vorgehend
Landgericht Berlin, 2, 4 Js 45/18
Landgericht Berlin, 16, Ss 186/18

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 677/18
vom
23. Oktober 2019
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2019:231019U5STR677.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Oktober 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger, Köhler
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 31. August 2018 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft zielt mit der Sachrüge auf eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags und schwerer Körperverletzung. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
Der Nebenkläger gehörte wie der Angeklagte und der Zeuge D. einer Personengruppe an, innerhalb derer regelmäßig Alkohol im Übermaß getrunken wurde. Er war überzeugt, dass D. ihm im Juli 2017 bei einer Geburtstagsfei- er 150 € gestohlen habe. Bei nachfolgenden Treffen forderte er ihn immer wie- der zur Zahlung auf. D. wies die Forderung stets als unberechtigt zurück. Ungeachtet dessen trafen sich beide weiterhin und tranken miteinander.D. berichtete unter anderem seinen Bekannten K. und L. von den unberechtigten Zahlungsaufforderungen und seiner Angst vor dem ihm körperlich überlegenen und unter Alkohol aggressiven Nebenkläger.
4
Am Vormittag des 6. Februar 2018 kündigte der Nebenkläger dem Zeugen D. sein Kommen an und erneuerte aufgebracht die Zahlungsforderung. Dadurch bedrängt bat D. den Zeugen K. telefonisch um Hilfe, der ihn an den Angeklagten verwies. Der Nebenkläger erschien gegen Mittag in der Wohnung D. s. Nach anfänglich freundlicher Unterhaltung und gemeinsamem Alkoholkonsum verlangte er abermals energisch die Zahlung der 150 €, die D. erneut verweigerte. Telefonisch bat D. den Angeklagten um Hilfe, die dieser zusagte. Gegen 14:30 Uhr traf der Angeklagte in der Wohnung ein.
5
In der Folge tranken die drei Männer Alkohol. Nach einer weiteren Zah- lungsforderung des Nebenklägers wies der „großgewachsene, hünenhafte“ An- geklagte diesen lautstark an, D. nicht weiter zu belangen, da er sonst Probleme mit ihm bekomme. Der Nebenkläger verließ daraufhin die Wohnung. Der Angeklagte und D. blieben und tranken weiter.
6
Gegen 20 Uhr kam der Nebenkläger zurück. Es wurde „in zunächst noch friedlicher Stimmung Alkohol“ getrunken. Dann verlangte der Nebenkläger ein weiteres Mal die 150 € und drohte D. , dass er ihn bei Nichtzahlung schlagen werde. Alle Anwesenden waren mittlerweile stark alkoholisiert. In aggressiver Stimmung drängte der Nebenkläger gegen 22 Uhr von Neuem auf Zahlung. Darüber verärgert ergriff der aufgrund vorangegangenen Alkohol- und Amphetamin - sowie Medikamentenkonsums in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigte Angeklagte den sitzenden Nebenkläger am Hemdkragen, zog ihn hoch und versetzte ihm mindestens zwei heftige Faustschläge. Der Nebenkläger ging zu Boden und blieb mit dem Gesicht nach unten liegen. Nun trat ihm der Angeklagte mit seinen beschuhten Füßen mindestens zweimal „von oben stampfend auf den Hinterkopf“, wobei er mit einer Stahlkappe verstärkte Ar- beitsschuhe trug. Mögliche tödliche Folgen für den Nebenkläger erkannte er und nahm sie billigend in Kauf.
7
Nach den Tritten ließ der Angeklagte vom Nebenkläger ab, weil er sein Ziel erreicht hatte, ihn zur Ruhe zu bringen. Ihm war bewusst, dass der laut röchelnde Nebenkläger noch lebte. Er und D. setzten sich auf das Sofa und tranken weiter Bier. „Die Ernsthaftigkeit der Verletzungen des Zeugen nahmen die beiden aufgrund ihrer alkoholischen Beeinflussung nicht wirklich wahr“ (UA S. 14).
8
Der Zeuge K. hatte während der Tat in telefonischem Kontakt mit dem Angeklagten oder D. gestanden und Teile der Auseinandersetzung sowie Hilferufe des Nebenklägers über das Telefon mitverfolgt. Er alarmierte fernmündlich den Zeugen L. , einen Nachbarn D. s. L. suchte nach eigener Heimkehr „kurz darauf“ die Wohnung D. s auf und fand den Neben- kläger am Boden liegend vor. Angesichts der „mittlerweile entstandenen Blutla- che“ schrie er die Anwesenden an, ob sie „bescheuert“ seien, und fragte, ob sie schon die Rettung herbeigerufen hätten. Als er die Wohnung verlassen wollte, stellte der Angeklagte sich ihm in den Weg. Er „raunzte ihm halbherzig zu: ,Keine Bullen!‘“ und hielt die Wohnzimmertür zu. L. schubste den Angeklag- ten in einen Sessel und verließ die Wohnung. Um 22:19 Uhr setzte seine Ehefrau einen Notruf ab.
9
Der Nebenkläger erlitt schwere Kopfverletzungen. Am Boden liegend hatte er geringe Mengen Blut und/oder Mageninhalt in den rechten Lungenflügel eingeatmet. Es bestand akute Lebensgefahr.
10
Trotz mittlerweile erreichter erheblicher gesundheitlicher Fortschritte sind die kognitiven Fähigkeiten des Nebenklägers noch stark herabgesetzt. Es bestehen ein schweres hirnorganisches Psychosyndrom mit unter anderem Orientierungsstörungen , einer Störung der Aufmerksamkeit, Konzentrations- und Merkfähigkeit, einer Sprachverarbeitungsstörung und einem auffälligen, etwas schwankenden Gangbild. Er wird von seiner Verlobten bei den täglichen Anforderungen unterstützt. Erst nach einem bis eineinhalb Jahren wird beurteilt werden können, ob und inwieweit die Genesung vollständig gelingen kann und ob und gegebenenfalls welche bleibenden Folgen für die Gesundheit die Tat haben wird.
11
2. Das Landgericht hat einen freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags nach § 24 Abs. 1 StGB bejaht und den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB verurteilt. Aus Sicht des Angeklagten sei nach den Gewalthandlungen das Ziel erreicht gewesen, den Nebenkläger von weiteren Forderungen gegen D. abzuhalten. Aufgrund der lauten Atemgeräusche habe der Angeklagte erkannt, dass der Nebenkläger noch lebte. Die Blutlache habe sich „erst jetzt“ bis zum Erscheinen des Zeugen L. gebildet. Die Überzeugung, dass der Angeklagte über eine längere Zeit hinweg tatenlos zusehen würde, bis der Nebenkläger versterbe, habe sich die Schwurgerichtskammer nicht verschaffen können. Vielmehr sei nach dem Zweifelssatz zugrunde zu legen, dass der Angeklagte davon ausgegangen sei, durch bloße Beendigung seiner Einwirkungshandlungen den Eintritt des Todeserfolgs verhindern zu können. Eine andere Wertung folge nicht daraus, dass der Angeklagte sich dem herbeieilenden Zeugen L. in den Weg gestellt und ihm „halbherzig“ zugeraunt habe, er solle nicht „die Bullen“ informieren. Es sei offensichtlich gewesen, dass sich L. schon aufgrund seiner großen und athletischen körperlichen Erscheinung und seines energischen Auftretens nicht davon werde abhalten lassen, Rettungskräfte bzw. die Polizei zu informieren.
12
Eine schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat die sachverständig beratene Schwurgerichtskammer im Blick auf die seit der Tat erzielten erheblichen Verbesserungen des Gesundheitszustands des Nebenklägers sowie zu erwartender weiterer Fortschritte verneint.
13
3. Die Revision hat keinen Erfolg.
14
a) Die Erwägungen des Landgerichts zum freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch halten sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
15
aa) Die Schwurgerichtskammer hat zutreffend den Maßstab für die Ab16 grenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch zugrunde gelegt, der sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont , bestimmt (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; BGH, Urteile vom 12. November 1987 – 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f.; vom 21. Februar 2018 – 5 StR 347/17, StV 2018, 711, 712). Wenn der Täter bei einem Tötungsdelikt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht, liegt ein beendeter Versuch vor. Die zum beendeten Versuch führende gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere Tatsache, die festgestellt werden muss, wozu es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – 5 StR 347/17, aaO, mit zahlreichen Nachweisen

).


17
bb) Bei der an diesen Maßstäben ausgerichteten Gesamtwürdigung hat das Landgericht die für den Rücktrittshorizont relevanten Umstände aus dem festgestellten Sachverhalt berücksichtigt und ist unter Anwendung des für den Rücktrittshorizont geltenden Zweifelssatzes (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704; Urteil vom 21. Februar 2018 – 5 StR 347/17, aaO) rechtsfehlerfrei zur Annahme eines unbeendeten Versuchs gelangt. Zwar setzt die Annahme eines unbeendeten Versuchs gerade bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täters voraus, dass Umstände festgestellt werden, die die Wertung zulassen, er habe nach Beendigung der Tathandlung den tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10). Einen solchen Umstand hat die Schwurgerichtskammer in wahrnehmbaren, lauten Atemgeräuschen des Nebenklägers gesehen und in ihre Gesamtwürdigung zum Rücktrittshorizont einbezogen. Dies ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, selbst wenn andere Schlüsse nähergelegen hätten (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179; vom 21. Februar 2018 – 5 StR 347/17, aaO).

18
cc) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist ein durchgreifender Rechtsfehler auch nicht darin zu erblicken, dass das Landgericht wegen der sich bildenden Blutlache nicht ausdrücklich die Möglichkeit einer sogenannten umgekehrten Korrektur des Rücktrittshorizonts erörtert hat. Eine solche kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Annahme eines beendeten Versuchs führen, wenn der den Todeseintritt nicht (mehr) für möglich haltende Täter in engstem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der letzten Tathandlung erkennt, dass er sich insoweit (erneut) geirrt hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 1998 – 5 StR 189/98, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 12; vom 15. März 2018 – 4 StR 397/17, jeweils mwN).
19
Die Schwurgerichtskammer hat den von der Revision angesprochenen Umstand, zu dem die Staatsanwaltschaft keine Verfahrensrüge erhoben hat, nicht etwa übersehen. Auch weist das Urteil insofern keinen Erörterungsmangel auf. Denn das Landgericht vermochte schon nicht aufzuklären, mit welcher Geschwindigkeit sowie in welchem Ausmaß sich das Blut ausbreitete und welches Vorstellungsbild der Angeklagte insoweit unmittelbar nach der Tat hatte. Die Feststellung, dass der Angeklagte die Ernsthaftigkeit der Verletzungen des Nebenklägers aufgrund seiner alkoholischen Beeinflussung, die nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen noch durch die Wirkung von Amphetamin sowie eines wegen einer depressiven Erkrankung eingenommenen Medi- kaments (Mirtazapin) verstärkt worden war, „nicht wirklich“ wahrgenommen hat (UA S. 14), gibt unter solchen Vorzeichen keinen Anlass zu revisionsgerichtlicher Beanstandung.
20

b) Die Schwurgerichtskammer war auch nicht gehalten, ein versuchtes Tötungsdelikt durch Unterlassen oder durch Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs zu prüfen, weil der Angeklagte – nach Auffassung des Landgerichts zudem „halbherzig“ – versucht hatte, den Zeugen L. am Verlassen der Woh- nung zu hindern. Denn aus den vorgenannten Gründen drängte sich (auch) im Zeitpunkt des Unterlassens von Rettungsmaßnahmen bzw. der Handlung gegenüber dem Zeugen L. – auch unter Berücksichtigung seiner Äußerung – der erforderliche Tötungsvorsatz nicht auf.
21
c) Die Ablehnung einer Strafbarkeit wegen schwerer Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ist gleichfalls frei von durchgreifenden Rechtsfehlern.
22
Das vom Nebenkläger erlittene Psychosyndrom mit den dadurch verur- sachten Defekten erfüllt allerdings zumindest das Merkmal der „geistigen Krankheit“ im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2017 – 4 StR 317/17, NStZ 2018, 102, 103). In Rechtsprechung und Schrifttum besteht dabei Einigkeit, dass die in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten schweren Folgen von längerer Dauer sein müssen (vgl. etwa SSWStGB /Momsen-Pflanz/Momsen, 4. Aufl., § 226 Rn. 2; LK-StGB/Grünewald, 12. Aufl., § 226 Rn. 3; MüKo-StGB/Hardtung, 3. Aufl., § 226 Rn. 7 ff., alle mit zahlreichen Nachweisen). Für den Folgenkatalog nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB ergibt sich dies aus dem Merkmal des „Verfallens“ (vgl. schon RGSt 12, 127, 128; 44, 59, 60; 72, 321, 322) sowie aus einem Vergleich mit den sonstigen Varianten des § 226 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2017 – 4 StR 317/17, aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 3 StR 453/08). „Längere Dauer“ ist dabei nicht mit Unheilbarkeit gleichzusetzen (vgl. RGSt aaO; BGH, Urteil vom 24. Mai 1965 – 2 StR 173/65, MDR 1968, 17 [bei Dallinger]; LK-StGB/Grünewald, aaO, § 226 Rn. 23). Es genügt, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des – länger währenden – Krankheitszustands nicht abgesehen werden kann (vgl. RGSt jeweils aaO; BGH, Urteil vom 24. Mai 1965 – 2 StR 173/65, aaO; vom 22. Januar 1997 – 3 StR 522/96, NStZ 1997, 233; 234). Andererseits kommt es dem Täter zugute, wenn die zumindest teilweise Wiederherstellung konkret wahrscheinlich ist (vgl. OLG Hamm, GA 1976, 304, 306; SSW-StGB/Momsen-Pflanz/Momsen, aaO; MüKoStGB /Hardtung, 3. Aufl., § 226 Rn. 12).
23
Nach diesen Maßstäben ist gegen die Wertung des Landgerichts rechtlich im Ergebnis nichts zu erinnern. Zwar konnte im Zeitpunkt der Urteilsverkündung noch nicht mit Gewissheit beurteilt werden, ob der Nebenkläger wieder vollständig genesen oder ob und gegebenenfalls welche körperlichen Einschränkungen er haben wird. Die Feststellungen ergeben aber, dass bereits in den fünf Monaten nach der Tat bis zur Urteilsverkündung erhebliche Behandlungsfortschritte erzielt wurden. So war der Nebenkläger nicht mehr an einen Rollstuhl gebunden und konnte wieder selbständig gehen. Ferner war seine konzentrative Belastbarkeit bei geistiger Beanspruchung verbessert. Davon ausgehend haben der rechtsmedizinische Sachverständige und ihm folgend die Schwurgerichtskammer zugrunde gelegt, dass weitere Verbesserungen sicher zu erwarten sind. Aufgrund dessen konnte die Prognose gestellt werden, der Nebenkläger werde in absehbarer Zeit einen Zustand erreichen, bei dem der erforderliche Schweregrad der Krankheit nicht mehr erfüllt ist.
24
d) Das Urteil weist auch ansonsten keinen Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil des Angeklagten auf (§ 301 StPO). Insbesondere kann der Strafausspruch bestehen bleiben.
25
aa) Zwar hat das Landgericht bei der Strafrahmenwahl nicht – wie geboten (st. Rspr., vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1115 mwN) – ausdrücklich geprüft, ob der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB zur Annahme des minder schweren Falls der gefährlichen Körperverletzung führen könnte. Darauf beruht das Urteil indessen nicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Denn die Annahme eines minder schweren Falls nach § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB lag angesichts des überaus schweren Tatbildes und der gravierenden Folgen für den Nebenkläger auch in Anbetracht der beim Angeklagten angenommenen Schuldminderung denkbar fern.
26
bb) Soweit das angefochtene Urteil schließlich bei der Prüfung der Versagung einer Strafrahmenmilderung unter dem Blickwinkel der selbstverschuldeten Trunkenheit einen in Bezug auf die Alkoholisierung unzutreffenden rechtlichen Maßstab anwendet (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24. Juli 2017 – GSSt 3/17, BGHSt 62, 247, 253 ff.), hat sich dies nicht ausgewirkt. Denn die hierfür vom Großen Senat für Strafsachen entwickelten Grundsätze gelten nicht für illegale Drogen und rauschmittelhaltige Medikamente (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2017 – GSSt 3/17, aaO, S. 271), unter deren Einfluss der Angeklagte bei der Tat aber auch gestanden hat.
27
e) Die Adhäsionsentscheidung steht, da allein die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, nicht zur Entscheidung des Senats.
Mutzbauer Schneider König
Berger Köhler

Vorinstanz:
Berlin, LG, 31.08.2018 – 234 Js 45/18 (521 Ks) (10/18) 161 Ss 186/18

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(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

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Strafgesetzbuch - StGB | § 24 Rücktritt


(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft be

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(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Dölp, Dr. Berger als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt G. als Verteidiger,
Rechtsanwalt F. als Vertreterin des Neben- und Adhäsionsklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. Januar 2017 werden verworfen, die des Angeklagten mit der Maßgabe, dass bezüglich des weitergehenden Adhäsionsantrags von einer Entscheidung abgesehen wird.
2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Eine Auslagenerstattung findet nicht statt.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 22. Mai 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und darüber hinaus eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit ihren Rechtsmitteln rügen sowohl der Angeklagte als auch der Nebenkläger die Verletzung sachlichen Rechts, der Angeklagte beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Beide Revisionen haben keinen Erfolg. Auf die Revision des Angeklagten war lediglich der Tenor hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung zu ergänzen.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
a) Am 20. Mai 2014 begegnete der Angeklagte an einem Treffpunkt der Drogenszene in Braunschweig zufällig dem ihm bekannten Nebenkläger, der sich dort neben anderen auch mit dem Zeugen B. aufhielt. Zwischen unter anderem dem Nebenkläger und dem Angeklagten war es etwa zwei Wochen zuvor zu einer Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf der Angeklagte eine leichte Kopfverletzung erlitten hatte. Aus Verärgerung hierüber ent- schloss sich der Angeklagte spontan, dem Nebenkläger einen „Denkzettel“ zu verpassen und schlug dem Nebenkläger unvermittelt mit der Faust ins Gesicht. Hierdurch ging dieser zu Boden und fiel mit seinem Kopf auf eine gepflasterte Fläche. Der etwa 90 kg schwere Angeklagte trat sodann dem keinen Widerstand leistenden Nebenkläger mit seinen mit festem Schuhwerk versehenen Füßen mehrfach gegen den Kopf. Darüber hinaus sprang er mindestens fünfmal mit beiden Füßen auf den Kopf des Nebenklägers, um ihm eine Lehre zu erteilen. Der Zeuge B. versuchte einmal erfolglos, den Angeklagten von dem Nebenkläger wegzudrücken. In dieser Phase des Tatgeschehens wurde der Angeklagte durch ein kurzzeitiges Eingreifen seiner Ehefrau unterstützt, die in Kenntnis und mit Billigung des Angeklagten mit ihrer Handtasche nach dem Nebenkläger schlug und ihm einmal gegen den Kopf trat.
4
Schließlich sah der Angeklagte aus für die Strafkammer nicht sicher feststellbaren Gründen von weiteren Einwirkungen auf den Nebenkläger ab und verließ mit seiner Ehefrau den Tatort. Möglicherweise tat er dies, weil er der Auffassung war, der Nebenkläger habe nun „genug“ bekommen, weil er – der Angeklagte – inzwischen Polizeisirenen wahrgenommen oder weil der Zeuge B. einen zweiten Versuch unternommen hatte, dem Nebenkläger zur Hilfe zu kommen. Der Nebenkläger war zu diesem Zeitpunkt „erkennbar schwer verletzt, röchelte aber noch vernehmbar“. Mehrere Bekannte des Nebenklägers befanden sich am Tatort, so dass mit rascher Hilfe zu rechnen war, wasdem Angeklagten auch bewusst war.
5
Der Nebenkläger erlitt multiple Gesichtsfrakturen und befand sich fast zwei Wochen in stationärer Behandlung. Im Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung bestanden immer noch Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses und ein nahezu vollständiger Verlust des Geschmackssinns.
6
b) Das Landgericht hat einen freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags nach § 24 Abs. 1 StGB bejaht und den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB verurteilt. Es hat in dubio pro reo angenommen, dieser sei davon ausgegangen, durch bloße Beendigung seiner Einwirkungshandlungen den Eintritt des Todeserfolgs verhindern zu können.
7
Zu der Frage, aus welchem Beweggrund der Angeklagte die weitere Tatausführung beendet habe, hat es keine sicheren Feststellungen treffen können. Aufgrund des Zweifelssatzes sei daher zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, er sei der Auffassung gewesen, der Nebenkläger habe mit der Zufügung erheblicher Verletzungen „genug“.

II.


8
Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Sie führt lediglich zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Ergänzung des Tenors. Bei einem Grund- oder Teilur- teil nach § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO ist im Tenor auszusprechen, dass im Übrigen von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen wird (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2018 – 5 StR 488/17; Beschluss vom 4. November 2014 – 1 StR 432/14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 406 Rn. 13a mwN).

III.


9
Auch die Revision des Nebenklägers hat keinen Erfolg.
10
1. Die Erwägungen des Landgerichts zum freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch halten sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
11
a) Insbesondere begegnet es keinen Bedenken, dass das Landgericht vom unbeendeten Versuch ausgegangen ist.
12
aa) Es hat zutreffend den nach ständiger Rechtsprechung geltenden Maßstab für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch zugrunde gelegt, der sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont, bestimmt (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; Urteile vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 175; vom 12. November 1987 – 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f., und vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306). Wenn bei einem Tötungsdelikt der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht, liegt ein beendeter Versuch vor. Die zum beendeten Versuch führende gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere Tatsache, die festgestellt werden muss, wozu es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände bedarf (BGH, Urteile vom 2. November 1994, 2 StR 449/94, aaO und vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264; Beschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704, und vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13, NStZ-RR 2014, 202 f.).
13
bb) Bei der an diesen Maßstäben ausgerichteten Gesamtwürdigung hat das Landgericht die für den Rücktrittshorizont relevanten Umstände aus dem festgestellten Lebenssachverhalt berücksichtigt und ist unter Anwendung des für den Rücktrittshorizont geltenden Zweifelssatzes (BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704) rechtsfehlerfrei zur Annahme eines unbeendeten Versuchs gelangt.
14
Zwar setzt die Annahme eines unbeendeten Versuchs gerade bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täters voraus, dass auch Umstände festgestellt werden, die im Rahmen der Gesamtwürdigung die Wertung zulassen, er habe nach Beendigung der Tathandlung den tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10). Einen solchen Umstand hat die Strafkammer in wahrnehmbaren Lebenszeichen des Nebenklägers (Atemgeräuschen) gesehen und in ihre Gesamtwürdigung zum Rücktrittshorizont einbezogen. Dies ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, auch wenn andere Schlüsse möglich gewesen wären oder gar näher gelegen hätten (BGH, Urteile vom 27. Juli 2017 – 3 StR 172/17, und vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179).
15
Soweit das Landgericht darüber hinaus schon bei der Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch auf den Grundsatz in dubio pro reo zu- rückgreift, begegnet auch dies keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704; Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10). Denn dieser verbietet es in Fällen , in denen Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf den Erfolgseintritt nicht festgestellt werden können, auf deren Fehlen – und damit auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines beendeten Versuchs – zu schließen (BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704, und vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13, NStZ-RR 2014, 202, 203; SSWStGB /Kudlich/Schuhr, 3. Aufl., § 24 Rn. 38). Für die zum beendeten Versuch führende Annahme der gedanklichen Indifferenz des Täters bedarf es deren eigenständiger Feststellung (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13, aaO), zu der das Landgericht jedoch – rechtfehlerfrei – gerade nicht gelangt ist.
16
b) Die Erwägungen des Landgerichts zur Freiwilligkeit des Rücktritts halten revisionsgerichtlicher Überprüfung ebenfalls stand.
17
Auch bei der Feststellung der Freiwilligkeit wirken sich Zweifel an dieser inneren Tatsache zu Gunsten des Täters aus (BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 537/06, NStZ 2007, 265, 266 und vom 20.August 2004 – 2 StR 281/04, NStZ-RR 2004, 361; SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, aaO, § 24 Rn. 67). Das Landgericht hat vorliegend drei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mögliche Abläufe bzw. Motivationsfaktoren für das Ablassen des Angeklagten vom Nebenkläger in Betracht gezogen, wobei keine der erwogenen Konstellationen zur Überzeugung der Strafkammer letztlich festgestellt werden konnte. Auf dieser Beweisgrundlage hat die Strafkammer bei der Bewertung der Freiwilligkeit des Rücktritts rechtsfehlerfrei unter Anwendung des Zweifelssat- zes die für den Angeklagten günstigste der drei Varianten („Opfer hatte genug“) zugrunde gelegt, die zur Annahme eines freiwilligen Rücktritts führt.
18
c) Das Landgericht hat zudem zu Recht die Prüfung des Rücktritts vom Totschlagsversuch am Maßstab des § 24 Abs. 1 StGB ausgerichtet. Eine Beteiligung der Ehefrau am versuchten Tötungsdelikt, die zur Anwendung von § 24 Abs. 2 StGB hätte führen können, wird durch die Feststellungen nicht belegt.
19
2. Die Entscheidung im Adhäsionsverfahren durch ein Grundurteil gemäß § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat ausreichend dargelegt, dass der Rechtsstreit über die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs nicht entscheidungsreif war (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2002 – 5 StR 291/02, BGHSt 47, 378, 380; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 406 Rn. 9; Velten in SK-StPO, 4. Aufl., § 406 Rn. 8). Eine Hinweispflicht besteht bei Entscheidung durch Grundurteil nach § 406 Abs. 5 Satz 1 StPO nicht (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 406 Rn. 14; Stöckel in KMR-StPO, § 406 Rn. 28; Meyer/Dürre, JZ 2006, 18, 24).
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp Berger

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 170/13
vom
22. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Mai 2013 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts – Schwurgericht – Bielefeld vom 18. Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes (Mordmerkmal Heimtücke) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 5 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet der Angeklagte unter anderem die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts. Sein Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen wohnte der Angeklagte zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder P. – dem späteren Tatopfer – und den gemeinsamen Eltern in einem Haus. Der Angeklagte bedrohte seinen Bruder wiederholt mit dem Tod und wurde häufig gewalttätig. P. wehrte sich hiergegen zunächst nicht. Erst ab seinem 18. Lebensjahr, das er im Jahr 2008 erreicht hatte, war er nicht länger bereit, die Beleidigungen, Drohungen und physischen Angriffe des Angeklagten hinzunehmen. Er trieb vermehrt Sport, unter anderem Kampfsport, um dem Angeklagten körperlich nicht mehr unterlegen zu sein, und wehrte sich in der Folgezeit bei Übergriffen. Außerdem besorgte er sich eine Stange, die er neben sein Bett legte, um sich im Notfall gegen den Angeklagten verteidigen zu können. Auch schlief er in der Regel erst ein, wenn er hörte, dass der Angeklagte sich zur Ruhe begeben hatte. In den Monaten vor der Tat spitzte sich die familiäre Situation durch das Verhalten des Angeklagten derart zu, dass sich P. an den Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt H. mit der Bitte um Unterstützung wandte.
3
In der Nacht vom 15. auf den 16. Mai 2012 ging P. gegen 2:00 Uhr in seinem Zimmer im ersten Obergeschoss zu Bett. Als der Angeklagte ihn gegen 3:00 Uhr aufforderte, mit ihm Computer zu spielen, lehnte er dies ab und schlief kurz darauf ein. Der Angeklagte war über diese Zurückweisung verärgert. Er weckte die zur Familie gehörenden Hunde auf, um seinen Bruder in den unteren Flur zu locken. Dort wollte er ihm auflauern und ihn körperlich angreifen. Tatsächlich wurde P. durch das laute Bellen der Hunde aufgeweckt. Er stand auf und ging – bekleidet mit Boxershorts und T-Shirt – ins Erdgeschoss. Da er annahm, dass die Hunde Auslauf haben wollten, ließ er sie auf die Terrasse. Nachdem er sich im Esszimmer noch eine Zigarette gestopft hatte, schaltete er das Licht aus und ging in den unbeleuchteten Flur, in den nur aus seinem Zimmer und durch ein kleines Fenster etwas Licht fiel. Als er vor der zu seinem Zimmer im Obergeschoss führenden Treppe stand, hörte er ein mehrmaliges Klopfen gegen eine Tür. Er ging daraufhin in Richtung der Haustür , weil er dachte, dass ein Bekannter gekommen sei und sich nun durch das Klopfen bemerkbar machen wollte. Der Angeklagte, der P. bewusst in den dunklen Bereich des Flures gelockt hatte, um ihm die Verteidigung gegen den geplanten Angriff zu erschweren, trat nun wortlos von rechts auf seinen Bruder zu. Ob er dabei etwas in der Hand hatte, war für P. – derdarauf auch nicht achtete – in diesem Moment nicht erkennbar. Als der Angeklagte unmittelbar vor seinem Bruder stand, drückte er ihn gegen die Wand. Spätestens jetzt nahm er ein Anglermesser mit einer etwa 13,5 cm langen , nach vorn spitz zulaufenden Klinge aus einem am Gürtel getragenen Holster und stach mit großer Wucht mindestens einmal auf den Oberkörper von P. ein. Dabei nahm er tödliche Verletzungen zumindest billigend in Kauf. Der Stich traf P. , der seine Arme schützend vor Oberkörper und Gesicht gehoben hatte, zunächst am linken Unterarm und drang dann in den Brustkorb ein. Ihm gelang es, den Angeklagten zurückzustoßen. Sodann kam es zu einer Rangelei, bei der P. bemüht war, Abstand zwischen sich und den Angeklagten zu bekommen. Als ihm dies gelungen war, trat er zurück in den helleren Bereich des Flures. Dort sah er durch das einfallende Licht, dass er eine mehrere Zentimeter große klaffende Wunde an seinem linken Arm hatte, von der die bis auf den Knochen geöffnete Haut wie ein Lappen herunterhing. Auch bemerkte er, dass der Angeklagte das Messer in der rechten Hand hielt. P. verließ den Flur und lief durch das Esszimmer in Richtung der Terrasse. Seiner Mutter rief er im Vorbeilaufen zu, dass sie Hilfe holen möge. Sodann öffnete er die Tür zur Terrasse und schloss diese wieder, nachdem er das Haus verlassen hatte. Von dort aus lief er in den Garten. Der Angeklagte, der seinem Bruder ins Esszimmer gefolgt war, verweilte dort kurz. Als er bemerkte, dass seine Mutter telefonisch einen Notruf absetzen wollte, riss er ihr das Telefon aus der Hand und warf es gegen die Wand, sodass es beschädigt auf den Boden fiel. P. lief währenddessen im Garten durch den Hühnerstall – wo er zwei Türen entriegeln und wieder verschließen musste – zu einem etwa 300 Meter entfernt liegenden Gartenhaus und weckte seinen dort schlafenden Vater. Dieser ließ seinen Sohn herein und setzte einen Notruf ab. Anschließend begann er dessen Verletzung zu verbinden. In dieser Situation erschien der Angeklagte ohne Messer im Gartenhaus. Dabei sagte er zu seinem Bruder: „Ach, Du lebst ja noch“ und zu seinem Vater gewandt: „Ich habe oft um Hilfe gebeten, aber ihr habt nichts getan“. Kurze Zeit danach ver- ließ er das Gartenhaus wieder.
4
P. erlitt eine Schnittwunde im rechten oberen Thorax, die sich nur zwei bis drei Zentimeter entfernt von einem größeren Blutgefäß sowie in unmittelbarer Nähe von Herz und Lunge befand. Des Weiteren hatte er eine tiefe Schnittwunde am linken Unterarm mit Durchtrennung einer Sehne und Spaltung der Elle.
5
2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz auf seinen Bruder eingestochen und dabei heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt hat. Einen strafbefreienden Rücktritt hat es mit der Begründung verneint, dass ein beendeter Versuch im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB gegeben sei und der Angeklagte keine Rettungsbemühungen entfaltet habe. Ein beendeter Versuch sei hier anzunehmen, weil nicht festgestellt werden konnte, dass sich der Angeklagte über die Folgen seiner Tat überhaupt irgendwelche Vorstellungen gemacht hat. Ein realer Gesichtspunkt , an den die Annahme anknüpfen könnte, der Angeklagte habe ge- glaubt, der mit Tötungsvorsatz geführte Stich sei nicht tödlich, bestehe nicht. Der Umstand, dass der Geschädigte noch weglaufen konnte, sei ohne Bedeutung , weil der tödliche Erfolg nicht in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der verursachenden Handlung stehen müsse und auch erst einige Zeit später durch Verbluten eintreten könne. Auch die Einlassung des Angeklagten habe in Bezug auf sein Vorstellungsbild nichts erbracht. Wenn sich aber Erwägungen des Angeklagten, dass die zugefügten Verletzungen nicht tödlich sein würden, nicht feststellen lassen, könne allenfalls festgestellt werden, dass sich der Angeklagte überhaupt keine Vorstellungen darüber gemacht habe, ob der Geschädigte sterben könne oder nicht. In diesem Fall sei ein beendeter Versuch anzunehmen. Der Zweifelsgrundsatz, der auch auf das Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen Anwendung finde, erlaube es nicht, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für die es – wie hier – keine konkreten Anhaltspunkte gäbe (UA 28).

II.


6
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht zur Annahme eines beendeten Versuches gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefreienden Rücktritt verneint hat, an einem Erörterungsmangel leiden (§ 261 StPO) und deshalb revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
7
1. Im Ansatzpunkt zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass ein beendeter Versuch, von dem nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Satz 2 StGB zurückgetreten werden kann, auch dann vorliegt, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bis- herigen Verhaltens macht (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264 Rn. 9; Beschluss vom 3. Februar 1999 – 2 StR 540/98, NStZ 1999, 299; Urteil vom 10. Februar 1999 – 3 StR 618/98, NStZ 1999, 300, 301; Beschluss vom 12. April 1995 – 2 StR 105/95, MDR 1995, 878, 879 bei Holtz; Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 24 Rn. 15; SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, § 24 Rn. 37). Diese gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere Tatsache, die positiv festgestellt werden muss. Hierzu bedarf es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände. Können keine eindeutigen Feststellungen getroffen werden, ist der Zweifelsgrundsatz anzuwenden (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264 Rn. 14; Urteil vom 13. März 2008 – 4 StR 610/07, Rn. 13 mwN).
8
Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in den Urteilsgründen nicht gerecht. Soweit das Landgericht dem von dem Angeklagten wahrgenommenen „Weglaufen“ des Geschädigten nach dem Messerstich jegliche Indizwirkung für ein Ausbleiben tödlicher Folgen abgesprochen hat, erschöpft sich die Begründung in dem allgemeinen Hinweis, dass bei Messerstichen ein Tod durch Verbluten auch noch mit zeitlicher Verzögerung eintreten könne. Dies ist zwar zutreffend, doch hätte sich das Landgericht an dieser Stelle näher mit den von ihm festgestellten weiteren Umständen des Geschehens bei und unmittelbar nach der Tat auseinandersetzen und diese zusammenfassend würdigen müssen. Der Messerstich wurde im Dunkeln geführt. Erst nachdem sich der Geschädigte von dem Angeklagten gelöst hatte und ins Licht gelangt war, sah er die klaffende Wunde an seinem linken Arm. Bei dieser Sachlage wäre zu erörtern gewesen, ob für den unter gleichen Sichtverhältnissen agierenden Angeklagten nur diese nicht naheliegend als lebensgefährlich anzusehende Ver- letzung als Auswirkung des Messerstichs erkennbar war und deshalb aus seiner Sicht – auch mit Blick auf das nachfolgende Verhalten seines Bruders (Zurückstoßen des Angeklagten, erfolgreich bestandene Rangelei, Verlassen des Hauses durch die anschließend wieder verschlossene Terrassentür, Weg durch den Garten usw.) – Grund für die Annahme bestand, der mit bedingtem Tötungsvorsatz geführte Stich werde tatsächlich keine lebensbedrohlichen Folgen haben.
9
Auch ist es rechtlich bedenklich, dass das Landgericht aus der Tatsache, dass es keine Feststellungen zu den Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf den Erfolgseintritt treffen konnte, auf ein Fehlen derartiger Vorstellungen geschlossen hat (SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, § 24 Rn. 37). Zwar trifft es zu, dass der Zweifelssatz nicht dazu nötigt, (innere) Tatsachen zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, für die es keine Anhaltspunkte gibt (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264 Rn. 14; Urteil vom 13. März 2008 – 4 StR 610/07, Rn. 13 mwN), doch rechtfertigt dies für sich genommen noch nicht den vom Landgericht gezogenen Schluss. Allerdings kann in Fällen, in denen sich aus den objektiven Umständen kein Hinweis auf das konkrete Vorstellungsbild des Täters im Zeitpunkt des Abbruchs der Tathandlung ergibt, die Annahme gerechtfertigt sein, dass bei ihm die der Tatbegehung zugrunde liegende Folgeneinschätzung fortbestanden hat; maßgeblich ist indes auch dann sein „Rücktrittshorizont“ nach der letzten Ausführungshandlung (vgl. dazuauch BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 337/11).
10
2. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird der neue Tatrichter – sofern er wieder entsprechende Feststellungen zu treffen vermag – auch zu erwägen haben, ob der Äußerung des Angeklagten beim Anblick seines verletzten Bruders im Gartenhaus („Ach, Du lebst ja noch“) ein Hinweis auf ein indifferentes Vorstellungsbild oder eine Gleichgültigkeit gegenüber einem möglichen Todeseintritt entnommen werden kann.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 347/17
vom
21. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2018:210218U5STR347.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Dölp, Dr. Berger als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt G. als Verteidiger,
Rechtsanwalt F. als Vertreterin des Neben- und Adhäsionsklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. Januar 2017 werden verworfen, die des Angeklagten mit der Maßgabe, dass bezüglich des weitergehenden Adhäsionsantrags von einer Entscheidung abgesehen wird.
2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Eine Auslagenerstattung findet nicht statt.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 22. Mai 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und darüber hinaus eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit ihren Rechtsmitteln rügen sowohl der Angeklagte als auch der Nebenkläger die Verletzung sachlichen Rechts, der Angeklagte beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Beide Revisionen haben keinen Erfolg. Auf die Revision des Angeklagten war lediglich der Tenor hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung zu ergänzen.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
a) Am 20. Mai 2014 begegnete der Angeklagte an einem Treffpunkt der Drogenszene in Braunschweig zufällig dem ihm bekannten Nebenkläger, der sich dort neben anderen auch mit dem Zeugen B. aufhielt. Zwischen unter anderem dem Nebenkläger und dem Angeklagten war es etwa zwei Wochen zuvor zu einer Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf der Angeklagte eine leichte Kopfverletzung erlitten hatte. Aus Verärgerung hierüber ent- schloss sich der Angeklagte spontan, dem Nebenkläger einen „Denkzettel“ zu verpassen und schlug dem Nebenkläger unvermittelt mit der Faust ins Gesicht. Hierdurch ging dieser zu Boden und fiel mit seinem Kopf auf eine gepflasterte Fläche. Der etwa 90 kg schwere Angeklagte trat sodann dem keinen Widerstand leistenden Nebenkläger mit seinen mit festem Schuhwerk versehenen Füßen mehrfach gegen den Kopf. Darüber hinaus sprang er mindestens fünfmal mit beiden Füßen auf den Kopf des Nebenklägers, um ihm eine Lehre zu erteilen. Der Zeuge B. versuchte einmal erfolglos, den Angeklagten von dem Nebenkläger wegzudrücken. In dieser Phase des Tatgeschehens wurde der Angeklagte durch ein kurzzeitiges Eingreifen seiner Ehefrau unterstützt, die in Kenntnis und mit Billigung des Angeklagten mit ihrer Handtasche nach dem Nebenkläger schlug und ihm einmal gegen den Kopf trat.
4
Schließlich sah der Angeklagte aus für die Strafkammer nicht sicher feststellbaren Gründen von weiteren Einwirkungen auf den Nebenkläger ab und verließ mit seiner Ehefrau den Tatort. Möglicherweise tat er dies, weil er der Auffassung war, der Nebenkläger habe nun „genug“ bekommen, weil er – der Angeklagte – inzwischen Polizeisirenen wahrgenommen oder weil der Zeuge B. einen zweiten Versuch unternommen hatte, dem Nebenkläger zur Hilfe zu kommen. Der Nebenkläger war zu diesem Zeitpunkt „erkennbar schwer verletzt, röchelte aber noch vernehmbar“. Mehrere Bekannte des Nebenklägers befanden sich am Tatort, so dass mit rascher Hilfe zu rechnen war, wasdem Angeklagten auch bewusst war.
5
Der Nebenkläger erlitt multiple Gesichtsfrakturen und befand sich fast zwei Wochen in stationärer Behandlung. Im Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung bestanden immer noch Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses und ein nahezu vollständiger Verlust des Geschmackssinns.
6
b) Das Landgericht hat einen freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags nach § 24 Abs. 1 StGB bejaht und den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB verurteilt. Es hat in dubio pro reo angenommen, dieser sei davon ausgegangen, durch bloße Beendigung seiner Einwirkungshandlungen den Eintritt des Todeserfolgs verhindern zu können.
7
Zu der Frage, aus welchem Beweggrund der Angeklagte die weitere Tatausführung beendet habe, hat es keine sicheren Feststellungen treffen können. Aufgrund des Zweifelssatzes sei daher zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, er sei der Auffassung gewesen, der Nebenkläger habe mit der Zufügung erheblicher Verletzungen „genug“.

II.


8
Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Sie führt lediglich zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Ergänzung des Tenors. Bei einem Grund- oder Teilur- teil nach § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO ist im Tenor auszusprechen, dass im Übrigen von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen wird (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2018 – 5 StR 488/17; Beschluss vom 4. November 2014 – 1 StR 432/14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 406 Rn. 13a mwN).

III.


9
Auch die Revision des Nebenklägers hat keinen Erfolg.
10
1. Die Erwägungen des Landgerichts zum freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch halten sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
11
a) Insbesondere begegnet es keinen Bedenken, dass das Landgericht vom unbeendeten Versuch ausgegangen ist.
12
aa) Es hat zutreffend den nach ständiger Rechtsprechung geltenden Maßstab für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch zugrunde gelegt, der sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont, bestimmt (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; Urteile vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 175; vom 12. November 1987 – 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f., und vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306). Wenn bei einem Tötungsdelikt der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht, liegt ein beendeter Versuch vor. Die zum beendeten Versuch führende gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere Tatsache, die festgestellt werden muss, wozu es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände bedarf (BGH, Urteile vom 2. November 1994, 2 StR 449/94, aaO und vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264; Beschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704, und vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13, NStZ-RR 2014, 202 f.).
13
bb) Bei der an diesen Maßstäben ausgerichteten Gesamtwürdigung hat das Landgericht die für den Rücktrittshorizont relevanten Umstände aus dem festgestellten Lebenssachverhalt berücksichtigt und ist unter Anwendung des für den Rücktrittshorizont geltenden Zweifelssatzes (BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704) rechtsfehlerfrei zur Annahme eines unbeendeten Versuchs gelangt.
14
Zwar setzt die Annahme eines unbeendeten Versuchs gerade bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täters voraus, dass auch Umstände festgestellt werden, die im Rahmen der Gesamtwürdigung die Wertung zulassen, er habe nach Beendigung der Tathandlung den tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10). Einen solchen Umstand hat die Strafkammer in wahrnehmbaren Lebenszeichen des Nebenklägers (Atemgeräuschen) gesehen und in ihre Gesamtwürdigung zum Rücktrittshorizont einbezogen. Dies ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, auch wenn andere Schlüsse möglich gewesen wären oder gar näher gelegen hätten (BGH, Urteile vom 27. Juli 2017 – 3 StR 172/17, und vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179).
15
Soweit das Landgericht darüber hinaus schon bei der Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch auf den Grundsatz in dubio pro reo zu- rückgreift, begegnet auch dies keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704; Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10). Denn dieser verbietet es in Fällen , in denen Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf den Erfolgseintritt nicht festgestellt werden können, auf deren Fehlen – und damit auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines beendeten Versuchs – zu schließen (BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704, und vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13, NStZ-RR 2014, 202, 203; SSWStGB /Kudlich/Schuhr, 3. Aufl., § 24 Rn. 38). Für die zum beendeten Versuch führende Annahme der gedanklichen Indifferenz des Täters bedarf es deren eigenständiger Feststellung (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13, aaO), zu der das Landgericht jedoch – rechtfehlerfrei – gerade nicht gelangt ist.
16
b) Die Erwägungen des Landgerichts zur Freiwilligkeit des Rücktritts halten revisionsgerichtlicher Überprüfung ebenfalls stand.
17
Auch bei der Feststellung der Freiwilligkeit wirken sich Zweifel an dieser inneren Tatsache zu Gunsten des Täters aus (BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 537/06, NStZ 2007, 265, 266 und vom 20.August 2004 – 2 StR 281/04, NStZ-RR 2004, 361; SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, aaO, § 24 Rn. 67). Das Landgericht hat vorliegend drei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mögliche Abläufe bzw. Motivationsfaktoren für das Ablassen des Angeklagten vom Nebenkläger in Betracht gezogen, wobei keine der erwogenen Konstellationen zur Überzeugung der Strafkammer letztlich festgestellt werden konnte. Auf dieser Beweisgrundlage hat die Strafkammer bei der Bewertung der Freiwilligkeit des Rücktritts rechtsfehlerfrei unter Anwendung des Zweifelssat- zes die für den Angeklagten günstigste der drei Varianten („Opfer hatte genug“) zugrunde gelegt, die zur Annahme eines freiwilligen Rücktritts führt.
18
c) Das Landgericht hat zudem zu Recht die Prüfung des Rücktritts vom Totschlagsversuch am Maßstab des § 24 Abs. 1 StGB ausgerichtet. Eine Beteiligung der Ehefrau am versuchten Tötungsdelikt, die zur Anwendung von § 24 Abs. 2 StGB hätte führen können, wird durch die Feststellungen nicht belegt.
19
2. Die Entscheidung im Adhäsionsverfahren durch ein Grundurteil gemäß § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat ausreichend dargelegt, dass der Rechtsstreit über die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs nicht entscheidungsreif war (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2002 – 5 StR 291/02, BGHSt 47, 378, 380; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 406 Rn. 9; Velten in SK-StPO, 4. Aufl., § 406 Rn. 8). Eine Hinweispflicht besteht bei Entscheidung durch Grundurteil nach § 406 Abs. 5 Satz 1 StPO nicht (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 406 Rn. 14; Stöckel in KMR-StPO, § 406 Rn. 28; Meyer/Dürre, JZ 2006, 18, 24).
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp Berger

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR521/14
vom
24. März 2015
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der schweren Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
24. März 2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt Ba.
als Vertreter der Nebenklägerin Bö. ,
Rechtsanwältin T.
als Vertreterin der Nebenklägerin H. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 24. März 2014 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen und Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und ihn hinsichtlich weiterer vier Tatvorwürfe aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hat der Senat im Beschlusswege gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision gegen die Freisprüche des Angeklagten wegen drei der weiteren ihm vorgeworfenen Straftaten. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Dem Angeklagten lag zur Last, in zwei Fällen jeweils eine schwere Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, indem er im Mai 2010 die Geschädigte Bö. und im Juni 2010 die Geschädigte H. durch heimliche Beibringung eines bewusstseinstrüben- den Mittels (sog. K.O.-Tropfen) in einen willenlosen Zustand versetzt und diesen jeweils zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs ausgenutzt habe. Darüber hinaus war ihm vorgeworfen worden, eine räuberische Erpressung in Tateinheit mit Anstiftung zum Betrug verübt zu haben; er habe U. und L. unter Androhung körperlicher Repressalien dazu gebracht, dass L. unter Vortäuschung von Zahlungswilligkeit und -fähigkeit einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen und anschließend dem Angeklagten das erlangte Mobiltelefon nebst SIM-Karte weisungsgemäß ausgehändigt habe.
3
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
a) Die Nebenklägerin Bö. lernte den Angeklagten über einen Chat kennen und verabredete sich mit ihm für den Abend des 12. Mai 2010. Begleitet von ihrer Freundin P. und einem Bekannten des Angeklagten besuchten sie eine Diskothek, in der sie Alkohol tranken und sich küssten. Als ihr aufgrund des Alkoholkonsums schlecht wurde, wurde sie von mehreren Personen vor die Diskothek gebracht. Anschließend fuhr sie mit dem Angeklagten in einem Taxi zu dessen Wohnung. Dabei war sie alkoholbedingt enthemmt; sie wusste jedoch noch, was sie tat, und konnte sich ihrem Willen entsprechend ohne erhebliche Beeinträchtigung steuern und äußern (UA S. 51). Nachdem sie, in der Wohnung angelangt, weiterhin unter Übelkeit gelitten hatte, zog sie sich aus, legte sich ins Bett und schlief ein. Am nächsten Morgen verließ die Nebenklägerin Bö. die Wohnung des noch schlafenden Angeklagten, ohne ihn zu wecken , weil ihr Verhalten ihr peinlich war. Sie ließ sich von ihrem ehemaligen Freund nach Hause bringen, mit dem sie noch am selben Abend an einer Feier teilnahm.
5
b) In der Nacht zum 3. Juni 2010 besuchte die Nebenklägerin H. , die „gerne Schnaps trank, diesen gut vertrug und am Vortag oderam Morgen des 3. Juni 2010 Crystal konsumiert hatte“ (UA S. 53), mit Freunden eine Diskothek. Dort traf sie den ihr bereits bekannten Angeklagten, mit dem sie früher „gelegentlich Zärtlichkeiten in nicht näher ermittelbarer Art“ (UA S. 52) ausge- tauscht hatte. Gemeinsam mit dem Angeklagten konsumierte sie innerhalb von zehn bis zwanzig Minuten jeweils zehn Gläser mit 4 cl „Wodka-Energy“. Etwa eine Stunde später fuhr sie mit dem Angeklagten und einem ihm Bekannten zu dessen Wohnung. Dort spielten sie bei weiterem Alkoholkonsum zu Dritt ein Spiel, in dessen Verlauf sie sich einzelne Kleidungsstücke auszogen und H. , die alkoholbedingt – lediglich – enthemmt ihre Mitspieler küsste. Außerdem kam es zwischen ihr und dem Angeklagten zum Geschlechtsverkehr. Nachdem sie zuvor ihren Freunden gegenüber telefonisch ihre baldige Rückkehr in die Diskothek angekündigt hatte, nutzte nicht ausschließbar der Bekannte des Angeklagten einen Toilettenbesuch H. s dazu, aus ihrem Mobiltelefon die SIM-Karte zu entfernen, zu zerbrechen und zu verstecken, weil er sich bei ihrem längeren Aufenthalt in seiner Wohnung einen intensiveren Austausch von Zärtlichkeiten mit ihr erhoffte. Gegen 6:00 Uhr schlief H. auf einem Sofa ein. Als sie kurz darauf wieder erwachte, war ihr aufgrund des vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums schwindelig und ihr fiel ein, dass sie einen Termin beim Arbeitsamt hatte. Sie verließ die Wohnung und fuhr zunächst zu ihren Freunden, denen gegenüber sie über Schmerzen an den Oberschenkeln klagte und andeutete, sexuell bedrängt worden zu sein. Sie konsumierte Liquid Ecstasy und ließ sich von ihrer Hausärztin krankschreiben.
6
c) Am 22. Mai 2010 schloss L. auf Veranlassung seines Freundes U. einen Mobilfunkvertrag, der die Aushändigung eines Mobiltelefons umfasste. Hierbei täuschte er seine tatsächlich nicht bestehende Zahlungswilligkeit und -fähigkeit vor. Die bis zum 13. Juli 2010 angefallenen Tele- fonkosten in Höhe von 355 Euro entrichtete er nicht. Um sich weiteren Forderungen des Mobilfunkanbieters und Vorwürfen seiner Mutter zu entziehen, dachte er sich aus, dass der sich mittlerweile in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte ihn und U. unter Ankündigung, diesen andernfalls töten zu wollen , gezwungen habe, den Vertrag abzuschließen.
7
3. Die angefochtenen Freisprüche halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
8
a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).
9
b) Daran gemessen ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landgericht die erforderliche Gesamtwürdigung der be- und entlastenden Umstände in jedem der angegriffenen Fälle vorgenommen und sich mit den Angaben der betroffenen Nebenklägerinnen ausführlich auseinandergesetzt. Die Schlussfolgerungen und Wertungen des Landgerichts sind tatsachenfundiert, lassen keine Rechtsfehler erkennen und halten sich im tatgerichtlichen Beurteilungsspielraum. Die Revision hat weder Widersprüche noch wesentliche Erörterungsmängel aufgezeigt. Die Beanstandungen der Revision zielen auf eine andere Bewertung von Tatsachen ab, die das Landgericht aber allesamt bedacht hat.
10
aa) Hinsichtlich der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat zum Nachteil der Nebenklägerin Bö. hat das Landgericht nicht ausschließen können, dass deren Erinnerungsvermögen – entgegen ihren Angaben – bei alkoholbedingter Enthemmung nicht vorübergehend aufgehoben, sondern insgesamt erhalten geblieben war. Nachvollziehbar hat es das Landgericht insbesondere aufgrund der Aussage der Zeugin Br. für möglich gehalten, dass Bö. sich ein Erlebnis, das ihr die Zeugin Br. im Zusammenhang mit einer Verabreichung von „K.O.-Tropfen“ geschildert hatte, zu eigen gemacht habe, um eine freiwillige Übernachtung bei dem Angeklagten gegenüber ihrer Mutter und ihrem ehemaligen Freund zu rechtfertigen (UA S. 83 f.). Die Zeugin Br. war von der Mutter der Nebenklägerin um ein Gespräch mit ihrer Tochter gebeten worden, weil die Mutter vermutet hatte, dass es eine Verbindung mit dem ihr von Br. berichteten Geschehen gäbe (UA S. 73). Das Landgericht hat weiter bedacht, dass die Nebenklägerin ihre Angaben zur Aufnahme der alkoholischen Getränke, zu ihrer Erinnerungslücke und ihrem Zustand beim Erwachen gegenüber verschiedenen Personen im Zeitablauf verändert hatte. Es vermochte nicht festzustellen, dass sie zu ihren wechselnden Schilderungen (vgl. UA S. 69, 71) etwa durch gravierende Angstzustände oder eine erhebliche Beeinträchtigung des seelischen Befindens und der körperlichen Gesundheit veranlasst worden sein könnte, da sie am Abend nach dem Geschehen mit Freunden feierte und Geschlechtsverkehr hatte (UA S. 75). Vielmehr hat das Landgericht nicht ausschließen können, dass die Nebenklägerin und ihre Freundin P. frühzeitig Handlungen, soweit sie elterlichen Erwartungen nicht entsprachen, nicht oder nicht vollständig preisgegeben oder aber der Beigabe von „K.O.-Tropfen“ zugeschrieben hätten. Insoweit hatte das Landgericht neben der Aussage der Zeugin Br. auch die Angaben der Zeugin P. in deren polizeilicher Vernehmung zu berücksichtigen, in der sie einräumte, dass Bö. deren Mutter das Geschehen anders geschildert und sie „wohl angeschwindelt habe, weil sie Ärger befürchtet habe, wenn sie die Wahrheit sage“ (UA S. 79 f.). Gegen diese Beweiswürdigung ist nichts zu erinnern.
11
bb) In dem die Nebenklägerin H. betreffenden Fall ist das Landgericht von einem nicht ausschließbar einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und H. ausgegangen. Es hat dabei sämtliche – fürsich genommen gewichtigen belastenden – Indizien, wie Schmerzen und eine schwache Unterblutung an der Oberschenkelinnenseite, Nachweis von Sperma des Angeklagten in der Scheide der Nebenklägerin und von Gammahydroxybuttersäure (GHB) im Urin der Nebenklägerin (UA S. 94, 96) erkannt und bewertet, sich aber nach umfassender Gesamtwürdigung im Ergebnis nicht von dem in der Anklage vorgeworfenen Tatgeschehen zu überzeugen vermocht. Das Landgericht hat der Nebenklägerin H. nicht geglaubt, dass sie sich nicht habe erinnern können, ob es jemals zwischen ihr unddem Angeklagten Zärtlichkeiten in ansonsten unbeeinträchtigten Situationen gegeben habe (UA S. 84, 87, 98). Es hat ferner bedacht, dass aus sachverständiger Sicht eine Substanz mit dem Wirkstoff GHB auch noch nach dem vorgeworfenen Tatgeschehen eingenommen worden sein könnte. Das Landgericht ist insofern zu dem – nach den Gesamtumständen möglichen – Schluss gekommen, dass H. , in deren Urin auch Amphetamine nachgewiesen worden sind, am nächsten Morgen in der Wohnung ihrer Drogen konsumierenden Freunde Liquid Ecstasy eingenommen hat. Auch haben sich für die sachverständig beratene Strafkammer die von der Nebenklägerin beschriebene Erinnerungslücke und der Umstand, dass sie beim nächtlichen Telefonat mit ihrer Freundin „durcheinander“ gewirkt habe, allein durch den massiven Alkoholkonsum und nicht durch die Einnahme eines Narkosemittels erklären lassen (UA S. 88, 97). Die gewissen Parallelen zu den weiteren Anklagevorwürfen der übrigen Nebenklägerinnen mit dem Angeklagten hat das Landgericht gesehen (UA S. 98), es vermochte sich jedoch letztlich insbesondere wegen der Alkoholgewöhnung und der wechselnden Angaben der Nebenklägerin H. zu ihrem Erinnerungsvermögen nicht von einer erheblichen Willensbeeinträchtigung bei Durchführung des Geschlechtsverkehrs zu überzeugen. Diese Würdigung hat der Senat angesichts des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs hinzunehmen.
12
c) Auf die wenig verlässlichen, von erheblichem Belastungseifer getragenen und zum Teil widersprüchlichen Angaben der Zeugen U. und L. hat die Strafkammer auch eingedenk der erst im August 2010 erfolgten Anzeigenerstattung zu Recht keine Verurteilung gestützt.
Sander Schneider König
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 347/17
vom
21. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2018:210218U5STR347.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Dölp, Dr. Berger als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt G. als Verteidiger,
Rechtsanwalt F. als Vertreterin des Neben- und Adhäsionsklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. Januar 2017 werden verworfen, die des Angeklagten mit der Maßgabe, dass bezüglich des weitergehenden Adhäsionsantrags von einer Entscheidung abgesehen wird.
2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Eine Auslagenerstattung findet nicht statt.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 22. Mai 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und darüber hinaus eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit ihren Rechtsmitteln rügen sowohl der Angeklagte als auch der Nebenkläger die Verletzung sachlichen Rechts, der Angeklagte beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Beide Revisionen haben keinen Erfolg. Auf die Revision des Angeklagten war lediglich der Tenor hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung zu ergänzen.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
a) Am 20. Mai 2014 begegnete der Angeklagte an einem Treffpunkt der Drogenszene in Braunschweig zufällig dem ihm bekannten Nebenkläger, der sich dort neben anderen auch mit dem Zeugen B. aufhielt. Zwischen unter anderem dem Nebenkläger und dem Angeklagten war es etwa zwei Wochen zuvor zu einer Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf der Angeklagte eine leichte Kopfverletzung erlitten hatte. Aus Verärgerung hierüber ent- schloss sich der Angeklagte spontan, dem Nebenkläger einen „Denkzettel“ zu verpassen und schlug dem Nebenkläger unvermittelt mit der Faust ins Gesicht. Hierdurch ging dieser zu Boden und fiel mit seinem Kopf auf eine gepflasterte Fläche. Der etwa 90 kg schwere Angeklagte trat sodann dem keinen Widerstand leistenden Nebenkläger mit seinen mit festem Schuhwerk versehenen Füßen mehrfach gegen den Kopf. Darüber hinaus sprang er mindestens fünfmal mit beiden Füßen auf den Kopf des Nebenklägers, um ihm eine Lehre zu erteilen. Der Zeuge B. versuchte einmal erfolglos, den Angeklagten von dem Nebenkläger wegzudrücken. In dieser Phase des Tatgeschehens wurde der Angeklagte durch ein kurzzeitiges Eingreifen seiner Ehefrau unterstützt, die in Kenntnis und mit Billigung des Angeklagten mit ihrer Handtasche nach dem Nebenkläger schlug und ihm einmal gegen den Kopf trat.
4
Schließlich sah der Angeklagte aus für die Strafkammer nicht sicher feststellbaren Gründen von weiteren Einwirkungen auf den Nebenkläger ab und verließ mit seiner Ehefrau den Tatort. Möglicherweise tat er dies, weil er der Auffassung war, der Nebenkläger habe nun „genug“ bekommen, weil er – der Angeklagte – inzwischen Polizeisirenen wahrgenommen oder weil der Zeuge B. einen zweiten Versuch unternommen hatte, dem Nebenkläger zur Hilfe zu kommen. Der Nebenkläger war zu diesem Zeitpunkt „erkennbar schwer verletzt, röchelte aber noch vernehmbar“. Mehrere Bekannte des Nebenklägers befanden sich am Tatort, so dass mit rascher Hilfe zu rechnen war, wasdem Angeklagten auch bewusst war.
5
Der Nebenkläger erlitt multiple Gesichtsfrakturen und befand sich fast zwei Wochen in stationärer Behandlung. Im Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung bestanden immer noch Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses und ein nahezu vollständiger Verlust des Geschmackssinns.
6
b) Das Landgericht hat einen freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags nach § 24 Abs. 1 StGB bejaht und den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB verurteilt. Es hat in dubio pro reo angenommen, dieser sei davon ausgegangen, durch bloße Beendigung seiner Einwirkungshandlungen den Eintritt des Todeserfolgs verhindern zu können.
7
Zu der Frage, aus welchem Beweggrund der Angeklagte die weitere Tatausführung beendet habe, hat es keine sicheren Feststellungen treffen können. Aufgrund des Zweifelssatzes sei daher zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, er sei der Auffassung gewesen, der Nebenkläger habe mit der Zufügung erheblicher Verletzungen „genug“.

II.


8
Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Sie führt lediglich zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Ergänzung des Tenors. Bei einem Grund- oder Teilur- teil nach § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO ist im Tenor auszusprechen, dass im Übrigen von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen wird (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2018 – 5 StR 488/17; Beschluss vom 4. November 2014 – 1 StR 432/14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 406 Rn. 13a mwN).

III.


9
Auch die Revision des Nebenklägers hat keinen Erfolg.
10
1. Die Erwägungen des Landgerichts zum freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch halten sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
11
a) Insbesondere begegnet es keinen Bedenken, dass das Landgericht vom unbeendeten Versuch ausgegangen ist.
12
aa) Es hat zutreffend den nach ständiger Rechtsprechung geltenden Maßstab für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch zugrunde gelegt, der sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont, bestimmt (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; Urteile vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 175; vom 12. November 1987 – 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f., und vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306). Wenn bei einem Tötungsdelikt der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht, liegt ein beendeter Versuch vor. Die zum beendeten Versuch führende gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere Tatsache, die festgestellt werden muss, wozu es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände bedarf (BGH, Urteile vom 2. November 1994, 2 StR 449/94, aaO und vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264; Beschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704, und vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13, NStZ-RR 2014, 202 f.).
13
bb) Bei der an diesen Maßstäben ausgerichteten Gesamtwürdigung hat das Landgericht die für den Rücktrittshorizont relevanten Umstände aus dem festgestellten Lebenssachverhalt berücksichtigt und ist unter Anwendung des für den Rücktrittshorizont geltenden Zweifelssatzes (BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704) rechtsfehlerfrei zur Annahme eines unbeendeten Versuchs gelangt.
14
Zwar setzt die Annahme eines unbeendeten Versuchs gerade bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täters voraus, dass auch Umstände festgestellt werden, die im Rahmen der Gesamtwürdigung die Wertung zulassen, er habe nach Beendigung der Tathandlung den tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10). Einen solchen Umstand hat die Strafkammer in wahrnehmbaren Lebenszeichen des Nebenklägers (Atemgeräuschen) gesehen und in ihre Gesamtwürdigung zum Rücktrittshorizont einbezogen. Dies ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, auch wenn andere Schlüsse möglich gewesen wären oder gar näher gelegen hätten (BGH, Urteile vom 27. Juli 2017 – 3 StR 172/17, und vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179).
15
Soweit das Landgericht darüber hinaus schon bei der Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch auf den Grundsatz in dubio pro reo zu- rückgreift, begegnet auch dies keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704; Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10). Denn dieser verbietet es in Fällen , in denen Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf den Erfolgseintritt nicht festgestellt werden können, auf deren Fehlen – und damit auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines beendeten Versuchs – zu schließen (BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704, und vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13, NStZ-RR 2014, 202, 203; SSWStGB /Kudlich/Schuhr, 3. Aufl., § 24 Rn. 38). Für die zum beendeten Versuch führende Annahme der gedanklichen Indifferenz des Täters bedarf es deren eigenständiger Feststellung (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13, aaO), zu der das Landgericht jedoch – rechtfehlerfrei – gerade nicht gelangt ist.
16
b) Die Erwägungen des Landgerichts zur Freiwilligkeit des Rücktritts halten revisionsgerichtlicher Überprüfung ebenfalls stand.
17
Auch bei der Feststellung der Freiwilligkeit wirken sich Zweifel an dieser inneren Tatsache zu Gunsten des Täters aus (BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 537/06, NStZ 2007, 265, 266 und vom 20.August 2004 – 2 StR 281/04, NStZ-RR 2004, 361; SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, aaO, § 24 Rn. 67). Das Landgericht hat vorliegend drei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mögliche Abläufe bzw. Motivationsfaktoren für das Ablassen des Angeklagten vom Nebenkläger in Betracht gezogen, wobei keine der erwogenen Konstellationen zur Überzeugung der Strafkammer letztlich festgestellt werden konnte. Auf dieser Beweisgrundlage hat die Strafkammer bei der Bewertung der Freiwilligkeit des Rücktritts rechtsfehlerfrei unter Anwendung des Zweifelssat- zes die für den Angeklagten günstigste der drei Varianten („Opfer hatte genug“) zugrunde gelegt, die zur Annahme eines freiwilligen Rücktritts führt.
18
c) Das Landgericht hat zudem zu Recht die Prüfung des Rücktritts vom Totschlagsversuch am Maßstab des § 24 Abs. 1 StGB ausgerichtet. Eine Beteiligung der Ehefrau am versuchten Tötungsdelikt, die zur Anwendung von § 24 Abs. 2 StGB hätte führen können, wird durch die Feststellungen nicht belegt.
19
2. Die Entscheidung im Adhäsionsverfahren durch ein Grundurteil gemäß § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat ausreichend dargelegt, dass der Rechtsstreit über die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs nicht entscheidungsreif war (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2002 – 5 StR 291/02, BGHSt 47, 378, 380; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 406 Rn. 9; Velten in SK-StPO, 4. Aufl., § 406 Rn. 8). Eine Hinweispflicht besteht bei Entscheidung durch Grundurteil nach § 406 Abs. 5 Satz 1 StPO nicht (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 406 Rn. 14; Stöckel in KMR-StPO, § 406 Rn. 28; Meyer/Dürre, JZ 2006, 18, 24).
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp Berger

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 397/17
vom
15. März 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:150318U4STR397.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. März 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke, Dr. Quentin, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Richterin am Amtsgericht – bei der Verkündung – als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 10. März 2017, soweit es den Angeklagten H. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit versuchtem Sichverschaffen von Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützten Revision, mit der er auch die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts erstrebt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der seinerzeit 18-jährige Angeklagte und die jugendlichen Mitangeklagten A. und G. beschlossen am 8. August 2016, den 17-jährigen Nebenkläger U. , bei dem der Angeklagte schon mehrmals Drogen gekauft hatte, Drogen und Geld wegzunehmen. Der Angeklagte verabredete ein Treffen mit dem Nebenkläger, um vorgeblich Drogen zu kaufen. Er bewaffnete sich mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von acht Zentimetern , A. mit einer Gehstockhülle aus Metall. G. führte einen Schlagstock mit sich, blieb allerdings vor dem Haus, in dem sich der Nebenklä- ger aufhielt, um „Schmiere zu stehen“. Die beiden anderen begaben sich zu der Wohnung. Als der Nebenkläger sah, dass der Angeklagte nicht allein kam, wurde er wütend und fuhr ihn an. Der Angeklagte beschloss, ihn so schnell wie möglich kampfunfähig zu machen, und stach ihm mit Wucht das mitgeführte Küchenmesser in den linken Oberkörperbereich zwischen Brust- und Bauchraum , wobei er den Tod des Nebenklägers billigend in Kauf nahm. Durch den Stich wurden die Pleurahöhle und Äste der Körperhauptschlagader des Nebenklägers verletzt. Beides war akut lebensgefährlich und hätte bei fehlender Behandlung zum Tod geführt. Der Nebenkläger zeigte zunächst keine erkennbare Wirkung. Der Angeklagte drängte in die Wohnung und nahm in der Küche ein Messer mit 23 Zentimeter langer Klinge an sich, um damit dem Nebenkläger zu drohen und weiter auf ihn einzustechen. Dann ließ er es jedoch in dem Bewusstsein , weitere lebensgefährliche Stiche führen zu können, sinken und schließlich fallen. Es kam nun zu einem Gerangel mit dem Nebenkläger, den der Angeklagte nicht für tödlich verletzt hielt. Der Angeklagte fügte dem Nebenkläger sodann mit dem wieder zur Hand genommenen mitgebrachten kleineren Küchenmesser einige oberflächliche Verletzungen zu. Nachdem der Nebenkläger bei dem Gerangel die Oberhand gewonnen hatte, versetzte der Angeklagte ihm einen Stich über dem linken Schulterblatt, der zu einer oberflächlichen Hautdurchtrennung führte. Der Nebenkläger wehrte sich weiter, und der Angeklagte verlor das Messer. A. kam ihm zu Hilfe und schlug mit der Gehstockhülle auf den Nebenkläger ein. Unmittelbar danach erschien der Zeuge Z. mit einer Machete in der Wohnungstür und machte damit Stichbewegungen , um die Angreifer zu vertreiben. Der Angeklagte undA. entschlossen sich zu fliehen. Jetzt – frühestens aber gegen Ende des Kampfgeschehens – sah der Angeklagte erstmals, dass der Nebenkläger stark blutete. „Erst in die- sem Moment kam ihm der Gedanke, der Nebenkläger könne möglicherweise doch tödlich verletzt sein“ (UA 13).
4
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte seinen Tötungsvorsatz aufgab, als er das aus der Küche entnommene große Messer fallen ließ. Zu diesem Zeitpunkt habe er aufgrund der fortbestehenden Kampffähigkeit davon ausgehen können, dass der Nebenkläger nicht tödlich verletzt sei, und sei vom Versuch des (unbeendeten) Tötungsdelikts zurückgetreten. Die weiteren Verletzungen habe er dem Nebenkläger mit Körperverletzungsvorsatz zugefügt. Frühestens gegen Ende des Kampfgeschehens, also geraume Zeit danach, seien die ersten Anzeichen erkennbar geworden, dass der Nebenkläger schwerer verletzt sein könnte. Dass er zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund des massiven Blutverlusts des Nebenklägers eine tödliche Verletzung für möglich gehalten habe, sei irrelevant (UA 35).

II.


5
Die Revision des Nebenklägers ist zulässig, soweit sie sich dagegen richtet, dass der Angeklagte nicht wegen eines versuchten Tötungsdelikts verurteilt worden ist. Während die Verfahrensrügen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durchgreifen, führt die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Jugendkammer des Landgerichts.
6
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat, keinen Rechtsfehler auf.
7
2. Die Annahme eines Rücktritts vom unbeendeten Tötungsversuch hält rechtlicher Nachprüfung hingegen nicht stand, weil das Landgericht die Möglichkeit einer sogenannten umgekehrten Korrektur des Rücktrittshorizonts nicht bedacht hat.
8
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 mwN). Der sogenannte Rücktrittshorizont kann in engen Grenzen allerdings noch nachträglich korrigiert werden: Wenn der Täter, der nach der letzten Ausführungshandlung den Erfolgseintritt zunächst für möglich hält, unmittelbar darauf erkennt, dass er sich geirrt hat, kann er durch Abstandnahme von weiteren möglichen Ausführungshandlungen mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurücktreten (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 – 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224). Rechnet der Täter zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, ist auch eine sogenannte umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizontes möglich, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall liegt ein beendeter Versuch vor. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Korrektur der Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser erfolgt (BGH, Urteil vom 15. Juni 1988 – 2 StR 157/88, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Ver- such, unbeendeter 15; Urteil vom 18. August 1998 – 5 StR 189/98, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 12; Beschluss vom 6. Februar 2008 – 5 StR 590/07, StraFo 2008, 212; Beschluss vom 6. Oktober 2009 – 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146; vgl. Lilie/Albrecht in LK, StGB, 12. Aufl., § 24 Rn. 179, 181).
9
Das Landgericht ist zwar mit tragfähigen Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte nach Ausführung des ersten Messerstichs mit der Ablage des Messers strafbefreiend von dem nach seiner Vorstellung zu diesem Zeitpunkt unbeendeten Versuch eines Tötungsdelikts zurücktrat und während des nachfolgenden Gerangels mit dem Nebenkläger von weiteren mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriffen absah. Mit der Frage, ob der festgestellte Wechsel des Vorstellungsbildes „gegen Ende des Kampfgeschehens“ – der Angeklagte hatte nunmehr den massiven Blutverlust beim Nebenkläger erkannt und hielt es zu diesem Zeitpunkt für möglich, den Nebenkläger doch tödlich verletzt zu haben – zu einer Korrektur des Rücktrittshorizonts und zum Vorliegen eines beendeten Versuchs geführt hat, hat sich das Landgericht nicht erkennbar auseinandergesetzt. Es hat lediglich pauschal darauf verwiesen, diese spä- tere Erkenntnis sei „irrelevant“, ohne dies zu begründen.Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer dem nachträglichen Wechsel des Vorstellungsbildes des Angeklagten von vorneherein für die Rücktrittsfrage jede Bedeutung abgesprochen und die Möglichkeit einer nachträglichen – umgekehrten – Korrektur des Rücktrittshorizonts nicht in den Blick genommen hat. Der für die Annahme einer solchen Korrektur des Rücktrittshorizonts erforderliche zeitliche und räumliche Zusammenhang lag nach den Feststellungen des Landgerichts indes nahe, die Frage einer umgekehrten Korrektur des Rücktrittshorizonts war mithin erörterungsbedürftig.
10
Es ist zwar davon auszugehen, dass zwischen dem mit Tötungsvorsatz geführten Messerstich und dem Wechsel des Vorstellungsbildes gegen Ende der Kampfhandlungen ein gewisser zeitlicher Abstand lag. Feststellungen hierzu hat das Landgericht indes nicht getroffen, so dass schon aus diesem Grund nicht beurteilt werden kann, ob der zeitliche Ablauf des Geschehens eine Zäsur herbeiführte, die einer nachträglichen umgekehrten Korrektur des Rücktrittshorizonts und damit dem Vorliegen eines beendeten Versuchs entgegenstand. Hinzu kommt, dass es sich bis zum Ende des Kampfes um ein ohne wesentliche Zwischenakte ablaufendes, von demselben Handlungsziel, nämlich der beabsichtigten Wegnahme von Betäubungsmitteln, getragenes dynamisches Geschehen handelte, was wiederum für den geforderten engen Zusammenhang mit der Tötungshandlung sprechen könnte.
11
Mit alledem hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Der Erörterungsmangel führt zur Aufhebung des Urteils in seiner Gänze. Da eine Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts in Tateinheit mit den ausgeurteilten übrigen Taten stünde, werden diese, obwohl sie rechtsfehlerfrei festgestellt sind, von der Urteilsaufhebung mit erfasst (BGH, Urteil vom 7. März 1996 – 1 StR 688/95, NJW 1996, 2171, 2172 mwN; Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1; Urteil vom 10. September 2015 – 4 StR 151/15, NJW 2015, 3732, 3733).
12
3. Dass das Landgericht ein neues – durch Unterlassen begangenes – versuchtes Tötungsdelikt nicht erörtert hat, begründet keinen Verstoß gegen die Kognitionspflicht. Angesichts der Anwesenheit von ersichtlich hilfsbereiten Dritten vor Ort bestand zu dahingehenden Erörterungen kein Anlass.
13
4. Die nach § 301 StPO gebotene Überprüfung des Urteils auch zugunsten des Angeklagten hat keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
14
5. Soweit sich die Revisionsbegründung gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils richtet, fehlt es an der notwendigen rechtzeitigen Kostenbeschwerde.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Quentin Feilcke

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 317/17
vom
31. August 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:310817B4STR317.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 31. August 2017 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 5. Januar 2017 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, das Verfahren wegen mehrerer Anklagevorwürfe eingestellt und den Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Auf Revision des Nebenklägers hob der Senat mit Urteil vom 14. Januar 2016 das erstinstanzliche Urteil auf, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung (Fall 6 der Anklage ) freigesprochen worden war, sowie im Gesamtstrafenausspruch und soweit von der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen worden war.
2
Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr wegen schwerer Körperverletzung und wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision.

I.


3
Das Landgericht hat bezüglich der Tat zum Nachteil des Nebenklägers (Fall 6 der Anklage) nunmehr im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
4
In der Nacht vom 15. auf den 16. August 2015 befand sich der Angeklagte auf dem Weinfest in A. . Gegen 2:30 Uhr kam es dort zu einem kleineren Konflikt zwischen dem Nebenkläger und einem Bekannten des Angeklagten , dem Zeugen Z. . Dieser versetzte dem Nebenkläger einen Stoß oder leichten Schlag, was der etwas entfernt stehende Angeklagte beobachtete. Er fühlte sich durch das aggressive Verhalten seines Bekannten animiert, gleichfalls körperlich auf den Nebenkläger einzuwirken. Er nahm Anlauf, sprang in Richtung des Nebenklägers und schlug diesen mit der Faust gegen die Schläfe. Der Nebenkläger fiel hierdurch rücklings auf den asphaltierten Boden, wo er mit dem Hinterkopf aufschlug.
5
Durch den Sturz zog sich der Nebenkläger ein Schädelhirntrauma mit frontobasal beidseitiger Kontusionsblutung und eine Schädelfraktur zu. Dies führte zu einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD-10 F07.2), welches sich bis heute in erheblicher Weise auf das Leben des Nebenklägers auswirkt. Er leidet an einer signifikanten Einschränkung des Kon- zentrationsvermögens und der Aufmerksamkeitszuwendung, einer gesteigerten Vergesslichkeit, einer Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses, einer gesteigerten Ermüdbarkeit, einer Reduktion der Frustrations- und Belastungstoleranz sowie einem reduzierten Antriebsniveau. Zudem zeigt sich der Nebenkläger deutlich persönlichkeitsverändert, was insbesondere gekennzeichnet ist durch eine erhöhte Reizbarkeit mit teils paranoiden Zügen und durch eine Nivellierung der Emotionen. Weitere Folgeerscheinungen sind häufige, teils migräneartige Kopfschmerzen, ein Tinnitus, eine erhebliche Schädigung des Geruchssinns sowie gelegentliche Taubheitsgefühle in den Fingern und im Oberschenkel. Durch die genannten Beeinträchtigungen ist die Arbeitsfähigkeit des Nebenklägers in seinem erlernten Beruf des Ingenieurs um mehr als 50 %, seine Erwerbsfähigkeit insgesamt jedoch um weniger als 50 % reduziert, ohne dass der Strafkammer eine genauere Bezifferung möglich gewesen wäre. Für die Zukunft sind allenfalls noch geringfügige Besserungen der Symptomatik zu erwarten. Der Eintritt dieser schweren Folgen war für den Angeklagten voraussehbar.

II.


6
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
7
1. Die Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Nebenkläger in eine geistige Krankheit verfallen ist (§ 226 Abs. 1 Nr. 3, 4. Var. StGB), nicht dagegen in Siechtum (2. Var.) oder eine geistige Behinderung (5. Var.).
8
a) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen das Vorliegen einer geistigen Krankheit im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 4. Var. StGB.
9
Da § 226 StGB allein die Folgen für das Tatopfer in den Blick nimmt, ist eine an medizinischen Kriterien orientierte Auslegung des Begriffs der geistigen Krankheit angezeigt, wonach im Ausgangspunkt sämtliche krankheitswertige Schäden an der psychischen Gesundheit erfasst werden (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 226 Rn. 13, MüKo-StGB/Hardtung, 2. Aufl., § 226 Rn. 40; ders., JuS 2008, 1060, 1063). Dagegen widerspräche es dem Sinn und Zweck der Vor- schrift, den Begriff der „geistigen Krankheit“ inhaltlich an dem enger gefassten Merkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB auszurichten , da hier allein die tatbezogene Schuldfähigkeit des Täters in Rede steht (anders jedoch: NK-StGB/Paeffgen/Böse, 5. Aufl., § 226 Rn. 35; SK-StGB/ Wolters, 8. Aufl., 141. Lfg., § 226 Rn. 15; Jäger, JuS 2000, 31, 38 – dagegen Fischer, aaO, § 226 Rn. 13). Das bei dem Nebenkläger diagnostizierte organische Psychosyndrom – welches nach der ICD-10-Klassifikation als psychische Krankheit eingeordnet wird (vgl. auch Hoff/Sass in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der forensischen Psychiatrie, Band 2, 2010, S. 52 ff.) – ist als krankheitswertiger psychischer Schaden somit vom Tatbestand erfasst.
10
Das bei dem Nebenkläger festgestellte Krankheitsbild weist auch den im Rahmen von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Schweregrad auf.
11
Aus dem Wortlaut der Vorschrift („verfallen“) und einem Vergleich zu den sonstigen Tatbestandsvarianten des § 226 StGB ergibt sich, dass die geistige Krankheit nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend sein darf (Fischer, aaO, § 226 Rn. 10; LK-StGB/Hirsch, 12. Aufl., § 226 Rn. 22; MüKo-StGB/ Hardtung, aaO, § 226 Rn. 35 + 40; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Stree, StGB, 29. Aufl., § 226 Rn. 7 – vgl. zur entsprechenden Auslegung des Begriffs der „geistigen Behinderung“: BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 – 3 StR 453/08, NStZ 2009, 284; vom 31. August 2016 – 4 StR 340/16, NStZ 2017, 282). Angesichts der gravierenden Folgen des sich nachhaltig auf verschiedene Lebensbereiche des Nebenklägers auswirkenden und zudem überdauernden Psychosyndroms sind diese Voraussetzungen erfüllt.
12
b) Die Strafkammer hat die Tatbestandsvariante des Siechtums im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 2. Var. StGB dagegen tragfähig verneint, da ausweislich des angefochtenen Urteils nicht zu erwarten ist, dass sich das Krankheitsbild des Nebenklägers verschlechtert, er nach wie vor zu eigenständiger Lebensführung in der Lage ist und seine allgemeine Erwerbsfähigkeit um weniger als 50 % gemindert ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. Januar 1997 – 3 StR 522/96, StV 1997, 188; Beschluss vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Siechtum 1).
13
c) Für die zusätzliche Annahme einer geistigen Behinderung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 5. Var. StGB ist ebenfalls kein Raum, da hierunter nur solche Störungen der Gehirntätigkeit fallen, die nicht bereits – wie hier – als geistige Krankheit zu qualifizieren sind (BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 – 3 StR 453/08, aaO; vom 31. August 2016 – 4 StR 340/16, aaO; SSWStGB /Momsen/Momsen-Pflanz, 3. Aufl., § 226 Rn. 22).
14
2. Auch der Strafausspruch hält im Ergebnis revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
15
Zwar hat das Landgericht dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumes- sung rechtsfehlerhaft angelastet, dass „kein vernünftiger Anlass für die Tat“ bestanden und sich diese „quasi zufällig gegen einen völlig fremden Passanten“ gerichtet habe. Dass das Opfer keinen Anlass zur Tat geboten hat, darf jedoch – als Fehlen eines Strafmilderungsgrundes – nicht strafschärfend berücksichtigt werden (BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2017 – 3 StR 106/17, juris Rn. 3; vom 15. September 2015 – 2 StR 21/15, NStZ-RR 2016, 40). Überdies hat die Strafkammer in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt, dass die Impulskontrolle des an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose leidenden Angeklagten bei Tatbegehung in schuldfähigkeitsrelevanter Weise beeinträchtigt war in Form einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB. Tatmodalitäten und Tatmotive dürfen jedoch dann nicht uneingeschränkt strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie ihre Ursache in einem psychischen Defekt finden, der seinerseits die Tatschuld mindert (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2003 – 1 StR 251/03, NStZ-RR 2003, 362; vom 21. August 1991 – 2 StR 447/90, NStZ 1991, 581; Fischer, aaO, § 46 Rn. 27 mwN).
16
Angesichts der weiteren – bei der Strafzumessungsentscheidung der Strafkammer ersichtlich im Vordergrund stehenden – erheblichen Strafschärfungsgründe , insbesondere des Umstands, dass der Angeklagte mehrfach einschlägig vorbestraft ist und bei Tatbegehung unter zwei laufenden Bewährungen stand, kann der Senat jedoch ausschließen, dass die Höhe der moderat bemessenen Einzelstrafe (zwei Jahre und sieben Monate Freiheitsstrafe) auf der genannten rechtlich bedenklichen Erwägung beruht.
Sost-Scheible Roggenbuck RiBGH Cierniak ist urlaubsbedingt abwesend und daher an der Unterschrift gehindert. Sost-Scheible
Franke Quentin

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 317/17
vom
31. August 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:310817B4STR317.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 31. August 2017 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 5. Januar 2017 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, das Verfahren wegen mehrerer Anklagevorwürfe eingestellt und den Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Auf Revision des Nebenklägers hob der Senat mit Urteil vom 14. Januar 2016 das erstinstanzliche Urteil auf, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung (Fall 6 der Anklage ) freigesprochen worden war, sowie im Gesamtstrafenausspruch und soweit von der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen worden war.
2
Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr wegen schwerer Körperverletzung und wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision.

I.


3
Das Landgericht hat bezüglich der Tat zum Nachteil des Nebenklägers (Fall 6 der Anklage) nunmehr im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
4
In der Nacht vom 15. auf den 16. August 2015 befand sich der Angeklagte auf dem Weinfest in A. . Gegen 2:30 Uhr kam es dort zu einem kleineren Konflikt zwischen dem Nebenkläger und einem Bekannten des Angeklagten , dem Zeugen Z. . Dieser versetzte dem Nebenkläger einen Stoß oder leichten Schlag, was der etwas entfernt stehende Angeklagte beobachtete. Er fühlte sich durch das aggressive Verhalten seines Bekannten animiert, gleichfalls körperlich auf den Nebenkläger einzuwirken. Er nahm Anlauf, sprang in Richtung des Nebenklägers und schlug diesen mit der Faust gegen die Schläfe. Der Nebenkläger fiel hierdurch rücklings auf den asphaltierten Boden, wo er mit dem Hinterkopf aufschlug.
5
Durch den Sturz zog sich der Nebenkläger ein Schädelhirntrauma mit frontobasal beidseitiger Kontusionsblutung und eine Schädelfraktur zu. Dies führte zu einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD-10 F07.2), welches sich bis heute in erheblicher Weise auf das Leben des Nebenklägers auswirkt. Er leidet an einer signifikanten Einschränkung des Kon- zentrationsvermögens und der Aufmerksamkeitszuwendung, einer gesteigerten Vergesslichkeit, einer Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses, einer gesteigerten Ermüdbarkeit, einer Reduktion der Frustrations- und Belastungstoleranz sowie einem reduzierten Antriebsniveau. Zudem zeigt sich der Nebenkläger deutlich persönlichkeitsverändert, was insbesondere gekennzeichnet ist durch eine erhöhte Reizbarkeit mit teils paranoiden Zügen und durch eine Nivellierung der Emotionen. Weitere Folgeerscheinungen sind häufige, teils migräneartige Kopfschmerzen, ein Tinnitus, eine erhebliche Schädigung des Geruchssinns sowie gelegentliche Taubheitsgefühle in den Fingern und im Oberschenkel. Durch die genannten Beeinträchtigungen ist die Arbeitsfähigkeit des Nebenklägers in seinem erlernten Beruf des Ingenieurs um mehr als 50 %, seine Erwerbsfähigkeit insgesamt jedoch um weniger als 50 % reduziert, ohne dass der Strafkammer eine genauere Bezifferung möglich gewesen wäre. Für die Zukunft sind allenfalls noch geringfügige Besserungen der Symptomatik zu erwarten. Der Eintritt dieser schweren Folgen war für den Angeklagten voraussehbar.

II.


6
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
7
1. Die Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Nebenkläger in eine geistige Krankheit verfallen ist (§ 226 Abs. 1 Nr. 3, 4. Var. StGB), nicht dagegen in Siechtum (2. Var.) oder eine geistige Behinderung (5. Var.).
8
a) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen das Vorliegen einer geistigen Krankheit im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 4. Var. StGB.
9
Da § 226 StGB allein die Folgen für das Tatopfer in den Blick nimmt, ist eine an medizinischen Kriterien orientierte Auslegung des Begriffs der geistigen Krankheit angezeigt, wonach im Ausgangspunkt sämtliche krankheitswertige Schäden an der psychischen Gesundheit erfasst werden (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 226 Rn. 13, MüKo-StGB/Hardtung, 2. Aufl., § 226 Rn. 40; ders., JuS 2008, 1060, 1063). Dagegen widerspräche es dem Sinn und Zweck der Vor- schrift, den Begriff der „geistigen Krankheit“ inhaltlich an dem enger gefassten Merkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB auszurichten , da hier allein die tatbezogene Schuldfähigkeit des Täters in Rede steht (anders jedoch: NK-StGB/Paeffgen/Böse, 5. Aufl., § 226 Rn. 35; SK-StGB/ Wolters, 8. Aufl., 141. Lfg., § 226 Rn. 15; Jäger, JuS 2000, 31, 38 – dagegen Fischer, aaO, § 226 Rn. 13). Das bei dem Nebenkläger diagnostizierte organische Psychosyndrom – welches nach der ICD-10-Klassifikation als psychische Krankheit eingeordnet wird (vgl. auch Hoff/Sass in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der forensischen Psychiatrie, Band 2, 2010, S. 52 ff.) – ist als krankheitswertiger psychischer Schaden somit vom Tatbestand erfasst.
10
Das bei dem Nebenkläger festgestellte Krankheitsbild weist auch den im Rahmen von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Schweregrad auf.
11
Aus dem Wortlaut der Vorschrift („verfallen“) und einem Vergleich zu den sonstigen Tatbestandsvarianten des § 226 StGB ergibt sich, dass die geistige Krankheit nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend sein darf (Fischer, aaO, § 226 Rn. 10; LK-StGB/Hirsch, 12. Aufl., § 226 Rn. 22; MüKo-StGB/ Hardtung, aaO, § 226 Rn. 35 + 40; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Stree, StGB, 29. Aufl., § 226 Rn. 7 – vgl. zur entsprechenden Auslegung des Begriffs der „geistigen Behinderung“: BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 – 3 StR 453/08, NStZ 2009, 284; vom 31. August 2016 – 4 StR 340/16, NStZ 2017, 282). Angesichts der gravierenden Folgen des sich nachhaltig auf verschiedene Lebensbereiche des Nebenklägers auswirkenden und zudem überdauernden Psychosyndroms sind diese Voraussetzungen erfüllt.
12
b) Die Strafkammer hat die Tatbestandsvariante des Siechtums im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 2. Var. StGB dagegen tragfähig verneint, da ausweislich des angefochtenen Urteils nicht zu erwarten ist, dass sich das Krankheitsbild des Nebenklägers verschlechtert, er nach wie vor zu eigenständiger Lebensführung in der Lage ist und seine allgemeine Erwerbsfähigkeit um weniger als 50 % gemindert ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. Januar 1997 – 3 StR 522/96, StV 1997, 188; Beschluss vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Siechtum 1).
13
c) Für die zusätzliche Annahme einer geistigen Behinderung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 5. Var. StGB ist ebenfalls kein Raum, da hierunter nur solche Störungen der Gehirntätigkeit fallen, die nicht bereits – wie hier – als geistige Krankheit zu qualifizieren sind (BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 – 3 StR 453/08, aaO; vom 31. August 2016 – 4 StR 340/16, aaO; SSWStGB /Momsen/Momsen-Pflanz, 3. Aufl., § 226 Rn. 22).
14
2. Auch der Strafausspruch hält im Ergebnis revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
15
Zwar hat das Landgericht dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumes- sung rechtsfehlerhaft angelastet, dass „kein vernünftiger Anlass für die Tat“ bestanden und sich diese „quasi zufällig gegen einen völlig fremden Passanten“ gerichtet habe. Dass das Opfer keinen Anlass zur Tat geboten hat, darf jedoch – als Fehlen eines Strafmilderungsgrundes – nicht strafschärfend berücksichtigt werden (BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2017 – 3 StR 106/17, juris Rn. 3; vom 15. September 2015 – 2 StR 21/15, NStZ-RR 2016, 40). Überdies hat die Strafkammer in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt, dass die Impulskontrolle des an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose leidenden Angeklagten bei Tatbegehung in schuldfähigkeitsrelevanter Weise beeinträchtigt war in Form einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB. Tatmodalitäten und Tatmotive dürfen jedoch dann nicht uneingeschränkt strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie ihre Ursache in einem psychischen Defekt finden, der seinerseits die Tatschuld mindert (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2003 – 1 StR 251/03, NStZ-RR 2003, 362; vom 21. August 1991 – 2 StR 447/90, NStZ 1991, 581; Fischer, aaO, § 46 Rn. 27 mwN).
16
Angesichts der weiteren – bei der Strafzumessungsentscheidung der Strafkammer ersichtlich im Vordergrund stehenden – erheblichen Strafschärfungsgründe , insbesondere des Umstands, dass der Angeklagte mehrfach einschlägig vorbestraft ist und bei Tatbegehung unter zwei laufenden Bewährungen stand, kann der Senat jedoch ausschließen, dass die Höhe der moderat bemessenen Einzelstrafe (zwei Jahre und sieben Monate Freiheitsstrafe) auf der genannten rechtlich bedenklichen Erwägung beruht.
Sost-Scheible Roggenbuck RiBGH Cierniak ist urlaubsbedingt abwesend und daher an der Unterschrift gehindert. Sost-Scheible
Franke Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 453/08
vom
16. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
16. Dezember 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 8. Juli 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung sowie wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
2
1. Das Urteil kann nicht bestehen bleiben, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit seinem 15. Lebensjahr in zunehmendem Maße Haschisch, Kokain, Heroin und Tabletten. An die dafür notwendigen finanziellen Mittel gelangte er überwiegend durch Straftaten. Nachdem er im Jahre 2004 eine Therapie gemäß § 35 BtMG absolviert hatte, wurde die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt. Während der Bewährungszeit konsumierte er jedoch weiterhin Cannabis. Die erste verfahrensgegenständliche Tat im November 2006 beging er in der Hoffnung, Geld zu finden, um damit u. a. Heroin zu kaufen. Auch zur Zeit der zweiten Tat im Februar 2007 konsumierte der Angeklagte Heroin. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht den Drogenkonsum des Angeklagten strafmildernd gewürdigt. Außerdem hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er unter dem ständigen Druck stand, sich Geld zur Finanzierung seiner Drogen beschaffen zu müssen, was seine Hemmschwelle zur Begehung krimineller Taten tendenziell herabgesetzt habe. Unter diesen Umständen liegt es nahe, dass die Taten auf einen Hang des Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Dies drängte zu der Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gegeben sind.
3
Die vom Landgericht unterlassene Prüfung erweist sich auch nicht deshalb als entbehrlich, weil nach § 64 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) die Maßregel nicht mehr zwingend anzuordnen ist. Denn das Tatgericht muss das ihm nunmehr eingeräumte Ermessen auch tatsächlich ausüben und dies in den Urteilsgründen kenntlich machen (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 73 f.). Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Maßregelanordnung jedenfalls deswegen ausscheiden müsste, weil es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges fehlt (§ 64 Satz 2 StGB).
4
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Zur Prüfung der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf es in der neuen Hauptverhandlung der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO).
5
Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mildere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe verhängt hätte.
6
2. Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat bemerkt ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschrift:
7
a) Die Strafkammer hat sich hinsichtlich des Raubüberfalls vom 12. Februar 2007 unter anderem deswegen von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt , weil der Zeuge K. als Täter nicht in Betracht komme. Hierzu hat sie sich auch auf eine "Täteranalyse des Landeskriminalamts" gestützt. Danach müsse es sich um "einen strukturiert handelnden Täter gehandelt haben, der erfahren mit Einbruchs- und Raubdelikten" sei (UA S. 22). Die Analyse beschreibe ihn als "Person mit Erfahrungen im Einsatz von körperlicher Gewalt, wobei Körperverletzungs- und Raubdelikte zu vermuten sind, Erfahrung bei der Begehung von Einbruchs- und Diebstahlstaten und sicherer und kontrollierter Bewegung in einem fremden Objekt, fachgerechter Einsatz von Einbruchswerkzeug , gezielter Auswahl des Stehl- und Raubgutes. Dabei wirkt die Tat nicht wie eine Beschaffungskriminalität, sondern eher wie eine kontrollierte Berufsaus- übung" (UA S. 29). Dem schließe sich die Kammer an. Die Merkmale träfen auf den Angeklagten, nicht dagegen auf den Zeugen K. zu.
8
Die Ausführungen des Landgerichts lassen besorgen, dass es sich ohne eigene Prüfung und Bewertung dem Ergebnis der "Täteranalyse" angeschlossen hat; denn auf welchen Tatsachen und Erfahrungssätzen die Erkenntnis beruht , dass der Täter strukturiert gehandelt habe, er erfahren in der Begehung von Körperverletzungs-, Einbruchs- und Raubdelikten gewesen sein müsse und die Tat nicht wie Beschaffungskriminalität, sondern wie kontrollierte Berufsausübung wirke, lässt sich dem Urteil ebenso wenig entnehmen wie eine eigenständige Überzeugungsbildung des Landgerichts. Eine solche ist jedoch unerlässlich.
9
Gemäß § 261 StPO entscheidet über das Ergebnis der Beweisaufnahme das Gericht. Es obliegt allein ihm, die für den Urteilsspruch relevanten Tatsachen und Erfahrungssätze festzustellen, in ihrer Beweisbedeutung zu bewerten und sich auf dieser Grundlage eine Überzeugung zu bilden. Soweit die Ermittlung der Tatsachen besonderer Sachkunde bedarf, über die das Gericht nicht verfügt, hat es sich diese durch einen Sachverständigen vermitteln zu lassen. Gleiches gilt, soweit die Erfahrungssätze, aufgrund derer die festgestellten Tatsachen zu bewerten sind oder die den Schluss von diesen auf andere Sachverhalte ermöglichen, außerhalb der Sachkunde des Gerichts liegen. Hierauf ist der Sachverständigenbeweis indes beschränkt. Das Gericht verfehlt daher die ihm nach § 261 StPO obliegende Aufgabe, wenn es Feststellungen und Beurteilungen eines Sachverständigen ungeprüft und ohne eigene Bewertung des Beweisergebnisses übernimmt. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um Schlussfolgerungen handelt, die nach den zur Anwendung zu bringenden Erfahrungssätzen nicht zwingend sind, sondern nur Wahrscheinlichkeitsaussagen mit mehr oder weniger großer Richtigkeitsgewähr zu liefern vermögen. Ob die Schlussfolgerung aufgrund eines derartigen Erfahrungssatzes zu ziehen ist, entscheidet nur das Gericht.
10
Hier bedeutet dies: Darüber, ob der Raubüberfall vom 12. Februar 2007 durch einen strukturiert handelnden Täter verübt wurde, der über Erfahrung im Einsatz körperlicher Gewalt und bei der Begehung von Diebstahls-, Einbruchsund Raubdelikten verfügte, ob er sich sicher und kontrolliert in dem ihm fremden Haus des Tatopfers bewegte, ob er Einbruchswerkzeug fachgerecht zum Einsatz brachte und seine Beute gezielt auswählte und ob das Tatbild eher für "kontrollierte Berufsausübung" als für Beschaffungskriminalität spricht, hatte ausschließlich das Gericht auf der Grundlage der Bewertung der für die Beurteilung dieser Fragen maßgeblichen Fakten und Erfahrungssätze zu befinden. Zu deren Ermittlung hatte es sich gegebenenfalls sachverständiger Hilfe zu bedienen. Deren Bewertung konnte ihm dagegen nicht durch eine "Täteranalyse" abgenommen werden, die lediglich das Ergebnis der eigenständigen Beurteilung des Ermittlungsergebnisses durch Mitarbeiter einer Polizeibehörde vermittelt. Derartige Täteranalysen, operative Fallanalysen etc. mögen für die Ermittlungsarbeit der Polizei durchaus hilfreich sein. Im Strafprozess ist ihnen gegenüber jedoch die eigenständige, unabhängige Überzeugungsbildung der Gerichte zu wahren (vgl. auch BGH NStZ 2006, 712 f.).
11
Im Hinblick auf das sonstige Beweisergebnis und die übrigen Beweiserwägungen des Landgerichts kann der Senat aber ausschließen, dass das Urteil auf der etwaigen fehlerhaften Übernahme der Aussagen der "Täteranalyse" beruht.
12
b) Das Landgericht hat den Tatbestand der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 5. Alt. StGB) zu Recht bejaht. Die von der Geschädigten A. durch die Tat vom 12. Februar 2007 erlittene Agnosie (Gesichtsblindheit) stellt eine Behinderung im Sinne dieser Vorschrift dar. Aus dem Wortzusammenhang ("geistige Krankheit oder Behinderung") und der Regelung körperlicher Behinderungen in anderen Merkmalen des Folgenkatalogs folgt, dass hierunter nur eine geistige Behinderung fällt (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 226 Rdn. 13; Hirsch in LK 11. Aufl. § 226 Rdn. 25 jeweils m. w. N.). Als solche ist eine nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Störung der Gehirntätigkeit anzusehen, die nicht bereits als geistige Krankheit zu qualifizieren ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 226 Rdn. 7). Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen erfüllt, da die Geschädigte aufgrund ihrer Beeinträchtigung keine Erinnerung an Personen hat und es ihr nicht möglich ist, Personen, auch wenn diese zum engsten persönlichen Umfeld gehören, an den Gesichtern zu erkennen.
13
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 16. Dezember 2008 hat dem Senat bei der Beschlussfassung vorgelegen.
Becker Pfister Sost-Scheible
Hubert Schäfer

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
GSSt 3/17
vom
24. Juli 2017
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
Im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die
Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen
Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände kann eine selbstverschuldete
Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenmilderung tragen,
auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung
von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse
des Einzelfalls nicht festgestellt ist.
BGH, Beschluss vom 24. Juli 2017- GSSt 3/17 - LG Osnabrück
ECLI:DE:BGH:2017:240717BGSST3.17.0

in der Strafsache gegen

wegen Totschlags
Der Große Senat für Strafsachen hat durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Limperg, den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf und Dr. Schäfer, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Dr. Quentin und Gericke am 24. Juli 2017 beschlossen:
Im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände kann eine selbstverschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenmilderung tragen, auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist.

Gründe:

1
Die Vorlage betrifft eine Frage aus dem Bereich der Strafzumessung.

I.


2
1. In dem beim 3. Strafsenat anhängigen Verfahren hat das Landgericht den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
3
a) Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen tötete der Angeklagte mit bedingtem Vorsatz seinen Mitbewohner durch Gewalteinwirkung auf den Brust- und Bauchbereich sowie gegen den Kopf, nachdem beide gemeinsam Alkohol konsumiert hatten. Das Landgericht hat weder den Anlass der Tat noch den Grad der Alkoholisierung des Angeklagten festzustellen vermocht. Es ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei erhalten gebliebener Unrechtseinsicht nicht ausschließbar auf Grund einer mittelgradigen Berauschung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war.
4
b) Die Strafkammer hat die Strafe dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Für einen benannten minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 Alternative 1 StGB) hat sie keinen Anhaltspunkt gefunden. Einen sonstigen minder schweren Fall (§ 213 Alternative 2 StGB) hat sie sowohl unter Berücksichtigung allein der allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte als auch unter Hinzuziehung des wegen der Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt angenommenen vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB abgelehnt. Von einer Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hat das Landgericht ebenfalls abgesehen. Es ist davon ausgegangen, dass dies im Fall einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit möglich sei, wenn diese auf verschuldeter Trunkenheit beruht. Eine Alkoholkrankheit oder -überempfindlichkeit des Angeklagten, die ein Verschulden hinsichtlich der Trunkenheit ausgeschlossen hätte, hat die Strafkammer nicht festgestellt.
5
Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat die Strafkammer auf die Erwägungen zur Frage des Vorliegens eines unbenannten minder schweren Falles gemäß § 213 Alternative 2 StGB Bezug genommen und sodann zuguns- ten des Angeklagten dessen durch die Alkoholisierung als konstellativem Faktor beeinflusste affektive Aufladung in der Tatsituation mildernd berücksichtigt.
6
Der Angeklagte hat die Verurteilung mit der Revision umfassend angegriffen und die Verletzung materiellen Rechts beanstandet.
7
Der 3. Strafsenat hält die Entscheidung des Landgerichts für rechtsfehlerfrei und beabsichtigt, dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend die Revision des Angeklagten zu verwerfen. Er versteht die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil dahin, die Strafkammer habe die Strafrahmenverschiebung in Ausübung tatgerichtlichen Ermessens abgelehnt. Das Landgericht sei nicht davon ausgegangen, das selbstverantwortliche Sich-Berauschen des Täters vor der Tat führe von Rechts wegen regelmäßig zur Versagung der Strafrahmenmilderung. Dafür spreche zum einen der Umstand, dass die Ausführungen auf den Beschluss des Senats vom 2. August 2012 (3 StR 216/12, NStZ 2012, 687, 688) verwiesen, dem sich erstgenannter Rechtssatz nicht entnehmen lasse. Sie nähmen gerade nicht auf das Senatsurteil vom 27. März 2003 (3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31) Bezug, in dem dieser die Ansicht vertreten hat, dass eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in der Regel ausscheide, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit beruhe. Zum anderen habe das Landgericht ausdrücklich seinen rechtlichen Ansatz dergestalt umschrieben, dass bei verschuldeter Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenverschiebung - lediglich - "in Betracht kommt".
8
Der 3. Strafsenat ist der Auffassung, das Tatgericht übe sein Ermessen bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht fehlerhaft aus, wenn es im Rahmen einer Gesamtwürdigung der schuldrelevanten Umstände die Versagung der Milderung allein auf den Umstand stütze, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf selbstverschuldeter Trunkenheit beruhe. Gleiches gilt nach seiner Ansicht für die Entscheidung über die Annahme eines minder schweren Falles. Bereits das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat sei ein schulderhöhender Umstand, weil eine alkoholische Berauschung generell das Risiko strafbaren Verhaltens, insbesondere im Bereich der Gewalt- und Sexualdelikte, erhöhe. Dieses dem Alkoholrausch selbst innewohnende Risiko zähle zum Allgemeinwissen. Der Alkoholrausch stelle somit erkennbar eine abstrakte Gefahr für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter dar, die sich, falls der Berauschte eine rechtswidrige Tat begehe, in der konkreten Rechtsgutsgefährdung oder -verletzung realisiere. Insoweit habe das selbstverantwortliche Sich-Betrinken Einfluss auf die Tatschuld, auch wenn eine durch den Alkoholkonsum bedingte, vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Umstände des Einzelfalls nicht festgestellt sei.
9
Der 3. Strafsenat hat deshalb bei den anderen Strafsenaten gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG angefragt, ob diese an (gegebenenfalls) entgegenstehender Rechtsprechung festhalten (BGH, Beschluss vom 15. Oktober2015 - 3 StR 63/15, NStZ 2016, 203).
10
Hierauf haben der 1., 2. und 5. Strafsenat mitgeteilt, ihre Rechtsprechung stehe der beabsichtigten Entscheidung des 3. Strafsenats entgegen; sie hielten an dieser fest (BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2016 - 1 ARs 21/15; vom 7. November 2016 - 2 ARs 386/15, NStZ-RR 2017, 70; vom 1. März 2016 - 5 ARs 50/15). Der 5. Strafsenat hat ausgeführt, ein Fall selbst zu verantwor- tender Trunkenheit spreche in der Regel gegen eine Strafrahmenverschiebung, wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht habe, und zur weiteren Begründung auf die Ausführungen in seinem Urteil vom 17. August 2004 (5 StR 93/04, BGHSt 49, 239) Bezug genommen. Der 1. Strafsenat hat darauf hingewiesen, dass seine Rechtsprechung an diese Entscheidung anknüpfe, und sich - soweit ersichtlich - erstmals die vom 5. Strafsenat aufgestellten Kriterien zur vorhersehbar signifikanten Risikoerhöhung zu eigen gemacht. Schulderhöhende Umstände könnten dann zur Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Schuldfähigkeit verminderte Tatschuld aufwögen. Dies sei bei einer selbst verschuldeten Trunkenheit ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht der Fall. Der 2. Strafsenat hat darüber hinaus ausgeführt, die Auffassung des 3. Strafsenats greife mit Blick auf den Schuldgrundsatz zu kurz und lasse insbesondere unberücksichtigt , dass jede Schulderhöhung wenigstens einfache Fahrlässigkeit voraussetze. Er hat weiter geäußert, nicht nachvollziehen zu können, wie eine Gesamtwürdigung aller relevanten Gesichtspunkte ermessensfehlerfrei vorgenommen worden sein könne, wenn das Tatgericht die Versagung der Strafrahmenmilderung allein und damit ausschließlich auf einen Umstand gestützt habe.
11
Der 4. Strafsenat hat die Anfrage dahin verstanden, dass nach Ansicht des 3. Strafsenats die Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB eine Ermessensentscheidung des Tatgerichts sei und im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung im Einzelfall die selbst verschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafmilderung tragen könne, auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straf- taten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse nicht festgestellt sei. Soweit der so verstandenen Anfrage seine bisherige Rechtsprechung entgegenstehe , halte er daran nicht fest. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände sei die selbst verschuldete Trunkenheit ein - neben anderen - zu berücksichtigender Umstand. Feste Regeln, die das Tatgericht bei der Abwägung zu beachten, und Vorgaben, welches Gewicht es einzelnen Umständen beizumessen habe, befürworte der Senat nicht (Beschluss vom 28. April 2016 - 4 ARs 16/15, NStZ-RR 2016, 305 f.).
12
Der 3. Strafsenat hat daraufhin mit Beschluss vom 20. Dezember 2016 (vgl. hierzu Beukelmann, NJW-Spezial 2017, 184) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 1. August 1975 - 3 StR 212/75, BeckRS 1975, 00206; vom 28. Oktober 1985 - 3 StR 189/85, NStZ 1986, 114, 115) dem Großen Senat für Strafsachen wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 GVG und wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Kann der Tatrichter im Rahmen der nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände die Ermessensentscheidung, von einer Strafrahmenverschiebung abzusehen, rechtsfehlerfrei allein darauf stützen, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten auf von diesem verschuldeter Trunkenheit beruht, auch wenn eine durch die Trunkenheit bedingte, vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten auf Grund der persönlichen oder der situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist?
13
Der Generalbundesanwalt erachtet die Vorlage für zulässig und beantragt , im Sinne der Anfrage des 3. Strafsenats zu entscheiden.
14
Der Angeklagte hat sich der Ansicht des 1., 2. und 5. Strafsenats angeschlossen.

II.


15
Die Vorlegungsfrage ist angesichts des sachlichen Anliegens des 3. Strafsenats sprachlich nicht völlig eindeutig gefasst, soweit dort darauf abgestellt wird, ob das Tatgericht seine Entscheidung über die Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB allein auf den Umstand einer vom Täter selbst verschuldeten Trunkenheit stützen könne. Diese Formulierung kann - wie die Ausführungen des 2. und des 4. Strafsenats belegen - dahin verstanden werden, dass es für die Entscheidung ausschließlich auf diesen bestimmten Gesichtspunkt ankommen soll. Dieser Sinngehalt ist vor dem Hintergrund der im hier relevanten Zusammenhang erforderlichen, auch vom 3. Strafsenat für rechtlich geboten gehaltenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände nicht plausibel. Die Vorlegungsfrage ist deshalb in Anlehnung an die diesbezüglichen Erwägungen des 4. Strafsenats wie folgt neu zu fassen: Kann im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände eine selbstverschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafmilderung tragen, auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist?

III.


16
Die Vorlegung ist gemäß § 132 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 GVG zulässig.
17
1. Sie betrifft die rechtlichen Maßstäbe, an denen sich die Ausübung des durch § 21 StGB den Tatgerichten eingeräumten Ermessens auszurichten hat, und damit eine Rechtsfrage i.S.d. § 132 Abs. 2 GVG.
18
2. Der 3. Strafsenat kann die im Ausgangsverfahren eingelegte Revision nach seinem vertretbaren und deshalb vom Großen Senat für Strafsachen hinzunehmenden Verständnis der Gründe des landgerichtlichen Urteils nur dann verwerfen, wenn er - abweichend von der aufrechterhaltenen Rechtsauffassung des 1., 2. und 5. Strafsenats (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG) - dem Tatgericht zubilligt , im Rahmen der nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände die Vorwerfbarkeit der zur erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führenden Trunkenheit zu berücksichtigen, ohne dass zusätzlich eine signifikante Erhöhung des Risikos strafbaren Handelns auf Grund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalles festgestellt ist.
19
3. Die zur Entscheidung gestellte Rechtsfrage ist zudem von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG); die ihr zugrunde liegende Konstellation prägt eine Vielzahl der Fälle, in denen über eine Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu entscheiden ist.

IV.


20
Der Große Senat für Strafsachen beantwortet die Vorlegungsfrage in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Sinne.
21
1. In Rechtsprechung und Literatur besteht für die Fälle der auf verschuldeter Trunkenheit beruhenden erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Täters bei Tatbegehung keine Einigkeit über die Voraussetzungen, unter denen der Tatrichter die fakultative Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ablehnen darf oder gar muss.
22
a) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte sich wie folgt:
23
aa) Unter Hinweis auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone vom 10. Januar 1950 (StS 427/49, OGHSt 2, 324) befand der Bundesgerichtshof - noch zur Vorgängerregelung des § 51 Abs. 2 StGB aF - anfänglich , dass in "der Regel die selbstverschuldete Trunkenheit Anlaß sein (wird), die Strafe nicht zu mildern" (Urteil vom 2. August 1951 - 3 StR 395/51, bei Dallinger MDR 1951, 657). Sodann beanstandete er indes eine die Strafmilderung ablehnende tatrichterliche Entscheidung, die damit begründet worden war, dass bei bestimmten Delikten grundsätzlich von der "Kann"-Vorschrift des § 51 Abs. 2 StGB aF kein Gebrauch zu machen sei, soweit die erheblich verminderte Zurechnungsfähigkeit des Täters auf "Angetrunkenheit" beruhe. Er monierte, dass der Tatrichter diese Möglichkeit jedenfalls hätte erwägen müssen (Urteil vom 10. September 1953 - 2 StR 695/52, NJW 1953, 1760). In der Folgezeit äußerte er sich weiterhin in der Tendenz ablehnend gegenüber einer Strafmilderung bei vorwerfbarer Alkoholisierung (Urteil vom 16. Januar 1962 - 5 StR 588/61, Umdr. S. 4 [unveröffentl.]; zu weiteren ähnlichen Entscheidungen des BGH aus den Jahren 1954 und 1960 vgl. Foth, DRiZ 1990, 417, 418; Schnarr in Hettinger [Hrsg.], Reform des Sanktionenrechts, Bd. 1, 2001, S. 1, 49 ff.).
24
bb) In den 1970er Jahren änderte sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wesentlich. Mit Beschluss vom 24. März 1972 (2 StR 413/71, bei Dallinger, MDR 1972, 570) äußerte er die Auffassung, dem im Zustand erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit handelnden Täter dürfe allein der hierfür ursächliche übermäßige Alkoholkonsum "nicht zum Nachteil gereichen"; vielmehr müssten weitere auf die abzuurteilende Tat bezogene Umstände hinzutreten. Als einen solchen Umstand erkannte er an, dass der Täter bereits früher unter Alkoholeinwirkung Straftaten begangen hatte und diesem daher bewusst war oder zumindest hätte bewusst sein können, dass er nach dem Alkoholkonsum zu Straftaten neigt (vgl. Beschlüsse vom 24. März 1972 - 2 StR 413/71, aaO; vom 1. August 1975 - 3 StR 212/75, BeckRS 1975, 00206; vom 26. Juli 1977 - 1 StR 317/77, bei Holtz, MDR 1977, 982; ähnlich Urteil vom 21. September 1971 - 5 StR 410/71, bei Dallinger, MDR 1972, 16; Beschluss vom 14. Oktober 1980 - 1 StR 498/80, BeckRS 1980, 02962).
25
In den Folgejahren präzisierte und verschärfte der Bundesgerichtshof die Anforderungen an das vorhersehbar die Neigung zu Straftaten begründende deliktische Vorverhalten, allerdings mit Unterschieden im Detail (vgl. Urteile vom 30. Oktober 1986 - 4 StR 501/86, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 3; vom 6. Mai 1993 - 1 StR 136/93, NJW 1993, 2544, 2545; Beschlüsse vom 28. Oktober 1985 - 3 StR 189/85, NStZ 1986, 114, 115; vom 13. Juni 1986 - 2 StR 276/86, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 14; vom 7. September 1989 - 4 StR 433/89, BGHR StGB § 21 Vorverschulden 1; vom 7. Januar 2003 - 4 StR 490/02, NStZ-RR 2003, 136, 137; ferner Urteile vom 6. März 1986 - 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 33; vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 78; Beschlüsse vom 25. Januar 1991 - 5 StR 600/90, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 7; vom 16. Februar 1993 - 5 StR 675/92, StV 1993, 355 f.).
26
cc) Mit Urteil vom 27. März 2003 (3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31) erklärte der 3. Strafsenat, er wolle an dieser Rechtsprechung nicht mehr festhalten. Er führte - nicht tragend - aus, dass eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in der Regel nicht in Betracht komme, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit beruhe. Insbesondere sei eine vorangegangene Straffälligkeit des Täters unter Alkoholeinfluss in einem Ausmaß, dass dieser damit rechnen könne, unter Alkoholeinfluss ein der Anlasstat vergleichbares Delikt zu begehen, nicht erforderlich.
27
dd) Der 1. und der 2. Strafsenat äußerten sich zunächst dem Grunde nach aufgeschlossen gegenüber einer Rechtsprechungsänderung (vgl. Urteile vom 9. Juli 2003 - 2 StR 106/03, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 32; vom 16. September 2004 - 1 StR 233/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 36; vom 19. Oktober 2004 - 1 StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37; offen gelassen in den Beschlüssen vom 5. August 2003 - 1 StR 302/03, bei Schäfer, JR 2004, 425 f.; vom 10. September 2003 - 2 StR 304/03, bei Schäfer aaO, S. 426). Soweit es in der Folgezeit entscheidungserheblich darauf ankam, folgten sie allerdings mit leichten Abwandlungen der zuvor entwickelten Ansicht (1. Strafsenat: Beschluss vom 25. März 2014 - 1 StR 65/14, NStZ-RR 2014, 238, 239; vgl. ferner Beschlüsse vom 23. April 2013 - 1 StR 105/13, juris Rn. 9; vom 10. November 2016 - 1 StR 501/16, juris Rn. 4; 2. Strafsenat: Urteile vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, juris Rn. 24).
28
ee) Der 5. Strafsenat pflichtete in einer ausführlich begründeten Grundsatzentscheidung (Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239) dem Anliegen des 3. Strafsenats, zu einer Änderung der Rechtsprechung zu gelangen, prinzipiell bei. In der Sache entschied er sodann dahin, für die Ablehnung der Strafrahmenmilderung sei zwar nicht erforderlich, dass der Täter schon einmal unter Alkoholeinfluss vergleichbare Straftaten begangen habe. Auch müsse das Vorverhalten nicht zu Vorstrafen oder einem Strafverfahren geführt haben. Die generelle Steigerung des Risikos der Begehung strafbarer Handlungen nach Alkoholgenuss reiche aber für sich allein nicht aus, um den Schuldgehalt der Tat zu erhöhen und schon deshalb die regelmäßige Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung bei selbstverschuldeter Trunkenheit zu rechtfertigen. Diese komme vielmehr nur in Betracht, "wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht" habe (vgl. im Einzelnen auch Urteile vom 11. Juni 2008 - 5 StR 612/07, NStZ 2008, 619, 620; vom 29. Oktober 2008 - 5 StR 456/08, NStZ 2009, 202, 203; vom 7. Mai 2009 - 5 StR 64/09, NStZ 2009, 496, 497; Beschlüsse vom 13. Januar 2010 - 5 StR 510/09, NStZ-RR 2010, 234, 235; vom 10. März 2010 - 5 StR 62/10, juris Rn. 10; Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11, juris Rn. 26).
29
ff) Der 4. Strafsenat schloss sich der Rechtsprechung des 5. Strafsenats an und verneinte in Fällen, in denen der Angeklagte bislang niemals unter Alkoholeinfluss aggressiv (Urteil vom 15. Dezember 2005 - 4 StR 314/05, NStZ 2006, 274, 275) bzw. nicht wegen eines Gewaltdelikts verurteilt war (Urteil vom 23. Februar 2006 - 4 StR 444/05, NStZ-RR 2006, 185, 186), eine signifikante Risikoerhöhung.
30
gg) Der 3. Strafsenat war nach seiner Entscheidung vom 27. März 2003 nur mit Fallgestaltungen befasst, in denen die zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit führende Trunkenheit vom Angeklagten jeweils nicht oder nur eingeschränkt verschuldet war (vgl. Urteil vom 12. Juni 2008 - 3 StR 84/08, NStZ 2009, 258 f.; Beschlüsse vom 16. Januar 2008 - 3 StR 479/07, NStZ 2008, 330; vom 2. August 2012 - 3 StR 216/12, NStZ 2012, 687, 688).
31
b) Im Schrifttum stieß die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs , insbesondere die Entscheidung des 5. Strafsenats vom 17. August 2004, überwiegend auf eine positive Resonanz (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 21 Rn. 25, 25b; SSW-StGB/Kaspar, 3. Aufl., § 21 Rn. 28; Matt/Renzikowski/Safferling, StGB, § 21 Rn. 22; Schäfer/Sander/van Gemmeren , Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1016 ff.; LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 21 Rn. 52, 54 f. mwN; noch weitergehend - Anwendung der Grundsätze der actio libera in causa - SK-StGB/Rudolphi, 38. Lfg., § 21 Rn. 4b; S/S-Perron/Weißer, StGB, 29. Aufl., § 21 Rn. 21; NK-StGB/Schild, 4. Aufl., § 21 Rn. 18; MüKoStGB/Streng, 3. Aufl., § 21 Rn. 26; vgl. auch AnwK-StGB/Conen, 2. Aufl., § 21 Rn. 41, 43). Die Entscheidung des 3. Strafsenats vom 27. März 2003 erfuhr dagegen nur vereinzelt Zustimmung (vgl. Foth, NStZ 2003, 597 sowie - tendenziell - Detter, NStZ 2003, 471, 472), ganz überwiegend aber Widerspruch :
32
Die Berufung auf die Intentionen des historischen Gesetzgebers sei nicht zulässig, da diese gerade nicht zum Inhalt der Norm geworden seien (vgl. Baier , JA 2004, 104, 106; Neumann, StV 2003, 527, 528; Rau, JR 2004, 401, 405; Scheffler, Blutalkohol 2003, 449). Dem Willen des historischen Gesetzgebers des Jahres 1933 könne heute ohnedies keine entscheidende Bedeutung zukommen , weil er die Versagung der Strafrahmenmilderung als kriminalpolitisch motivierte Ausnahme von dem Grundsatz einer schuldangemessenen Bestrafung verstanden habe, die unter der Geltung des Grundgesetzes nicht mehr in Betracht komme (vgl. Frister, JZ 2003, 1019; Verrel/Hoppe, JuS 2005, 308,

310).


33
Die durch die Trunkenheit bewirkte Reduzierung der Schuld, die in der Strafrahmenverschiebung zum Ausdruck komme, könne im Bereich der schweren Kriminalität allein durch das selbstverantwortliche Sich-Berauschen nicht ausgeglichen werden. Da nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB der Strafrahmen proportional zur Höchst- und Mindeststrafe herabgesetzt werde, gehe das Gesetz nämlich davon aus, dass sich das wegen der erheblich verminderten Schuldfähigkeit abzuziehende "Schuldquantum" entsprechend der Schwere des Delikts vergrößere (vgl. Frister aaO, S. 1019 f.; Neumann aaO, S. 530 f.).
34
Das Spannungsverhältnis zu § 323a StGB sei gesetzlich angelegt in den streng voneinander zu unterscheidenden Bezugspunkten des strafrechtlichen Vorwurfs, dem Sich-Berauschen einerseits und der Straftat andererseits (vgl. Duensing, StraFo 2005, 15, 22; Rau aaO, S. 404). Es könne im Bereich der mittleren Kriminalität dadurch aufgelöst werden, dass die Strafe wegen Vollrausches durch den nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen der Rauschtat nach oben begrenzt werde (vgl. Baier aaO; Neumann aaO, S. 529). Des Weiteren wurde es teilweise für notwendig erachtet, zur Angleichung auch bei § 323a StGB vorauszusetzen, dass der Täter seine Rauschtat vorhersehen können müsse; die Deutung des Vollrauschtatbestandes als abstraktes Gefährdungsdelikt und damit der Rauschtat als objektive Bedingung der Strafbarkeit verstoße gegen das Schuldprinzip und sei mithin nicht haltbar (vgl. Neumann aaO, S. 530; Scheffler aaO, S. 450; Streng, NJW 2003, 2963, 2965).
35
Schließlich könne die Sondervorschrift des § 7 WStG nicht als Argument für die Versagung einer Strafrahmenmilderung dienen; denn sie sei allein den Besonderheiten des Wehrstrafrechts geschuldet und daher nicht verallgemeinerungsfähig (vgl. Baier aaO, S. 107; Duensing aaO; Rau aaO, S. 404; Streng aaO, S. 2964; Verrel/Hoppe aaO, S. 310 f.). Die Vorschrift sei ihrerseits - bei wortlautgetreuer Anwendung - nicht mit dem Grundsatz schuldangemessenen Strafens zu vereinbaren (vgl. Frister aaO, S. 1020; Neumann aaO, S. 530).
36
2. Den bisher vertretenen Auffassungen ist somit gemein, dass sie - sei es in Form einer Regelvermutung, sei es für bestimmte Gesichtspunkte - weitgehende inhaltliche Vorgaben für die Beantwortung der Frage machen, unter welchen Voraussetzungen eine Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen ist bzw. zu unterbleiben hat. Sie werden damit dem Umstand, dass die betreffende Entscheidung nach den gesetzlichen Vorgaben im pflichtgemäßen Ermessen der Tatgerichte steht, nicht in ausreichendem Maße gerecht. Dessen eingedenk sind für die Beantwortung der Vorlegungsfrage folgende Erwägungen maßgebend:
37
Die tatgerichtliche Ermessensentscheidung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ist vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar. Bei Anwendung der insoweit geltenden Maßstäbe ist das Absehen von der Strafmilderung nicht allein deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Tatgericht im Rahmen der vorzuneh- menden Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände maßgeblich darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte die Trunkenheit selbst verschuldete; dies gilt auch, wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse nicht festgestellt ist. Denn das selbstverschuldete Sich-Betrinken stellt einen schulderhöhenden Umstand dar, der bereits für sich genommen die aufgrund der erheblichen Verminderung der Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, herabgesetzte Tatschuld kompensieren kann. Dies folgt insbesondere aus den allgemein bekannten Folgen des Alkoholkonsums sowie seiner Bewertung im sonstigen Bereich der Strafzumessung, einem Vergleich zum Regelungsgehalt der § 323a StGB, § 122 OWiG und steht mit dem Willen des Gesetzgebers in Einklang. Im Einzelnen :
38
a) Bei § 21 StGB handelt es sich um einen Schuldminderungsgrund, an den eine Strafzumessungsregel anknüpft (h.M., vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 21 Rn. 1 mwN; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 21 Rn. 2; S/SPerron /Weißer, StGB, 29. Aufl., § 21 Rn. 1; SSW-StGB/Kaspar, 3. Aufl., § 21 Rn. 1; Duensing, StraFo 2005, 15, 18, 21 mwN; Schnarr, Alkohol als Strafmilderungsgrund , in: Hettinger, Reform des Sanktionenrechts, 2001, S. 40; aA - Strafzumessungsgrund: Foth, NStZ 2003, 597 ff.; BeckOK-StGB/Eschelbach, 33. Ed., Einl. zu § 21). Der vermindert schuldfähige Täter ist für seine Tat verantwortlich und wird deshalb für sie bestraft. Mit der Möglichkeit der Strafmilderung trägt § 21 StGB indes der Tatsache Rechnung, dass normabweichende psychologische Zustandsbilder es einem Schuldfähigen erheblich schwerer machen können, sich normgerecht zu verhalten (vgl. LK/Schöch, aaO, § 21 Rn. 1 mwN; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 21 Rn. 1; S/S-Perron/Weißer, aaO, § 21 Rn. 1; Fischer, aaO, § 21 Rn. 2), weswegen die vom Gesetz für den Regelfall vorgesehene Strafe möglicherweise das schuldangemessene Strafmaß übersteigt.
39
Der Schuldgehalt der Tat bestimmt sich allerdings nicht allein nach dem Grad der Schuldfähigkeit des Täters, sondern nach den gesamten für die Tatschuld relevanten Umständen des Einzelfalls. Es ist möglich, dass die Tat trotz verminderter Schuldfähigkeit des Täters ihrem Schuldgehalt nach immer noch schwerer wiegt als der denkbar leichteste Regelfall, der dem Gesetzgeber bei der Bestimmung der Regelstrafdrohung eines Delikts vorgeschwebt hat. Dem trägt die Vorschrift des § 21 StGB Rechnung, indem sie lediglich eine fakultative Strafmilderung vorsieht (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 142 linke Spalte). Die von Teilen der Literatur vertretene Gegenauffassung, nach der eine Versagung der Strafrahmenverschiebung das Schuldprinzip missachte und § 21 StGB deshalb - entgegen dem Gesetzeswortlaut - in eine zwingend anzuwendende Milderungsvorschrift umgedeutet werden müsse (vgl. S/S-Perron/Weißer, aaO, § 21 Rn. 19, 21; Maurach-Zipf, Strafrecht AT, 5. Aufl., 1977, Teilbd. 1, S. 529; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 2. Aufl., 1975, S. 778 Fn. 23; Stratenwerth, Strafrecht AT Bd. I, 2. Aufl., 1976, S. 165; Lenckner, in Göppinger/Witter, Handbuch der forensischen Psychiatrie, 1972, Bd. I, S. 129 ff.; Jacobs, Strafrecht AT, 2. Aufl., 1991, 18. Abschn. Rn. 33; Rautenberg, Verminderte Schuldfähigkeit, S. 180 ff.), überzeugt vor diesem Hintergrund nicht. Denn die verminderte Schuldfähigkeit verringert die Tatschuld nicht in allen Fällen so stark, dass der weniger gewichtige Schuldgehalt im Normalstrafrahmen nicht zutreffend erfasst werden kann (LK/Schöch, aaO, § 21 Rn. 40; vgl. auch Schnarr, aaO, S. 1, 66 ff.).
40
b) Über die fakultative Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB entscheidet das Tatgericht nach seinem pflichtgemäßen Ermes- sen auf Grund einer Gesamtwürdigung der im Einzelfall bedeutsamen Umstände. Dabei folgt aus dem für die Regelung des § 21 StGB wesentlichen Schuldprinzip auch, dass die tatgerichtliche Ermessensentscheidung, ob eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen oder zu versagen ist, nach dem Schuldgehalt der Tat, also unter Berücksichtigung aller schuldrelevanten Umstände des Einzelfalls, zu treffen ist (vgl. BGH, Urteile vom 10. November 1954 - 5 StR 476/54, BGHSt 7, 28, 30 f.; vom 11. Juni 2008 - 5 StR 612/07, NStZ 2008, 619, 620, und vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO, 40, 42; Beschlüsse vom 4. September 1992 - 2 StR 380/92, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 24; vom 7. Januar 2003 - 4 StR 490/02, NStZRR 2003, 136; vom 23. Juni 2010 - 2 StR 222/10, NStZ-RR 2010, 336; vom 7. September 2015 - 2 StR 350/15, aaO). Diese in ständiger Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof vertretene Auffassung wird in der Literatur überwiegend geteilt (vgl. insb. LK/Schöch, aaO, § 21 Rn. 1 mwN; LK/Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 21 Rn. 18; MüKo/StGB/Streng, 3. Aufl., § 21 Rn. 20 ff.; Fischer, aaO, § 21 Rn. 20; SSW-StGB/Kaspar, aaO, § 21 Rn. 16 ff.; Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, 4. Aufl., 2006, § 20 Rn. 41; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts , Allgemeiner Teil, 5. Aufl., 1996, S. 443 f.; Bruns, Strafzumessungsrecht, 2. Aufl., 1974, S. 524 ff.). Auch nach dem Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts verstößt die Versagung der Milderung trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB selbst bei Anwendung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht gegen das Schuldprinzip, wenn die Strafe wegen beträchtlich schulderhöhender Umstände verhältnismäßig ist (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1978 - 1 BvR 983/78, BVerfGE 50, 5). Demgegenüber dürfen schuldindifferente Faktoren, insbesondere Präventionserwägungen, bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nicht berücksichtigt werden (MüKo/StGB/Streng, aaO, § 21 Rn. 21; LK/Schöch, aaO, § 21 Rn. 44; NK-StGB/Schild, 4. Aufl., § 21 Rn. 30; SSW-StGB/Kaspar, aaO; Roxin, aaO, § 20 Rn. 39). Deshalb könnten Überlegungen, die etwa an die "sittliche Schuld" der Selbstintoxikation anknüpfen (vgl. Rautenberg, DtZ 1997, 45, 47) oder generalpräventiv das Bewusstsein der Rechtsgemeinschaft von der Gefährlichkeit des Alkoholkonsums stärken sollen, eine Versagung der Strafrahmenmilderung von vornherein nicht tragen (vgl. MüKo/StGB/Streng, aaO, § 21 Rn. 21 mwN).
41
c) Von diesen Maßgaben ausgehend ist es Aufgabe des Tatgerichts, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen ent- und belastenden Umstände festzustellen, einer wertenden Betrachtung zu unterziehen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2016 - 4 ARs 16/15, NStZ-RR 2016, 305 mwN). Welchen Umständen es bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (vgl. BGH, Urteile vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336 f.; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, juris Rn. 23). Ihm steht dabei ein weiter Ermessensspielraum zu (vgl. BGH, Urteile vom 19. Oktober 2004 - 1 StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37; vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, aaO; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO). Die Wertungen des Tatgerichts, insbesondere die Gewichtung der für und gegen eine Strafrahmenverschiebung sprechenden Umstände des Einzelfalls , sind in der Revisionsinstanz allein auf Rechtsfehler zu überprüfen. Hat es die für die Beurteilung wesentlichen tatsächlichen Grundlagen hinreichend ermittelt und berücksichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 241), so kann das Revisionsgericht nur beanstanden, dass es gesetzlich vorgegebene Wertungsmaßstäbe missachtet oder eine gerechtem Schuldausgleich nicht mehr entsprechende Strafe verhängt hat.

42
d) Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist im Rahmen der Ermessensausübung im Ausgangspunkt Bedacht darauf zu nehmen, dass auf Grund der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit der Schuldgehalt der Tat in aller Regel verringert ist (BGH, Urteile vom 10. November 1954 - 5 StR 476/54, BGHSt 7, 28, 30; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO Rn. 24; Beschluss vom 7. September 2015 - 2 StR 350/15, juris Rn. 4). Um dem Prinzip zu genügen , dass die Strafe das Maß der Schuld nicht überschreiten darf, erfordert die Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB schulderhöhende Umstände, die diese Schuldminderung kompensieren (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 - 1 ARs 21/15 mwN; Roxin, aaO, § 20 Rn. 37 ff.; Salger/Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 562). Es ist im Grundsatz anerkannt und wird auch durch den vorlegenden Senat nicht in Zweifel gezogen (vgl. Vorlegungsbeschluss Rn. 29 ff.), dass sich die auf einer Gesamtabwägung beruhende Ermessensentscheidung des Tatgerichts an diesem Kompensationsgedanken auszurichten hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO; vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, aaO; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 386/03, NStZ 2004, 619; MüKo/StGB/Streng, aaO, § 21 Rn. 22; SSW-StGB/Kaspar, aaO, § 21 Rn. 28; Fischer, aaO, § 21 Rn. 18; jeweils mwN). Das Ausmaß der fakultativen Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB lässt dabei erkennen, dass der Gesetzgeber die Tatschuld als typischerweise beträchtlich verringert ansieht, wenn der Täter vermindert schuldfähig war. Hieraus folgt, dass es für die Verweigerung der Milderung eines besonderen Grundes bedarf, der umso gewichtiger sein muss, je gravierender sich die Beibehaltung des Regelstrafrahmens auswirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 1992 - 2 StR 380/92, aaO; vom 25. Oktober 1989 - 2 StR 350/89, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 18 mwN; LK/Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 21 Rn. 19; SSW-StGB/Kaspar, aaO, § 21 Rn. 18).
Dies führt jedoch nicht dazu, dass die tatgerichtliche Ermessensent43 scheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ohne Weiteres dann als rechtsfehlerhaft zu bewerten ist, wenn das Tatgericht von der Strafmilderung maßgeblich deshalb absieht, weil der Angeklagte die Trunkenheit selbst verschuldete. Denn das selbstverantwortliche SichBetrinken des Täters vor der Tat stellt für sich allein einen schulderhöhenden Umstand dar, der im Rahmen der Ermessensausübung nach § 21 StGB regelmäßig Berücksichtigung finden darf, ohne dass dies von einzelfallbezogenen Feststellungen dazu abhängig ist, ob sich auf Grund der jeweiligen persönlichen oder situativen Verhältnisse das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung (für den Täter) vorhersehbar signifikant erhöht hatte.
44
aa) Dass bereits allein das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat einen schulderhöhenden Umstand darstellt, ergibt sich aus Folgendem :
45
(1) Durch den Alkoholmissbrauch versetzt sich der Sich-Betrinkende in einen Zustand, der durch Enthemmung (vgl. BGH, Urteile vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, aaO; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO, Rn. 24 [Senkung der Hemmschwelle gegenüber sozial auffälligem und aggressivem Verhalten]), Verminderung von Einsichts- und Urteilsvermögen sowie Verschlechterung von Körperbeherrschung und Reaktionsfähigkeit gekennzeichnet ist. Davon, dass Alkoholkonsum eine solche enthemmende Wirkung hat, geht auch § 21 StGB aus; andernfalls könnte die akute Alkoholintoxikation nicht als krankhafte seelische Störung zu einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit führen. Mit der Intoxikation treten hirnorganische Veränderungen ein, die einerseits z.B. erhöhte Reizoffenheit und Antriebssteigerung bedingen und auf diesem Wege aggressionsbahnende Effekte haben können (vgl. Konrad/Rasch, aaO, S. 121; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 148 f.; Schalast/Leygraf, in: F. Schneider/Frister [Hrsg.] Alkohol und Schuldfähigkeit S. 182 f.); andererseits können Benommenheit und Müdigkeit auftreten. Mit der Herabsetzung der geistigen und körperlichen Kräfte kann jedenfalls ein trügerisches Gefühl erhaltener oder gar gesteigerter Leistungsfähigkeit einhergehen. Dieser Zustand bedingt eine erhöhte Gefährlichkeit des Berauschten, der sich gegenüber seiner Umwelt häufig in ihm sonst wesensfremder Weise verhält (vgl. BGH, Urteile vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 125; vom 22. August 1996 - 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 243; vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31). Daneben belegen statistische Daten (vgl. etwa Polizeiliche Kriminalstatistik, Jahrbuch 2015, S. 161) und zahlreiche wissenschaftliche Studien jedenfalls, dass insbesondere Alkoholkonsum und Gewalt oft gemeinsam auftreten (vgl. etwa die Übersicht bei Görgen/Nowak, Alkohol und Gewalt, S. 5 ff.).
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Vor diesem Hintergrund haben weite Teile der Rechtsprechung - darunter alle Strafsenate des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH, Urteile vom 7. Mai 1957 - 5 StR 127/57, BGHSt 10, 247, 251; vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 125; vom 22. August 1996 - 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 242; vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, aaO; vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 242; vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, aaO; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO Rn. 24 ff.; Beschluss vom 6. November 1996 - 5 ARs 59/96, NStZ-RR 1997, 163, 165) - und strafrechtlichen Literatur (vgl. etwa Foth, DRiZ 1990, 417, 419 f.; Schnarr, aaO, S. 83 f.; Rautenberg, DtZ 1997, 45; Schäfer, DRiZ 1996, 196; Lackner, JuS 1968, 215, 218 f.) als allgemeinkundigen Erfahrungssatz gefolgert, eine alkoholische Berauschung erhöhe generell das Risiko strafbaren Verhaltens, insbesondere im Bereich der Gewalt- und Sexualdelikte. Allerdings wird in der Rechtsprechung auch gese- hen, dass es trotz verbreiteten hohen Alkoholkonsums "nur in einem Bruchteil der Fälle erheblicher Alkoholisierung zu einer rechtswidrigen Tat" kommt (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 242).
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In der Wissenschaft herrscht bei anhaltender Forschung mittlerweile eine gewisse Einigkeit darüber, dass alkoholassoziierte Gewaltkriminalität auf einer komplexen Interaktion verschiedener biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren beruht (vgl. Proescholdt/Walter/Wiesbeck, FortschrNeurolPsychiatr 2012, 441 f., 447; Görgen/Nowak, aaO, S. 22; Konrad/Rasch, aaO, S. 120; Schalast/Leygraf, aaO). Ob der Rausch zu deliktischem Verhalten führt, hängt zudem nicht allein von dem Sich-Betrinkenden ab, namentlich dessen Prädispositionen in der Persönlichkeit, sondern auch von häufig gleichsam zufälligen situativen Umständen (vgl. schon BGH, Urteil vom 29. Oktober 1957 - 5 StR 483/57, JR 1958, 28; Lackner, JuS 1968, 215, 218 f.; vgl. auch Nedopil /Müller, aaO, S. 154; Proescholdt/Walter/Wiesbeck, aaO, 441, 445). Die vorhandenen Befunde sowie die hohe Komorbidität von antisozialer Persönlichkeitsstörung und Substanzmissbrauch relativieren somit zwar die Vorstellung einer direkten kriminogenen Wirkung von Alkohol (vgl. Schalast/Leygraf, aaO), beseitigen sie jedoch nicht. Die Wirkungen starken Alkoholgenusses sind nicht sicher vorauszuberechnen (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1951 - 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 126; vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, aaO).
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Das so beschriebene dem Alkoholkonsum selbst innewohnende Risiko zählt zum Allgemeinwissen. Es ist selbst Menschen von geringer Lebenserfahrung in aller Regel bekannt (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 1957 - 5 StR 127/57, BGHSt 10, 247, 251). Jedermann weiß oder kann zumindest wissen, dass er mit seiner Trunkenheit "das Tor für unbestimmtes rechtliches Versagen (vor allem) gegenüber unerwartet auftretenden Anforderungen öffnet" (Lackner aaO, S. 220; ebenso Schnarr aaO, S. 83). Der Alkoholkonsum stellt somit für jedermann erkennbar eine abstrakte Gefahr für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter dar, die sich, falls der Sich-Betrinkende eine rechtswidrige Tat begeht, in der konkreten Rechtsgutsgefährdung oder Rechtsgutsverletzung realisiert (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, aaO). Geht jemand dieses allgemeinkundige Risiko einer Alkoholintoxikation vorwerfbar ein, sind bereits allein dadurch das Handlungsunrecht seiner im Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit begangenen Tat sowie die Tatschuld signifikant erhöht. Das gilt nicht zuletzt im Verhältnis zu demjenigen Täter, der etwa aufgrund eines neurologischen oder hirnorganischen Defekts in einem nicht vorwerfbaren Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit handelt.
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(2) Hiermit ist die Ansicht, die Schuldrelevanz sei bereits dem Grunde nach davon abhängig, inwieweit der Täter infolge persönlicher Vorerfahrungen oder situativer Umstände einen - zusätzlichen - Anhalt für die Gefahr eigenen deliktischen Verhaltens hat, nicht vereinbar. Derartige Gesichtspunkte sind zwar geeignet, das Maß der Schuld zu beeinflussen; sie sind indessen nicht konstitutiv für deren Begründung. Hiergegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden , eine Schulderhöhung setze wenigstens Fahrlässigkeit in Bezug auf die Straftat als geringste Schuldform und damit die objektive und subjektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Tat während des Sich-Berauschens voraus. Dieser Gesichtspunkt würde, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, im Ergebnis einen eigenständigen Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen dem Sich-Berauschen und dem konkreten tatbestandlichen Unrecht im Sinne eines originären Fahrlässigkeitsvorwurfs konstituieren. Dies stünde im Widerspruch zu der fortbestehenden strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Täters, der die Straftat im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begeht. Die schuldrelevante Berücksichtigung eines nicht im gesetzlichen Tatbestand normierten Umstands setzt jedoch allein voraus, dass dieser vom Täter mit der Folge seiner Zurechenbarkeit zu verantworten ist. Dies zeigt sich etwa in der Regelung des § 46 Abs. 2 StGB, der zahlreiche Strafzumessungstatsachen benennt, die nicht mit dem strafbarkeitsbegründenden Handeln selbst in einem Beziehungszusammenhang stehen müssen. Hinzu kommt, dass die genannte Auffassung den Betrachtungswinkel auf die enthemmende und hierdurch teilweise aggressionsfördernde Wirkung des Alkohols einschränkt. Damit lässt sie einen wesentlichen Teil rauschbedingter Gefahrenquellen , insbesondere die herabgesetzte Beherrschung körperlicher und geistiger Kräfte, außer Betracht. Diese hindert den Betrunkenen vielfach, den ihm obliegenden Sorgfaltspflichten ordnungsgemäß nachzukommen, was sich in einer Vielzahl denkbarer strafrechtlich relevanter Verfehlungen niederschlagen kann (vgl. schon Begründung zu § 351 StGB im Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1960 [E 60], BT-Drucks. III/2150 S. 498 und im Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 [E 62], BT-Drucks. IV/650 S. 537).
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(3) Damit steht im Einklang, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne die Berücksichtigung der verschuldeten Trunkenheit für sich als schuldrelevantes Merkmal zulässig ist, ohne dass dies von einer darüber hinausgehenden subjektiven Beziehung zu der später begangenen Tat abhängig ist. Wendet das Tatgericht etwa wegen alkoholbedingter erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Täters den nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen an, darf es nach allgemeiner Meinung bei der Straffindung innerhalb dieses Strafrahmens in die Abwägung strafschärfend den Umstand mit einbeziehen, dass der Täter den Zustand schuldhaft herbeigeführt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 1976 - 2 StR 101/76, BGHSt 26, 311, 312; ferner BGH, Urteile vom 21. Juli 1984 - 1 StR 330/84, NStZ 1984, 548; vom 9. Februar 2000 - 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166, 168; Beschluss vom 2. Juli 1985 - 1 StR 280/85, NJW 1986, 793, 794; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1127; Schnarr in Hettinger [Hrsg.], Reform des Sanktionenrechts, 2001, Bd. 1, S. 1, 43; S/S-Stree/Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 46 Rn. 49). In diesem Zusammenhang ist - soweit ersichtlich - die Forderung, die verschuldete Trunkenheit dürfe - als Grundlage für einen gerechten Schuldausgleich (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB) - nur gewürdigt werden, wenn eine für den Täter vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten auf Grund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalls festgestellt ist, noch nicht erhoben worden. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass insoweit berücksichtigungsfähige Präventionszwecke (s. § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB) bemüht würden.
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(4) Dass es sich bei dem selbstverantwortlichen Sich-Betrinken um ein tatschuldrelevantes Merkmal handelt, entspricht im Übrigen den den Regelungen des § 323a StGB und des § 122 OWiG zugrundeliegenden Wertungen. Die Vorschriften lassen Rückschlüsse auf die vom Gesetzgeber vorgenommene Beurteilung zu, dass es sich bei dem schuldhaft herbeigeführten Rausch nicht um eine sozialadäquate, wertneutrale Erscheinung handelt, sondern dass ihm als offenkundigem Gefahrenherd ein Unwert anhaftet, der geeignet ist, das Ob und das Wie strafrechtlicher Sanktionen zu bestimmen:
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Im Hinblick auf die allgemeine Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit des schwer Berauschten hat der Gesetzgeber das Sich-in-einen-Rausch-Versetzen in § 323a StGB und § 122 OWiG als ein selbständiges, rechtlich fassbares sanktionswürdiges Unrecht tatbestandlich normiert. Er hat lediglich die Ahndung des schuldhaften Sich-Berauschens durch die Einfügung einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit bzw. der Bußgeldbewehrung dahin eingeschränkt, dass ein "folgenloser" Rausch keine Sanktion nach sich ziehen soll. Demgegenüber wird derjenige wegen der Berauschung mit Strafe oder Geldbuße sanktioniert, der in diesem Zustand in rechtswidriger Weise einen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand verwirklicht und hierfür nicht bestraft oder mit Geldbuße belegt werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war bzw. nicht vorwerfbar gehandelt hat oder dies zumindest nicht auszuschließen ist (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1951 - 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 125; vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 125 f.; vom 1. Juni 1962 - 4 StR 88/62, BGHSt 17, 333, 334; vom 26. Oktober 1965 - 1 StR 394/65, BGHSt 20, 284, 285; vom 22. August 1996 - 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 242 f.; Beschlüsse vom 18. August 1983 - 4 StR 142/82, BGHSt 32, 48, 55 f.; vom 17. Oktober 1991 - 4 StR 465/91, BGHR StGB § 323a Abs. 2 Strafzumessung 5; KK/Rengier, OWiG, 4. Aufl., § 122 Rn. 8 mwN).
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Vor diesem Hintergrund erklärt sich zwanglos, dass der Gesetzgeber das Sich-Berauschen im Grundsatz als Unrecht bewertet, die Straf- oder Ahndbarkeit indes davon abhängig gemacht hat, ob bzw. in welchem Umfang sich die für die Rechtsgüter Dritter oder die Allgemeinheit gesteigerte Gefahr, die von einem Berauschten ausgeht, tatsächlich in einer konkreten rechtswidrigen Tat niedergeschlagen hat. Weder für die Straftat nach § 323a StGB noch für die Ordnungswidrigkeit nach § 122 OWiG ist indes vorausgesetzt, dass sich der Täter im Zeitpunkt des Sich-Berauschens bewusst war oder hätte bewusst sein können, dass er im Rausch zur Begehung von Straftaten oder ordnungswidrigem Verhalten neige (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1951 - 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 125; vom 23. November 1951 - 2 StR 491/51, BGHSt 2, 14, 18; vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 127; Beschlüsse vom 15. Oktober 1956 - GSSt 2/56, BGHSt 9, 390, 394; vom 17. Oktober 1991 - 4 StR 465/91, BGHR StGB § 323a Abs. 2 Strafzumessung 5; Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl., § 122 Rn. 2, 14; Göhler/Gürtler, OWiG, 16. Aufl., § 122 Rn. 7a; KK/Rengier, aaO, Rn. 25; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 323a Rn. 14 mwN; s. aber auch zu vielen abweichenden Stimmen in der Literatur MüKoStGB/Geisler, 2. Aufl., § 323a Rn. 57 ff. mwN).
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Die in den § 323a StGB, § 122 OWiG enthaltene Wertung ist schließlich nicht darauf zu reduzieren, dass einem Rausch nur dann strafrechtlich erhebliches Unrecht innewohnt, wenn er zumindest nicht ausschließbar zur völligen Aufhebung der Steuerungsfähigkeit führt (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 252). Der hierauf begrenzte Anwendungsbereich der genannten Normen ist nicht Ausdruck eines nur beschränkten Straf- und Regelungsbedürfnisses. Denn die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines nur erheblich vermindert schuldfähigen Täters besteht fort. Hieraus folgt, dass es insoweit einer gesonderten tatbestandlichen Erfassung des dem vorwerfbaren Rausch innewohnenden Unwerts nicht bedarf.
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bb) Die hiesige Lösung steht im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers. Dieser hat die Entscheidung über die Strafmilderung bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit gerade mit Blick auf die verschuldete Trunkenheit dem tatrichterlichen Ermessen überantwortet. Im Einzelnen:
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Der "Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches" von 1927 (vgl. Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger vom 27. November 1933; Rautenberg, DtZ 1997, 45, 47) hatte den zwingenden Ausschluss der Strafmilderung bei verschuldeter Trunkenheit mit demHinweis auf das Schuldprinzip abgelehnt und stattdessen erstmals eine "Kann"-Vorschrift vorgesehen. Zu der mit einer solchen Regelung verfolgten Intention äußerte sich die Begründung des Entwurfs dahin, dass er es "dem richterlichen Ermessen (überlässt), zu entscheiden, ob und inwieweit eine selbstverschulde- te Trunkenheit, die die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließt, als strafmildernd zu berücksichtigen ist" (Reichstagsdrucksache, III. Wahlperiode 1924/27, Nr. 3390, Begründung S. 15; abgedruckt in Schubert/Regge/Rieß/Schmid [Hrsg.], Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, I. Abt.: Weimarer Republik, Bd. 1, 1995, S. 495). Mit dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl. I, S. 995) wurde die verminderte Zurechnungsfähigkeit in § 51 Abs. 2 StGB aF als fakultativer Strafmilderungsgrund erstmals kodifiziert.
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Die Reformarbeiten in der Nachkriegszeit führten dazu, dass an der fakultativen Strafmilderung festgehalten und kein Milderungszwang eingeführt wurde, und mündeten letztlich in den seit dem 1. Januar 1975 geltenden § 21 StGB. Zum Ermessen heißt es in der Begründung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 (E 1962): Ob die Schuld verringert ist, "beruht auf einer Gesamtwürdigung, bei der außer dem Grade der Schuldfähigkeit auch andere Umstände zu berücksichtigen sind; so die Tatschuldumstände (...), aber auch Schuldumstände vor der Tat (z.B. schuldhafte Herbeiführung der verminderten Schuldfähigkeit). Dass die Milderung nur zugelassen und nicht vorgeschrieben ist, ermöglicht einen Ausgleich zwischen der Verminderung der Schuldfähigkeit einerseits und erschwerenden Schuldumständen andererseits bei der Gesamtwürdigung der Schwere der Schuld" (BT-Drucks. IV/650, S. 142; ebenso - wortlautidentisch - die Begründungen zum "Entwurf eines Allgemeinen Teils eines Strafgesetzbuches nach den Beschlüssen der Großen Strafrechtskommission in erster Lesung" von 1958 [E 1958, veröffentlicht vom Bundesministerium der Justiz, Begründung S. 30 f.] und zum Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1960 [E 1960, BR-Drucks. 270/60, S. 134]; s. hierzu Rautenberg, Verminderte Schuldfähigkeit, 1984, S. 176). Durch die vorzugswürdige "elastischere" Ermessensvorschrift erübrige sich eine Regelung über den zwingenden Ausschluss der Strafrahmenmilderung bei selbstverschuldeten Bewusstseinsstörungen (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 142; ferner E 1958, aaO, Begründung S. 31; E 1960, BR-Drucks. 270/60, S. 134).
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cc) Zusammenfassend kommt es nach alldem nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob mit dem vorlegenden Senat anzunehmen ist, für die hiesige Lösung stritten weitere Gesichtspunkte, darunter etwa die Regelung des § 7 WStG (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 3 StR 63/15, juris Rn. 43 ff.). Das Tatgericht überschreitet aus den dargelegten Gründen jedenfalls nicht die Grenzen des ihm bei der Entscheidung über eine Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB eingeräumten Ermessens, wenn es im Rahmen der Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände in den Blick nimmt, dass der Angeklagte die Trunkenheit selbst verschuldet hat. Ihm obliegt die Bewertung, ob das Gewicht dieses Umstands nach den Umständen des Einzelfalls hoch genug ist, um die aufgrund der erheblich verminderten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verringerte Tatschuld aufzuwiegen. An feste Regeln ist es dabei nicht gebunden.
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3. Da die Entscheidung - zumindest auch - auf den spezifischen Auswirkungen des Alkoholkonsums und der allgemeinen Kenntnis hierüber beruht, ist davon abzusehen, die dargelegten Grundsätze der Anregung des Generalbundesanwalts folgend auf alle anderen Fälle vorwerfbarer Rauschzustände zu erstrecken (vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 591/03, StV 2005, 19).
Limperg Raum Sost-Scheible Graf Schäfer Schneider König Krehl Eschelbach Quentin Gericke