SGD S 25 KA 319/98
Tatbestand:
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger eine Zulassung als praktischer Arzt für den Bereich Umweltmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk Neuss beanspruch kann.
3Der Kläger hat im Februar 1986 als Arzt approbiert. Seit Oktober 1995 führt er die Gebietsbezeichnung praktischer Arzt, seit April 1997 auch die Zusatzbezeichnung Umweltmedizin.
4Seinen im April 1997 gestellten Antrag auf Zulassung im Rahmen des Sonderbedarfsverfahrens zur vertragsärztlichen Versorgung als praktischer Arzt mit der Zusatzbezeichnung Umweltmedizin für die ausschließende Tätigkeit in der Umweltmedizin wurde vom Zulassungsausschuss für Ärzte Düsseldorf mit Beschluss aus der Sitzung vom 20.11.1997 abgelehnt. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, ein besonderer Versorgungsbedarf im Sinne von Ziffer 24 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte) liege nicht vor. Im Hinblick auf die Anzahl der im Bereich der Kreisstelle Neuss niedergelassenen praktischen Ärzte sowie Ärzte für Allgemeinmedizin und zwei weiterer Ärzte, Herrn E und Herrn L, welche die Versorgung auch mit den als Sonderbedarf geltend gemachten Leistungen grundsätzlich sicherstellten, sei ein besonderer Versorgungsbedarf zu verneinen. Nach Informationen des Zulassungsausschusses seien zahlreiche weitere Ärzte, auch aus dem Kreis Neuss, zur Zeit in der Weiterbildung und kämen zusätzlich in Kürze für die Versorgung mit dem beantragten Sonderbedarf in Frage. Ferner stünden für diese hochspeziellen Leistungen auch Ärzte aus den benachbarten Regionen Düsseldorf und Mönchengladbach zur Verfügung. Es sei den Versicherten durchaus zumutbar, für diese hochspeziellen Leistungen auch etwas weitere Fahrtstrecken zurückzulegen.
5Hiergegen hat der Kläger Widerspruch erhoben und geltend gemacht, nachprüfbare Zahlen im Bereich Neuss seien nicht genannt worden. Der Sonderbedarf ergebe sich schon aus der Umweltmedizin-Vereinbarung in Nordrhein vom 01.10.1995, wonach bestimmte Sonderleistungen nur durch Ärzte mit spezieller Qualifikation im Bereich der Umweltmedizin erbracht werden sollten. Weder in Neuss noch in Düsseldorf noch in Mönchengladbach seien ausreichend qualifizierte bzw. zahlenmäßig ausreichende Ärzte im Sinne der Umweltmedizin-Vereinbarung vorhanden. Der Beigeladene zu 6) hat im Widerspruchsverfahren dargelegt, dass 4 Ärzte aus Neuss, 6 Ärzte aus Mönchengladbach sowie 15 Ärzte aus Düsseldorf über die Genehmigung zur Teilnahme an der Umweltmedizin-Vereinbarung verfügten. Den Widerspruch des Klägers hat der Beklagte in seiner Sitzung vom 03.06.1998 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, nach Abschnitt 5 Nr. 24b der Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte setze die Zulassung voraus, dass ein besonderer Versorgungsbedarf bestehe. Ferner müsse der Versorgungsbedarf dauerhaft erscheinen. Beide Voraussetzungen lägen nicht vor. Dass generell ein Versorgungsbedarf auf dem Gebiet der Umweltmedizin gegeben sei, stehe außer Frage. Die Umweltmedizin als Teilgebiet sei jedoch nach den Zuordnungsrichtlinien der Ärztekammer Nordrhein einer Reihe von Fachgebieten zugeordnet, neben der Allgemeinmedizin u. a. der inneren Medizin, der Gynäkologie, der Kinderheilkunde sowie dem Fachgeiet Haut- und Geschlechtskrankheiten. Für die Bedarfsbeurteilung sei aber grundsätzlich davon auszugehen, dass Ärzte mit Gebietsbezeichnungen nach ärztlichem Berufsrecht alle Leitungen ihres Gebietes erbringen dürften, auch wenn es sich um solche handele, die in ein Teilgebiet des Faches fielen. Für eine Sonderbedarfszulassung sei deshalb nur dann Raum, wenn die niedergelassenen Gebietsärzte tatsächlich keine umweltmedizinischen Leistungen erbrächten. Dies sei nach den unwidersprochen geblieben Darlegungen im angefochtenen Beschluss nicht der Fall. Der Kläger selbst leite nach seinen Erklärungen in der mündlichen Verhandlung den besonderen Versorgungsbedarf auch allein aus dem Bestehen der umweltmedizinischen Vereinbarung her. Ein etwaiger besonderer Versorgungsbedarf erscheine auch nicht als dauerhaft. Zum einen sei damit zu rechnen, dass in absehbarer Zeit niedergelassene Ärzte aus dem Planungsbereich die Voraussetzungen zur Teilnahme an der Umweltmedizin-Vereinbarung schafften. Zum anderen seien die derzeit bestehenden Vereinbarungen zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein und den Landessverbänden der Krankenkassen über qualitätssichernde und strukturverbessernde Maßnahmen auf dem Gebiet der Umweltmedizin durch Befristungen so gestaltet, dass sie zur Zeit keine Gewähr für eine dauerhafte Regelung auf dem Gebiet der Umweltmedizin böten.
6Gegen diesen dem Kläger am 18.06.1998 zugestellten Beschluss richtet sich die Klage vom 17. des Folgemonats. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, der Beklagte stelle im angefochtenen Bescheid selbst fest, dass ein Versorgungsbedarf im umweltmedizinischen Bereich außer Frage stehe. Hieraus folge, dass der Beklagte den Kläger schon aufgrund dieser Feststellung zur vertragsärztlichen Versorgung habe zulassen müssen. Zumindest habe er aber prüfen müssen, wieviele Ärzte mit der Zusatzbezeichnung "Umweltmedizin" im maßgeblichen Planungsbezirk Neuss niedergelassen seien, um diesen Bedarf zu stillen. Für umweltmedizinische Leistungen sehe die Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Nordrhein eine eigenständige Zusatzbezeichnung vor. Zum Führen einer solchen Zusatzbezeichnung sei außer dem Kläger jedoch keiner der im maßgeblichen Planungsbezirk niedergelassenen Ärzte berechtigt. Ein Versorgungsbedarf in diesem Bereich sei auch dauerhaft, weil nicht absehbar sei, wann und wieviele Ärzte sich mit der Zusatzbezeichnung "Umweltmedizin" im Planungsbezirk niederlassen würden. Er selbst bekomme wöchentlich etwa zwei bis drei Anfragen von Patienten wegen umweltmedizinischen Leistungen, die er dann an niedergelassene Vertragsärzte verweisen müsse.
7Der Kläger beantragt,
8den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des beklagten Berufungsausschusses vom 16.06.1998 –zugestellt am 18.06.1998- zu verurteilen, den Kläger als praktischen Arzt für den Bereich Umweltmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk Neuss zuzulassen, hilfsweise den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 16.6.1998 zu verurteilen, den Antrag des Klägers auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
9Der Beklagte hat schriftlich beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Er hält den angefochtenen Beschluss für rechtmäßig und trägt vor, es sei rechtlich ohne Belang, dass im Planungsbereich Neuss bisher kein Arzt mit der Zusatzbezeichnung Umweltmedizin zugelassen sei. Ferner sei unzutreffend, dass umweltmedizinische Leistungen nur von denjenigen Ärzten erbracht werden könnten, die berechtigt seien, diese Zusatzbezeichnung zu führen. Der Versorgungsbedarf werde auch tatsächlich durch die niedergelassenen Ärzte sichergestellt.
12Die Beigeladenen zu 3) sowie 6) bis 8) haben sich dem Antrag und Vortrag des Beklagten angeschlossen.
13Der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1) bis 5) sind in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten worden.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die den Kläger betreffende Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
15Entscheidungsgründe:
16Obwohl der Beklagte und die Beigeladenen zu 1) bis 5) in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten worden sind, konnte das Gericht verhandeln und entscheiden. Denn sämtliche Beteiligte sind in der rechtzeitig und ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
17Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und im Sinne des Hilfsantrags auch begründet.
18Denn der angefochtene Bescheid des Beklagten ist nicht ausreichend begründet, so dass eine Neubescheidung erforderlich ist. Die vom Kläger begehrte Sonderbedarfszulassung setzt nach dem 5. Abschnitt Nr. 24b der Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte voraus, dass ein besonderer Versorgungsbedarf vorliegt, wie er durch den Inhalt des Schwerpunkts, einer fakultativen Weiterbildung oder einer besonderen Fachkunde für das Facharztgebiet nach der Weiterbildungsordnung beschrieben ist. Voraussetzung für eine Zulassung ist, dass die ärztlichen Tätigkeiten des qualifizierten Inhalts in dem betreffenden fachärztlichen Planungsbereich nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen und dass der Arzt die für den besonderen Versorgungsbedarf erforderlichen Qualifikationen durch die entsprechende Facharztbezeichnung sowie die besondere Arztbezeichnung der Qualifikation (Schwerpunkt, fakultative Weiterbildung, Fachkunde) nachweist. Hinsichtlich der Prüfung der Versorgungslage und der Ermittlung eines entsprechenden Bedarfs steht den Zulassungsgremien nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19.03.1997 -6 RKa 43/96-). Ob und inwieweit eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten durch die zugelassenen Vertragsärzte gewährleistet ist, könne auch die fachkundigen und ortsnahen Zulassungsinstanzen oft nur ungefähr einschätzen. Soweit sich die Entscheidungen der Zulassungsausschüssse im Rahmen der ungefähren Richtigkeit halten, sind sie deswegen als rechtmäßig anzusehen. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich im Rahmen des den Zulassungsinstanzen zustehenden Beurteilungsspielraums darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs gegebenen Grenzen eingehalten hat und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlich hat, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist. Untere Anlegung dieser Maßstäbe stellt sich der angefochtene Beschluss nicht als rechtmäßig dar. Konkrete Ausführungen des Beklagten zum Bedarf an umweltmedizinischen Leistungen im Planungsbereich Neuss fehlen. Dieser hat lediglich dargelegt, dass generell ein Versorgungsbedarf auf dem Gebiet der Umweltmedizin gegeben sei. Auf Seite 4 des angefochtenen Bescheides ist von einem "etwaigen besonderen Versorgungsbedarf" die Rede. Unstreitig ist der Kläger der einzige Arzt im Planungsbereich, der über die Zusatzbezeichnung Umweltmedizin verfügt. Der Beklagte hat insoweit ersichtlich nicht geprüft, welche Ärzte im Planungsbereich Neuss eine vergleichbare Qualifikation aufweisen und ob diese im Planungsbereich umweltmedizinische Leistungen anbieten und erbringen. Zu Recht hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass der besondere Versorgungsbedarf, dessen Voraussetzungen er noch zu prüfen haben wird, dauerhaft erscheinen muss. So bestimmt der 5. Abschnitt Nr. 24, letzter Absatz der Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte, dass die Sonderbedarfszulassung voraussetzt, dass der Versorgungsbedarf dauerhaft erscheint. Bei vorübergehendem Bedarf ist von der Möglichkeit der Ermächtigung Gebrauch zu machen. Der Beklagte hat insoweit ausgeführt, es sei damit zu rechnen, dass in absehbarer Zeit niedergeladene Ärzte aus dem Planungsbereich die Voraussetzungen zur Teilnahme an der Umweltmedizin-Vereinbarung schaffen würden. Aufgrund welcher Fakten der Beklagte dies angenommen hat, ist nicht ersichtlich und daher nicht nachvollziehbar. Sofern der Beklagte ferner darauf hingewiesen hat, dass die derzeit bestehenden Vereinbarungen zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein und den Landesverbänden der Krankenkassen über qualitätssichernde und strukturverbessernde Maßnahmen auf dem Gebiet der Umweltmedizin durch Befristungen so gestaltet seien, dass sie zur Zeit keine Gewähr für eine dauerhafte Reglung auf dem Gebiet der Umweltmedizin böten, ist darauf hinzuweisen, dass die sogenannte Umweltmedizin-Vereinbarung (mit Vergütungsregelungen) immerhin ab 01.10.1995 in Kraft ist und zunächst bis Ende Dezember 1999 verlängert wurde.
19Der Beklagte wird deshalb über den Widerspruch des Klägers mit einer konkreteren und nachvollziehbaren Begründung zu entscheiden haben, wobei er zweckmäßigerweise in seine Überlegungen mit einbeziehen sollte, ob die Umweltmedizin-Vereinbarung für die Zeit ab 2000 weiterhin verlängert wird.
20Die Kostenentscheidung aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
ra.de-Urteilsbesprechung zu SGD S 25 KA 319/98
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