Europarecht

30/01/2007 16:39

Ein Deutscher sucht einen Zahnarzt im nahegelegenen Stettin auf. Trägt seine Krankenkasse die Kosten?

In den meisten Fällen, ja.

Im Rahmen der Vollstreckung gegen seinen Schuldner möchte der deutsche Vollstreckungsgläubiger auf die Besitzungen des Schuldners in Frankreich zurückgreifen. Geht das?

Ja. Es wird sogar durch die neue Verordnung zum Europäischen Vollstreckungstitel vereinfacht.

Es handelt sich bei diesen Fällen klassischerweise um solche, die sich mit Hilfe des Europarechts in den Griff kriegen lassen. Doch was genau versteht man unter Europarecht? Welche Bereiche sind davon abgedeckt?

Unter Europarecht versteht man in der Lehre das Recht der europäischen internationalen Organisationen. Als zentrales Rechtsgebiet hat sich das Recht der Europäischen Gemeinschaften herausgebildet, die heute die Grundlage der Europäischen Union bilden (vgl. Art. 1 EUV). Es ist eben dieses supranationale Konstrukt, welches durch seine verschiedenartigen Regelungen auf unser alltägliches Leben in zunehmender Weise an Einfluss gewinnt. Die Rechtsquellen des Europarechts als Gemeinschaftsrecht teilen sich dabei grob in zwei Hauptgruppen. Zum einen die Rechtsnormen des Gründungsvertrages an sich. Auch diese Regelungen sind in der Lage den EU-Bürger Rechte zu verschaffen bzw. zu verpflichten. Die wohl bekanntesten primärrechtlichen Regelungen darunter dürften die Grundfreiheiten  insbesondere die Warenverkehrs-, die Niederlassungs- und die Arbeitnehmerfreiheit sein. Auf diese Rechte kann sich jeder EU-Bürger unmittelbar berufen.

Zum anderen erlässt die europäische Gemeinschaft gemäß Art. 249 EG durch ihre Institutionen Rechtsnormen, im Besonderen Richtlinien und Verordnungen. Beide Rechtsinstrumente verpflichten zwar formell den Mitgliedstaat in der Weise, dass er sie in innerstaatliches Recht umzusetzen hat, in der Praxis sind Verordnungen aber schon per definitionem direkt anzuwendendes Recht. Dazu kommt noch, dass infolge der wohlwollenden Rechtssprechung des EuGH auch Richtlinien unter nicht allzu strengen Voraussetzungen bereits unmittelbare Wirkung entfalten können. Aufgrund der Regelungsfreudigkeit der europäischen Institutionen verwundert es nicht weiter, dass der bei weitem größte Teil der im Bundestag verabschiedeten Gesetze heutzutage auf EU-Vorgaben beruht.

War der Regelungsbereich dieser Rechtsetzung in der Gründungsfase der Europäischen Gemeinschaften noch auf den klassisch wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich der Mitgliedstaaten und deren Bürger beschränkt, so ist man in Zwischenzeit zunehmend zu einer recht großzügigen Handhabung dieser Bereichsdefinition übergegangen. Somit zählen z.B. auch kulturpolitische Maßnahmen wie die Organisation von Studienaustauschprogrammen in den europäischen Regelungsbereich einer „wirtschaftlichen Integration“.     

Die inhaltlichen und institutionellen Reformen der Verträge von Amsterdam und Nizza haben schließlich weite Teile der intergubernamentalen Zusammenarbeit „vergemeinschaftet“ d.h. dem Regelungsbereich der Institutionen der europäischen Gemeinschaft unterworfen. Die Folge ist z.B. eine Regelungskompetenz der europäischen Institutionen im Bereich der Polizeilichen und Justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen.

Ein letzter Rückschlag für den Europäischen Einigungsprozess war schließlich das Scheitern der Europäischen „Verfassung“ an den Referenden u.a. in Frankreich. Hierin ist wohl nicht zuletzt auch ein Signal für ein Umdenken und eine Reform des Europäischen Integrationsprozesses zu sehen. Das „Europäische Volk“ scheint wohl nicht zuletzt auch wegen der kürzlich erfolgten bedeutsamen Erweiterung der Europäischen Union eine Verlangsamung der Integrationsprozesses zu befürworten.  

Für uns ist es unerläßlich, dass wir die Rechtsentwicklung in der EU zeitnah und intensiv verfolgen. Nur dadurch können wir einen sinnvollen Standard für die Lösung Ihrer Rechtsprobleme sicher stellen.


 

 


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