Oberlandesgericht Nürnberg Beschluss, 14. Jan. 2014 - 4 VA 2218/13

bei uns veröffentlicht am14.01.2014

Gericht

Oberlandesgericht Nürnberg

Tenor

Der Bescheid des Antragsgegners vom 09.10.2013 wird aufgehoben.

Der Antragsgegner hat das Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Gründe

I.

Mit Schriftsatz vom 29.08.2013 (Anlage Ast. 7) beantragte die Antragstellerin, die Beklagte im Zivilverfahren vor dem Landgericht Regensburg Az. 6 O 20/13 (A/X Bank AG) ist, Akteneinsicht in die Akten des Verfahrens 4 O 1774/11 (A/Y Bank AG). Zur Begründung schilderte sie die zivilrechtliche Auseinandersetzung bezüglich des Abschlusses von Swap-Vereinbarungen, abgeschlossen auf Seiten der Klägerin durch J. S., die auch Gegenstand des Rechtsstreits der Klägerin gegen die Y Bank sind. Die Klägerin, eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts, macht in den beiden Verfahren Ansprüche gegen die beklagten Banken wegen des Abschlusses dieser Geschäfte geltend. Sie beruft sich u. a. darauf, dass die Klägerin bei Abschluss der Swap-Vereinbarungen durch Herrn S. nicht wirksam vertreten worden sei.

Die Klägerin hat dem Akteneinsichtsgesuch widersprochen (Anlage Ast. 8). Zur Begründung hat sie angeführt, dass ein rechtliches Interesse nicht dargetan sei und auch nicht bestehe. Zwar sei die Argumentation der Klägerin in beiden Rechtsstreitigkeiten im Wesentlichen gleich; dies betreffe aber nur Sachverhalte, die ausschließlich bilaterale Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen zwischen den hiesigen Parteien habe. Hinzu komme, dass die wesentlichen tatsächlichen Gegebenheiten identisch und der Antragstellerin bekannt seien. Die Antragstellerin lege auch nicht dar, welche konkreten Informationen aus vorliegendem Rechtsstreit relevant für ihre Auseinandersetzung mit der Klägerin seien. Die Klägerin vermutet, dass die Antragstellerin durch ihren Antrag lediglich - indirekt - der hiesigen Beklagten Informationen über den Parallelrechtsstreit verschaffen wolle und kein ernsthaftes Interesse an einer Einsicht in den vorliegenden Rechtsstreit habe.

Die Antragstellerin hat zu dieser Argumentation mit Schriftsatz vom 30.09.2013 erneut Stellung genommen (Anlage Ast. 9) und insbesondere darauf hingewiesen, dass ihr die - im Einzelnen aufgeführten - Anlagen zum Bericht des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbandes (BKPV) vom 19.05.2010 nicht bekannt seien. Diese und der ebenfalls nicht vorgelegte Beratervertrag vom 06.08.2009 (rückwirkend in Kraft gesetzt zum 01.07.2008) würden Aufschluss über die Vertretungsmacht Herrn S. vor dem 01.07.2008 geben. Darüber hinaus stünde zu erwarten, dass weitere tatsächliche Ausführungen der Beklagten (Y Bank) zur Vertretungsmacht für das gegen die Antragstellerin geführte Verfahren relevant seien, da Herr S. seit dem Jahr 2003 mehrere Swap-Geschäfte mit der Y abgeschlossen habe. Die Geschäfte mit der Y seien damit überwiegend nach dem angeblichen Wegfall der Vertretungsmacht des Herrn S. am 21.07.2003 getätigt worden. Soweit die Klägerin ihre Ansprüche gegen die Antragstellerin auf Ansprüche aus einem Beratervertrag stütze, seien zur Beurteilung der anlegergerechten Beratung insbesondere der Kenntnisstand, die Erfahrungen und die Risikobereitschaft des Anlegers bedeutsam. Es stehe zu erwarten, dass die Y Ausführungen zu diesen Derivat-Geschäften gemacht habe und entsprechende Beratungsunterlagen vorgelegt habe. Diese Unterlagen seien für die wirksame Verteidigung notwendig, weil sie für die Beurteilung der anlegergerechten Beratung ausschlaggebend sein können.

Mit Beschluss vom 09.10.2013 (Anlage Ast. 10) hat Rechtspflegedirektor Z im Auftrag des Präsidenten des Landgerichts Regensburg das Akteneinsichtsgesuch abgelehnt. Zur Begründung hat er angeführt, dass ein rechtliches Interesse nicht glaubhaft gemacht sei, sondern die Akteneinsicht eher dem Ausforschen des Sachverhalts diene. Nach einer Abwägung der Interessen der Parteien sei das Geheimhaltungsinteresse interner Vorgänge und damit das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Klägerin deutlich höher zu gewichten als das der Antragstellerin.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 08.11.2013, eingegangen per Fax am selben Tag.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.

Versagt der Vorstand eines Gerichts einem Dritten die Gewährung von Einsicht in die Akten eines Zivilrechtsstreits, so trifft er als Justizbehörde eine Maßnahme zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf dem Gebiet des Zivilprozesses, gegen die der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG statthaft ist. Der Antrag ist nicht von der vorherigen Durchführung eines Vorschalterfahrens nach § 24 Abs. 2 EGGVG abhängig. Da die Antragstellerin geltend macht, durch die Versagung der Akteneinsicht in eigenen Rechten verletzt zu sein, ist der Antrag auch sonst zulässig (§ 24 Abs. 1 GGVG). Der Antrag ist auch innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG eingegangen.

Der Antrag führt zur Aufhebung des Beschlusses vom 09.10.2013, denn der Antragsgegner hat zu Unrecht angenommen, dass kein rechtliches Interesse der Antragstellerin an der Akteneinsicht bestehe.

Das rechtliche Interesse der Antragstellerin im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass ihr zustehende Rechte durch den Akteninhalt berührt werden. Dazu bedarf es eines rechtlichen Bezugs zwischen dem Gegenstand des Verfahrens, über das die Akten geführt werden und einem auf Rechtsnormen beruhenden gegenwärtigen Verhältnis der Antragstellerin zu anderen Personen. Das Verfahren selbst oder wenigstens der ihm zugrunde liegende Sachverhalt muss für die rechtlichen Interessen der Antragstellerin von konkreter Bedeutung sein (OLG Sachsen-Anhalt, NZI 2010, 766).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Antragstellerin ist, wie die Y im Parallelverfahren, von der Klägerin auf Schadensersatz bzw. Rückzahlung verklagt worden, weil die abgeschlossenen Swap-Vereinbarungen weder vom zuständigen Organ der Klägerin noch innerhalb ihres Aufgaben- und Wirkungskreises abgeschlossen wurden. Ein Argumentationspunkt der Klägerin ist dabei die (fehlende) Vertretungsbefugnis des für sie handelnden Herrn S. Zudem sei es zu Beratungsfehlern durch die verklagten Banken gekommen.

Mit dem von der Antragstellerin geschilderten und glaubhaft gemachten Prozessrechtsverhältnis zur Klägerin ist ihr rechtliches Interesse gegeben. Die Klägerin macht gegen die Antragstellerin im Verfahren 6 O 20/13 gerichtlich einen Anspruch geltend, den die Antragstellerin als Beklagte abwehren will. Die Akteneinsicht dient dazu, aus dem Sachverhalt des Verfahrens 4 O 1744/11 Informationen über das (Vertretungs-)Verhältnis des Herrn S. zur Klägerin zwischen dem 21.07.2003 und dem 01.07.2008 zu gewinnen, um so die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin, die auf einer fehlenden Vertretungsmacht beruhen sollen, zu Fall bringen zu können. Für den Schadensersatzanspruch wegen Falschberatung kommt es auf das Anlegerverhalten, die Kenntnisse und die Risikobereitschaft der Klägerin an, die sich auch aus vorangegangenen Swap-Geschäften mit der Y ergeben können und damit auch der Verbesserung der rechtlichen Position der Antragstellerin in dem gegen sie geführten Prozess dienen sollen.

Eine (unzulässige) Ausforschung liegt daher gerade nicht vor. Die Antragstellerin versucht nicht, durch eine Akteneinsicht ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürliche Behauptungen aufzustellen, um eigene Ansprüche zu begründen. Sie wendet sich vielmehr als Beklagte gegen ihre Inanspruchnahme durch die Klägerin. Dass die Antragstellerin der beklagten Y - ausschließlich - Informationen über ihren eigenen Rechtsstreit verschaffen wollte und kein ernsthaftes Interesse an einer Einsicht in den vorliegenden Rechtstreit hat, ist nicht ersichtlich. Die Antragstellerin wusste nach dem Vortrag der Klägerin durch den von der Y in ihr Verfahren gestellten Akteneinsichtsantrag von dem Parallelverfahren. Eine Kontaktaufnahme der beklagten Banken untereinander wäre auch ohne das Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin jederzeit möglich gewesen.

Die Sache ist allerdings nicht spruchreif (§28 Abs. 2 S. 1 EGGVG). Die Gewährung der Akteneinsicht liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Vorstands des Gerichts bzw. seines Beauftragten. Der Senat darf sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens des Antragsgegners setzen. Nach § 28 Abs. 3 EGGVG obliegt ihm nur die Überprüfung der Ermessensentscheidung der Justizbehörde auf etwaige Ermessensfehler. Da ein rechtliches Interesse der Antragstellerin glaubhaft gemacht ist, hat der Antragsgegner das Geheimhaltungsbedürfnis der Parteien mit dem Informationsbedürfnis der Antragstellerin abzuwägen (Münchener Kommentar, 4. Aufl., ZPO § 299 Rn. 25; Zuck NJW 2010, 2913).

Bei der gebotenen Ermessensausübung für die Gewährung der Akteneinsicht ist grundsätzlich auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Parteien des Rechtsstreits zu beachten, für deren Verfahren Akteneinsicht beantragt wird. Es kann dabei dahinstehen, ob der Klägerin als juristischer Person des öffentlichen Rechts das Recht auf informationelle Selbstbestimmung überhaupt zustehen kann, da dieses Recht jedenfalls nicht dazu führt, dass die beantragte Akteneinsicht grundsätzlich zu versagen wäre. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 27.09.2013 (Anlage Ast. 8) selbst keine Gründe angegeben hat, die auf eine Gefährdung oder eine Verletzung ihrer Rechte hindeuten könnten. Zu berücksichtigen ist auch, dass es die Klägerin ist, die jeweils Ansprüche gegen die Banken als Beklagte geltend gemacht hat und einen Sachverhalt (fehlende Vertretungsmacht, Falschberatung) behauptet, gegen den sich die jeweiligen Beklagten verteidigen. Soweit die Klägerin hierzu im Verfahren selbst auf das gegen die Y gerichtete Verfahren hinweist und Unterlagen (BKPV nebst Anlagen) vorgelegt hat, ist ihre Schutzbedürftigkeit jedenfalls reduziert. Soweit die Y zur Abwehr der Falschberatungsvorwürfe zum bisherigen Anlegerverhalten der Klägerin und zu ihrer Beratung vorgetragen haben sollte, ist nicht ersichtlich, wieso die Klägerin durch die Kenntnis der Antragstellerin von diesem Vortrag und die Kenntnis der diesbezüglichen Beratungsunterlagen der Y in ihren Rechten verletzt sein könnte. Entsprechendes hat die Klägerin jedenfalls selbst nicht behauptet. Die Y hat sich - soweit ersichtlich - gegen die beantragte Akteneinsicht nicht ausgesprochen.

Zu einer Kostenentscheidung nach § 30 S. 1 EGGVG besteht kein Anlass. Die Staatskasse mit den außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu belasten, kommt nur ausnahmsweise in Betracht, insbesondere bei offensichtlicher oder grober Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Maßnahme (Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 30 EGGVG Rn. 1). Dies ist hier nicht der Fall.

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Referenzen - Gesetze

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 299 Akteneinsicht; Abschriften


(1) Die Parteien können die Prozessakten einsehen und sich aus ihnen durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. (2) Dritten Personen kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien die Einsich

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(1) Die Parteien können die Prozessakten einsehen und sich aus ihnen durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen.

(2) Dritten Personen kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird.

(3) Werden die Prozessakten elektronisch geführt, gewährt die Geschäftsstelle Akteneinsicht durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg. Auf besonderen Antrag wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Ein Aktenausdruck oder ein Datenträger mit dem Inhalt der Akte wird auf besonders zu begründenden Antrag nur übermittelt, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse darlegt. Stehen der Akteneinsicht in der nach Satz 1 vorgesehenen Form wichtige Gründe entgegen, kann die Akteneinsicht in der nach den Sätzen 2 und 3 vorgesehenen Form auch ohne Antrag gewährt werden. Eine Entscheidung über einen Antrag nach Satz 3 ist nicht anfechtbar.

(4) Die Entwürfe zu Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, die zu ihrer Vorbereitung gelieferten Arbeiten sowie die Dokumente, die Abstimmungen betreffen, werden weder vorgelegt noch abschriftlich mitgeteilt.