Bundesgerichtshof Urteil, 27. Nov. 2019 - 5 StR 468/19

bei uns veröffentlicht am27.11.2019
vorgehend
Landgericht Berlin, 27, Js 498/15
Landgericht Berlin, 12, Ss 126/19

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 468/19
vom
27. November 2019
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2019:271119U5STR468.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. November 2019, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. April 2019 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Beschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Die hiergegen gerichtete und mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit 1999 an paranoider Schizophrenie mit chronisch progredientem Verlauf. Dabei kommt es zu psychotischem Erleben, Antriebssteigerung, Distanzminderung, aggressivem Verhalten und Größenwahnideen. Im Mittelpunkt der Erkrankung steht ein systematisierter Wahn, bei dem sich der Beschuldigte für Gott, den Kriegsgott Wotan, einen Silberdrachen als Retter der Welt oder für den Befehlsgeber der Bundeskanzlerin hält.
3
Der Beschuldigte ist krankheitsbedingt nicht mehr arbeitsfähig und war bereits mehrfach stationär in der Psychiatrie aufgenommen. Eine umfassende Betreuung ist eingerichtet. Er ist 2007 wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden, daneben seit 2004 wegen Diebstahlstaten und Erschleichens von Leistungen zu Geldstrafen und einer zweimonatigen Freiheitsstrafe, zudem 2009 auch wegen räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, die er nach Bewährungswiderruf verbüßen musste.
4
Krankheitsbedingt kam es zu folgenden vier Anlasstaten, bei denen die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten jeweils aufgehoben war:
5
a) Im Dezember 2012 war der Beschuldigte bei Schneewetter und Kälte verwirrt und barfuß in Berlin unterwegs, weshalb er nach dem PsychKG in der Psychiatrie in Spandau untergebracht wurde. Ohne Erlaubnis verließ er die Station am 29. Dezember 2012 und ging in ein Einkaufszentrum. Dort sah er eine abgestellte Babyschale mit einem drei Wochen alten Säugling und nahm diese in einem unbeobachteten Moment an sich. Wahnbedingt nahm er an, es handele sich um sein eigenes Kind, das entführt worden sei. Auf dem Weg zum Aus- gang holten die besorgten Eltern den Beschuldigten ein und nahmen ihm die Schale mit dem Baby wieder ab. Die Mutter des Kindes wurde durch diesen Vorfall seelisch stark mitgenommen.
6
b) Im Januar 2015 befand sich der Beschuldigte auf eigenen Wunsch wieder stationär in der Psychiatrie im Klinikum Spandau. Wahnbedingt glaubte er, dass das Krankenhaus ein Hexenhaus sei und er die Hexen verbrennen müsse. Unterhalb des Waschbeckens entzündete er mehrere Papierhandtücher mit einem Feuerzeug. Hierdurch wurde der Brandmelder ausgelöst; anschließend wurde das Feuer von Bediensteten gelöscht. Die Verrußungen an Wandund Bodenfliesen konnten von einer Reinigungskraft beseitigt werden.
7
c) Kurze Zeit später befand sich der akut psychotische Beschuldigte im Isolationszimmer des Krankenhauses, in das er wegen seines auffälligen psychischen Zustandes verbracht worden war. Mit einem ihm offensichtlich belassenen weiteren Feuerzeug zündete er dort auf einem Tisch einen Kopfkissenbezug an, der überwiegend verbrannte. Das Pflegepersonal löschte den Brand mittels eines Feuerlöschers. In einer Zimmerecke oberhalb des Tischs entstanden Rußanhaftungen, die jedoch die Brauchbarkeit des Raums nicht beeinträchtigten.
8
d) Im Mai 2015 befand sich der akut psychotische Beschuldigte morgens auf dem U-Bahnhof Krumme Lanke in Berlin-Zehlendorf. Als sich ein Fahrgast eine Fahrkarte zog, schrie der Beschuldigte aggressiv in dessen Richtung. Anschließend ging er dem Mann hinterher und pöbelte ihn weiter an. Als deshalb Polizeibeamte kamen und ihn überprüfen wollten, reagierte er auf deren Aufforderungen nicht, sondern ging mit geballten Fäusten auf die Polizeibeamten zu, wobei er eine länglich gefaltete Tüte waagerecht in der einen Hand hielt (Inhalt: eine Sektflasche, Feuerzeuge, eine Glasscherbe, ein Handspiegel, ein Kugel- schreiber). Als die Polizeibeamten ihn an die Wand gedrückt hatten und durchsuchen wollten, versuchte er sich plötzlich loszureißen und trat mehrfach in Richtung der Beine eines der Polizisten. Er stemmte sich mit aller Kraft gegen das Festhalten, schrie lautstark, begann, um sich zu spucken, und versuchte, den anderen Beamten zu beißen. Verletzt wurden die Polizisten nicht.
9
Neben diesen verfahrensgegenständlichen Taten kam es noch zu folgenden Vorfällen, bei denen jeweils die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten krankheitsbedingt aufgehoben war und hinsichtlich derer nach § 154 Abs. 1 StPO oder – mangels Strafantrages und mangels öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung – nach § 170 Abs. 2 StPO verfahren worden ist:
10
Ab November 2015 war der Beschuldigte auf zivilrechtlicher Grundlage in einer geschlossenen Therapieeinrichtung untergebracht. Im April 2017 wurde er von einer Mitpatientin massiv beleidigt. Er schubste sie daraufhin und attackierte sie mit Schlägen Richtung Kopf und Hals, bevor das Pflegepersonal beide trennte. Wenige Tage später schrie der Beschuldigte im Aufenthaltsraum laut herum und schlug mit einem Stuhl eine Fensterscheibe ein, woraufhin diese zerbrach. Der Beschuldigte zog sich eine Schnittverletzung an der Hand zu. Anschließend versuchte er, eine Couch hochzuheben und eine zweite Fensterscheibe einzuschlagen, was aber misslang.
11
Im August 2017 geriet der Beschuldigte aus ungeklärtem Grund mit einer Mitpatientin in Streit, in dessen Verlauf er sie mit mindestens zwei Faustschlägen gegen Kopf und Rücken traf, wodurch sie Schmerzen erlitt. Im September 2017 störte eine Mitpatientin den Beschuldigten durch andauernde Ballwürfe an seine Zimmerwand. Weil sie nicht aufhörte, kam es zum Streit, wobei der Beschuldigte ihr mit der Faust ins Gesicht schlug. Im Oktober 2017 sollte sich der Beschuldigte nach einem Ausgang einer Eingangs- und Taschenkontrolle un- terziehen, womit er nicht einverstanden war. Er versuchte, die Pflegekraft mit dem Bauch zur Seite zur stoßen, was misslang. Anschließend schlug er mindestens viermal mit der Faust in Richtung Kopf der Frau, die sich wegdrehte und von einem Schlag am Hinterkopf getroffen wurde.
12
2. Das Landgericht hat keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades gesehen , dass der Beschuldigte erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, und deshalb seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt.

II.


13
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleibt erfolglos.
14
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt voraus, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und des von ihm begangenen Anlassdelikts zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzu- stellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 13. Dezember 2017 – 5 StR 388/17, und vom 11. Oktober 2018 – 4 StR 195/18, NStZ-RR 2019, 41 mwN).
15
2. Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.
16
Das gilt namentlich für die von der Beschwerdeführerin beanstandete Gefährlichkeitsprognose.
17
a) Das Landgericht hat dazu ausgeführt, gegen eine Gemeingefährlichkeit spreche, dass sich der Zustand des Beschuldigten seit seiner Aufnahme in eine andere stationäre Einrichtung ab Dezember 2017 in Verbindung mit der fortgeführten medikamentösen Dauerbehandlung deutlich gebessert habe. Der Wahn sei nach den überzeugenden Angaben des Sachverständigen weiter zurückgedrängt worden, womit deutliche Fortschritte in Krankheits- und Behandlungseinsicht einhergingen. Auch sei es dem an die Institutsambulanz des Klinikums Spandau angebundenen Beschuldigten gelungen, ein Kriseninstrumentarium zu entwickeln, so dass er, wenn er sich schlecht fühle, aus eigenem Antrieb heraus die Klinik aufsuche. Wie der Sachverständige näher ausgeführt habe, sei die erneute Begehung von den Anlasstaten entsprechenden Delikten aus psychotischem Erleben heraus zwar möglich. Konkret seien solche angesichts der länger zurückliegenden Tatzeiten und des weit zurückgedrängten Wahns aber nicht zu erwarten.
18
Die insoweit beachtlichen Vorstrafen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und räuberischen Diebstahls lägen zehn bis zwölf Jahre zurück und seien hinsichtlich der aktuellen Gefährlichkeit aufgrund der Verbesserung des Gesundheitszustandes nicht mehr aussagekräftig. Bei den Vorfällen im Jahr 2017 sei schließlich zu beachten, dass sie unter destabilisierender mehrfacher Medikamentenumstellung – ohne dass es zu erheblichen Folgen gekommen sei – in einer geschlossenen Einrichtung gegen ihn provozierende Mitpatienten oder Pflegepersonal verübt worden seien. Seitdem habe sich der psychische Zustand des Beschuldigten auch angesichts der Medikation in Depotform und der Entwicklung eines bewährten Kriseninstrumentariums weiter deutlich stabilisiert und verbessert.
19
b) Damit hat das Landgericht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Gefährlichkeitsprognose den richtigen rechtlichen Maßstab angelegt und die relevanten Faktoren in seine Prüfung eingestellt (vgl. aber zu Gewaltdelikten gegenüber Mitpatienten BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2019 – 5 StR 410/19). Insbesondere hat es beachtet, dass die bloße Möglichkeit der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten die Anordnung der besonders schwerwiegenden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht rechtfertigen kann (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2015 – 2 StR 393/14, NStZ-RR 2015, 306, 307; BVerfG, Beschluss vom 22. August 2017 – 2 BvR 2039/16).
20
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht dabei nicht verkannt, dass es für die Entscheidung, ob eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen ist, nicht darauf ankommt, ob die vom Täter (aktuell noch) ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung oder andere Maßnahmen außerhalb des Maßregelvollzugs abgewendet werden kann. Ein derartiges täterschonendes Mittel würde erst bei der Frage der Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung Bedeutung erlangen können (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2019 – 5 StR 683/18 mwN).

21
Eine solche fortbestehende Gefahr hat das Landgericht indes nicht angenommen. Vielmehr ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Beschuldigten aufgrund seiner Entwicklung in den letzten beiden Jahren schon keine die Maßregel nach § 63 StGB rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose mehr gestellt werden könne. Dass die Strafkammer in diesem Zusammenhang auch auf die Erfolge der derzeitigen Behandlung, die zuverlässige Depotmedikation und die gute Betreuung des Beschuldigten als gefahrmindernde Umstände abgestellt hat, ist dabei nicht zu beanstanden (vgl. BGH aaO).
Sander König Berger
Mosbacher Köhler

Vorinstanz:
Berlin, LG, 10.04.2019 - 276 Js 498/15 (528 KLs) (40/14) 121 Ss 126/19

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafprozeßordnung - StPO | § 170 Entscheidung über eine Anklageerhebung


(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht. (2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren

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(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 195/18
vom
11. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:111018U4STR195.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Oktober 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Bender, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 15. Dezember 2017 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 10. Mai 2017 wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, in der Nacht vom 20. auf den 21. November 2015 an dem abgestellten Pkw des Lebensgefährten seiner Mutter die Bremsschläuche auf beiden Seiten vollständig durchtrennt zu haben. Damit habe er erreichen wollen, dass der Geschädigte und wahrscheinlich auch die Mutter des Angeklagten bei der Teilnahme am Straßenverkehr infolge des Versagens der Bremsen einen schweren Unfall erleiden und versterben. Zumindest habe er dieses Risiko einkalkuliert und gebilligt. Als der Geschädigte zusammen mit der Mutter des Angeklagten am Abend des 21. November 2015 seinen Pkw in Betrieb genommen habe, sei es ihm auf abschüssiger Strecke gerade noch gelungen, das Fahrzeug vor dem Erreichen der Einmündung zu einer vielbefahrenen Straße durch das Anziehen der Handbremse zum Stehen zu bringen.

II.


3
Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
1. Der Angeklagte leidet seit dem Jahr 1997 an einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. In der Zeit vom 30. September bis zum 30. Dezember 1997 und in der Zeit vom 18. November 2002 bis zum 4. Februar 2003 war er deshalb stationär untergebracht. Mit Hilfe eines Betreuers und bei regelmäßiger Medikamenteneinnahme gelang es ihm in der Folge seinen Gesundheitszustand zu stabilisieren. Er fasste beruflich Fuß und führte zehn Jahre ein unauffälliges Leben.
5
Im Jahr 2013 glaubte der Angeklagte ohne Medikamente leben zu können und setzte deren Einnahme ab. Auch hielt er die Betreuung nicht mehr für erforderlich. In der Folge litt er unter formalen Denkstörungen und einer Beeinträchtigung der Impulskontrolle. Er hatte Wahnideen mit akustischen und optischen Halluzinationen. Hinzu kamen affektive Symptome wie Angst, Irritabilität und Dysphorie. Im Frühjahr 2015 verschärfte sich die Situation. Als sich seine Mutter am 11. Mai 2015 weigerte, den Angeklagten weiter finanziell zu unterstützen , reagierte er hierauf krankheitsbedingt verzweifelt und gereizt. Er beschimpfte sie als "Schlampe" und drohte ihrem Lebensgefährten mit dem Tode.
6
Am 27. Mai 2015 begab sich der Angeklagte erneut zur Wohnung seiner Mutter, um Geld zu fordern. Als er nicht eingelassen wurde, trat und schlug er so lange gegen die Wohnungseingangstür, bis Nachbarn die Polizei riefen. Die Geschädigten erwirkten daraufhin am 28. Mai 2015 gegen ihn ein Kontaktverbot. Der Angeklagte konnte dies in seinem psychotischen Zustand nicht verstehen und suchte immer wieder die Wohnung der Geschädigten auf. Dabei warf er Steine gegen die Wohnungsfenster und beschimpfte den Lebensgefährten seiner Mutter. Ein gegen ihn festgesetztes Ordnungsgeld führte zu keiner Veränderung.
7
2. Zur Anlasstat hat das Landgericht das Folgende festgestellt:
8
Am Abend des 20. November 2015 fühlte sich der Angeklagte einsam und verlassen. In seinem psychotischen Erleben machte er dafür die Geschädigten verantwortlich. Von "imperativen Stimmen überwältigt" glaubte er, "ein Zeichen setzen" zu müssen. Um dies zu erreichen, durchtrennte er in der Nacht vom 20. auf den 21. November 2015 an dem auf der Straße abgestellten Pkw des Lebensgefährten seiner Mutter mit einem mitgebrachten Seitenschneider auf beiden Seiten die Bremsschläuche. Dabei war ihm die naheliegende Gefahr bewusst, dass es bei der nächsten Benutzung des Pkw im Straßenverkehr zu einem Verkehrsunfall kommen könnte, falls es nicht gelänge, das Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Dem Angeklagten war auch klar, dass die Geschädigten hierbei verletzt werden könnten. Dies nahm er "zumindest billigend in Kauf". Zu einer Steuerung seines Verhaltens war er in diesem Moment krankheitsbedingt nicht in der Lage.
9
Am Abend des 21. November 2015 traten die Mutter des Angeklagten und deren Lebensgefährte eine Fahrt mit dem Pkw an. Der Geschädigte startete das Fahrzeug und fuhr in eine "leicht abschüssige Straße" ein. Als er vor der Einmündung zu einer zu diesem Zeitpunkt viel befahrenen bevorrechtigten Hauptstraße bremsen wollte, stellte er fest, dass die Bremsen nicht reagierten. In dieser "konkret bedrohlichen Situation" zog er die Handbremse an und konnte so das sich bei dieser "Notbremsung" quer zur Fahrbahn stellende Fahrzeug kurz vor der Hauptstraße anhalten. Dadurch wurde ein Unfall mit dem dortigen fließenden Verkehr gerade noch vermieden.
10
3. Nachdem der Angeklagte am 23. November 2015 eine Sachbearbeiterin der Agentur für Arbeit in D. beleidigt und bedroht hatte, wurde er am selben Tage mit der Diagnose einer psychischen Dekompensation bei bestehender paranoider Schizophrenie in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Anschließend ließ er sich dort freiwillig bis zum 24. März 2016 stationär behandeln. Außerdem wurde ihm eine Betreuerin bestellt. Seit dem 1. März 2017 befindet er sich in einer Wohngruppe und geht bereits ab 2016 einer Vollzeitbeschäftigung nach.
11
4. Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB und versuchte vorsätzliche Körperverletzung gemäß §§ 223, 22, 23 StGB bewertet. Ein bedingter Tötungsvorsatz lasse sich nicht sicher feststellen. Denn der Angeklagte habe nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht mit einem tödlichen Verlauf des von ihm für möglich gehaltenen Unfalls rechnen müssen. Ein solcher Unfall sei bei dem alsbald zu erkennenden Bremsversagen in einem Wohngebiet mit den dort gefahrenen Geschwindigkeiten nicht zu befürchten gewesen. Der Verbrechenstatbestand des § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB liege nicht vor, weil die bloße billigende Inkaufnahme eines für möglich gehaltenen Unfalls für die Annahme eines Handelns in der Absicht, einen Unfall herbei zu führen, nicht ausreiche.
12
Für seine Tat könne der Angeklagte nicht bestraft werden, weil er aufgrund einer krankhaften seelischen Störung (vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit durch eine wahnhafte Fixierung in der akuten Phase einer paranoiden Schizophrenie) schuldunfähig gewesen sei.
13
Eine Unterbringung nach § 63 StGB sei nicht anzuordnen, weil derzeit nicht zu erwarten sei, dass der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.

III.


14
Die gegen das gesamte Urteil gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Sowohl der Freispruch als auch die Ablehnung einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
15
1. Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem angehörten Sachverständigen rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Angeklagte bei der Begehung der ihm zur Last gelegten Tat aufgrund einer krankhaften seelischen Störung schuldunfähig gewesen ist und deshalb freizusprechen war. Einwände hiergegen hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.
16
2. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Strafkammer auch ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB nicht vorliegen. Zwar hat der Angeklagte mit dem Durchtrennen der Bremsschläuche und dem dadurch verursachten "Beinahe-Unfall" (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2011 – 4 StR 340/11, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Gefährdung 6; Beschluss vom 4. September1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f.) im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB und damit eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 63 Satz 1 StGB begangen, deren Strafbarkeit – anders als die von der Strafkammer zugleich angenommenen versuchten Körperverletzungen (§ 223 Abs. 2 StGB), bei denen es schon an den Verfolgungsvoraussetzungen des § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB fehlt – allein an der festgestellten Schuldunfähigkeit scheitert (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 – 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132, 133 f.), doch kann ihm eine seine Unterbringung rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose nicht gestellt werden.
17
a) Eine Unterbringung nach § 63 Satz 1 StGB kommt nur dann in Betracht , wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei muss es sich um Taten handeln, die zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18, Rn. 12 mwN). Zudem ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 1 StR 36/18, Rn. 25; Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16, BGHR StGB § 63 Beweiswürdigung 2; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 mwN). Die zu stellende Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat zu entwickeln (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, NStZ 2013, 424 mwN). Dabei sind neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung auch die auf die Person des Täters und seine konkrete Le- benssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können, einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, 77; Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. mwN).
18
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.
19
aa) Dass das Landgericht zu Unrecht einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz verneint und die Anlasstat deshalb mit zu geringem Gewicht in seine Gefährlichkeitsprognose eingestellt hat, ist nicht zu besorgen. Denn die zugrunde liegende Beweiswürdigung weist keinen auf die Sachrüge zu beachtenden Rechtsfehler auf (zum revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2018 – 4 StR 87/18, Rn. 18; Urteil vom 14. Oktober 1952 – 2 StR 306/52, BGHSt 3, 213, 215; st. Rspr.).
20
(1) Die Annahme der Strafkammer, die festgestellten tatsächlichen Verhältnisse (schnelle Bemerkbarkeit der Funktionsuntüchtigkeit der Bremsen in einem Wohngebiet bei den dort gefahrenen Geschwindigkeiten), ließen einen sicheren Schluss auf das Fürmöglichhalten eines tödlichen Unfalls und dessen billigende Inkaufnahme seitens des dies bestreitenden Angeklagten nicht zu, verstößt nicht gegen gesicherte Erfahrungssätze. Vielmehr handelt es sich um eine mögliche Schlussfolgerung, die vom Revisionsgericht hinzunehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2018 – 4 StR 87/18, Rn. 18; Urteil vom 9. Februar 1957 – 2 StR 508/56, BGHSt 10, 208, 210; st. Rspr.).
21
(2) Eine auf die Sachrüge hin zu beachtende Lücke in der Beweiswürdigung liegt nicht vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich die Strafkammer mit tatsächlich vorhandenen Anhaltspunkten für eine naheliegende andere Ge- schehensvariante als die von ihr angenommene nicht auseinandergesetzt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2018 – 2 StR 408/17, Rn. 7 mwN). Grundlage für die revisionsgerichtliche Beurteilung ist dabei allein das tatrichterliche Urteil (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, Rn. 16 mwN). Danach erweisen sich die Urteilsgründe nicht als lückenhaft. Dass es naheliegender Weise zu tödlich verlaufenden Kollisionen mit Fußgängern oder Fahrradfahrern hätte kommen können, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Konkrete Feststellungen, die auf ein beachtliches Fußgänger- oder Fahrradfahreraufkommen im tatortnahen Bereich schließen lassen, fehlen. Die Annahme, dass die Strafkammer die Einmündung zu der Vorfahrtsstraße und den "leicht abschüssigen" Verlauf der auf diese zulaufenden Straße nicht im Blick gehabt haben könnte, liegt fern. Soweit eine hinreichende Aufklärung tatsächlicher Verhältnisse vermisst wird, ist dies ein Mangel, der unter den hier gegebenen Umständen mit der Aufklärungsrüge geltend zu machen gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, Rn. 16 mwN).
22
bb) Ebenso ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer eine Absicht zur Herbeiführung eines Unglücksfalls gemäß § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB für nicht belegt erachtet und die Anlasstat deshalb nur als Vergehen nach § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB bewertet hat. Absicht im Sinne des § 315 Abs. 3 StGB ist zielgerichtetes Wollen. Sie ist nur dann gegeben, wenn es dem Täter darauf ankam, den in Nummer 1 Buchst. a der Vorschrift beschriebenen Erfolg herbeizuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329, 330; MünchKommStGB/Pegel, 2. Aufl., § 315 Rn. 88). Dass dem Angeklagten, wie die Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellt hat, die Möglichkeit eines Unfalls infolge der Manipulation an den Bremsen bewusst war, reicht für die Annahme einer solchen Absicht nicht aus.
23
cc) Auch die Annahme des Landgerichts, es bestehe keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Angeklagte aufgrund der bei ihm vorliegenden psychischen Erkrankung in Zukunft weitere erhebliche Straftaten begehen wird, ist rechtsfehlerfrei begründet.
24
(1) Die sachverständig beratene Strafkammer hat ihre Ablehnung einer Gefährlichkeitsprognose auf die uneingeschränkte Krankheits- und Behandlungseinsicht des Angeklagten, seine Akzeptanz der mit seiner Erkrankung verbundenen Leistungsgrenzen, die erfolgte Adaption noch vorhandener Halluzinationen und Denkstörungen, seine zuverlässige Wahrnehmung von Terminen in der gemeindepsychiatrischen Ambulanz, seinen "momentan" stabilen Gesundheitszustand bei zuverlässiger Medikamenteneinnahme, sein gefestigtes und zur Gewährung von Hilfe bereites soziales Umfeld (betreute Wohngruppe, Vollzeitbeschäftigung , gesetzliche Betreuerin), seinen respektvollen Umgang mit seiner Mutter und seine Straffreiheit seit November 2015 gestützt. Auch weise er keine Persönlichkeitsstörung auf, neige nicht zu Gewalttätigkeiten und sei nicht dissozial. Alle angeführten Aspekte werden belegt. Damit hat das Landgericht die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung bei dem Angeklagten in den Blick genommen und auch auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogene Risikofaktoren angeführt. Danach liegen mehrere prognosegünstige Umstände vor, die trotz fortbestehender Grunderkrankung für eine positive Persönlichkeitsentwicklung sprechen. Dass die Strafkammer mit Rücksicht hierauf die stationären Aufenthalte des Angeklagten in psychiatrischen Einrichtungen in den Jahren 2002 bis 2004 nicht nochmals ausdrücklich angeführt hat, stellt mit Blick auf den Zeitablauf und die langjährige Straffreiheit des Angeklagten keinen Erörterungsmangel dar.
25
(2) Dabei hat die Strafkammer ihren Beurteilungszeitraum nicht unzulässig verkürzt. Zwar trifft es zu, dass bei der auf den Zeitpunkt der Entscheidung zu stellenden Gefährlichkeitsprognose (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426; Urteil vom 10. August 2005 – 2 StR 209/05, NStZ-RR 2005, 370, 371) auch abzusehende zukünftige Entwicklungen in den Blick zu nehmen und in die Erwägungen einzustellen sind. Zwischenzeitlich erzielte Behandlungserfolge und eingetretene Stabilisierungen können daher die Annahme einer die Unterbringung rechtfertigenden Gefährlichkeitsprognose nicht hindern, wenn mit einer Verschlechterung der Verhältnisse und in der Folge mit erneuten rechtswidrigen Taten zu rechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426; Urteil vom 30. August 1988 – 1 StR 358/88, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 6). Eine solche Fallkonstellation ist hier aber nicht gegeben. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es bei dem Angeklagten in absehbarer Zukunft zu einer Destabilisierung kommen kann, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, sodass auch kein Anlass bestand , auf diese Frage näher einzugehen. Die dafür von der Revision angeführten Gesichtspunkte (Abbruch der Medikation im Jahr 2013 trotz engmaschiger Betreuung nach 2003) drängten dies mit Rücksicht auf die vielfältigen Veränderungen bei dem Angeklagten nach der Anlasstat nicht auf.
26
(3) Schließlich hat das Landgericht – entgegen der Auffassung der Revision – auch nicht verkannt, dass es für die Entscheidung, ob eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen ist, nicht darauf ankommt , ob die von dem Täter (aktuell noch) ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung oder andere Maßnahmen außerhalb des Maßregelvollzugs abgewendet werden kann. Ein derartiges täterschonendes Mittel würde erst bei der Frage der Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung Bedeutung erlangen können (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426; Urteil vom 31. Mai 2012 – 3 StR 99/12, Rn. 10; Urteil vom 20. Februar 2008 – 5 StR 575/07, Rn. 14; Urteil vom 23. Februar 2000 – 3 StR 595/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28). Eine solche fortbestehende Gefahr hat das Landgericht nicht angenommen. Vielmehr ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Angeklagten aufgrund seiner persönlichen Entwicklung und der Veränderung seines Umfeldes schon keine eine Unterbringung nach § 63 StGB mehr rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose gestellt werden kann. Dass es dabei als einen von vielen prognosegünstigen Faktoren auch die bereits wirksame Hilfe durch die inzwischen eingesetzte Betreuerin herangezogen hat, ist nicht rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2000 – 4 StR 609/99).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 410/19
vom
24. Oktober 2019
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2019:241019B5STR410.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 15. Mai 2019 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Beschuldigten im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Seine hiergegen gerichtete und auf die Beanstandung sachlichen Rechts gestützte Revision ist unbegründet.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts weist der Beschuldigte das schwere Krankheitsbild einer paranoiden Schizophrenie auf. Deswegen wurde er ab Februar 2014 immer wieder stationär in psychiatrische Einrichtungen aufgenommen , wobei auch Unterbringungen nach dem Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) des Landes Schleswig-Holstein erfolgten. Im Zuge der Aufenthalte musste er mehrfach fixiert und zwangsmediziert werden, weil er in aggressive Erregungszustände verfallen war und teils das Personal massiv mit körperlicher Gewalt bedroht hatte.
3
Seit 22. November 2017 hielt er sich durchgehend im Heimbereich einer psychiatrischen Klinik auf. Wiederholt trat er verbal oder körperlich aggressiv gegenüber anderen Patienten auf. Zumeist hatte er zuvor seine Medikamente nicht eingenommen. Während des Aufenthalts ereigneten sich die folgenden Taten, die das Landgericht als Anlasstaten für die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus herangezogen hat:
4
a) Am Morgen des 19. Februar 2018 bemerkte ein Mitpatient, dass der Beschuldigte auf den Stationsflur urinierte. Er forderte ihn auf, den Boden sauberzumachen. Der Beschuldigte ergriff daraufhin einen Wischmob mit einer Metallkante und ging auf den Mitpatienten zu. Dieser versuchte, rückwärts wegzulaufen , stolperte aber und fiel zu Boden. Der Beschuldigte schlug ihm mit dem Wischmob auf den Kopf, was eine blutende Platzwunde oberhalb der Schläfe und Schwindelgefühle verursachte (Tat 1).
5
b) Am 23. Juni 2018 schauten zwei Mitpatienten in einem Patientenzimmer ein Fußballspiel an. Es erschien der Beschuldigte und provozierte einen der Mitpatienten, indem er unter anderem sagte, dass er keine Ahnung von Fußball habe. Angstvoll lief der Mitpatient auf den Flur, um sich ans Personal zu wenden. Der Beschuldigte folgte ihm und drückte ihn gegen die Wand. Dann schlug er ihm schmerzhaft mit der Faust drei- bis viermal ins Gesicht (Tat 2).
6
c) Am 14. August 2018 suchte der Beschuldigte das Dienstzimmer einer Pflegekraft auf. Aggressiv sagte er zu dieser: „Ich klatsch dich weg“. Dabei er- hob er seine Faust. Als ein Mitpatient das Dienstzimmer betrat, forderte der Beschuldigte ihn auf zu verschwinden und schlug ihm mit der Faust auf den Kopf. Der Mitpatient flüchtete auf den Flur und „krabbelte“ am Boden weg. Nun trat ihm der Beschuldigte mehrmals in den Rücken, mit der Folge von „blauen Flecken“ und Kopfschmerzen (Tat 3).
7
d) Am Abend des 30. Oktober 2018 hielt sich der Beschuldigte mit einem Mitpatienten im Raucherzimmer auf. Nach einem Streit verließ der Mitpatient das Zimmer. Als er kurze Zeit später auf dem Flur stand, lief der Beschuldigte schreiend auf ihn zu und trat ihm mit dem Fuß mehrmals in den Rücken sowie in das Gesäß, was schmerzhafte Prellungen nach sich zog (Tat 4).
8
e) Am 5. November 2018 befand sich der Beschuldigte im Akutbereich des Klinikums. Als ein Patient versuchte, einen Pfleger zu schlagen, eilte er diesem erfolgreich zur Hilfe. Nach dem Vorfall war er erregt und angespannt. Etwa zwei Stunden später unterhielt er sich im Raucherzimmer mit einem Mit- patienten. Unter anderem erzählte er, dass er mit Drogenverkäufen „Millionen“ verdient habe. Der Mitpatient bemerkte daraufhin, dass der Beschuldigte „spin- ne“. Nun nahm der Beschuldigte ein Besteckmesser aus seiner Hosentasche, das er zuvor im Speisesaal eingesteckt hatte. Er holte damit mehrmals von oben nach unten aus und sagte: „Ich bringe dich um“. Dann stacher in Richtung des Oberkörpers des Mitpatienten, traf ihn jedoch nur am Arm, weil der zurückgewichene Geschädigte seinen Arm zur Abwehr hochgehalten hatte. Der Mitpatient erlitt eine etwa 1 cm tiefe und 2,5 cm lange Schnittverletzung am Oberarm. Die Verletzung war weder akut noch potentiell lebensgefährlich (Tat

5).


9
2. Das Landgericht hat die Taten 1 und 5 als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 sowie 5 StGB und die Taten 2 bis 4 als vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) gewertet. Der psychiatrischen Sachverständigen folgend hat es angenommen, dass aufgrund der Erkrankung – bei nicht ausschließbarer Aufhebung der Unrechtseinsicht – während der Taten 1 bis 4 jedenfalls die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten im Sinne von § 21 StGB vermindert gewesen sei. Tat 5 sei sicher dem Wahn des Beschuldigten entsprungen. Insoweit habe dieser ohne Unrechtseinsicht gehandelt (§ 20 StGB).
10
Erneut in Übereinstimmung mit der psychiatrischen Sachverständigen hat die Strafkammer angenommen, dass der Beschuldigte gefährlich im Sinne von § 63 Satz 1 StGB sei. Es sei ohne Unterbringung im Maßregelvollzug alsbald mit weiteren erheblichen Taten zu rechnen, namentlich mit Körperverletzungen auch unter Einsatz von gefährlichen Tatwerkzeugen. Die psychiatrische Sachverständige hatte insoweit ergänzend ausgeführt, dass der Beschuldigte weiterhin bedrohlich und aggressiv auftrete. Vor einigen Wochen habe er einen Mitpatienten getreten. Ein anderes Mal habe er gesagt: „Mir und dir werden die Beine abgeschnitten“.
11
3. Die Entscheidung des Landgerichts, den Beschuldigten nach § 63 StGB unterzubringen, hält im Ergebnis sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
12
a) Der Senat kann dahingestellt lassen, ob die Feststellungen eine Wertung insbesondere der Tat 1 als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB tragen. Denn sowohl diese als auch Tat 5 erfüllen jedenfalls die Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Beide stellen erhebliche Taten im Sinne von § 63 Satz 1 StGB dar. Die sonstigen vom Beschuldigten begangenen Taten sind gleichfalls nicht dem Bagatellbereich zuzuordnen. Damit hat der Beschuldigte rechtswidrige Taten im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit oder der Schuldunfähigkeit begangen. Angesichts seines Krankheitsbildes sind von ihm auch künftig vergleichbare Handlungen zu erwarten, die erheblich sind, mithin keine bloßen Belästigungen oder Lästigkeiten darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 – 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405 mwN). Damit wäre er nach allgemeinen Regeln für die Allgemeinheit gefährlich (vgl.
BGH, aaO; sowie BGH, Urteil vom 7. Juni 1995 – 2 StR 206/95, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 21).

13
b) Allerdings hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht, dass der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung besondere Anforderungen bei Taten stellt, die ein Beschuldigter oder Angeklagter im Rahmen von Unterbringungen in Betreuungseinrichtungen verübt.
14
aa) In seinem Urteil vom 22. Januar 1998 (4 StR 354/97, aaO) hat der 4. Strafsenat mit solcher Begründung – soweit ersichtlich erstmals – die Unterbringung eines bereits auf anderer Rechtsgrundlage Untergebrachten als unverhältnismäßig angesehen (§ 62 StGB). Habe der Beschuldigte die krankheitstypischen und krankheitsbedingten Anlasstaten im Rahmen einer bereits aus anderen Gründen angeordneten Unterbringung begangen und seien Tatopfer die Angehörigen des Pflegepersonals, so bleibe für die Maßregel nach § 63 StGB in der Regel kein Raum. Das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik dauerhaft Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten geschulten Personal sei für eine wertende Betrachtung nicht gleichzusetzen mit Handlungen, die ein schuldunfähiger oder vermindert schuldfähiger Täter im Leben in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder ihm nahestehenden Personen begehe. Solche Taten verlangten – jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen seien – schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein Sicherungsverfahren und die Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel.
15
Spätere Entscheidungen haben den Gedanken aufgegriffen, diesen jedoch nicht bei der Frage der Verhältnismäßigkeit, sondern bereits im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose gewichtet, und zwar bei der Prüfung der Erheblichkeit der (begangenen und künftig zu erwartenden) Taten (vgl. z.B. BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 1999 – 4 StR 269/99, NStZ 1999, 611, 612; vom 2. Juli 2002 – 1 StR 194/02, NStZ 2002, 590, 591; vom 17. Februar 2009 – 3 StR 27/09, NStZ-RR 2009, 169, 170; vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZRR 2011, 202, 203; vom 25. April 2012 – 4 StR 81/12 Rn. 5). Den Umstand, dass Taten innerhalb einer Einrichtung nicht mit solchen außerhalb (extra muros) gleichgesetzt werden dürften, habe das Tatgericht jedenfalls dann zu berücksichtigen und ausdrücklich zu erörtern, wenn die Taten nicht ausschließbar ihre Ursache (auch) in der durch die Unterbringung für den Betreffenden bestehenden Situation hätten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 1999 – 4 StR 269/99, aaO; vom 2. Juli 2002 – 1 StR 194/02, aaO; vom 17. Februar 2009 – 3 StR 27/09, aaO). Diese Maßstäbe hat der Bundesgerichtshof – ohne nähere Begründung – auf Taten zum Nachteil von Mitpatienten erstreckt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 1999 – 4 StR 269/99, aaO; vom 2. Juli 2002 – 1 StR 194/02, aaO).
16
bb) Der Senat vermag dieser Rechtsprechung nicht uneingeschränkt zu folgen.
17
Das gilt zunächst insoweit, als ihr ein Postulat zu entnehmen sein könnte , nach allgemeinen Regeln als erheblich gewertete Taten wögen dann generell weniger schwer, wenn sie während einer Unterbringung begangen werden (in diesem Sinne BGH, Beschluss vom 25. April 2012 – 4 StR 81/12, aaO; BVerfG [Kammer], NJW 2012, 513, 514; SSW-StGB/Kaspar, 4. Aufl., § 63 Rn. 25; siehe aber auch BGH, Urteil vom 5. Juni 2019 – 2 StR 42/19). Zwar mag es sein, dass beispielsweise eine – dann auch im Wesentlichen abgewehrte – Gewalttat zum Nachteil geschulter, hinreichend kräftiger und/oder über besondere Hilfs- und Schutzmittel verfügender (insoweit zu Polizeibeamten BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 – 4 StR 595/16, NStZ-RR 2017, 203, 205) Pflegekräfte in einem milderen Licht erscheint als dieselbe Tat gegenüber sonstigen Dritten. Der Gesichtspunkt vorhandener „Wehrhaftigkeit“ im Umgang mit ag- gressiven Patienten trifft jedoch schon nicht auf das gesamte ärztliche und pflegerische Personal zu. Dabei hätte der Senat Bedenken, zur Begründung einer generell minderen Gewichtung von Taten auch darauf abzustellen, dass ein psychisch Schwerkranker das Pflegepersonal womöglich nicht nach entsprechend geschulten und ungeschulten Kräften zu unterscheiden vermag (aA be- treffend „einfache Krankenpflegerinnen“ BGH, Beschluss vom 25. April 2012 – 4 StR 81/12, aaO). Denn nicht die „Gleichsetzung“ einschlägiger Taten mit solchen außerhalb von Einrichtungen bedarf besonderer Begründung, sondern die Ungleichbehandlung gleichartiger Taten maßgebend anhand des Orts der Tatbegehung.
18
Für Mitpatienten treffen die von der Rechtsprechung angeführten Gründe für eine Andersbehandlung von Taten innerhalb von Einrichtungen nicht ohne weiteres zu. Weder verfügen diese über eine Schulung noch über Erfahrungen bei der Bewältigung von Taten aggressiver Patienten. Sie erscheinen im Gegenteil aufgrund der Unterbringungssituation und weithin fehlender Ausweichmöglichkeiten in besonderem Maße schutzbedürftig.
19
Der Senat neigt aus diesen Gründen der Ansicht zu, dass die Tatgerichte die Besonderheiten der Unterbringungssituation nur dann ausdrücklich zu würdigen haben, wenn hierzu nach den konkreten Umständen der Tat(en) Anlass besteht. Das kann etwa bei Delikten zum Nachteil besonders geschulter Pfle- gekräfte im oben genannten Sinne der Fall sein oder auch bei Überreaktionen in Belastungssituationen, etwa im Zuge von Disziplinarmaßnahmen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, NStZ-RR 2012, 107, 108). Ohne besonderen Anlass kann es nach Auffassung des Senats hingegen keinen durchgreifenden Erörterungsmangel darstellen, wenn sich ein Tatgericht im Rahmen einer ansonsten rechtsfehlerfreien Gefährlichkeitsprognose nicht gesondert mit dem Umstand auseinandersetzt, dass es um eine oder mehrere Taten im Rahmen eines Aufenthalts in einer psychiatrischen Einrichtung geht. Bei Taten gegenüber Mitpatienten wird in aller Regel kein Anlass zu eigenständiger Begründung bestehen.
20
cc) Der Senat braucht die aufgeworfenen Fragen vorliegend nicht abschließend zu entscheiden. Er vermag schon nicht sicher zu beurteilen, ob der bisherigen Rechtsprechung in Bezug auf Taten gegenüber Mitpatienten tatsächlich ein striktes Erörterungsgebot entnommen werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 1999 – 4 StR 269/99, aaO; vom 2. Juli 2002 – 1 StR 194/02, aaO; jeweils: „und unter Umständen auch gegen Mitpatienten“), bei dessen Verfehlen der Bestand des Urteils gefährdet ist.
21
Angesichts des Verlaufs der festgestellten Anlasstaten kann aber jedenfalls ausgeschlossen werden, dass die Anlasstaten maßgeblich durch die Unterbringungssituation bedingt waren. Jene bildete vielmehr nur einen äußeren Mantel für die Tatbegehungen. Die Anlasstaten 1, 2 und 4 entsprangen Alltagssituationen , wie sie sich auch außerhalb von therapeutischen Einrichtungen ereignen können. Auch Tat 3 weist nur insoweit einen losen Zusammenhang mit dem Aufenthalt in der psychiatrischen Einrichtung auf, als der aggressiv gestimmte Beschuldigte zuvor das Dienstzimmer einer Angehörigen der Einrichtung aufgesucht hatte. Ebenso verhält es sich bei der schwersten Anlasstat 5.
Der vielleicht „unterbringungsspezifische“ Vorfall auf dem Dienstzimmer lag zur Tatzeit schon zwei Stunden zurück. Auslöser für den Messerangriff war die Äu- ßerung des Mitpatienten, dass der Beschuldigte „spinne“, nachdem Letzterer von Millionenverdiensten aus Drogenhandelsgeschäften erzählt hatte. Aufgrund des schweren Krankheitsbildes des Beschuldigten liegt auf der Hand, dass sich derartige Vorfälle jederzeit auch „in Freiheit“ ereignen können.

22
4. Bedenken unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) bestehen schon wegen der überlegenen Sicherungsmöglichkeiten des Maßregelvollzugs nicht. Dies gilt zumal angesichts dessen, dass der Beschuldigte bereits zweimal aus der Unterbringung auf Akutstationen entwichen ist.
Mutzbauer Sander Schneider
König Köhler

Vorinstanz:
Lübeck, LG, 15.05.2019 - 705 Js 49787/18 1 KLs 1/19

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 3 9 3 / 1 4
vom
22. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. April
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Januar 2014 im Ausspruch über die Maßregel mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 15 Fällen, hiervon in elf Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung der Maßregel; im Übrigen ist sie unbegründet, weil die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lässt.

I.


2
Dem Urteil liegen folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:
3
1. Der Angeklagte leidet seit frühester Kindheit an einer Schwerhörigkeit sowie einer leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung (Gesamt-IQ 49). 2004 heiratete er die in Russland lebende Mutter der am 22. November 1995 geborenen Geschädigten. Während die Mutter bald nach Deutschland übersiedelte und in die Wohnung des Angeklagten einzog, konnte die Geschädigte ihrer Mutter erst im Sommer 2007 folgen. Die Geschädigte ist wie ihre Mutter gehörlos und beherrschte zunächst nur die russische Gebärdensprache.
4
Bereits eine Woche nach ihrer Ankunft fragte der Angeklagte die Geschädigte mittels Gebärden, ob sie mit ihm "Sex machen" wolle. In der Folgezeit rieb er wiederholt seinen erigierten Penis zwischen den nackten Gesäßhälften der Geschädigten. Spätestens seit Herbst 2008 führte er regelmäßig, mindestens aber in 15 Fällen, den vaginalen Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter durch; in einem Fall erfolgte zudem Oralverkehr, in einem weiteren Fall versuchter Analverkehr (Fälle II. 1. bis 15. der Urteilsgründe), wobei die Geschädigte in vier Fällen nicht ausschließbar bereits 14 Jahre alt war (Fälle II. 10. bis 13. der Urteilsgründe).
5
Der Angeklagte hat das Tatgeschehen im Wesentlichen eingeräumt, wobei er aber die Initiative hierfür der Geschädigten zugeschrieben hat, die ihn "verliebt gemacht" habe.
6
2. Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten aufgrund der bei ihm bestehenden Intelligenzminderung, die in ihrem Schweregrad das Eingangsmerkmal des "Schwachsinns" erfülle, erheblich vermindert gewe- sen sei (§ 21 StGB). Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus habe angeordnet werden müssen. Aufgrund der weiterhin bestehenden Intelligenzminderung seien in jedem Fall ähnlich gelagerte, schwerwiegende Straftaten zu erwarten.

II.


7
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
1. Das Landgericht hat den für die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit vorausgesetzten ursächlichen symptomatischen Zusammenhang der von dem Sachverständigen diagnostizierten leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung mit dem Tatgeschehen nicht ausreichend belegt.
9
Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung aufgrund einer festgestellten Störung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, ist tatsachengestützt zu begründen. Dies erfordert es, sowohl konkrete Feststellungen zum Ausmaß der vorhandenen Störung zu treffen als auch ihre Auswirkungen auf die Tat darzulegen. Geboten ist insbesondere eine Auseinandersetzung damit, ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei voll schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2015 - 2 StR 420/14 mwN).
10
Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat zwar dargelegt, dass der Angeklagte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften dauerhaften Zustand leidet. Sie hat es aber versäumt, in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und wie sich dieser Zustand in der konkreten Tat ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 1997 - 4 StR 303/97, NStZ-RR 1998, 106).
11
Das Landgericht hat insoweit "in Übereinstimmung" mit dem Sachverständigen lediglich ausgeführt, der Angeklagte sei aufgrund seiner Intelligenzminderung "nur schwer" in der Lage gewesen, aus seiner (erhalten gebliebenen ) Unrechtseinsicht "die Schlussfolgerung zu ziehen, keine sexuellen Handlungen mit seiner Stieftochter zu begehen". Er sei in der Fähigkeit, seinen sexuellen Trieb und die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse zu kontrollieren , erheblich beeinträchtigt gewesen.
12
Diese knappen Ausführungen lassen nicht erkennen, auf welcher Tatsachengrundlage die Annahme des Sachverständigen - und ihm folgend des Tatgerichts - beruht, dass die Missbrauchstaten auf die Intelligenzminderung und nicht etwa auf andere Ursachen, wie zum Beispiel eine sexuelle Präferenz des Angeklagten, zurückgehen. Überhaupt fehlen Ausführungen dazu, welchen Einfluss die Intelligenzminderung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den konkreten Tatsituationen hatte. Auch im Hinblick auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit fehlt jede tatbezogene Betrachtung.
13
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen lässt sich daher nicht die Annahme rechtfertigen, der Angeklagte habe aufgrund seiner Intelligenzminderung bei allen Taten jeweils sicher im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gehandelt.
14
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose wird durch die bisherigen Feststellungen nicht getragen.
15
a) Die der Entscheidung der Strafkammer zugrunde gelegte Bewertung des Sachverständigen, dass aufgrund der Diskrepanz zwischen körperlicher sexueller Reife und sozialer Kompetenz des Angeklagten in jedem Fall ähnlich gelagerte, schwerwiegende Straftaten zu erwarten seien, ist nicht im Einzelnen mit Tatsachen belegt.
16
Richten sich Straftaten, aufgrund derer die Unterbringung angeordnet wird, nur gegen eine bestimmte Person oder haben sie in der Beziehung zu dieser Person ihre alleinige Ursache, so bedarf die Annahme, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist, genauer Prüfung und Darlegung aufgrund konkreter tatsächlicher Feststellungen (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1989 - 4 StR 342/89, NZV 1990, 77 mwN; Senatsbeschluss vom 4. Oktober 2006 - 2 StR 349/06, NStZ 2007, 29). Das Landgericht hat insoweit lediglich ausgeführt, dass die Möglichkeiten des Angeklagten, Einfluss und Eindruck auf erwachsene Frauen als mögliche Sexualpartnerinnen auszuüben, wegen seiner Intelligenzminderung erheblich eingeschränkt seien, weshalb eine Verschiebung seiner sexuellen Bedürfnisse auf schwächere Bezugspersonen in Gestalt von jungen Mädchen weiterhin zu befürchten sei.
17
Dabei hat das Gericht schon nicht berücksichtigt, dass der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 38jährige und nicht vorbestrafte Angeklagte seit 2004 verheiratet ist und mit seiner Frau eine gemeinsame, 2008 geborene Tochter hat. Worauf die Annahme der Kammer gründet, dass die Möglichkeiten des Angeklagten , erwachsene Sexualpartnerinnen zu finden, tatsächlich eingeschränkt sind, wird nicht ausgeführt.
18
Aber auch die Bewertung, dass eine Verschiebung seiner sexuellen Bedürfnisse auf junge Mädchen weiterhin zu befürchten sei, lässt eine Erörterung tatspezifischer Umstände vermissen; denn bei der durch die Missbrauchstaten Geschädigten handelte es sich um die mit dem Angeklagten in einem Haushalt lebende Stieftochter, die zudem gehörlos ist und erst unmittelbar vor den ersten sexuellen Übergriffen nach Deutschland gekommen war. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte wieder die Gelegenheit haben könnte, entsprechend nachhaltig auf ein solchermaßen schutzbedürftiges junges Mädchen einzuwirken, hat die Strafkammer weder mitgeteilt noch sind solche ersichtlich, zumal auch die jüngere Schwester der Geschädigten schon 2011 aus der Familie genommen und den Eltern die elterliche Sorge entzogen worden ist.
19
b) Die Ausführungen der Strafkammer lassen zudem besorgen, dass sie bei der Gefährlichkeitsprognose einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur dann in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung künftiger Taten besteht. Die Kammer hat sich insoweit "nach eigener Prüfung" den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, der davon ausgegangen ist, dass "in jedem Fall" ähnlich gelagerte Straftaten zu erwarten seien. Sie ist dann mit ergänzenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass Missbrauchstaten gegen junge Mädchen weiterhin "zu befürchten" seien, ohne sich zu dem Grad der Wahrscheinlichkeit überhaupt zu verhalten und diesen tatsachengestützt zu begründen.
20
3. Der Senat hebt den Maßregelausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf. Der neue Tatrichter wird sich naheliegender Weise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen erneut mit der Intelligenzminderung des Angeklagten und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit auseinanderzusetzen haben.
21
Schuld- und Strafausspruch können bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, dass sich dabei Feststellungen ergeben könnten, die zu einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten führen könnten. Denn das Landgericht hat auf breiter Tatsachengrundlage es zum einen dargestellt, dass der Angeklagte, der eingeräumt habe zu wissen, dass man seine Stieftochter "nicht anfassen" dürfe, trotz seiner Intelligenzminderung das Unrecht seiner Tat erkannt habe. Es hat zum anderen ausgeführt, dass eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen werden könne, weil den Missbrauchstaten jeweils eine nicht unerhebliche Planung der Ausführung vorausgegangen sei, der Angeklagte zielgerichtet nach Möglichkeiten der Ausführung gesucht und dabei zahlreiche Sicherungstendenzen gezeigt habe.
22
Soweit die Strafkammer aufgrund der dargelegten rechtfehlerhaften Wertung die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und die Strafe dem jeweils gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen hat, ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2015 - 4 StR 498/14, NStZ-RR 2015, 137, 138). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen (vgl. Senatsbeschluss vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13). Krehl Eschelbach Ott Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 683/18
vom
22. Mai 2019
im Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2019:220519U5STR683.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Mai 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 28. August 2018 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Beschuldigten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. - Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren den Antrag der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen, die Beschuldigte gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
a) Bei der 43 Jahre alten Beschuldigten bestehen spätestens seit 1997 eine paranoide Schizophrenie (ICD-10 F 20.0) sowie ein Abhängigkeitssyndrom von Cannabinoiden (ICD-10 F 12.2). Infolge ihrer Erkrankung leidet sie immer wieder an akustischen Halluzinationen im Sinne von kommentierenden und dialogisierenden Stimmen und entwickelte ein komplexes Wahnsystem überwie- gend mit sexualisierten Inhalten. In ihren Wahnideen kommt verschiedenen Männern, vor allem Familienangehörigen, eine Täterrolle zu, ihr selbst die Op- ferrolle. Gleichwohl richtet sich ihre „zeitweise aufblühende“ Aggressivität maß- geblich gegen ihre Mutter und gegen ihre Schwester D. .
4
Nach dem durch ihre Krankheit bedingten Scheitern von zwei Ehen zog die Beschuldigte ihre in den Jahren 2000 und 2006 geborenen beiden Kinder zunächst auf. Unter strikter Medikation erlebte sie längere stabile Phasen. Ab 2008 wurde sie unter rechtliche Betreuung gestellt und auch mehrfach zunächst nur aufgrund von Cannabisabhängigkeit, später auch wegen ihrer paranoiden Schizophrenie stationär behandelt. Da die Beschuldigte unter den starken Nebenwirkungen der damaligen Medikation litt, nahm sie ihre Medikamente ab Ende 2012 immer seltener. Krankheitsbedingt war sie derart überfordert, dass sie ihre Kinder 2013 abgeben musste.
5
In der Folgezeit nahm sie keine Medikamente mehr, konsumierte in großen Mengen Cannabis und verweigerte die Zusammenarbeit mit ihrer Betreuerin. Es ging ihr zunehmend schlechter. Mehrfach wurde sie stationär psychiatrisch behandelt, meist aufgrund von Beschlüssen nach dem Hamburgischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten. Sie wurde häufig medikamentös neu eingestellt, setzte die Medikamente aber jeweils unmittelbar nach den Krankenhausaufenthalten wieder ab.
6
b) Im Zustand der aufgrund ihrer chronischen schizophrenen Psychose zumindest erheblich verminderten (Fälle 1, 2, 6, 7 und 10) bzw. vollständig auf- gehoben Steuerungsfähigkeit (Fälle 4, 8 und 9) beging die Beschuldigte folgende Taten:
7
Am 13. Juni 2016 beleidigte sie ihre Schwester D. und bedrohte sie mit den Worten „ich bring dich um“ (Fall 1). Im Anschluss an dieses Geschehen begab sich die Beschuldigte zur Polizei. Dabei führte sie ein Butterflymesser in ihrer Handtasche mit sich, für das sie keine waffenrechtliche Erlaubnis besaß (Fall 2).
8
Am 13. April 2017 besuchte die akut psychotische Beschuldigte ihre Mutter. In der Küche kam es zwischen beiden zu einem Streit, dessen Auslöser Wahnvorstellungen der Beschuldigten über einen ihre Tochter sexuell missbrauchenden Mann waren. Ihre ebenfalls psychisch kranke Mutter bekam Angst und rief laut um Hilfe. Daraufhin ergriff die Beschuldigte einen großen, „relativ schweren“ Topf, mit dem sie ihre Mutter schlug. Diese erlitt unter anderem mul- tiple Prellungen an Armen, Beinen und im Gesicht, die innerhalb weniger Tage verheilten, sowie seelische Beeinträchtigungen (Fall 4). Beim Verlassen der Wohnung nahm die Beschuldigte die Handtasche ihrer Mutter mit, womit sie verhindern wollte, dass diese eine unmittelbar bevorstehende Türkeireise antrat. Nachdem die Beschuldigte kurz darauf bei ihrem Versuch, die Tasche bei der Polizei abzugeben, abgewiesen worden war, warf sie sie über den Zaun des Polizeigeländes. Ein sie dabei beobachtender Polizist forderte sie auf, sich auszuweisen. Die aufgebrachte und vor sich hin murmelnde Beschuldigte kam dem nach. Eine sich nähernde Beamtin beschimpfte sie als „Schlampe“ und „Fotze“. Nachdem die Beamtin eine Kleinmenge Marihuana bei ihr aufgefunden hatte, spuckte sie der Polizistin ins Gesicht (Fall 6). Angesichts ihres zunehmend erregten Zustands wurde die Beschuldigte in Gewahrsam genommen.
Als sie von einer Polizeibeamtin nach ihrem Namen gefragt wurde, brüllte sie, „den weißt du schon, du Fotze“ (Fall 7).
9
Am 28. Juli 2017 öffnete die Beschuldigte wütend ihre Wohnungstür, als ein Nachbar durch den Hausflur des gemeinsam bewohnten Mehrfamilienhauses ging. Wahnbedingt nahm sie an, ihr 11-jähriger Sohn halte sich bei dem Nachbarn auf. Sie hielt ein Küchenmesser (15 cm Klingenlänge) in ihrer Hand, „um sich und ihrer ‚Position‘ mehr Ausdrucksstärke zu verleihen“ (UA S. 12). Angreifen oder bedrohen wollte sie den Nachbarn damit nicht. Es kam zu einem lautstarken Streit. Der Nachbar zog sich in seine Wohnung zurück und rief die Polizei. Die Beschuldigte schlug mit einem Schlüssel auf die Tür des Nachbarn ein, wodurch sie mehrere kleine Kerben verursachte. Als der Nachbar seine Wohnungstür erneut öffnete und die aufgebrachte Beschuldigte mit seinem Mo- biltelefon filmte, rief sie „ich töte euch alle“ (Fall 8).
10
Am späten Abend des 24. Oktober 2017 traf die Beschuldigte auf der Straße zufällig auf den Zeugen I. , der sie im Wissen um ihre Krankheit freundlich behandelte. In wahnhafter Verkennung meinte sie, der Zeuge wolle ihr Böses, und beschimpfte ihn. Er versuchte, sie zu beruhigen. Plötzlich holte sie mit einer langen Kette, an der sich ihr Schlüsselbund befand, aus und schlug nach dem Zeugen. Der Schlüsselbund traf ihn unter anderem am Hinterkopf und verursachte eine stark blutende Platzwunde, die notärztlich versorgt werden musste (Fall 9).
11
Am 28. November 2017 „bepöbelte“ die Beschuldigte wahllos Passanten und trat gegen die Fassade eines Einkaufszentrums, wodurch sich eine Steinfliese von der Wand löste und zerbrach (Fall 10).
12
2. Von der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat die Strafkammer abgesehen, weil die Gesamtwürdigung der Beschuldigten und ihrer Taten ergeben habe, dass von ihr aufgrund ihres Zustandes zwar weitere rechtswidrige Taten zu erwarten seien, erhebliche rechtswidrige Taten allerdings nicht mit der für eine Unterbringung erforderlichen Wahrscheinlichkeit. Maßgeblich stellt die Strafkammer insoweit darauf ab, dass die Beschuldigte seit über zwanzig Jahren an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt und dennoch in dieser Zeit mit Ausnahme der Taten 4 und 9 nicht mit Aggressions- oder Körperverletzungsdelikten oder anderen im Sinne von § 63 StGB erheblichen Taten in Erscheinung getreten sei. Dies sei ein gewichtiges Indiz gegen ihre Gefährlichkeit. Zudem sei die Beschuldigte im Rahmen ihrer einstweiligen Unterbringung erstmals über einen Zeitraum von sechs Monaten konsequent behandelt worden, aktuell krankheitseinsichtig und fest gewillt, ihre Medikation in Freiheit fortzusetzen. Sie sei medikamentös so gut eingestellt wie nie zuvor; die Nebenwirkungen der neuen Medikation seien marginal.

II.


13
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Die Ablehnung der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
14
1. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler von der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen. Zwar beging sie die inmittenstehenden rechtswidrigen Taten infolge der bei ihr bestehenden paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F 20.0) im Zustand der Schuldunfähigkeit (Fälle 4, 8 und 9) bzw. der jedenfalls erheblich verminderten Schuldfähigkeit (Fälle 1, 2, 6, 7 und 10). Das Landgericht hat indes rechtsfehlerfrei dargelegt, dass der Beschuldigten keine ihre Unterbringung rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose gestellt werden kann.
15
a) Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 Satz 1 StGB kommt als außerordentlich beschwerende Maßnahme nur dann in Betracht, wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Bei den zu erwartenden Taten muss es sich um solche handeln, die geeignet erscheinen, den Rechtsfrieden schwer zu stören sowie das Gefühl der Rechtssicherheit erheblich zu beeinträchtigen, und damit zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 11. Oktober 2018 – 4 StR 195/18, NStZ-RR 2019, 41, 42; vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18 Rn. 12, und vom 10. April 2014 – 4 StR 47/14 Rn. 14; Beschlüsse vom 31. Oktober 2018 – 3 StR 432/18 Rn. 6 und vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338, jeweils mwN). Zudem ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung solcher Taten erforderlich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 2018 – 1 StR 36/18 Rn. 25 und vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 mwN). Die Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2018 – 4 StR 195/18, aaO, mwN).
16
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.
17
Das Landgericht hat seiner Prognose zutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt und ist dabei aufgrund einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit der Beschuldigten, ihres Vorlebens und der festgestellten Anlasstaten zu dem Ergebnis gelangt, dass von ihr nicht mit der für eine Unterbringung erforderlichen Wahrscheinlichkeit erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne von § 63 Satz 1 StGB zu erwarten sind. Es hat dabei beachtet, dass die Gefahrenprognose anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entwickeln ist, alle hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte gesehen und vertretbar gewürdigt. Dabei hat es insbesondere sowohl das Gewicht auch der beiden schwersten, zutreffend als gefährliche Körperverletzungen gewürdigten Taten als auch die Entwicklung der Krankheit der Beschuldigten in Betracht gezogen. Zu Recht hat die Strafkammer es als gewichtig gegen die Gefährlichkeit der Beschuldigten sprechendes Indiz angesehen, dass sie in den mehr als zwanzig Jahren ihrer Erkrankung mit Ausnahme der Taten 4 und 9 nicht mit Körperverletzungsdelikten oder anderen im Sinne von § 63 StGB erheblichen Taten in Erscheinung getreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, NStZ-RR 2012, 107,

108).


18
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht auch nicht verkannt, dass es für die Entscheidung, ob eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen ist, nicht darauf ankommt, ob die vom Täter (aktuell noch) ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung oder andere Maßnahmen außerhalb des Maßregelvollzugs abgewendet werden kann. Ein derartiges täterschonendes Mittel würde erst bei der Frage der Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung Bedeutung erlangen können (vgl. BGH, Urteile vom 3. August 2017 – 4StR 193/17, StraFo 2017, 426; vom 31. Mai 2012 – 3 StR 99/12 Rn. 10; vom 20. Februar 2008 – 5 StR 575/07 Rn. 14, und vom 23. Februar 2000 – 3 StR 595/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28). Eine solche fortbestehen- de Gefahr hat das Landgericht indes nicht angenommen. Vielmehr ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschuldigten aufgrund ihrer Entwicklung im Rahmen der einstweiligen Unterbringung schon keine die Maßregel nach § 63 StGB rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose mehr gestellt werden kann. Nachvollziehbar hat es seine Annahme begründet, dass die Beschuldigte – unter der Obhut ihrer vor der Hauptverhandlung bestellten, erfahrenen und „enga- gierten“ Betreuerin – ihre aktuell vorhandene „Behandlungscompliance“ beibe- halten und die erforderliche Medikamenteneinnahme auch in Freiheit fortsetzen werde. Unter Medikation habe die Beschuldigte bereits in der Vergangenheit „lange ‚gute‘ Phasen“ erlebt, in denen sie nicht straffällig geworden sei (UA S.

35).


19
Gegen diese Ausführungen der Strafkammer ist angesichts der Aufgabenverteilung zwischen Tat- und Revisionsgericht nichts zu erinnern.
Mutzbauer Sander Schneider
König Köhler

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.