Amtsgericht Koblenz Urteil, 19. Sept. 2008 - 2010 Js 25005/08 - 34 OWi, 2010 Js 25005/08.34 OWi
Gericht
Tenor
[Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde vom Gericht nicht mitgeteilt]
Tatbestand
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Der Betroffene ist Berufskraftfahrer. Im November 2007 nahm er mit einem LKW seines Arbeitgebers, der Firma […], mehrere Fahrten zum Einsammeln von Altpapier im Rahmen der Hausmüllabfuhr vor. Dazu war der Firma […] von dem Regiebetrieb Abfallwirtschaft als zuständiger Behörde des Eifelkreises Bitburg Prüm die Aufgabe der Hausmüllabfuhr insoweit gemäß § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG übertragen worden. Eine Kontrolle der Einhaltung der Sozialvorschriften im Straßenverkehr fand jedoch durch den Regiebetrieb Abfallwirtschaft nicht statt.
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Die SGD Nord erließ gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid, da dieser im Rahmen der o.g. Fahrten wiederholt die zulässigen Lenkzeiten nach 5 – 9 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 sowie der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 nicht eingehalten hat.
Entscheidungsgründe
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Der Betroffene war aus rechtlichen Gründen von den Vorwürfen der Verstöße gegen das Fahrpersonalgesetz i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 und der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 freizusprechen.
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Gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 8 FPersV waren die Art. 5 – 9 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 und die Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 auf die vom Betroffenen vorgenommenen Fahrten nicht anwendbar.
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Nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 8 FPersV sind ausgenommen „Fahrzeuge, die von den zuständigen Stellen für Kanalisation, Hochwasserschutz, Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung, von den Straßenbauämtern, der Hausmüllabfuhr, den Telegramm- und Telefonanbietern, Radio- und Fernsehsendern sowie zur Erfassung von Radio- beziehungsweise Fernsehsendern und -geräten verwendet werden“.
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Es erscheint zunächst schon zweifelhaft, ob dies überhaupt so ausgelegt werden kann, dass mit dieser Ausnahme „Fahrzeuge, die von den zuständigen Stellen für Hausmüllabfuhr verwendet werden“ gemeint sind, oder ob es nicht vielmehr heißen muss, dass „Fahrzeuge, die von der Hausmüllabfuhr verwendet werden“, gemeint sein müssen.
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Sprachlich ergibt nur letzteres einen Sinn: Der Begriff der „zuständigen Stellen“ endet nach dem Wortlaut der Vorschrift bei den zuständigen Stellen für Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung. Die Verwendung des Artikels „den“ bei den danach folgenden Telegramm- und Telefonanbietern wäre andernfalls sprachlicher Unsinn, es gibt keine „zuständigen Stellen für den Telegramm- und Telefonanbietern“. Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift müsste hier also entschieden werden, dass der Betroffene freizusprechen wäre. Zur Hausmüllabfuhr wurde das Fahrzeug schließlich in jedem Fall eingesetzt.
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Allerdings gibt die Fahrpersonalverordnung an dieser Stelle nur den Wortlaut der deutschen Fassung des Artikel 4 Nr. 6 der Verordnung (EWG) 3820/85 wieder.
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Der Europäische Gerichtshof hat zu diesem Artikel bereits in einem Urteil vom 21.03.1996 entschieden, dass unter Beförderungen mit „Fahrzeugen, die von den zuständigen Stellen der Müllabfuhr eingesetzt werden“ Beförderungen mit Fahrzeugen zu verstehen sind, die „im Rahmen einer im öffentlichen Interesse liegenden Dienstleistung, die unmittelbar von den Behörden oder unter ihrer Kontrolle von Privatunternehmen erbracht wird, für die Abholung von Abfällen aller Art, die keiner Sonderregelung unterliegen, und für deren Weitertransport im Nahbereich eingesetzt sind“.
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Ausgehend von der deutschen Fassung der Vorschrift bedeutet dies, dass der EuGH schlicht ohne auch nur das geringste Wort über die o.g. Probleme des Wortlautes hinweg geht.
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Auch die Anforderungen, die der EuGH an die Anwendung der Ausnahmeregelung gestellt hat, sind aber hier erfüllt:
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Allerdings ist dem […] Ergebnisvermerk der Bund-/Länderreferentenbesprechung am 09.10.2007 und am 10.10.2007 in Magdeburg zu entnehmen, dass man dort zu der Auffassung gekommen sei, die Ausnahmeregelung sei nur dann gegeben, wenn eine behördliche Überwachung der Einhaltung der Schutzbestimmungen gewährleistet sei. Im vorliegenden Fall findet jedoch nach Auskunft der zuständigen Abfallbehörde gerade keine Überwachung der Fahrzeiten oder der übrigen Sozialvorschriften im Straßenverkehr statt; die Behörde hat vielmehr ausdrücklich die „Fachbehörde“ als zuständig angesehen. Tatsächlich ist die Auffassung der Bund-/Länderreferentenbesprechung unter diesem Aspekt auch durchaus nachvollziehbar: Dadurch, dass die für die Abfallentsorgung zuständige Behörde die Kontrolle der Sozialvorschriften gerade nicht durchführt, wäre bei Geltung der Ausnahmeregelung des § 18 FPersV faktisch gar keine Kontrolle mehr vorhanden. Der Auftragnehmer einer städtischen Abfallentsorgungsbehörde wäre dadurch also praktisch von der Einhaltung von Sozialvorschriften zwar nicht befreit, Verstöße würden aber auch mangels Kontrolle niemals geahndet.
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Die Auffassung der Bund-/Länderreferentenbesprechung lässt sich aber wiederum mit dem Wortlaut der Entscheidung des EuGH nicht in Einklang bringen: Der EuGH hat gerade nicht darauf abgestellt, ob die jeweilige Fahrt unter der Kontrolle der Behörden erfolgt. Die Rede ist vielmehr davon, dass die im öffentlichen Interesse liegende allgemeine Dienstleistung unter der Kontrolle der Behörde erbracht werden muss. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt: Die Altpapierabfuhr als solche wird von der Firma […] unter der Kontrolle der zuständigen Behörde des Landkreises Bitburg-Prüm erbracht.
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Insoweit ist zu berücksichtigen, dass nach § 16 Abs. 1 Krw-/AbfG die Behörde zwingend auch bei der Beauftragung Dritter verantwortlich ist für die Erfüllung ihrer Pflichten. Zudem ist die Zuverlässigkeit eines solchen Dritten von der Behörde zu prüfen. In diesen Rahmen fügt es sich auch ein, dass in der Abstimmungsvereinbarung zwischen dem Landkreis Bitburg-Prüm und der „Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland GmbH“ in § 6 ausdrücklich vorgesehen ist, dass dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger das Recht vorbehalten bleibt, dem Systembetreiber oder dem von ihm beauftragten Unternehmen unmittelbar Weisungen zu erteilen. Dies ist hier für das Verhältnis zwischen der Firma […] und dem Regiebetrieb Abfallwirtschaft des Eifelkreises Bitburg-Prüm deshalb relevant, weil wiederum auch Teile des Altpapiers Verpackungsabfälle im Sinne dieser Abstimmungsvereinbarung darstellen.
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Doch auch unabhängig von diesem deutschen Wortlaut führt auch eine Überprüfung des Urteils des EuGH nach Sinn und Zweck zum selben Ergebnis. Es ist nämlich zu bedenken, dass die betreffende Vorschrift der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 in ihrer englischen Fassung den Begriff der „zuständigen Stellen“ überhaupt nicht kennt und stattdessen schlicht lautet „This regulation shall not apply to carriage by vehicles used in connection with the sewerage, flood protection, water, gas and electricity services, highway maintenance and control, refuse collection and disposal, telegraph and telephone services, carriages of postal articles, radio and television broadcasting, and the detection of radio or television transmitters or receivers.“
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Ausgehend von diesem englischen Wortlaut fügt der EuGH also der Verordnung mit seiner Entscheidung eine bis dato nicht ausdrücklich festgehaltene Einschränkung hinzu:
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Nach diesem Wortlaut waren eigentlich ausnahmslos alle Fahrzeuge, die im Zusammenhang mit der Müllabfuhr eingesetzt wurden, ausgenommen. Nach dem EuGH dagegen nun nur noch solche Fahrzeuge, bei denen diese Verwendung „unter behördlicher Kontrolle“ geschieht.
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Der EuGH darf sich jedoch nicht selbst als Gesetzgeber betätigen. Die Erweiterung der Vorschrift kann demnach, will man dem EuGH nicht unterstellen, bewusst drastisch seine Kompetenzen überschritten zu haben, nur äußerst restriktiv ausgelegt werden: Der EuGH kann demnach nur gemeint haben, das die Ausnahme eben nicht solche Fahrzeuge erfassen soll, die von Privatunternehmen zur Abfahrt des eigenen Mülls verwendet werden; keineswegs konnte der EuGH von sich aus anordnen, dass nur solche Fahrzeuge von der Ausnahme erfasst werden, die wirklich durchgehend unter Aufsicht einer Behörde stehen.
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Auch eine teleologische Auslegung der Ausnahmevorschrift führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Insoweit hat der EuGH bereits vorgegeben, Sinn und Zweck der Sozialvorschrift sei es, die Harmonisierung der Bedingungen des Wettbewerbs zu fördern sowie die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern. Zweck der Ausnahmeregelung sei es dagegen, wegen der kurzen Fahrtstrecken im Rahmen der dem Allgemeininteresse dienenden Müllabfuhr, bei denen „Beförderung“ hinter „Abfuhr“ zurücktrete, eine Vereinfachung zu bieten, welche zudem flexibler sein solle als die vorherige Ausnahmeregelung, die wiederum nur für Fahrzeuge gegolten habe, die „von den Trägern öffentlicher Gewalt zu öffentlichen Zwecken eingesetzt werden“. Demnach wäre aber Kern der Ausnahmeregelung, dass eben die Fahrt als solche dem Allgemeininteresse dient und nur kurze Fahrtstrecken betrifft. Nicht entscheidend ist, ob die Fahrt vollständig unter der Kontrolle eben der Abfallsbehörde steht und somit die Anwendung der Sozialvorschriften mit der dadurch bedingten zusätzlichen Kontrolle durch die dafür zuständige Behörde eine doppelte Kontrolle wäre.
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[…]
Annotations
(1) Nach Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 und nach Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 werden im Geltungsbereich des Fahrpersonalgesetzes folgende Fahrzeugkategorien von der Anwendung der Artikel 5 bis 9 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 und der Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 ausgenommen:
- 1.
Fahrzeuge, die im Eigentum von Behörden stehen oder von diesen ohne Fahrer angemietet oder geleast sind, um Beförderungen im Straßenverkehr durchzuführen, die nicht im Wettbewerb mit privatwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen stehen, - 2.
Fahrzeuge, die von Landwirtschafts-, Gartenbau-, Forstwirtschaft- oder Fischereiunternehmen zur Güterbeförderung, insbesondere auch zur Beförderung lebender Tiere, im Rahmen der eigenen unternehmerischen Tätigkeit in einem Umkreis von bis zu 100 Kilometern vom Standort des Unternehmens verwendet oder von diesen ohne Fahrer angemietet werden, - 3.
Land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen, die für land- oder forstwirtschaftliche Tätigkeiten in einem Umkreis von bis zu 100 Kilometern vom Standort des Unternehmens verwendet werden, das das Fahrzeug besitzt, anmietet oder least, - 4.
Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen mit einer zulässigen Höchstmasse von nicht mehr als 7,5 Tonnen, die von Postdienstleistern, die Universaldienstleistungen im Sinne des § 1 Absatz 1 der Post-Universaldienstleistungsverordnung vom 15. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2418), die zuletzt durch Artikel 3 Absatz 26 des Gesetzes vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung erbringen, in einem Umkreis von 100 Kilometern vom Standort des Unternehmens zum Zwecke der Zustellung von Sendungen im Rahmen des Universaldienstes verwendet werden, soweit das Lenken des Fahrzeugs nicht die Haupttätigkeit des Fahrers darstellt, - 5.
Fahrzeuge, die ausschließlich auf Inseln mit einer Fläche von nicht mehr als 2 300 Quadratkilometern verkehren, die mit den übrigen Teilen des Hoheitsgebiets weder durch eine befahrbare Brücke, Furt oder einen befahrbaren Tunnel verbunden sind, - 6.
Fahrzeuge, die im Umkreis von 100 Kilometern vom Standort des Unternehmens zur Güterbeförderung mit Druckerdgas-, Flüssiggas- oder Elektroantrieb verwendet werden und deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 7,5 Tonnen nicht übersteigt, - 7.
Fahrzeuge, die zum Fahrschulunterricht und zur Fahrprüfung zwecks Erlangung der Fahrerlaubnis oder eines beruflichen Befähigungsnachweises dienen, sofern diese Fahrzeuge nicht für die gewerbliche Personen- oder Güterbeförderung verwendet werden, - 8.
Fahrzeuge, die in Verbindung mit der Instandhaltung von Kanalisation, Hochwasserschutz, Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung, Straßenunterhaltung und -kontrolle, Hausmüllabfuhr, Telegramm- und Telefondienstleistungen, Rundfunk und Fernsehen sowie zur Erfassung von Radio- beziehungsweise Fernsehsendern oder -geräten eingesetzt werden, - 9.
Fahrzeuge mit zehn bis 17 Sitzen, die ausschließlich zur nicht gewerblichen Personenbeförderung verwendet werden, - 10.
Spezialfahrzeuge, die zum Transport von Ausrüstungen des Zirkus- oder Schaustellergewerbes verwendet werden, - 11.
speziell für mobile Projekte ausgerüstete Fahrzeuge, die hauptsächlich im Stand zu Lehrzwecken verwendet werden, - 12.
Fahrzeuge, die innerhalb eines Umkreises von bis zu 100 Kilometern vom Standort des Unternehmens zum Abholen von Milch bei landwirtschaftlichen Betrieben, zur Rückgabe von Milchbehältern oder zur Lieferung von Milcherzeugnissen für Futterzwecke an diese Betriebe verwendet werden, - 13.
Spezialfahrzeuge für Geld- und/oder Werttransporte, - 14.
Fahrzeuge, die in einem Umkreis von 250 Kilometern vom Standort des Unternehmens zum Transport tierischer Nebenprodukte im Sinne des Artikels 3 Nummer 1 der Verordnung (EG) Nr. 1069/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1774/2002 (Verordnung über tierische Nebenprodukte) (ABl. L 300 vom 14.11.2009, S. 1) in der jeweils geltenden Fassung verwendet werden, - 15.
Fahrzeuge, die ausschließlich auf Straßen in Güterverteilzentren wie Häfen, Umschlaganlagen des Kombinierten Verkehrs und Eisenbahnterminals verwendet werden, und - 16.
Fahrzeuge, die innerhalb eines Umkreises von bis zu 100 Kilometern vom Standort des Unternehmens für die Beförderung lebender Tiere von den landwirtschaftlichen Betrieben zu den lokalen Märkten und umgekehrt oder von den Märkten zu den lokalen Schlachthäusern verwendet werden.
(2) Abweichend von Artikel 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 beträgt bei Beförderungen in einem Umkreis von 50 Kilometern vom Standort des Fahrzeugs das Mindestalter der Beifahrer zum Zwecke der Berufsausbildung 16 Jahre.