Verwaltungsgericht München Beschluss, 20. Sept. 2016 - M 12 S 16.31537

bei uns veröffentlicht am20.09.2016

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 2.6.2016 gegen den Bescheid vom 21.5.2016 wird angeordnet.

II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Die Antragsteller sind nach eigenen Angaben eritreische Staatsangehörige, deren Asylverfahren mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. Mai 2016 eingestellt wurden; Abschiebungsverbote wurden nicht festgestellt.

Die Antragsteller haben am *. Juni 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid Klage erhoben und beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des Tatbestands des Urteils des Gerichts vom 20. September 2016 (M 12 K 16.31269) verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides. Das Gericht verweist zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 20. September 2016 (M 12 K 16.31269).

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 80 AsylVfG.

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Verwaltungsgericht München Urteil, 20. Sept. 2016 - M 12 K 16.31269

bei uns veröffentlicht am 20.09.2016

Tenor I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Mai 2016 wird in den Nr. 1, 3 und 4 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Asylanträge der Kläger fortzuführen und innerhalb einer Frist von drei Mon

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Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Mai 2016 wird in den Nr. 1, 3 und 4 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Asylanträge der Kläger fortzuführen und innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Rechtskraft des Urteils zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Kläger ¼, die Beklagte ¾.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Kläger sind - nach eigenen Angaben - ein am … geborener eritreischer Staatsangehöriger (Kläger zu 1) und eine am … geborene eritreische Staatsangehörige (Klägerin zu 2). Sie reisten nach eigenen Angaben am … Juli 2015 ins Bundesgebiet ein (Bl. 3 BA) und stellten am 5. November 2015 einen Asylantrag (Bl. 14 BA).

Beim persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 5. November 2015 erklärten die Kläger, sie hätten ihr Herkunftsland am 17. Mai 2015 verlassen. Sie seien über Libyen (1 Monat/1 Woche), Italien (10 Tage) und Österreich nach Deutschland gereist (Bl.3 BA).

Mit Schreiben vom 14. März 2016 (Bl. 47 BA) lud die Beklagte die Kläger zur persönlichen Anhörung für den 23. März 2016. Eine Reaktion darauf ist aus der Akte nicht ersichtlich; insbesondere sind die Kläger nicht zur Anhörung erschienen.

Am 23. März 2016 teilte die Beklagte den Klägern mit, der Termin sei ohne Entschuldigung nicht wahrgenommen worden. Sie erhielten Gelegenheit, sich zu den Asylgründen zu äußern und auch die Gründe vorzutragen, die der Rückkehr in ihr Heimatland entgegenstehen. Sollte innerhalb eines Monats nach Zugang des Schreibens keine Antwort eingehen, entscheide das Bundesamt nach Aktenlage (Bl.49 BA). Das Schreiben wurde den Klägern mit Postzustellungsurkunde am 30. März 2016 zugestellt (Bl. 53 ff. BA). Eine Reaktion der Kläger darauf ist aus der Akte nicht ersichtlich.

Mit Bescheid vom 21. Mai 2016 stellte die Beklagte fest, dass die Asylanträge als zurückgenommen gelten und die Asylverfahren eingestellt sind (Nr.1), dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG nicht vorliegen (Nr.2), die Abschiebung in das Herkunftsland wurde angedroht (Nr.3) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr.4; Bl. 73 der Behördenakte). Der Bescheid wurde als Einschreiben am 31. Mai 2016 zur Post gegeben.

Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, die Kläger hätten die Verfahren nicht betrieben, § 33 Abs. 1 AsylG. Sie seien der Aufforderung gem. § 25 AsylG nicht nachgekommen. Die Asylverfahren seien daher einzustellen, § 32 AsylG.

Am ... Juni 2016 haben die Kläger beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erhoben und in der mündlichen Verhandlung beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 21. Mai 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz gem. 3 4 AsylG zu gewähren, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Zur Begründung führten sie aus, sie hätten Asylgründe. Warum sie diese nicht dem Bundesamt vorgetragen haben, ergibt sich aus dem Schreiben nicht.

Die Beklagte stellte keinen Antrag.

Mit Beschluss vom 5. Februar 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

In der mündlichen Verhandlung übergab die Prozessbevollmächtigte einen Rückschein und erklärte dazu, dass die Kläger die Stellungnahme, die der Klage beiliege, am 27. April 2016 an das Bundesamt geschickt hätten.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.

Gründe

Verfahrensgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 21. Mai 2016, in dem festgestellt wurde, dass die Asylanträge als zurückgenommen gelten und die Asylverfahren eingestellt sind (Nr.1), dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG nicht vorliegen (Nr.2), die Abschiebung in das Herkunftsland wurde angedroht (Nr.3) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr.4; Bl. 57 der Behördenakte).

Die Klage ist zulässig und hinsichtlich der Nr. 1, 3 und 4 des Bescheides auch begründet; im Übrigen ist sie unbegründet. Soweit die Klage begründet ist, sind die Kläger in ihren Rechten verletzt; im Übrigen sind sie nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 VwGO.

Die Asylanträge gelten nicht als zurückgenommen; die Einstellung der Asylverfahren ist nicht rechtmäßig (Nr.1 des Bescheides).

Der Asylantrag gilt als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Asylverfahren nicht betreibt, § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Es wird vermutet, dass der Ausländer das Asylverfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gem. § 15 AsylG nicht nachgekommen ist, § 33 Abs. 2 Nr.1 AsylG. Der Ausländer ist auf die nach Absatz 1 eintretende Rechtsfolge schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen, § 33 Abs. 4 AsylG. Im Falle der Antragsrücknahme stellt das Bundesamt in seiner Entscheidung fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Aufenth vorliegt, § 32 Satz 1 AsylG. In den Fällen des § 33 ist nach Aktenlage zu entscheiden, § 32 Satz 2 AsylG.

Die gesetzliche Fiktion einer Antragsrücknahme stellt eine scharfe Sanktion für den unterstellten Wegfall des Bescheidungs- bzw. Rechtsschutzinteresses des Asylantragstellers dar. Bei der Auslegung von § 33 Abs. 1 AsylG ist angesichts der dargestellten Folgen einer Rücknahmefiktion die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG zu beachten. Der Erlass einer Betreibensaufforderung setzt daher voraus, dass während des Verfahrens ein besonderer Anlass zu Tage getreten ist, aus dem sich ergibt, dass der Betroffene an der Weiterverfolgung seines Asylantrags kein Interesse hat. Der Betroffene ist auf Zweifel an diesem Interesse hinzuweisen und ihm ist Gelegenheit zu geben, diese auszuräumen (BVerfG, B. v. 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95 - DVBl. 1999, 166). Da das Nichtbetreiben für den Asylbewerber gravierende Folgen auslöst, muss die Belehrung unzweifelhaft deutlich machen, was vom Asylbewerber verlangt wird und welche Folgen eine Nichtbefolgung der Aufforderung auslöst. Etwaige Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde.

Vorliegend wurden die Kläger mit Schreiben der Behörde vom 23. März 2016 (Bl. 49 BA) gebeten, für die Prüfung des Asylantrags erforderliche Angaben zu machen, § 15 AsylG. Selbst wenn diese Schreiben eine Betreibensaufforderung gem. § 33 Abs. 1 darstellen sollten, so enthalten sie nicht den Hinweis auf die Rechtsfolge des § 33 Abs. 1 AsylG, § 33 Abs. 4 AsylG. Für die Kläger war nicht zu erkennen, weIche Folgen es haben würde, wenn sie der Aufforderung, ihre Asylgründe schriftlich darzulegen, nicht nachkommen würden. Sie wurden weder in der Ladung zum Termin zur persönlichen Anhörung (Bl. 47 BA) noch in der späteren Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme über die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung bei Nichtbetreiben belehrt. Das Bundesamt hat sie lediglich darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung nach Aktenlage ergehen werde. Dies ist keine ausdrückliche Belehrung im Sinne des § 33 Abs. 4 AsylG, der ausdrücklich eine Belehrung über die eintretenden Rechtsfolgen, mithin die Rücknahmefiktion, verlangt. Die unterbliebene Belehrung führt auch zur Rechtswidrigkeit der Einstellung der Asylverfahren nach §§ 32, 33 AsylG (VG Köln. B.v. 12.7.2016 - 3 L 1544/16.A - juris; VG Oldenburg, B.v. 22.6.2016 - 5 B 2876/16 - juris).

Darüber hinaus hat die Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung einen Rückschein vorgelegt, wonach die Kläger am 27. April 2016 eine Sendung an das Bundesamt gesandt haben, nach ihrer Darstellung die Stellungnahme vom … April 2016 (Bl. 3 der Gerichtsakte - GA). Dies würde auch zeitlich innerhalb des Monats nach Eingang der Aufforderung des Bundesamtes zur Stellungnahme liegen (am 30. März 2016). Aus der Unterschrift „…“ auf dem Einlieferungsbeleg am 27. April 2016 ergibt sich, dass die Stellungnahme offenbar an diesem Tag beim Bundesamt eingegangen ist. Ein klägerisches Schreiben ist unter diesem Datum aber nicht in der Akte, so dass davon ausgegangen werden muss, dass das von den Klägern übersandte Schreiben zwar beim Bundesamt eingegangen ist, aber nicht zur Akte gelangt ist. Die Behandlung der Asylanträge als zurückgenommen und die Einstellung der Verfahren ist daher auch deshalb rechtswidrig, weil die Kläger der Betreibensaufforderung nachgekommen sind. Wenn die Stellungnahme innerhalb der Behörde nicht zur Akte gelangt ist, liegt das im Verantwortungsbereich der Behörde.

Damit erweist sich die Einstellungsverfügung als rechtswidrig. Rechtswidrig und damit aufzuheben sind auch die getroffene Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung.

Das Gericht ist nicht dazu verpflichtet, „durchzuentscheiden“ und über die Frage zu entscheiden, ob den Klägern ein Anspruch gem. § 3 oder § 4 AsylG zusteht. Ein Anspruch auf Anerkennung der Kläger als Flüchtlinge gem. § 3 AsylG, auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG besteht nicht, weil die Sache nicht spruchreif ist (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Sache ist nur dann spruchreif, wenn das Verwaltungsgericht zu einer abschließenden Entscheidung über den Erlass des Verwaltungsaktes in der Lage ist. Daran fehlt es hier. Die Kläger wurde noch nicht zu ihren Verfolgungsgründen angehört, sondern nur zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates zur Durchführung des Asylverfahrens (Bl. 2 ff. BA). Selbst wenn die Kläger angehört worden wären, hängen die Erfolgsaussichten der Anträge von der Glaubhaftigkeit des Vortrags ab. Für die Bewertung der Glaubwürdigkeit des Vortrags ist der persönliche Eindruck, den man vom Antragsteller bei seiner Aussage erlangt, von wesentlicher Bedeutung. Daher wäre hier eine Anhörung durch den Einzelrichter erforderlich, um eine fundierte Entscheidung über die Verfolgungsgründe und die Glaubwürdigkeit des Vortrags treffen zu können.

Das Gericht sieht sich nicht verpflichtet, diese Anhörung durchzuführen und damit die Spruchreife herbeizuführen. Zwar ist das Gericht vor dem Hintergrund der Aufklärungspflicht gem. § 86 VwGO grundsätzlich verpflichtet, alle für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Erlass des Verwaltungsaktes in eigener Verantwortung festzustellen und die Sache in vollem Umfang spruchreif zu machen. Es kann sich aber ausnahmsweise aus dem materiellen Recht ergeben, dass das Gericht - trotz der Rechtswidrigkeit der Unterlassung eines beantragten Verwaltungsaktes - die Verwaltung nicht zu dessen Vornahme verurteilen kann. Dies gilt primär in den Fällen, in denen der Behörde ein Ermessen oder Beurteilungsspielraum eingeräumt worden ist, aber auch bei rechtlich gebundenen Verwaltungsakten - wie hier der Entscheidung über den Asylantrag - wenn das materielle Recht die vorherige Durchführung eines ordnungsgemäßen behördlichen Verfahrens zwingend voraussetzt. Dies ist anzunehmen, wenn das materielle Recht der vorherigen Durchführung des Verwaltungsverfahrens ausnahmsweise eine so wesentliche Bedeutung beimisst, dass es dessen Rechtmäßigkeit zwingend an dessen Durchführung bindet. Das gerichtliche Verfahren vermag in diesen Fällen das behördliche nicht zu ersetzen, was zur Folge hat, dass im Rahmen der Verpflichtungsklage keine Verurteilung zur Vornahme des Verwaltungsaktes erfolgen kann. Vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes kann dies insbesondere der Fall sein, wenn es sich z.B. um Entscheidungen einer mit besonderen Spezialkenntnissen ausgestatteten Behörde handelt (vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 21. Auflage 2015, § 113 Rn. 193 f., 197 ff.).

Unter Berücksichtigung dieser Bewertungsgrundlage ergibt sich aus den im Asylverfahren liegenden Besonderheiten kein Anspruch der Antragsteller auf eine Verpflichtung der Behörde, in einer bestimmten Weise über ihren Asylantrag zu entscheiden. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde - gerichtete Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylgesetz steht der Annahme entgegen, dass das Verwaltungsgericht die Sache durch Ermittlung des gesamten für eine Sachentscheidung über den Asylantrag erforderlichen Sachverhalts spruchreif zu machen hätte, solange - wie vorliegend - noch keine Verwaltungsentscheidung über den Asylantrag ergangen ist. So würde den Klägern im Falle des „Durchentscheidens“ in der vorliegenden Situation, in der über den Asylantrag noch nicht entschieden worden ist, die Tatsacheninstanz im Verwaltungsverfahren - insbesondere die inhaltliche Überprüfung ihres Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - genommen. Der Asylbewerber erhält im behördlichen Verfahren die Möglichkeit, sein Verfolgungsschicksal darzulegen. In vielen Fällen ist nicht nur die rechtliche Bewertung, sondern vor allem die Ermittlung der Tatsachengrundlage von maßgebender Bedeutung für die Entscheidung über den Asylantrag. Mangels anderweitiger Überprüfungsmöglichkeiten ist die Glaubhaftigkeit des Vortrags regelmäßig von entscheidender Bedeutung, die grundsätzlich vom Bundesamt bewertet wird und einer Kontrolle im gerichtlichen Verfahren unterliegt, in der der Asylbewerber die Möglichkeit erhält, mögliche Unstimmigkeiten in seinem Vortrag durch eine glaubhafte Darstellung seines Verfolgungsschicksals plausibel zu machen. Ein sog. Durchentscheiden des Gerichts hätte für die Antragsteller zwei bedeutende Nachteile: Zum einen würde ihnen die Überprüfung der Glaubhaftigkeit mit einem für sie möglicherweise positiven Ergebnis genommen. Zum anderen hätten sie nicht die Möglichkeit, ihren Vortrag zu ergänzen und Widersprüche aufzulösen.

Ist noch keine behördliche Entscheidung über den Asylantrag ergangen, würde eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung der Sache und zum Durchentscheiden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen. Gelangt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylantrags zu dem Ergebnis, das Begehren sei gem. § 29a und 30 AsylG offensichtlich unbegründet, bestimmt § 36 AsylG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtlichen Kontrolle der Bundesamtsentscheidung und ggf. eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu, denn es kann eine Abschiebungsandrohung gem. § 34 AsylG unter Fristsetzung (§ 36 Abs. 1 AsylG) nicht aussprechen. Ein Durchentscheiden des Verwaltungsgerichts kommt bei einer Asylverpflichtungsklage allenfalls in Betracht, wenn der Kläger mit seinem erstmals in Deutschland gestellten Asylantrag beim Bundesamt erfolglos geblieben ist (BVerwG, U.v. 6.7.1998 - 9 C 45/97 - juris; VG Trier, U.v. 5.12.2012 - 5 K 770/12.TR - juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall, das Bundesamt hat im Erstverfahren der Kläger noch nicht entschieden.

Darüber hinaus würden den Asylbewerbern im Falle des „sog. Durchentscheidens“ die ihnen nach der Asylverfahrensrichtlinie des Rates (für förmliche Asylanträge bis einschließlich zum 19.7.2014 Richtlinie 2005/85/EG; für nach diesem Datum gestellte Anträge Richtlinie 2013/32/EU) eingeräumten Rechte zum Teil genommen. Aus dem Gesamtkontext der dort festgelegte europarechtlichen Vorgaben für das Asylverfahren ergibt sich, dass der Asylbewerber im Erstverfahren Anspruch auf eine behördliche Entscheidung nach persönlicher Anhörung hat und anschließend Anspruch auf eine gerichtliche Überprüfung. So wird dem Asylbewerber gem. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2005/85/EG Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Asylantrag durch einen nach nationalem Recht zuständigen Bediensteten gegeben, bevor die Asylbehörde eine Entscheidung trifft. Das macht deutlich, dass ein Anspruch auf eine Entscheidung über den Asylantrag durch die Behörde und auf eine behördliche Anhörung vor einer Entscheidung über den Asylantrag in der Sache besteht. Beides würde den Klägern genommen, wenn eine gerichtliche Verpflichtung zum „Durchentscheiden“ bestünde (VG Ansbach, U.v. 7.4.2015 - AN 1 K 13.30840 -juris).

Die Klage ist aber begründet hinsichtlich des im klägerischen Antrag als Minus enthaltenen Antrags, die Beklagte zur Fortführung des Asylverfahrens zu verpflichten, § 113 Abs. 1 VwGO.

Zwar hat die Prozessbevollmächtigte ausdrücklich keinen solchen Antrag gestellt. Gem. § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Nach dieser Vorschrift obliegt es den Beteiligten Umfang und Gegenstand des gerichtlichen Tätigwerdens zu bestimmen. Anders als bei § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO wird das Klagebegehren nicht zwingend oder abschließend durch den gestellten Antrag festgelegt. § 88 VwGO gebietet dem Gericht, das Klagebegehren zu erfassen und nur, aber vollständig über es zu entscheiden. Damit verbietet § 88 VwGO dem Gericht, mehr oder etwas anderes (aliud) zuzusprechen, als der Kläger begehrt (Eyermann, VwGO, Kommentar, 14. Auflage, § 88, Rn.6). Nicht verboten ist, weniger als begehrt zuzusprechen und die Klage im Übrigen abzuweisen. Der Antrag der Verpflichtung der Beklagten zur Fortführung des Asylverfahrens ist nach erkennbarer Interessenlage in den gestellten Anträgen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes und nationaler Abschiebungsverbote als Minus enthalten, so dass das Gericht darüber entscheiden kann.

Über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gem. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (Nr. 2 des Bescheides) wurde von der Behörde nach Aktenlage entschieden. Die Kläger haben weder im Verwaltungsverfahren noch im Gerichtsverfahren (weder in der Klagebegründung noch in der mündlichen Verhandlung) Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten vorgetragen. Auch in der Stellungnahme vom … April 2016, die mit der Klageerhebung eingereicht wurde, sind keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten enthalten, so dass die Feststellung, dass solche nicht vorliegen, rechtens ist.

Der Klage war nach alledem zum Teil stattzugeben, zum Teil war sie abzuweisen. Die Kostenentscheidung bestimmt sich entsprechend dem Teil des Unterliegens und Obsiegens nach § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.