Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juli 2011 - 5 StR 172/11

bei uns veröffentlicht am20.07.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 172/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 16. Dezember 2010 – soweit es ihn betrifft – nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit eine Entscheidung zur Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 20 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist zu Schuldund Strafausspruch unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts hat die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt jedoch keinen Bestand.
2
1. Das Landgericht hat beim Angeklagten eine Alkohol- und Heroinabhängigkeit sowie den Hang zur Aufnahme berauschender Mittel im Über- maß, wodurch die Gefahr erneuter erheblicher rechtswidriger Taten bestehe, und den symptomatischen Zusammenhang zwischen seiner Abhängigkeit und den begangenen Straftaten rechtsfehlerfrei festgestellt. Gleichwohl hat es – sachverständig beraten – die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB mit der Begründung abgelehnt, dass durch die derzeitige freiwillige und erfolgreich verlaufende Teilnahme des Angeklagten an einer Langzeitdrogenentwöhnungstherapie – trotz mehrerer erfolgloser Entgiftungsbehandlungen (UA S. 29) – eine anhaltende Abstinenz und soziale Reintegration erreichbar erscheine, so dass seine zusätzliche Unterbringung in einer Maßregelvollzugseinrichtung nicht geboten sei (UA S. 31, 37).
3
2. Die Begründung der Strafkammer hinsichtlich der Ablehnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist rechtsfehlerhaft, denn in derartigen Fällen ist diese bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anzuordnen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 2009 – 2 StR 37/09, NStZ 2009, 441 mwN). Angesichts einer ausstehenden Strafvollstreckung liegt kein Fall vor, in dem eine vom Angeklagten freiwillig durchgeführte stationäre Drogenentwöhnungstherapie im Blick auf die Sollvorschrift des § 64 Satz 1 StGB nF (vgl. dazu Basdorf /Schneider/König in Festschrift für Rissing-van Saan, 2011, S. 59, 61 f.) eine andere Entscheidung rechtfertigen würde.
4
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinen Rechtsmittelangriffen ausgenommen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38,

362).


5
3. Der Senat hebt daher die Entscheidung über den unterbliebenen Maßregelausspruch auf. Er schließt aus, dass das Landgericht bei Anord- nung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine niedrigere Strafe verhängt hätte. Der Aufhebung von Feststellungen zum unterbliebenen Maßregelausspruch bedarf es nicht, weil lediglich ein Wertungsfehler vorliegt. Gleichwohl wird es zur Abklärung der maßgeblichen aktuellen Situation der Anhörung eines Sachverständigen in der neuen Hauptverhandlung (§ 246a StPO) bedürfen. Die bisherigen Feststellungen können durch ihnen nicht widersprechende Feststellungen ergänzt werden.
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Referenzen - Gesetze

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 246a Vernehmung eines Sachverständigen vor Entscheidung über eine Unterbringung


(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.