Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 03. Aug. 2015 - 11 ZB 15.50084

bei uns veröffentlicht am03.08.2015

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Beklagte wendet sich gegen die Aufhebung des Bescheids vom 22. August 2014, soweit sie damit den Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt hat.

Der Kläger ist der am 29. Juni 2014 im Bundesgebiet geborene Sohn der Kläger zu 1 und 2 im Verfahren Aktenzeichen 11 ZB 15.50085. Diese sind nach eigenen Angaben russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit; sie reisten zusammen mit ihrer 2010 geborenen Tochter am 28. März 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 8. April 2013 Asylanträge. Am 5. August 2014 wurde der Kläger dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zur Asylantragstellung angezeigt.

Die polnischen Behörden bestätigten auf Anfrage des BAMF mit Schreiben vom 24. Oktober 2013 die Übernahme der Eltern des Klägers nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO.

Mit Bescheiden vom 4. Februar 2014 und 22. August 2014 lehnte das BAMF die Asylanträge des Klägers, seiner Eltern und deren Tochter gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig ab (Nr. 1 des jeweiligen Bescheids) und ordnete die Abschiebung nach Polen an (Nr. 2). Die Republik Polen sei nach den Bestimmungen der Dublin II-VO für die Durchführung der Asylverfahren der Eltern des Klägers und deren Tochter zuständig. Nach Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO gelte das auch für den Kläger. Die Asylanträge seien daher nach § 27a AsylVfG unzulässig.

Gegen die Bescheide erhoben der Kläger und seine Eltern nebst Tochter (Az. AN 10 K 14.30265) jeweils Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach. Den Eilantrag des Klägers lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. September 2014 ab.

Mit Urteilen vom 20. Februar 2015 hob das Verwaltungsgericht die Bescheide vom 4. Februar 2014 und 22. August 2014 auf. Die Bescheide nach § 27a AsylVfG seien durch den Ablauf der Überstellungsfrist rechtswidrig geworden. Es sei auch nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass eine Überstellung in absehbarer Zeit noch erfolgen könne.

Gegen die Aufhebung von Nr. 1 des Bescheids vom 22. August 2014 wendet sich die Beklagte mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Kläger entgegentritt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der Rechtssache kommt weder die von der Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) noch ist die Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG zuzulassen. Zur Begründung wird auf den Beschluss des Senats vom heutigen Tag im Verfahren der Eltern des Klägers und deren Tochter (Az. 11 ZB 15.50085) verwiesen, mit dem der Senat den dortigen Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung abgelehnt hat.

Mit diesem Beschluss ist auch die Aufhebung des Bescheids vom 4. Februar 2014, mit dem das BAMF die Anträge der Eltern des Klägers auf Durchführung von Asylverfahren abgelehnt hat, rechtskräftig. Bei dieser Sachlage kann auch der Bescheid, mit dem die Beklagte die Unzulässigkeit des Asylantrags des im Bundesgebiet geborenem Klägers festgestellt und dessen Abschiebung nach Polen angeordnet hat, keinen Bestand haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylVfG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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bei uns veröffentlicht am 03.08.2015

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. Die Beklagte wendet s

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Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Beklagte wendet sich gegen die Aufhebung des Bescheids vom 4. Februar 2014, soweit sie damit die Asylanträge der Kläger als unzulässig abgelehnt hat.

Die Kläger sind nach eigenen Angaben russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten am 28. März 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 8. April 2013 Asylanträge.

Die polnischen Behörden bestätigten auf Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Schreiben vom 24. Oktober 2013 die Übernahme der Kläger nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO.

Mit Bescheid vom 4. Februar 2014 lehnte das BAMF die Asylanträge der Kläger als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete die Abschiebung nach Polen an (Nr. 2). Die Republik Polen sei nach den Bestimmungen der Dublin II-VO für die Durchführung der Asylverfahren zuständig. Die Asylanträge seien daher nach § 27a AsylVfG unzulässig.

Gegen den Bescheid erhoben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach. Den gleichzeitig erhobenen Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Juli 2014 ab. Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2015 teilte die Beklagte im Klageverfahren mit, dass nach Fristablauf keine Überstellung nach Polen aufgrund des Dublinverfahrens angedacht sei.

Mit Urteil vom 20. Februar 2015 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 4. Februar 2014 auf. Der Bescheid nach § 27a AsylVfG sei durch Ablauf der Überstellungsfrist rechtswidrig geworden. Es sei auch nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass eine Überstellung in absehbarer Zeit noch erfolgen könne.

Gegen die Aufhebung von Nr. 1 des Bescheids wendet sich die Beklagte mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Kläger entgegentreten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Der Rechtssache kommt hinsichtlich der Frage, „ob der Asylantragsteller gerichtlich die Aufhebung einer Ablehnung gemäß § 27a AsylVfG deshalb begehren kann, weil die Überstellungsfrist in den als zuständig bestimmten Staat im nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt abgelaufen ist und ob dies selbst dann (schon) gilt, wenn (noch) nicht feststeht, dass der bislang zuständige Mitgliedstaat wegen Ablaufs der Überstellungsfrist dauerhaft die Übernahme ablehnt“, nicht die von der Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG).

Die Beklagte geht nach ihrem Schreiben vom 9. Februar 2015 im Ausgangsverfahren selbst vom Ablauf der Frist zur Überstellung der Kläger nach Polen aus und hat ausdrücklich mitgeteilt, dass nach Fristablauf keine Überstellung nach Polen aufgrund des Dublinverfahrens angedacht sei.

Die Kläger wurden vom BAMF am 8. April 2013 gem. Art. 3 Abs. 4 Dublin II-VO dahingehend belehrt, die Überstellung müsse grundsätzlich binnen sechs Monaten, nachdem der andere Staat dem Aufnahmegesuch des Bundesamts zugestimmt habe, abgeschlossen sein, andernfalls gehe die Zuständigkeit für die Behandlung des Asylantrags auf die Bundesrepublik Deutschland über.

Dass Polen gleichwohl noch bereit wäre, die Kläger (wieder) aufzunehmen, ist im Übrigen von der Beklagten weder vorgetragen noch ersichtlich. Bei einer Fallgestaltung, in der keine oder allenfalls eine theoretische, nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauerte Überstellungsmöglichkeit in einen anderen Mitgliedstaat besteht, bedarf es keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, dass die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags (§ 27a AsylVfG) nicht isoliert aufrecht erhalten bleiben kann (vgl. u. a. BayVGH, B.v. 1.6.2015 - 11 ZB 15.50090 - juris Rn. 9).

Ist die Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen und ist der als zuständig bestimmte Mitgliedstaat nicht mehr zur Übernahme bereit, hat der Asylbewerber eine Anspruch darauf, dass erneut in das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats eingetreten wird (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2015 - 11 ZB 15.50033 - juris). Kommt - wie hier - ersichtlich die Zuständigkeit eines anderen Dublin-Vertragsstaats nicht in Frage, ist die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylbegehrens nach den nationalen Vorschriften (Art. 16a GG und die entsprechenden Bestimmungen des AsylVfG) zuständig. Auf die Frage, ob sich der Asylbewerber auf Vorschriften der Dublin II-VO berufen kann, kommt es dann nicht an.

2. Die Berufung ist auch nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG zuzulassen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht nicht von dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juni 2014 (10 B 35.14 - juris) oder dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Februar 2014 (13a B 13.30295 - juris) ab. Wie unter Nr. 1 des Beschlusses ausgeführt, steht hier nicht mehr eine Überstellung der Kläger in einen anderen Dublin II-Vertragsstaat im Raum, so dass es nicht darauf ankommt, ob der Asylbewerber gegen einen entsprechenden Bescheid ausschließlich systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend machen kann.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

4. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylVfG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.