Bundesgerichtshof Urteil, 20. Okt. 2000 - V ZR 285/99

published on 20/10/2000 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 20. Okt. 2000 - V ZR 285/99
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 285/99 Verkündet am:
20. Oktober 2000
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
-----------------------------------

a) Sind dem Verkäufer eines Grundstücks Altlasten bekannt, so genügt er seiner
Aufklärungspflicht nicht dadurch, daß er dem Käufer von einem bloßen Altlastenverdacht
Mitteilung macht. Infolgedessen besteht die Offenbarungspflicht fort,
wenn dem Käufer Umstände bekannt sind oder durch eine Besichtigung hätten
bekannt werden können, aus denen sich ein Altlastenverdacht ergibt.

b) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß der Verkäufer den Käufer über offenbarungspflichtige
Umstände aufgeklärt hat, trifft den Käufer. Dieser muß allerdings
nicht alle theoretisch denkbaren Möglichkeiten einer Aufklärung ausräumen.
Vielmehr genügt er seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er die von
dem Verkäufer vorzutragende konkrete, d.h. räumlich, zeitlich und inhaltlich spezifizierte
, Aufklärung widerlegt.
BGH, Urt. v. 20. Oktober 2000 - V ZR 285/99 - OLG Dresden
LG Bautzen
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die
Richter Schneider, Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein und Dr. Gaier

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 2. Juli 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Mit notariellem Vertrag vom 17. September 1993 kaufte der Kläger von der Rechtsvorgängerin der Beklagten für 200.000 DM ein Grundstück, auf dem deren Rechtsvorvorgänger, ein VEB, einen metallverarbeitenden Betrieb unterhalten hatte. Die Gewährleistung für Sachmängel, auch für Altlasten, wurde ausgeschlossen. Wegen des Kaufpreises unterwarf sich der Kläger in der Vertragsurkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung.
Wie die Verkäuferin wußte, war das Grundstück in erheblichem Maße durch Mineralkohlenwasserstoffe verunreinigt, die beim Betrieb der Metallver-
arbeitung in den Boden des Hauptgebäudes und in den darunter liegenden Graben gelangt waren. Ob der Kläger hierüber vor dem Kauf oder bei Vertragsschluß aufgeklärt worden ist, ist unter den Parteien streitig.
Nach den von dem Kläger in Auftrag gegebenen Gutachten von Juli/ August 1997 sind erhebliche Sanierungskosten zu erwarten. Die Schätzungen belaufen sich auf etwa 270.000 DM bis etwa 480.000 DM.
Am 5. Mai 1998 focht der Kläger den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an. Seiner Klage auf Erklärung der Zwangsvollstreckung als unzulässig hat das Landgericht stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht hält die Voraussetzungen einer Anfechtung nach §§ 123, 142 BGB nicht für gegeben. Es fehle an einer Täuschungshandlung, weil eine Aufklärung über Mängel, die einer Besichtigung zugänglich bzw. ohne weiteres erkennbar seien, vom Käufer nicht erwartet werden könne. So lägen die Dinge hier, da der Kläger bei Anwendung der im eigenen Interesse zu erwartenden Sorgfalt habe erkennen können, daß ein Altlastenverdacht bestehe. Im Rahmen einer "ordnungsgemäßen Besichtigung" habe er die Ölverschmutzungen erkennen können, auf die verschiedene Indizien (Färbung des Beton-
fußbodens, Ölspuren an der Wand, Geruchsbildung) hingewiesen hätten. Angesichts dessen könne es dahingestellt bleiben, ob die Verkäuferin den Kläger vor Abschluß des Kaufvertrages auf das Vorhandensein der Altlasten oder zumindest auf den bestehenden Altlastenverdacht hingewiesen habe.

II.


Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht verkennt nicht, daß den Verkäufer eine Offenbarungspflicht hinsichtlich solcher Umstände trifft, die für die Entschließung des Käufers von entscheidender Bedeutung sind und deren Mitteilung dieser nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte (st. Senatsrechtspr., Urt. v. 2. März 1979, V ZR 157/77, NJW 1979, 2243; Urt. v. 25. Juni 1982, V ZR 143/81, WM 1982, 960 m.w.N.). Es geht ferner zutreffend davon aus, daß bei einem Grundstücksverkauf die Kontaminierung des Grundstücks mit Altölrückständen einen solchen offenbarungspflichtigen Umstand darstellt und daß der Verkäufer arglistig handelt, wenn er diesen Umstand verschweigt, obwohl er ihn kennt oder ihn jedenfalls für möglich hält und dies in Kauf nimmt (s. nur Senat, Urt. v. 10. Juni 1983, V ZR 292/81, WM 1983, 990). Schließlich ist es auch nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht eine Offenbarungspflicht hinsichtlich solcher Mängel der Kaufsache verneint, die einer Besichtigung zugänglich und damit ohne weiteres erkennbar sind. Der Käufer kann insoweit eine Aufklärung nicht erwarten, weil er diese Mängel bei einer im eigenen Interesse gebotenen Sorgfalt selbst wahrnehmen kann (vgl. nur Senat, BGHZ 132, 30, 34).

2. Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze im konkreten Fall aber nicht fehlerfrei angewendet.

a) Es unterscheidet schon nicht ausreichend zwischen dem offenbarungspflichtigen Umstand eines Altlastenverdachts und dem einer vorhandenen Kontaminierung. Sind dem Verkäufer Altlasten bekannt, genügt er seiner Aufklärungspflicht nicht dadurch, daß er dem Käufer von einem bloßen Altlastenverdacht Mitteilung macht. Der Käufer kann vielmehr erwarten, daß er über eine konkret vorhandene Kontamination Aufklärung erhält. Infolgedessen besteht die Offenbarungspflicht fort, wenn dem Käufer Umstände bekannt sind oder durch eine Besichtigung hätten bekannt werden können, aus denen sich ein Altlastenverdacht ergibt. Hält der Verkäufer in einer solchen Situation mit konkretem Wissen über vorhandene Altlasten zurück, so handelt er arglistig, wenn er es für möglich hält, daß der Käufer lediglich einen Altlastenverdacht hat.

b) Darüber hinaus rechtfertigen die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen weder den Schluß auf einen Altlastenverdacht, geschweige denn auf konkrete Altlasten.
aa) Nach dem Gutachten des Sachverständigen T. vom 20. August 1997 war eine durchgehend dunkle Färbung des Betonfußbodens im Erdgeschoß des Hauptgebäudes zu sehen. Diese hätte auch der Kläger bei einer Besichtigung vor Abschluß des Kaufvertrages erkennen können. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wieso sich für einen Laien - daß der Kläger besondere Fachkenntnisse hatte oder daß er wußte, was früher auf dem Gelände produziert wurde, ist nicht festgestellt - hieraus der Schluß auf konkrete Altlasten ergeben
sollte. Die Färbung konnte vielfache Ursachen haben und mußte nicht auf einen unsachgemäßen Umgang mit Öl schließen lassen. Jedenfalls läßt das Berufungsgericht Feststellungen vermissen, die diesen Schluß nahelegen und bei der Beklagten die Erwartung begründen konnte, der Kläger wisse Bescheid und bedürfe keiner weiteren Aufklärung.
bb) Der Sachverständige T. hat ferner festgestellt, daß Öl bzw. Bohrölemulsionen "an der Wand heruntergelaufen ist". Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch, daß diese Ölspuren bei einer Besichtigung nicht erkennbar waren, sich dem Sachverständigen vielmehr erst nach Öffnen des Betonfußbodens offenbarten. In dem darunter liegenden Hohlraum von 1,5 bis 2 m zeigten sich diese Rückstände von heruntergelaufenem Öl. Als Erkenntnisquelle für die vom Berufungsgericht angenommene Erkennbarkeit für den Kläger scheidet dieser Umstand daher aus, unabhängig davon, ob ein Käufer hieraus überhaupt auf Altlasten größeren Ausmaßes schließen kann.
cc) Die Annahme, man habe die Kontaminierung durch Öl riechen können , hat das Berufungsgericht nicht nachvollziehbar belegt. Einerseits geht das Gericht davon aus, der Kläger habe bei einer Besichtigung der aufstehenden Gebäude, und zwar auch bei trockener Witterung, Ölgeruch wahrnehmen können , da dies eine Bodenprobe ergeben habe. Dabei übersieht es jedoch, daß die Bodenprobe irgendwo außerhalb des Gebäudes entnommen wurde und nichts über Wahrnehmungsmöglichkeiten innerhalb des Gebäudes besagt. Zum anderen stellt das Gericht selbst darauf ab, daß die Probe aus dem Grundstück außerhalb der Gebäude entnommen wurde. Dann aber ist ebensowenig naheliegend, daß dem Kläger Ölgeruch hätte auffallen müssen. Zwar ist nachvollziehbar, daß eine kontaminierte Bodenprobe nach Öl riecht. Das
bedeutet aber nicht, daß in gleicher Weise Ölgeruch wahrnehmbar ist, wenn die Probe nicht entnommen ist und ein etwaiger Ölgeruch durch andere Gerüche oder Umstände überdeckt oder zumindest erheblich gemindert wird.
dd) Daß das Herumliegen von geringen Mengen von verwitterten Metallspänen nichts über eine Kontaminierung aussagt, sondern allenfalls die vage Überlegung rechtfertigt, daß bei der Produktion mit Öl gearbeitet worden sein könnte und daß es dabei - wie vielfach - zu unsachgemäßem Umgang hiermit gekommen sein kann, bedarf keiner näheren Darlegung.

III.


Fehlt es somit an einer Grundlage für die Annahme, daß die Beklagte erwarten durfte, der Kläger bedürfe keiner weiteren Aufklärung, da er sich bei einer Besichtigung selbst ein Bild über die vorhandenen - und ohne weiteres erkennbaren - Kontaminationen hätte machen können, kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben. Es kommt daher auf die Frage an, ob die Beklagte den Kläger hinreichend aufgeklärt hat. Entgegen der Meinung des Landgerichts ist hierfür nicht die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig. Vielmehr muß der Kläger, der für den gesamten Arglisttatbestand die Darlegungs - und Beweislast trägt, vortragen und nachweisen, daß die Beklagte ihn nicht gehörig aufgeklärt hat (vgl. nur Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, 2. Aufl., § 123 Rdn. 5 m.w.N.). Dabei muß er allerdings nicht alle theoretisch denkbaren Möglichkeiten einer Aufklärung ausräumen. Vielmehr genügt
er seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er die von der Beklagten vorzutragende konkrete, d.h. räumlich, zeitlich und inhaltlich spezifizierte, Aufklärung widerlegt.
Wenzel Schneider Krüger Klein Gaier
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

3 Referenzen - Gesetze

{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten. (2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber

(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen. (2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgesc
23 Referenzen - Urteile

moreResultsText

{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 18/04/2013 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZR 231/12 vom 18. April 2013 in dem Rechtsstreit Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. April 2013 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub, die Richterinnen Dr. Brückner und Wei
published on 14/06/2019 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL V ZR 73/18 Verkündet am: 14. Juni 2019 Langendörfer-Kunz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB § 444
published on 12/11/2010 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL V ZR 181/09 Verkündet am: 12. November 2010 Lesniak Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:
published on 22/02/2002 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL V ZR 251/00 Verkündet am: 22. Februar 2002 K a n i k , Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.

Annotations

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen.

(2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen.