nicht bereit, bei der Klärung seiner Identität mitzuwirken, obwohl er mehrfach auf seine entsprechenden Mitwirkungspflichten hingewiesen wurde. Seinen Angaben zufolge habe er niemals ein Personalpapier besessen. An der Beschaffung von identitätsklärenden Dokumenten wirkte der Betroffene jedoch nicht mit. Er ignorierte auch den Bescheid der ... vom ... in welchem er aufgefordert wurde, am ... beim ... in ... zur Fest- und Sicherstellung seiner Identität und Herkunft vorzusprechen, und nahm diesen Termin nicht wahr. Der Betroffene wurde sodann am ... im ... vorgeführt.

Durch sein bisheriges, fortgesetztes Verhalten im Umgang mit den zuständigen Behörden hat der Betroffene zum Ausdruck gebracht, dass er in einem Maß unzuverlässig ist, dass zu erwarten ist, dass er die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird ....

cc) Die Abschiebung hätte innerhalb der Anordnungsfrist durchgeführt werden können. Die ... Behörden haben der Rückübernahme des Betroffenen zugestimmt. Die für die Abschiebung erforderlichen Heimreisedokumente lagen vor.

dd) Die Kammer ist sich bewusst, dass die Anordnung von Ausreisegewahrsam in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt ist .... Im vorliegenden Fall ist nach Ansicht der Kammer dem Betroffenen die zeitlich befristete Ingewahrsamnahme zumutbar. Sein Verhalten in der Vergangenheit hat gezeigt, dass er trotz mehrfacher Aufforderung den Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist, obwohl die Mitwirkung zumutbar und möglich war. Bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Betroffenen mit dem staatlichen Interesse an der zügigen Durchführung der Abschiebung überwiegt letzteres.

ee) Die formellen Anforderungen an das Verfahren in Ausreisegewahrsamssachen sind vom Amtsgericht ... erfüllt worden.

Der Antrag der ... auf Anordnung des Ausreisegewahrsams wurde dem Betroffenen ausgehändigt. Dies erfolgte spätestens durch die vom Amtsgericht veranlasste Übergabe des übersetzten Antrags am .... Auch die beantragte Dauer des Ausreisegewahrsams wurde seitens der ... ausreichend begründet.

Bedenken gegen eine ordnungsgemäße Durchführung der Anhörung des Betroffenen bestehen seitens der Kammer nicht. Die Dauer der Sitzung steht der Annahme einer ordnungsgemäßen Sitzung nicht entgegen. Das Protokoll belegt, dass die Anhörung ohne Formverstöße durchgeführt wurde.

c) Die JVA ... stellte zum damaligen Zeitpunkt eine ... entsprechende Unterbringungseinrichtung dar.

d) Die Auffassung, die Bestimmung des ... in der ab ... gültigen und hier angewandten Fassung sei wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot des ... verfassungswidrig, geht fehl.

Es trifft zwar zu, dass das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom ..., durch welches mit ... die Vorschrift des ... neu in das Aufenthaltsgesetz eingefügt wurde, keine Vorschrift enthält, die im Sinne des ... eine Grundrechtseinschränkung benennt. Eine solche Benennung des Freiheitsgrundrechts aus ... war jedoch nicht erforderlich.

Das Zitiergebot des ... betrifft nur solche Gesetzesänderungen, die neue Grundrechtseinschränkungen bewirken. Werden bereits bestehende Grundrechtseinschränkungen unverändert oder mit geringen Abweichungen wiederholt, findet das Zitiergebot des ... keine Anwendung. Es genügt dann, wenn das fortbestehende Gesetz einen Hinweis auf die fortbestehende Einschränkung des Grundrechts enthält ..., wie es hier in ... der Fall ist. Lediglich wenn die Eingriffsgrundlage deutlich erweitert wird, greift das Zitiergebot ....

... in der ab ... gültigen Fassung führte gegenüber dem vorherigen Rechtszustand zu keiner verschärften Einschränkung des Grundrechts aus ..., sondern schwächte die Grundrechtseinschränkung im Gegenteil ein. Mit der Einführung des Ausreisegewahrsams nach ... hat der Gesetzgeber zugleich die sog. „kleine Sicherungshaft“ nach ... aufgehoben .... Der Ausreisegewahrsam hat die aufgehobene kleine Sicherungshaft ersetzt. Der Vergleich beider Regelungen zeigt eine deutliche Abschwächung der Grundrechtseinschränkung, keinesfalls eine Verschärfung.

Ermöglichte die kleine Sicherungshaft eine Freiheitsentziehung von längstens 2 Wochen, so beschränkte sich der Ausreisegewahrsam in der hier anzuwendenden Fassung auf eine Dauer von höchstens vier Tagen. Setzte die kleine Sicherungshaft lediglich den Ablauf der Ausreisefrist voraus, so darf der Ausreisegewahrsam auch nach Ablauf dieser Frist nicht angeordnet werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist nicht erheblich ist. Auch insoweit ist der Freiheitseingriff erschwert, nicht erleichtert worden. Schließlich verlangt ... als zusätzliche Eingriffsvoraussetzung ein abschiebungserschwerendes oder - vereitelndes Verhalten und erschwert auch dadurch den Eingriff in das Freiheitsgrundrecht gegenüber dem vorherigen Rechtszustand.

Gegenüber dieser Erweiterung des Grundrechtsschutzes sind relevante Verschärfungen der Eingriffsmöglichkeiten nicht feststellbar. Dies gilt auch für das Erfordernis der Durchführbarkeit der Abschiebung. Verlangte die Anordnung der kleinen Sicherungshaft, dass die Durchführbarkeit der Abschiebung feststand, so ist Ausreisegewahrsam unzulässig, wenn feststeht, dass die Abschiebung nicht innerhalb der Anordnungsfrist durchgeführt werden kann. Mit dieser Gesetzesänderung ist eine das Zitiergebot auslösende wesentliche Verschärfung der Eingriffsmöglichkeiten, zumal in einer Gesamtschau, nicht verbunden.

2. Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen vom ... war nicht rechtswidrig. Sie verstößt nicht gegen ... entgegen der Ausführung des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen der Betroffene nicht festgenommen wurde, ohne dass vorher eine richterliche Entscheidung erholt worden wäre. Es liegt ein entsprechender Beschluss des Amtsgerichts ... vom ... vor ..., mit welchem gemäß ... vorläufiger Gewahrsam bis zur unverzüglichen Vorführung des Betroffenen zur Anhörung dem Amtsgericht ... angeordnet wurde.

3. Aus den dargelegten Gründen war der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe vom ... mangels Erfolgsaussicht ... zurückzuweisen.

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