Arbeitsgericht München Beschluss, 26. Apr. 2016 - 13 BV 395/15

bei uns veröffentlicht am26.04.2016

Tenor

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über die Rechtswirksamkeit einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2006.

Der Beteiligte zu 1) (nachfolgend: Betriebsrat) ist als Betriebsrat zuständig für den gemeinsamen Betrieb, den die Beteiligte zu 2) mit der B. GmbH, der F. GmbH und der I. GmbH seit dem Jahr 2001 führt. Zum 01.02.2002 ging die B. GmbH auf die Beteiligte zu 2) im Rahmen eines Betriebsübergangs über. Die Beteiligte zu 2) war und ist nicht Mitglied eines tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverbandes und nicht tarifgebunden. Zum 01.01.2003 schlossen die Gewerkschaft ver.di und der Verband Technischer Betriebe Film und Fernsehen (VTFF) einen einheitlichen Manteltarifvertrag, der zum 01.01.2010 neu gefasst und von beiden Tarifparteien mit Wirkung zum 31.12.2011 gekündigt wurde. Auch wenn die Beteiligte zu 2) nicht tarifgebunden ist, wäre sie dem in § 1 bestimmten fachlichen Geltungsbereich des einheitlichen Manteltarifvertrags unterfallen. Der Manteltarifvertrag enthielt keine Öffnungsklausel, die den Betriebsparteien in abschlussabweichender oder gleichlautender Betriebsvereinbarungen gestatten würde. Aufgrund von unterschiedlichen Urlaubsregelungen bei der Beteiligten zu 2) und der B. GmbH schlossen die Beteiligten zu 2) und der Betriebsrat am 28.03.2006 eine Betriebsvereinbarung „Urlaub und Freistellung von der Arbeit“ (Bl. 11 ff. d.A.), die in § 20 (Urlaubsbestimmungen), § 21 (Urlaubsdauer) und § 22 (Freistellung von der Arbeit aus persönlichen Gründen) Bestimmungen enthält, die wortwörtlich den entsprechenden Regelungen des einheitlichen Manteltarifvertrages entsprechen.

Die VTFF und ver.di schlossen am 12.08.2010 einen Entgelttarifvertrag (Bl. 54 d.A.) mit Wirkung zum 01.01.2010. Dieser Tarifvertrag enthält in § 5 eine Öffnungsklausel mit folgendem Wortlaut:

„Arbeitgeber und Betriebsrat können unter Wahrung der tariflichen Mindestbestimmungen ergänzend zu diesem Tarifvertrag für Arbeitnehmer günstigere Betriebsvereinbarungen unter Beachtung des § 77 Abs. 3 BetrVG abschließen. Bis zum Inkrafttreten dieses Tarifvertrags abgeschlossene ergänzende für Arbeitnehmer günstigere Betriebsvereinbarungen, die sich auf andere (alte) Tarifregelungen beziehen, gelten unabhängig von dieser Öffnungsklausel weiter und können unter Beachtung von § 77 Ziff. 3 BetrVG geändert werden. Die Tarifparteien sind seitens des Arbeitgebers über die Aufnahme von Verhandlungen und dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung gemäß dieser Öffnungsklausel zu informieren.“

In einer Pressemitteilung vom 28.11.2012 teilte der VTFF den Beschluss einer neuen Satzung mit sowie die Aufgabe seiner Tariffähigkeit „bis auf Weiteres“. In der Neufassung der Satzung des VTFF vom 01.01.2013 heißt es unter § 2:

„Er ist derzeitig nicht tariffähig.“ (Bl. 66 ff. d.A.).

Die Beteiligte zu 2) schließt mit ab dem 01.03.2013 eingestellten Arbeitnehmern Arbeitsverträge ab, die lediglich 28 Urlaubstage gewähren. Nur auf die namentlich im Antrag benannten Arbeitnehmer wendet die Beteiligte zu 2) die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung derzeit noch an.

Der Betriebsrat ist der Auffassung, die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2006 sei wirksam und damit für alle Arbeitnehmer im Betrieb anwendbar. Die tarifliche Öffnungsklausel in § 5 des Entgelttarifvertrages vom 12.10.2010 enthalte eine die Sperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG beseitigende rückwirkende Öffnungsklausel. Bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Entgelttarifvertrages sei die Betriebsvereinbarung keinesfalls nichtig, sondern lediglich schwebend unwirksam gewesen. Die Tarifvertragsparteien hätten deshalb auch zu einem späteren Zeitpunkt eine Öffnungsklausel vereinbaren können. Der Geltungsbereich des Entgelttarifvertrages sei nicht auf eine Entgeltregelung beschränkt, so dass über die Öffnungsklausel auch Regelungen zur Urlaubsdauer durch Betriebsvereinbarung hätte getroffen werden können. Da eine tarifvertragliche Regelung nicht mehr vorliege, greife auch nicht die Tarifsperre gem. § 77 Abs. 3 Satz 1 1. Altern. BetrVG. Auch liege keine Tarifüblichkeit (mehr) vor, da der Arbeitgeberverband aufgrund gewillkürter Tarifunfähigkeit keine Tarifverträge mehr abschließen könne und daher von einer Tarifüblichkeit der Urlaubsregelungen nicht auszugehen sei. Die Tatsache, dass die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 2. Altern. BetrVG erst nach Inkrafttreten der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung im Jahr 2006 entfallen sei, ändere an dem Ergebnis nichts, da die Betriebsvereinbarung nicht nichtig gewesen sei.

Der nach Kündigung lediglich nachwirkende Manteltarifvertrag könne gem. § 4 Abs. 5 TVG durch eine andere Abmachung abgelöst werden. Eine solche andere Abmachung könne auch eine Betriebsvereinbarung sein. Da die Beteiligte zu 2) zu keinem Zeitpunkt an den einheitlichen Manteltarifvertrag gebunden gewesen sei und ausweislich der Betriebsvereinbarung durch diese bestehende unterschiedliche Urlaubsregelung vereinheitlicht hätten werden sollen, sei zu folgern, dass die Betriebsvereinbarung gerade für den Fall der Nachwirkung gelten sollte.

Der Betriebsrat beantragt,

Es wird festgestellt, dass die Betriebsvereinbarung „Urlaub und Freistellung von der Arbeit“, die zwischen dem Beteiligten zu 1) und der Beteiligten zu 2) am 28.03.2006 abgeschlossen worden ist, unabhängig von einem bestimmten Eintrittsstichtag für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Beteiligten zu 2) zur Anwendung kommt und nicht auf folgende Arbeitnehmer / Arbeitnehmerinnen:

– Frau K.

– Frau Ma.

– Frau Mi.

– Frau F.

– Frau K.

– Herr H.

– Frau P.

– Frau E.

– Herr K.

beschränkt ist.

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

Zurückweisung des Antrags.

Zu den Anträgen führt sie aus, die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung sei wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG rechtsunwirksam. Die Sperrwirkung von § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG sei nicht von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers abhängig. Die streitgegenständlichen Regelungen beträfen nicht den Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung, sondern unterfielen der freiwilligen Mitbestimmung. Infolgedessen sei die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung schlichtweg rechtsunwirksam. In der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 29.10.2002 (1 AZR 573/01) werde die Frage der Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Regelungssperre offengelassen. In dieser Entscheidung werde keinesfalls die Aussage getroffen, dass die wortwörtliche Zitierung von Teilen eines (Mantel) -Tarifvertrages lediglich zur schwebenden Unwirksamkeit führen solle. Richtigerweise sei aus rechtssystematischen Gründen von einer endgültigen Rechtsunwirksamkeit auszugehen. Die Sperrwirkung werde auch nicht durch den Entgelttarifvertrag vom 12.10.2010 beseitigt. Der Wortlaut der Öffnungsklausel in § 5 des Entgelttarifvertrages beziehe sich ausdrücklich auf „diesen Tarifvertrag“ und nicht auf den einheitlichen Manteltarifvertrag. Rechtssystematisch erstrecke sich die Öffnungsklausel daher ausschließlich auf die Regelungsgegenstände des Entgelttarifvertrages. Die Regelungssperre greife auch in Bezug auf die Tarifüblichkeit der Regelungsgegenstände in der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung. Zur Tarifüblichkeit sei festzustellen, dass die Gewerkschaft ver.di zu keinem Zeitpunkt erklärt habe, nicht tariffähig zu sein und keine Tarifverträge schließen zu wollen. Die Tarifüblichkeit entfalle auch nicht dadurch, dass sich der Arbeitgeberverband für tarifunfähig erklärt habe. Die Gewerkschaft könne nach wie vor auch mit einzelnen Unternehmen Firmentarifverträge schließen. Tarifüblichkeit entfalle in einem solchen Fall erst, wenn die Gewerkschaft erkläre, sie strebe auch keinen Firmentarifvertrag mehr an. Die Frage der Tarifüblichkeit könne letztlich dahinstehen, da die gesamte Betriebsvereinbarung seit 2006 unwirksam sei.

Zum weiteren Vorbringen wird auf die schriftsätzlichen Ausführungen der Beteiligten sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen.

B.

Die zulässigen Anträge des Betriebsrats sind nicht begründet.

I.

Für Streitigkeiten zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber über den rechtlichen Bestand einer Betriebsvereinbarung entscheiden die Arbeitsgerichte gem. § 2 a ArbGG im Beschlussverfahren. Da der Betriebsrat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswirksamkeit einer Betriebsvereinbarung hat, ist das Feststellungsinteresse für die vorliegenden Feststellungsanträge zu bejahen.

II.

Sowohl der Hauptantrag als auch der Hilfsantrag, der auf eine Rechtswirksamkeit der Betriebsvereinbarung jedenfalls ab dem vom Betriebsrat behaupteten Wegfall der Tarifüblichkeit gerichtet ist, sind unbegründet, da der Betriebsvereinbarung von Beginn an die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG entgegenstand und auch keine rückwirkende spätere Beseitigung der Rechtsunwirksamkeit gegeben ist. Die Beteiligte zu 2) muss die Betriebsvereinbarung „Urlaub und Freistellung von der Arbeit“ vom 28.03.2006 nicht auf alle Arbeitnehmer anwenden.

1. Im Zeitpunkt ihres Abschlusses verstieß die Betriebsvereinbarung gegen § 77 Abs. 3 BetrVG, nachdem Arbeitsentgelt und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können. Im Jahr 2006 bestand für Urlaubsbestimmungen für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für die technischen Betriebe Film und Fernsehen ein Manteltarifvertrag, so dass eine „tarifübliche Regelung“ i.S.v. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG der Urlaubsbestimmungen gegeben war. Auf die Tarifbindung des Arbeitgebers kommt es bei der Frage der Tarifüblichkeit nicht an, so dass unabhängig von der Tarifbindung der Beteiligten zu 2) eine Tarifüblichkeit der Regelung von Urlaubsbestimmungen gegeben war. Der Manteltarifvertrag enthielt insoweit auch keine Tariföffnungsklausel. Aufgrund der Regelungssperre in § 77 Abs. 3 BetrVG durften die Betriebsparteien im Jahr 2006 im Wege einer Betriebsvereinbarung keine Urlaubsbestimmungen regeln.

2. Der Verstoß gegen die Regelungssperre in § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG wurde vorliegend auch nicht durch die Tariföffnungsklausel in § 5 des Entgelttarifvertrages vom 12.08.2010 rückwirkend geheilt.

a. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung -schwebend oder endgültig - unwirksam, wenn auch nicht nichtig (BAG, Urteil vom 20.04.1999 - 1 AZR 631/98; Beschluss vom 29.10.2002 - 1 AZR 573/01; Urteil vom 29.01.2002 - 1 AZR 267/01). Für den Fall rückwirkender Öffnungsklauseln hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 29.01.2002 (bereits zitiert) entschieden, dass durch rückwirkende Tariföffnungsklauseln eine zunächst unwirksame Betriebsvereinbarung nachträglich wirksam werden kann. Das Arbeitsgericht geht davon aus, dass die Sperrwirkung in § 77 Abs. 3 BetrVG die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie dadurch gewährleistet, dass den Tarifvertragsparteien der Vorrang zur Regelung von Arbeitsbedingungen eingeräumt wird. Diese Befugnis soll nicht durch ergänzende oder abweichende Regelungen der Betriebsparteien ausgehöhlt werden. Allein den Tarifvertragsparteien ist es vorbehalten darüber zu entscheiden, ob sie eine abweichende Betriebsvereinbarung zulassen wollen oder nicht. Sie allein haben darüber zu befinden, inwieweit sie den Betriebsparteien die ihnen von § 77 Abs. 3 BetrVG entzogene Gestaltungsmacht zurückgeben wollen. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts schließt dieser Schutzzweck die nachträgliche Belegung einer tariflichen Vereinbarung nicht aus.

b. Der vorliegende Entgelttarifvertrag enthält keine Öffnungsklausel zur Regelung von Urlaubsbestimmungen, so dass eine nachträgliche Heilung der unwirksamen Betriebsvereinbarung nicht eintreten konnte. Zu Recht weist die Beteiligte zu 2) darauf hin, dass sich der Wortlaut der Öffnungsklausel in § 5 Entgelttarifvertrag ausdrücklich auf „diesen Tarifvertrag“ bezieht und nicht auf den einheitlichen Manteltarifvertrag. Damit erstreckt sich die Öffnungsklausel rechtssystematisch ausschließlich auf die Regelungsgegenstände des Entgelttarifvertrages und ist nicht geeignet, die Sperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG für die Regelung von Urlaubsfragen zu beseitigen. Hätten die Tarifvertragsparteien eine Öffnungsklausel für Regelungsgegenstände des einheitlichen Manteltarifvertrags gewünscht, hätten sie ohne weiteres den Manteltarifvertrag entsprechend ergänzen können. In der Fassung des einheitlichen Manteltarifvertrags vom 12.08.2010 ist eine solche Öffnungsklausel jedoch nicht enthalten. Die Tarifvertragsparteien haben also eine Öffnung der in dem einheitlichen Manteltarifvertrag geregelten Gegenstände zu Gunsten anders lautender oder inhaltsgleicher Betriebsvereinbarungen nicht gewünscht. Eine Öffnungsklausel zu Gunsten von Urlaubsregelungen lässt sich auch nicht, wie der Betriebsrat meint, daraus ableiten, dass Urlaubsregelungen im weitesten Sinne auch Entgeltfragen betreffen. Mit dieser Argumentation könnte letztlich eine Tariföffnung für jegliche Arbeitgeberleistung neben der eigentlichen Entgeltzahlung begründet werden. Die Tarifvertragsparteien haben vorliegend ausdrücklich getrennt zwischen den in einem Manteltarifvertrag zu regelnden Gegenständen und den eigentlichen Entgeltfragen, die in einem speziellen Entgelttarifvertrag einer Regelung unterworfen wurden.

3. Die Betriebsvereinbarung hat auch nicht zum 01.01.2013 Wirksamkeit dadurch erlangt, dass ab diesem Zeitpunkt möglicherweise aufgrund einer gewillkürten Tarifunfähigkeit des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes von einer Tarifüblichkeit der im Manteltarifvertrag getroffenen Regelungen nicht mehr ausgegangen werden kann.

a. Grundsätzlich kann Tarifüblichkeit auch entfallen. Dies ist anzunehmen, wenn mit Sicherheit feststeht, dass in Zukunft eine Frage nicht mehr tariflich geregelt werden wird oder auch, wenn eine der Tarifvertragsparteien beispielsweise infolge gewillkürter Tarifunfähigkeit keine Tarifverträge mehr schließen kann.

b. Vorliegend kann dahinstehen, ob vorliegend die Tarifüblichkeit entfallen ist oder, ob aufgrund der fortbestehenden Möglichkeit des Abschlusses von Firmentarifverträgen nach wie vor eine Tarifüblichkeit anzunehmen ist, da nach Auffassung der Kammer in jedem Fall ein denkbarer nachträglicher Wegfall der Tarifüblichkeit nicht dazu führen kann, dass eine bereits seit Jahren unwirksame Betriebsvereinbarung nunmehr plötzlich Wirksamkeit erlangt. Aus Sicht der Kammer ist der nachträgliche Wegfall der Tarifüblichkeit nicht vergleichbar mit der Fallkonstellation, bei der durch rückwirkende Tariföffnungsklauseln eine „schwebend unwirksame“ Betriebsvereinbarung rückwirkend geheilt werden kann.

aa. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Frage der Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet werden. Warum ein Verstoß gegen die Regelungssperre in § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG „nur“ zu einer schwebenden Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung führen soll, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Grundsätzlich sind Normen, wozu auch Betriebsvereinbarungen, die normative Wirkung entfalten, im weitesten Sinne zu zählen sind, bei Verstoß gegen höherrangiges Recht unwirksam. Aus ihrer Unwirksamkeit folgt, dass sich niemand auf sie berufen kann. Eine nachträgliche Heilung von von Anfang an unwirksamen Normen ist dem Verfassungsrecht grundsätzlich fremd. Im Falle rückwirkender Tariföffnungsklauseln lässt sich noch vertreten, dass in diesem Fall die Tarifvertragsparteien den Betriebsparteien ausdrücklich rückwirkend eine Regelungsmacht einräumen wollen. Insoweit ist auch zu rechtfertigen,

dass eine zunächst unwirksame Betriebsvereinbarung, die möglicherweise noch den Rechtscharakter einer Regelungsabsprache behält, durch eine rückwirkende Tariföffnungsklausel „wieder“ normativen Charakter erlangt. Eine Parallele lässt sich beim späteren Wegfall der Tarifüblichkeit jedoch nicht ziehen. Zunächst dürfte in den meisten Fällen bereits höchst streitig sein, ob und ab welchem Zeitpunkt eine Tarifüblichkeit weggefallen sein soll. Zum anderen fehlt es beim Wegfall der Tarifüblichkeit an einem ausdrücklichen Akt der Tarifvertragsparteien zur Rückübertragung von Regelungskompetenzen im Zusammenhang mit einer speziellen Regelungsmaterie.

bb. Weiter spricht gegen eine nachträgliche Heilung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung durch Wegfall der Tarifüblichkeit, dass nicht nur durch die Schwierigkeit der Bestimmung des Zeitpunkts des Wegfalls der Tarifüblichkeit größte Rechtsunsicherheit entstehen würde, sondern auch dadurch, dass Tarifüblichkeit auch noch nach Jahren und Jahrzehnten entfallen kann. Würde man der Rechtsauffassung des Antragstellers folgen, könnten auch gegen die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarungen noch nach 50 Jahren und mehr plötzlich „wieder“ Wirksamkeit erlangen könnten, ohne dass sich die Betriebspartner erneut mit den aktuellen Rahmenbedingungen auseinandersetzen müssten.

4. Da die Betriebsvereinbarung vom 28.03.2006 von Anfang an unwirksam war und auch nicht nachträglich geheilt wurde, konnte sie im Nachwirkungszeitraum den Manteltarifvertrag im Hinblick auf die Urlaubsregelungen auch nicht ablösen.

C.

Gegen diesen Beschluss steht dem Betriebsrat das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach Maßgabe nachfolgender Rechtsmittelbelehrungzu:

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(1) Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, auch soweit sie auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen, führt der Arbeitgeber durch, es sei denn, dass im Einzelfall etwas anderes vereinbart ist. Der Betriebsrat darf nicht durch einseitige Handlungen in die Leitung des Betriebs eingreifen.

(2) Betriebsvereinbarungen sind von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen. Sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen; dies gilt nicht, soweit Betriebsvereinbarungen auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen. Werden Betriebsvereinbarungen in elektronischer Form geschlossen, haben Arbeitgeber und Betriebsrat abweichend von § 126a Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dasselbe Dokument elektronisch zu signieren. Der Arbeitgeber hat die Betriebsvereinbarungen an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen.

(3) Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.

(4) Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend. Werden Arbeitnehmern durch die Betriebsvereinbarung Rechte eingeräumt, so ist ein Verzicht auf sie nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig. Die Verwirkung dieser Rechte ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für ihre Geltendmachung sind nur insoweit zulässig, als sie in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden; dasselbe gilt für die Abkürzung der Verjährungsfristen.

(5) Betriebsvereinbarungen können, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.

(6) Nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung gelten ihre Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

(1) Die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Diese Vorschrift gilt entsprechend für Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen.

(2) Sind im Tarifvertrag gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorgesehen und geregelt (Lohnausgleichskassen, Urlaubskassen usw.), so gelten diese Regelungen auch unmittelbar und zwingend für die Satzung dieser Einrichtung und das Verhältnis der Einrichtung zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

(3) Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.

(4) Ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Die Verwirkung von tariflichen Rechten ist ausgeschlossen. Ausschlußfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte können nur im Tarifvertrag vereinbart werden.

(5) Nach Ablauf des Tarifvertrags gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

(1) Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, auch soweit sie auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen, führt der Arbeitgeber durch, es sei denn, dass im Einzelfall etwas anderes vereinbart ist. Der Betriebsrat darf nicht durch einseitige Handlungen in die Leitung des Betriebs eingreifen.

(2) Betriebsvereinbarungen sind von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen. Sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen; dies gilt nicht, soweit Betriebsvereinbarungen auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen. Werden Betriebsvereinbarungen in elektronischer Form geschlossen, haben Arbeitgeber und Betriebsrat abweichend von § 126a Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dasselbe Dokument elektronisch zu signieren. Der Arbeitgeber hat die Betriebsvereinbarungen an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen.

(3) Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.

(4) Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend. Werden Arbeitnehmern durch die Betriebsvereinbarung Rechte eingeräumt, so ist ein Verzicht auf sie nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig. Die Verwirkung dieser Rechte ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für ihre Geltendmachung sind nur insoweit zulässig, als sie in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden; dasselbe gilt für die Abkürzung der Verjährungsfristen.

(5) Betriebsvereinbarungen können, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.

(6) Nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung gelten ihre Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.