EUGH C-399/17

ECLI:ECLI:EU:C:2018:922
bei uns veröffentlicht am15.11.2018

Gericht

Europäischer Gerichtshof

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 15. November 2018(1)

Rechtssache C399/17

Europäische Kommission

gegen

Tschechische Republik

(Vertragsverletzung – Art. 258 AEUV – Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 – Verbringung von Abfällen – Als TPS-NOLO (Geobal) bekannter Stoff – Rücknahme illegal verbrachter Abfälle – Einstufung – Art. 28 – Behandlung eines Stoffes als Abfall bei Differenzen bezüglich der Einstufung – Zulässigkeit)






1.        In der vorliegenden Rechtssache hat der Gerichtshof zu entscheiden, ob die Tschechische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006(2) (im Folgenden: Abfallverbringungsverordnung) verstoßen hat. Genauer geht es darum, ob die Tschechische Republik dadurch gegen die Vorschriften dieser Verordnung verstoßen hat, dass sie sich weigert, einen als TPS-NOLO (oder Geobal) bekannten Stoff zurückzunehmen, der ohne die Einhaltung der nach der Abfallverbringungsverordnung erforderlichen Förmlichkeiten nach Polen verbracht worden war.

2.        Diese Frage wirft eine Reihe weiterer Fragen auf: der weite und fließende Abfallbegriff im Unionsrecht, der Geltungsbereich der Abfallverbringungsverordnung und die Anforderungen für eine Klage nach Art. 258 AEUV. All dies sind Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind.

3.        Eine Entscheidung, dass in der vorliegenden Rechtssache kein Verstoß vorliegt, könnte möglicherweise die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit der Abfallverbringungsverordnung schwächen, deren wichtigsten und vorherrschenden Zweck und Bestandteil der Umweltschutz darstellt. Gerichte sind jedoch zuallererst an Verfahrensgrundsätze gebunden, die in jedem Einzelfall ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleisten. Diese Grundsätze können nicht der Förderung eines höheren Anliegens geopfert werden, so edel es auch sein mag.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Abfallverbringungsverordnung

4.        Gemäß Art. 1 („Geltungsbereich“) werden in der Abfallverbringungsverordnung „Verfahren und Kontrollregelungen für die Verbringung von Abfällen festgelegt, die von dem Ursprung, der Bestimmung, dem Transportweg, der Art der verbrachten Abfälle und der Behandlung der verbrachten Abfälle am Bestimmungsort abhängen“.

5.        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) sieht vor:

„1.      „Abfälle“ [bezeichnet] Abfälle im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2006/12/EG;

34.      „Verbringung“ [bezeichnet] den Transport von zur Verwertung oder Beseitigung bestimmten Abfällen, der erfolgt oder erfolgen soll:

a)      zwischen zwei Staaten …

…“

35.      „illegale Verbringung“ [bezeichnet] jede Verbringung von Abfällen, die

a)      ohne Notifizierung an alle betroffenen zuständigen Behörden gemäß dieser Verordnung erfolgt oder

b)      ohne die Zustimmung der betroffenen zuständigen Behörden gemäß dieser Verordnung erfolgt oder

c)      mit einer durch Fälschung, falsche Angaben oder Betrug erlangten Zustimmung der betroffenen zuständigen Behörden erfolgt oder

d)      in einer Weise erfolgt, die den Notifizierungs- oder Begleitformularen sachlich nicht entspricht, oder

e)      in einer Weise erfolgt, die eine Verwertung oder Beseitigung unter Verletzung gemeinschaftlicher oder internationaler Bestimmungen bewirkt, oder

f)      den Artikeln 34, 36, 39, 40, 41 und 43 widerspricht oder

g)       in Bezug auf die Verbringung von Abfällen im Sinne des Artikels 3 Absätze 2 und 4 dadurch gekennzeichnet ist, dass

i)      die Abfälle offensichtlich nicht in den Anhängen III, IIIA oder IIIB aufgeführt sind oder

ii)      Artikel 3 Absatz 4 verletzt wurde oder

iii)      die Verbringung der Abfälle auf eine Weise geschieht, die dem in Anhang VII aufgeführten Dokument sachlich nicht entspricht;

…“

6.        Artikel 3 der Abfallverbringungsverordnung regelt den allgemeinen Verfahrensrahmen für die Verbringung von Abfällen und sieht folgendes vor:

„(1)      Die Verbringung folgender Abfälle unterliegt dem Verfahren der vorherigen schriftlichen Notifizierung und Zustimmung im Sinne der Bestimmungen dieses Titels:

a)      falls zur Beseitigung bestimmt:

alle Abfälle;

b)      falls zur Verwertung bestimmt:

i)      in Anhang IV aufgeführte Abfälle, einschließlich u. a. der in den Anhängen II und VIII des Basler Übereinkommens aufgeführten Abfälle;

ii)      in Anhang IVA aufgeführte Abfälle;

iii)      nicht als Einzeleintrag in Anhang III, IIIB, IV oder IVA eingestufte Abfälle;

iv)      nicht als Einzeleintrag in Anhang III, III B, IV oder IVA eingestufte Abfallgemische sofern sie nicht in Anhang IIIA aufgeführt sind.

…“

7.        Art. 24 („Rücknahme bei illegaler Verbringung“) der Abfallverbringungsverordnung bestimmt:

„(1)      Entdeckt eine zuständige Behörde eine Verbringung, die sie für illegal hält, so unterrichtet sie unverzüglich die anderen betroffenen zuständigen Behörden.

(2)      Hat der Notifizierende die illegale Verbringung zu verantworten, so sorgt die zuständige Behörde am Versandort dafür, dass die betreffenden Abfälle

a)      vom Notifizierenden de facto zurückgenommen werden oder, falls keine Notifizierung eingereicht wurde,

b)      vom Notifizierenden de jure zurückgenommen werden oder, falls dies nicht möglich ist,

c)      von der zuständigen Behörde am Versandort selbst oder einer in ihrem Namen handelnden natürlichen oder juristischen Person zurückgenommen werden …

Diese Rücknahme, Verwertung oder Beseitigung erfolgt innerhalb von 30 Tagen oder innerhalb eines anderen, von den betroffenen zuständigen Behörden einvernehmlich festgelegten Zeitraums, nachdem die zuständige Behörde am Versandort von der illegalen Verbringung Kenntnis erhalten hat oder von der zuständigen Behörde am Bestimmungsort oder den für die Durchfuhr zuständigen Behörden schriftlich von der illegalen Verbringung und den Gründen dafür benachrichtigt wurde. …

Keine zuständige Behörde darf sich der Rückfuhr von illegal verbrachten Abfällen widersetzen. …

(7)      Werden Abfälle aus einer illegalen Verbringung entdeckt, so obliegt es der für das betreffende Gebiet zuständigen Behörde, sicherzustellen, dass Vorkehrungen für die sichere Lagerung der Abfälle bis zu deren Rückfuhr oder nicht vorläufigen Verwertung oder Beseitigung auf andere Weise getroffen werden.

…“

8.        Art. 28 („Differenzen bezüglich der Einstufung“) der Abfallverbringungsverordnung mit der Überschrift „Differenzen bezüglich der Einstufung“ bestimmt:

„(1)      Können die zuständigen Behörden am Versandort und am Bestimmungsort kein Einvernehmen über die Unterscheidung zwischen Abfällen und Nichtabfällen erzielen, so wird das betreffende Material als Abfälle behandelt. Das Recht des Bestimmungslandes, das verbrachte Material nach seinem Eintreffen gemäß seinen nationalen Rechtsvorschriften zu behandeln, bleibt hiervon unberührt, sofern diese Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht oder dem Völkerrecht vereinbar sind.

(4)      Die Absätze 1 bis 3 gelten nur für die Zwecke dieser Verordnung; die Rechte der Beteiligten zur gerichtlichen Klärung etwaiger diesbezüglicher Streitigkeiten bleiben hiervon unberührt.“

B.      Richtlinie 2008/98/EG (im Folgenden: Abfallrahmenrichtlinie)(3)

9.        Art. 3 der an die Stelle der Richtlinie 2006/12/EG(4) getretene Abfallrahmenrichtlinie enthält eine Bestimmung der Begriffe „Abfall“ und „gefährlicher Abfall“ für Zwecke der Anwendung der Abfallverbringungsverordnung vor.

10.      Nach Art. 3 bezeichnet der Ausdruck „Abfall“ „jeden Stoff oder Gegenstand, dessen sich sein Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss“. Der Ausdruck „gefährlicher Abfall“ bezeichnet „Abfall, der eine oder mehrere der in Anhang III aufgeführten gefährlichen Eigenschaften aufweist“ definiert.

11.      Art. 6 der Abfallrahmenrichtlinie regelt, unter welchen Umständen Abfall die Abfalleigenschaft verliert:

„(1)      Bestimmte festgelegte Abfälle sind nicht mehr als Abfälle im Sinne von Artikel 3 Buchstabe a anzusehen, wenn sie ein Verwertungsverfahren, wozu auch ein Recyclingverfahren zu rechnen ist, durchlaufen haben und spezifische Kriterien erfüllen, die gemäß den folgenden Bedingungen festzulegen sind:

a)      Der Stoff oder Gegenstand wird gemeinhin für bestimmte Zwecke verwendet;

b)      es besteht ein Markt für diesen Stoff oder Gegenstand oder eine Nachfrage danach;

c)      der Stoff oder Gegenstand erfüllt die technischen Anforderungen für die bestimmten Zwecke und genügt den bestehenden Rechtsvorschriften und Normen für Erzeugnisse und

d)      die Verwendung des Stoffs oder Gegenstands führt insgesamt nicht zu schädlichen Umwelt- oder Gesundheitsfolgen.

(4)      Wurden auf Gemeinschaftseben keine Kriterien nach dem Verfahren in den Absätzen 1 und 2 festgelegt, so können die Mitgliedstaaten im Einzelfall entscheiden, ob bestimmte Abfälle unter Berücksichtigung der geltenden Rechtsprechung nicht mehr als Abfälle anzusehen sind. Sie teilen der Kommission diese Entscheidungen … mit …“

12.      Gemäß Art. 40 war die Abfallrahmenrichtlinie bis zum 12. Dezember 2010 in das nationale Recht der Mitgliedstaaten umzusetzen.

C.      Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (im Folgenden: REACH-Verordnung)(5)

13.      Der Zweck der REACH-Verordnung besteht nach ihrem Art. 1 Abs. 1 darin, „ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sicherzustellen, einschließlich der Förderung alternativer Beurteilungsmethoden für von Stoffen ausgehende Gefahren, sowie den freien Verkehr von Stoffen im Binnenmarkt zu gewährleisten und gleichzeitig Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu verbessern“.

14.      Nach Art. 2 Abs. 2 der REACH-Verordnung gilt „Abfall im Sinne der [Richtlinie 2006/12] … nicht als Stoff, Gemisch oder Erzeugnis im Sinne … der vorliegenden Verordnung“.

15.      Art. 128 der Verordnung lautet:

„(1)      Vorbehaltlich des Absatzes 2 dürfen die Mitgliedstaaten die Herstellung, die Einfuhr, das Inverkehrbringen oder die Verwendung eines unter diese Verordnung fallenden Stoffes als solchem, in einem Gemisch oder in einem Erzeugnis, der dieser Verordnung und gegebenenfalls gemeinschaftlichen Rechtsakten zur Durchführung dieser Verordnung entspricht, nicht untersagen, beschränken oder behindern.

(2)      Diese Verordnung steht der Möglichkeit nicht entgegen, dass die Mitgliedstaaten innerstaatliche Vorschriften für den Schutz der Arbeitnehmer, der menschlichen Gesundheit und der Umwelt in Fällen beibehalten oder einführen, in denen die Anforderungen an die Herstellung, das Inverkehrbringen oder die Verwendung mit dieser Verordnung nicht harmonisiert werden.“

II.    Hintergrund der Rechtssache und Vorverfahren

16.      Am 3. Dezember 2010 schlossen Jiří Paškůj, der der tschechischen Gerichtsbarkeit unterliegt, und die Biuro Rozwoju Gospodarczego Sp.z.o.o. (im Folgenden: BRG), eine Gesellschaft mit Sitz in Sosnowitz (Sosnowiec) in Polen, einen Vertrag über die Lieferung von 58 000 Tonnen TPS-NOLO (Geobal) zur Verwendung bei der Zementproduktion.

17.      Nach Angaben der Kommission wurden Ende 2010 und Anfang 2011 ca. 20 000 Tonnen TPS-NOLO (Geobal), bestehend aus Säureteer, einem Rückstand aus der Erdölraffination (Code 05 01 07* des Europäischen Abfallverzeichnisses), Kohlenstaub und Kalziumoxid, von dem tschechischen Unternehmer zu einem von BRG angemieteten Grundstück in der Karol Woźniak Straße in Katowice, verbracht. Zu einem zwischen dem Jahresanfang 2011 und dem 11. September 2011 liegenden Zeitpunkt wurde der Stoff von der zuständigen polnischen Behörde entdeckt.

18.      Am 11. September 2011 meldeten die zuständigen polnischen Behörden den zuständigen tschechischen Behörde den entdeckten Stoff, den die polnischen Behörden für im Sinne von Art. 2 Nr. 35 Buchst. a der Abfallverbringungsverordnung illegal nach Polen verbracht hielten, da weder der Versender noch der Empfänger die polnischen Behörden gemäß Art. 3 dieser Verordnung über die Verbringung informiert hatten. Da sie den Stoff als in Anhang IV der Abfallverbringungsverordnung aufgeführten gefährlichen Abfall („Bei Raffination, Destillation und pyrolytischer Behandlung von organischen Stoffen anfallende Teerabfälle [ausgenommen bituminöser Asphaltaufbruch]“) ansah, waren die polnischen Behörden der Ansicht, dass die Verbringung dieses Stoffes eine vorherige schriftliche Notifizierung und Zustimmung erfordere.

19.      Im Lauf des Verwaltungsverfahrens legte der für die Verbringung nach Polen verantwortliche tschechische Staatsbürger die Richtlinien der Gesellschaft und Beweise dafür vor, dass der fragliche Stoff nach der REACH-Verordnung registriert war und als Brennstoff benutzt wurde.

20.      Nachdem sich die zuständigen tschechischen Behörden im Lauf des Verwaltungsverfahrens geweigert hatten, den tschechischen Staatsbürger zur Rücknahme des Stoffes zu zwingen, obwohl sich die polnischen Behörden auf Art. 28 der Abfallverbringungsverordnung stützten, wonach der Stoff bei Differenzen als Abfall zu behandeln ist, wurde am 4. Februar 2014 eine private Beschwerde bei der Kommission eingereicht.

21.      Am 12. Juni 2014 entschied die Kommission, der Beschwerde nachzugehen, und leitete eine Untersuchung ein (EU Pilot Sache Nr. 6603/14/ENVI). In ihrer Antwort auf das EU Pilot-Ersuchen stellte die Tschechische Republik fest, dass TPS-NOLO (Geobal) nach der REACH-Verordnung registriert gewesen sei und daher keinen Abfall darstelle. Folglich finde die Abfallverbringungsverordnung keine Anwendung.

22.      Nach Prüfung der Antwort kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass die Tschechische Republik gegen das Unionsrecht verstoßen habe, indem sie ihre Verpflichtungen aus der Abfallverbringungsverordnung und der Abfallrahmenrichtlinie nicht erfüllt habe. Infolgedessen übersandte die Kommission der Tschechischen Republik am 20. Februar 2015 ein Aufforderungsschreiben. Die Tschechische Republik beantwortete das Aufforderungsschreiben am gleichen Tag und wiederholte im Wesentlichen die Argumente, die sie in Beantwortung des EU Pilot-Ersuchens vorgebracht hatte.

23.      Auf die Information des polnischen Umweltschutzkontrolleurs, dass der fragliche Stoff sei noch nicht in die Tschechische Republik zurückgenommen worden sei, und nach Prüfung der von der Tschechischen Republik in ihrer Antwort auf das Aufforderungsschreiben vorgebrachten Argumente sandte die Kommission mit Schreiben vom 22. Oktober 2015 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Tschechische Republik, in der sie angab, weshalb sie dem Vorbringen der tschechischen Behörden, dass die Tschechische Republik nicht gegen ihre Verpflichtungen aus der Abfallverbringungsverordnung, insbesondere Art. 24 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 verstoßen habe, nicht akzeptieren könne.

24.      Die Tschechische Republik antwortete mit Schreiben vom 18. Dezember 2015, dass sie nach ihrer Rechtsauffassung nicht gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Vorschriften verstoßen habe, da der fragliche Stoff zum Zeitpunkt seiner Verbringung nach Polen keinen Abfall dargestellt habe.

25.      Nach Prüfung der Antwort der Tschechischen Republik auf die mit Gründen versehene Stellungnahme, stellte die Kommission fest, dass die Vertragsverletzung weiter fortbestehe. Zudem waren der Kommission keine Maßnahmen mitgeteilt, die die Tschechische Republik ergriffen hätte, um ihren Verpflichtungen aus Art. 24 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 der Abfallverbringungsverordnung nachzukommen.

III. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge

26.      Mit ihrer Klageschrift vom 3. Juli 2017 beantragt die Kommission,

–        festzustellen, dass die Tschechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 24 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 der Abfallverbringungsverordnung verstoßen hat, dass sie sich geweigert hat, für die Rücknahme des als TPSD-NOLO (Geobal) bekannten Stoffes, der aus der Tschechischen Republik nach Katowice in Polen verbracht worden war, in die Tschechische Republik zu sorgen;

–        der Tschechischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

27.      Die Tschechische Republik beantragt,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

28.      Die tschechische Regierung und die Kommission haben in der Sitzung vom 20. September 2018 mündlich verhandelt.

IV.    Analyse

29.      Mit ihrer Klage ersucht die Kommission den Gerichtshof um Feststellung, dass die Tschechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 24 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 der Abfallverbringungsverordnung verstoßen hat, dass sie nicht für die Rücknahme des aus der Tschechischen Republik nach Katowice (Polen) verbrachten TPS-NOLO (Geobal) in die Tschechische Republik gesorgt hat.

30.      Im Folgenden werde ich zuerst das Vorbringen der Parteien darstellen, bevor die von der Kommission eingereichte Klageschrift analysiert wird.

A.      Vorbringen der Parteien

31.      Der Klageschrift der Kommission fehlt es an Struktur, was die eindeutige Feststellung ihrer Argumente erschwert. Jedoch stellt sich der Standpunkt der Kommission in der eingereichten Zusammenfassung der Klagegründe und wesentlichen Argumente wie folgt dar.

32.      Die Kommission macht erstens geltend, das TPS-NOLO (Geobal), das aus der Tschechischen Republik nach Polen verbracht worden sei und aus gefährlichen Abfällen einer Deponie, den Absetzbecken bei Ostramo, stamme, werde auf einer anderen Deponie auf tschechischem Staatsgebiet gelagert und werde als bei der Raffination, Destillation und pyrolytischer Behandlung von organischen Stoffen anfallende Teerabfälle eingestuft. Der Stoff werde darüber hinaus von den polnischen Behörden als Abfall im Sinne des Anhangs IV der Abfallverbringungsverordnung angesehen.

33.      Zweitens liege, da die Tschechische Republik unter Berufung auf die Registrierung des Stoffes nach der REACH-Verordnung die Einstufung dieses Stoffes als Abfall bestreite, eine Meinungsverschiedenheit bezüglich der Einstufung im Sinne von Art. 28 Abs. 1 der Abfallverbringungsverordnung vor. Nach dieser Vorschrift sei der Stoff folglich als Abfall zu behandeln.

34.      Drittens garantiere die REACH-Verordnung jedenfalls keineswegs, dass der Gebrauch eines Stoffes keine schädlichen Folgen für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit habe oder dass ein Stoff ohne weiteres kein Abfall mehr sei. Mangels einer nationalen Entscheidung, dass ein Stoff nicht mehr als Abfall gelte, sei es gemäß Art. 2 Abs. 2 der REACH-Verordnung nicht möglich, die Registrierung nach dieser Verordnung als gültig anzusehen.

35.      Schließlich sei die Verbringung, da der fragliche Stoff ohne Notifizierung über Grenzen verbracht worden sei, als illegal im Sinne des Art. 2 Nr. 35 Buchst. a der Abfallverbringungsverordnung anzusehen. In diesem Fall würden die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats des Versandorts von der Verbringung informiert, um gemäß Art. 24 Abs. 2 der Abfallverbringungsverordnung für die Rücknahme des fraglichen Stoffs zu sorgen. Die Tschechische Republik habe sich geweigert, dies zu tun. Eine Registrierung nach der REACH-Verordnung, die in Art. 3 den freien Verkehr von Stoffen, Gemischen oder Erzeugnissen garantiere, ändere nichts an dieser Verpflichtung, da Abfall ausdrücklich vom Anwendungsbereich der REACH-Verordnung ausgenommen sei.

36.      Die tschechische Regierung argumentiert demgegenüber, der Stoff habe zu der für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Zeit keinen Abfall im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Abfallrahmenrichtlinie dargestellt, da er nach der REACH-Verordnung registriert sei und als Brennstoff genutzt werde. Außerdem könne sich die Kommission nicht auf Art. 28 Abs. 1 der Abfallverbringungsverordnung stützen. Könnte Art. 28 Abs. 1 von einem Mitgliedstaat ohne einen objektiven Anhaltspunkt dafür, dass es sich bei dem Stoff tatsächlich um Abfall handele, vorsätzlich angewandt werden, stellte dies einen ernsten Verstoß gegen den freien Warenverkehr dar. Mitgliedstaaten könnten z. B. die Einfuhr von Nahrungsmittelprodukten aus anderen Mitgliedstaaten behindern.

37.      Die tschechische Regierung argumentiert im Wesentlichen, die Kommission habe nicht bewiesen, dass die fragliche Verbringung eine Verbringung von Abfällen im Sinne der Abfallverbringungsverordnung gewesen sei und daher keine illegale Verbringung für die Zwecke dieser Verordnung dargestellt habe. Die Klage der Kommission sei daher offensichtlich unbegründet.

38.      Dessen ungeachtet ist zwischen den Parteien unstreitig, dass eine Verbringung von TPS-NOLO (Geobal) aus der Tschechischen Republik nach Polen stattgefunden hat.

39.      In Anbetracht der mangelnden Klarheit der Klageschrift der Kommission ist zuerst die Zulässigkeit der Klageschrift zu prüfen.

B.      Zulässigkeit

40.      Die tschechische Regierung hat keine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Der Gerichtshof kann jedoch von Amts wegen prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 258 AEUV für die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage erfüllt sind und ob das Vorbringen die maßgeblichen Verfahrenserfordernisse erfüllt(6).

41.      Aus Art. 120 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und der dazu ergangenen Rechtsprechung ergibt sich eindeutig, dass eine Klageschrift den Streitgenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe, auf die die Klageschrift gestützt ist, enthalten muss und dass diese Angaben so klar und deutlich sein müssen, um dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gerichtshof eine Entscheidung über die Klageschrift zu ermöglichen. Daraus folgt, dass sich die wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände, auf die eine solche Klage gestützt wird, zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben müssen(7). Die Beanstandungen müssen eindeutig formuliert sein, damit der Gerichtshof nicht ultra petita entscheidet oder in der Tat eine von ihnen übergeht(8).

42.      Insbesondere muss die Klage der Kommission eine zusammenhängende und detaillierte Darlegung der Gründe enthalten, aus denen diese zu der Überzeugung gelangt ist, dass der fragliche Mitgliedstaat gegen eine seiner Verpflichtungen aus den Verträgen verstoßen hat(9). Darüber hinaus muss die Darlegung der Klage mit den Anträgen in Einklang stehen(10).

43.      In der vorliegenden Rechtssache ersucht die Kommission den Gerichtshof, zu entscheiden, dass die Tschechische Republik durch die Weigerung, für die Rücknahme von TPS-NOLO (Geobal), das aus der Tschechischen Republik nach Katowice in Polen verbracht worden war, zu sorgen, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 24 Abs. 2 und Art. 28. Abs. 1 der Abfallverbringungsverordnung verstoßen hat.

44.      Aus dem Vorbringen der Kommission in der Klageschrift oder den Antworten der Kommission auf die Fragen des Gerichtshofs in der mündlichen Verhandlung wird jedoch nicht klar, auf welche Gründe die Kommission ihr Vorbringen stützt(11). Die sich aus den beiden in der vorstehenden Nummer genannten Vorschriften ergebenden Verpflichtungen werden nicht in verständlicher Weise bestimmt.

45.      Die Kommission scheint einerseits zu argumentieren, die Abfallverbringungsverordnung begründe eine absolute und kategorische Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für die Rücknahme bestimmter verbrachter Materialien zu sorgen, die nach Auffassung eines anderen Mitgliedstaats Abfall sind. Eine solche Verpflichtung bestehe ungeachtet der Umstände eines Falles und unabhängig davon, ob ein Stoff oder Gegenstand tatsächlich Abfall sei. Der Mitgliedstaat, dem diese Verpflichtung obliege, könne in diesem Fall keine Verteidigung vorbringen, um die Rücknahme des streitigen verbrachten Materials zu vermeiden.

46.      Gleichzeitig scheint die Kommission zu verstehen zu geben, dass die Verpflichtung zur Rücknahme verbrachten Materials nicht bestehe, wenn ein Stoff oder Gegenstand tatsächlich kein Abfall sei. So widmet die Kommission große Teile ihrer Klageschrift dem Nachweis, dass der fragliche Stoff tatsächlich Abfall sei, womit sie anscheinend das Konzept einer Verpflichtung einführt, die davon abhängt, dass der betreffende Stoff tatsächlich Abfall ist.

47.      Diese Argumente können in meinen Augen nicht miteinander in Einklang gebracht werden.

48.      Es hat auf irgendeine Weise den Anschein, dass die Kommission zwei alternative Argumente zu einer einzigen Argumentation verbunden hat. Dies ist möglicherweise der Grund dafür, dass die dargelegten Argumente konfus und unzusammenhängend erscheinen.

49.      Die ungewöhnliche Art und Weise, in der die Klageschrift abgefasst ist, trägt zur Verwirrung bei. Statt ihre Klage zu begründen, scheint die Kommission eher eine Antwort auf die Argumente der Tschechischen Republik in der Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme zu geben. Dies erschwert es dem Gerichtshof sehr, die Argumente der Kommission in der vorliegenden Rechtssache zu erkennen, da der Leser den Fall von diesen Gegenargumenten aus rekonstruieren muss.

50.      In diesem Zusammenhang ist der Hinweis angebracht, dass sich der Unionsrichter nicht an die Stelle des Klägers oder seines Anwalts setzen kann, indem er versucht, diejenigen Argumente einer Klageschrift zu identifizieren, die er als Stütze für das Vorbringen der Partei ansehen könnte(12).

51.      Außerdem bin ich überrascht, dass die Kommission den Gerichtshof ersucht, das Bestehen eines Verstoßes festzustellen, von dem sich in Zukunft erweisen könnte, dass überhaupt kein Verstoß vorliegt. Ich bin mir nicht sicher, ob es im Verfahren nach Art. 258 AEUV Raum für diese Art eines zeitlich bedingten Verstoßes gibt(13). Jedenfalls hat es die Kommission, wenn sie tatsächlich dahin gehend argumentieren will, es versäumt, ihr Argument damit zu untermauern, aus welchen Gründen sie zu dem Schluss, dass ein Verstoß vorliegt, gelangt ist.

52.      Darüber hinaus hat die fehlende Klarheit des Begehrens der Kommission die Antwort der Tschechischen Republik beeinträchtigt. Da die Kommission die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Art. 24 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 der Abfallverbringungsverordnung nicht klar benannt hat, war die Tschechische Republik nicht in die Lage versetzt, umfassen zu antworten.

53.      Ich bin daher der Ansicht, dass der Gerichtshof nicht über ausreichende Informationen verfügt, die ihm die Beurteilung eines der Tschechischen Republik zuzurechnenden Verstoßes gegen das Unionsrecht und somit die Feststellung, ob die von der Kommission behauptete Pflichtverletzung vorliegt, ermöglichen(14).

54.      Gleichwohl kann ich nachvollziehen, warum die Kommission möglicherweise bei der zusammenhängenden Darlegung der Gründe für ihr Begehren auf Schwierigkeiten gestoßen ist. Insbesondere scheint es bezüglich Art. 28 der Abfallverbringungsverordnung schwierig, den Wortlaut der verschiedenen Absätze dieser Vorschrift vor allem mit dem Rest dieser Verordnung und in der Tat mit den zum Tragen kommenden Auslegungsgrundsätzen in Einklang zu bringen.

55.      Gleichwohl komme ich zu dem Ergebnis, dass die Klage als unzulässig abzuweisen ist.

V.      Ergebnis

56.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

–        die Klage als unzulässig abzuweisen;

–        der Europäischen Kommission die Kosten aufzuerlegen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen (ABl. 2006, L 190, S. 1).


3      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. 2008, L 312, S. 3).


4      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle (ABl. 2006, L 114, S. 9).


5      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. 2006, L 396, S. 1).


6      Vgl. Urteil vom 15. November 2012, Kommission/Portugal (C‑34/11, EU:C:2012:712, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteile vom 2. Juni 2016, Kommission/Niederlande (C‑233/14, EU:C:2016:396, Rn. 33), vom 26. Januar 2012, Kommission/Slowenien (C‑185/11, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:43, Rn. 28 bis 30 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 26. April 2007, Kommission/Finnland (C‑195/04, EU:C:2007:248, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).


7      Urteil vom 2. Juni 2016, Kommission/Niederlande (C‑233/14, EU:C:2016:396, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteile vom 9. Januar 2003, Kommission/Italien (C‑178/00, EU:C:2003:7, Rn. 6), und vom 26. April 2007, Kommission/Finnland (C‑195/04, EU:C:2007:248, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).


8      Vgl. Urteil vom 2. Juni 2016, Kommission/Niederlande (C‑233/14, EU:C:2016:396, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).


9      Vgl. Urteil vom 2. Juni 2016, Kommission/Niederlande (C‑233/14, EU:C:2016:396, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10      Vgl. Urteile vom 14. Oktober 2004, Kommission/Spanien (C‑55/03, nicht veröffentlicht, EU:C:2004:628, Rn. 28 und 29), und vom 26. Januar 2012, Kommission/Slowenien (C‑185/11, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:43, Rn. 30 bis 33).


11      Vgl. Urteil vom 26. April 2007, Kommission/Finnland (C‑195/04, EU:C:2007:248, Rn. 28 bis 30).


12      Vgl. in diesem Sinne die Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Italien/Kommission (C‑178/00, EU:C:2002:541, Nr. 9 und die dort angeführte Rechtsprechung).


13      Vgl. entsprechend Beschluss vom 13. September 2000, Kommission/Niederlande (C‑341/97, EU:C:2000:434, Rn. 9 bis 10 und 18 bis 21), und Urteil vom 3. Dezember 2009, Kommission/Deutschland (C‑424/07, EU:C:2009:749, Rn. 25 bis 31).


14      Vgl. Urteil vom 26. April 2007, Kommission/Finnland (C‑195/04, EU:C:2007:248, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

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