Sozialgericht Augsburg Urteil, 15. Dez. 2015 - S 6 KR 478/14

15.12.2015

Gericht

Sozialgericht Augsburg

Gründe

Rechtskräftig: unbekannt

Spruchkörper: 6. Kammer

I.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 17. Juli 2014 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2014 verurteilt, den Kläger mit dem Hörgerät Siemens Nitro 3 micon, zweier Komfort-Otoplastiken HdO sowie mit dem Zubehör miniTek und Transmitter zu versorgen.

II.

Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf eine Hörgeräteversorgung über den Festbetrag hinaus streitig (Versorgung mit dem Hörgerät Siemens Nitro 3 micon, zwei Komfort-Otoplastiken HdO sowie Zubehör miniTek Transmitter).

Der am 1981 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Er arbeitet beim H. A-Stadt im Bereich Organisation und Haushalt. Bei ihm liegt beidseitige Taubheit mit Hörresten vor.

Mit Schreiben vom 27.06.2014 beantragte er die Kostenübernahme für eine Hörgeräteversorgung über den Festbetrag hinaus. Hierzu holte die Beklagte eine Stellungnahme des MDK vom 11.07.2014 ein.

Mit Bescheid vom 17.07.2014 lehnte die Beklagte hierauf den Antrag ab. Wie aus den Unterlagen des Hörgeräteakustikers hervorgehe, habe keine vergleichbare Anpassung von Festbetragsgeräten stattgefunden. Es seien nur nichtaufzahlungsfreie Geräte aufgelistet worden. Eine Versorgung mit Geräten zu Festbeträgen sei nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Dagegen richtet sich der Widerspruch des Klägers vom 05.08.2014 unter Vorlage eines „Tagebuches“, nach dem er auch Geräte zum Festbetrag getestet habe.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2014 zurück.

Hiergegen hat der Bevollmächtigte am 20.11.2014 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Zur Klagebegründung hat er vorgetragen, dass der Kläger im Vorfeld von seinem Hörgeräteakustiker sowohl Hörgeräte zum Test erhalten habe, die zuzahlungsfrei seien, als auch solche mit Zuzahlung. Der Kläger habe von der Firma D., S. und dem Hörgerätezentrum B. Geräte zum Testen zur Verfügung gestellt erhalten. Dies betreffe die Geräte Siemens Intuis SP Dir, Siemens Nitro 301 SP mit miniTek, Oticon Sumo DM, Siemens Nitro 301 SP ohne miniTek, Phonak Naida S I UP, Phonak Naida Q50 UP, Widex Super 220 VS S2 ex, GN Resound Magna sowie das Siemens Nitro 3 mit miniTek. Als deutlich bestes Hörgerät habe sich dabei das Siemens Nitro 3 mit miniTek herausgestellt. Dies könne anhand der geringeren Höranstrengung und dem klaren Sprachbild begründet werden. Die Aussprache des Klägers habe an Deutlichkeit stark zugenommen, was durch die Hörbarkeit von wichtigen Phänomenen durch Frequenzkompression erst möglich geworden sei. Die Frequenzkompression sei ein besonderes Merkmal des beantragten Hörgerätes, das die Vergleichsgeräte nicht aufweisten. Aufgrund der Frequenzkompression könne der Kläger nun deutlich besser am Straßenverkehr teilnehmen, da er unter Verwendung des Siemens Nitro 3 mit miniTek z. B. Sirenentöne und akustische Signale anderer Verkehrsteilnehmer wahrnehmen und darauf reagieren könne. Auch Zugdurchsagen könne er damit leichter verstehen, was für ihn wichtig sei, da er täglich mit dem Zug unterwegs sei. Im beruflichen Alltag, speziell bei Besprechungen und Parteiverkehr, ermüde der Kläger deutlich weniger stark. Durch eine zusätzliche Fernbedienung (Siemens miniTek), die Bluetooth-Geräte per Streaming mit den Hörsystemen verbinden könne, sei es ihm zum ersten Mal möglich zu telefonieren. Bisher sei er auf Fax- und E-Mail-Kommunikation angewiesen gewesen. Auch dies sei für seinen Alltag von großer Bedeutung.

Hierauf hat die Beklagte mit Schreiben vom 23.01.2015 erwidert, dass auf Basis der vorliegenden Unterlagen festgestellt werden müsse, dass die Aufzeichnungen des Klägers rein subjektiver Art seien. Bedauerlicherweise fänden sich in den Anpassungsberichten des Hörzentrums B. keinerlei objektive Aussagen bezüglich aufzahlungsfreier Hörgeräte. Damit sei zumindest anhand objektiver Messergebnisse nicht nachprüfbar, ob die aufzahlungspflichtigen Hörgeräte tatsächlich einen derart immensen Zusatznutzen bzw. eine überaus deutliche Verbesserung des Hörvermögens bewirkten als etwaige aufzahlungsfreie Hörgeräte. Vielmehr weise das Hörzentrum B. im Schreiben vom 04.07.2014 darauf hin, dass der Kläger verschiedene Hörlösungen, u. a. auch zwei hochwertige Basislösungen erhalten habe. Mit diesen seien annähernd gleiche Ergebnisse erzielt worden, wie mit dem vom Kläger begehrten Gerät Siemens Nitro 3 mi. Unter Berücksichtigung der fehlenden objektiven Messergebnisse sowie der Aussagen des Hörzentrums B. bestünden keine substantiellen Gründe, welche eine die den Festbetrag übersteigende Kostenübernahme rechtfertigen könnten.

Die Beigeladene hat mit Schreiben vom 31.07.2015 zu der Klage ebenfalls Stellung genommen und ausgeführt, dass die Bedürfnisse, die der Kläger als mit den anderen Hörgeräten als nur unzureichend erfüllbar bzw. sogar schlechter als mit seinen alten Hörgeräten bezeichnet habe, nämlich die Wahrnehmung von Signalen im Straßenverkehr, Zugdurchsagen, Kommunikation mit anderen Personen auch bei Störgeräuschen, Telekommunikation, Grundbedürfnisse seien, die durch eine Hilfsmittelversorgung der Krankenkasse sichergestellt sein müssten; dies gelte insbesondere auch für das Fördern von Telefongesprächen. Der Kläger habe am 20.05.2015 bei der Deutschen Rentenversicherung Schwaben einen Antrag auf Hörgeräteversorgung gestellt. Dieser Antrag sei mit Schreiben vom 02.06.2015 an die Beklagte weitergeleitet worden, da kein berufsspezifischer Mehraufwand bestehe.

Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat das Sozialgericht einen Befundbericht des behandelnden HNO-Arztes Dr. D. vom 15.06.2015 eingeholt und anschließend Beweis erhoben durch ein HNO-ärztliches Sachverständigengutachten von Frau Prof. Dr. E. vom 30.09.2015. In diesem hat die Sachverständige ausgeführt, dass nicht nur nach den Angaben des Klägers in der Anamnese und beim Fragebogen Oldenburger Inventar, sondern auch nach allen Untersuchungsergebnissen die Verständlichkeit ohne Störschall am besten mit dem Nitro-Gerät erzielt worden sei. Obwohl eine Taubheit beidseits vorliege, würden die wenigen Hörreste sehr gut genutzt. Der Kläger erkenne in ruhiger Umgebung mit Kombination Mehrsilber, besonders Zahlen, und erkenne den Rhythmus der Sprache. Die Anamnese sei in einem ruhigen Raum problemlos möglich gewesen, da der Kläger gut vom Mund ablesen könne und gewohnt sei sich zu konzentrieren, allerdings nur, wenn sich der Sprechende ihm zugewandt habe und - wie bei Schwerhörigen üblich - klar und deutlich gesprochen werde. Der Kläger habe in der Anamnese angegeben, dass er Sprache im Störgeräusch mit keinem Gerät verstehen könne. Das Nitro habe jedoch den Vorteil, dass er erkennen könne, aus welcher Richtung er angesprochen werde, er sich dann dem Betroffenen zuwenden und ihn mit Ablesen vom Mund und mit Höranstrengung verstehen könne. Grundsätzlich sei die Versorgung einer Taubheit, selbst mit Hörresten, oder einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit mit Hörgeräten nicht Erfolg versprechend, um eine möglichst weitgehende Angleichung an das Hörvermögen von Hörgesunden zu erzielen. Dies sei nur mit einem beidohrigen Cochlea-Implantat mit Hörtraining möglich. Die plausiblen Angaben des Klägers, der zwei Jahre lang bei drei Hörgeräteakustikern verschiedene Hörgeräte getestet und jahrelange Erfahrung mit Hörgeräten habe, sowie die Untersuchungsergebnisse hätten gezeigt, dass die Hörgeräte der Firma Phonak vom Typ Naida S I UP und der Firma ReSound vom Typ Magna, die nach WHO 4 für Taubheit mit Hörresten geeignet seien, zu einem deutlich schlechteren Hörergebnis geführt hätten als das zehn Jahre alte Hörgerät der Firma Oticon vom Typ Sumo und das Siemens Hörgerät Nitro 3 micon. Dies betreffe nicht nur das schlechtere Sprachverstehen in Ruhe bei der Sprachabstandsmessung und im freien Schallfeld, sondern auch das schlechtere Richtungshören. Nur bei einem guten Richtungshören wisse der Kläger, aus welcher Richtung und von wem er angesprochen werde, wenn mehrere Personen im Raum und Nebengeräusche vorhanden seien. Obwohl das Nitro 3 mi kein Highend-Gerät sei wie z. B. das Nitro 7, verfüge es über die micon best sound Technologie, die, wie die Untersuchungsergebnisse beim Kläger gezeigt hätten, eine deutlich bessere Angleichung an das Hörvermögen von Hörgesunden ermögliche, verglichen mit den zuzahlungsfreien Hörgeräten. Die micon-Technik beinhalte eine Frequenzkompression, Signale aus dem höheren Frequenzbereich, die der Kläger, wie dem Audiogramm zu entnehmen sei, nicht wahrnehme, würden in einem tieferen Bereich komprimiert und somit hörbar gemacht. Besonders hervorzuheben sei des weiteren die gute Richtwirkung, besonders im Störgeräusch durch direktionale Sprachanhebung, SpeechFocus und automatische Situationserkennung. Ein weiterer Grund, warum die Geräte Naida und Magna nicht ausreichend seien, sei die fehlende Ankoppelung über Bluetooth. Hinsichtlich der Komfort-Otoplastik hat die Sachverständige festgestellt, dass es sich tatsächlich hierbei um eine Otoplastik handelt, die speziell für ein starkes Hörgerät angefertigt werde und auch nötig sei, damit es einerseits nicht zu einer Rückkoppelung komme, andererseits nicht zu Druckstellen im Gehörgang oder zu Kaugeräuschen führe. Auch sei das Hörvermögen des Klägers so schlecht, dass er auch mit einem guten Hörgerät nicht fernsehen, Radio hören oder telefonieren könne. Mit dem so genannte miniTek würden Audioquellen wie Fernseher, Radio und Telefon mit dem Hörsystem drahtlos verbunden, allerdings, wie oben erläutert, nicht mit allen Hörsystemen, insbesondere nicht mit den zuzahlungsfreien, da der Kläger ohne entsprechendes Hilfsmittel die Audioquellen ohne eine Verbindung über miniTek nicht nutzen könne, obwohl sie zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehörten, sei eine entsprechende Ankoppelung erforderlich.

Zu dem Gutachten hat sich die Beklagte mit Schreiben vom 28.10.2015 geäußert und vorgetragen, dass den Ausführungen der Sachverständigen zu entnehmen sei, dass ganz offensichtlich mit keinem zum Festbetrag verfügbaren Hörgerät ausreichende Ergebnisse zu erzielen seien. Daneben stelle die Gutachterin grundsätzlich in Frage, ob bei einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit eine Versorgung mit Hörgeräten überhaupt Erfolg versprechend sei. Diese Fragestellung könne jedoch dahingestellt bleiben, da der Kläger zumindest nach subjektiver Wahrnehmung eine Verbesserung mit dem Hörgerät Siemens Nitro 3 festzustellen scheine.

In der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2015 beantragt die Bevollmächtigte des Klägers, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.09.2014 zu verurteilen, den Kläger mit den beiden Hörgeräten Siemens Nitro 3 micon zu versorgen sowie mit zwei Komfort- Otoplastiken HdO mit Ausführung beidseits in weichem Material sowie dem Zubehör miniTek Transmitter.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf die beigezogene Verwaltungsakte und Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist- und formgerecht erhobene Klage ist zulässig und gegenüber der Beklagten begründet, jedoch nicht gegenüber der Beigeladenen.

Der Anspruch des Klägers auf die beantragte Hörgeräteversorgung einschließlich des beantragten Zubehörs ergibt sich hier aus § 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Unstreitig handelt es sich bei dem beantragten Hörsystem nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und es ist auch nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V von der Leistung ausgeschlossen. Da es vorliegend um einen Anspruch des Klägers auf unmittelbaren Behinderungsausgleich geht, richtet sich der Anspruch des Klägers bei der Hörgeräteversorgung auf ein System, das möglichst den vollständigen funktionellen Ausgleich der Behinderung erreicht. Dies ist im Fall des Klägers nach dem überzeugenden und schlüssigen Gutachten von Frau Prof. Dr. E. das vom Kläger beantragte Hörgerät Siemens Nitro 3 micon. Zwar hat die Sachverständige in ihrem Gutachten ausgeführt, dass angesichts der Taubheit des Klägers auch mit dem beantragten Hörgerätesystem nicht erwartbar ist, eine möglichst weitgehende Angleichung an das Hörvermögen von Hörgesunden zu erzielen, was grundsätzlich Zielsetzung des unmittelbaren Behinderungsausgleiches ist. Allerdings hat sie auch ausgeführt, dass der Kläger nach ihren Messergebnissen und seinen glaubhaften Angaben durch das beantragte Hörgerätesystem seinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens besser nachkommen könne wie z. B. die verbesserte Teilnahme am Straßenverkehr, die verbesserte Kommunikation, sei es durch eine verbesserte Aussprache, sei es dass er dadurch befähigt sei, auch zu telefonieren. Diese genannten Grundbedürfnisse des täglichen Lebens können dagegen nach der Untersuchung der gerichtlichen Sachverständigen nicht durch zuzahlungsfreie Hörgeräte erfüllt werden. Da somit der Kläger nach Überzeugung des Gerichts auf die beantragte Versorgung mit dem Hörgerät Siemens Nitro 3 micon einschließlich des dafür notwendigen Zubehörs in Form von zwei Komfort-Otoplastiken HdO und dem weiteren Zubehör miniTek Transmitter angewiesen ist, um Tätigkeiten ausführen zu können, die zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören, war der Rechtsanspruch auf die beantragte Versorgung durch die Beklagte zu erfüllen. Ein Rechtsanspruch gegenüber der Beigeladenen besteht dagegen nicht.

Die Beklagte kann sich nach Ansicht des Gerichts auch nicht darauf berufen, dass der Kläger keine zuzahlungsfreien Geräte getestet habe, da dies durch das eingeholte Sachverständigengutachten wie auch durch das vom Kläger vorgelegte „Tagebuch“ widerlegt ist. Weiter ändert sich an dem Rechtsanspruch des Klägers auf die beantragte Versorgung dadurch nichts, dass das Hörzentrum B. mit Schreiben vom 04.07.2014 mitgeteilt hat, dass auch mit zwei hochwertigen Basislösungen (Phonak Naida S I UP und GN ReSound Magna) annähernd gleiche Ergebnis erzielt worden seien. Dass diese beiden Systeme für den unmittelbaren Behinderungsausgleich weniger geeignet sind, ergibt sich nämlich ebenfalls aus dem Gutachten von Frau Prof. Dr. E ...

Insgesamt war daher die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 33 Hilfsmittel


(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen od

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 34 Ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel


(1) Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei

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(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Die Hilfsmittel müssen mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 2 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte erfüllen, soweit sie im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 1 gelistet oder von den dort genannten Produktgruppen erfasst sind. Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich hängt bei stationärer Pflege nicht davon ab, in welchem Umfang eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft noch möglich ist; die Pflicht der stationären Pflegeeinrichtungen zur Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln, die für den üblichen Pflegebetrieb jeweils notwendig sind, bleibt hiervon unberührt. Für nicht durch Satz 1 ausgeschlossene Hilfsmittel bleibt § 92 Abs. 1 unberührt. Der Anspruch umfasst auch zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringende, notwendige Leistungen wie die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Ein Anspruch besteht auch auf solche Hilfsmittel, die eine dritte Person durch einen Sicherheitsmechanismus vor Nadelstichverletzungen schützen, wenn der Versicherte selbst nicht zur Anwendung des Hilfsmittels in der Lage ist und es hierfür einer Tätigkeit der dritten Person bedarf, bei der durch mögliche Stichverletzungen eine Infektionsgefahr besteht oder angenommen werden kann. Zu diesen Tätigkeiten gehören insbesondere Blutentnahmen und Injektionen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in seiner Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 bis zum 31. Januar 2020 die Tätigkeiten, bei denen eine erhöhte Infektionsgefährdung angenommen werden kann. Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen. § 18 Absatz 6a des Elften Buches ist zu beachten.

(2) Versicherte haben bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen entsprechend den Voraussetzungen nach Absatz 1. Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie

1.
nach ICD 10-GM 2017 auf Grund ihrer Sehbeeinträchtigung oder Blindheit bei bestmöglicher Brillenkorrektur auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 oder
2.
einen verordneten Fern-Korrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als 6 Dioptrien bei Myopie oder Hyperopie oder mehr als 4 Dioptrien bei Astigmatismus
aufweisen; Anspruch auf therapeutische Sehhilfen besteht, wenn diese der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dienen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen therapeutische Sehhilfen verordnet werden. Der Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen umfaßt nicht die Kosten des Brillengestells.

(3) Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen besteht für anspruchsberechtigte Versicherte nach Absatz 2 nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen Kontaktlinsen verordnet werden. Wählen Versicherte statt einer erforderlichen Brille Kontaktlinsen und liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht vor, zahlt die Krankenkasse als Zuschuß zu den Kosten von Kontaktlinsen höchstens den Betrag, den sie für eine erforderliche Brille aufzuwenden hätte. Die Kosten für Pflegemittel werden nicht übernommen.

(4) Ein erneuter Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen nach Absatz 2 besteht für Versicherte, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, nur bei einer Änderung der Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien; für medizinisch zwingend erforderliche Fälle kann der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Ausnahmen zulassen.

(5) Die Krankenkasse kann den Versicherten die erforderlichen Hilfsmittel auch leihweise überlassen. Sie kann die Bewilligung von Hilfsmitteln davon abhängig machen, daß die Versicherten sich das Hilfsmittel anpassen oder sich in seinem Gebrauch ausbilden lassen.

(5a) Eine vertragsärztliche Verordnung ist für die Beantragung von Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 nur erforderlich, soweit eine erstmalige oder erneute ärztliche Diagnose oder Therapieentscheidung medizinisch geboten ist. Abweichend von Satz 1 können die Krankenkassen eine vertragsärztliche Verordnung als Voraussetzung für die Kostenübernahme verlangen, soweit sie auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichtet haben. § 18 Absatz 6a und § 40 Absatz 6 des Elften Buches sind zu beachten.

(5b) Sofern die Krankenkassen nicht auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichten, haben sie den Antrag auf Bewilligung eines Hilfsmittels mit eigenem weisungsgebundenem Personal zu prüfen. Sie können in geeigneten Fällen durch den Medizinischen Dienst vor Bewilligung eines Hilfsmittels nach § 275 Absatz 3 Nummer 1 prüfen lassen, ob das Hilfsmittel erforderlich ist. Eine Beauftragung Dritter ist nicht zulässig.

(6) Die Versicherten können alle Leistungserbringer in Anspruch nehmen, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse sind. Vertragsärzte oder Krankenkassen dürfen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist oder aus medizinischen Gründen im Einzelfall eine Empfehlung geboten ist, weder Verordnungen bestimmten Leistungserbringern zuweisen, noch die Versicherten dahingehend beeinflussen, Verordnungen bei einem bestimmten Leistungserbringer einzulösen. Die Sätze 1 und 2 gelten auch bei der Einlösung von elektronischen Verordnungen.

(7) Die Krankenkasse übernimmt die jeweils vertraglich vereinbarten Preise.

(8) Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, leisten zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Hilfsmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrag zu dem von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrag an die abgebende Stelle. Der Vergütungsanspruch nach Absatz 7 verringert sich um die Zuzahlung; § 43c Abs. 1 Satz 2 findet keine Anwendung. Die Zuzahlung bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt 10 vom Hundert des insgesamt von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrags, jedoch höchstens 10 Euro für den gesamten Monatsbedarf.

(9) Absatz 1 Satz 9 gilt entsprechend für Intraokularlinsen beschränkt auf die Kosten der Linsen.

(1) Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. Dabei ist der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat auf der Grundlage der Richtlinie nach Satz 2 dafür Sorge zu tragen, dass eine Zusammenstellung der verordnungsfähigen Fertigarzneimittel erstellt, regelmäßig aktualisiert wird und im Internet abruffähig sowie in elektronisch weiterverarbeitbarer Form zur Verfügung steht. Satz 1 gilt nicht für:

1.
versicherte Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr,
2.
versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen.
Für Versicherte, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, sind von der Versorgung nach § 31 folgende verschreibungspflichtige Arzneimittel bei Verordnung in den genannten Anwendungsgebieten ausgeschlossen:
1.
Arzneimittel zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten einschließlich der bei diesen Krankheiten anzuwendenden Schnupfenmittel, Schmerzmittel, hustendämpfenden und hustenlösenden Mittel,
2.
Mund- und Rachentherapeutika, ausgenommen bei Pilzinfektionen,
3.
Abführmittel,
4.
Arzneimittel gegen Reisekrankheit.
Von der Versorgung sind außerdem Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen. Das Nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6.

(2) Abweichend von Absatz 1 haben Versicherte, bei denen eine bestehende schwere Tabakabhängigkeit festgestellt wurde, Anspruch auf eine einmalige Versorgung mit Arzneimitteln zur Tabakentwöhnung im Rahmen von evidenzbasierten Programmen zur Tabakentwöhnung. Eine erneute Versorgung nach Satz 1 ist frühestens drei Jahre nach Abschluss der Behandlung nach Satz 1 möglich. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 fest, welche Arzneimittel und unter welchen Voraussetzungen Arzneimittel zur Tabakentwöhnung im Rahmen von evidenzbasierten Programmen zur Tabakentwöhnung verordnet werden können.

(3) Der Ausschluss der Arzneimittel, die in Anlage 2 Nummer 2 bis 6 der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21. Februar 1990 (BGBl. I S. 301), die zuletzt durch die Verordnung vom 9. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4554) geändert worden ist, aufgeführt sind, gilt als Verordnungsausschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses und ist Teil der Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6. Bei der Beurteilung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen wie homöopathischen, phytotherapeutischen und anthroposophischen Arzneimitteln ist der besonderen Wirkungsweise dieser Arzneimittel Rechnung zu tragen.

(4) Das Bundesministerium für Gesundheit kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt. Die Rechtsverordnung kann auch bestimmen, inwieweit geringfügige Kosten der notwendigen Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie der Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel von der Krankenkasse nicht übernommen werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für die Instandsetzung von Hörgeräten und ihre Versorgung mit Batterien bei Versicherten, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Für nicht durch Rechtsverordnung nach Satz 1 ausgeschlossene Hilfsmittel bleibt § 92 unberührt.

(5) (weggefallen)

(6) Pharmazeutische Unternehmer können beim Gemeinsamen Bundesausschuss Anträge zur Aufnahme von Arzneimitteln in die Zusammenstellung nach Absatz 1 Satz 2 und 4 stellen. Die Anträge sind ausreichend zu begründen; die erforderlichen Nachweise sind dem Antrag beizufügen. Sind die Angaben zur Begründung des Antrags unzureichend, teilt der Gemeinsame Bundesausschuss dem Antragsteller unverzüglich mit, welche zusätzlichen Einzelangaben erforderlich sind. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat über ausreichend begründete Anträge nach Satz 1 innerhalb von 90 Tagen zu bescheiden und den Antragsteller über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen zu belehren. Eine ablehnende Entscheidung muss eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten. Für das Antragsverfahren sind Gebühren zu erheben. Das Nähere insbesondere zur ausreichenden Begründung und zu den erforderlichen Nachweisen regelt der Gemeinsame Bundesausschuss.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.