Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juli 2015 - 3 StR 577/14

bei uns veröffentlicht am09.07.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 5 7 7 / 1 4
vom
9. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als besitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 14. Juli 2014 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Das Rechtsmittel des Angeklagten , mit dem er die Verletzung materiellen Rechts rügt und eine Verfahrensrüge erhebt, bleibt ohne Erfolg.
2
1. Die Verfahrensrüge erweist sich aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen als nicht zulässig erhoben.
3
2. Auch die durch die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils zeigt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Insbesondere wird der Schuldspruch wegen versuchten Mordes von der Beweiswürdigung getragen.

4
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts bezichtigte die Ehefrau des Angeklagten am Tatabend diesem gegenüber ihren Stiefvater, mit dem das Ehepaar seit längerem im Streit lag, sie vor ihrer Heirat jahrelang missbraucht zu haben. Der Angeklagte geriet darüber in Wut und wollte die Angelegenheit mit dem Nebenkläger "klären". Nachdem er zunächst größere Mengen Alkohol zu sich genommen hatte, kündigte er dem Geschädigten telefonisch sein Kommen an, steckte ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 20 cm ein und ließ sich mit einem Taxi zu dessen Wohnung bringen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch nicht vor, den Nebenkläger zu töten. Er traf mit dem Geschädigten vor der Toreinfahrt zu dessen Anwesen zusammen, wo sich alsbald ein Streitgespräch entspann. Als der Nebenkläger sich in dessen Verlauf eine Zigarette anzündete und sich hierbei zur Wand der Einfahrt abwandte, beschloss der Angeklagte, ihn mit dem Messer zu verletzen, um ihn abzustrafen. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, dass der Nebenkläger dadurch auch sterben könnte. Unter bewusster Ausnutzung des Umstandes, dass der Geschädigte nicht mit einem Angriff rechnete und deshalb wehrlos war, zog er das Messer mit der rechten Hand und stach zweimal in dessen Oberkörper unterhalb der linken Achsel, wobei er den Dickdarm verletzte. Trotz eines Abwehrversuches des Nebenklägers gelang es dem Angeklagten, diesem weitere Stiche und Schnitte zu versetzen, so einen Stich oberhalb des Schlüsselbeins, der bis zum Kehlkopf reichte. Im darauf folgenden Gerangel gingen beide Männer zu Boden, wobei der Angeklagte dem Geschädigten noch zwei Stiche in den linken Oberschenkel beibrachte. Nachdem beide wieder auf die Beine gekommen waren, flüchtete der Angeklagte, der davon ausging, dass die Stichwunden , die er dem Nebenkläger beigebracht hatte, zu dessen Tod führen könnten. Der Geschädigte erlitt neben zahlreichen Stich- und Schnittverletzungen einen Pneumothorax, der ebenso wie die Dickdarmverletzung lebensbedrohlich war.
Der Angeklagte war infolge seiner Alkoholisierung - Blutalkoholkonzentration von maximal 2,93 Promille - sowie seiner starken Erregung zur Steuerung seines Tuns nur eingeschränkt in der Lage.
5
b) Die Feststellungen des Landgerichts, der Angeklagte habe bei dem von ihm geführten Angriff mit bedingtem Tötungsvorsatz sowie heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt und er sei bei Verlassen des Tatorts davon ausgegangen, der Nebenkläger könne an den ihm zugefügten Verletzungen versterben, finden in der Beweiswürdigung eine noch ausreichende Stütze.
6
Das Landgericht hat aus der Gefährlichkeit der gegen den Brustkorb und insbesondere auch oberhalb des Schlüsselbeins gesetzten Stiche auf den zumindest bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten geschlossen. Mit dem Umstand , dass der Angeklagte zur Tatzeit unter erheblichem, seine Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss stand, hat es sich dabei nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Hierzu besteht zwar grundsätzlich Anlass, denn es versteht sich im Allgemeinen nicht von selbst, dass ein Täter, der in einem seine Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden Maße alkoholisiert ist, noch erkennt, dass seine Gewalthandlung zum Tode des Opfers führen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51, 52; vom 27. Oktober 2011 - 3 StR 351/11, NStZ 2012, 151). Indes begründet dies hier keinen durchgreifenden Rechtsmangel der Beweiswürdigung. Denn die Alkoholisierung des Angeklagten findet in der sich unmittelbar an die Erwägungen zum Tötungsvorsatz anschließenden Erörterung der Frage Berücksichtigung , ob er bewusst die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten ausgenutzt hat. Die Strafkammer hat dieses Ausnutzungsbewusstsein dem Umstand entnommen , dass der Angeklagte für den Nebenkläger überraschend das bis dahin verborgen gehaltene mitgeführte Messer zog. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass der Angeklagte trotz seiner Alkoholisierung in der Lage war, die Arglosigkeit des Verletzten zu erkennen und auszunutzen. Danach kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes - ebenso wie bei den folgenden Erwägungen zum Rücktrittshorizont , bei denen der psychische Zustand des Angeklagten ebenfalls keine ausdrückliche Erwähnung gefunden hat - die Alkoholisierung des Angeklagten und seine hierdurch mitbedingte verminderte Steuerungsfähigkeit unbeachtet gelassen hat.
Becker Hubert Mayer RiBGH Gericke befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Spaniol

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

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Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Okt. 2011 - 3 StR 351/11

bei uns veröffentlicht am 27.10.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 351/11 vom 27. Oktober 2011 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 27. Oktober 2011 gemäß § 349 Ab

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(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 351/11
vom
27. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 27. Oktober 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 30. Mai 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren.
2
1. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, denn das Urteil entbehrt einer die Annahme von Tötungsvorsatz tragenden lückenlosen Beweiswürdigung.
3
a) Nach den Feststellungen half der Angeklagte am 10. November 2010 gegen 24.00 Uhr seiner erheblich alkoholisierten Ehefrau von der Toilette hoch, wobei diese niederfiel und im Badezimmer zu liegen kam. Schon zu diesem Zeitpunkt, spätestens aber im Laufe des folgenden Vormittags entschloss er sich, seine (weiterhin) so daliegende Ehefrau zu töten. Hierzu würgte er sie mehrere Minuten mit beiden Händen, so dass sie schließlich erstickte. "Entweder vor oder nach" der Tat legte er ihr ein Kissen unter den Kopf und deckte sie mit einer Decke zu. Nicht sicher ausschließen kann das Landgericht, dass der ebenfalls unter Alkoholeinfluss stehende Angeklagte "aufgebracht und derart enthemmt war, dass seine Steuerungsfähigkeit im Zeitpunkt der Gewaltausübung erheblich eingeschränkt war".
4
b) Auf den Vorsatz des Angeklagten, seine Ehefrau zu töten, schließt das Landgericht daraus, dass ihm aufgrund der dauerhaften und massiven Einwirkung auf deren Hals deren "lebensbedrohliche Situation … nicht habe verborgen bleiben können." Die Art der Einwirkung lasse "keinen anderen Rückschluss zu als dass der Angeklagte mit Tötungsabsicht gehandelt hat". Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
Zwar ist das Würgen eines Menschen über mehrere Minuten eine äußerst gefährliche Gewalthandlung, deren Lebensbedrohlichkeit für gewöhnlich ohne weiteres erkennbar ist und die deshalb grundsätzlich darauf schließen lässt, der Täter habe den Tod des Opfers beabsichtigt oder jedenfalls billigend in Kauf genommen. Rechtsfehlerfrei ist ein solcher Schluss jedoch nur dann, wenn der Tatrichter auch alle nach Sachlage in Betracht kommenden subjektiven und objektiven Umstände in seine Erwägungen einbezieht, die dieses Ergebnis in Frage stellen können; dies gilt insbesondere bei der Annahme direkten Tötungsvorsatzes (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 225/11). So versteht es sich etwa nicht von selbst, dass ein Täter, der in einem seine Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden Maße alkoholisiert ist, noch erkennt, dass seine Gewalthandlung zum Tode des Opfers führen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51).
6
Danach hätte sich das Landgericht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes auch damit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte zur Tatzeit möglicherweise unter erheblichem, seine Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss stand. Dies gilt um so mehr, als das Landgericht ein Tatmotiv nicht feststellen und nicht ausschließen kann, dass der Angeklagte seiner Ehefrau nach dem Geschehen noch ein Kissen unter den Kopf legte und sie zudeckte.
7
Wegen der bei dieser Sachlage erforderlichen Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände gibt der Senat dem neuen Tatrichter Gelegenheit, nicht nur zur inneren Tatseite, sondern insgesamt neue Feststellungen zu treffen.
8
2. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es danach nicht mehr an. Gleichwohl bemerkt der Senat:
9
Lehnt der Tatrichter eine Mehrzahl von Beweisanträgen deshalb ab, weil er die darin unter Beweis gestellten Indiztatsachen aus tatsächlichen Gründen als für die Entscheidung ohne Bedeutung erachtet (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), so darf er die einzelnen Anträge nicht nur für sich betrachten. Vielmehr hater jeweils auch die weiteren Beweisbehauptungen (erneut) in Bedacht zu nehmen und in dem ablehnenden Beschluss darzulegen, weshalb er selbst bei einer Gesamtwürdigung aller dieser Indiztatsachen einen im Falle ihres Erwiesenseins nur möglichen Schluss nicht ziehen möchte (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 225 mwN).
Becker von Lienen Schäfer
Mayer Menges