EUGH C-541/16

ECLI:ECLI:EU:C:2018:251
12.04.2018

Gericht

Europäischer Gerichtshof

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

12. April 2018 ( *1 )

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 – Art. 2 Nr. 6 – Art. 8 – Kabotage – Begriff – Definition, die in einem von der Kommission erstellten Dokument ‚Fragen und Antworten‘ enthalten ist – Rechtliche Bedeutung – Innerstaatliche Durchführungsmaßnahmen, mit denen die Anzahl der Belade- und Entladeorte, die Teil einer Kabotage sein können, begrenzt wird – Ermessensspielraum – Beschränkung – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C‑541/16

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 25. Oktober 2016,

Europäische Kommission, vertreten durch J. Hottiaux, L. Grønfeldt und U. Nielsen als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Königreich Dänemark, zunächst vertreten durch C. Thorning, dann durch J. Nymann-Lindegren und M. Søndahl Wolff als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richter E. Levits und A. Borg Barthet, der Richterin M. Berger sowie des Richters F. Biltgen (Berichterstatter),

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2017,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. November 2017

folgendes

Urteil

1

Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass das Königreich Dänemark gegen seine Verpflichtungen aus Art. 2 Nr. 6 und Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs (ABl. 2009, L 300, S. 72) verstoßen hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 1072/2009

2

Die Verordnung Nr. 1072/2009 soll eine gemeinsame Verkehrspolitik schaffen, u. a. durch Aufstellung gemeinsamer Regeln für den Marktzugang im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr im Gebiet der Europäischen Union sowie Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind. Nach dieser Verordnung gilt der Grundsatz, dass der grenzüberschreitende Verkehr einer Gemeinschaftslizenz unterliegt, die jedem gewerblichen Güterkraftverkehrsunternehmer erteilt werden kann.

3

In den Erwägungsgründen 4 bis 6, 13 und 15 der Verordnung Nr. 1072/2009 heißt es:

„(4)

Die Schaffung einer gemeinsamen Verkehrspolitik erfordert die Beseitigung aller Beschränkungen, die mit der Staatsangehörigkeit des Erbringers der einschlägigen Verkehrsdienstleistungen oder damit zusammenhängen, dass dieser in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist als dem, in dem die Dienstleistungen erbracht werden sollen.

(5)

Damit dies reibungslos und flexibel erreicht werden kann, sollte vor der Anwendung der endgültigen Regelung eine Übergangsregelung für die Kabotage vorgesehen werden, solange die Harmonisierung des Kraftverkehrsmarkt[s] noch nicht abgeschlossen ist.

(6)

Die schrittweise Vollendung des Binnenmarkt[s] sollte zur Aufhebung von Zugangsbeschränkungen zu den Inlandsmärkten der Mitgliedstaaten führen. Dabei sollten jedoch die Wirksamkeit der Kontrollen, die Entwicklung der Beschäftigungsbedingungen in der Branche, die Harmonisierung der Vorschriften unter anderem in den Bereichen der Durchsetzung, der Straßenbenutzungsgebühren und die sozialen und sicherheitstechnischen Rechtsvorschriften berücksichtigt werden. Die Kommission sollte die Marktlage sowie die vorstehend genannte Harmonisierung eng überwachen und gegebenenfalls die weitere Öffnung der inländischen Straßenverkehrsmärkte, einschließlich der Kabotage, vorschlagen.

(13)

Verkehrsunternehmer, die Inhaber der Gemeinschaftslizenz gemäß dieser Verordnung sind, sowie Verkehrsunternehmer, die zur Durchführung bestimmter Kategorien grenzüberschreitender Beförderungen berechtigt sind, sollten im Einklang mit dieser Verordnung zeitweilig zur innerstaatlichen Beförderung in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen werden, ohne dort über einen Unternehmenssitz oder eine Niederlassung verfügen zu müssen. …

(15)

Unbeschadet der Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit ist die Kabotagebeförderung die Erbringung von Dienstleistungen durch einen Verkehrsunternehmer in einem Mitgliedstaat, in dem er nicht niedergelassen ist; sie sollte nicht untersagt werden, sofern sie nicht dergestalt durchgeführt wird, dass dadurch eine dauerhafte oder ununterbrochene Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat entsteht. Im Hinblick auf die Durchsetzung dieser Forderung sollten die Häufigkeit der Kabotagebeförderungen und der Zeitraum, in dem sie durchgeführt werden können, klarer bestimmt werden. In der Vergangenheit wurden solche innerstaatlichen Beförderungen zeitweilig erlaubt. Praktisch war es aber schwierig festzustellen, welche Dienste erlaubt sind. Daher bedarf es klarer und einfach durchzusetzender Vorschriften.“

4

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 1072/2009 bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

6.

‚Kabotage‘ gewerblichen innerstaatlichen Verkehr, der im Einklang mit dieser Verordnung zeitweilig in einem Aufnahmemitgliedstaat durchgeführt wird;

…“

5

Art. 8 in Kapitel III („Kabotage“) der Verordnung Nr. 1072/2009 sieht in seinen Abs. 1 und 2 vor:

„(1)   Jeder Verkehrsunternehmer, der Inhaber einer Gemeinschaftslizenz ist und dessen Fahrer, wenn er Staatsangehöriger eines Drittlandes ist, eine Fahrerbescheinigung mit sich führt, ist unter den in diesem Kapitel festgelegten Bedingungen zur Durchführung von Kabotage berechtigt.

(2)   Die in Absatz 1 genannten Güterkraftverkehrsunternehmer sind berechtigt, im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung aus einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland in den Aufnahmemitgliedstaat nach Auslieferung der Güter bis zu drei Kabotagebeförderungen mit demselben Fahrzeug oder im Fall von Fahrzeugkombinationen mit dem Kraftfahrzeug desselben Fahrzeugs durchzuführen. Bei Kabotagebeförderungen erfolgt die letzte Entladung, bevor der Aufnahmemitgliedstaat verlassen wird, innerhalb von sieben Tagen nach der letzten Entladung der in den Aufnahmemitgliedstaat eingeführten Lieferung.

Innerhalb der Frist gemäß Unterabsatz 1 können die Verkehrsunternehmer einige oder alle der Kabotagebeförderungen, zu denen sie gemäß Unterabsatz 1 berechtigt sind, in jedem Mitgliedstaat unter der Voraussetzung durchführen, dass sie auf eine Kabotagebeförderung je Mitgliedstaat innerhalb von drei Tagen nach der Einfahrt des unbeladenen Fahrzeugs in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats beschränkt sind.“

Dänisches Recht

6

In Nr. 3 der Cabotagevejledning gældende fra den 14. maj 2010. En vejdledning om cabotagereglerne i Europarlamentets og Rådets forordning nr. 1072/2009 om fælles regler for adgang til markedet for international godskørsel (Leitlinien, geltend ab 14. Mai 2010 – Leitlinien betreffend die gemeinsamen Regeln für den Zugang zum Markt der grenzüberschreitenden Kabotage im Straßenverkehr nach der Verordnung Nr. 1072/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, im Folgenden: Kabotage-Leitlinien), die das Trafikstyrelse (Verkehrsbehörde, Dänemark) auf seiner Internetseite am 21. Mai 2010 veröffentlicht hat, heißt es:

„Kabotage bezeichnet eine innerstaatliche Güterlieferung von der Abholung der Güter bis zu deren Auslieferung bei dem im Frachtbrief genannten Empfänger. Eine Kabotage kann entweder mehrere Beladeorte oder mehrere Entladeorte umfassen.“

Vorverfahren

7

Am 2. Oktober 2013 ersuchte die Kommission das Königreich Dänemark im Rahmen eines EU-Pilotverfahrens (Nr. 5703/13) um zusätzliche Informationen, um beurteilen zu können, ob die dänischen Rechtsvorschriften über die Kabotage mit der Verordnung Nr. 1072/2009 vereinbar seien. Dabei trug sie drei Rügen vor. Diese betrafen die Verpflichtung der Vorlage der einschlägigen Dokumente spezifisch im Zeitpunkt der Kontrolle der Einhaltung der Kabotageregeln, die Höhe der gegen die Verkehrsunternehmer bei einem Verstoß gegen diese Regeln verhängten Geldbußen und die Begrenzung der Möglichkeit, eine mehrere Beladeorte und mehrere Entladeorte umfassende Kabotage durchzuführen.

8

Das Königreich Dänemark kam diesem Ersuchen mit Schreiben vom 18. November und 12. Dezember 2013 nach.

9

Da sie diese Antworten für nicht zufriedenstellend hielt, sandte die Kommission diesem Mitgliedstaat am 11. Juli 2014 ein Mahnschreiben und wiederholte die drei in Rn. 7 des vorliegenden Urteils dargestellten Rügen.

10

Mit Schreiben vom 9. September 2014 trat das Königreich Dänemark diesen Rügen entgegen.

11

Am 25. September 2015 richtete die Kommission an das Königreich Dänemark eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie ausführte, dass ihr die Erklärungen der dänischen Behörden und die Änderung der dänischen Vorschriften im Zusammenhang mit der Rüge der Verpflichtung, die einschlägigen Dokumente spezifisch im Zeitpunkt der Kontrolle vorzulegen, genügten. Die mit Gründen versehene Stellungnahme bezog sich somit nur auf die beiden anderen Rügen.

12

Das Königreich Dänemark antwortete auf diese mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 25. November 2015, in dem es weitere Erklärungen gab.

13

Der Kommission genügten die Erklärungen zu der Rüge, die die Höhe der gegen die Verkehrsunternehmer bei einem Verstoß gegen die Kabotageregeln verhängten Geldbußen betraf. Daher hat sie die vorliegende Klage beschränkt auf die Rüge der Begrenzung der Anzahl der Beladeorte und der Entladeorte, die eine Kabotage umfassen darf, erhoben.

Zur Klage

Vorbringen der Parteien

14

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Kommission vor, der Begriff „Kabotage“ in Art. 2 Nr. 6 und Art. 8 der Verordnung Nr. 1072/2009 sei dahin auszulegen, dass eine einzige Kabotage mehrere Beladeorte, mehrere Entladeorte, sogar mehrere Belade- und Entladeorte umfassen könne.

15

Die Kommission macht geltend, dass die Vertreter der Mitgliedstaaten bei der Sitzung des Ausschusses für den Straßenverkehr am 25. Oktober 2010 zu einer Einigung über diese Auslegung gelangt seien, die auf der Website der Generaldirektion (GD) „Mobilität und Verkehr“ der Kommission in Form eines Dokuments „Fragen und Antworten“ veröffentlicht worden sei und die seitdem für alle Mitgliedstaaten verbindlich sei.

16

Da die vom Königreich Dänemark erlassenen Kabotage-Leitlinien vorsähen, dass eine Kabotage entweder mehrere Beladeorte oder mehrere Entladeorte umfassen dürfe, entsprechen sie nach Ansicht der Kommission weder dieser Auslegung noch dem von der Verordnung Nr. 1072/2009 verfolgten Ziel.

17

In ihrer Erwiderung schließlich weist die Kommission das Vorbringen des Königreichs Dänemark zurück, wonach die Mitgliedstaaten ein Ermessen für den Erlass innerstaatlicher Durchführungsmaßnahmen hätten, um die Definition des Begriffs „Kabotage“ im Sinne der Verordnung Nr. 1072/2009 zu klären. Ein derartiges Ermessen könne nicht bestehen, da der Begriff durch Art. 2 Nr. 6 und Art. 8 der Verordnung harmonisiert worden sei, und in jedem Fall stünden die Kabotage-Leitlinien nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang.

18

Das Königreich Dänemark tritt der von der Kommission empfohlenen Auslegung des Begriffs „Kabotage“ entgegen. Es weist darauf hin, dass Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1072/2009 lediglich vorsehe, dass mit demselben Fahrzeug bis zu drei Kabotagebeförderungen durchgeführt werden könnten, jedoch nicht spezifiziere, wie viele Beladeorte und Entladeorte eine einzige Kabotage umfassen dürfe. Daher mangele es der Verordnung in Bezug auf die Definition dieses Begriffs an Klarheit.

19

Dieser Mangel an Klarheit werde dadurch bestätigt, dass die in der Verordnung Nr. 1072/2009 vorgesehenen Regeln über die Kabotagebeförderung in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt und angewandt würden, wie dies insbesondere aus den S. 18 und 19 des Berichts der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über den Stand des Kraftverkehrsmarkts in der Europäischen Union (COM[2014] 222 final) hervorgehe. Die Kommission habe zudem selbst eingeräumt, dass die Definition der Kabotage in der Verordnung Nr. 1072/2009 problematisch sei und dass sie eine Überarbeitung dieser Verordnung beabsichtige, um insoweit Abhilfe zu schaffen.

20

Zu dem Argument, die Auslegung des Begriffs der Kabotage sei nach einer Sitzung des Ausschusses für den Straßenverkehr geklärt und die von den Vertretern der Mitgliedstaaten hierbei festgelegte neue Definition sei in dem Dokument „Fragen und Antworten“ enthalten, das für die Mitgliedsaaten verbindlich sei, trägt das Königreich Dänemark vor, dass dieses Dokument keine rechtliche Bedeutung habe und dass die in ihm enthaltene Definition nicht auf einem Einvernehmen der Mitgliedstaaten beruhe.

21

Der Gerichtshof habe in Rn. 48 des Urteils vom 21. Dezember 2011, Danske Svineproducenter (C‑316/10, EU:C:2011:863), entschieden, die Mitgliedstaaten hätten, wenn eine Verordnung unklar sei, ein Ermessen, um auf nationaler Ebene Maßnahmen zu erlassen, die insoweit Abhilfe schüfen, vorausgesetzt allerdings, diese Maßnahmen seien verhältnismäßig und stünden mit den von der fraglichen Verordnung verfolgten Zielen in Einklang.

22

Gemäß Art. 2 Nr. 6 und Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1072/2009, ausgelegt im Licht des 15. Erwägungsgrundes dieser Verordnung, bestehe deren Ziel darin, innerstaatliche Güterverkehrstransporte im Aufnahmemitgliedstaat, die von gebietsfremden Kraftverkehrsunternehmen durchgeführt würden, zu beschränken, indem es u. a. untersagt werde, Kabotagebeförderungen dergestalt durchzuführen, dass dadurch eine dauerhafte oder ununterbrochene Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat entstehe.

23

Wenn nun aber die Anzahl der Belade- und Entladeorte nicht begrenzt werde, sei es einem gebietsfremden Kraftverkehrsunternehmer möglich, eine Vielzahl von Beförderungen im Aufnahmemitgliedstaat durchzuführen und sie als eine einzige Kabotage anzusehen, so dass die in der Verordnung Nr. 1072/2009 vorgesehene Begrenzung auf drei Beförderungen umgangen werden könnte.

24

Das Königreich Dänemark leitet daraus ab, dass die Kabotage-Leitlinien, soweit sie die zeitweilige Natur der Kabotage gewährleisteten und dazu beitrügen, den Auslastungsgrad der Lastkraftwagen zu verbessern und Leerfahrten zugunsten der Effizienz der Beförderungen zu vermeiden, mit dem Ziel der Verordnung Nr. 1072/2009 in Einklang stünden. Diese Maßnahmen könnten außerdem die Rechtssicherheit verbessern und sicherstellen, dass die Kontrolle, ob die Verordnung eingehalten worden sei, wirksam sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

25

Zur Entscheidung über die Begründetheit der vorliegenden Klage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens Sache der Kommission ist, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen und dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte zu liefern, die es diesem ermöglichen, das Vorliegen der Vertragsverletzung zu prüfen, ohne dass sich die Kommission hierfür auf irgendeine Vermutung stützen kann (Urteile vom 12. Mai 2005, Kommission/Belgien, C‑287/03, EU:C:2005:282, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 19. Mai 2011, Kommission/Malta, C‑376/09, EU:C:2011:320, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Im vorliegenden Fall wirft die Kommission dem Königreich Dänemark vor, seinen Verpflichtungen aus Art. 2 Nr. 6 und Art. 8 der Verordnung Nr. 1072/2009 nicht nachgekommen zu sein, indem es innerstaatliche Durchführungsmaßnahmen erlassen habe, mit denen die Auslegung des Begriffs „Kabotage“ im Sinne dieser Verordnung geklärt werden solle, obwohl dieser Mitgliedstaat hierzu nicht befugt gewesen sei. Jedenfalls stünden diese Maßnahmen nicht im Einklang mit dem von der Verordnung Nr. 1072/2009 verfolgten Ziel.

27

In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass Bestimmungen von Verordnungen zwar aufgrund ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Unionsrechts im Allgemeinen unmittelbare Wirkung in den nationalen Rechtsordnungen haben, ohne dass nationale Durchführungsmaßnahmen erforderlich wären, doch kann es vorkommen, dass manche Verordnungsbestimmungen zu ihrer Durchführung des Erlasses von Durchführungsmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten bedürfen (Urteile vom 21. Dezember 2011, Danske Svineproducenter, C‑316/10, EU:C:2011:863, Rn. 39 und 40, und vom 30. März 2017, Lingurár, C‑315/16, EU:C:2017:244, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen zur Durchführung einer Verordnung erlassen, wenn sie deren unmittelbare Anwendbarkeit nicht vereiteln, deren unionsrechtliche Natur nicht verbergen und die Ausübung des ihnen durch die betreffende Verordnung verliehenen Wertungsspielraums innerhalb der Grenzen dieser Vorschriften konkretisieren (Urteile vom 21. Dezember 2011, Danske Svineproducenter, C‑316/10, EU:C:2011:863, Rn. 41, und vom 30. März 2017, Lingurár, C‑315/16, EU:C:2017:244, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29

Daher ist unter Bezugnahme auf die einschlägigen Bestimmungen der fraglichen Verordnung, die im Licht der Ziele der Verordnung auszulegen sind, festzustellen, ob diese Bestimmungen es den Mitgliedstaaten verbieten, gebieten oder gestatten, bestimmte Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, und, insbesondere im letztgenannten Fall, ob sich die betreffende Maßnahme in den Rahmen des den einzelnen Mitgliedstaaten eingeräumten Ermessens einfügt (Urteil vom 30. März 2017, Lingurár, C‑315/16, EU:C:2017:244, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Vorliegend ermächtigen die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1072/2009, nämlich ihr Art. 2 Nr. 6 sowie ihr Art. 8, die Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich dazu, innerstaatliche Durchführungsmaßnahmen über die Kabotage zu erlassen.

31

Wie sich aus Rn. 28 des vorliegenden Urteils ergibt und wie der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können die Mitgliedstaaten jedoch innerstaatliche Maßnahmen zur Durchführung einer Verordnung erlassen, auch wenn diese Verordnung sie dazu nicht ausdrücklich ermächtigt.

32

Der Gerichtshof hat bereits in den Rn. 48 bis 50 des Urteils vom 21. Dezember 2011, Danske Svineproducenter (C‑316/10, EU:C:2011:863), im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates vom 22. Dezember 2004 über den Schutz von Tieren beim Transport und damit zusammenhängenden Vorgängen sowie zur Änderung der Richtlinien 64/432/EWG und 93/119/EG und der Verordnung (EG) Nr. 1255/97 (ABl. 2005, L 3, S. 1) entschieden, dass den Mitgliedstaaten ein gewisser Ermessensspielraum zuzubilligen ist, der es ihnen erlaubt, innerstaatliche Maßnahmen zu erlassen, mit denen bezifferte Vorgaben für die lichte Höhe der Decks bei der Beförderung von Schweinen auf der Straße festgelegt werden. Denn diese Verordnung ermächtigte die Mitgliedstaaten zwar nicht ausdrücklich zum Erlass dieser Vorgaben, legte selbst aber auch nicht genau die Höhe dieser Decks fest.

33

Gleichfalls hat der Gerichtshof in den Rn. 36 und 40 bis 43 des Urteils vom 28. Oktober 2010, SGS Belgium u. a. (C‑367/09, EU:C:2010:648), entschieden, dass, auch wenn die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1995, L 312, S. 1) die Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich zu diesem Schutz ermächtigte, Letztere doch berechtigt waren, innerstaatliche Durchführungsmaßnahmen über die Sanktionen zu erlassen, die bei einem Verstoß gegen das Unionsrecht, der einen Schaden für den Haushalt der Union bewirkt, verhängt werden können. Die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung beschränkten sich nämlich darauf, allgemeine Regeln festzulegen, und stellten weder klar, in welcher Situation noch auf welche Person die einzelnen Sanktionen jeweils anzuwenden waren.

34

Daher ist auf die gleiche Art und Weise zu prüfen, ob, wie das Königreich Dänemark geltend macht, der Begriff „Kabotage“ so, wie er in der Verordnung Nr. 1072/2009 definiert ist, unklar ist, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob eine Kabotage mehrere Belade- und mehrere Entladeorte umfassen kann, und folglich der Erlass innerstaatlicher Durchführungsmaßnahmen zur Klarstellung der Tragweite dieses Begriffs gerechtfertigt ist.

35

Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Nr. 6 der Verordnung Nr. 1072/2009 den Begriff der Kabotage definiert als „gewerblichen innerstaatlichen Verkehr, der … zeitweilig in einem Aufnahmemitgliedstaat durchgeführt wird“, ohne dass allerdings in irgendeiner Weise die Anzahl der Belade- oder Entladeorte klargestellt wird, die eine solche Beförderung umfassen darf.

36

Art. 8 Abs. 2 der Verordnung sieht vor, dass gebietsfremde Verkehrsunternehmer berechtigt sind, im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung aus einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland in den Aufnahmemitgliedstaat nach Auslieferung der Güter bis zu drei Kabotagebeförderungen durchzuführen. In dieser Vorschrift wird klargestellt, dass bei Kabotagebeförderungen die letzte Entladung, bevor der Aufnahmemitgliedstaat verlassen wird, innerhalb von sieben Tagen nach der letzten Entladung der in den Aufnahmemitgliedstaat eingeführten Lieferung erfolgt.

37

Der Wendung „… die letzte Entladung [bei Kabotagebeförderungen]“ in diesem Artikel ist zwar zu entnehmen, dass eine Kabotage mehrere Entladeorte umfassen kann, diese Vorschrift sagt jedoch nichts dazu, ob eine Kabotage auch mehrere Beladeorte umfassen kann.

38

Folglich ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 2 Nr. 6 und der Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1072/2009 es nicht erlauben, die Frage zu beantworten, ob der Begriff „Kabotage“ in dieser Verordnung dahin zu verstehen ist, dass eine Kabotage mehrere Beladeorte und mehrere Entladeorte umfassen kann.

39

Wie indes der Generalanwalt in Nr. 44 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, stellt die Tatsache, dass eine Bestimmung einer Verordnung allgemein oder ungenau formuliert ist, einen Hinweis darauf dar, dass innerstaatliche Durchführungsmaßnahmen erforderlich sind.

40

Da das Ziel der Verordnung Nr. 1072/2009 nach ihrem 26. Erwägungsgrund darin besteht, einen einheitlichen Rahmen für den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr in der gesamten Union zu gewährleisten, verwehrt es diese Verordnung auch nicht, dass ein Mitgliedstaat bestimmte Maßnahmen zu deren Durchführung erlässt. Insbesondere zur Kabotage stellt der fünfte Erwägungsgrund der Verordnung nämlich klar, dass eine Übergangsregelung für diese Beförderungsart vorgesehen werden sollte, solange die Harmonisierung des Kraftverkehrsmarkts noch nicht abgeschlossen ist.

41

Zweitens ist für die Entscheidung, ab wann die Grenze von drei Beförderungen gemäß Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1072/2009 als erreicht anzusehen ist, zu ermitteln, ob eine Beförderung mit mehreren Beladeorten und mehreren Entladeorten eine einzige Kabotage oder mehrere Kabotagen darstellt.

42

Drittens steht fest, dass der Begriff „Kabotage“ im Sinne der Verordnung Nr. 1072/2009 je nach Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt wird. Wie der Generalanwalt in Nr. 49 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sind Dänemark und bis vor Kurzem auch Finnland der Auffassung, dass eine Kabotagebeförderung nicht mehrere Beladeorte und mehrere Entladeorte umfassen könne. Das Königreich Belgien, die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Polen erlauben mehrere Beladeorte und mehrere Entladeorte, wenn ein einziger Frachtauftrag gegeben ist oder wenn die Waren denselben Absender und denselben Empfänger haben. Diese Divergenz in der Auslegung zeugt indessen von einem Mangel an Klarheit und Genauigkeit der Verordnung Nr. 1072/2009 in Bezug auf den Begriff der Kabotage.

43

Viertens hat die Kommission sowohl in Rn. 19 ihres Berichts COM(2014) 222 final als auch in ihren schriftlichen Erklärungen sowie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass es notwendig sei, den Begriff „Kabotage“ im Sinne der Verordnung Nr. 1072/2009 zu klären.

44

Somit ist festzustellen, dass Art. 2 Nr. 6 und Art. 8 der Verordnung Nr. 1072/2009, auch wenn sie nicht ausdrücklich den Erlass innerstaatlicher Durchführungsmaßnahmen vorsehen, in Bezug auf den Begriff der Kabotage nicht klar sind, so dass den Mitgliedstaaten ein Ermessen für den Erlass solcher Maßnahmen einzuräumen ist.

45

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 57 und 58 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, wird durch den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 und der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 im Hinblick auf ihre Anpassung an die Entwicklung im Kraftverkehrssektor (COM[2017] 281 final), der insbesondere auf eine Änderung der Verordnung Nr. 1072/2009 mit Blick auf die Definition des Begriffs der Kabotage in Art. 2 Nr. 6 abzielt, diese Feststellung nicht in Frage gestellt. Denn da sich der genannte Vorschlag noch im Stadium der Erörterungen befindet, ist er im Rahmen der vorliegenden Rechtssache nicht von Bedeutung.

46

Auch das Vorbringen der Kommission, die Auslegung des Begriffs „Kabotage“ sei in einem nach der Sitzung des Ausschusses für den Straßenverkehr am 25. Oktober 2010 angenommenen Dokument „Fragen und Antworten“ geklärt worden, greift nicht durch.

47

Auch wenn dieses Dokument, wie die Kommission vorträgt, auf der Website der GD „Mobilität und Verkehr“ der Kommission veröffentlicht wurde, ist es nämlich nicht im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 82 bis 84 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, sieht zudem Art. 2 Nr. 2 der Verfahrensordnung des Ausschusses für den Straßenverkehr vor, dass in der Tagesordnung, die für jede Sitzung erstellt wird, zwischen vorgeschlagenen Maßnahmen, zu denen dieser Ausschuss eine Stellungnahme gemäß dem Regelungsverfahren mit Kontrolle abgeben soll, einerseits und sonstigen Themen, die zu Informationszwecken oder einem einfachen Meinungsaustausch vorgelegt werden, andererseits zu unterscheiden ist. Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass die Auslegung des Begriffs „Kabotage“, wie sie in dem Dokument wiedergegeben wird, tatsächlich in der Tagesordnung der Sitzung des Ausschusses für den Straßenverkehr vom 25. Oktober 2010 enthalten war, allerdings wurde dieser Punkt nicht zur Abstimmung gestellt. Folglich kann diese Auslegung nicht als das Ergebnis eines Einvernehmens der Vertreter der Mitgliedstaaten betrachtet werden. Die Kommission hat jedenfalls in ihren schriftlichen Erklärungen sowie in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass dieses Dokument keinen rechtlich verbindlichen Charakter habe.

48

Unter diesen Umständen kann dem Königreich Dänemark nicht vorgeworfen werden, innerstaatliche Maßnahmen zur Durchführung der Verordnung Nr. 1072/2009 und insbesondere zu Art. 2 Nr. 6 sowie zu Art. 8 dieser Verordnung erlassen zu haben, um die Tragweite des Begriffs „Kabotage“ im Sinne der Verordnung zwecks seiner Anwendung im Gebiet dieses Mitgliedstaats klarzustellen.

49

Zu prüfen ist allerdings, ob die vom Königreich Dänemark erlassenen innerstaatlichen Durchführungsmaßnahmen, also die Kabotage-Leitlinien, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang stehen.

50

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den insbesondere die gesetz- und verordnungsgebenden Stellen der Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Unionsrechts befolgen müssen, verlangt, dass die aufgrund einer Bestimmung angewandten Mittel geeignet sind, das angestrebte Ziel zu erreichen, und nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgehen (Urteil vom 21. Dezember 2011, Danske Svineproducenter, C‑316/10, EU:C:2011:863, Rn. 52).

51

Was erstens die Geeignetheit der Kabotage-Leitlinien zur Erreichung des durch die Verordnung Nr. 1072/2009 angestrebten Ziels in Bezug auf diese Beförderungsart angeht, trägt das Königreich Dänemark vor, diese Maßnahme solle durch das Verbot für gebietsfremde Kraftverkehrsunternehmer, Kabotagebeförderungen durchzuführen, die mehrere Belade- und mehrere Entladeorte umfassten, gewährleisten, dass die Kabotagebeförderungen nicht dergestalt durchgeführt würden, dass dadurch eine dauerhafte oder ununterbrochene Tätigkeit entstehe.

52

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten, da die Verordnung Nr. 1072/2009 nach dem Wortlaut ihres fünften Erwägungsgrundes von einer Übergangsregelung spricht, nicht verpflichtet sind, ihre nationalen Märkte für gebietsfremde Kraftverkehrsunternehmer vollständig zu öffnen. Deshalb ist die Kabotage gemäß Art. 8 Abs. 2 der Verordnung nur nach einer grenzüberschreitenden Beförderung erlaubt und auf drei Beförderungen innerhalb von sieben Tagen nach der Entladung der eingeführten Lieferung begrenzt. Außerdem wird in den Erwägungsgründen 13 und 15 der Verordnung Nr. 1072/2009 die zeitweilige Natur der Kabotage betont und insbesondere ausgeführt, dass die Kabotagebeförderung nicht dergestalt durchgeführt werden sollte, dass dadurch eine dauerhafte oder ununterbrochene Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat entsteht.

53

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 66 und 68 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, könnte jedoch der Umstand, dass gebietsfremden Kraftverkehrsunternehmern erlaubt würde, Kabotagebeförderungen mit einer unbegrenzten Anzahl von Beladeorten und Entladeorten durchzuführen, die in Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1072/2009 festgelegte Begrenzung auf drei Beförderungen ins Leere laufen lassen und mithin der zeitweiligen Natur der Kabotage sowie dem von dieser Verordnung für diese Beförderungsart verfolgten Ziel zuwiderlaufen. In diesem Fall nämlich würde die zeitweilige Natur der Kabotage nur durch die Begrenzung auf sieben Tage gemäß Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1072/2009 sichergestellt.

54

Das in den Kabotage-Leitlinien vorgesehene Verbot kann daher die Einhaltung der Begrenzung auf drei Beförderungen gemäß Art. 8 Abs. 2 dieser Verordnung gewährleisten.

55

Folglich ist diese Maßnahme geeignet, das von der Verordnung Nr. 1072/2009 im Hinblick auf die Kabotage verfolgte Ziel zu erreichen.

56

Zweitens ist zu prüfen, ob die Kabotage-Leitlinien nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

57

Das Königreich Dänemark trägt vor, dass die in den Kabotage-Leitlinien vorgesehene Begrenzung der Anzahl der Belade- und Entladeorte, die eine Kabotage umfassen dürfe, notwendig sei, um die zeitweilige Natur der Kabotagebeförderung sicherzustellen, und nicht zu einschränkend sei, da die Leitlinien nicht so weit gingen, vorzuschreiben, dass eine Kabotage nur einen Beladeort und einen Entladeort umfassen dürfe.

58

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach den Kabotage-Leitlinien eine Kabotage entweder mehrere Beladeorte oder mehrere Entladeorte umfassen darf. Diese Maßnahmen beschränken also nicht die Anzahl der Absender oder Auftraggeber für eine Kabotage und gestatten es implizit, dass eine Kabotage mehrere Beladeorte und einen Entladeort oder mehrere Entladeorte und einen Beladeort umfassen darf.

59

Daraus folgt, dass nach den Kabotage-Leitlinien nur eine Kabotage, die mehrere Beladeorte und mehrere Entladeorte umfasst, verboten ist.

60

Somit gehen diese Maßnahmen nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um das von der Verordnung Nr. 1072/2009 verfolgte Ziel zu erreichen.

61

Nach alledem stehen die Kabotage-Leitlinien mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang.

62

Daher ist festzustellen, dass es der Kommission nicht gelungen ist, nachzuweisen, dass das Königreich Dänemark gegen seine Verpflichtungen aus Art. 2 Nr. 6 und Art. 8 der Verordnung Nr. 1072/2009 verstoßen hat, indem es innerstaatliche Durchführungsmaßnahmen zur Klarstellung des Begriffs der Kabotage im Sinne dieser Verordnung erlassen hat.

63

Demnach ist die Klage der Kommission abzuweisen.

Kosten

64

Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Dänemark die Verurteilung der Kommission zur Tragung der Kosten beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Dänisch.

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Referenzen

(1) Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt).

(2) Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung.

(1) Die Abkömmlinge sind vor den Verwandten der aufsteigenden Linie unterhaltspflichtig.

(2) Unter den Abkömmlingen und unter den Verwandten der aufsteigenden Linie haften die näheren vor den entfernteren.

(3) Mehrere gleich nahe Verwandte haften anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Der Elternteil, der ein minderjähriges Kind betreut, erfüllt seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch die Pflege und die Erziehung des Kindes.

(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.

(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.

(1) Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt).

(2) Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung.

24
4. a) Ob und gegebenenfalls inwieweit sich der barunterhaltspflichtige Elternteil an den Kindergartenbeiträgen zu beteiligen hat, hängt allerdings auch von der Art des hierdurch begründeten Bedarfs ab. Kindergartenbeiträge können , schon da sie regelmäßig anfallen, keinen Sonderbedarf (§ 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB) darstellen. Als Mehrbedarf ist der Teil des Lebensbedarfs anzusehen , der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er mit den Regelsätzen nicht erfasst werden kann, andererseits aber kalkulierbar ist und deshalb bei der Bemessung des laufenden Unterhalts berücksichtigt werden kann (Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 133; Maurer FamRZ 2006, 663, 667).

(1) Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt).

(2) Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung.

24
4. a) Ob und gegebenenfalls inwieweit sich der barunterhaltspflichtige Elternteil an den Kindergartenbeiträgen zu beteiligen hat, hängt allerdings auch von der Art des hierdurch begründeten Bedarfs ab. Kindergartenbeiträge können , schon da sie regelmäßig anfallen, keinen Sonderbedarf (§ 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB) darstellen. Als Mehrbedarf ist der Teil des Lebensbedarfs anzusehen , der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er mit den Regelsätzen nicht erfasst werden kann, andererseits aber kalkulierbar ist und deshalb bei der Bemessung des laufenden Unterhalts berücksichtigt werden kann (Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 133; Maurer FamRZ 2006, 663, 667).

(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.

(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.

32
Für den Mehrbedarf des Klägers haben beide Elternteile anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen aufzukommen (Senatsurteil vom 5. März 2008 - XII ZR 150/05 - FamRZ 2008, 1152, 1154). Vor der Gegenüberstellung der jeweiligen Einkommen ist bei jedem Elternteil grundsätzlich ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehalts abzuziehen. Durch einen solchen Abzug werden bei erheblichen Unterschieden der vergleichbaren Einkünfte die sich daraus ergebenden ungleichen Belastungen zugunsten des weniger verdienenden Elternteils relativiert (vgl. Senatsurteil vom 31. Oktober 2007 - XII ZR 112/05 - FamRZ 2008, 137, 140; Wendl/Klinkhammer aaO § 2 Rdn. 294 ff. m.w.N.). Im Übrigen begegnet es keinen Bedenken, vor der Berechnung der jeweiligen Haftungsanteile zu berücksichtigen, dass die Mutter für die höheren Lebenshaltungskosten in der Schweiz sowohl für den Kläger als auch für sich selbst aufzukommen hat (vgl. zur Bedarfskorrektur Wendl/Dose aaO § 9 Rdn. 24 a, 27).

(1) Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt).

(2) Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung.

(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.

(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.

18
a) Der Senat hat - allerdings erst nach Verkündung des Berufungsurteils - die insoweit maßgeblichen Fragen mit Urteil vom 17. September 2008 (BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189) entschieden. Danach ist der aus einer neuen Ehe des Unterhaltspflichtigen resultierende Splittingvorteil sowohl bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs minderjähriger Kinder gemäß § 1610 Abs. 1 BGB als auch bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen im Sinne von § 1603 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 54/04 Verkündet am:
17. Mai 2006
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
a) Die Rechtsprechung zum Ausbildungsunterhalt in den so genannten Abitur-LehreStudium
-Fällen ist nicht auf Ausbildungsabläufe übertragbar, in denen nach einem
Realschulabschluss zunächst eine Lehre, dann die Fachoberschule und später die
Fachhochschule absolviert wird. In solchen Fällen ist nur dann von einer einheitlichen
, von den Eltern zu finanzierenden Berufsausbildung auszugehen, wenn schon
bei Beginn der praktischen Ausbildung erkennbar eine Weiterbildung einschließlich
des späteren Studiums angestrebt wurde (im Anschluss an die Senatsurteile vom
10. Oktober 1990 - XII ZR 111/89 - FamRZ 1991, 320, 321 und vom 30. November
1994 - XII ZR 215/93 - FamRZ 1995, 416, 417 f.).
b) Die Eltern schulden ihrem Kind aber jedenfalls Unterhalt für eine Berufsausbildung,
die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten
Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich dabei in den Grenzen
ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hält. Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert
deswegen auch dann fort, wenn die erste Ausbildung auf einer deutlichen Fehleinschätzung
der Begabung des Kindes beruht (Fortführung des Senatsurteils vom
12. Mai 1993 - XII ZR 18/92 - FamRZ 1993, 1057, 1058 f.).
c) Im Einzelfall kann der Unterhaltsschuldner auch eine nicht unerhebliche Verzögerung
in der Ausbildung des Kindes hinnehmen müssen, wenn diese unter Berücksichtigung
aller Umstände nur auf ein leichteres, vorübergehendes Versagen des
Kindes zurückzuführen ist.
BGH, Urteil vom 17. Mai 2006 - XII ZR 54/04 - OLG Frankfurt
AG Kassel
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Mai 2006 durch die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz
, Fuchs und Dose

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 2. Familiensenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 17. März 2004 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der am 21. Oktober 1976 geborene Kläger nimmt den Beklagten, seinen Vater, auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt für die Zeit ab November 2002 in Anspruch.
2
Der Beklagte hat nach der Scheidung der Ehe mit der Mutter des Klägers wieder geheiratet; seine zweite Ehefrau ist während des Revisionsverfahrens am 23. April 2005 verstorben. Aus dieser Ehe ist der am 3. März 1992 geborene Sohn S. hervorgegangen.
3
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts erzielte der Beklagte im Jahre 2002 Nettoeinkünfte in Höhe von monatlich 1.962 €, die Mutter des Beklagten ein Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 1.136 €.
4
Der Kläger schloss seine Schulausbildung im Sommer 1993 mit dem Realschulabschluss ab. Danach absolvierte er in der Zeit von 1993 bis 1995 eine Maurerlehre. Sodann besuchte er bis 1998 die Fachoberschule, die er mit der Fachhochschulreife abschloss. Obwohl er bereits in dieser Zeit dahin tendierte , sich auf eine Anwärterstelle im gehobenen Polizeidienst zu bewerben, absolvierte er zunächst bis 1999 seinen Zivildienst. Im gleichen Jahr bestand er die Aufnahmeprüfung für den gehobenen Polizeidienst. Diese Ausbildung gab er zum Jahreswechsel 2001/2002 auf, nachdem er die Zwischenprüfung zweimal nicht bestanden hatte. In der Folgezeit war er bis September 2002 arbeitslos und bezog Leistungen des Arbeitsamts. Seit Oktober 2002 studiert er Architektur ; das Studium wird er voraussichtlich noch im Jahre 2006 abschließen.
5
Das Amtsgericht hat den Beklagten unter Berücksichtigung seiner Zahlungen für die Zeit von November 2002 bis Januar 2003 zu rückständigem Unterhalt sowie zur Zahlung monatlichen Unterhalts für die Zeit ab Februar 2003 in Höhe von 323 € verurteilt. Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Dagegen richtet sich die - vom Oberlandesgericht zugelassene - Revision des Beklagten, mit der er weiterhin Klagabweisung begehrt.

Entscheidungsgründe:

6
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7
Nach Auffassung des Berufungsgerichts schuldet der Beklagte dem Kläger Ausbildungsunterhalt bis zum Abschluss seines Architekturstudiums. Allerdings komme ein Unterhaltsanspruch nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs "wohl nicht in Betracht". Indes begegne diese Rechtsprechung erheblicher Kritik, die letztlich dazu führe, dass ihr jedenfalls im vorliegenden Fall nicht zu folgen sei.
8
Angesichts des komplexen Bildungssystems in Deutschland, das auch vorzeitigen Schulabbrechern vielfältige Möglichkeiten eröffne, das Versäumte später nachzuholen, erscheine das starre Festhalten an einer vorgegebenen Ausbildungsreihenfolge auch im Hinblick auf § 1610 Abs. 2 BGB nicht mehr vertretbar und sei jedenfalls nicht mehr mit den Realitäten vereinbar. Insbesondere könne vom Unterhaltsberechtigten nicht verlangt werden, dass er schon mit Verlassen der Schule feste Vorstellungen über seinen künftigen Bildungsweg habe und diese den Eltern bekannt gebe. Den sich stetig ändernden Anforderungen des aktuellen Arbeitsmarktes könne nur derjenige gerecht werden, der "flexibel bleibe und sich von den überkommenen Ausbildungsvorstellungen löse". Vor diesem Hintergrund erscheine auch die Forderung, zwischen den einzelnen Bildungsmaßnahmen müsse ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen, als anachronistisch. Wegen der sich aus § 1610 Abs. 2 BGB ergebenden Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme könne auch nicht unberücksichtigt bleiben, welche finanzielle Belastung der Eltern mit der Ausbildung ihrer Kinder bislang verbunden gewesen sei. Dem komme hier besondere Bedeutung zu, weil der Beklagte seit dem Jahre 1994 nicht mehr zum Ausbildungsunterhalt herangezogen worden sei. Vor diesem Hintergrund müsse dem Kläger "die Chance des Irrtums gegeben werden". Indem der Kläger das Fachabitur abgelegt, die Aufnahmeprüfung zum Polizeidienst bestanden und das Architekturstudium bislang mit großem Erfolg betrieben habe, habe er gezeigt, dass seine Fähigkeiten durch die Maurerlehre nicht hinreichend gefordert seien.
9
Dem Beklagten sei allerdings ein gewisser Vertrauensschutz zuzubilligen , soweit er durch den Erwerb seiner Eigentumswohnung weitere Verpflichtungen eingegangen sei. Deswegen sei von seinem Nettoeinkommen der hälftige Betrag der den Mietwert seiner Eigentumswohnung übersteigenden Hausbelastungen mit 125 € monatlich abzusetzen. Weiter hat das Oberlandesgericht den vorrangigen Unterhalt des minderjährigen Sohnes S. - gestaffelt nach Alter des Kindes - mit 135 % des Regelbetrags der Düsseldorfer Tabelle berücksichtigt und dem Kläger das hälftige Kindergeld unabhängig von der Befristung nach § 2 Abs. 2 BKGG dauerhaft angerechnet.
10
Auf der Grundlage der Einkommensverhältnisse beider Eltern ergebe sich deswegen ein Unterhaltsanspruch des Klägers, der den vom Amtsgericht ausgeurteilten Betrag jedenfalls nicht unterschreite.

II.

11
Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision nur teilweise stand.
12
1. Das Oberlandesgericht ist davon ausgegangen, dass dem Kläger kein vertraglicher Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten zusteht. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
13
2. Im Ergebnis zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen , dass der Beklagte dem Kläger dem Grunde nach gesetzlichen Ausbildungsunterhalt schuldet.
14
a) Nach § 1610 Abs. 2 BGB umfasst der Unterhalt eines Kindes die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Geschuldet wird danach eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält. Eltern, die ihrem Kind eine solche Berufsausbildung gewährt haben, sind daher nicht mehr verpflichtet, Kosten einer weiteren Ausbildung zu tragen.
15
Ausnahmen hat der Senat nur unter besonderen Umständen angenommen , etwa wenn der Beruf aus gesundheitlichen oder sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen nicht ausgeübt werden kann. Ferner kommt eine fortdauernde Unterhaltspflicht in Betracht, wenn die weitere Ausbildung zweifelsfrei als eine bloße in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg anzusehen ist und von vornherein angestrebt war, oder während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wurde (Senatsurteil vom 30. November 1994 - XII ZR 215/93 - FamRZ 1995, 416 f. m.w.N.; BGHZ 69, 190, 194 = FamRZ 1977, 629 f.).
16
b) Diese Grundsätze hat der Senat für die Fälle modifiziert, in denen ein Kind nach Erlangung der Hochschulreife auf dem herkömmlichen schulischen Weg (Abitur) eine praktische Ausbildung (Lehre) absolviert hat und sich erst danach zu einem Studium entschließt (sog. Abitur-Lehre-Studium-Fälle). Grund für die Modifizierung war das zunehmend geänderte Ausbildungsverhalten der Studienberechtigten, die sich durch eine praktische Berufsausbildung eine si- chere Lebensgrundlage schaffen, ein anschließendes Studium aber nicht von vornherein ausschließen wollen. Dabei hat der Senat allerdings wegen des aus § 1610 Abs. 2 BGB abzuleitenden Merkmals der Einheitlichkeit des Ausbildungsganges daran festgehalten, dass die einzelnen Ausbildungsabschnitte in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen und die praktische Ausbildung und das Studium sich jedenfalls sinnvoll ergänzen müssen. Er hat es jedoch genügen lassen, dass der Studienabschluss nicht von vornherein, sondern erst nach Beendigung der Lehre gefasst wird, weil es gerade der Eigenart des vom herkömmlichen Bild abweichenden Ausbildungsverhaltens entspricht , dass sich der Abiturient bei Aufnahme der praktischen Ausbildung vielfach noch nicht über ein anschließendes Studium schlüssig ist (Senatsurteile BGHZ 107, 376, 381 ff. = FamRZ 1989, 853, 854 f. und vom 23. Mai 2001 - XII ZR 148/99 - FamRZ 2001, 1601 f.).
17
c) Eine Übertragung dieser für die so genannten Abitur-Lehre-StudiumFälle entwickelten Grundsätze auf Ausbildungsabläufe, in denen nach einem Realschulabschluss zunächst eine Lehre, dann die Fachoberschule und später die Fachhochschule absolviert wird, hat der Senat stets abgelehnt. In solchen Fällen hat er die einzelnen Ausbildungsabschnitte nur dann als einheitliche, von den Eltern zu finanzierende Berufsausbildung angesehen, wenn schon bei Beginn der praktischen Ausbildung erkennbar eine Weiterbildung einschließlich des späteren Studiums angestrebt wurde (Senatsurteil vom 10. Oktober 1990 - XII ZR 111/89 - FamRZ 1991, 320, 321). Denn auch insoweit können die Eltern nicht für die Kosten einer zweiten oder weiteren Ausbildung herangezogen werden, wenn sie ihre Unterhaltspflicht durch Finanzierung einer begabungsgerechten abgeschlossenen Berufsausbildung in rechter Weise erfüllt haben. Dahinter steht der Gedanke, dass die Unterhaltspflicht der Eltern von der Frage mitbestimmt wird, inwieweit sie damit rechnen müssen, dass ihr Kind nach einem Schulabschluss und einer zu Ende geführten, in sich geschlossenen Be- rufsausbildung noch eine berufsqualifizierende Ausbildung - gegebenenfalls über weitere Ausbildungsstufen hinweg - anstrebt. Denn die Belange der Unterhaltspflichtigen dürfen insoweit nicht unberücksichtigt bleiben. Die Eltern müssen sich in ihrer eigenen Lebensplanung in etwa darauf einstellen können, wie lange sie mit einer Unterhaltslast zu rechnen haben. Das Ausbildungsunterhaltsverhältnis zwischen Eltern und Kindern ist auch insoweit von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt, als einerseits die Eltern leichtere Verzögerungen oder ein zeitweiliges Versagen hinnehmen müssen, andererseits das Kind seine Ausbildung mit Fleiß und Zielstrebigkeit anzugehen hat.
18
Vor diesem Hintergrund ergeben sich wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Ausbildungsvarianten nach Abschluss des Abiturs einerseits oder der Realschule andererseits, die es rechtfertigen, jeweils auf andere Kriterien abzustellen. Während der Abiturient insbesondere in der Oberstufe mehr an das theoretische Denken herangeführt und damit auf das Hochschulstudium vorbereitet wird, gewährt der Realschulabschluss dem Absolventen eine Vorbildung , die Grundlage für eine praxisorientierte Berufsausbildung sein soll. Hat ein Kind auf dem herkömmlichen schulischen Weg das Abitur und damit die allgemeine Zugangsberechtigung zum Studium erlangt, müssen die Eltern regelmäßig von vornherein mit einer Hochschulausbildung rechnen. Aufgrund der allgemeinen Entwicklung des Ausbildungsverhaltens von Abiturienten müssen sie dabei allerdings gewärtigen, dass eine praktische Ausbildung vorgeschaltet und der Entschluss zu dem fachlich darauf aufbauenden Studium erst anschließend gefasst wird. Eine solche Vorhersehbarkeit ergibt sich demgegenüber nicht ohne weiteres in den Fällen, in denen ein Kind, nachdem es aufgrund seiner Fähigkeiten und seines Leistungswillens einen Haupt- oder Realschulabschluss erreicht hat, im Anschluss an eine Lehre zunächst durch Wiederaufnahme der schulischen Ausbildung die Fachhochschulreife zu erlangen sucht, um sodann ein Fachhochschulstudium anzuschließen (Senatsurteil vom 30. November 1994 aaO, 417 f. m.w.N.).
19
Das spricht dafür, in den letztgenannten Fällen die Einheitlichkeit der Ausbildung jedenfalls dann zu verneinen, wenn das Kind nicht von vornherein die Absicht geäußert hatte, nach der Lehre die Fachoberschule zu besuchen und anschließend zu studieren und die Eltern mit einem derartigen beruflichen Werdegang des Kindes auch nicht aufgrund sonstiger besonderer Anhaltspunkte zu rechnen brauchten. Solche Anhaltspunkte können sich etwa aus der bisherigen schulischen Entwicklung ergeben oder auch in der anschließenden Lehre zeigen, indem sie eine deutliche Begabung, insbesondere in theoretischer Hinsicht, für einen Fachbereich und für eine Weiterbildung auf diesem Gebiet erkennen lassen. Auch wenn sich ein allgemein geändertes Ausbildungsverhalten feststellen ließe, wonach Kinder mit Realschulabschluss in zunehmendem Maße nach einer praktischen Ausbildung die Fachoberschule besuchen und alsdann studieren, kann nichts anderes gelten. Denn wenn sich die schulische Ausbildung (zunächst) auf den Realschulabschluss beschränkt und beim Eintritt in die praktische Ausbildung weder die Absicht besteht, nach deren Abschluss die Fachoberschule zu besuchen und zu studieren, noch sonst nach der erkennbar gewordenen Begabung oder nach der Leistungsbereitschaft und dem Leistungsverhalten des Kindes eine entsprechende Weiterbildung nach Abschluss der Lehre zu erwarten ist, braucht der Unterhaltspflichtige nicht damit zu rechnen, nach dem Abschluss der berufsqualifizierenden praktischen Ausbildung des Kindes zu weiteren Unterhaltsleistungen herangezogen zu werden (Senatsurteil vom 30. November 1994 aaO, 418).
20
3. Auch in anderen Fällen als einer gestuften Ausbildung hat der Senat stets betont, dass die Eltern ihrem Kind jedenfalls Unterhalt für eine Berufsausbildung schulden, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich dabei in den Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hält (Senatsurteil vom 23. Mai 2001 aaO, 1601).
21
a) Der Senat hat insoweit ausgeführt, dass die Eltern ihrem Kind ausnahmsweise auch eine zweite Ausbildung finanzieren müssen, wenn sie es in einen unbefriedigenden, seinen Begabungen nicht hinreichend Rechnung tragenden Beruf gedrängt haben (Senatsurteile vom 24. Oktober 1990 - XII ZR 124/89 - FamRZ 1991, 322 f. und vom 24. September 1980 - IVb ZR 506/80 - FamRZ 1980, 1115 f.). Dem hat der Senat Fälle gleichgestellt, in denen dem Kind eine angemessene Ausbildung verweigert worden ist und es sich aus diesem Grund zunächst für einen Beruf entschieden hat, der seiner Begabung und seinen Neigungen nicht entspricht. Dabei hat der Senat ausdrücklich ausgeführt , dass die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen von dem Grundsatz der Verpflichtung zur Finanzierung nur einer Ausbildung keineswegs als abschließender, andere Fallgruppen ausschließender Katalog verstanden werden können (Senatsurteil vom 24. Oktober 1990 aaO, 323).
22
Eine fortdauernde Unterhaltspflicht der Eltern hat der Senat deswegen auch für die Fälle angenommen, in denen die erste Ausbildung auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung des Kindes beruht. Auch in solchen Fällen haben die Eltern ihre Verpflichtung zur Finanzierung einer angemessenen Berufsausbildung noch nicht in rechter Weise erfüllt und sind im Einzelfall verpflichtet , dem Kind ausnahmsweise eine angemessene zweite Ausbildung zu finanzieren (Senatsurteile vom 14. Juli 1999 - XII ZR 230/97 - FamRZ 2000, 420 und vom 12. Mai 1993 - XII ZR 18/92 - FamRZ 1993, 1057, 1058 f.).
23
b) Dabei begegnet es nach ständiger Rechtsprechung des Senats keinen rechtlichen Bedenken, wenn die Frage, ob der Erstausbildung des Kindes eine Fehleinschätzung seiner Begabung zugrunde lag, nach den Verhältnissen beurteilt wird, die sich erst nach Beendigung dieser Ausbildung ergeben haben. Zwar ist die Frage der beruflichen Eignung eines Kindes grundsätzlich aus der Sicht bei Beginn der Ausbildung und den zu dieser Zeit zutage getretenen persönlichen Anlagen und Neigungen zu beantworten (Senatsurteil vom 25. Februar 1981 - IVb ZR 547/80 - FamRZ 1981, 437, 438). Um eine unangemessene Benachteiligung von so genannten Spätentwicklern zu vermeiden, gilt dies aber schon dann nicht, wenn sich später herausgestellt hat, dass die zunächst getroffene Entscheidung auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung des Kindes beruht (Senatsurteile vom 24. Oktober 1990 aaO und vom 14. Juli 1999 aaO). Nur auf diese Weise lässt sich eine unangemessene Benachteiligung des im Rahmen der späteren Ausbildung besonders erfolgreichen Kindes vermeiden.
24
c) Der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners, dem Unterhaltsberechtigten eine Berufsausbildung zu ermöglichen, steht zwar dessen Obliegenheit gegenüber , die Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu absolvieren. Nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) kann der Unterhaltsschuldner jedoch Verzögerungen in der Ausbildung des Kindes hinnehmen müssen, die auf ein leichteres, nur vorübergehendes Versagen des Kindes zurückzuführen sind (Senatsurteile vom 12. Mai 1993 aaO, 1059 und vom 14. Juli 1999 aaO, 421). Deswegen steht der Verpflichtung der Eltern zur Zahlung von Ausbildungsunterhalt nicht entgegen, dass ein Kind die später zu finanzierende Ausbildung ohne gewichtiges Verschulden nicht sogleich nach Abschluss des vorangegangenen Ausbildungsabschnitts begonnen und zielstrebig fortgeführt hat. In solchen Fällen hat eine Obliegenheitsverletzung des Kindes jedenfalls kein solches Gewicht, dass sie die schwerwiegende Folge eines Verlustes des Unterhaltsanspruchs nach sich ziehen muss.
25
d) Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Anspruch eines Kindes auf Finanzierung einer begabungsgerechten Ausbildung jedoch auch dann nicht schrankenlos gewährleistet.
26
Je älter ein Kind bei Aufnahme einer Ausbildung ist und je eigenständiger es seine Lebensverhältnisse gestaltet, desto mehr tritt die Elternverantwortung für seinen Berufs- und Lebensweg zurück. Die hinsichtlich der Angemessenheit der weiteren Ausbildung zu stellenden Anforderungen bedürfen deshalb mit zunehmendem Alter des Kindes der besonders sorgfältigen Prüfung (Senatsurteil vom 14. Juli 1999 aaO, 421 f.).
27
Auch wenn das Kind noch keine oder keine angemessene Berufsausbildung erfahren hat, kann eine besonders lange Verzögerung dazu führen, dass sein Ausbildungsanspruch entfällt und es sich daher seinen Lebensunterhalt mit ungelernten Tätigkeiten oder aufgrund sonstiger Begabungen und Fertigkeiten verdienen muss (Senatsurteil vom 4. März 1998 - XII ZR 173/96 - FamRZ 1998, 671, 672).
28
4. Im Ergebnis zu Recht hat das Oberlandesgericht dem Grunde nach eine fortdauernde Unterhaltspflicht des Beklagten angenommen, ohne dass dies der Rechtsprechung des Senats widerspricht.
29
a) Das Studium der Architektur bildet allerdings auch unter Berücksichtigung der weiteren Ausbildungsabschnitte des Klägers keine einheitliche Berufsausbildung mit der zuvor abgeschlossenen Maurerlehre. Dabei kann dahinstehen , ob der im Interesse des Vertrauensschutzes des Unterhaltspflichtigen von der Rechtsprechung des Senats verlangte sachliche Zusammenhang beider Ausbildungen gegeben ist. Der unmittelbar an die Lehre anschließende Besuch der Fachoberschule bis zur Fachhochschulreife ist als Voraussetzung des aufbauenden Ausbildungsgangs unverzichtbarer Bestandteil einer einheitlichen Ausbildung. Auch der im Anschluss daran absolvierte Zivildienst hat die Ausbildung zwar unterbrochen, steht ihrer Einheitlichkeit aber nicht entgegen, weil der Kläger damit lediglich seine gesetzliche Verpflichtung erfüllt hat, wenngleich er dieser Pflicht mit einem früheren Eintritt in den Polizeidienst hätte entgehen können.
30
Um einen einheitlichen Ausbildungsgang im Sinne der Rechtsprechung des Senats handelt es sich hier aber deswegen nicht, weil der Kläger eine derart gestufte Ausbildung mit einem Studium der Architektur als Abschluss nicht seit Beginn der praktischen Ausbildung bis zum Beginn des Studiums kontinuierlich verfolgt hat. Dabei kann ebenfalls dahinstehen, ob der Kläger bei Beginn seiner Maurerlehre eine solch gestufte Ausbildung einschließlich des späteren Studiums der Architektur oder jedenfalls des - artverwandten - Studiums zum Bauingenieur angestrebt hatte und ob dieses auch erkennbar geworden ist (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 1990 aaO). Denn spätestens mit Aufnahme der Ausbildung zum gehobenen Polizeidienst im Jahre 1999 hat der Kläger eine solche Absicht aufgegeben und eine andersartige Ausbildung begonnen, für die er wegen der im Polizeidienst erzielten eigenen Einkünfte keiner Unterhaltsleistungen des Beklagten mehr bedurfte.
31
b) Das Oberlandesgericht ist jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass es eine Fehleinschätzung war, die Maurerlehre würde für den Kläger eine angemessene Berufsausbildung im Sinne von § 1610 Abs. 2 BGB darstellen. Zum einen berücksichtigte diese Ausbildung seine Begabung und Fähigkeiten nicht hinreichend. Auch der Beklagte hatte ihm ursprünglich selbst empfohlen, später noch ein Studium aufzunehmen. Andererseits hat auch die hier ausnahmsweise zu berücksichtigende weitere Entwicklung unzweifelhaft gezeigt, dass der Kläger mit seiner Maurerlehre und einer Berufstätigkeit auf dieser Grundlage unterfordert gewesen wäre. Er hat in der Folgezeit erfolgreich die Fachoberschule besucht und die Fachhochschulreife erworben. Außerdem hat er die Einstellungsprüfung zum gehobenen Polizeidienst bestanden. Dass der Kläger die Zwischenprüfung in diesem Dienst zweimal nicht bestanden hat, steht dem nicht entgegen, weil er unstreitig intellektuell dazu in der Lage gewesen wäre und mit den Prüfungsergebnissen lediglich eine freiwillige Beendigung des Polizeidienstes mit der Folge einer Rückzahlung des Ausbildungsentgeltes vermeiden wollte. Für seine besonderen Fähigkeiten und seinen Einsatzwillen, denen der Abschluss einer Maurerlehre nicht annähernd gerecht wird, spricht aber insbesondere der Umstand, dass der Kläger sein Architekturstudium nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jetzt "mit großem Erfolg" betreibt.
32
c) Einer Fortdauer der Unterhaltspflicht des Beklagten steht auch nicht entgegen, dass der Kläger vor Beginn des Studiums für mehr als zwei Jahre im gehobenen Polizeidienst tätig war, bevor er diesen Berufsweg nach den nicht bestandenen Zwischenprüfungen beendete. Wie schon ausgeführt, steht der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners zur Ermöglichung einer Berufsausbildung auf Seiten des Unterhaltsberechtigten zwar die Obliegenheit gegenüber, die Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu absolvieren. Abhängig von Alter und Einsichtsfähigkeit des Unterhaltsberechtigten muss der Unterhaltspflichtige aber Verzögerungen der Ausbildung hinnehmen, die nur auf einem vorübergehenden leichten Versagen des Kindes beruhen. So liegt der Fall hier:
33
Der Kläger, der im Alter von 16 Jahren nach dem Realschulabschluss zunächst eine Maurerlehre durchgeführt hatte, sah nach Erreichen der Fachhochschulreife den gehobenen Polizeidienst als den seinen Neigungen am Besten entsprechenden Ausbildungsgang an. Wenn er sich dabei mangels hinreichender Kenntnisse von diesem Berufsbild geirrt hat, liegt darin kein so gravierendes Verschulden, dass es den vollständigen Wegfall seines Anspruchs auf Ausbildungsunterhalt rechtfertigen könnte. Insbesondere ist dem Kläger unterhaltsrechtlich nicht vorwerfbar, dass er den Dienst nicht früher abgebrochen, sondern erst nach den nicht bestandenen Zwischenprüfungen beendet hat (vgl. auch Senatsurteil vom 15. Juni 1994 - XII ZR 38/93 - NJW 1994, 2362, 2363). Bei der Bewertung dieser Fehleinschätzung seiner Neigungen kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in der Vergangenheit stets bemüht hatte, den Beklagten nicht übermäßig finanziell zu belasten. Der Kläger hat lediglich im ersten Jahr seiner Maurerlehre bei dem Beklagten gewohnt und ihn in der Folgezeit bis zum Beginn des Studiums nicht mehr auf Unterhalt in Anspruch genommen. Zwar kann ein Kind, das eine seinen Anlagen entsprechende Ausbildung erhalten hatte, von seinen Eltern nicht deswegen die Kosten für eine weitere, bessere Ausbildung beanspruchen, weil die Eltern für die erste Ausbildung keine finanziellen Beiträge geleistet haben (Senatsurteil vom 25. Februar 1981 aaO). Die Verpflichtung zur Gewährung von Ausbildungsunterhalt ist deshalb grundsätzlich unabhängig von der Höhe der Kosten einer vorangegangenen Ausbildung oder eines vorangegangenen Ausbildungsabschnitts. Die fehlende Unterhaltsbedürftigkeit in der Vergangenheit spricht aber gegen ein grobes Verschulden des Klägers im Rahmen seiner Fehleinschätzung beim Eintritt in den gehobenen Polizeidienst.
34
Hinzu kommt hier, dass der Beklagte mit dem Kläger und seiner Mutter über Unterhaltszahlungen für die weitere Ausbildung verhandelt hat. Dabei ist nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts zwar keine Einigung über die Höhe des Unterhalts zustande gekommen. Der Beklagte hat die weitere Ausbildung des Klägers durch Aufnahme eines Studiums aber auch nicht abgelehnt. Daran muss er sich jetzt festhalten lassen, was einer Obliegenheitsverletzung durch den Kläger entgegensteht.
35
Dem Grunde nach schuldet der Beklagte dem Kläger deswegen noch eine angemessene Berufsausbildung im Sinne von § 1610 Abs. 2 BGB, die seiner Begabung, seinen Fähigkeiten, seinem Leistungswillen und seinen beachtenswerten Neigungen entspricht.
36
5. Das Berufungsurteil kann aber keinen Bestand haben, weil es zur Höhe des Unterhaltsanspruchs des Klägers von der Rechtsprechung des Senats abweicht.
37
Das Oberlandesgericht hat den entsprechend seinen Leitlinien nach einem festen Satz bemessenen Unterhaltsbedarf des studierenden Klägers anteilig nach den Einkommensverhältnissen auf den Beklagten und die Mutter des Klägers verteilt. Von der sich daraus ergebenden Unterhaltslast des Beklagten hat es das für den Kläger gezahlte hälftige Kindergeld abgesetzt. Diese Berechnung widerspricht der neueren Rechtsprechung des Senats zur Anrechnung des staatlichen Kindergelds auf den Unterhaltsbedarf volljähriger Kinder.
38
a) Zu Recht geht das Berufungsgericht allerdings von einem festen Unterhaltsbedarf des volljährigen Klägers aus, für den die Eltern anteilig einzustehen haben (Leitlinien der Oberlandesgerichte Ziff. 13.1.1 und 13.1.2; vgl. auch Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 368 ff., 383 ff.; zur anteiligen Haftung vgl. auch Senatsurteil vom 9. Januar 2002 - XII ZR 34/00 - FamRZ 2002, 815, 816 f.).
39
b) Auf diesen Unterhaltsbedarf des volljährigen Kindes ist nach der neueren Rechtsprechung des Senats das staatliche Kindergeld allerdings in voller Höhe anzurechnen (Senatsurteil vom 26. Oktober 2005 aaO, 101 ff.). Das Kindergeld entlastet damit den unterhaltspflichtigen Beklagten nicht lediglich hälftig , sondern entsprechend seines sich aus den Einkommens- und Vermögensverhältnissen beider Eltern ergebenden Anteils an der Unterhaltslast. Der un- gedeckte Unterhaltsbedarf des Klägers, für den der Beklagte und die Mutter des Klägers nach ihren Einkommensverhältnissen anteilig haften, betrug während der Zeit des Bezugs von Kindergeld bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres (§ 2 Abs. 2 BKGG) mithin nur noch 446 € monatlich (600 € - 154 €).
40
6. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil die notwendig gewordene Neuermittlung des vom Beklagten geschuldeten Unterhalts weitere tatsächliche Feststellungen erfordert. Weil mit der Unterhaltsklage ein auch in die Zukunft fortwirkender Unterhaltstitel begehrt wird, beruht die Festsetzung des geschuldeten Unterhalts auf einer Prognose der künftigen Einkommensverhältnisse (vgl. insoweit Senatsurteil vom 3. November 2004 - XII ZR 120/02 - FamRZ 2005, 101, 102 f.). Dem Unterhaltsanspruch des Klägers für die Zeit ab Februar 2003 bis zum voraussichtlichen Abschluss seines Studiums im Jahre 2006 tragen die Feststellungen des Berufungsgerichts auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2004 nicht hinreichend Rechnung, weil es noch auf die Einkommensverhältnisse im Jahre 2002 abstellt. Soweit das Einkommen des Beklagten und der Mutter des Klägers konkret feststeht, ist dieses der Einkommensberechnung zugrunde zu legen, was eine Prognoseentscheidung ausschließt.
41
Im Übrigen fehlen Feststellungen des Oberlandesgerichts zu dem wirklichen Wohnwert der Eigentumswohnung des Beklagten, zumal dieser nicht mit dem im angemessenen Selbstbehalt enthaltenen Wohnvorteil übereinstimmen muss. Auch den vom Beklagten vor dem Tod seiner zweiten Ehefrau im Rahmen des Familienunterhalts zu tragenden Anteil an der durch den Kauf der Wohnung übernommenen monatlichen Belastung hat das Oberlandesgericht nicht individuell festgestellt.
42
7. Bei seiner neuen Entscheidung wird das Berufungsgericht folgendes zu beachten haben:
43
Das Kindergeld kann den Unterhaltsbedarf des Klägers nur für den Zeitraum decken, in dem es auch tatsächlich gezahlt wird. Eine fiktive Anrechnung kommt hingegen nicht in Betracht. Weil der Kläger im Oktober 2003 das 27. Lebensjahr vollendet hat, dürfte sein Anspruch auf Kindergeld in diesem Monat erloschen sein.
44
Der Beklagte hat nachgewiesen, dass seine zweite Ehefrau am 23. April 2005 verstorben ist. Seit diesem Zeitpunkt muss der Beklagte die unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Kosten für die Finanzierung der Eigentumswohnung allein aufbringen und sich im Gegenzug den vollen Mietwert der Wohnung anrechnen lassen.
45
Ebenfalls seit dieser Zeit muss der Beklagte einerseits die Erziehung und Beaufsichtigung und andererseits den Barunterhalt seines vorrangigen minderjährigen Kindes S. sicherstellen (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB). Denn ab dem Tod seiner zweiten Ehefrau haftet der Beklagte seinem minderjährigen Kind im Wege der Ausfallhaftung sowohl für den Betreuungsunterhalt als auch für den Barunterhalt , was im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen ist (vgl.
insoweit Weinreich/Klein Familienrecht 2. Aufl. § 1606 Rdn. 17 ff.). Auch das wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben.
Sprick Weber-Monecke Wagenitz Fuchs Dose
Vorinstanzen:
AG Kassel, Entscheidung vom 27.08.2003 - 511 F 291/03 -
OLG Frankfurt in Kassel, Entscheidung vom 17.03.2004 - 2 UF 309/03 -

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
XII ZB 297/12 Verkündet am:
10. Juli 2013
Kirchgeßner,
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
a) Auch der betreuende Elternteil kann ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter
im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB sein, wenn der Kindesunterhalt
von ihm unter Wahrung seines angemessenen Selbstbehalts gezahlt
werden kann und ohne seine Beteiligung an der Barunterhaltspflicht ein erhebliches
finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstünde.
b) Kann auch der an sich barunterhaltspflichtige Elternteil bei Zahlung des vollen
Kindesunterhalts seinen angemessenen Selbstbehalt verteidigen, wird
eine vollständige oder anteilige Haftung des betreuenden Elternteils für die
Aufbringung des Barunterhalts nur in wenigen, besonderen Ausnahmefällen
in Betracht kommen (im Anschluss an Senatsurteil vom 20. März 2002
- XII ZR 216/00 - FamRZ 2002, 742).
BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 - XII ZB 297/12 - OLG Hamburg
AG Hamburg-Wandsbek
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin WeberMonecke
und die Richter Schilling, Dr. Günter und Dr. Botur

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 2. Familiensenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 25. April 2012 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt.
2
Der am 25. Juli 1997 geborene Antragsteller ist der nichtehelich geborene Sohn der Antragsgegnerin, in deren Haushalt er seit seiner Geburt zunächst lebte. Am 22. Mai 2010 zog der Antragsteller zu seinem Vater. Die Antragsgegnerin arbeitet vollschichtig als Sachbearbeiterin bei einer Versicherung und ist zudem als Rechtsanwältin zugelassen, ohne aus einer solchen Tätigkeit Einkünfte zu erzielen. Der verheiratete Kindesvater ist als Rechtsanwalt in einer größeren Kanzlei tätig.
3
Im vorliegenden Verfahren verlangt der Antragsteller von der Antragsgegnerin Zahlung eines monatlichen Kindesunterhalts in Höhe von 398 € für die Zeit ab Juni 2010. Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darum, ob sich der Kindesvater am Barunterhalt des Antragstellers beteiligen muss; dabei ist im Einzelnen auch streitig, in welcher Höhe die Antragsgegnerin und der Kindesvater unterhaltsrelevante Einkünfte erzielen. Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin antragsgemäß zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
4
Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin , mit der sie die vollständige Abweisung des Unterhaltsantrages weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe:

5
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

I.

6
Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung das Folgende ausgeführt:
7
Die Antragsgegnerin habe in den Jahren 2010 und 2011 ausweislich der vorgelegten Gehaltsabrechnungen Nettoeinkünfte in Höhe von 2.726,01 € bzw. 2.633 € erzielt. Von diesen Einkünften seien neben den vermögenswirksamen Leistungen die monatlichen Kosten für die anwaltliche Berufshaftpflichtversicherung (8,16 €), für die Beiträge zur Anwaltskammer (14,58 €) sowie für die tägli- chen Fahrten zur Arbeit mit dem Alsterdampfer (41,90 €) abzuziehen. Die weiteren von der Antragsgegnerin geltend gemachten Abzugspositionen seien demgegenüber nicht zu berücksichtigen. Sie habe den von ihr behaupteten Mehrbedarf für eine Ernährungsdiät nicht konkret dargelegt; es möge zwar sein, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung besonders auf ihre Ernährung achten müsse ; dies führe aber nicht zwangsläufig zu Mehrkosten. Auch die von der Antragsgegnerin geltend gemachten Ratenzahlungen in Höhe von monatlich 200 € und 250 € auf zwei Kreditverträge mit Verwandten seien nicht zu berücksichtigen , weil schon nicht nachgewiesen sei, dass die Kreditaufnahmen für den Umzug und die Wohnungsausstattung notwendig gewesen seien. Es müsse deshalb nicht mehr darauf eingegangen werden, dass den vorliegenden Kontoauszügen der Eingang der von der Antragsgegnerin behaupteten Darlehenssummen nicht entnommen werden könne und zumindest einer der beiden Kreditverträge erst im April 2011 unterzeichnet worden sei, obwohl die Antragsgegnerin in diesem Verfahren die Bedienung dieser Kreditraten schon im November 2010 behauptet habe. Wegen der von der Antragsgegnerin geltend gemachten monatlichen Ratenzahlungen von weiteren 200 € zur Rückführung ihres Dispositionskredites habe sie weder schlüssig dargelegt noch nachgewiesen, dass der negative Saldo auf ihrem Girokonto auf den Kosten ihrer Zusatzausbildung beruhe. Es sei zudem davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin den Negativsaldo auf dem Girokonto schon mit einer angemessenen Lebensführung hätte zurückführen können, wenn man beispielhaft berücksichtige, welche erheblichen Beträge die Antragsgegnerin ausweislich ihrer Kontoauszüge zwischen 2006 bis 2011 für Besuche beim Friseur, in Parfümerien und in einem Teekontor ausgegeben habe. Der Vortrag der Antragsgegnerin zu ihrer angeblichen Teilerwerbsunfähigkeit sei insoweit unsubstantiiert, als "keinerlei Befunde und Therapien konkret vorgetragen" worden seien. Damit errechne sich für die Antragsgegnerin ein bereinigtes unterhaltsrechtlich relevantes Nettoeinkommen in Höhe von rund 2.650 € im Jahre 2010 bzw. 2.538 € im Jahre 2011.
8
Das monatliche Nettoeinkommen des Kindesvaters habe sich auf 6.825,75 € im Jahre 2010 und auf 6.921 € im Jahre 2011 belaufen. Mit Ausnahme der Zahlung einer Tantieme in Höhe von 12.000 € - die nach dem "InPrinzip" allerdings ausschließlich dem Einkommen des Jahres 2012 zuzurechnen sei - verfüge der Kindesvater nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme über kein weiteres Einkommen. Unter Berücksichtigung von verschiedenen Abzugspositionen belaufe sich das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des Kindesvaters auf rund 5.100 € und somit auf "deutlich weniger als das Doppelte" des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens der Antragsgegnerin. Die Barunterhaltspflicht des Betreuenden sei zudem auf eng umgrenzte Ausnahmefälle zu beschränken, wofür eine wertende Betrachtung der Gesamtumstände vorzunehmen sei. Die Antragsgegnerin befinde sich mit ihrem Einkommen im Bereich von "Stufe vier der Düsseldorfer Tabelle". Da lediglich eine Unterhaltspflicht bestehe, hätte eigentlich eine höhere Einstufung erfolgen müssen, die der Antragsteller aber nicht geltend gemacht habe. Der angemessene Selbstbehalt der Antragsgegnerin werde auch im Falle der Unterhaltsleistung nicht annähernd tangiert. Die Antragsgegnerin habe selbst angegeben , dass ihre Lebensführung auf einen vollständigen Verbrauch ihres Einkommens gerichtet sei. Es gehe somit lediglich um eine Verteilung des der Antragsgegnerin zur Verfügung stehenden Einkommens zwischen notwendigen Gütern, Luxusgütern und dem Unterhalt für ihren minderjährigen Sohn. Auch dem Kindesvater stehe ein erhebliches Nettoeinkommen zur Verfügung. Allerdings sei er durch die Betreuung des Antragstellers neben einer vollen Berufstätigkeit belastet. Er habe erhebliche finanzielle Belastungen im Zusammenhang mit der Finanzierung seines Hauses, die er zu einem Zeitpunkt eingegangen sei, als der Antragsteller noch nicht bei ihm gelebt habe. Weiter sei die Ehefrau des Kindesvaters zu 80 % schwerbehindert und beziehe lediglich Einkünfte aus einer Invalidenrente und einer geringfügigen Tätigkeit. Zwischen der Antragsgegnerin und dem Kindesvater bestehe somit zwar ein "deutliches fi- nanzielles Ungleichgewicht"; dieses beruhe aber nicht maßgeblich auf der Inanspruchnahme der Antragsgegnerin auf den Kindesunterhalt, welcher lediglich ein Sechstel des ihr zur Verfügung stehenden Nettoeinkommens ausmache. Letztlich sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin und der Kindesvater niemals verheiratet gewesen seien, was der Annahme einer Verpflichtung zum Ausgleich der beiderseitigen Einkommensverhältnisse entgegenstehe.

II.

9
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
10
1. Das Beschwerdegericht hat das unterhaltsrechtlich zu berücksichtigende Einkommen der Antragsgegnerin und daran anknüpfend auch den Unterhaltsbedarf des Antragstellers nicht rechtsfehlerfrei ermittelt.
11
a) Die Feststellungen des Beschwerdegerichts zu den von der Antragsgegnerin in den Jahren 2010 und 2011 bei der S.-Versicherung erzielten Nettoeinkünften werden von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen und lassen Fehler zum Nachteil der Antragsgegnerin nicht erkennen. Die weitergehende Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass die Erzielung dieses Einkommens auch nicht teilweise auf einer überobligatorischen Erwerbstätigkeit beruht, kann dagegen mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben.
12
aa) Überobligatorisch ist eine Tätigkeit dann, wenn für sie keine Erwerbsobliegenheit besteht und deshalb derjenige, der sie ausübt, unterhaltsrechtlich nicht daran gehindert ist, sie jederzeit zu beenden (Wendl/Gerhardt Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 1 Rn. 801). Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass auch beim Verwandtenunter- halt (§ 1601 BGB) das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nur eingeschränkt zu berücksichtigen ist, wenn es auf einer überobligatorischen Tätigkeit beruht und eine vollständige Heranziehung des Einkommens zu Unterhaltszwecken gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB verstieße (Senatsurteile BGHZ 188, 50 = FamRZ 2011, 454 Rn. 53 und vom 7. November 1990 - XII ZR 123/89 - FamRZ 1991, 182, 183 f.). Es ist ferner in Rechtsprechung und Literatur anerkannt , dass die Tätigkeit eines Unterhaltspflichtigen auch dann als ganz oder teilweise überobligatorisch bewertet werden kann, wenn die Ausübung der Erwerbstätigkeit mit an sich unzumutbaren gesundheitlichen Belastungen verbunden ist (vgl. OLG Hamm FamRZ 1994, 1034; AG Flensburg FamRZ 2008, 1626; MünchKommBGB/Maurer 6. Aufl. § 1578 Rn. 106; Reinken in BeckOK BGB [Stand: Mai 2013] § 1602 Rn. 43; jurisPK-BGB/Clausius [Stand: Juni 2013] § 1578 Rn. 9).
13
bb) Wer sich gegenüber seiner Erwerbsobliegenheit auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit berufen will, muss grundsätzlich Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Leiden angeben, und er hat ferner darzulegen, inwieweit die behaupteten gesundheitlichen Störungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken (vgl. Senatsurteile vom 25. Oktober 2006 - XII ZR 190/03 - FamRZ 2007, 200, 201 f. und vom 27. Juni 2001 - XII ZR 135/99 - FamRZ 2001, 1291, 1292). Nach diesen Maßstäben hat das Beschwerdegericht die Anforderungen an die Substantiierung der von der Antragsgegnerin zu erwartenden Darlegungen überspannt.
14
Die Antragsgegnerin hat hierzu vorgetragen, dass sie im Anschluss an eine 1999 durchgeführte Darmkrebsoperation mit anschließender Chemotherapie an Störungen der Darmfunktion leide. Bedingt durch das Fehlen eines Teils des Darmes trete früher als gewöhnlich eine körperliche Erschöpfung ein, so dass die Antragsgegnerin häufigere und längere Erholungsphasen benötige. Im Frühjahr 2009 sei eine Depression mit der Folge von Schlafstörungen, Konzent- rationsstörungen, Energieverlust und Tagesmüdigkeit hinzugetreten, die auch nach dem Abklingen der akuten Phase weiterhin mit Antidepressiva medikamentös behandelt werden müsse. Mit Recht macht die Rechtsbeschwerde geltend , dass das von der Antragsgegnerin hierzu vorgelegte ärztliche Attest vom 18. April 2011 konkrete Diagnosen mit Angaben zur aktuellen Medikation, eine Darstellung der Krankheitsanamnese, sozialbiografische Daten sowie die therapeutische Beurteilung enthält, dass eine "Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit von einem Drittel" vorliege. Unter diesen Umständen konnte das Beschwerdegericht von der Erhebung des angebotenen Sachverständigenbeweises nicht unter Hinweis auf vermeintlich unzureichenden Vortrag zu Befunden und Therapien absehen. Inwieweit die tatsächliche nachhaltige Ausübung einer vollschichtigen Tätigkeit mit dem Vorbringen einer krankheitsbedingten Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit in Einklang gebracht werden kann, ist eine der Beweiswürdigung vorzubehaltende Frage.
15
cc) Eine Beweisaufnahme konnte auch nicht deshalb unterbleiben, weil das von der Antragsgegnerin erzielte Einkommen unabhängig von der angeblichen Unzumutbarkeit einer Vollzeittätigkeit vollständig für Unterhaltszwecke einzusetzen wäre.
16
Hierzu hat der Senat bereits ausgesprochen, dass eine vollständige Heranziehung von Einkommen aus einer - gemessen an § 1603 Abs. 1 BGB - überobligatorischen Erwerbstätigkeit regelmäßig nur dann angezeigt ist, wenn der Unterhaltspflichtige einer gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB unterliegt (Senatsurteil BGHZ 188, 50 = FamRZ 2011, 454 Rn. 54). Demnach ist auch das Einkommen aus einer nach dem Maßstab des § 1603 Abs. 1 BGB unzumutbaren Erwerbstätigkeit in vollem Umfang für den Kindesunterhalt einzusetzen, wenn anderenfalls der Mindestunterhalt nach § 1612 a Abs. 1 BGB gefährdet wäre, welcher der ersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle entspricht. Soweit indessen - wie hier - die Eingruppierung des Unterhaltspflichtigen in eine höhere Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle in Rede steht, muss die Anrechenbarkeit des Einkommens bereits bei der Ermittlung des angemessenen Lebensbedarfs nach § 1610 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Soweit hiernach die vollständige Berücksichtigung des überobligatorischen Einkommens nicht mit Treu und Glauben vereinbar wäre, ist schon der Bedarf nur aufgrund des reduzierten Einkommens zu bemessen (Senatsurteil BGHZ 188, 50 = FamRZ 2011, 454 Rn. 54).
17
In welchem Umfang ein Einkommen aus überobligatorischer Tätigkeit für den Unterhalt heranzuziehen ist, bestimmt der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung der Einzelfallumstände, die insbesondere der Überobligationsmäßigkeit der Tätigkeit und den Besonderheiten des Unterhaltsverhältnisses angemessen Rechnung trägt. Dabei wird beim Unterhalt für minderjährige oder privilegiert volljährige Kinder eine (zumindest teilweise) Anrechnung überobligatorisch erzielten Einkommens des Pflichtigen eher in Betracht kommen als beim Unterhalt für Ehegatten oder sonstige Verwandte.
18
b) Auch die Behandlung der von der Antragsgegnerin geltend gemachten Kreditverbindlichkeiten durch das Beschwerdegericht ist nicht in jeder Hinsicht frei von rechtlichen Bedenken.
19
aa) Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass Ansprüchen Unterhaltsberechtigter kein allgemeiner Vorrang vor anderen Verbindlichkeiten des Unterhaltspflichtigen zukommt. Andererseits dürfen diese Verbindlichkeiten auch nicht ohne Rücksicht auf die Unterhaltsinteressen getilgt werden. Vielmehr bedarf es eines Ausgleichs der Belange von Unterhaltsgläubiger, Unterhaltsschuldner und Drittgläubiger. Ob eine Verbindlichkeit im Einzelfall zu berücksichtigen ist, kann danach nur im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung nach billigem Ermessen entschieden werden. Insoweit sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats insbesondere der Zweck der Verbindlichkeiten, der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der beiderseitigen Bedürfnisse, die Kenntnis des Unterhaltsschuldners von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und seine Möglichkeiten von Bedeutung, die Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise wiederherzustellen (grundlegend Senatsurteil vom 25. November 1981 - IVb ZR 611/80 - FamRZ 1982, 157, 158 f.; vgl. zuletzt Senatsurteile vom 30. Januar 2013 - XII ZR 158/10 - FamRZ 2013, 616 Rn. 19 und vom 17. September 2012 - XII ZR 17/11 - FamRZ 2013, 868 Rn. 29).
20
bb) Nicht zu beanstanden ist nach diesen Maßstäben allerdings die Annahme des Beschwerdegerichts, dass Ratenzahlungen auf die beiden von der Antragsgegnerin behaupteten Verwandtendarlehen nicht als Abzugsposition von ihrem Einkommen berücksichtigt werden können.
21
Die Notwendigkeit der Darlehensaufnahme lässt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht mit der Finanzierung des - nach dem Auszug des Antragstellers erforderlich gewordenen - Umzugs in eine kleinere Wohnung begründen. Die von der Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang konkret geltend gemachten Aufwendungen für die Umzugskosten (1.800 €), den Rückbau von Anschlüssen in der alten Wohnung (157 €), die Verlegung von Fußboden in der neuen Wohnung (3.033 €) und den Kauf eines neuen Kühlschranks (229 €) fallen insgesamt mit rund 5.200 € ins Gewicht, so dass die Antragsgegnerin schon nicht plausibel dargelegt hat, warum zur Finanzierung des Umzugs Darlehen in einer Gesamthöhe von 8.000 € aufgenommen werden mussten. Im Übrigen gilt der Grundsatz, dass in Kenntnis der Unterhaltsverpflichtung eingegangene Schulden des Unterhaltspflichtigen nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie unausweichlich notwendige und nicht durch anderweitige Mittel finanzierbare Anschaffungen oder Dienstleistungen betreffen (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 1993 - XII ZR 115/92 - FamRZ 1994, 824, 825). Jedenfalls soweit die Antragsgegnerin für die Verlegung von Eichenparkettfußboden in ihrer neuen Wohnung Kosten von mehr als 3.000 € geltend machen will, wird die unabweisbare Notwendigkeit eines derart hohen Aufwands für die Wohnungsausstattung kaum zu begründen sein. Ansonsten dürfte der Wohnungswechsel nur einen maßvollen Finanzierungsbedarf erzeugt haben, so dass die geringfügigen Raten auf einen entsprechenden Kredit angesichts der nicht beengten Einkommensverhältnisse der Antragsgegnerin noch zu den - aus dem Selbstbehalt und dem darüber hinaus verfügbaren Einkommen zu tragenden - Kosten der allgemeinen Lebensführung gerechnet werden könnten (vgl. Senatsurteil vom 3. Dezember 2008 - XII ZR 182/06 - FamRZ 2009, 314 Rn. 30 f.).
22
cc) Soweit das Beschwerdegericht indessen meint, dass auch der (mittlerweile in einen Ratenkredit umgeschuldete) Dispositionskredit auf dem Girokonto der Antragsgegnerin unterhaltsrechtlich nicht beachtlich sei, weil die Antragsgegnerin nicht nachgewiesen habe, dass die Kontenüberziehung auf den von ihr behaupteten Kosten ihrer versicherungsrechtlichen Zusatzausbildung beruht, begegnet dies rechtlichen Bedenken. Auch wenn man - wovon das Beschwerdegericht ersichtlich ausgeht - annehmen wollte, dass die Überziehung des Girokontos der Antragsgegnerin im Wesentlichen durch unangepasstes Konsumverhalten in der Vergangenheit verursacht worden ist, spricht allein dies unter den hier obwaltenden Umständen noch nicht gegen die unterhaltsrechtliche Relevanz dieser Verbindlichkeiten.
23
Richtig ist dabei der Ausgangspunkt, dass Überziehungskredite oder sonstige Konsumkredite, die in Kenntnis der Unterhaltspflicht deswegen aufgenommen worden sind, weil der Unterhaltspflichtige mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zur Bestreitung seiner allgemeinen Lebenshaltungskosten nicht auskommt, unterhaltsrechtlich grundsätzlich nicht berücksichtigt werden können. Denn der Unterhaltsberechtigte muss es nicht hinnehmen, dass sein laufender Unterhalt reduziert werden soll, weil von dem Unterhaltspflichtigen in der Vergangenheit mehr konsumiert als verdient wurde (Erman/Hammermann BGB 13. Aufl. § 1603 Rn. 115).
24
Von gewichtiger Bedeutung für die Berücksichtigungsfähigkeit von Verbindlichkeiten ist auch in diesem Zusammenhang allerdings der Umstand, ob die Schulden zu einem Zeitpunkt entstanden sind, als der Unterhaltspflichtige mit seiner Inanspruchnahme (noch) nicht rechnen musste (vgl. auch Senatsurteil BGHZ 154, 247 = FamRZ 2003, 1179, 1181). Im vorliegenden Fall brauchte die Antragsgegnerin bis zum Auszug des seinerzeit 12-jährigen Antragstellers am 22. Mai 2010 noch nicht davon auszugehen, ihm gegenüber auf absehbare Zeit barunterhaltspflichtig zu werden. Es ist daher nicht ohne weiteres gerechtfertigt , der Antragsgegnerin die unterhaltsrechtliche Berücksichtigung angemessener Zins- und Tilgungsraten zur Rückführung ihres Dispositionskredites, der nach den vorgelegten Kontoauszügen Anfang Mai 2010 mit über 7.500 € valutierte, allein mit Blick auf eine mögliche Vermeidbarkeit der Kontenüberziehung zu versagen.
25
2. Unabhängig von den gegenüber der Einkommensermittlung aufseiten der Antragsgegnerin zu erhebenden Beanstandungen sind auch die weitergehenden Erwägungen des Beschwerdegerichts zu der Frage, ob sich der Kindesvater als anderer unterhaltspflichtiger Verwandter (§ 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB) am Barunterhalt für den Antragsteller beteiligen muss, nicht in jeder Hinsicht frei von rechtlichen Bedenken.
26
a) Richtig ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts. Auch der betreuende Elternteil kommt als anderer unterhaltspflichtiger Verwandter in Betracht, wenn dieser in der Lage ist, unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen neben der Betreuung des Kindes auch dessen Barunterhalt ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Selbstbehaltes aufzubringen. Um die Regel der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) dabei nicht ins Leere laufen zu lassen, setzt die anteilige oder vollständige Haftung des betreuenden Elternteils für den Barunterhalt des minderjährigen Kindes nach ständiger Rechtsprechung des Senats zusätzlich voraus, dass ohne die Beteiligung des betreuenden Elternteils am Barunterhalt ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstehen würde (vgl. zuletzt Senatsurteile BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 Rn. 41 f. und vom 31. Oktober 2007 - XII ZR 112/05 - FamRZ 2008, 137 Rn. 41 f.).
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b) Nach diesen Maßstäben kann die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils entfallen oder sich ermäßigen, wenn er zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung seines eigenen angemessenen Unterhalts in der Lage wäre. Kann der barunterhaltspflichtige Elternteil demgegenüber - wie es hier der Fall sein dürfte - auch bei Zahlung des vollen Kindesunterhalts seinen angemessenen Selbstbehalt noch verteidigen, wird eine vollständige oder anteilige Haftung des betreuenden Elternteils für die Aufbringung des Barunterhalts nur in wenigen, besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen (Senatsurteil vom 20. März 2002 - XII ZR 216/00 - FamRZ 2002, 742).
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aa) Die Frage, wann ein solcher Ausnahmefall vorliegt, kann - wovon das Beschwerdegericht im Grundsatz zutreffend ausgeht - nicht in jedem Einzelfall schematisch durch die Gegenüberstellung der beiderseitigen, aufseiten des barunterhaltspflichtigen Elternteils gegebenenfalls auch fiktiven (vgl. MünchKommBGB /Born 6. Aufl. § 1603 Rn. 114; OLG Köln OLGR 2003, 340, 343; OLG Bamberg FamRZ 1995, 566 f.) Nettoeinkünfte beurteilt werden (vgl. Palandt /Brudermüller BGB 72. Aufl. § 1606 Rn. 16). Vielmehr ist die unterhaltsrechtliche Belastung der Elternteile im Rahmen einer umfassenden Billigkeitsabwägung angemessen zu würdigen. Aufseiten des barunterhaltspflichtigen Elternteils kann daher insbesondere berücksichtigt werden, ob sein eigener Unterhalt in neuer Lebensgemeinschaft gesichert ist (vgl. FAKomm-FamR/Klein 4. Aufl. § 1603 BGB Rn. 41). Demgegenüber wird es aufseiten des betreuenden Elternteils vor allem darauf ankommen, inwieweit dieser aufgrund der individuellen Verhältnisse durch die Übernahme der Kindesbetreuung neben der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit belastet wird; im Rahmen der Gesamtbetrachtung kann daneben aber auch die Belastung des betreuenden Elternteils mit anderen - gegebenenfalls auch nachrangigen - Unterhaltspflichten von Bedeutung sein. Daneben ist zugunsten eines wirtschaftlich besser gestellten betreuenden Elternteils zu bedenken, dass das minderjährige Kind faktisch auch dessen gehobene Lebensverhältnisse teilt; ein dadurch erzeugter zusätzlicher Barbedarf des Kindes muss von vornherein allein durch den betreuenden Elternteil befriedigt werden (vgl. Gutdeutsch FamRZ 2006, 1724, 1727).
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bb) Wenn der betreuende Elternteil etwa über das Dreifache der unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils verfügt, nähert sich die Einkommensdifferenz einer Grenze, an der es unter gewöhnlichen Umständen der Billigkeit entsprechen kann, den betreuenden Elternteil auch den Barunterhalt für das Kind in voller Höhe aufbringen zu lassen (vgl. Wendl/Klinkhammer 8. Aufl. § 2 Rn. 434; Botur in Büte/Poppen/Menne Unterhaltsrecht 2. Aufl. § 1603 BGB Rn. 99; vgl. zuletzt auch OLG Naumburg FamRZ 2013, 796; OLG Brandenburg JAmt 2012, 710, 711 f.; OLG Celle NJW 2009, 521, 523).
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Unterhalb dieser Schwelle wird auch bei einer erheblichen Einkommensdifferenz eine vollständige Enthaftung des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils häufig ausscheiden; in welchem Umfang der nicht betreuende Elternteil in solchen Fällen bei der Aufbringung des Barunterhalts ausnahmsweise entlastet werden kann, hat vorrangig der Tatrichter unter Berücksichtigung der vorstehenden Gesichtspunkte in eigener Verantwortung zu prüfen. Der Senat hat grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken dagegen, im rechnerischen Ausgangspunkt auf den Verteilungsmaßstab der elterlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB) zurückzugreifen. Wird allerdings bei der Quotenberechnung das vergleichbare Einkommen der Eltern dadurch bestimmt, dass von den unterhaltsrelevanten Einkünften beider Elternteile gleichermaßen der angemessene Selbstbehalt als Sockelbetrag abgezogen wird, müssen die auf diese Weise ermittelten Haftungsanteile in aller Regel zugunsten des betreuenden Elternteils wertend verändert werden, um der Gleichwertigkeitsregel des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB Geltung zu verschaffen (vgl. auch Erdrich in Scholz/Kleffmann/Motzer Praxishandbuch Familienrecht [Bearbeitungsstand: Januar 2013] Teil I Rn. 149). Denkbar erscheint es auch, dem betreuenden Elternteil bereits bei der Bestimmung des vergleichbaren Einkommens im Rahmen der Quotenberechnung einen höheren Sockelbetrag zu gewähren (vgl. etwa Gutdeutsch FamRZ 2006, 1724, 1727; Scholz FamRZ 2006, 1728, 1730). Auch bei erheblich günstigeren Einkommensverhältnissen des betreuenden Elternteils kann die Würdigung des Tatrichters somit zu dem Ergebnis führen, dass der nicht betreuende Elternteil im erhöhten Maße und gegebenenfalls auch allein zur Aufbringung des Barunterhalts heranzuziehen ist.
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c) Das Beschwerdegericht hat insoweit zutreffend in seine Abwägungen einbezogen, dass der Kindesvater gegenüber seiner Ehefrau, die selbst nur über geringe Einkünfte verfügt, unterhaltspflichtig ist. Mit Recht wendet sich die Rechtsbeschwerde allerdings gegen die Ansicht des Beschwerdegerichts, wonach auch der Umstand, dass die Eltern des Kindes niemals verheiratet waren, einer Entlastung des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils entgegenstehen könnte. Bei der Frage, ob ohne eine Beteiligung des betreuenden Elternteils an der Aufbringung des Barunterhalts ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstehen würde, geht es in erster Linie um die gerechte Aufteilung der aus der elterlichen Verantwortung herrührenden Belastungen beider Elternteile. Sie ist deshalb unabhängig davon zu beantworten, ob es sich um Eltern eines nichtehelich geborenen Kindes oder um getrennt lebende bzw. geschiedene Eltern handelt.
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3. Die angefochtene Entscheidung kann somit keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, zumal das Beschwerdegericht selbst davon ausgeht, dass seine Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen des Kindesvaters hinsichtlich der unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Abzugspositionen noch nicht vollständig sind.
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Der Senat macht von der Möglichkeit des § 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG Gebrauch. Dose Weber-Monecke Schilling Günter Botur
Vorinstanzen:
AG Hamburg-Wandsbek, Entscheidung vom 12.01.2011 - 733 F 189/10 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 25.04.2012 - 2 UF 39/11 -

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.