Europäischer Gerichtshof Urteil, 08. Nov. 2018 - C-495/17

ECLI:ECLI:EU:C:2018:887
bei uns veröffentlicht am08.11.2018

Gericht

Europäischer Gerichtshof

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

8. November 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Steuerbefreiungen – Art. 146 Abs. 1 Buchst. e und Art. 153 – Straßengütertransportumsätze in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausfuhr von Gegenständen – Leistungen von Vermittlern, die bezüglich solcher Umsätze tätig sind – Beweisregelung bezüglich der Ausfuhr von Gegenständen – Zollanmeldung – Carnet TIR“

In der Rechtssache C‑495/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Prahova (Landgericht Prahova, Rumänien) mit Entscheidung vom 14. Februar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 14. August 2017, in dem Verfahren

Cartrans Spedition SRL

gegen

Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Ploieşti – Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Prahova,

Direcţia Regională a Finanţelor Publice Bucureşti – Administraţia Fiscală pentru Contribuabili Mijlocii

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Dritten Kammer A. Prechal (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Siebten Kammer sowie der Richterin C. Toader und des Richters A. Rosas,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Cartrans Spedition SRL, vertreten durch R. Ioniţă und R. Popescu als Bevollmächtigte,

der rumänischen Regierung, zunächst vertreten durch R. H. Radu, dann durch C.‑R. Canţăr, C.‑M. Florescu und O.‑C. Ichim als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und L. Radu Bouyon als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. Juli 2018

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 146 Abs. 1 Buchst. e und Art. 153 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Cartrans Spedition SRL (im Folgenden: Cartrans) auf der einen sowie der Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice Ploiești – Administrația Județeană a Finanțelor Publice Prahova (Regionalgeneraldirektion für öffentliche Finanzen – Kreisdirektion für öffentliche Finanzen Prahova, Rumänien) und der Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice București – Administrația Fiscală pentru Contribuabili Mijlocii (Regionalgeneraldirektion für öffentliche Finanzen Bukarest – Finanzverwaltung für mittelgroße Steuerpflichtige, Rumänien) auf der anderen Seite wegen der Weigerung der Steuerbehörden, mehrere Transportumsätze, die zum Zweck der Ausfuhr von Waren in Drittländer getätigt wurden und an denen Cartrans beteiligt war, von der Mehrwertsteuer zu befreien.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Mehrwertsteuerrichtlinie

3

In Kapitel 1 („Allgemeine Bestimmungen“) des Titels IX („Steuerbefreiungen“) der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt Art. 131:

„Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.“

4

In Kapitel 6 („Steuerbefreiungen bei der Ausfuhr“) des Titels IX der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht Art. 146 Abs. 1 vor:

„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

a)

die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer oder für dessen Rechnung nach Orten außerhalb der [Europäischen Union] versandt oder befördert werden;

e)

Dienstleistungen, einschließlich Beförderungsleistungen und Nebentätigkeiten zur Beförderung, ausgenommen die gemäß den Artikeln 132 und 135 von der Steuer befreiten Dienstleistungen, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausfuhr oder der Einfuhr von Gegenständen stehen …“

5

In Kapitel 9 („Steuerbefreiungen für Dienstleistungen von Vermittlern“) des Titels IX der Richtlinie bestimmt Art. 153 Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten befreien Dienstleistungen von Vermittlern, die im Namen und für Rechnung Dritter handeln, von der Steuer, wenn sie in den Kapiteln 6, 7 und 8 genannte Umsätze oder Umsätze außerhalb der [Union] betreffen.“

Zollkodex

6

In Art. 4 Nrn. 16 und 17 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 648/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 (ABl. 2005, L 117, S. 13) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex) heißt es:

„Im Sinne dieses Zollkodex ist …

16.

Zollverfahren:

b)

Versandverfahren;

h)

Ausfuhrverfahren;

17.

Zollanmeldung: die Handlung, mit der eine Person in der vorgeschriebenen Form und nach den vorgeschriebenen Bestimmungen die Absicht bekundet, eine Ware in ein bestimmtes Zollverfahren überführen zu lassen“.

7

In Abschnitt 1 („Überführung von Waren in ein Zollverfahren“) von Kapitel 2 („Zollverfahren“) des Titels IV („Zollrechtliche Bestimmung“) des Zollkodex sieht Art. 59 vor:

„(1)   Alle Waren, die in ein Zollverfahren übergeführt werden sollen, sind zu dem betreffenden Verfahren anzumelden.

(2)   Gemeinschaftswaren, die zur Ausfuhr, zur passiven Veredelung, zum Versandverfahren oder zum Zolllagerverfahren angemeldet worden sind, stehen vom Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung an unter zollamtlicher Überwachung, bis sie aus dem Zollgebiet der [Union] verbracht oder vernichtet oder zerstört werden oder bis die Zollanmeldung für ungültig erklärt wird.“

8

In Ziff. I („Allgemeine Bestimmungen“) von Buchst. B („Externes Versandverfahren“) des Abschnitts 3 („Nichterhebungsverfahren und Zollverfahren mit wirtschaftlicher Bedeutung“) des genannten Kapitels 2 des Zollkodex heißt es in Art. 91:

„(1)   Im externen Versandverfahren können folgende Waren zwischen zwei innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft gelegenen Orten befördert werden:

b)

Gemeinschaftswaren, wobei die Fälle und Voraussetzungen im Ausschussverfahren festzulegen sind, damit die Erzeugnisse, die im Zusammenhang mit der Ausfuhr Maßnahmen unterliegen oder in den Genuss von Maßnahmen kommen, diesen Maßnahmen nicht entzogen werden können oder nicht ungerechtfertigt in deren Genuss kommen können.

(2)   Die Beförderung nach Absatz 1 erfolgt

b)

mit Carnet TIR (TIR-Übereinkommen), sofern

1.

eine solche Beförderung außerhalb der [Union] begonnen hat oder enden soll …

…“

9

In Abschnitt 4 („Ausfuhr“) des genannten Kapitels 2 des Zollkodex bestimmt Art. 161 Abs. 1 und 2:

„(1)   Im Ausfuhrverfahren können Gemeinschaftswaren aus dem Zollgebiet der [Union] verbracht werden.

Die Ausfuhr umfasst die Anwendung der handelspolitischen Maßnahmen und die Erfüllung der übrigen für die Waren geltenden Ausfuhrförmlichkeiten und gegebenenfalls die Erhebung der Ausfuhrabgaben.

(2)   … [J]ede zur Ausfuhr bestimmte Gemeinschaftsware [ist] in das Ausfuhrverfahren überzuführen.“

10

In Titel V („Verbringung von Waren aus dem Zollgebiet der [Union]“) des Zollkodex sieht Art. 182a Abs. 1 vor:

„Für Waren, die aus dem Zollgebiet der [Union] verbracht werden, ist entweder eine Zollanmeldung oder, sofern diese nicht erforderlich ist, eine summarische Anmeldung abzugeben; hiervon ausgenommen sind Waren, die mit Beförderungsmitteln transportiert werden, die die Hoheitsgewässer oder den Luftraum des Zollgebiets lediglich durchqueren und dort keinen Zwischenstopp einlegen.“

11

In Art. 182b Abs. 1 und 2 des Zollkodex heißt es:

„(1)   Sollen Waren, die aus dem Zollgebiet der [Union] verbracht werden, eine zollrechtliche Bestimmung erhalten, für die nach den Zollvorschriften eine Zollanmeldung erforderlich ist, so ist diese Zollanmeldung vor dem Verbringen der Waren aus dem Zollgebiet der [Union] bei der Ausfuhrzollstelle abzugeben.

(2)   Ist die Ausfuhrzollstelle eine andere Zollstelle als die Ausgangszollstelle, so muss die Ausfuhrzollstelle die Angaben, die die Ausgangszollstelle benötigt, dieser unverzüglich übermitteln oder elektronisch zugänglich machen.“

TIR-Übereinkommen

12

Das Zollübereinkommen über den internationalen Warentransport mit Carnets TIR, das am 14. November 1975 in Genf unterzeichnet wurde und mit der Verordnung (EWG) Nr. 2112/78 des Rates vom 25. Juli 1978 (ABl. 1978, L 252, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigt wurde, ist für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft am 20. Juni 1983 in Kraft getreten (ABl. 1983, L 31, S. 13). Diesem Übereinkommen gehören auch alle Mitgliedstaaten an.

13

In der durch den Beschluss 2009/477/EG des Rates vom 28. Mai 2009 (ABl. 2009, L 165, S. 1) veröffentlichten geänderten und konsolidierten Fassung (im Folgenden: TIR-Übereinkommen) heißt es in Art. 1:

„Im Sinne dieses Übereinkommens bedeutet der Begriff:

a)

‚TIR-Transport‘ die Beförderung von Waren von einer Abgangszollstelle bis zu einer Bestimmungszollstelle im Rahmen des in diesem Übereinkommen festgelegten sogenannten TIR-Verfahrens;

b)

‚TIR-Versand‘ den Streckenteil eines TIR-Transports, der in einer Vertragspartei von einer Abgangszollstelle oder Eingangszollstelle (Durchgangszollstelle) bis zu einer Bestimmungszollstelle oder Ausgangszollstelle (Durchgangszollstelle) erfolgt;

e)

‚Erledigung eines TIR-Versands‘ die Bestätigung der ordnungsgemäßen Beendigung eines TIR-Versands in einer Vertragspartei durch die Zollbehörden. Sie wird von den Zollbehörden anhand eines Vergleichs der bei der Bestimmungszollstelle oder Ausgangszollstelle (Durchgangszollstelle) verfügbaren Angaben oder Informationen mit denjenigen, die bei der Abgangszollstelle oder Eingangszollstelle (Durchgangszollstelle) verfügbar sind, festgestellt;

o)

‚Inhaber‘ eines Carnet TIR diejenige Person, für die ein Carnet TIR gemäß den einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens ausgestellt und in deren Namen eine Zollanmeldung in Form eines Carnet TIR vorgenommen worden ist, wodurch die Absicht zum Ausdruck gebracht wurde, Waren bei der Abgangszollstelle dem TIR-Verfahren zuzuführen. Der Inhaber ist verantwortlich für die Vorführung des Straßenfahrzeugs, des Lastzugs oder des Behälters zusammen mit der Ladung und dem zugehörigen Carnet TIR bei der Abgangszollstelle, der Durchgangszollstelle und der Bestimmungszollstelle sowie für die ordnungsgemäße Einhaltung der anderen einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens;

…“

14

Art. 4 des TIR-Übereinkommens sieht vor, dass für Waren, die im durch das Übereinkommen festgelegten TIR-Verfahren befördert werden, eine Entrichtung oder Hinterlegung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben bei den Durchgangszollstellen nicht gefordert wird.

15

Voraussetzung für diese Erleichterungen ist nach dem TIR-Übereinkommen u. a., wie sich aus dessen Art. 3 Buchst. b ergibt, dass die Waren während des gesamten Transports von einem einheitlichen Dokument, d. h. dem Carnet TIR, begleitet werden, das der Kontrolle der Ordnungsgemäßheit des Vorgangs dient.

16

Das Carnet TIR setzt sich aus einer Reihe von Blättern zusammen, die einen Abschnitt Nr. 1 und einen Abschnitt Nr. 2 mit den entsprechenden Stammblättern umfassen, auf denen alle erforderlichen Angaben eingetragen sind, wobei für jedes durchfahrene Hoheitsgebiet ein Abschnitt in doppelter Ausfertigung verwendet wird. Zu Beginn des Transportvorgangs wird Stammblatt Nr. 1 bei der Abgangszollstelle hinterlegt. Die Erledigung erfolgt nach dem Eingang des von der im selben Zollgebiet belegenen Ausgangszollstelle übermittelten Stammblatts Nr. 2. Dieses Verfahren wiederholt sich bei jedem durchfahrenen Hoheitsgebiet unter Verwendung der verschiedenen doppelt ausgefertigten Abschnitte, die sich im selben Carnet befinden.

Versandverfahrenshandbuch für das TIR-Verfahren

17

Das Versandverfahrenshandbuch für das TIR-Verfahren (Dokument TAXUD/1873/2007) wurde von der Europäischen Kommission im Rahmen des Ausschusses für den Zollkodex (Fachbereich Versandverfahren – TIR) ausgearbeitet. Nr. 1.2 in Teil IX dieses Handbuchs sieht vor:

„… [D]as Carnet TIR ist eine Zollanmeldung für die Warenbeförderung. Es dient als Nachweis für die Leistung einer Sicherheit. … Das Carnet TIR wird im Abgangsland eröffnet und ermöglicht die Zollkontrolle im Abgangs-, Durchgangs- und Bestimmungsland“.

Rumänisches Recht

18

Art. 143 Abs. 1 Buchst. c der Legea nr. 571/2003 privind Codul fiscal (Gesetz Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch) vom 22. Dezember 2003 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 927 vom 23. Dezember 2003) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Steuergesetzbuch) bestimmt:

„Von der Steuer sind befreit:

c)

in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausfuhr von Gegenständen stehende Dienstleistungen, einschließlich Beförderungsleistungen und Nebentätigkeiten zur Beförderung, ausgenommen die in Art. 141 vorgesehenen“.

19

In Art. 1441 des Steuergesetzbuchs heißt es:

„Von der Steuer befreit sind Dienstleistungen von Vermittlern, die im Namen und für Rechnung Dritter handeln, soweit diese Dienstleistungen im Zusammenhang mit von der Steuer befreiten Umsätzen im Sinne der Art. 143 und 144 erbracht werden …“

20

In Art. 4 Abs. 2 des Ordinul nr. 2222/2006 al ministerului finanțelor publice privind aprobarea Instrucțiunilor de aplicare a scutirii de taxă pe valoarea adăugată pentru operațiunile prevăzute la articolul 143 alineatul (1) literele a)-i), articolul 143 alineatul (2) și articolul 144 din Legea nr. 571/2003 privind Codul fiscal (Erlass Nr. 2222/2006 des Ministers für öffentliche Finanzen zur Genehmigung der Anweisungen zu Anwendung der Befreiung von der Mehrwertsteuer bei Umsätzen nach Art. 143 Abs. 1 Buchst a bis i, Art. 143 Abs. 2 und Art. 1441 des Gesetzes Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch, im Folgenden: Ministerialerlass Nr. 2222/2006) heißt es:

„Die Steuerbefreiung nach Art. 143 Abs. 1 Buchst. c des Steuergesetzbuchs für in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausfuhr von Gegenständen stehende Leistungen der Beförderung von Gegenständen ist … vom Leistungserbringer … nachzuweisen. Dokumente, auf deren Grundlage die Steuerbefreiung nachgewiesen wird, sind:

a)

die Rechnung … oder gegebenenfalls für die Personen, die die Beförderungsleistung tatsächlich erbringen, das spezifische Beförderungsdokument …

b)

der mit dem Leistungsempfänger geschlossene Vertrag;

c)

die spezifischen Beförderungsdokumente nach Abs. 4 entsprechend der Art der Beförderung oder gegebenenfalls Kopien dieser Dokumente;

d)

Dokumente, aus denen hervorgeht, dass die beförderten Waren ausgeführt wurden.“

21

In ihren schriftlichen Erklärungen haben sowohl die rumänische Regierung als auch die Kommission darauf hingewiesen, dass es in Art. 4 Abs. 4 des Ministerialerlasses Nr. 2222/2006, auf den Art. 4 Abs. 2 Buchst. c dieses Erlasses verweist, u. a. heiße, dass das Carnet TIR das spezifische Beförderungsdokument im Fall des Straßengüterverkehrs sei.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

22

Cartrans, eine Gesellschaft mit Sitz in Rumänien, ist eine Vermittlerin auf dem Gebiet der Güterkraftverkehrsdienste. Nach einer Steuerprüfung wurde ihr ein Steuerbescheid zugestellt, der am 13. August 2014 erlassen worden war und mit dem Mehrwertsteuer in Höhe von 16203 rumänischen Lei (RON) (ungefähr 3650 Euro) bezüglich sieben Güterkraftverkehrsdienstleistungen im Zusammenhang mit Ausfuhren von Waren in einem Gesamtwert von 67512 RON (ungefähr 15160 Euro) – von denen drei in den Monaten März bis Mai 2012 in die Türkei, zwei im August 2012 nach Georgien, die sechste im Februar 2013 in den Irak und die letzte im April 2014 in die Ukraine erfolgten – nacherhoben wurde.

23

Dem am Schluss dieser Steuerprüfung erstellten Bericht und dem genannten Steuerbescheid zufolge konnte Cartrans hinsichtlich der betreffenden Beförderungsleistungen nicht in den Genuss der Mehrwertsteuerbefreiung gelangen, da sie bei dieser Prüfung keine Ausfuhrzollanmeldungen vorlegen konnte, die hätten belegen können, dass die betreffenden Waren tatsächlich ausgeführt wurden.

24

Cartrans erhob gegen den Steuerbescheid Klage beim Tribunalul Prahova (Landgericht Prahova, Rumänien). Zur Stützung ihrer Klage macht sie geltend, dass die in ihrem Besitz befindlichen Dokumente – im vorliegenden Fall die Carnets TIR und die CMR-Frachtbriefe (ausgestellt auf der Grundlage des am 19. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr [CMR] in der durch das Protokoll vom 5. Juli 1978 geänderten Fassung), die von den Zollstellen der Drittländer, in die die Ausfuhren erfolgt seien, mit einem Sichtvermerk versehen worden seien – belegten, dass diese Ausfuhren tatsächlich erfolgt seien, und gemäß Art. 4 Abs. 2 Buchst. d des Ministerialerlasses Nr. 2222/2006 deren Befreiung von der Mehrwertsteuer rechtfertigten. Cartrans stellt insbesondere klar, dass die Carnets TIR die Angabe der betreffenden Waren enthielten und ein zollrechtliches Versandverfahren von einer Abgangszollstelle bis zu einer Zielzollstelle bescheinigten.

25

Die Steuerbehörde macht zu ihrer Verteidigung geltend, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beförderungen keine von der Mehrwertsteuer befreiten Dienstleistungen darstellen könnten, da die von Cartrans vorgelegten Dokumente zwar den Nachweis erlaubten, dass für die Ausführer Beförderungsleistungen im Ausland erbracht worden seien, damit aber nicht bewiesen werde, dass die Waren tatsächlich ausgeführt worden seien. Ein solcher Beweis erfordere nach den geltenden steuerrechtlichen Vorschriften die Vorlage der Ausfuhrzollanmeldungen.

26

Das vorlegende Gericht weist hierzu allerdings u. a. darauf hin, dass das innerstaatliche Recht keine Vorschrift enthalte, die ausdrücklich regeln würde, welche Art von Dokumenten den Beweis erbrächten, dass die beförderten Gegenstände ausgeführt worden seien.

27

Unter diesen Umständen hat das Tribunalul Prahova (Landgericht Prahova) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Zu den Vorlagefragen

28

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 153 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie verpflichtet sind, Dienstleistungen von Vermittlern, die im Namen und für Rechnung Dritter handeln, von der Steuer zu befreien, wenn sie u. a. die in Titel IX Kapitel 6 dieser Richtlinie genannten Umsätze betreffen.

29

Art. 146 Abs. 1 Buchst. e in Titel IX Kapitel 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie erlegt den Mitgliedstaaten die Pflicht auf, Dienstleistungen, einschließlich Beförderungsleistungen und Nebentätigkeiten zur Beförderung, von der Mehrwertsteuer zu befreien, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausfuhr von Gegenständen nach Orten außerhalb der Union stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2017, L.Č., C‑288/16, EU:C:2017:502, Rn. 20).

30

Im vorliegenden Fall ist zwar in den an den Gerichtshof gerichteten Vorlagefragen Art. 153 der Mehrwertsteuerrichtlinie erwähnt, jedoch enthält die Vorlageentscheidung außer der Klarstellung, dass Cartrans eine Vermittlerin auf dem Gebiet des Güterkraftverkehrs sei, keinen weiteren konkreten Hinweis, anhand dessen bestimmt werden könnte, welche Dienstleistungen diese Gesellschaft im vorliegenden Fall in dieser Vermittlereigenschaft im Namen und für Rechnung Dritter handelnd erbracht haben soll. Im Übrigen scheint aus dem Wortlaut dieser Entscheidung hervorzugehen, dass sich der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerbescheid auf die unmittelbar für Beförderungsdienstleistungen zum Zweck der Ausfuhr von Waren geschuldete Mehrwertsteuer bezieht.

31

Vor diesem Hintergrund ist es in Anbetracht der unzureichenden Informationen, über die der Gerichtshof verfügt, Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung der die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation kennzeichnenden Umstände zu prüfen, ob Art. 153 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit Art. 146 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie auf diese Situation tatsächlich Anwendung finden kann oder ob insoweit nur die letztgenannte Vorschrift anwendbar ist.

32

Zudem bezieht sich die zweite Frage zwar auf den Fall der Verweigerung des Rechts auf Vorsteuerabzug, jedoch geht, wie die Generalanwältin in Nr. 20 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, aus den Gründen der Vorlageentscheidung hervor, dass die Fragen des vorlegenden Gerichts im Wesentlichen die Voraussetzungen betreffen, die es ermöglichen, in den Genuss einer Befreiung von der Mehrwertsteuer zu kommen.

33

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, wissen möchte, ob Art. 146 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie und – gegebenenfalls – diese Vorschrift in Verbindung mit Art. 153 der genannten Richtlinie der Steuerpraxis eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der die Befreiung von der Mehrwertsteuer für die unmittelbar mit der Ausfuhr von Gegenständen in Zusammenhang stehenden Beförderungsleistungen bzw. für die durch Vermittler, die bezüglich dieser Beförderungsleistungen tätig sind, erbrachten Dienstleistungen versagt wird, wenn der Steuerpflichtige nicht in der Lage ist, die Ausfuhr der betreffenden Gegenstände spezifisch und ausschließlich durch eine Ausfuhrzollanmeldung nachzuweisen. Für den Fall, dass dies bejaht wird, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die genannten Vorschriften dahin auszulegen sind, dass ein von einer Zollstelle des Drittlands, in das die Gegenstände befördert wurden, mit einem Sichtvermerk versehenes Carnet TIR, das vom Steuerpflichtigen vorgelegt worden ist, für sich genommen in jedem Fall zum Nachweis geeignet ist, dass diese Gegenstände tatsächlich ausgeführt wurden.

34

Erstens ist, was die in Art. 146 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Steuerbefreiung anbelangt, zunächst darauf hinzuweisen, dass diese die in Art. 146 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie vorgesehene ergänzt und wie diese die Besteuerung der betreffenden Dienstleistungen an deren Bestimmungsort sicherstellen soll, d. h. an dem Ort, an dem die ausgeführten Erzeugnisse verbraucht werden (Urteil vom 29. Juni 2017, L.Č., C‑288/16, EU:C:2017:502, Rn. 19).

35

Insoweit hat der Gerichtshof unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung, wonach Mehrwertsteuerbefreiungen eng auszulegen sind, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass die Mehrwertsteuer auf jede Lieferung von Gegenständen und jede Dienstleistung erhoben wird, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt ausführt, befunden, dass sich aus dem Wortlaut und dem Zweck von Art. 146 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie – wonach Dienstleistungen, einschließlich Beförderungsleistungen und Nebentätigkeiten zur Beförderung, von der Mehrwertsteuer befreit sind, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausfuhr von Gegenständen stehen – ergibt, dass diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass ein unmittelbarer Zusammenhang nicht nur voraussetzt, dass die betreffenden Dienstleistungen ihrem Gegenstand nach zur tatsächlichen Durchführung einer Ausfuhr beitragen, sondern auch, dass diese Dienstleistungen unmittelbar an – je nachdem – den Ausführer oder den Empfänger der Gegenstände, auf die sich diese Bestimmung bezieht, erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2017, L.Č., C‑288/16, EU:C:2017:502, Rn. 22 und 23).

36

Zweitens stellt sich, sollte das vorlegende Gericht zu dem Schluss gelangen, dass der somit nach der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung erforderliche unmittelbare Zusammenhang im Kontext des Ausgangsverfahrens gegeben ist, die Frage, ob es den Steuerbehörden freisteht, die Gewährung der betreffenden Steuerbefreiungen aus dem Grund zu verweigern, dass der Beförderer oder der Vermittler nicht in der Lage ist, spezifisch und ausschließlich durch eine Ausfuhrzollanmeldung nachzuweisen, dass die betreffenden Waren tatsächlich nach Orten außerhalb der Union ausgeführt wurden.

37

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass in Ermangelung einer Bestimmung in der Mehrwertsteuerrichtlinie bezüglich der Nachweise, die Steuerpflichtige erbringen müssen, um in den Genuss der Mehrwertsteuerbefreiung zu gelangen, die Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, gemäß Art. 131 dieser Richtlinie die Bedingungen festzulegen, unter denen sie Ausfuhrumsätze befreien, um eine korrekte und einfache Anwendung der Befreiungen zu gewährleisten und um Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch zu verhindern. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch bei der Ausübung ihrer Befugnisse die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zählen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Oktober 2014, Traum, C‑492/13, EU:C:2014:2267, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Hinsichtlich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist festzustellen, dass eine nationale Maßnahme dann über das hinausgeht, was erforderlich ist, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen, wenn sie das Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhängig macht, ohne dass materielle Anforderungen berücksichtigt würden und insbesondere ohne dass in Betracht zu ziehen wäre, ob diese erfüllt sind. Die Umsätze sind nämlich unter Berücksichtigung ihrer objektiven Merkmale zu besteuern (Urteil vom 9. Februar 2017, Euro Tyre, C‑21/16, EU:C:2017:106, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Sind die materiellen Voraussetzungen erfüllt, erfordert der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass die Mehrwertsteuerbefreiung gewährt wird, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Februar 2017, Euro Tyre, C‑21/16, EU:C:2017:106, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gibt es nur zwei Fälle, in denen die Nichteinhaltung einer formellen Anforderung den Verlust des Rechts auf Mehrwertsteuerbefreiung nach sich ziehen kann (Urteil vom 9. Februar 2017, Euro Tyre, C‑21/16, EU:C:2017:106, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Zum einen kann sich ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung beteiligt hat, für die Zwecke der Mehrwertsteuerbefreiung nicht auf den Grundsatz der Steuerneutralität berufen (vgl. Urteil vom 9. Februar 2017, Euro Tyre, C‑21/16, EU:C:2017:106, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verstößt es nicht gegen das Unionsrecht, von einem Wirtschaftsteilnehmer zu fordern, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Sollte der betreffende Steuerpflichtige gewusst haben oder hätte er wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und hat er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um diese zu verhindern, müsste ihm der Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung versagt werden (Urteil vom 9. Februar 2017, Euro Tyre, C‑21/16, EU:C:2017:106, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Zum anderen kann der Verstoß gegen eine formelle Anforderung zur Versagung der Mehrwertsteuerbefreiung führen, wenn er den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden (Urteil vom 9. Februar 2017, Euro Tyre, C‑21/16, EU:C:2017:106, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Stehen wie im vorliegenden Fall die objektiven Merkmale einer Beförderungsdienstleistung im Sinne von Art. 146 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie in Rede, geht insoweit aus dieser Vorschrift hervor, dass eine solche Leistung von der Mehrwertsteuer zu befreien ist, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausfuhr von Gegenständen steht.

44

Zu den genannten materiellen Anforderungen zählen somit, wie in Rn. 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der betreffenden Leistung und einer Ausfuhr von Gegenständen, wobei Letztere u. a., wie sich aus Art. 146 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie ergibt, als Lieferung von Gegenständen zu verstehen ist, die durch den Verkäufer oder für dessen Rechnung nach Orten außerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden.

45

Zwar ist die nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Mehrwertsteuer befreite Beförderungsleistung vom eigentlichen Ausfuhrumsatz zu unterscheiden, der einen anderen, einer eigenen Zoll- und Steuerregelung unterliegenden steuerbaren Umsatz darstellt, in den gegebenenfalls andere Steuerpflichtige einbezogen sind und dessen Steuerbefreiung ihrerseits sich nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie richtet.

46

Jedoch steht, wie in den Rn. 34 und 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt, fest, dass die so von der Steuer befreite Beförderungsleistung nur deshalb steuerbefreit ist, weil sie eine Nebentätigkeit zu einem solchen Umsatz der Ausfuhr von Gegenständen darstellt, den sie vervollständigt und zu dessen tatsächlicher Durchführung sie beiträgt, indem sie wie die Steuerbefreiung dieses letztgenannten Umsatzes bezweckt, die Besteuerung dieser Lieferung von Gegenständen und dieser Dienstleistungen an deren Bestimmungsort sicherzustellen, d. h. an dem Ort, an dem die ausgeführten Erzeugnisse verbraucht werden.

47

Außerdem ist zu betonen, dass sämtliche in Art. 146 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie festgelegten Steuerbefreiungen, wie sich aus der Überschrift dieses Artikels ergibt, „Steuerbefreiungen bei der Ausfuhr“ darstellen.

48

Damit eine Beförderungsleistung nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie und – in dem Fall, in dem diese Leistung von einem Vermittler im Namen und für Rechnung eines Dritten erbracht wird – nach Art. 153 der genannten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit werden kann, ist es unter diesen Umständen grundsätzlich erforderlich, dass die betreffenden Gegenstände tatsächlich Objekt einer solchen Ausfuhr waren – d. h. nach Orten außerhalb der Union geliefert worden sind –, deren tatsächliches Vorliegen den zuständigen Steuerbehörden gegenüber hinreichend nachgewiesen werden muss. Dieses Erfordernis, das sich somit auf die materiellen Anforderungen bezieht, die erfüllt sein müssen, damit die Steuerbefreiung gewährt wird, kann demnach nur als eine rein formelle Pflicht im Sinne der in Rn. 38 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung angesehen werden.

49

Daraus folgt jedoch nicht, dass die Gewährung einer solchen Steuerbefreiung von der zwingenden Voraussetzung, dass der betreffende Beförderer oder Vermittler zum Nachweis der tatsächlichen Ausfuhr eine Ausfuhranmeldung vorlegt, abhängig gemacht und damit jedes andere Beweismittel ausgeschlossen werden dürfte, das bei der zuständigen Steuerbehörde die somit erforderliche Überzeugung begründen würde.

50

Würde man nämlich eine solche alle anderen Beweismodalitäten ausschließende Beweismodalität vorschreiben, so bedeutete dies, dass der Anspruch auf Steuerbefreiung von der Einhaltung formeller Pflichten im Sinne der in den Rn. 38 und 39 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung abhängig gemacht würde, ohne zu prüfen, ob die vom Unionsrecht aufgestellten materiellen Anforderungen tatsächlich erfüllt oder nicht erfüllt worden sind. Der bloße Umstand, dass ein Beförderer oder ein bezüglich eines Beförderungsumsatzes tätiger Vermittler nicht in der Lage ist, eine Ausfuhranmeldung vorzulegen, bedeutet nicht, dass eine solche Ausfuhr nicht tatsächlich stattgefunden hat.

51

Insoweit gehört die Pflicht zur Einreichung einer solchen Ausfuhranmeldung, wie sich u. a. aus den Art. 59, 161 und 182a des Zollkodex ergibt, zum Zollverfahren, das spezifisch für den Ausfuhrumsatz selbst und nicht für die Beförderungsleistung mit Carnet TIR gilt, die ihrerseits zu einem Versandverfahren gehört. Diese Pflicht obliegt somit grundsätzlich nicht dem Beförderer oder dem Vermittler im Sinne von Art. 153 der Mehrwertsteuerrichtlinie, die ihrerseits die Verantwortung für die Beförderung der Gegenstände im Wege einer Überschreitung der Außengrenze der Union und die Verbringung dieser Gegenstände an ihren Bestimmungsort im Drittland übernehmen und folglich nicht zwingend über die genannte Anmeldung verfügen müssen.

52

Zur Vornahme der Überprüfungen, zu denen sie verpflichtet sind, um festzustellen, ob die materiellen Anforderungen, von denen die Steuerbefreiung nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie bezüglich eines Beförderungsumsatzes abhängt, erfüllt sind, müssen die zuständigen Steuerbehörden, wie die Generalanwältin in Nr. 39 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, sämtliche ihnen verfügbare Nachweise prüfen, um zu bestimmen, ob daraus mit einem hinreichend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad abgeleitet werden kann, dass die so in ein Drittland beförderten Gegenstände dorthin geliefert wurden. Hingegen können diese Behörden nicht aus dem bloßen Umstand, dass der Beförderer oder der Vermittler nicht in der Lage ist, eine Ausfuhranmeldung bezüglich der betreffenden Gegenstände vorzulegen, ableiten, dass dies nicht der Fall war.

53

Ferner enthält die dem Gericht vorliegende Akte, worauf auch die Generalanwältin in Nr. 40 ihrer Schlussanträge hingewiesen hat, keinen Hinweis darauf, dass sich der Beförderer oder der Vermittler im vorliegenden Fall vorsätzlich an einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung beteiligt hätte oder dass die zuständigen Behörden, wenn ein solcher Steuerpflichtiger die genannte formelle Anforderung nicht erfüllt, daran gehindert wären, zu bestimmen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllt sind.

54

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass eine Steuerpraxis eines Mitgliedstaats, nach der die Gewährung der Befreiung von der Mehrwertsteuer für Dienstleistungen der Beförderung von Gegenständen, die unmittelbar mit der Ausfuhr von Gegenständen nach Orten außerhalb der Union gemäß Art. 146 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie in Zusammenhang stehen, oder für Vermittlerdienste bezüglich solcher Dienstleistungen im Sinne von Art. 153 der genannten Richtlinie allein aus dem Grund versagt wird, dass der betreffende Beförderer oder Vermittler nicht in der Lage ist, eine Ausfuhrzollanmeldung bezüglich der genannten Gegenstände vorzulegen, nicht mit der in Rn. 38 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung in Einklang steht.

55

Hinsichtlich des Grundsatzes der Rechtssicherheit ist darauf hinzuweisen, dass dieser Grundsatz – der die logische Folge des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ist und den die Mitgliedstaaten, wie in Rn. 37 des vorliegenden Urteils ausgeführt, beachten müssen, wenn sie die Voraussetzungen für Steuerbefreiungen festlegen – gebietet, dass Rechtsvorschriften klar und bestimmt sind und dass ihre Anwendung für den Einzelnen voraussehbar ist (Urteil vom 9. Oktober 2014, Traum, C‑492/13, EU:C:2014:2267, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56

Dieser Grundsatz gilt in besonderem Maß, wenn es sich um eine Regelung handelt, die sich finanziell belastend auswirken kann, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen. Es ist folglich erforderlich, dass Steuerpflichtige ihre steuerlichen Verpflichtungen kennen, bevor sie ein Geschäft abschließen (Urteil vom 9. Oktober 2014, Traum, C‑492/13, EU:C:2014:2267, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57

Im Übrigen hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Nachweispflichten eines Steuerpflichtigen nach den im nationalen Recht dafür ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen und nach der für ähnliche Geschäfte üblichen Praxis zu bestimmen sind (Urteil vom 9. Oktober 2014, Traum, C‑492/13, EU:C:2014:2267, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Im vorliegenden Fall ergibt sich die Anforderung bezüglich der Vorlage einer Ausfuhrzollanmeldung, wie das vorlegende Gericht betont, nicht aus dem Wortlaut der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung, die insoweit lediglich die Vorlage von nicht näher bestimmten Dokumenten vorsieht, die den Nachweis ermöglichen, dass die beförderten Gegenstände ausgeführt wurden.

59

Unter diesen Umständen entspricht die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerpraxis nicht den sich aus dem in den Rn. 55 bis 57 des vorliegenden Urteils angeführten Grundsatz der Rechtssicherheit ergebenden Anforderungen.

60

Drittens ist, was den möglichen Beweiswert des Carnet TIR für den Nachweis anbelangt, dass die Voraussetzung bezüglich der Ausfuhr von Gegenständen, mit der eine Beförderungsleistung in unmittelbarem Zusammenhang stehen muss, damit die Befreiung von der Mehrwertsteuer nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie gewährt werden kann, tatsächlich erfüllt ist, darauf hinzuweisen, dass dieses einheitliche Dokument gemäß den einschlägigen Bestimmungen des TIR-Übereinkommens ausgestellt wird und sowohl die Union als auch ihre Mitgliedstaaten Parteien dieses Übereinkommens sind.

61

Art. 91 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex stellt klar, dass die Beförderung von Waren innerhalb des Zollgebiets der Union, die außerhalb der Union enden soll, in bestimmten, im Ausschussverfahren festgelegten Fällen – u. a. dann, wenn die Beförderung mit Carnet TIR erfolgt – unter das externe Versandverfahren fällt.

62

Das Carnet TIR muss, wie aus den Bestimmungen des TIR-Übereinkommens – u. a. Art. 1 Buchst. e und o – hervorgeht, zusammen mit dem der Beförderung der betreffenden Waren dienenden Fahrzeug bei den Abgangs-, Durchgangs- und Bestimmungszollstellen vorgeführt werden und von diesen auf den in Rn. 16 des vorliegenden Urteils angeführten Blättern, Abschnitten und Stammblättern mit einem Sichtvermerk versehen werden, um die Erledigung der verschiedenen betreffenden TIR-Versendungen zu ermöglichen, sobald feststeht, dass diese ordnungsgemäß beendet worden sind.

63

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass ein – insbesondere von den Zollbehörden des Bestimmungsdrittlands – ordnungsgemäß mit einem Sichtvermerk versehenes Carnet TIR ein offizielles Dokument darstellt, mit dem grundsätzlich nachgewiesen werden kann, dass die betreffenden Gegenstände im Wege einer Überschreitung der Außengrenzen der Union Gegenstand einer physischen Bewegung von der Union in dieses Drittland waren und in dieses Drittland gelangt sind.

64

Ein solcher Grenzübertritt und das Eintreffen der Gegenstände im Bestimmungsdrittland, die das Carnet TIR somit bescheinigt, stellt aber eines der Merkmale eines Ausfuhrumsatzes dar, das diesen von einem Umsatz unterscheidet, der innerhalb der Union stattfindet (vgl. entsprechend Urteil vom 27. September 2007, Teleos u. a., C‑409/04, EU:C:2007:548, Rn. 37).

65

Daraus folgt, dass im Fall der Erbringung einer solchen Beförderungsleistung mit einem Carnet TIR diesem – wenn keine konkreten Gründe vorliegen, die Anlass zu Zweifeln an der Echtheit oder der Zuverlässigkeit dieses Carnets und seiner Bestandteile geben – eine ganz besondere Relevanz im speziellen Kontext der Zuerkennung eines Anspruchs auf Steuerbefreiung bezüglich dieser Beförderungsleistung zukommen kann.

66

Die Steuerbehörden müssen ein solches Dokument daher – im Übrigen, worauf bereits in Rn. 52 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, ebenso wie alle anderen in ihrem Besitz befindlichen Nachweise – gebührend berücksichtigen.

67

Diese Behörden haben insoweit also auch die im Rahmen des CMR-Übereinkommens ausgestellten Dokumente wie die vom vorlegenden Gericht angeführten zu berücksichtigen, um zu prüfen, ob diese Dokumente gegebenenfalls das wahrscheinliche Vorliegen einer tatsächlichen Ausfuhr beförderter Gegenstände untermauern können.

68

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 146 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie auf der einen und diese Vorschrift in Verbindung mit Art. 153 der genannten Richtlinie auf der anderen Seite dahin auszulegen sind, dass sie einer Steuerpraxis eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der die Befreiung von der Mehrwertsteuer für die unmittelbar mit der Ausfuhr von Gegenständen in Zusammenhang stehenden Beförderungsleistungen bzw. für die durch Vermittler, die bezüglich dieser Beförderungsleistungen tätig sind, erbrachten Dienstleistungen davon abhängig gemacht wird, dass der Steuerpflichtige die Ausfuhrzollanmeldung bezüglich der betreffenden Gegenstände vorlegt. Insoweit haben die zuständigen Behörden zum Zweck der Gewährung der genannten Steuerbefreiungen zu prüfen, ob die Erfüllung der Voraussetzung bezüglich der Ausfuhr der betreffenden Gegenstände mit einem hinreichend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad aus der Gesamtheit der ihnen verfügbaren Nachweise abgeleitet werden kann. In diesem Kontext stellt ein von einer Zollstelle des Drittlands, für das die Gegenstände bestimmt sind, mit einem Sichtvermerk versehenes Carnet TIR, das der Steuerpflichtige vorgelegt hat, einen Nachweis dar, den diese Behörden grundsätzlich gebührend berücksichtigen müssen, es sei denn, sie haben konkrete Gründe für Zweifel an der Echtheit oder der Zuverlässigkeit dieses Dokuments.

Kosten

69

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

 

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 146 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem auf der einen und diese Vorschrift in Verbindung mit Art. 153 der genannten Richtlinie auf der anderen Seite dahin auszulegen sind, dass sie einer Steuerpraxis eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der die Befreiung von der Mehrwertsteuer für die unmittelbar mit der Ausfuhr von Gegenständen in Zusammenhang stehenden Beförderungsleistungen bzw. für die durch Vermittler, die bezüglich dieser Beförderungsleistungen tätig sind, erbrachten Dienstleistungen davon abhängig gemacht wird, dass der Steuerpflichtige die Ausfuhrzollanmeldung bezüglich der betreffenden Gegenstände vorlegt. Insoweit haben die zuständigen Behörden zum Zweck der Gewährung der genannten Steuerbefreiungen zu prüfen, ob die Erfüllung der Voraussetzung bezüglich der Ausfuhr der betreffenden Gegenstände mit einem hinreichend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad aus der Gesamtheit der ihnen verfügbaren Nachweise abgeleitet werden kann. In diesem Kontext stellt ein von einer Zollstelle des Drittlands, für das die Gegenstände bestimmt sind, mit einem Sichtvermerk versehenes Carnet TIR, das der Steuerpflichtige vorgelegt hat, einen Nachweis dar, den diese Behörden grundsätzlich gebührend berücksichtigen müssen, es sei denn, sie haben konkrete Gründe für Zweifel an der Echtheit oder der Zuverlässigkeit dieses Dokuments.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Rumänisch.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Europäischer Gerichtshof Urteil, 08. Nov. 2018 - C-495/17

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