Amtsgericht Mannheim Beschluss, 29. Nov. 2016 - 21 OWi 509 Js 35740/15

bei uns veröffentlicht am29.11.2016

Gericht

Amtsgericht Mannheim

Tenor

Das Bußgeldverfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, da das Gericht eine Ahndung nicht für geboten hält.

Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse. Die eigenen notwendigen Auslagen trägt die Betroffene selbst.

Gründe

 
Der Betroffenen lag mit Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums, Zentrale Bußgeldstelle vom 25.08.2015 eine Geschwindigkeitsüberschreitung auf der BAB 61 Richtung Heilbronn zur Last, die mit einer Geldbuße von 80 EUR geahndet werden sollte.
Die Messung erfolgte mit einem Lasergerät der Firma Vitronic PoliScan Speed PS - 629690 - 231291 - 239.
Diese Messmethode hat unter anderem das Oberlandesgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 24.10.2014 (Aktenzeichen 2 (7) SsBs 454 14, 2 (7) 454/14 - AK 138/14) als sogenanntes standardisiertes Messverfahren bezeichnet. Es ergäbe sich jedenfalls dann kein Anhaltspunkt für eine Fehlmessung, wenn sich aus der Diskrepanz zwischen dem Messergebnis und dem Wert aus der Berechnung der Zusatzdaten keine Abweichung außerhalb der Verkehrsfehlergrenze ergäbe.
Die durchgeführte Beweisaufnahme ergab aber vorliegend, dass es aufgrund der Durchführung der Messung durchaus Abweichungen oberhalb der Verkehrsfehlergrenze geben kann, ohne dass dies auf die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Messwertbildung Einfluss nehmen müsste, so der sachverständige Zeuge ... von der Herstellerfirma.
Allgemein wird angenommen, dass ein standardisiertes Verfahren vorliegt, wenn die Bedingungen der Anwendbarkeit und der Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. Dass Abweichungen bei der Referenzstrecke der PTB in einem Größenbereich von plus / minus 3 Prozent vorkommen können, gab der Sachverständige ... bekannt. Zu dem Ergebnis, dass bei der hier konkret zu beurteilenden Messreihe in der Spitze eine Abweichung von 5,57 Prozent vom Messwert zum Nachteil des gemessenen Fahrzeugs vorkam, bestätigte der Sachverständige .... .
Jedenfalls war ursprünglich wohl angedacht, eine (neue) Messmethode gerichtlich einer Überprüfung zuzuführen und im Falle, sie bewähre sich im Alltag, die Beweisaufnahme nur noch im reduziertem Umfang zu verlangen. Daraus wurde mit Einführung der Digitalisierung und dem herbeigeführtem Mangel an Plausibilisierungsmöglichkeiten, beispielsweise den Annulierungsraten, ein System eingeführt, dass dem Betroffenen eine Beweislastumkehr verbunden mit einer Beweismittelmittelzugangsverhinderung gleichkommt.
Dies gilt jedoch nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für den Richter. Er sieht sich einer Situation gegenüber, die ihm bei einem standardisierten Verfahren eine Beweisführung faktisch unmöglich macht. Er selbst kann nur auf die Arbeit der PTB vertrauen, denn „ mit der Zulassung erklärt die PTB im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten), dass bei dem zugelassenen Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren vorliegt, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind.“ Dann jedoch gilt nach OLG Karlsruhe (aaO), dass eine nähere Überprüfung nur geboten ist, wenn im konkreten Fall Anhaltspunkte für eine Fehlmessung gegeben sind. Um derartige Umstände zu finden, braucht es aber der Sachkunde, über die weder das Gericht, noch in der Regel der Betroffene und sein Verteidiger verfügen. Das bedeutet im Ergebnis, die Bauartzulassung der PTB ersetzt die gerichtliche Prüfung in einer dem Prozessrecht unterliegenden Beweisaufnahme.
Dies verschärft sich noch, folgt man dem Oberlandesgericht Frankfurt (zitiert in beck online, Beschluss vom 26.08.2016, Aktenzeichen 2 Ss 589/16), dass der einzelne Betroffene aus datenschutzrechtlichen Gründen keinen Anspruch auf die Beiziehung der kompletten Messreihe habe.
Denn es gibt Fehlerquellen, die sich erst bei der Auswertung eben jener zeigen, so die bereits beschriebenen Abweichungen hinsichtlich der Verkehrsfehlergrenze.
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Eine weitere mögliche Fehlerquelle erfordert ebenfalls die Beurteilung mehrerer Messungen über die Einzelmessung hinaus.
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Nach Auffassung vieler Oberlandesgerichte gibt die Prüfung und Zulassung durch die PTB die Sicherheit, dass eine zuverlässige Messung erfolgt. Es gibt jedoch Umstände, die den Sachverständigen ... zu keiner Antwort auf die Frage veranlasste, ob angesichts dieser noch zu erörternden Umstände er die Korrektheit der Messwertbildung bejahen könnte.
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Die Messwertbildung findet dergestalt statt, dass die vom LIDAR - Messwertaufnehmer aufgenommenen Rohdaten im Messrechner zunächst als einzelne Objektpunkte zu Objekten, also Fahrzeugmodellen gebündelt werden. Sie werden innerhalb des Messbereichs verfolgt, um die Fahrzeuggeschwindigkeit zu ermitteln. Für jedes Fahrzeug ergibt sich dabei als Geschwindigkeitsmesswert eine mittlere Geschwindigkeit im Messbereich.
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Dabei sind die Objektpunkte gemessene Werte, die Entfernungswerte der daraus gebildeten Objekte berechnete Werte.
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Der implantierte Messalgorithmus, über den die Messwertbildung erfolgt, betrachtet dabei den Messbereich, den die Bauartzulassung mit 20 bis 50 Meter angibt. Im Vorfeld und Nachfeld werden jedoch ebenso Rohdaten erfasst, die Eingang in die Messwertbildung finden, indem sie, vom Messalgorithmus nicht dahingehend geprüft sind, ob sie im Messbereich erfasst wurden und erst dort zu Objekten gebündelt wurden. Das bedeutet, das Gerät prüft im zugelassenen Messbereich nicht, ob originäre Messwerte (Weg - und Zeitangaben) oder bereits veränderte, geglättete, angepasste oder korrigierte Daten zur Messwertbildung beitragen. Wie bereits ausgeführt, konnte der Vertreter der PTB die Frage, ob diese Art der Messwertbildung korrekt ist und zuverlässige Ergebnisse erbringt, mit anderen Worten, wie sich diese Tatsache tatsächlich auswirkt oder auswirken kann, nicht beantworten.
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Sie widerspricht jedenfalls der Bauartzulassung, wenn dort ausgeführt wird, dass außerhalb des Messbereichs detektierte Objektpunkte bei der Messwertbildung nicht berücksichtigt werden.
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Um die Größenordnung der Abweichungen, die vorkommen, zu nennen: die PTB gab diese im Juni 2016 mit 0,5 bis 1 Meter an, der Sachverständige Dipl. Ing. ... fand in der hier gegenständlichen Messreihe bei 5,2 Prozent der Messungen Abweichung über 50 Metern und bei 53 Prozent der Messungen Unterschreitung der 20 Meter. Die bis bekannte höchste Abweichung betrug 2,68 Meter.
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Dies bedeutet im Ergebnis, das Messgerät entspricht nicht der Bauartzulassung in wesentlichen Teilen, nämlich der Messwertermittlung. Oder umgekehrt, das Gerät misst anders als in der Bauartzulassung beschrieben.
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Daraus ergibt sich auch, dass bei jeder einzelnen Messung zu prüfen ist, ob die zur konkreten Messwertbildung beitragenden Rohdaten die Bedingungen der Bauartzulassung einhalten oder nicht.
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Diese Umstände wecken Zweifel, insbesondere, da es weder dem sachverständigen Zeugen ... von der Firma Vitronic noch dem Sachverständigen ... gelang darzutun, ob und wenn ja, inwieweit die Abweichungen Einfluss auf den ermittelten Messwert haben.
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Bedenklich erscheint die Aussage der PTB:.
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„Die in der Falldatei enthaltenen Rohdaten stellen Hilfsgrößen dar. Eine Auswertung dieser Hilfsgrößen kann für eine externe, nachträgliche Plausibilisierung des geeichten Geschwindigkeitsmesswerts herangezogen werden. Diese nachträgliche Plausibilisierung darf aber nicht überbewertet werden, denn die Hilfsgrößen bzw. eine Auswertung der Hilfswerte und die damit verbundenen Fehlereinflüsse wurden einerseits nicht im Rahmen der Bauartzulassung geprüft und bewertet….
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Selbst bei gültigen Messungen ist es denkbar, dass der mittels Rohdaten bestimmte Geschwindigkeitsmesswert mehr als die Verkehrsfehlergrenzen vom geeichten Geschwindigkeitswert abweicht.
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Wie ausgeführt, tragen diese Rohdaten zur Messwertbildung bei (entgegen der Bauartzulassung).
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Abschnitt 11 zu EO 18 - 11 limitiert die Verkehrsfehlergrenzen.§ 37 Abs. 2 MessEG führt § 13 Abs. 1 EO fort. Danach endet die Eichfrist unbeschadet der Ursache und Häufigkeit der Nichteinhaltung der Verkehrsfehlergrenzen.
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Solange die PTB die im Raum stehenden Fragen nicht hinreichend beantwortet, ist dem Gericht eine Entscheidung nicht möglich.

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Referenzen - Gesetze

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 47 Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten


(1) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen. (2) Ist das Verfahren bei Gericht anhängig und hält dieses eine Ahndung nicht fü

Mess- und Eichgesetz - MessEG | § 37 Eichung und Eichfrist


(1) Messgeräte dürfen nicht ungeeicht verwendet werden, 1. nachdem die in der Rechtsverordnung nach § 41 Absatz 1 Nummer 6 bestimmte Eichfrist abgelaufen ist oder2. wenn die Eichfrist nach Absatz 2 vorzeitig endet.Für Messgeräte, die nach den Vorschr

Referenzen

(1) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen.

(2) Ist das Verfahren bei Gericht anhängig und hält dieses eine Ahndung nicht für geboten, so kann es das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft in jeder Lage einstellen. Die Zustimmung ist nicht erforderlich, wenn durch den Bußgeldbescheid eine Geldbuße bis zu einhundert Euro verhängt worden ist und die Staatsanwaltschaft erklärt hat, sie nehme an der Hauptverhandlung nicht teil. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(3) Die Einstellung des Verfahrens darf nicht von der Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung oder sonstige Stelle abhängig gemacht oder damit in Zusammenhang gebracht werden.

(1) Messgeräte dürfen nicht ungeeicht verwendet werden,

1.
nachdem die in der Rechtsverordnung nach § 41 Absatz 1 Nummer 6 bestimmte Eichfrist abgelaufen ist oder
2.
wenn die Eichfrist nach Absatz 2 vorzeitig endet.
Für Messgeräte, die nach den Vorschriften des Abschnitts 2 in Verkehr gebracht wurden, beginnt die Eichfrist mit dem Inverkehrbringen; sie entsprechen geeichten Messgeräten für die Dauer der mit dem Inverkehrbringen beginnenden jeweiligen Eichfrist und bedürfen für die Dauer dieser Eichfrist keiner Eichung.

(2) Die Eichfrist endet vorzeitig, wenn

1.
das Messgerät die wesentlichen Anforderungen im Sinne des § 6 Absatz 2 nicht erfüllt, wobei anstelle der Fehlergrenzen nach § 6 Absatz 2 die in einer Rechtsverordnung nach § 41 Absatz 1 Nummer 1 bestimmten Verkehrsfehlergrenzen einzuhalten sind,
2.
ein Eingriff vorgenommen wird, der Einfluss aufdie messtechnischenEigenschaften des Messgeräts haben kann oder dessen Verwendungsbereich erweitert oder beschränkt,
3.
die vorgeschriebene Bezeichnung des Messgeräts geändert oder eine unzulässige Bezeichnung, Aufschrift, Messgröße, Einteilung oder Hervorhebung einer Einteilung angebracht wird,
4.
die in einer Rechtsverordnung nach § 30 Nummer 4 oder § 41 Absatz 1 Nummer 6 vorgeschriebenen Kennzeichen unkenntlich, entwertet oder vom Messgerät entfernt sind; dies ist nicht anzuwenden, wenn
a)
die Unkenntlichmachung, Entwertung oder Entfernung unter Aufsicht einer nach § 40 zuständigen Stelle durchgeführt werden und
b)
die unkenntlich gemachten, entwerteten oder entfernten Kennzeichen durch geeignete Kennzeichen der beaufsichtigenden Stelle ersetzt werden,
5.
das Messgerät mit einer Einrichtung verbunden wird, deren Anfügung nicht zulässig ist.

(3) Die Eichung erfolgt auf Antrag. Bei der Eichung können vorgelegte aktuelle Prüf- und Untersuchungsergebnisse berücksichtigt werden.

(4) Bei der Eichung sind grundsätzlich die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens geltenden wesentlichen Anforderungen nach § 6 Absatz 2 sowie die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden in § 7 genannten harmonisierten Normen, normativen Dokumente, technischen Spezifikationen oder Regeln zu Grunde zu legen. Soweit es zur Gewährleistung der Messrichtigkeit oder der Messbeständigkeit unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist, können bei der Eichung im Einzelfall die aktuellen Bedingungen zu Grunde gelegt werden; dies ist insbesondere vorzusehen, wenn die aktuellen Bedingungen für den Antragsteller weniger belastend sind.

(5) Absatz 2 Nummer 1, 2 und 4 gilt nicht für instand gesetzte Messgeräte, wenn

1.
das Messgerät nach der Instandsetzung die wesentlichen Anforderungen nach § 6 Absatz 2 erfüllt, wobei anstelle der Fehlergrenzen nach § 6 Absatz 2 die in einer Rechtsverordnung nach § 41 Absatz 1 Nummer 1 bestimmten Verkehrsfehlergrenzen einzuhalten sind,
2.
die erneute Eichung unverzüglich beantragt wird,
3.
die Instandsetzung durch ein in der Rechtsverordnung nach § 41 Absatz 1 Nummer 7 bestimmtes Zeichen des Instandsetzers kenntlich gemacht ist und
4.
der Instandsetzer die zuständige Behörde unverzüglich über die erfolgte Instandsetzung in Kenntnis gesetzt hat.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Nummer 2 dürfen Messgeräte, deren Software durch einen technischen Vorgang aktualisiert wurde, wieder verwendet werden, wenn die zuständige Behörde nach § 40 Absatz 1 dies auf Antrag genehmigt hat. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn

1.
die Eignung der Software und des Messgeräts für eine Aktualisierung seiner Software festgestellt wurde,
2.
hierfür eine Konformitätsbewertung vorliegt,
3.
die erfolgte Aktualisierung dauerhaft im Messgerät aufgezeichnet ist und
4.
eine Behörde nach Satz 1 das Vorliegen dieser Voraussetzungen durch eine Stichprobenprüfung überprüft hat.
Die Eichfristen des jeweiligen Messgeräts bleiben hiervon unberührt.