Oberlandesgericht München Beschluss, 07. Aug. 2017 - 8 St (K) 2/17 (2)

07.08.2017

Gericht

Oberlandesgericht München

Tenor

Die Gegenvorstellung des Rechtsanwalts M. D. gegen den Beschluss vom 29.06.2017 wird zurückgewiesen.

Gründe

I. Mit Beschluss des Einzelrichters vom 29.06.2017 wurde der Antrag von Rechtsanwalt M. D. auf Bewilligung einer Pauschgebühr zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat er mit Schriftsatz vom 11.07.2017 Gegenvorstellung erhoben. Diese wurde der Bezirksrevisorin am 12.07.2017 zur Kenntnisnahme und ggf. Stellungnahme zugeleitet. Nachdem bis zum 31.07.2017 keine Stellungnahme einging, hat sie auf telefonische Anfrage des Einzelrichters vom 01.08.2017 mitgeteilt, dass keine Stellungnahme abgegeben werden solle.

II. Es kann dahinstehen, ob die Gegenvorstellung überhaupt statthaft ist (bejahend: Burhoff RVG in Straf- und Bußgeldsachen 4.A. § 51 Rdn. 83 unter Verweis auf OLG Nürnberg AnwBl. 1974, 356; ablehnend: KG Berlin, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - 1 ARs 11/07 Rdn. 2 f. zit. nach juris unter Verweis auf BVerfG NJW 2007, 2538). Sie greift jedenfalls nicht durch.

III. Eine Entscheidung durch den Senat ist entgegen dem auch mit der Gegenvorstellung vorgebrachten Begehren weiterhin nicht veranlasst. Nach der klaren Regelung in §§ 51 Abs. 2 S. 4, 42 Abs. 3 S. 1 RVG besteht eine originäre Einzelrichterzuständigkeit, die nur bei der Notwendigkeit der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung durchbrochen wird. Unzutreffend ist insbesondere die Auffassung der Gegenvorstellung, es seien durch Vorlage an den Senat irgendwie geartete „Leitlinien“ des Senats aufzustellen, anhand derer der „generelle Umgang“ des Senats „auch im Verhältnis zu anderen Senaten“ hinsichtlich der Einordnung des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit einer Sache i.S.d. § 51 Abs. 1 S.1 RVG aufgezeigt werden solle. Ziel der Vorschrift ist alleine, schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung zu verhindern (Burhoff § 42 Rdn. 26). Derartige Unterschiede zeigt die Gegenvorstellung nicht auf und sind auch nicht ersichtlich.

Zudem sind die von der Gegenvorstellung angemahnten „Leitlinien“ des Senats zum besonderen Umfang und der besonderen Schwierigkeit vorliegend nicht (unmittelbar) entscheidungserheblich, da schon das dritte nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG erforderliche Kriterium der Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren nicht erfüllt ist.

III. Zu den Einwänden in der Gegenvorstellung ist allenfalls Folgendes anzumerken:

A.

Dass die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers tendenziell der Entlastung dient und den auf die einzelnen Verteidiger entfallenden Arbeitsumfang verringert ist, wie sich auch dem angefochtenen Beschluss entnehmen lässt, in Rechtsprechung und Kommentarliteratur weitgehend anerkannt. Wie diese Aufteilung gehandhabt wird, ist dann Sache der Verteidiger. Diese Auffassung ist auch keineswegs lebensfremd, denn dass eine Arbeitsteilung jedenfalls teilweise erfolgte, schildert der Antragsteller selbst, nämlich beispielsweise auf S. 3 seines Antrags vom 26.04.2017, wonach er „vorwiegend“ aufgrund der Kanzleinähe zur JVA München die konkrete Vorbereitung der Hauptverhandlung und u.a. Besprechungen übernommen habe. Dass eine Arbeitsteilung im Allgemeinen auch nicht ungewöhnlich, und zwar nicht nur unter Mitverteidigern, sondern sogar mit den Verteidigern von Mitangeklagten gang und gäbe ist, zeigt zudem das eigene Vorbringen dazu (S.5 oben des Antrags vom 26.04.2017), dass hinsichtlich zu stellender Beweisanträge eine Abstimmung mit der „gesamten Verteidigungsriege“ erfolgte. Dies hat sich in der Hauptverhandlung auch gezeigt, indem dort regelmäßig Anträge durch einzelne Verteidiger gestellt wurden und sich weitere Verteidiger bzw. Angeklagte diesen anschlössen.

B.

Die schlichte Nennung einer Blattzahl bei Verfahrensende von 33.400 Seiten verkennt zudem, dass dies allenfalls ein Kriterium unter mehreren zur Bestimmung des (besonderen) Umfangs sein kann und dass insbesondere ab Beginn der Hauptverhandlung zahlreiche Aktenbestandteile entstanden sind, die nicht etwa eine eigene „erstmalige Einarbeitung“ und davon erfasste Aktenlektüre im Vorverfahren betreffen, sondern u.a. durch die Verfahrens- und Terminsgebühren abgedeckte Tätigkeiten (so z.B. der Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls nebst Haftbeschwerde, diverser Schriftverkehr zu Terminierungsfragen, Umladungen, Aktenteile betreffend die Ablehnungsgesuche gegen den Senat und den Sachverständigen Prof. L., Stellungnahmen des GBA zu Beweisanträgen etc.).

C.

Hinsichtlich der besonderen Schwierigkeit bezieht sich der Antragsteller auf BayObLG v. 17.11.2005 - 6 St 006/04 und meint, hieraus ergebe sich, dass eine besondere Schwierigkeit der Sache bei Verhandlung in der Besetzung mit 5 Richtern „intendiert“ sei. Eine derartige Passage findet sich in der unter http://www.burhoff.de/burhoff/rvqinhalte/138.htm veröffentlichten Entscheidung nicht; über die Senatsbesetzung und ihre Bedeutung für eine etwaige (besondere) Schwierigkeit steht dort schlichtweg nichts. Im Übrigen hat sich der angefochtene Beschluss mit dieser Entscheidung und ihrer Fehlinterpretation in Burhoff, RVG aaO Rdn. 38 bereits auseinandergesetzt.

D.

Soweit der Antragsteller sich zudem auf KG RVGReport 2015,137 beruft, wonach wegen beschränkter Aussagegenehmigungen von behördlichen Zeugen die besondere (rechtliche) Schwierigkeit des Verfahrens zu bejahen sei, ist auch dies verkürzend. Denn diese Schwierigkeiten ergaben sich ersichtlich aus folgenden der rechtlichen Schwierigkeit zugrundeliegenden tatsächlichen Umständen, wie in den vollständigen Entscheidungsgründen des KG ausgeführt ist (KG Berlin Beschluss vom 11. Juli 2014-1 ARs 22/11 Rdn. zit. nach juris):

„Das gesamte Material war außergewöhnlich schwierig zu bewältigen, da die Sachakten in wesentlichen Bereichen einen abgetrennten Teil der aus einem noch umfangreicheren und über viele Jahre geführten Strukturverfahren gegen eine größere Zahl (teils unbekannter) Mitglieder der „X Gruppe“ zusammengetragenen Ermittlungsergebnisse darstellten (…). Im Hinblick auf den Tatvorwurf der Mitgliedschaft in dieser Vereinigung war es aus der Sicht der Verteidigung geboten, sich insgesamt mit dem Komplex des Ursprungsverfahrens zu befassen und Antrage zu formulieren, die auf die in dem Ursprungsverfahren erlangten Erkenntnisse und deren Bewertung zielten. Von besonderer Schwierigkeit war dabei die recht aufwändige Analyse und Interpretation linksradikaler Publikationen aus dem Umfeld der „X Gruppe“, die gerade auch durch den Umstand, dass sich Beamte des Bundeskriminalamtes unter Pseudonym als Autoren daran beteiligt hatten, ohne dies in den Sachakten offenzulegen, einen besonders hohen Arbeitsaufwand der Verteidigung erforderte, der erheblich über das übliche Maß hinausging. Hierbei war auch zu bedenken, dass die Bewertung diverser Textanalysen zur Urheberschaft von umfangreichen Bekennerschreiben und publizierten Szenetexten problematisch, teilweise schon zwischen den beteiligten Ämtern nicht eindeutig, jedenfalls im Laufe des Verfahrens streitig und klärungsbedürftig war.“

Im vorliegenden Verfahren waren derartige tatsächliche Schwierigkeiten nicht ersichtlich; auch waren die auf die Angeklagten entfallenden Kommunikationsinhalte diesen zweifelsfrei anhand der von ihnen geposteten „Selfies“, Audionachrichten, Inhalte und des Schreibstils zuzuordnen, was sie auch selbst eingeräumt haben. Eine irgendwie geartete mutmaßliche Tatprovokation oder gar relevante Involvierung von Verfassungsschutz- oder Polizeidienststellen bei der OSS waren weder ersichtlich oder klärungsbedürftig noch waren Behördenbeteiligungen unklar.

Auf dieser Sachlage basierende besondere rechtliche Schwierigkeiten bezüglich etwaiger Aussagegenehmigungen waren nicht gegeben. Selbst seitens einzelner Verteidiger wurde im Wesentlichen geltend gemacht, die Verfassungsschutzbehörden oder der vom BKA eingesetzte und im Wege der audiovisuellen Vernehmung befragte verdeckte Ermittler hätten „nicht mäßigend eingewirkt“ bzw. es habe eine Totalüberwachung der Chats gegeben. Anträge, die auf eine Erweiterung der Aussagegenehmigungen zielten und die eine vertiefte rechtliche Auseinandersetzung mit der Thematik der hierzu erfolgten Beschränkungen erforderten, wurden in der Hauptverhandlung nicht verfolgt, so dass die rechtliche (besondere) Schwierigkeit zu verneinen ist.

E.

Unrichtig ist, dass ein weiterer Sachverständiger gehört worden wäre, der zu einer „anderen Einschätzung hinsichtlich der Schuldfähigkeit“ gekommen sei. Vielmehr hatte der vernommene Arzt D. lediglich im Rahmen eines Betreuungsverfahrens die Diagnose einer Borderline-Störung gestellt; mit der Beurteilung der strafrechtlich relevanten Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei den anklagegegenständlichen Taten war er weder vor noch in der Hauptverhandlung befasst.

F.

Soweit der Antragsteller einen betriebswirtschaftlichen Kurzbericht vorgelegt hat zum Beleg der auf ihn entfallenden monatlichen Kanzleiausgaben belegt dies nicht, dass er durch das vorliegende Pflichtmandat in einer einem Sonderopfer gleichkommenden Art und Weise unzumutbar beeinträchtigt ist. Zwar wurden die Einnahmen ebenso wie das Betriebsergebnis auf dem vorgelegten Kurzbericht geschwärzt. Wie sich jedoch aus der Spalte „Veränderungen in %“ ergibt, hat die Sozietät, der der Antragsteller angehört, im Jahr 2016 gegenüber dem Jahr 2015 sogar einen Zuwachs an Betriebseinnahmen von 10,77% erzielt, wobei die Betriebsausgaben - insbesondere bei den Personalkosten um knapp 30% - im gleichen Zeitraum um 13,20% anstiegen. Von relevanten Umsatzeinbrüchen der Sozietät aufgrund einer übermäßigen, wirtschaftlich erheblich beeinträchtigenden Inanspruchnahme durch das vorliegende Mandat kann bei einem zweistelligen Zuwachs der Betriebseinnahmen keine Rede sein.

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Referenzen - Gesetze

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Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 51 Festsetzung einer Pauschgebühr


(1) In Strafsachen, gerichtlichen Bußgeldsachen, Verfahren nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, in Verfahren nach dem IStGH-Gesetz, in Freiheitsentziehungs- und Unterbringungssachen sowie in Verfahren nach § 151 Nummer

Referenzen

(1) In Strafsachen, gerichtlichen Bußgeldsachen, Verfahren nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, in Verfahren nach dem IStGH-Gesetz, in Freiheitsentziehungs- und Unterbringungssachen sowie in Verfahren nach § 151 Nummer 6 und 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen, die über die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis hinausgeht, wenn die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind. Dies gilt nicht, soweit Wertgebühren entstehen. Beschränkt sich die Bewilligung auf einzelne Verfahrensabschnitte, sind die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis, an deren Stelle die Pauschgebühr treten soll, zu bezeichnen. Eine Pauschgebühr kann auch für solche Tätigkeiten gewährt werden, für die ein Anspruch nach § 48 Absatz 6 besteht. Auf Antrag ist dem Rechtsanwalt ein angemessener Vorschuss zu bewilligen, wenn ihm insbesondere wegen der langen Dauer des Verfahrens und der Höhe der zu erwartenden Pauschgebühr nicht zugemutet werden kann, die Festsetzung der Pauschgebühr abzuwarten.

(2) Über die Anträge entscheidet das Oberlandesgericht, zu dessen Bezirk das Gericht des ersten Rechtszugs gehört, und im Fall der Beiordnung einer Kontaktperson (§ 34a des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz) das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt, durch unanfechtbaren Beschluss. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig, soweit er den Rechtsanwalt bestellt hat. In dem Verfahren ist die Staatskasse zu hören. § 42 Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Absatz 1 gilt im Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde entsprechend. Über den Antrag nach Absatz 1 Satz 1 bis 3 entscheidet die Verwaltungsbehörde gleichzeitig mit der Festsetzung der Vergütung.