Haftung: Erkundungspflicht nach Versorgungsleitungen hat Grenzen

bei uns veröffentlicht am07.04.2007

Rechtsgebiete

Autoren

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors
Rechtsanwalt für Energierecht - BSP Bierbach, Streifler & Partner PartGmbB

Plant ein Bauunternehmer auf einem Privatgrundstück Grabungsarbeiten, muss er nicht ohne weiteres damit rechnen, dass auf dem Grundstück unterirdische Versorgungsleitungen verlaufen. Deshalb ist er nur dann verpflichtet, sich bei den örtlichen Energieversorgungsunternehmen zu erkundigen, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass auf dem Grundstück tatsächlich Leitungen unterirdisch verlegt sind.

Das hat jüngst der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Ein Bauunternehmer komme seiner Sorgfaltspflicht nach, so der BGH, wenn er die Hausanschlussleitung von Hand ausgeschachtet habe, er deren Verlauf geprüft habe und er erst den Bagger eingesetzt habe, nachdem der Eigentümer auf entsprechende Nachfrage die Auskunft gegeben hatte, es existiere keine weitere Versorgungsleitung im Grundstück.

Wichtig: Das Urteil betraf eine Baumaßnahme (Regenentwässerung) in den neuen Bundesländern. Dort besteht bis 2010 eine Übergangsregelung. Energieversorger sind bis dahin nicht verpflichtet, den Verlauf des Stammkabels im Grundbuch eintragen zu lassen oder dem Grundstückseigentümer mitzuteilen. Trotz dieser Sachlage sah der BGH keine erhöhten Erkundungspflichten des Bauunternehmens (BGH, VI Z R 33/05).


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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 86/06 Verkündet am:
7. März 2007
Ermel
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
RVG VV Nr. 3100 Vorbemerkung 3 Abs. 4
Ist nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG eine wegen desselben
Gegenstands entstandene Geschäftsgebühr anteilig auf die Verfahrensgebühr des
gerichtlichen Verfahrens anzurechnen, so vermindert sich nicht die bereits entstandene
Geschäftsgebühr, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren
anfallende Verfahrensgebühr.
BGH, Urteil vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 - LG Bonn
AG Siegburg
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Wiechers,
Dr. Wolst und Dr. Koch sowie die Richterin Dr. Hessel

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 2. März 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers zurückgewiesen worden ist. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Siegburg vom 16. November 2005 teilweise abgeändert. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 254,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. Juli 2005 zu zahlen. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren tragen die Beklagten zu 3/5, der Kläger zu 2/5.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Beklagten waren Mieter einer Wohnung des Klägers in T. . Nachdem die Beklagten mehrere Monate keine Miete mehr gezahlt hatten, kündigte der Kläger mit Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten vom 4. Juli 2005 das Mietverhältnis fristlos und forderte die Beklagten zur Räumung der Wohnung bis spätestens 22. Juli 2005 auf.
2
Da die Beklagten weder die behaupteten Mietrückstände bezahlten noch die Wohnung räumten, machte der Kläger Ansprüche auf Zahlung rückständiger Miete und anteiliger Betriebskosten gerichtlich geltend, ebenso sein Verlangen auf Räumung und Herausgabe der Mietwohnung. Zusätzlich verlangte er die Erstattung der ihm für das Kündigungsschreiben in Rechnung gestellten vorgerichtlichen Gebühren seines Prozessbevollmächtigten in Höhe von 700,29 €.
3
Das Amtsgericht hat die Beklagten antragsgemäß zur Räumung, zur Zahlung rückständiger Miete und offener Forderungen aus Betriebskostenabrechnungen sowie zur Zahlung von 277,94 € für die durch die anwaltliche Kündigung vorprozessual entstandenen Rechtsverfolgungskosten verurteilt. Hinsichtlich der weitergehend geltend gemachten vorgerichtlichen Kosten (422,35 €) hat es die Klage abgewiesen. Die vom Amtsgericht zugelassene Berufung des Klägers hat das Landgericht in Höhe eines Betrages von 167,39 € als unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.
4
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Restbetrages von 422,35 € weiter.

Entscheidungsgründe:

5
Die Revision hat Erfolg in Höhe von 254,96 €. Darüber hinaus ist das Rechtsmittel unbegründet.

I.

6
Das Berufungsgericht (LG Bonn NZM 2006, 658) hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, ausgeführt:
7
In Höhe eines Betrages von 167,39 € sei die Berufung unzulässig, weil der Kläger sein Rechtsmittel insoweit nicht begründet habe. Die Abweisung der Klage in dieser Höhe in erster Instanz beruhe darauf, dass das Amtsgericht für die vorgerichtliche Rechtsverfolgung lediglich einen Gegenstandswert von 5.052 € angenommen habe und nicht, wie der Kläger, von 8.112 €.
8
Soweit die Berufung zulässig sei, sei sie unbegründet. Bei einem Gegenstandswert von 5.052 € für die Geschäftsgebühr belaufe sich diese samt Auslagenpauschale und Umsatzsteuer auf 532,90 €. Da das Amtsgericht bereits insoweit 277,94 € zuerkannt habe, sei im Rahmen der zulässig begründeten Berufung allein noch zu entscheiden, ob dem Kläger weitere 254,96 € zustünden. Dies sei zu verneinen. Zwar habe das Amtsgericht zutreffend einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280, 286 BGB angenommen. Die Beklagten hätten ihre vertraglichen Pflichten nicht erfüllt und dadurch dem Kläger Anlass zur fristlosen Kündigung gegeben. Zu dem deshalb ersatzfähigen Schaden gehörten auch die Kosten einer angemessenen Rechtsverfolgung mit Hilfe eines Anwalts. Der mit der Berufung geltend gemachte Anspruch scheitere jedoch teilweise daran, dass das angefallene Anwaltshonorar für das vorprozessuale Kündigungsschreiben der hälftigen Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG unterliege. Diese Vorschrift sei einschlägig, weil das Kündigungsschreiben und die im Rechtsstreit entfaltete Tätigkeit denselben Gegenstand beträfen.

II.

9
1. Die Revision ist unbegründet, soweit sich der Kläger gegen die Verwerfung seiner Berufung in Höhe eines Betrages von 167,39 € wendet. Zutreffend hat das Landgericht die Berufung des Klägers in diesem Umfang für unzulässig gehalten. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 3 ZPO soll eine Berufungsbegründung aus sich heraus verständlich sein und erkennen lassen, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält (BGH, Urteil vom 18. Juni 1998 - IX ZR 389/97, NJW 1998, 3126, unter 1). Ausführungen dazu, dass und weshalb die Annahme des Amtsgerichts fehlerhaft sei, der Gegenstandswert betrage lediglich 5.052 €, enthält die Berufungsbegründung nicht. Ohne Erfolg verweist die Revision in diesem Zusammenhang darauf, der Kläger habe seinen Schaden unter Bezugnahme auf die anwaltliche Kostennote, die er auch zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht habe, beziffert. Es genügt den an eine Berufungsbegründung zu stellenden Anforderungen nicht, wenn der Rechtsmittelführer - wie hier - lediglich pauschal ausführt, er wolle sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgen (BGH, Urteil vom 18. Juni 1998, aaO, unter 2 b).
10
2. Erfolgreich ist die Revision hingegen, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Berufung bezüglich des verbleibenden Zahlungsantrags in Höhe von 254,96 € wendet. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht wegen der Anrechnungsvorschrift nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG einen Anspruch des Klägers verneint. Dabei kommt es nicht auf die vom Landgericht für erheblich gehaltene Frage an, ob die vorgerichtliche und die nachfolgende gerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Sinne der genannten Vorschrift denselben Gegenstand betreffen.
11
a) Nach der genannten Regelung ist unter der Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, eine entstandene Geschäftsgebühr teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen. Danach bleibt eine bereits entstandene Geschäftsgebühr unangetastet. Durch die hälftige Anrechnung verringert sich eine (später) nach Nr. 3100 VV RVG angefallene Verfahrensgebühr. Nach dem Gesetzeswortlaut ist die gerichtliche Verfahrensgebühr zu mindern, nicht die vorgerichtliche Geschäftsgebühr (so auch BayVGH NJW 2006, 1990; Schultze-Rhonhof, RVGreport 2005, 374; Hansens, RVGreport 2005, 392).
12
Soweit in der Rechtsprechung eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr abgelehnt und stattdessen eine hälftige Anrechnung der Verfahrensgebühr auf die Geschäftsgebühr befürwortet wird (z.B. KG JurBüro 2006, 202; OVG NRW NJW 2006, 1991, wobei übersehen wird, dass der Kostenschuldner durch die gegenteilige Auffassung nicht begünstigt wird, weil er einem materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch ausgesetzt ist), mögen dafür prozessökonomische Gründe sprechen. Denn bei einer Anrechnung auf die Verfahrensgebühr wird die obsiegende Partei darauf verwiesen, die volle Geschäftsgebühr gegen die unterlegene Partei - gegebenenfalls gerichtlich - geltend zu machen, weil die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG - anders als die Verfahrensgebühr - im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO nicht berücksichtigt werden kann. Gründe der Prozessökonomie gestatten es jedoch nicht, ein Gesetz gegen seinen klaren Wortlaut anzuwenden.
13
b) Das Berufungsurteil kann somit keinen Bestand haben, soweit die Berufung des Klägers in Höhe des zuletzt genannten Betrages von 254,96 € zu- rückgewiesen worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind und die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dem Kläger steht ein Anspruch auf die Zahlung weiterer 254,96 € nach § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB zu. Da die Anrechnung, wie ausgeführt, nicht auf die Geschäftsgebühr stattfindet, ist dem Kläger der Restbetrag zuzuerkennen. Ball Wiechers Dr.Wolst Dr.Hessel Dr.Koch
Vorinstanzen:
AG Siegburg, Entscheidung vom 16.11.2005 - 117 C 201/05 -
LG Bonn, Entscheidung vom 02.03.2006 - 6 S 279/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 57/07
vom
22. Januar 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 91 RVG-VV, Anlage 1 Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4

a) Es wird daran festgehalten, dass sich durch die anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich
entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (Nr. 2400 VV RVG aF) auf die
Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens gemäß Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4
VV RVG nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr, sondern die in dem anschließenden
gerichtlichen Verfahren nach Nr. 3100 VV RVG anfallende Verfahrensgebühr
vermindert (Senatsurteile vom 7. März 2007 – VIII ZR 86/06, NJW 2007, 2049; vom
14. März 2007 – VIII ZR 184/06, NJW 2007, 2050; vom 11. Juli 2007 – VIII ZR 310/06,
NJW 2007, 3500).

b) Für die Anrechnung ist es ohne Bedeutung, ob die Geschäftsgebühr auf materiellrechtlicher
Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten und ob sie unstreitig, geltend gemacht
, tituliert oder bereits beglichen ist.

c) Eine vorprozessual zur Anspruchsabwehr angefallene Geschäftsgebühr kann nicht Gegenstand
einer Kostenfestsetzung nach §§ 103 ff. ZPO sein (im Anschluss an BGH, Beschluss
vom 27. April 2006 – VII ZB 116/05, NJW 2006, 2560 f.).
BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - LG Magdeburg
AG Quedlinburg
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Januar 2008 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Frellesen, die Richterinnen Hermanns
und Dr. Milger sowie den Richter Dr. Achilles

beschlossen:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 18. Juni 2007 und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Quedlinburg vom 10. Juli 2006 aufgehoben. Die von dem Kläger aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Quedlinburg vom 1. März 2006 an die Beklagte zu erstattenden Kosten werden festgesetzt auf 733,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. März 2006. Der weitergehende Festsetzungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen. Wert des Beschwerdegegenstandes: Wertstufe bis 300 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien haben um die Rückabwicklung eines PKW-Kaufvertrages gestritten. Die auf Kaufpreisrückzahlung und Erstattung von Versicherungsaufwendungen gerichtete Klage ist durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts auf Kosten des Klägers abgewiesen worden. Bereits vorprozessual hatten die Parteien über die anschließend rechtshängig gemachten Ansprüche korrespondiert , wobei die Beklagte die erhobenen Ansprüche durch ihren späteren Prozessbevollmächtigten zurückweisen ließ. Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren hat das Amtsgericht auf Antrag der Beklagten neben einer 1,3Verfahrens - und einer 1,2-Terminsgebühr (Nrn. 3100, 3104 VV RVG), die nach dem festgesetzten Streitwert von 3.535 € bemessen waren, antragsgemäß noch eine 1,3-Geschäftsgebühr (Nr. 2400 VV RVG) festgesetzt, die nach einem vorprozessual noch über der Klageforderung liegenden Forderungsbetrag bemessen war, und hierauf eine 0,65-Verfahrensgebühr nach dem gerichtlich festgesetzten Streitwert angerechnet. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers, der sich gegen den Ansatz einer Geschäftsgebühr gewandt hat, hat das Beschwerdegericht an diesem Ansatz festgehalten, die 13/10-Geschäftsgebühr jedoch lediglich unter Zugrundelegung des gerichtlich festgesetzten Streitwerts festgesetzt und hierauf eine 0,65-Verfahrensgebühr angerechnet. Hiergegen wendet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde, die in den Grenzen des mit der sofortigen Beschwerde gestellten Antrages einen vollständigen Fortfall des Ansatzes einer Geschäftsgebühr erstrebt sowie auf die Verfahrensgebühr eine 0,65-Geschäftsgebühr angerechnet wissen will.

II.

2
Die zulässig erhobene Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
3
1. Das Beschwerdegericht hat die Auffassung vertreten, dass die vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorprozessual zu Zwecken der Anspruchsabwehr entfaltete Tätigkeit eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG (ab 1. Juli 2006: Nr. 2300 VV RVG) ausgelöst habe und dass diese angesichts ihres eindeutigen Bezuges zum späteren Rechtsstreit im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens geltend gemacht werden könne, zumal hierdurch der Beklagten ein im Vergleich zu einem Hauptsacheverfahren einfacherer Weg zur Durchsetzung ihres Kostenerstattungsanspruchs eröffnet werde. Jedoch stehe ihr ein solcher Anspruch nur in Höhe der Hälfte der Geschäftsgebühr nach dem gerichtlich festgesetzten Streitwert zu.
4
2. Diese Sichtweise rügt die Rechtsbeschwerde mit Recht als fehlerhaft, weil das Beschwerdegericht mit der vorprozessual angefallenen Geschäftsgebühr unzulässig Kosten in die Kostenerstattung einbezogen hat, die keine Prozesskosten sind. Darüber hinaus wird die Festsetzung der Vorinstanzen der in Anlage 1, Teil 3, Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG (im Folgenden: Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG) geregelten Gebührenanrechnung nicht gerecht.
5
a) Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Beschwerdegericht die durch den vorprozessualen Versuch einer Anspruchsabwehr entstandene Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG als festsetzungsfähig angesehen hat. Denn ebenso wie die Aufwendungen für ein anwaltliches Mahnschreiben nicht zu den Prozesskosten gehören, können die vorprozessual zur Anspruchsabwehr angefallenen Gebühren nicht im Rahmen einer Kostenerstattung nach § 91 ZPO angesetzt werden und somit nicht Gegenstand einer Kostenfestsetzung nach §§ 103 ff. ZPO sein (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2006 – VII ZB 116/05, NJW 2006, 2560 f.).
6
b) Die Rüge der Rechtsbeschwerde greift weiter durch, soweit das Beschwerdegericht die angemeldete Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG ohne Anwendung der Anrechnungsvorschrift gemäß Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG ungekürzt in Ansatz gebracht hat. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 7. März 2007 – VIII ZR 86/06, NJW 2007, 2049, unter II 2 a; Urteil vom 14. März 2007 – VIII ZR 184/06, NJW 2007, 2050, unter II 2 d; Versäumnisurteil vom 11. Juli 2007 – VIII ZR 310/06, NJW 2007, 3500, unter II 2) so zu verstehen, dass eine entstandene Geschäftsgebühr unter der Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist. Durch diese Anrechnung verringert sich die erst später nach Nr. 3100 VV RVG angefallene Verfahrensgebühr, während die zuvor bereits entstandene Geschäftsgebühr von der Anrechnung unangetastet bleibt. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Anrechnungsvorschrift erfolgt die Anrechnung auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens und nicht umgekehrt, so dass sich nicht die vorgerichtliche Geschäftsgebühr , sondern die im gerichtlichen Verfahren angefallene Verfahrensgebühr im Umfang der Anrechnung reduziert.
7
Der Senat hält an dieser Sichtweise, die in erster Linie auf den klaren Wortlaut der Anrechnungsbestimmung gestützt ist, trotz der namentlich in der Instanzrechtsprechung (z.B. KG, AGS 2007, 439; OLG München, Rpfleger 2007, 686; OLG Karlsruhe, AGS 2007, 494; OLG Koblenz, AnwBl 2007, 873; OLG Stuttgart, Beschluss vom 30. Oktober 2007 – 8 W 442/07; wie der Senat etwa VGH München, NJW 2006, 1990; OLG Hamburg, MDR 2007, 1224) geäußerten Kritik fest.
8
aa) Die teilweise vertretene Auffassung, der Gesetzgeber habe bei der Anrechnungsbestimmung gemäß Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG an der unter der Geltung des § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO entwickelten Praxis nichts ändern wollen, wonach die schon dort vorgeschriebene Anrechnung der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr auf die im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren angefallene Prozess- oder Verkehrsgebühr bei der späteren Kostenfestsetzung nicht zu berücksichtigen sei (vgl. OLG München, aaO), wird durch die Gesetzesbegründung zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BT-Drs. 15/1971, S. 209) nicht gestützt. Aus den dort wiedergegebenen Erwägungen geht nicht hervor, dass der Gesetzgeber sich überhaupt mit diesen im rechnerischen Ergebnis ohnehin als wenig bedeutsam angesehenen Praxisdetails befasst hat oder gar eine Festsetzungspraxis hat bestätigen wollen, die am Gesetzeswortlaut vorbei von der hierin vorgesehenen Anrechnung Abstand genommen hatte. Das Anrechnungserfordernis ist vielmehr nur vor dem Hintergrund der neu vorgesehenen Teilanrechnung erörtert worden, und zwar in dem Sinne, dass der Umfang derjenigen Tätigkeit, den die in Vorbemerkung 3 Absatz 2 VV RVG umschriebene Verfahrensgebühr abdecken sollte, entscheidend davon beeinflusst werde, ob der Rechtsanwalt durch eine vorgerichtliche Tätigkeit bereits mit der Angelegenheit befasst gewesen sei. Denn eine Gleichbehandlung des Rechtsanwalts, der unmittelbar einen Prozessauftrag erhalte, mit dem Rechtsanwalt, der zunächst außergerichtlich tätig gewesen sei, sei nicht zu rechtfertigen, wobei in diesem Zusammenhang unter anderem noch das Bestreben nach einer aufwandsbezogenen Vergütung hervorgehoben worden ist. Der Gesetzgeber hat also mit Blick auf einen erfahrungsgemäß geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand des schon vorprozessual mit der Sache befassten und hierfür nach Nrn. 2400 ff. VV RVG vergüteten Prozessbevollmächtigten dessen gerichtliche Verfahrensgebühr bereits in ihrer Entstehung um den in Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG beschriebenen Teil der vorprozessual verdienten Gebühren kürzen wollen.
9
Erst recht ist kein Grund ersichtlich, eine unter der Geltung von § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO nicht selten gegen den klaren Gesetzeswortlaut praktizierte Anrechnung der Prozess- auf die Geschäftsgebühr in die Anwendung der Anrechnungsklausel gemäß Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG fortzuschreiben und zu diesem Zweck den unzweideutig in umgekehrte Richtung gehenden Gesetzeswortlaut als auslegungsfähig und auslegungsbedürftig anzusehen (so aber OVG Münster, NJW 2006,1991, 1992). Ebenso wenig besteht nach den im Gesetzgebungsverfahren anzutreffenden Äußerungen Anlass, von einem kor- rekturbedürftigen Redaktionsversehen des Gesetzgebers bei Abfassung der genannten Anrechnungsbestimmung auszugehen (so zutreffend Streppel, MDR 2007, 929, 930).
10
bb) Kein entscheidendes Gewicht kommt der häufig angeführten Überlegung zu, wie schon § 118 Abs. 2 BRAGO betreffe die Anrechnungsbestimmung in Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG nur das Rechtsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant, nicht jedoch das für eine etwaige Kostenerstattung maßgebliche Außenverhältnis zwischen dem Mandanten und seinem Prozessgegner (vgl. KG, OLG München, OLG Stuttgart und OLG Karlsruhe, aaO). Hierbei wird – worauf auch Streppel, aaO, zutreffend hinweist – übersehen, dass § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO für eine Kostenerstattung an die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts und darüber unmittelbar an die genannte Anrechnungsbestimmung anknüpft. Entsteht die Verfahrensgebühr wegen der in Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG vorgesehenen Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG von vornherein nur in gekürzter Höhe, kommt im Rahmen der Kostenfestsetzung auch keine darüber hinausgehende Erstattung in Betracht. Ob die vom Prozessgegner auf materiell-rechtlicher Grundlage zu erstattende Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist, ist bereits nach dem Wortlaut der Anrechnungsbestimmung ohne Bedeutung. Für die Anrechnung und damit die von selbst einsetzende Kürzung ist nach dieser Vorschrift vielmehr entscheidend, ob und in welcher Höhe eine Geschäftsgebühr bei vorausgesetzter Identität des Streitgegenstandes entstanden ist, der Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr also schon einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr aus seinem vorprozessualen Tätigwerden erlangt hatte.
11
cc) Soweit eingewandt wird, es sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich , dass die unterlegene Partei nur deshalb niedrigere Kosten zu erstatten habe , weil der Prozessbevollmächtigte der Gegenseite bereits vorprozessual das Geschäft seines Mandanten betrieben habe, greift dies ebenso wenig durch wie die Überlegung, die vom Senat vertretene Auslegung der Anrechnungsvorschrift begünstige diejenige Partei sinnwidrig, die davon abgesehen habe, bereits vorprozessual einen Rechtsanwalt einzuschalten (vgl. KG und OVG Münster , aaO; ferner VGH München, NJW 2007, 170). Es trifft zwar zu, dass durch diese Auslegung ein Beklagter gegenüber der unter der Geltung von § 118 Abs. 2 BRAGO praktizierten Anwendung der Anrechnungsvorschrift benachteiligt wird, wenn ihm für eine bereits vorprozessual eingeleitete Rechtsverteidigung kein Erstattungsanspruch zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458). Dass ein von ihm aufzubringender, materiellrechtlich nicht auf den Prozessgegner abwälzbarer Gebührenanspruch zur Kürzung eines ihm im Falle des Obsiegens zustehenden prozessualen Kostenerstattungsanspruchs nach §§ 91 ff. ZPO führt, hat seinen Grund jedoch allein darin, dass durch die Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG ein seinem Prozessbevollmächtigten nach Nrn. 3100 ff. VV RVG zustehender Gebührenanspruch unter einem aufwandsbezogenen Gesichtspunkt gekürzt wird, nämlich weil er aufgrund seiner vorprozessualen Befassung in der Regel nur einen geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand hat. Dieser geringere Aufwand im Rahmen der von § 91 ZPO erfassten Prozessführung wiederum war nach der Gesetzesbegründung (aaO) einer der entscheidenden und durch die Anknüpfung am voraussichtlichen Tätigkeitsumfang sachlich auch tragfähigen Beweggründe des Gesetzgebers, dem Prozessbevollmächtigten nur eine insoweit gekürzte Vergütung zuzubilligen. Dies anschließend im prozessualen Erstattungsrechtsverhältnis der Parteien durch eine abweichende Erstattungspraxis wieder zu korrigieren, ist zudem rechtlich nicht geboten. In- soweit konnte es der Gesetzgeber vielmehr bei der bestehenden Rollen- und Risikoverteilung und den hiernach nur eingeschränkt bestehenden materiellrechtlichen Erstattungsansprüchen belassen.
12
dd) Für nicht durchgreifend erachtet der Senat schließlich die Bedenken, das Kostenfestsetzungsverfahren eigne sich nach seinen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten nicht, die für eine Anrechnung erforderlichen Voraussetzungen festzustellen (vgl. OLG München und KG, aaO). Abgesehen davon, dass ein anrechnungserhebliches vorprozessuales Tätigwerden in der Regel durch entsprechenden und häufig schon bei den Gerichtsakten befindlichen Schriftwechsel dokumentiert ist und dass die Bemessung der Höhe einer Geschäftsgebühr durch die in Nr. 2400 VV RVG vorgesehene Regelgebühr sowie durch die in der Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG vorgesehene Anrechnungskappung zumeist ebenfalls keinen übermäßigen Feststellungs- und Wertungsaufwand erfordert, ist das Kostenfestsetzungsverfahren durchaus darauf angelegt, auch streitigen Sachvortrag zu verarbeiten und zu klären (§ 104 Abs. 2, § 294 ZPO; dazu näher etwa Musielak/Wolst, ZPO, 5. Auflage, § 104 Rdnr. 18 m.w.N.). Zudem ist eine Anrechnung nicht von Amts wegen, sondern erst auf substantiierten, über eine Äußerung bloßer Vermutungen hinausgehenden Einwand des Festsetzungsgegners zu beachten. Im Übrigen bleibt bei Unaufklärbarkeit der Anrechnungsvoraussetzungen immer noch die Beweislastentscheidung zu Lasten dessen, der sich abweichend vom gesetzlichen Regelfall einer 1,3Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG auf die Anwendbarkeit der als Ausnahmebestimmung zu wertenden Anrechnungsvorschrift nach Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG beruft.
13
Dass die sonst unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie angeführten Erwägungen nicht geeignet sind, ein vom klaren Wortlaut dieser Anrechnungsbestimmung abweichendes Auslegungsergebnis zu rechtfertigen, hat der Senat bereits früher hervorgehoben (Urteil vom 7. März 2007, aaO, unter II 2 a; Versäumnisurteil vom 11. Juli 2007, aaO, unter II 2). Es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die Anlass gäben, hiervon abzurücken.
14
3. Die Rechtsbeschwerde rügt hiernach zu Recht, dass das Beschwerdegericht zum einen die angemeldete Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG ungekürzt in Ansatz gebracht und zum anderen die durch den vorprozessualen Versuch einer Anspruchsabwehr entstandene Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG als ebenfalls erstattungsfähig angesehen hat. Vielmehr muss die angemeldete 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG wegen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG, die nach dem aus der Anlage B 3 ersichtlichen vorprozessualen Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Beklagten unstreitig angefallen ist, auf eine 0,65-Gebühr gekürzt werden. Die Beklagte kann deshalb, wie von der Rechtsbeschwerde vorgerechnet, jeweils eine Gebühr nach Nrn. 3100 (allerdings gekürzt auf 0,65) und 3104 VV RVG, Auslagen nach Nr. 7002 VV RVG sowie die nach Nr. 7008 VV RVG anzusetzende Mehrwertsteuer in Höhe von an sich insgesamt nur 548,97 € erstattet verlangen.
15
Infolge der Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den mit der sofortigen Beschwerde gestellten Antrag (Begrenzung des zu erstattenden Betrages auf 733,70 € nebst Zinsen) ist allerdings nur eine Abänderung der Kostenfestsetzung in diesem Umfang möglich. Da in der Sache keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, sondern der Sachverhalt zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat gemäß § 577 Abs. 5 ZPO nach Maßgabe vorstehender Beschlussformel in der Sache selbst zu entscheiden. Ball Dr. Frellesen Hermanns Dr. Milger Dr. Achilles
Vorinstanzen:
AG Quedlinburg, Entscheidung vom 10.07.2006 - 3 C 306/05 (IV) -
LG Magdeburg, Entscheidung vom 18.06.2007 - 3 T 325/07 *288* -