Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2019 - 5 StR 257/19

bei uns veröffentlicht am13.08.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 257/19
vom
13. August 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
ECLI:DE:BGH:2019:130819B5STR257.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 13. August 2019 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. November 2018 wird verworfen.
Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten des Rechtsmittels aufzuerlegen. Er hat die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Die hiergegen mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten ist unbegründet.

I.


2
Nach den Feststellungen des Landgerichts identifizierte sich der zur Tatzeit 15 Jahre und drei Monate alte Angeklagte zunehmend mit der Figur des gewalttätigen Psychopathen „Joker“, einer Comic-Figur aus den „Batman“- Geschichten, die aus purer Freude tötet. Spätestens am 1. März 2018 beschloss er, seine 14 Jahre alte Mitschülerin K. G. zu töten. Er fand den Gedanken an die Tötung eines Menschen schon seit einiger Zeit „spannend“ und fragte sich, wie es sich „anfühle“, einen Menschen zu töten. Außerdem wollte er herausfinden, ob er die eigenhändige Tötung eines Menschen ertragen könne. Sein Opfer suchte er aus, weil er wusste, dass K. in ihn verliebt war und deshalb keinen Argwohn hegte.
3
Am Nachmittag des Tattages nahm er einen zuvor gepackten Rucksack mit Wechselkleidung, einem Küchenmesser mit 11 cm langer Klinge, Handschuhen und Plastiküberziehern für Kopfhaare sowie Schuhe und ging zu K. . Die Tötung hatte er zuvor seiner besten Freundin gegenüber angekündigt und mit ihr eine „Alibi-Absprache“ getroffen. Die Freundin ging darauf ein, weil sie die Ankündigung nicht ernstnahm. In K. s Wohnung versetzte der Angeklagte seinem Opfer mindestens 23 Messerstiche und brachte ihr darunter drei tödliche Stichverletzungen bei. Anschließend umwickelte er mit einem Schal fest ihren Kopf. Unter Mitnahme von K. s Mobiltelefon verließ er die Wohnung. Kurz darauf schilderte er die Tat seiner besten Freundin gegenüber, am Folgetag auch einer weiteren engen Freundin. Das Tatmesser brachte er zurück in die Küche und stellte den Rucksack mit den übrigen Tatutensilien in sein Zimmer.
4
Der Angeklagte hat gestanden, K. getötet zu haben. Er hat allerdings angegeben, sie habe ihn zur Tat genötigt, weil sie habe sterben wollen. Diese Einlassung hat die Strafkammer als widerlegt angesehen und auf sein Motiv u.a. auch aufgrund seiner Angaben in einer Beschuldigtenvernehmung geschlossen.

II.


5
Die Revision ist unbegründet. Über die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift hinaus bedarf Folgendes der Erörterung:
6
1. Die Verfahrensrüge, Angaben aus der Beschuldigtenvernehmung seien zu Unrecht verwertet worden, versagt.
7
a) Folgendes Geschehen liegt zugrunde:
8
Der Angeklagte wohnte bei seiner Mutter, die das alleinige Sorgerecht besitzt. Wenige Tage nach der Tat war der Angeklagte in Verdacht geraten. Mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss suchten Polizeibeamte die Wohnung des Angeklagten am Sonntagmorgen auf, wo sie ihn und seine Mutter antrafen. Der Mutter wurde in der Küche der Tatverdacht gegen ihren Sohn erklärt , sie wurde über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt. Schockiert rannte sie sogleich ins Zimmer ihres Sohnes und konfrontierte ihn in Anwesenheit eines Polizeibeamten mit dem Tatvorwurf. Sie fragte ihn, ob er die Tat begangen habe, woraufhin er schwieg. Sie rief ihm zu: „Wenn du das warst, will ich, dass du das sagst. Das hat K. s Mama verdient!“ Der Angeklagte erwiderte nichts. Nachdem seine Mutter das Zimmer verlassen hatte signalisierte er jedoch, dass er Angaben machen wolle, dies aber nicht in Gegenwart seiner Mutter. Anschließend wurden Mutter und Sohn in getrennten Fahrzeugen zur Mordkommission gefahren. Während der Fahrt äußerte sie den Wunsch, bei der Vernehmung anwesend zu sein. Im Kommissariat ging sie in das Vernehmungszimmer , wo ihr Sohn in Gegenwart mehrerer Beamter saß. Sie fragte ihn, ob er die Vernehmung tatsächlich allein machen wolle, was er mit der Bemerkung bejahte, es sei ihm „zu peinlich“. Daraufhin verließ sie den Raum.
9
Die anschließende Vernehmung des Angeklagten begann mit einer Be- lehrung, in der es u.a. hieß: „Ich habe dich bereits in der Wohnung darüber be- lehrt, dass du nichts sagen musst, aber das Recht hast, dich zu äußern. Du darfst jederzeit einen Rechtsanwalt zu Vernehmungen hinzuziehen oder zumindest kontaktieren. Deine Mutter ist auch hier. Du sagtest mir, dass du nicht möchtest, dass deine Mutter bei der Vernehmung dabei ist. Das kannst du dir jederzeit anders überlegen. Deine Mutter weiß Bescheid und ist damit einver- standen, vorerst draußen zu warten.“ Anschließend äußerte sich der Angeklag- te zur Tat und zu seinem Motiv. In der Hauptverhandlung hat der Verteidiger des Angeklagten der Verwertung widersprochen.
10
Der Beschwerdeführer rügt, dass weder er noch seine Mutter hinreichend über ein sogenanntes Elternkonsultationsrecht belehrt worden seien und keine Gelegenheit gehabt hätten, sich unter vier Augen zu besprechen.
11
b) Die Verfahrensrüge ist unbegründet.
12
Es kann dahinstehen, ob sich aus § 67 JGG ein „Elternkonsultations- recht“ und eine dahingehende Belehrungspflicht herleiten lässt (so OLG Celle, StraFo 2010, 114; Ludwig, NStZ 2019, 123, 125 mwN; offengelassen ebenso von BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 – 5 StR 2/19). Denn jedenfalls wäre eine zu einem Beweisverwertungsverbot führende Rechtsverletzung nicht ersichtlich. Die Mutter des Angeklagten konnte mit ihm vor der Vernehmung sprechen und ihr Anliegen – er solle gestehen, wenn er die Tat begangen habe – deutlich formulieren. Dass sie nicht an der Vernehmung des Angeklagten teilnehmen sollte, entsprach seinem ausdrücklichen Wunsch. Dem Angeklagten war – auch aufgrund der Belehrung und der Anwesenheit seiner Mutter im Nebenraum – klar, dass er auf ihrer Anwesenheit hätte bestehen können; die Mutter des An- geklagten war zudem damit einverstanden, vorerst draußen zu warten. Auch nach der Vernehmung hatte sie erneut Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.
13
Selbst wenn in diesem Vorgehen keine bestmögliche Gewährleistung ei- nes etwaigen „Elternkonsultationsrechts“ zu sehen sein sollte, läge ein Beweis- verwertungsverbot fern. In Frage käme ohnehin nur ein relatives Beweisverwertungsverbot , bei dem es einer Abwägung der widerstreitenden Interessen nach den Umständen des Einzelfalls bedarf (ausführlich dazu Ludwig, aaO, S. 125 f. mwN; aA OLG Celle, StraFo 2010, 114; LG Saarbrücken NStZ 2012, 167). Dabei ist vorliegend zu bedenken, dass sich der Angeklagte mit seiner Mutter vor der Vernehmung kurz besprechen konnte, sie ihren Rat, was aus ihrer Sicht zu tun sei, eindeutig formuliert hat und ihre spätere Abwesenheit bei der Vernehmung dem ausdrücklichen Wunsch des Angeklagten entsprach, der zudem darüber belehrt war, sich jederzeit anders entscheiden zu können. Damit wurde im Kern das elterliche Erziehungsrecht gewahrt und dem Schutzbedürfnis des jugendlichen Angeklagten Rechnung getragen. Dass die Mutter den Angeklagten bei einer vertraulichen Unterredung zu einem anderen Verhalten bei seiner Vernehmung geraten hätte, als sie dies in Anwesenheit der Polizeibeamten getan hat, schließt der Senat zudem aus. Einem demnach allenfalls wenig gewichtigen Verfahrensverstoß stünde die Schwere des Tatvorwurfs als Abwägungskriterium entgegen, was insgesamt für die Verwertbarkeit der Angaben spricht.
14
2. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei; die Feststellungen tragen den Schuldspruch.
15
Dies gilt insbesondere für die Annahme des Mordmerkmals der Mordlust, das auch ein Jugendlicher verwirklichen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2007 – 5 StR 335/06, NStZ 2007, 522). Aus Mordlust handelt, wem es darauf ankommt, einen Menschen sterben zu sehen, wer aus Mutwillen, Angebe- rei, aus Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens oder aus Zeitvertreib tötet, die Tötung als nervliche Stimulans oder „sportliches Vergnügen“ betrach- tet (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 211 Rn. 8; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 49 ff., je mwN).
16
All dies trifft auf den Angeklagten zu. Er handelte nach den Feststellungen mit Tötungsabsicht allein aus dem Motiv, sein Opfer sterben zu sehen und sich durch diese mutwillige, anlasslose Tat zu stimulieren. Andere Motive hat das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
Sander Schneider König
Berger Mosbacher

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 67 Stellung der Erziehungsberechtigten und der gesetzlichen Vertreter


(1) Soweit der Beschuldigte ein Recht darauf hat, gehört zu werden oder Fragen und Anträge zu stellen, steht dieses Recht auch den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertretern zu. (2) Die Rechte der gesetzlichen Vertreter zur Wahl eines

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Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juni 2019 - 5 StR 2/19

bei uns veröffentlicht am 18.06.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 2/19 vom 18. Juni 2019 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a. ECLI:DE:BGH:2019:180619U5STR2.19.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18.

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Apr. 2007 - 5 StR 335/06

bei uns veröffentlicht am 16.04.2007

5 StR 335/06 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 16. April 2007 in der Strafsache gegen wegen Mordes u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. April 2007 beschlossen : 1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Soweit der Beschuldigte ein Recht darauf hat, gehört zu werden oder Fragen und Anträge zu stellen, steht dieses Recht auch den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertretern zu.

(2) Die Rechte der gesetzlichen Vertreter zur Wahl eines Verteidigers und zur Einlegung von Rechtsbehelfen stehen auch den Erziehungsberechtigten zu.

(3) Bei Untersuchungshandlungen, bei denen der Jugendliche ein Recht darauf hat, anwesend zu sein, namentlich bei seiner Vernehmung, ist den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertretern die Anwesenheit gestattet, soweit

1.
dies dem Wohl des Jugendlichen dient und
2.
ihre Anwesenheit das Strafverfahren nicht beeinträchtigt.
Die Voraussetzungen des Satzes 1 Nummer 1 und 2 sind in der Regel erfüllt, wenn keiner der in § 51 Absatz 2 genannten Ausschlussgründe und keine entsprechend § 177 des Gerichtsverfassungsgesetzes zu behandelnde Missachtung einer zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnung vorliegt. Ist kein Erziehungsberechtigter und kein gesetzlicher Vertreter anwesend, weil diesen die Anwesenheit versagt wird oder weil binnen angemessener Frist kein Erziehungsberechtigter und kein gesetzlicher Vertreter erreicht werden konnte, so ist einer anderen für den Schutz der Interessen des Jugendlichen geeigneten volljährigen Person die Anwesenheit zu gestatten, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 Nummer 1 und 2 im Hinblick auf diese Person erfüllt sind.

(4) Das Jugendgericht kann die Rechte nach den Absätzen 1 bis 3 Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern entziehen, soweit sie verdächtig sind, an der Verfehlung des Beschuldigten beteiligt zu sein, oder soweit sie wegen einer Beteiligung verurteilt sind. Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 bei einem Erziehungsberechtigten oder einem gesetzlichen Vertreter vor, so kann der Richter die Entziehung gegen beide aussprechen, wenn ein Mißbrauch der Rechte zu befürchten ist. Stehen den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertretern ihre Rechte nicht mehr zu, so bestellt das Familiengericht einen Pfleger zur Wahrnehmung der Interessen des Beschuldigten im anhängigen Strafverfahren. Die Hauptverhandlung wird bis zur Bestellung des Pflegers ausgesetzt.

(5) Sind mehrere erziehungsberechtigt, so kann jeder von ihnen die in diesem Gesetz bestimmten Rechte der Erziehungsberechtigten ausüben. In der Hauptverhandlung oder in einer sonstigen gerichtlichen Verhandlung werden abwesende Erziehungsberechtigte als durch anwesende vertreten angesehen. Sind Mitteilungen oder Ladungen vorgeschrieben, so genügt es, wenn sie an eine erziehungsberechtigte Person gerichtet werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 2/19
vom
18. Juni 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:180619U5STR2.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juni 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. Juli 2018 wird verworfen. Es wird davon abgesehen, der Angeklagten die Kosten ihres Rechtsmittels aufzuerlegen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte L. N. und den Mitangeklagten S. wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie die Mitangeklagten M. N. und B. wegen Totschlags schuldig gesprochen. Die Mitangeklagten M. N. , S. und B. hat es jeweils zu langjährigen Freiheits- bzw. Jugendstrafen, die Angeklagte L. N. zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revisionen der Mitangeklagten hat der Senat durch Beschluss vom 2. April 2019 verworfen. Auch die Revision der Angeklagten L. N. hat keinen Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat festgestellt: Die zur Tatzeit 15-jährige Angeklagte L. N. ist die Toch3 ter der Mitangeklagten M. N. . Ihr Vater, der Zeuge V. , war für sie allein sorgeberechtigt. Alle Angeklagten hielten sich am Tattag, dem 11. Oktober 2017, in der Wohnung der M. N. auf, wo sie dem Alkohol zusprachen und Drogen konsumierten. In die Wohnung war auch die später getötete 65 Jahre alte Nachbarin gerufen worden, die zu M. N. in einem Abhängigkeitsverhältnis stand und von ihr in der Vergangenheit wiederholt körperlich misshandelt worden war.
4
Im Laufe des Nachmittags misshandelten auf Aufforderung der M. N. alle Angeklagten die Geschädigte. M. N. nahm den Stiel einer Schaufel, der am unteren Ende ein scharfkantiges Metallrohr aufwies, und schlug die Geschädigte mit dem Metallende. Der Stiel wurde von einem zum anderen weitergegeben und auch die anderen drei Angeklagten schlugen damit die Geschädigte, die aufgrund der Misshandlungen mehrfach zusammenbrach. Die Übergriffe erstreckten sich über den gesamten Nachmittag bis in den Abend. Mit fortschreitender Dauer nahm die Intensität der Gewalthandlungen zu. Gegen Ende beteiligte sich die Angeklagte L. N. nicht mehr aktiv an den Übergriffen. Im weiteren Verlauf forderte sie die anderen erfolglos auf, die Gewalttätigkeiten einzustellen. Die Geschädigte verstarb im Laufe der Nacht an der Vielzahl der erlittenen Verletzungen.
5
2. Die Revision der Angeklagten L. N. hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Der Erörte- rung bedarf nur die Verfahrensrüge einer „Verletzungvon § 67 JGG i.V.m. ei- nem Beweisverwertungsverbot“. Die Revision rügt insoweit einen Verstoß ge- gen eine Pflicht zur Belehrung der Angeklagten über das Recht, sich vor ihrer ersten Vernehmung als Beschuldigte durch ihren erziehungsberechtigten Vater beraten zu lassen (sogenanntes Elternkonsultationsrecht).

6

a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
7
Die in der Hauptverhandlung schweigende Angeklagte L. N. hatte in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 13. Oktober 2017 Angaben zum Tatgeschehen gemacht. Der Vernehmung des polizeilichen Ermittlungsführers sowie der Verwertung seiner Bekundungen hatte die Verteidigung mit der Begründung widersprochen, dass ein Verwertungsverbot bestehe, weil die Angeklagte und ihr Vater bewusst nicht über ein aus § 67 JGG folgendes „Elternkonsultationsrecht“ belehrt worden seien. Das Landgericht hat die Bean- standung zurückgewiesen und ausgeführt, dass der Beamte vor der Vernehmung der Angeklagten telefonisch Kontakt zum Vater aufgenommen, ihm den Tatvorwurf gegen seine Tochter eröffnet und erklärt habe, dass sie nunmehr als Beschuldigte vernommen werden solle und er ein Recht auf Anwesenheit habe. Daraufhin habe der Vater der Vernehmung seiner Tochter zugestimmt. Allerdings habe der Beamte die Beschuldigte nicht über ihr „Elternkonsultations- recht“ belehrt, weil er befürchtet habe, dass sie andernfalls mit ihrem Vater tele- fonieren und dieser dann mit ihrer mitangeklagten Mutter sprechen würde. Hierdurch hätte diese Kenntnis davon erhalten, dass auch gegen sie wegen eines Tötungsdelikts ermittelt werde. Das Telefonat habe man aber im Rahmen der – aus zeitlichen Gründen noch nicht eingerichteten – Telekommunikationsüberwachung mithören wollen. Im Urteil hat das Landgericht die Angaben des Vernehmungsbeamten auch zulasten der Angeklagten verwertet.
8
b) Es kann dahingestellt bleiben, ob sich aus § 67 JGG ein „Elternkonsultationsrecht“ herleiten lässt (so OLG Celle, StraFo 2010, 114; Ludwig, NStZ 2019, 123, 125 mwN). Denn die Verfahrensrüge genügt bereits nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

9
Für die Beurteilung, ob in der unstreitig unterlassenen Belehrung der Angeklagten über ihr – etwa bestehendes – Recht, sich mit ihrem Vater zu beraten , ein Verfahrensfehler liegt und welche rechtlichen Folgen sich hieran knüpfen , hätte es näheren Vortrags zum Geschehen vor und zu Beginn der polizeilichen Vernehmung der Angeklagten bedurft. Hierzu hätten der durch den ermittlungsführenden Polizeibeamten Bu. erstellte Vermerk vom 6. November 2017, auf den die Verteidigung in ihrem Widerspruch gegen dessen Vernehmung Bezug genommen hat, sowie der im Ablehnungsbeschluss des Landgerichts erwähnte Vermerk des Polizeibeamten Ba. vom 14. Oktober 2017 vorgelegt werden müssen, die sich mit diesem Geschehen befassen. Sie haben Verlauf und Inhalt des Telefonats des Polizeibeamten Bu. mit dem Vater der Angeklagten sowie die Frage zum Gegenstand, ob und inwieweit sie jedenfalls davon wusste, dass ihr Vater über ihre Vernehmung informiert worden war, und ihr bekannt war, dass er nicht erscheinen wollte. Informationen hierzu gehen auch aus der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zu einem Antrag auf Aufhebung des gegen die Angeklagte bestehenden Haftbefehls vom 15. Juni 2018 und den hierauf ergangenen Beschluss des Landgerichts vom 22. Juni 2018 hervor, die die Revision ebenfalls nicht vorgelegt hat.
10
Aus all diesen Dokumenten sind darüber hinaus der Ermittlungsstand zum Zeitpunkt der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung sowie die damals ergriffenen Ermittlungsmaßnahmen ersichtlich. Diese Informationen sind notwendig , um den Senat zur Beurteilung in die Lage zu versetzen, ob die Belehrung gegebenenfalls analog § 67a Abs. 4 Satz 1 oder analog § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 JGG unterbleiben durfte (vgl. Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 67 Rn. 11b; Diemer/Schatz/Sonnen-Schatz, JGG, 7. Aufl. § 67, Rn. 27; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 67 Rn. 27; MüKo-StPO/Kaspar, 2018, § 67 Rn. 18; anders Ostendorf, JGG, 10. Aufl., § 67 Rn. 10). Darauf, dass dies der Fall sein kann, weist bereits der Inhalt des Beschlusses des Landgerichts vom 2. Mai 2018 hin, mit dem es den Widerspruch der Angeklagten gegen die Vernehmung des Polizeibeamten Bu. zurückgewiesen hat.
Mutzbauer Sander Schneider
König Berger
5 StR 335/06

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 16. April 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. April 2007 beschlossen
:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 13. Juni 2006 wird nach § 349 Abs. 2
StPO als unbegründet verworfen.
2. Von der Auferlegung von Kosten und Auslagen wird abgesehen.
G r ü n d e
1 Das Landgericht hat den zu den Tatzeiten 16-jährigen Angeklagten
wegen Mordes sowie wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung
eines weiteren Urteils (Jugendstrafe von sechs Monaten) zu einer einheitlichen
Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich
der Angeklagte mit Verfahrensrügen und der näher begründeten Sachrüge.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2 1. Die Jugendkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
3 a) Am späten Abend des 17. Juni 2005 gerieten der angetrunkene
Angeklagte und der gesondert Verfolgte S. auf dem Gelände einer Tankstelle
in Berlin-Zehlendorf mit dem ersichtlich betrunkenen Bundeswehrsoldaten
T. aus nichtigem Anlass in einen Streit, bei dem T.
den Angeklagten als „Hurensohn“ und „Nigger“ beschimpfte. Der über
die Beleidigungen aufgebrachte Angeklagte versetzte dem T.
zwei Faustschläge in das Gesicht, nahm ihn in den „Schwitzkasten“ und
schlug ihm mit der Faust auf den Kopf. Auch S. versetzte dem Geschädigten
mehrere Faustschläge in das Gesicht. Anschließend kniete sich der
Angeklagte mit einem Bein auf den Brustkorb des T. und schlug
ihm mehrmals heftig mit der Faust in das Gesicht, bis er sich nicht mehr regte.
S. und der Angeklagte versetzten ihm sodann noch Fußtritte gegen
den Kopf. Schließlich trat der Angeklagte wuchtig und nach oben ausholend
mit dem Fuß in das Gesicht des Geschädigten, wobei er äußerte: „Jetzt
weißt du es“.
4 T. erlitt nicht konkret lebensgefährliche Hirnblutungen,
Hämatome, eine Gehirnerschütterung und Frakturen an der Nase. Die Verletzungen
heilten nach stationärer Behandlung und einem operativen Eingriff
folgenlos aus. Gegen den Angeklagten erging Haftbefehl bei gleichzeitiger
Aussetzung der Vollstreckung. Die Haftverschonung dauerte bei Begehung
der Folgetat an.
5 b) Etwa seit 2002 gab sich der Angeklagte – angeregt durch Filme mit
sadistischen Tötungsszenen – Tötungsphantasien hin; darin nahm er zunehmend
die Täterrolle ein. Die Vorstellung, einen anderen Menschen zu
töten, bereitete ihm Vergnügen, weswegen er sich entschloss, dies in die Tat
umzusetzen. Er plante, sich zunächst ein Kind als Opfer auszuwählen, da
ihm dieses weniger Widerstand leisten würde.
6 In der Nacht zum 27. August 2005 konsumierte der Angeklagte Alkohol
, Amphetamine und Marihuana, auch schlief er nicht. Er war verstimmt, da
ihn das Verhalten seiner Freundin eifersüchtig gemacht hatte, versöhnte sich
aber mit ihr noch am Vormittag. Danach traf er auf einem Spielplatz unweit
seines Wohnortes auf den ihm bekannten sieben Jahre alten Nachbarjungen
C. . Da der Junge allein war, beschloss der Angeklagte, seine Tötungsphantasien
mit ihm als Opfer umzusetzen, was ihn in Erregung versetzte.
Er lockte C. zu einem in der Nähe gelegenen Gelände, welches mit
Bäumen bewachsen und daher kaum einsehbar war. C. ging vertrauensvoll
mit. ... [Dort tötete er C., was im Beschluss näher ausgeführt wird.]
7 Die sachverständig beratene Jugendkammer konnte nicht ausschließen
, aber auch nicht sicher feststellen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
bei beiden Taten erheblich vermindert war. Hierzu hat sie bei der
gefährlichen Körperverletzung auf die Wirkung des Alkoholkonsums im Zusammenspiel
mit einer Impulskontrollstörung, bei der Tötung des siebenjährigen
Kindes auf die von Übermüdung sowie einer akuten Drogen- und Alkoholintoxikation
bestimmte psychische Verfassung in Verbindung mit einer
nachlassenden Eifersuchtsreaktion abgestellt.
8 2. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
9 a) Zwar beanstandet die Revision zu Recht, dass den in der Hauptverhandlung
anwesenden erziehungsberechtigten Großeltern des Angeklagten
vor Urteilsverkündung am 13. Juni 2006 – nach Wiedereintritt in die Beweisaufnahme
das letzte Wort nicht, wie erforderlich, ausdrücklich gewährt worden ist. Jedoch
kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensfehler
verneinen. Die gebotene Auslegung des freilich ungeschickt und nachlässig
gefassten Protokolls ergibt eben noch ausreichend (vgl. BGHSt 13, 53, 59;
BGH NStZ 2005, 280; BGH, Urteil vom 30. März 2004 – 5 StR 410/03), dass
den Erziehungsberechtigten am vorangegangenen Sitzungstag das letzte
Wort gewährt worden war, sie jedoch davon keinen Gebrauch gemacht hatten.
Angesichts dieses Umstands ist auszuschließen, dass die Großeltern
nach zwischenzeitlich erfolgter nur kurzer Beweisaufnahme und Verhandlung
ohne den Verfahrensverstoß von ihrem ihnen bereits bekannten Recht
Gebrauch gemacht und – abweichend von ihrem Verhalten im gesamten vorangegangenen
Verfahren – etwas ausgeführt hätten, was Schuld- oder
Strafausspruch zu Gunsten des Angeklagten beeinflusst hätte.
10 b) Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs greift nicht durch. Zwar
enthalten die Urteilsausführungen zur Bemessung der Jugendstrafe eine wegen
des nicht erfolgten Hinweises auf die mögliche Verwertung bedenklich
formulierte Bezugnahme auf einen gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellten
Anklagevorwurf. Indes ergibt sich aus dem Zusammenhang, dass dem Angeklagten
nicht dieser eingestellte Vorwurf oder Umstände desselben zur
Last gelegt worden sind. Vielmehr hat die Strafkammer im Rahmen der Gewichtung
der Schwere der Schuld gewürdigt, dass sich der Tatanreiz nicht für
den Angeklagten überraschend ergeben hat. Dies wiederum hat sie mit seiner
Einlassung zur ausgeurteilten Tat und ihrer Vorgeschichte – Tötungsphantasien
, gedankliche Planung der Tötung eines Menschen – begründet
und dabei lediglich in überflüssiger, letztlich aber unschädlicher Weise, im
Wesentlichen ergänzend erläuternd, auf den eingestellten Vorwurf verwiesen.
Das schulderschwerend gewertete, vom Angeklagten eingestandene
Element ist hiervon unabhängig. Ein Beruhen der Straffindung auf dem geltend
gemachten Verstoß scheidet angesichts des gegebenen Zusammenhangs
jedenfalls aus.
11 3. Auch die Sachrüge dringt nicht durch.
12 a) Das Tatgericht hat die Tötung des siebenjährigen Jungen zu Recht
als Mord gewürdigt. Die Feststellungen tragen die Annahme, dass der Angeklagte
heimtückisch und aus Mordlust gehandelt hat. Entgegen der Ansicht
der Revision schließt der festgestellte psychische Zustand des Angeklagten
nicht die Annahme des Mordmerkmals „aus Mordlust“ aus. Der Angeklagte
handelte mit direktem Tötungsvorsatz allein aus Freude an der Vernichtung
eines Menschenlebens, weder lag in der Person des Opfers oder in der besonderen
Tatsituation ein anderer Anlass für die Tatbegehung vor, noch war
mit der Tötung ein darüber hinausgehender Zweck verbunden. Die Voraussetzungen
des Mordmerkmals der Mordlust werden durch gegebene triebhafte
oder gefühlsmäßige Regungen nicht in Frage gestellt (vgl. BGHR StGB
§ 211 Abs. 2 Mordlust 1; Schneider in MüKo-StGB § 211 Rdn. 51).
13 b) Der Senat nimmt die Beurteilung der Schuldfähigkeit durch die Jugendkammer
hin. Der Ausschluss von Schuldunfähigkeit und die – wenngleich
teils schwer nachvollziehbar begründete – Zubilligung der Voraussetzungen
des § 21 StGB sind im Ergebnis ersichtlich zutreffend. Allerdings
vermag die – freilich im Einklang mit der Beurteilung durch den psychiatrischen
Sachverständigen stehende – Verneinung der Voraussetzungen einer
schweren anderen seelischen Abartigkeit des Angeklagten bei dem Tatbild
und sämtlichen festgestellten Begleitumständen des Mordes nicht zu überzeugen.
Eine insoweit abweichende Beurteilung, die naheläge, würde indes
ersichtlich auch nur zur Anwendung des § 21 StGB führen und den Strafausspruch
für sich nicht in Frage stellen. Durchgreifenden Anlass, maßgeblich
nur die Frage einer möglichen Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen
Krankenhaus nochmals tatgerichtlicher Prüfung zu unterstellen, sieht
der Senat unter Berücksichtigung der bisherigen Untersuchungsergebnisse
des Sachverständigen auf die Revision des Angeklagten hin nicht.
14 c) Die Jugendkammer hat die Grundlagen für die Verhängung von Jugendstrafe
– in der Tat zum Ausdruck gekommene schädliche Neigungen
und die Schwere der Schuld des Angeklagten – rechtsfehlerfrei angenommen.
Auch die Bemessung der Jugendstrafe hält revisionsgerichtlicher Prüfung
stand.
15 aa) Die Strafzumessungserwägungen weisen aus, dass die Jugendkammer
bei der Verhängung der Höchststrafe in erster Linie auf die für die
Beurteilung der Schuld entscheidenden Gesichtspunkte abgestellt hat. Dies
begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Insbesondere liegt hierin kein
Verstoß gegen § 18 Abs. 2 JGG, wonach die Jugendstrafe so zu bemessen
ist, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist.
16 Denn dies bedeutet nicht, dass die Erziehungswirksamkeit als einziger
Gesichtspunkt bei der Strafzumessung heranzuziehen ist. So ist die Verhängung
einer Strafe im oberen Bereich des gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 JGG eröffneten
Strafrahmens – wovon die Jugendkammer hier selbst ausgegangen
ist – in aller Regel allein mit dem Erziehungsgedanken nicht mehr zu begründen
(BGHR JGG § 18 Abs. 2 Strafzwecke 1, 4, 5). Allerdings sind
daneben auch andere Strafzwecke, bei einem Kapitalverbrechen namentlich
das Erfordernis gerechten Schuldausgleichs, zu beachten. Schon deshalb
durfte die Jugendkammer die Verhängung der Höchststrafe hier maßgeblich
mit der „höchst schweren Schuld“ begründen und musste nicht näher darlegen
, dass erzieherische Zwecke gerade dieses Strafmaß erforderten (vgl.
BGH, Beschlüsse vom 4. Dezember 1996 – 3 StR 471/96 und 23. Oktober
1997 – 5 StR 486/97). Die strafmildernden Wirkungen des Geständnisses
, der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit und des überaus unglücklich
verlaufenen Werdeganges des Angeklagten standen bei der ganz
außergewöhnlichen Schwere der Taten, namentlich des Mordes, der Verhängung
der Höchststrafe nicht entgegen.
17 Erziehungsgedanke und Schuldausgleich stehen hier zudem nicht
einmal in einem gravierenden Spannungsverhältnis. Die charakterliche Haltung
und das Persönlichkeitsbild, wie sie in der Tat zum Ausdruck gekommen
sind, erweisen sich für die Bewertung der Schuld als ebenso bedeutsam
wie für das Erziehungsbedürfnis (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 120). Die in den
Taten deutlich gewordenen tiefgreifenden Persönlichkeitsdefizite des Angeklagten
begründen offensichtlich allerhöchsten Therapie- und damit einhergehend
höchsten Erziehungsbedarf. Der Jugendstrafvollzug wird in außergewöhnlicher
Weise, naheliegend sehr mittel- und zeitaufwendig, gefordert
sein, wirksame therapeutische Maßnahmen zur Beeinflussung der schwer
gestörten Persönlichkeit des in massivster Weise sittlich verwahrlosten Angeklagten
zu finden und anzuwenden.
18 bb) Eine unzulässige Doppelverwertung liegt nicht vor; § 46 Abs. 3
StGB ist bei der Bemessung von Jugendstrafe nicht anwendbar (vgl. BGH
NStZ-RR 1997, 21, 22; Brunner/Dölling, JGG 11. Aufl. § 18 Rdn. 8 m.w.N.).
Einer ausdrücklichen Erörterung der erzieherischen Wirkung der bereits vollzogenen
Untersuchungshaft auf den Angeklagten, der bisher lediglich einen
fast vierwöchigen Dauerarrest verbüßt hatte, bedurfte es angesichts der tiefgreifenden
Persönlichkeitsdefizite nicht.
19 4. Über die nicht nachvollziehbare Ablehnung der beantragten Einziehungsentscheidung
hatte der Senat nicht zu befinden.
Basdorf Häger Gerhardt
Raum Jäger