Sozialgericht Schwerin Urteil, 19. Feb. 2018 - S 7 R 177/17

bei uns veröffentlicht am19.02.2018

Gericht

Sozialgericht Schwerin

Tenor

1. Der Bescheid vom 23. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2017 und die Bescheide vom 27. und 28. Februar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2016 werden aufgehoben.

2. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist strittig, ob der Kläger als Boxtrainer für den Boxstall U Boxpromotion H der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterlegen hat.

2

Der Kläger war in der Zeit vom 01. September 1997 bis zum 30. August 2012 Profiboxtrainer; ausgehend davon, dass es sich hierbei um eine selbständige Tätigkeit als Lehrer und Erzieher gehandelt habe, die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auslöse, und dass die zu zahlenden Beiträge für die Zeit vom 01. September 1997 bis zum 31. Dezember 2007 verjährt seien, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Februar 2013 fest, dass der Kläger ab dem 01. September 1997 versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung sei und daher Pflichtbeiträge zu zahlen habe. Mit weiterem Bescheid vom 28. Februar 2013 stellte die Beklagte das Ende der Versicherungspflicht mit Ablauf des 20. August 2012 wegen Aufgabe der selbständigen Tätigkeit fest und machte nunmehr eine Beitragsforderung i. H. v. 24.156,64 € geltend. Fristgemäß legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein, da er weder Lehrer noch Erzieher sei. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2016 zurück und führte hierin aus, der Lehrerbegriff sei weit auszulegen und beinhalte jegliches übermitteln von Wissen, Können und Fertigkeiten, wobei Art und Umfang der Unterweisung nur von untergeordneter Bedeutung seien. Dabei könne bereits jede Anleitung zu einem gemeinsamen Tun genügen; die erstrebte Gemeinsamkeit entstehe dabei aus der Vermittlung von Wissen und Kompetenzen des Lehrenden an einen Lernenden unabhängig von einem konkreten Anwendungsbezug. Der Unterricht bzw. die Unterweisung könne sowohl in Kurzform, in Gruppen als auch durch Einzelunterricht bzw. –unterweisung erfolgen. Eine bestimmte pädagogische Qualifikation werde nicht vorausgesetzt, so dass die Versicherungspflicht insoweit nicht an ein gesetzlich, etwa durch Ausbildungsvorschriften geregeltes Berufsbild des Lehrers anknüpfe. Der Rechtsbegriff des Lehrers sei bereits dann erfüllt, wenn eine, wenn auch flüchtige, spezielle Fähigkeit durch praktischen Unterricht vermittelt werde. Der Verfolgung weitergehender Lernziele bedürfe es dagegen ebenso wenig, wie der verpflichtenden Teilnahme am Unterricht, der Abnahme von Prüfungen und des Ausstellens von Zeugnissen oder Bescheinigungen. Die angewandten Methoden zur Wissensvermittlung würden häufig mit den Begriffen Training, Coaching, Moderation oder Supervision umschrieben. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Profiboxtrainer sei eine derartige Lehrertätigkeit.

3

Gegen diesen Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 04. Oktober 2016 Klage vor dem Sozialgericht B-Stadt (Az.: S 7 R 358/16), die er im Rahmen eines Erörterungstermins am 28. November 2016 wegen Verfristung zurücknahm. Seine Klage wurde als Überprüfungsantrag angesehen, den die Beklagte mit Bescheid vom 23. Dezember 2016 ablehnte. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, bei seiner Tätigkeit als Profiboxtrainer habe es sich nicht um eine Lehrertätigkeit gehandelt, vielmehr sei er als Berater tätig gewesen. Er habe mit jedem seiner Sportler ein individuelles Training durchgeführt, dass u. a. die Erstellung individueller Trainingspläne, eines speziellen Boxtrainings, eine Videoanalyse, eine mentale Unterstützung, die Wettkampfbetreuung und teilweise auch eine Ernährungsberatung beinhaltet habe. Während Lehrer eher generelles Wissen vermittelten, das die Lernenden aufnehmen und rezipieren sollten, gingen Berater regelmäßig auf individuelle Probleme des jeweils Ratsuchenden konkret helfend ein. Dafür analysierten Berater auf Grund ihrer fachspezifischen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen typischerweise ein fachliches Problem des Klienten, dem sie ihr Wissen zur Verfügung stellen und dem sie in helfender Absicht spezifische und eher individualisierte Ratschläge erteilten. Beim Kläger habe die Vorbereitung auf Wettbewerbe und die dortigen Gegner im Vordergrund gestanden. Soweit evtl. abstraktes Wissen vermittelt worden sei, sei dies lediglich begleitend allein zur Unterstützung des Trainingserfolges geschehen. Der Kläger habe sich auf Grund seines Wissens und seiner Erfahrung auf jeden seiner Sportler individuell eingestellt, deren Schwächen und Stärken entsprechend analysiert, angegangen oder ausgebaut und so einen Trainingsplan für jeden Sportler erstellt. Den Sportlern sei es dabei nicht um einen abstrakten Wissens- oder Erkenntnisgewinn, sondern um ein erfolgversprechendes Training gegangen. Die Beklagte wies den Widerspruch schließlich mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2017 zurück.

4

Mit seiner am 23. Mai 2017 erhobenen Klage wendet sich der Kläger erneut gegen die Feststellung, dass er auf Grund seiner Tätigkeit als Profiboxtrainer der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlegen habe und begründet dies im Wesentlichen wie seinen Widerspruch.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid vom 23. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 27. und 28. Februar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2016 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

9

Der Kläger hat die bestehende Beitragsschuld zwischenzeitlich beglichen.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den in der mündlichen Verhandlung erörterten Inhalt der Gerichtsakte (Az.: S 7 R 177/17) sowie der beigezogenen Rentenakte der Beklagten Bezug genommen, die auch Gegenstand der gerichtlichen Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist auch begründet, da der Kläger als Profiboxtrainer keine selbständige Tätigkeit als Lehrer oder Erzieher ausgeübt hat.

12

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) sind selbständig tätige Lehrer und Erzieher, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, versicherungspflichtig.

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Als Profiboxtrainer hat der Kläger einzelne Boxer eines Profi-Boxstalls auf Wettkämpfe vorbereitet und die Boxer bei diesen Wettkämpfen betreut. Im Rahmen der Vorbereitung hat ihm die Erhaltung der körperlichen Fitness der Boxer oblegen. Eine Wissensvermittlung hat hierbei nur eine untergeordnete Rolle gespielt, da es sich bei den Betreuten um gestandene Profiboxer gehandelt hat, die bereits über das notwendige Wissen verfügt haben; Aufgabe des Klägers ist es vielmehr gewesen, Defizite bei der Umsetzung des Wissens in der konkreten Kampfsituation zu beseitigen. Der Kläger hat nicht lehrend oder erziehend auf die von ihm betreuten Boxer eingewirkt, alleiniger Zweck seiner Tätigkeit ist es gewesen, diese bevorstehende Wettkämpfe erfolgreich bestehen zu lassen. Im Vordergrund der Tätigkeit hat daher der kommerzielle Charakter gestanden, da der Kläger vom sportlichen Erfolg seiner Schützlinge profitiert hat. Die Beklage selbst weist z. B. darauf hin, dass sich eine lehrende Tätigkeit u. a. durch eine Wissensvermittlung ohne konkreten Anwendungsbezug auszeichnet; gerade hieran hat es aber bei der Tätigkeit des Klägers gefehlt. Insofern kommt auch das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil vom 18. Oktober 2016 (Az.: 3 K 464/13) zu der Auffassung, eine Tätigkeit als Profiboxtrainer, wie sie der Kläger ausgeübt hat, sei individuell beratend, nicht aber abstrakt unterrichtend.

14

Auch wenn man die Historie des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI (vergl. hierzu Urteil d. Bundessozialgerichtes v. 22. Juni 2005 – Az.: B 12 RA 6/04 R) in Betracht zieht, wird deutlich, dass Trainer, die Profisportler trainieren, keine Lehrer und Erzieher i. S. dieser Vorschrift sind. Ursprünglich ist diese Regelung getroffen worden, um nach Ansicht des Gesetzgebers auf Grund ihrer prekären Beschäftigungsverhältnisse notleidenden Hauslehrern und Hauslehrerrinnen sozialrechtlichen Schutz zu gewähren. Angesichts des Einkommens, das der Kläger während seiner Tätigkeit als Profiboxtrainer erzielt hat, kann von einer Schutzbedürftigkeit und damit der Bedürftigkeit, in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen zu werden, nicht die Rede sein.

15

Aus den genannten Gründen hat die Klage Erfolg.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 2 Selbständig Tätige


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Versicherungspflichtig sind selbständig tätige

1.
Lehrer und Erzieher, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen,
2.
Pflegepersonen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege tätig sind und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen,
3.
Hebammen und Entbindungspfleger,
4.
Seelotsen der Reviere im Sinne des Gesetzes über das Seelotswesen,
5.
Künstler und Publizisten nach näherer Bestimmung des Künstlersozialversicherungsgesetzes,
6.
Hausgewerbetreibende,
7.
Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeuges gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier versicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigen,
8.
Gewerbetreibende, die in die Handwerksrolle eingetragen sind und in ihrer Person die für die Eintragung in die Handwerksrolle erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, wobei Handwerksbetriebe im Sinne der §§ 2 und 3 der Handwerksordnung sowie Betriebsfortführungen auf Grund von § 4 der Handwerksordnung außer Betracht bleiben; ist eine Personengesellschaft in die Handwerksrolle eingetragen, gilt als Gewerbetreibender, wer als Gesellschafter in seiner Person die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt,
9.
Personen, die
a)
im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und
b)
auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; bei Gesellschaftern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft.
Als Arbeitnehmer im Sinne des Satzes 1 Nr. 1, 2, 7 und 9 gelten
1.
auch Personen, die berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen beruflicher Bildung erwerben,
2.
nicht Personen, die geringfügig beschäftigt sind,
3.
für Gesellschafter auch die Arbeitnehmer der Gesellschaft.