Gericht

Europäischer Gerichtshof

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

17. Mai 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Markenrecht – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Art. 13 – Erschöpfung des Rechts aus der Marke – Parallelimport – Umpacken der mit der Marke versehenen Ware – Neuetikettierung – Für Medizinprodukte geltende Voraussetzungen“

In der Rechtssache C‑642/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 6. Oktober 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 2016, in dem Verfahren

Junek Europ-Vertrieb GmbH

gegen

Lohmann & Rauscher International GmbH & Co. KG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça sowie der Richter E. Levits und A. Borg Barthet (Berichterstatter), der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Junek Europ-Vertrieb GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte J. Sachs und C. Sachs,

der Lohmann & Rauscher International GmbH & Co. KG, vertreten durch die Rechtsanwälte C. Rohnke und M. Stütz,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und M. Hellmann als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo, avvocato dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, É. Gippini Fournier und T. Scharf als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die [Unions]marke (ABl. 2009, L 78, S. 1).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Junek Europ-Vertrieb GmbH, einem Parallelimporteur von Sanitärprodukten für medizinische Zwecke und Verbandsmaterial, und der Lohmann & Rauscher International GmbH & Co. KG, die solche Produkte herstellt, über von ihr hergestelltes Verbandsmaterial, das in Deutschland von Junek Europ-Vertrieb parallel importiert und vertrieben wurde, nachdem es neu etikettiert worden war.

Rechtlicher Rahmen

3

Art. 13 („Erschöpfung des Rechts aus der [Union]smarke“) der Verordnung Nr. 207/2009 bestimmt:

„(1)   Die [Union]smarke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung in der [Union] in den Verkehr gebracht worden sind.

(2)   Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, dass der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

4

Lohmann & Rauscher International ist Inhaberin der am 22. Juni 2010 für „Sanitärprodukte für medizinische Zwecke“, „Pflaster“ und „Verbandsmaterial“ eingetragenen Unionsmarke Debrisoft Nr. 8852279. Sie stellt u. a das Produkt „Debrisoft zum Debridement, STERILE, 10 x 10 cm, 5 Stück“ (Verbandsmaterial, das bei der oberflächlichen Behandlung von Wunden verwendet wird her) und vertreibt es.

5

Junek Europ-Vertrieb ist in Österreich ansässig und vertreibt im Wege des Parallelimports von Lohmann & Rauscher International hergestellte und nach Österreich exportierte Sanitärprodukte für medizinische Zwecke und Verbandsmaterial.

6

Am 25. Mai 2012 erwarb Lohmann & Rauscher International in einer Apotheke in Düsseldorf (Deutschland) eine Schachtel des von Junek Europ-Vertrieb zuvor aus Österreich importierten Produkts „Debrisoft zum Debridement, STERILE, 10 x 10 cm, 5 Stück“. Auf dieser Schachtel hatte Junek Europ-Vertrieb vor der Veräußerung an die Apotheke einen Aufkleber (im Folgenden: streitiger Aufkleber) angebracht, der folgende Angaben enthielt: das für den Import verantwortliche Unternehmen, seine Anschrift sowie seine Telefonnummer, einen Strichcode und eine Pharmazentralnummer. Der Aufkleber war auf einem unbedruckten Teil der Schachtel angebracht und verdeckte nicht die Marke von Lohmann & Rauscher International.

7

Die Produktpackung wurde wie unten abgebildet verändert, wobei sich der streitige Aufkleber unten links befindet:

Image

8

Der streitige Aufkleber stellt sich vergrößert folgendermaßen dar:

Image

9

Junek Europ-Vertrieb hatte Lohmann & Rauscher International über den Reimport des betreffenden Produkts nicht vorab informiert und ihr auch keine veränderte Produktpackung mit dem streitigen Aufkleber zur Verfügung gestellt. Lohmann & Rauscher International sah in dem Verhalten von Junek Europ-Vertrieb eine Verletzung der Marke Debrisoft, deren Inhaberin sie ist.

10

Sie erhob deshalb beim Landgericht Düsseldorf (Deutschland) Klage, die u. a. darauf gerichtet ist, Junek Europ-Vertrieb bei Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten, die genannte Marke im geschäftlichen Verkehr ohne ihre Zustimmung zur Kennzeichnung von Verbandsmaterial zum Debridement zu benutzen, und sie zu verurteilen, die betreffenden Waren zurückzurufen, vom Markt zu nehmen und zu vernichten.

11

Das Landgericht Düsseldorf gab der Klage statt.

12

Das Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) wies die von Junek Europ-Vertrieb gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf eingelegte Berufung mit der Maßgabe zurück, dass sich das Verbot, die in Rede stehende Marke zu benutzen, lediglich auf Deutschland beziehe. Junek Europ-Vertrieb legte daraufhin beim Bundesgerichtshof (Deutschland) Revision ein.

13

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts hängt die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Frage ab, ob die vom Gerichtshof für den Parallelimport von Arzneimitteln entwickelten Grundsätze, nach denen die Vorabinformation und die Zurverfügungstellung eines Packungsmusters auf Verlangen des Markeninhabers eine Voraussetzung der Erschöpfung des Rechts aus der Marke darstelle, auch auf den Parallelimport von Medizinprodukten Anwendung fänden.

14

Das vorlegende Gericht führt erstens aus, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Umpacken mit einer Marke versehener Arzneimittel als solches den spezifischen Gegenstand der Marke, der darin bestehe, die Herkunft der mit ihr gekennzeichneten Ware zu garantieren, beeinträchtige. Es bezieht sich insbesondere auf die Urteile vom 23. April 2002, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑143/00, EU:C:2002:246), und vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑348/04, EU:C:2007:249), wonach der Gerichtshof entschieden habe, dass das Umpacken von Arzneimitteln durch einen Dritten ohne Zustimmung des Markeninhabers tatsächliche Gefahren für diese Herkunftsgarantie begründen könne und auch eine Neuetikettierung der Verpackung unter den Begriff des Umpackens falle.

15

Darüber hinaus sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Widerspruch des Markeninhabers gegen den Vertrieb umgepackter Arzneimittel gemäß Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009, der eine Abweichung von dem Grundsatz des freien Warenverkehrs darstelle, nicht zulässig, wenn die Ausübung dieses Rechts durch den Markeninhaber eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Art. 36 AEUV darstelle (Urteile vom 11. Juli 1996, Bristol-Myers Squibb u. a., C‑427/93, C‑429/93 und C‑436/93, EU:C:1996:282, sowie vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a., C‑348/04, EU:C:2007:249). Der Markeninhaber könne danach die Veränderung, die mit jedem Umpacken eines mit seiner Marke versehenen Arzneimittels verbunden sei und die ihrem Wesen nach die Gefahr einer Beeinträchtigung des Originalzustands des Arzneimittels schaffe, verbieten, es sei denn, fünf Voraussetzungen seien erfüllt:

Es sei erwiesen, dass die Geltendmachung einer Marke durch den Markeninhaber zu dem Zweck, sich dem Vertrieb der umgepackten Waren unter der Marke zu widersetzen, zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten beitragen würde;

es sei dargetan, dass das Umpacken den Originalzustand der in der Verpackung enthaltenen Ware nicht beeinträchtigen könne;

auf der neuen Verpackung sei klar angegeben, von wem das Arzneimittel umgepackt worden sei und wer der Hersteller sei;

das umgepackte Arzneimittel sei nicht so aufgemacht, dass dadurch der Ruf der Marke und ihres Inhabers geschädigt werden könne; die Verpackung dürfe folglich nicht schadhaft, von schlechter Qualität oder unordentlich sein;

der Importeur unterrichte den Markeninhaber vorab vom Feilhalten des umgepackten Arzneimittels und liefere ihm auf Verlangen ein Muster der umgepackten Ware.

16

Das vorlegende Gericht stellt zweitens fest, dass die Anwendbarkeit dieser Grundsätze nicht auf Fälle des Parallelimports von Arzneimitteln beschränkt sei. So habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 11. November 1997, Loendersloot (C‑349/95, EU:C:1997:530), entschieden, dass die Maßstäbe zum Umpacken von Arzneimitteln im Grundsatz auch auf den Parallelhandel mit alkoholischen Getränken Anwendung fänden. Darüber hinaus hänge die Frage, welche der Voraussetzungen der Erschöpfung des Rechts aus der Marke zur Anwendung kämen, von den im Einzelfall maßgeblichen legitimen Interessen des Markeninhabers mit Blick auf die Besonderheiten des Erzeugnisses ab.

17

Das vorlegende Gericht führt drittens aus, dass im vorliegenden Fall eine Neuetikettierung vorliege. Wie das Berufungsgericht nimmt es an, dass der von Junek Europ-Vertrieb angebrachte streitige Aufkleber wichtige Informationen in der Sprache des Einfuhrlands enthalte und durch diesen Aufkleber beim Verbraucher Zweifel daran ausgelöst werden könnten, dass an der ihm angebotenen Ware auf einer früheren Vermarktungsstufe durch einen Dritten ohne Zustimmung des Markeninhabers ein Eingriff vorgenommen worden sei, der den Originalzustand der Ware beeinträchtige.

18

Was viertens die Frage anbelangt, ob die vom Gerichtshof für den Parallelimport von Arzneimitteln entwickelten Grundsätze auf den Parallelimport von Medizinprodukten uneingeschränkt Anwendung finden, betont das vorlegende Gericht, Medizinprodukte durchliefen zwar kein Zulassungsverfahren wie Arzneimittel, jedoch mache das zu ihrer Verkehrsfähigkeit notwendige Konformitätsbewertungsverfahren sie sowohl aus der Sicht der Hersteller als auch aus der Perspektive der Verbraucher zu besonders sensiblen Produkten, bei denen die Herkunftsgarantie der Marke aufgrund der hohen Verantwortlichkeit des Herstellers eine besondere Bedeutung erlange.

19

Darüber hinaus handele es sich bei Medizinprodukten – ebenso wie bei Arzneimitteln – um Erzeugnisse, die einen unmittelbaren Gesundheitsbezug aufwiesen. Da die eigene Gesundheit eine besondere Wertschätzung und Aufmerksamkeit des Verbrauchers genieße, sei die Annahme des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, Medizinprodukte gehörten wie Arzneimittel zu den besonders sensiblen Produkten, bei denen die Herkunftsgarantie der auf dem Erzeugnis angegebenen Marke aufgrund der hohen Verantwortlichkeit des Herstellers eine besondere Bedeutung erlange.

20

Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen, dass der Inhaber der Marke sich dem weiteren Vertrieb eines aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Medizinprodukts in seiner inneren und äußeren Originalverpackung, die vom Importeur mit einem zusätzlichen äußeren Aufkleber versehen wurde, widersetzen kann, es sei denn,

es ist erwiesen, dass die Geltendmachung einer Marke durch den Markeninhaber zu dem Zweck, sich dem Vertrieb der mit einem neuen Aufkleber versehenen Ware unter der Marke zu widersetzen, zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten beitragen würde;

es ist dargetan, dass die Neuetikettierung den Originalzustand der in der Verpackung enthaltenen Ware nicht beeinträchtigen kann;

auf der Verpackung ist klar angegeben, von wem der neue Aufkleber auf der Ware angebracht worden ist und wer deren Hersteller ist;

das mit diesem neuen Aufkleber versehene Erzeugnis ist nicht so aufgemacht, dass dadurch der Ruf der Marke und ihres Inhabers geschädigt werden kann; der Aufkleber darf folglich nicht schadhaft, von schlechter Qualität oder unordentlich sein;

der Importeur unterrichtet den Markeninhaber vor dem Inverkehrbringen des mit einem neuen Aufkleber versehenen Erzeugnisses und liefert ihm auf Verlangen ein Muster dieser Ware?

Zur Vorlagefrage

21

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass sich der Inhaber einer Marke dem weiteren Vertrieb eines Medizinprodukts in seiner inneren und äußeren Originalverpackung durch einen Parallelimporteur widersetzen kann, wenn vom Importeur ein zusätzlicher Aufkleber wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende angebracht wurde. Es möchte insbesondere wissen, ob die vom Gerichtshof in seinen Urteilen vom 11. Juli 1996, Bristol-Myers Squibb u. a. (C‑427/93, C‑429/93 und C‑436/93, EU:C:1996:282), und vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑348/04, EU:C:2007:249), entwickelten Grundsätze auf den Parallelimport von Medizinprodukten uneingeschränkt Anwendung finden.

22

Zunächst sind die Rechtsprechung des Gerichtshofs sowie die von ihm für den Parallelimport von Arzneimitteln entwickelten Grundsätze in Erinnerung zu rufen.

23

Nach ständiger Rechtsprechung besteht der spezifische Gegenstand der Marke darin, die Herkunft des mit ihr versehenen Erzeugnisses zu garantieren, und kann ein Umpacken dieses Erzeugnisses durch einen Dritten ohne Zustimmung des Markeninhabers tatsächliche Gefahren für diese Herkunftsgarantie begründen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2016, Ferring Lægemidler, C‑297/15, EU:C:2016:857, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24

Gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs beeinträchtigt das Umpacken mit der Marke versehener Erzeugnisse als solches den spezifischen Gegenstand der Marke, ohne dass in diesem Zusammenhang geprüft werden muss, welche konkreten Auswirkungen das Umpacken durch den Parallelimporteur hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a., C‑348/04, EU:C:2007:249, Rn. 15).

25

Darüber hinaus hat der Gerichtshof in Bezug auf Art. 7 Abs. 2 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1), der dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 entspricht, festgestellt, dass nach dieser Bestimmung der Widerspruch des Markeninhabers gegen das Umpacken, der eine Abweichung vom Grundsatz des freien Warenverkehrs darstellt, nicht zulässig ist, wenn die Ausübung dieses Rechts durch den Markeninhaber eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 36 Satz 2 AEUV darstellt (Urteile vom 23. April 2002, Boehringer Ingelheim u. a., C‑143/00, EU:C:2002:246, Rn. 18, und vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a., C‑348/04, EU:C:2007:249, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Eine solche verschleierte Beschränkung im Sinne der letztgenannten Bestimmung liegt vor, wenn der Markeninhaber durch die Ausübung seines Rechts, sich dem Umpacken zu widersetzen, zur künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beiträgt und wenn das Umpacken zudem unter Beachtung der berechtigten Interessen des Markeninhabers erfolgt; dies setzt insbesondere voraus, dass das Umpacken den Originalzustand des Arzneimittels nicht beeinträchtigt und den Ruf der Marke nicht schädigt (Urteil vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a., C‑348/04, EU:C:2007:249, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Der Gerichtshof hat damit Grundsätze für die Beschränkung der Erschöpfung des Rechts aus der Marke im Rahmen des Parallelimports von Arzneimitteln entwickelt (Urteile vom 11. Juli 1996, Bristol-Myers Squibb u. a., C‑427/93, C‑429/93 und C‑436/93, EU:C:1996:282, Rn. 79, und vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a., C‑348/04, EU:C:2007:249, Rn. 32).

28

Nach dieser Rechtsprechung kann sich der Inhaber einer Marke gemäß Art. 7 Abs. 2 der Ersten Richtlinie 89/104 dem weiteren Vertrieb eines aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Arzneimittels in einem Mitgliedstaat widersetzen, wenn der Importeur es umgepackt und die Marke wieder darauf angebracht hat, es sei denn,

es ist erwiesen, dass die Geltendmachung einer Marke durch den Markeninhaber zu dem Zweck, sich dem Vertrieb der umgepackten Ware unter der Marke zu widersetzen, zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten beitragen würde;

es ist dargetan, dass das Umpacken den Originalzustand der in der Verpackung enthaltenen Ware nicht beeinträchtigen kann;

auf der Verpackung ist klar angegeben, von wem die Ware umgepackt worden ist und wer deren Hersteller ist;

das umgepackte Erzeugnis ist nicht so aufgemacht, dass dadurch der Ruf der Marke und ihres Inhabers geschädigt werden kann; der Aufkleber darf folglich nicht schadhaft, von schlechter Qualität oder unordentlich sein;

der Importeur unterrichtet den Markeninhaber vor dem Inverkehrbringen des umgepackten Erzeugnisses und liefert ihm auf Verlangen ein Muster dieser Ware.

29

Somit finden die in Rn. 28 genannten Voraussetzungen dafür, dass sich der Markeninhaber dem weiteren Vertrieb der betreffenden Ware nicht widersetzen kann, nur Anwendung, wenn der Importeur sie umgepackt hat.

30

Der Gerichtshof hat klargestellt, dass der Begriff des Umpackens die Neuetikettierung von mit der Marke versehenen Arzneimitteln umfasst (Urteil vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a., C‑348/04, EU:C:2007:249, Rn. 28).

31

Der Sachverhalt, der den Urteilen vom 23. April 2002, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑143/00, EU:C:2002:246), und vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑348/04, EU:C:2007:249), die den Fall betrafen, dass ein zusätzlicher Aufkleber auf der Verpackung der betreffenden Arzneimittel angebracht wurde, zugrunde lag, unterscheidet sich jedoch von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt.

32

Aus Rn. 7 des Urteils vom 23. April 2002, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑143/00, EU:C:2002:246), und Rn. 24 des Urteils vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑348/04, EU:C:2007:249), ergibt sich nämlich, dass in den diesen Urteilen zugrunde liegenden Rechtssachen in einigen Fällen ein Etikett mit einigen wichtigen Informationen wie dem Namen des Parallelimporteurs und seiner Lizenznummer für den Parallelimport aufgeklebt worden war, in anderen Fällen das betreffende Erzeugnis in vom Parallelimporteur gestaltete Schachteln umgepackt worden war, auf denen die Marke wiedergegeben worden war, und in manchen Fällen dieses Erzeugnis auch in Schachteln umgepackt worden war, die vom Parallelimporteur gestaltet worden waren und nicht die Marke, sondern den Gattungsnamen des Erzeugnisses trugen. Darüber hinaus enthielten die Schachteln – so der Gerichtshof – in allen Fällen des Umpackens einen für die Patienten bestimmten Beipackzettel in der Sprache des Einfuhrlands, d. h. in englischer Sprache, auf dem sich die in Rede stehende Marke befand.

33

Demnach ging es in den den beiden Urteilen Boehringer Ingelheim u. a. zugrunde liegenden Rechtssachen um einen Eingriff des Parallelimporteurs, bei dem nicht nur ein zusätzlicher äußerer Aufkleber auf der Verpackung der betreffenden Arzneimittel angebracht oder diese ersetzt wurde, sondern auch in allen Fällen die Originalverpackung geöffnet wurde, um einen Beipackzettel in einer anderen Sprache als der des Herkunftslands der Ware, auf dem sich die in Rede stehende Marke befand, hinzuzufügen.

34

Im Ausgangsverfahren hat der Parallelimporteur lediglich einen zusätzlichen Aufkleber auf einem unbedruckten Teil der zudem ungeöffneten Originalverpackung des in Rede stehenden Medizinprodukts angebracht. Darüber hinaus ist dieser Aufkleber klein und enthält als einzige Angaben den Namen des Parallelimporteurs sowie seine Anschrift und seine Telefonnummer, einen Strichcode und eine Pharmazentralnummer, die dazu dient, den Warenverkehr mit Apotheken zu organisieren.

35

Da die Verpackung des betreffenden Medizinprodukts nicht verändert wurde und die ursprüngliche Aufmachung der Verpackung nicht anders beeinträchtigt wurde als durch Anbringen eines kleinen Aufklebers, der die Marke nicht verdeckt und den Parallelimporteur unter Angabe seiner Kontaktdaten, eines Strichcodes und einer Pharmazentralnummer als Verantwortlichen für das Inverkehrbringen ausweist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Anbringen eines solchen Aufklebers um ein Umpacken im Sinne der Urteile vom 23. April 2002, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑143/00, EU:C:2002:246), und vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑348/04, EU:C:2007:249), handelt.

36

Deshalb kann jedenfalls nicht angenommen werden, dass das Anbringen eines solchen Aufklebers den spezifischen Gegenstand der Marke beeinträchtigt, der darin besteht, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Herkunft der mit ihr versehenen Ware zu garantieren.

37

Dass der Parallelimporteur, Junek Europ-Vertrieb, einen zusätzlichen Aufkleber wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf der ungeöffneten Originalverpackung des Medizinprodukts angebracht hat, ist für den Markeninhaber, im vorliegenden Fall Lohmann & Rauscher International, unter diesen Umständen kein berechtigter Grund, sich dem weiteren Vertrieb des betreffenden Medizinprodukts zu widersetzen.

38

Somit handelt es sich bei der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Konstellation um einen Fall der Erschöpfung des Rechts aus der Marke gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009.

39

Nach alledem ist auf die Frage zu antworten, dass Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass sich der Inhaber einer Marke dem weiteren Vertrieb eines Medizinprodukts in seiner inneren und äußeren Originalverpackung durch einen Parallelimporteur nicht widersetzen kann, wenn vom Importeur ein zusätzlicher Aufkleber wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende angebracht wurde, der aufgrund seines Inhalts, seiner Funktion, seiner Größe, seiner Aufmachung und seiner Platzierung keine Gefahr für die Herkunftsgarantie des mit der Marke versehenen Medizinprodukts darstellt.

Kosten

40

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 13 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die [Unions]marke ist dahin auszulegen, dass sich der Inhaber einer Marke dem weiteren Vertrieb eines Medizinprodukts in seiner inneren und äußeren Originalverpackung durch einen Parallelimporteur nicht widersetzen kann, wenn vom Importeur ein zusätzlicher Aufkleber wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende angebracht wurde, der aufgrund seines Inhalts, seiner Funktion, seiner Größe, seiner Aufmachung und seiner Platzierung keine Gefahr für die Herkunftsgarantie des mit der Marke versehenen Medizinprodukts darstellt.

 

Da Cruz Vilaça

Levits

Borg Barthet

Berger

Biltgen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Mai 2018.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Präsident der Fünften Kammer

J. L. da Cruz Vilaça


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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