Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 246/13
(alt: 5 StR 174/12)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 11. Juni 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Juni 2013

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 19. Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 2. Dezember 2011 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der es sechs Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt hat. Mit Beschluss vom 23. Mai 2012 – 5 StR 174/12 (StV 2012, 582) hat der Senat dieses Urteil auf die Revision des Angeklagten hin aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten erneut wegen der genannten Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der es acht Monate für vollstreckt erklärt hat. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen und formellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel dringt mit der Sachbeschwerde durch, weswegen es eines Eingehens auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vergewaltigte der damals 61 Jahre alte Angeklagte die seinerzeit 49-jährige Nebenklägerin Ende Dezember 2007 vaginal und im März 2008 anal (Taten 1 und 2). Nach den Vergewaltigungen wohnte die Nebenklägerin weiterhin mit dem Angeklagten zusammen, wobei es jedenfalls vor Tat 2 gelegentlich auch noch zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam. Strafanzeige gegen den Angeklagten erstattete sie nach einem Vorfall vom 26. April 2008, bei dem der Angeklagte sie am Hals gepackt und gegen ein Treppengeländer gedrückt hatte (Tat 3). Die Strafanzeige vom 26. April 2008 beschränkte sich auf den Vorwurf der Körperverletzung. Auf Nachfrage der Polizeibeamtin nach sexuellen Übergriffen sagte die Nebenklägerin, dass dies vor zwei oder drei Jahren der Fall gewesen sei. Ähnlich verlief eine Vernehmung im Mai 2008. Details über die sexuellen Gewalthandlungen berichtete sie in einer Vernehmung im August 2008. Gegenstand eines von ihr angestrengten zivilrechtlichen Gewaltschutzverfahrens war nur die Körperverletzung vom 26. April 2008.
3
2. Die Beweiswürdigung genügt nicht den in der hier gegebenen Kons- tellation „Aussage gegen Aussage” geltenden strengen Anforderungen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f., Beschluss vom 24. Januar 2008 – 5 StR 585/07, NStZ-RR 2008, 254). Sie weist Lücken auf und hält deshalb rechtlicher Prüfung nicht stand.
4
a) Auch die neu entscheidende Strafkammer befasst sich unzureichend mit der Aussageentstehung und dem Aussageverhalten der Nebenklägerin. Namentlich setzt sich das Landgericht nicht erkennbar mit dem Umstand auseinander, dass die Nebenklägerin nach ihrer auf den Vorwurf der Körperverletzung beschränkten Strafanzeige auf Frage der Polizeibeamtin nach etwaigen sexuellen Übergriffen solche als zwei oder drei Jahre zurückliegend bezeichnete, wohingegen nach ihren späteren Angaben und den hierauf beruhenden Feststellungen die abgeurteilte Tat 1 (vaginale Vergewaltigung ) rund vier Monate und die anale Vergewaltigung (Tat 2) gar erst rund einen Monat vor der Strafanzeige begangen wurde. Die im Urteil nur referier- te Erklärung der Nebenklägerin, dass es auch „in den Jahren 2005 und 2006 dazu gekommen sei” (UA S. 19), findet in den Feststellungenkeine Stütze. Denn danach hat die Nebenklägerin etwa seit 2005 zwar vielfach Ge- schlechtsverkehr „über sich ergehen lassen”, er wurde jedoch vom Angeklag- ten nicht gewaltsam erzwungen. Auch eingedenk der Tatsache, dass es sich bei der Nebenklägerin um eine juristische Laiin handelt, bedürfte es deshalb der Erklärung, weshalb sie – wenn sie sexuelle Übergriffe nicht gänzlich negieren wollte – dann den hierfür angegebenen Tatzeitraum nicht auf die auch nach ihren eigenen Empfindungen schwersten Taten, vor allem den sie außerordentlich traumatisierenden und mit körperlichen Verletzungen verbundenen erzwungenen Analverkehr erstreckte, der kurze Zeit vor der Anzeige erfolgt sein soll. Die insoweit vorgenommenen Wertungen der aussagepsychologischen Sachverständigen, die Nebenklägerin sei von der Frage „über- rascht” worden, die Angaben seien „nicht falsch” und „psychologisch erklärbar” (UA S. 25), sind jedenfalls ohne nähere Erläuterung nicht nachvollzieh- bar.
5
Angesichts der auch ansonsten überaus schwierigen Beweislage kommt diesem Aspekt zentrale Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin insgesamt zu. Der Rechtsfehler entzieht daher dem Schuldspruch wegen zweimaliger Vergewaltigung die Grundlage.
6
b) Darüber hinaus sieht die Strafkammer kein Falschbelastungsmotiv. Unterstelle man, dass es der Nebenklägerin um einen Auszug des Angeklagten aus der gemeinsamen Wohnung gegangen sei, so hätte sie die Vorwürfe schon bei der Strafanzeige erheben können; ferner sei der Angeklagte schon am 26. April 2008 der Wohnung verwiesen worden (UA S. 21). Abgesehen davon, dass die Nebenklägerin den Vorwurf sexueller Übergriffe – wenngleich pauschal und erst auf Nachfrage – bei der Anzeigeerstattung gerade doch erhoben hatte, lässt das Landgericht mit diesen Darlegungen ein sich nach Sachlage aufdrängendes Rachemotiv außer Acht. Denn nach der Strafanzeige und vor den weiteren Vernehmungen der Nebenklägerin hatte sich ein heftiger Streit zwischen dieser und dem Angeklagten um die gemeinsame Wohnung sowie Einrichtungsgegenstände entsponnen, im Zuge dessen die Nebenklägerin unter sie sehr belastenden Umständen die Wohnung verlor, wohingegen der Angeklagte im Haus verblieb (UA S. 13 f.). Dies hätte das Landgericht bei seiner Widerlegung eines möglichen Falschbezichtigungsmotivs erörtern müssen. Die Beweiswürdigung erweist sich daher auch unter diesem Blickwinkel als lückenhaft.
7
3. Da auch der Hergang der von der Nebenklägerin bekundeten Körperverletzung im Wesentlichen auf deren Aussage gestützt ist, hebt der Senat den deswegen ergangenen Schuldspruch mit auf. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat – namentlich im Blick auf neuerliche Aussageerweiterungen (UA S. 6) – auf die von der Revision im Rahmen einer Verfahrensrüge vorgetragenen Erwägungen zu möglichen auf autosuggestiven Prozessen beruhenden Verzerrungen und Übertreibungen im Aussageverhalten der Nebenklägerin hin, die auch im Rahmen der subjektiven Voraussetzungen des § 177 StGB zu bedenken wären.
Basdorf Sander Dölp König Bellay

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Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

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5 StR 174/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 23. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Mai 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 2. Dezember 2011 mit den Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, von denen es sechs Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt hat. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vergewaltigte der 65 Jahre alte Angeklagte die 58-jährige Nebenklägerin Ende Dezember 2007 vaginal und im März 2008 anal (Taten 1 und 2). Über das angeklagte Geschehen hinaus hat die Strafkammer eine weitere im Mai 2006 begangene vaginale Vergewaltigung festgestellt, die die Nebenklägerin erstmals in der Hauptverhandlung bekundet hat. Nach den Vergewaltigungen wohnte die Nebenklägerin weiterhin mit dem Angeklagten zusammen, wobei es jedenfalls vor Tat 2 gelegentlich auch noch zu einvernehmlichem Geschlechtsver- kehr kam. Strafanzeige gegen den Angeklagten erstattete sie nach einer Körperverletzungshandlung vom 26. April 2008, bei der der Angeklagte sie am Hals gepackt und gegen ein Treppengeländer gedrückt hatte (Tat 3). Die Strafanzeige vom 26. April 2008 beschränkte sich auf die Körperverletzungshandlung. Auf Nachfrage der Polizeibeamtin nach sexuellen Übergriffen sagte die Nebenklägerin, dass dies vor zwei oder drei Jahren der Fall gewesen sei. Näheres wolle sie im Moment nicht sagen. Ähnlich verlief eine Vernehmung im Mai 2008. Details über die sexuellen Gewalthandlungen berichtete sie in einer Vernehmung im August 2008. Gegenstand eines von ihr angestrengten zivilrechtlichen Gewaltschutzverfahrens war nur die Körperverletzung vom 26. April 2008.
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2. Die Revision dringt mit einer Verfahrensrüge durch.
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a) Folgendes Geschehen liegt zugrunde:
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Der Verteidiger hatte die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum Beweis der Behauptung beantragt, dass die Nebenklägerin, auf deren Aussage die Feststellungen beruhen, an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung leide, die ihre Zeugentüchtigkeit in Frage stelle. Zur Begründung führte er eine Reihe von Auffälligkeiten im Verhalten der Nebenklägerin auf.
6
Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil die unter Be- weis gestellte Tatsache „für die Entscheidungsfindung unerheblich“ sei. Per- sonen mit paranoider Persönlichkeitsstörung seien in ihrer Fähigkeit nicht eingeschränkt, reale Erlebnisse wahrzunehmen und deren äußeres Erscheinungsbild wiederzugeben. Nach ICD-10 gehörten Wahrnehmungsstörungen, Halluzinationen, Wahnerleben oder eine Neigung zur bewussten Erfindung fiktiver Handlungsabläufe nicht zur Symptomatik. Auch eine erhöhte Sugges- tibilität gehe damit nicht einher. Es würden nur „reelle Erlebnisse“ dahinge- hend interpretiert, dass neutrale oder freundliche Handlungen der betroffenen Person als feindselige Akte erschienen. Die Nebenklägerin habe das äußere Erscheinungsbild der Vorfälle jedoch konstant und detailliert in einer Art geschildert, die ausschließe, dass es sich dabei um neutrale oder freundliche Handlungen gehandelt haben könnte, die von ihr nur fehlinterpretiert würden. Selbst bei Vorliegen einer paranoiden Persönlichkeitsstörung bestünden deshalb keine Anhaltspunkte für deren Auswirkung auf die Aussagetüchtigkeit , weswegen die Strafkammer die Glaubwürdigkeit in eigener Kompetenz bewerten könne.
7
b) Mit dem Generalbundesanwalt geht der Senat trotz Nichtvorlage einiger im Beweisantrag benannter Schriftstücke von der Zulässigkeit der Verfahrensrüge im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO aus. Denn das Urteil befasst sich mit den maßgebenden auch vom Verteidiger benannten Anknüpfungstatsachen für das Vorliegen eines psychischen Defektzustandes, womit dem Senat die Sachprüfung der Verfahrensbeanstandung eröffnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1990 – 1 StR 693/89, BGHSt 36, 384, 385 mwN).
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c) Die Rüge hat in der Sache Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden.
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aa) Hat die Strafkammer den Beweisantrag, wofür der Wortlaut des Ablehnungsbeschlusses spricht, wegen (tatsächlicher) Bedeutungslosigkeit nach § 244 Abs. 3 Satz 2, 2. Variante StPO abgelehnt, so hält dies rechtlicher Nachprüfung schon deswegen nicht stand, weil sie das Beweisergebnis rechtsfehlerhaft vorweggenommen hat. Denn der Verteidiger hatte auch unter Beweis gestellt, dass im Fall einer paranoiden Persönlichkeitsstörung die Zeugentüchtigkeit der Nebenklägerin beeinträchtigt war.
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bb) Nichts anderes ergibt sich, wenn man – dem Generalbundesanwalt folgend – eine nur missverständlich formulierte Zurückweisung des Beweisbegehrens unter Inanspruchnahme eigener Sachkunde annimmt (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Zwar kann sich das Gericht bei der Beurteilung von Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht (BGH, Beschlüsse vom 1. März 1994 – 5 StR 62/94, StV 1994, 634, vom 29. Oktober 1996 – 4 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 106, vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346, 347, und vom 28. Oktober 2009 – 5 StR 419/09, NStZ 2010, 100, 101). Solche Umstände liegen hier vor. Die Diagnose einer paranoiden Persönlichkeitsstörung und deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit erfordert spezifisches Fachwissen, das nicht Allgemeingut von Richtern ist; demgemäß hätte die eigene Sachkunde näherer Darlegung bedurft (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1958 – 4 StR 211/58, BGHSt 12, 18, 20; Beschluss vom 21. Dezember 1983 – 3 StR 437/83, StV 1984, 232). Eine solche ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr stellt die Strafkammer unter Heranziehung der im ICD-10 für die paranoide Persönlichkeitsstörung aufgeführten Symptome einen Erfahrungssatz zu generellen Wechselwirkungen der Störung mit der Aussagetüchtigkeit her, der wissenschaftlicher Absicherung entbehrt (vgl. etwa zu möglichen Übergängen der Störung Nedopil, Forensische Psychiatrie, 3. Aufl., S. 180).
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Die Ablehnung des Beweisantrags führt auf die Revisionsrüge zur umfassenden Aufhebung des Urteils, weil dieses insgesamt auf dem Rechtsfehler beruhen kann.
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3. Der Senat weist darauf hin, dass die im angefochtenen Urteil vorgenommene Beweiswürdigung auch sachlichrechtlich durchgreifenden Bedenken begegnet.
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a) Namentlich befasst sich die Strafkammer unzureichend mit der Aussageentstehung und dem Aussageverhalten der Nebenklägerin. Die Nebenklägerin hat Sexualstraftaten des Angeklagten überhaupt nur auf Initiative der vernehmenden Beamtinnen offenbart und im Detail erst zu einem sehr späten Zeitpunkt geschildert. Das Urteil führt dies – ohne erkennbaren Beleg in deren Aussage – darauf zurück, dass die Nebenklägerin sich generell schäme, sexuelle Dinge zu besprechen (UA S. 19, 25). Abgesehen davon, dass es wenig lebensnah erscheint, einer 58-jährigen Gastwirtin, deren Jugendzeit in die Jahre ab 1968 fällt, höhergradige Scham zuzuweisen als „dies nach heutigen Maßstäben die Regel wäre“ (UA S. 19), ist die Beweis- würdigung in diesem Punkt durchgreifend lückenhaft und widersprüchlich. So erklärt etwaige Scham der Nebenklägerin nicht, warum sie bei der Strafanzeige sexuelle Übergriffe als zwei oder drei Jahre zurückliegend bezeichnet hat, obwohl die abgeurteilten Taten nach ihren späteren Angaben erst einen Monat bzw. vier Monate vor der Strafanzeige begangen worden sind. Ferner legt das Urteil wohl die Aussage der Nebenklägerin ihren Feststellungen zugrunde , sie habe nach Tat 2 mit dem Zeugen W. einen (nicht zu den Akten gelangten) Brief an die Staatsanwaltschaft verfasst, in dem sie die sexuellen Übergriffe zur Anzeige gebracht habe (UA S. 23). Das würde bedeuten , dass sie dem Zeugen die Taten trotz ihrer Scham mitgeteilt hat. Hingegen bezeichnet die Strafkammer den Zeugen, nach dessen Aussage ihm die Nebenklägerin die drei Taten jeweils zeitnah geschildert hat, unter anderem deshalb für nicht glaubhaft, weil es schwer nachvollziehbar sei, „wieso ausgerechnet der Zeuge W. die einzige Person sein sollte, gegenüber welcher die Nebenklägerin sich öffnet, nachdem sie ihrem eigenen Sohn die sexuellen Übergriffe monatelang verschwiegen“ habe (UA S. 31). Beides ist nicht miteinander vereinbar und erscheint geeignet, dem vom Landgericht unterstellten zentralen Motiv anfänglichen Schweigens der Nebenklägerin die Grundlage zu entziehen und ihre Aussage insgesamt in Frage zu stellen.
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b) Das angefochtene Urteil zieht ferner den Umstand indiziell für eine Täterschaft des Angeklagten heran, dass er mit der Nebenklägerin einen Vergleich geschlossen und auf das vereinbarte Schmerzensgeld von 6.000 € bereits 1.000 € geleistet hat. Dem stehe nicht entgegen, dass beides vor dem Hintergrund einer angestrebten Verständigung und einer in diesem Rahmen in Aussicht gestellten Bewährungsstrafe für den Fall eines TäterOpfer -Ausgleichs gestanden habe und der Angeklagte von seinem Verteidi- ger gewarnt worden sei, dass die Strafkammer nach dessen Erfahrungen in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen unter Verletzung des Zweifelssatzes gegen den Angeklagten entscheide und langjährige Haftstrafen verhänge. Wäre Letzteres Grund für ein falsches Schuldeingeständnis gewesen, erschiene es konsequent unverständlich, warum der Angeklagte nach dem Scheitern des Täter-Opfer-Ausgleichs zur Vermeidung einer hohen Haftstrafe nicht gleichwohl ein Geständnis und eine persönliche Entschuldigung ausgesprochen habe. Deswegen sei plausibel, dass er sich durchgehend seiner Schuld bewusst gewesen sei, selbst wenn er gegenüber dem Verteidiger seine Unschuld beteuert habe.
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Der Senat kann offenlassen, ob – nach dem zu klärenden Verlauf der zwischen den Verfahrensbeteiligten unter Einbeziehung der Strafkammer geführten Gespräche – der indiziellen Verwertung des Vergleichsabschlusses und der Zahlungen der Rechtsgedanke des in § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO normierten Verwertungsverbots entgegenstehen könnte. Jedenfalls war ausweislich der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft im Revisionsverfahren mit Scheitern des Täter-Opfer-Ausgleichs auch die Grundlage für eine Bewährungsstrafe entfallen. Die Abgabe eines „Scheingeständnisses“ hätte demgemäß aus Sicht des Angeklagten unweigerlich zu einer Vollzugsstrafe geführt. Das macht sein Verhalten auch im Fall fehlender Schuld erklärbar. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn sie dieses sich aufdrängende Motiv berücksichtigt hätte.
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4. Auch der Strafausspruch hätte keinen Bestand haben können. Nicht nachvollziehbar ist namentlich die Begründung, mit der die Strafkammer das Vorliegen von „Beziehungstaten“ im Rahmen der Erörterung der Regelwir- kung nach § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB ablehnt. Nach den von ihr zugrunde gelegten Bekundungen der Nebenklägerin war die Beziehung schon länger auch dadurch geprägt, dass diese häufig sexuellen Handlungen des Ange- klagten nach anfänglicher Ablehnung „über sich ergehen ließ“. Dies war so- gar noch nach der vom Landgericht angenommen ersten Vergewaltigung sowie nach Tat 1 der Fall. Selbst nach Tat 1 wohnten der Angeklagte und die Nebenklägerin – wenngleich bei häufiger Abwesenheit des Angeklagten – weiter zusammen. Dem durfte bei der Strafrahmenwahl nicht jegliche Bedeutung abgesprochen werden (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2003 – 4 StR 389/03, StV 2004, 479 mwN). Hinzu kommen weitere im Urteil angesprochene gewichtige Umstände, die die Taten in einem milderen Licht erscheinen lassen konnten. Dem entspricht, dass am ersten Hauptverhandlungstag unter den Verfahrensbeteiligten – für den Fall eines Geständnisses und eines Täter-Opfer-Ausgleichs – gar eine Bewährungsstrafe im Gespräch war. Die Nichtanwendung milderer Strafrahmen und die Verhängung hoher Einzelstrafen sowie einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten ist vor diesem Hintergrund selbst dann nicht erklärlich , wenn man die strafmildernde Wirkung der genannten Gesichtspunkte einbezieht (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 9. Juni 2004 – 5 StR 579/03, StV 2004, 470, 471 mwN).
Basdorf Schaal Schneider König Bellay
5 StR 585/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Januar 2008

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Juli 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
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Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
1. Der 43-jährige Angeklagte ist Vater des 11-jährigen T. , der sich im Sommer 2003 mit dem seinerzeit 10-jährigen Zeugen V. C. anfreundete. Bald besuchte V. , der mit seiner Mutter und fünf Geschwistern in äußerst bescheidenen und beengten Verhältnissen lebte, T. häufig zu Hause, um mit ihm dort am Computer oder mit der Playstation zu spielen; diese Möglichkeiten hatte er daheim nicht. Nach kurzer Zeit durfte der Zeuge auch gelegentlich bei T. übernachten. Da der Angeklagte damals arbeitslos war und tagsüber seine Kinder T. und die 4-jährige J. beaufsichtigte, kam es häufig vor, dass V. den Angeklagten allein in der Wohnung antraf, wenn T. noch in der Schule und das kleine Mädchen im Kindergarten war. Nachdem der Zeuge bereits mehrere Monate bei der Familie des Angeklagten ein- und ausgegangen war, kam es im Frühjahr 2004 erstmals und danach bis spätestens zum 28. März 2005 in fünf Fällen zu sexuellen Handlungen zwischen dem Angeklagten und V. .
4
In vier Fällen entblößte der Angeklagte seinen Penis vor dem Zeugen, führte alsdann dessen Hand an sein Glied, hielt die Hand fest und nahm onanierende Bewegungen bis zum Samenerguss vor. Obwohl der Junge sich ekelte, leistete er in keinem der Fälle Widerstand. Er ging jeweils davon aus, dass er keine andere Wahl habe und – sollte er versuchen wegzurennen – die Wohnungstür verschlossen sein könnte oder der Angeklagte vor ihm an der Wohnungstür sein würde. Zudem erhielt er anschließend Belohnungen in Form von Süßigkeiten, Eis oder selbstgebrannten CDs mit PC-Spielen oder Musik.
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dem In genannten Tatzeitraum kam es schließlich auch zu einem wechselseitigen Oralverkehr. Während die Kinder des Angeklagten – im Wohnzimmer vor dem Sofa sitzend – eine Fernsehsendung verfolgten, saß der Angeklagte hinter dem Sofa auf einem Computerhocker. Er entblößte seinen Penis, bedeutete V. , sich hinzuknien und führte den Kopf des Jungen an sein Glied. Dieser führte den Oralverkehr an dem Angeklagten aus, ohne dass dieser jedoch zum Samenerguss gelangte. Anschließend zog er dem Jungen die Hose herunter und nahm dessen Glied für kurze Zeit in den Mund. Hierfür erhielt V. keine Gegenleistung, der Angeklagte versprach aber, ihm eine Musik-CD zu brennen. Der Geschädigte brachte dieses Versprechen mit dem Oralverkehr in Zusammenhang und sah sich deswegen berechtigt, die Einlösung des Versprechens zu erwarten.
6
In der Folgezeit ließ der Kontakt zwischen T. und dem Zeugen nach. T. und seine Schwester wollten nicht mehr mit ihm spielen, weil V. sehr bestimmend war. Der Angeklagte musste ihn auch mehrfach ermahnen, sich an die Regeln zu halten und untersagte ihm darüber hinaus, sexistisch gefärbte Schimpfworte zu benutzen. Möglicherweise war V. letztmalig zu Silvester 2004/2005 in der Wohnung des Angeklagten, weil er mit T. feiern wollte. Als der Angeklagte ihm mitteilte, dass T. mit einem anderen Jungen verabredet sei, reagierte der Zeuge wohl aus Eifersucht überaus aufgebracht, so dass der Angeklagte ihn der Wohnung verwies.
7
Im April 2005 sah der Zeuge eine Nachmittags-Show, in der allgemein über Sex gesprochen wurde. Hierdurch fühlte er sich an die sexuellen Handlungen mit dem Angeklagten erinnert und fing an zu weinen. Zudem war er enttäuscht, weil er die ihm einige Zeit zuvor versprochene CD nicht erhalten hatte, die er sich seiner Meinung nach durch die letzten sexuellen Handlungen „verdient“ hatte. Als seine Mutter ihn nach dem Grund der Tränen fragte, berichtete V. von den Vorfällen mit dem Angeklagten.
8
Die 2. Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
9
Angeklagte Der bestreitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Die Strafkammer stützt die Verurteilung im Wesentlichen auf die Angaben des zur Tatzeit 10-jährigen und im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 13 Jahre alten Zeugen, deren Glaubhaftigkeit eine Sachverständige bestätigt hat. In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr. vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13 und 14). Dies gilt insbesondere dann, wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechter- hält oder wenn der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird (vgl. BGHSt 44, 153, 159).
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a) Ins Gewicht fällt hier zunächst, dass V. hinsichtlich einzelner Tatmodalitäten seine früheren Tatschilderungen in der Hauptverhandlung ganz erheblich abgeschwächt hat. So hat er im Ermittlungsverfahren angegeben , der Angeklagte habe ihm Schläge angedroht, wenn er die sexuellen Handlungen nicht dulde. In der Hauptverhandlung hat er konkrete Drohungen nicht mehr bekundet, sondern „ist darauf ausgewichen“, dass er „glaube“, dass der Angeklagte „irgendwas“ angedroht habe (UA S. 19). In ähnlicher Weise verhält es sich auch mit der Anzahl der sexuellen Übergriffe. Bei seiner polizeilichen Vernehmung hat er nach Aussage der Vernehmungsbeamtin von zwei Fällen des Oralverkehrs gesprochen, während er in der Hauptverhandlung erklärt hat, dass dies nur einmal vorgekommen sei. Auch im Hinblick auf seine Fluchtmöglichkeiten ist der Zeuge von seiner ursprünglichen Aussage im Ermittlungsverfahren, wonach die Wohnungstür immer abgeschlossen gewesen sei, abgewichen. In der Hauptverhandlung hat er hierzu bekundet, dass die Wohnungstür eigentlich nur nachts, wenn er dort übernachtet habe, abgeschlossen worden sei (UA S. 17).
11
Die dargelegten, möglicherweise auf das Alter des Zeugen zurückzuführenden Aussagedefizite stehen einer Wertung seiner Bekundungen als glaubhaft zwar nicht notwendig entgegen; sie bedingen jedoch eine sorgfältige Darlegung und Abgleichung dessen, was er bei seiner polizeilichen Vernehmung zu diesen Punkten im Einzelnen mitgeteilt hat. Dies gilt namentlich vor dem Hintergrund, dass das Landgericht das Verfahren wegen zehn weiterer Taten gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Den Grund für diese Teileinstellung teilt die Strafkammer nicht mit. Insoweit ist dem Urteil an anderer Stelle lediglich zu entnehmen, dass der Zeuge sich sicher nur an die festgestellten Fälle erinnere (UA S. 16). Gleichwohl könnten auch andere Gründe für die Einstellung eine Rolle gespielt haben, denen für die Frage der Glaubwürdigkeit des einzigen Belastungszeugen Bedeutung zukommen kann (vgl. BGHSt 44, 153, 160).
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b) Des Weiteren verhält sich das Urteil nicht dazu, wann die letzte gravierende Tat stattgefunden hat. Nach der unwiderlegten Einlassung des Angeklagten hat er V. zuletzt Silvester 2004/2005 gesehen. Der Zeuge wiederum spricht von einem Tatzeitraum von Sommer 2004 bis Herbst 2004, „vielleicht auch später“. Das Landgericht legt den Feststellungen offensichtlich zugrunde, dass die letzte Tat am 28. März 2005 geschehen sein könnte. Eine genauere zeitliche Bestimmung, die ebenfalls durch einen Abgleich mit den polizeilichen Aussagen des Kindes und durch eine entsprechende Befragung von Zeugen, denen V. von den Vorfällen berichtet hatte, hätte erfolgen können, wäre für die Würdigung der Aussagegenese und -entwicklung von Bedeutung gewesen. Denn es kann einen Unterschied machen , ob sich der Zeuge nur wenige Tage nach der letzten Tat oder erst Monate später gegenüber seiner Mutter offenbart hat.
13
Das Gleiche gilt für die Frage, ob der Zeuge den Angeklagten zu Unrecht belastet haben könnte. Die Strafkammer geht davon aus, dass V. kein Motiv – insbesondere kein Rachemotiv – für eine Falschbelastung gehabt habe. Aus dem „Rausschmiss“ am Silvesterabend 2004/2005 könne ein solches Motiv nicht hergeleitet werden, weil der Angeklagte keine Reaktion auf diesen Vorfall beschrieben habe. Dies trifft so nicht zu. Der Junge hat nach der auch insoweit unwiderlegten Einlassung des Angeklagten wohl aus Eifersucht auf den neuen Freund von T. überaus aufgebracht reagiert. In diesem Zusammenhang hätte deshalb auch die Möglichkeit erörtert werden müssen, ob sich der Zeuge durch die insbesondere auch für die Kinder des Angeklagten äußerst belastenden und familiär einschneidenden Schuldvorwürfe gegen ihren Vater an T. wegen dessen „Treulosigkeit“ rächen wollte.
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c) Schließlich hätte sich das Gericht, was den sachlichen Inhalt der Bekundungen des Zeugen betrifft, eingehender mit den äußeren Umständen des von V. geschilderten Oralverkehrs auseinandersetzen müssen. Es ist schon im Hinblick auf das hohe Entdeckungsrisiko schwer vorstellbar, dass der Angeklagte im Beisein seiner Kinder eine derartige Handlung begangen hat. Auch ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, weshalb sich V. in diesem Fall der Tat nicht entzogen hat, was möglich gewesen wäre. Ob diese Umstände bei der Vernehmung des V. oder des ebenfalls als Zeugen vernommenen Sohnes des Angeklagten problematisiert worden sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
VRiBGH Basdorf ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert Gerhardt Gerhardt Raum Schaal Jäger

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.