Bundesgerichtshof Urteil, 25. Mai 2011 - 2 StR 66/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
I.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lebte der Angeklagte seit einigen Monaten mit dem Tatopfer und dessen beiden Kindern zusammen. Anfänglich verstand sich das Paar sehr gut. Alsbald aber kam es wegen finanzieller Probleme öfter zum Streit. Noch am Vorabend des Tattages gab es eine Diskussion wegen der Geldsorgen.
- 3
- Am frühen Morgen des 16. Oktober 2009 weckte der Angeklagte seine Lebensgefährtin und lockte sie unter dem Vorwand, es sei jemand im Garten, in das Wohnzimmer. Als sie dort am Fenster stehend niemand erblickte und zurück ins Bett gehen wollte, hinderte sie der Angeklagte daran. Er hielt sie unvermittelt am Arm fest und verlangte von ihr Geschlechtsverkehr. Als die später Geschädigte weiter den Raum verlassen wollte, wies er sie an, leiser zu sein; zugleich drohte er für den Fall, dass eines der Kinder erscheinen würde, dieses "abzustechen". Schließlich riss der Angeklagte seine Lebensgefährtin zur Seite, woraufhin sie zu Boden fiel. Der Angeklagte beugte sich zu ihr herunter, legte einen seiner Arme auf ihren Kehlkopf, übte wenige Sekunden lang Druck aus und forderte sie weiter auf, leise zu sein. Die Geschädigte hatte deshalb leichte Nackenschmerzen, ohne in Atemnot zu geraten. Als der Angeklagte schließlich von ihr abließ, stand sie auf und forderte ihn auf, sie in Ruhe zu lassen. Er hielt aber an seinem Vorhaben fest, fasste ihr an die Brust und drückte mit der Hand erneut für wenige Sekunden auf ihren Kehlkopf. Die Geschädigte warf ein auf dem Tisch stehendes Glas auf den Angeklagten, mit dem sie ihn an der Stirn traf. Ihr Versuch, das Wohnzimmer zu verlassen, scheiterte, weil die Tür abgeschlossen war.
- 4
- In dieser Situation nahm der Angeklagte ein auf einem Sideboard liegendes Küchenmesser von 20 cm Länge und forderte seine Lebensgefährtin auf, zu machen, was er wolle, ansonsten "gebe es böses Blut". Sie bat ihn, das Messer wegzulegen und stellte dabei in Aussicht, seinen Forderungen nachzukommen. Der Angeklagte legte unverzüglich das Messer weg und forderte die Geschädigte auf, sich jetzt auszuziehen. Als sie dem nicht nachkam, zog er sie und sich aus und vollzog unter Ausnutzung seines Körpergewichtes mit dem sich wehrenden Opfer - nachdem er es mit dem Rücken auf die Couch gedrückt hatte - ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Danach beruhigte sich die Situation zusehends, der Angeklagte entschuldigte sich für den Vorfall, sagte, es tue ihm leid und versprach, es werde nicht mehr vorkommen. Er bemühte sich in der Folgezeit, auch mit finanziellen Unterstützungsleistungen an die Geschädigte, die Beziehung wieder aufleben zu lassen.
- 5
- 2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Köperverletzung verurteilt. Die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren hat die Kammer dem nach § 177 Abs. 5 Satz 2 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen, wobei sie angesichts der bestehenden Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB von einem Strafrahmen von zwei Jahren bis 15 Jahre ausgegangen ist.
II.
- 6
- Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 7
- 1. Schon die Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 StGB begegnet rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat und letztlich nicht auszuschließen ist, dass die Kammer bei umfassender Würdigung einen minder schweren Fall ausgeschlossen hätte.
- 8
- Es kann dahinstehen, ob das Landgericht tatsächlich - wie die Revision meint - die Verwirklichung des Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB (Vollzug des Beischlafs) bei seiner Betrachtung außer Acht gelassen hat. Dagegen könnte immerhin sprechen, dass die Kammer mehrfach im Rahmen der strafschärfenden Aspekte den vollzogenen Geschlechtsverkehr erwähnt und es für die Annahme der Revision, dabei seien lediglich die darüber hinaus angeführten Begleitumstände, nicht aber das Vorliegen des Regelbeispiels selbst berücksichtigt worden, keine greifbaren Anhaltspunkte gibt.
- 9
- Die Kammer hat es jedenfalls rechtsfehlerhaft unterlassen, weitere strafschärfende Tatumstände, deren Erörterung sich aufgedrängt hätte, zu berücksichtigen. Neben der Anwendung von Gewalt nötigte der Angeklagte die Geschädigte auch durch die Drohung, eines ihrer Kinder abzustechen. Dies hätte das Landgericht ebenso erörtern müssen wie den Umstand, dass der Angeklagte die Wohnzimmertür verschlossen hatte und so das Tatopfer am Verlassen des Raumes gehindert war.
- 10
- Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei der gebotenen umfassenden Würdigung die Annahme eines minder schweren Falles abgelehnt hätte. Dies gilt letztlich trotz des Umstands, dass zumindest eine Erwägung der Kammer zu Lasten des Angeklagten rechtlich nicht unbedenklich ist. Ungeschützter Geschlechtsverkehr in einer Partnerschaft begründet bei gewährleisteter Vorsorge für eine Schwangerschaftsverhütung dann keinen erhöhten Schuldgehalt, wenn er üblicherweise ungeschützt durchgeführt worden ist (vgl. BGH NStZ 1998, 133). Feststellungen dazu hat das Landgericht allerdings nicht getroffen.
- 11
- 2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Feststellung von Tatsachen ist von dem Abwägungsdefizit nicht betroffen, diese können deshalb aufrechterhalten bleiben. Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen, bleiben zulässig.
- 12
- 3. Sollte das Landgericht auch nach einer neuen Hauptverhandlung zur Annahme eines minder schweren Falles gelangen und ebenso wie der erste Tatrichter die Festsetzung der Mindeststrafe in Betracht ziehen, bedürfte eine solche Strafe einer eingehenderen Begründung ihrer Schuldangemessenheit als bisher (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 237).
Fischer Schmitt Berger Krehl Eschelbach
Annotations
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.