vorgehend
Landgericht Chemnitz, 220, Js 8494/17
Landgericht Chemnitz, KLs 2, Ss 590/19

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 390/19
vom
5. Februar 2020
in der Strafsache
gegen
wegen des Vorwurfs des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2020:050220U5STR390.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Februar 2020, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt S. als Verteidiger,
Rechtsanwältin Sp. als Vertreterin der Nebenklägerin,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 28. Februar 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des vierfachen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, in einem Fall im Versuch, sowie des siebenfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben jeweils mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legt dem Angeklagten zur Last, an unterschiedlichen Tagen im Zeitraum von Oktober 2014 bis Februar 2017 sexuelle Übergriffe zum Nachteil der Nebenklägerin, seiner am 9. August 2007 geborenen Enkelin, begangen zu haben. Seit ihrer Einschulung habe sich die Nebenklägerin regelmäßig in den Schulferien zu Besuch im Wohnhaus des Angeklagten aufgehalten. Dort habe der Angeklagte die Taten verübt. Mehrfach, dabei einmal mit dem Griff eines Schraubenziehers, habe er an der unbedeckten Scheide der Nebenklägerin manipuliert bzw. diese geleckt oder geküsst oder die Nebenklägerin aufgefordert, selbst an ihrer Scheide zu manipulieren (Anklagevorwürfe 1, 4, 7, 8, 9). Im Wohnzimmer habe er seinen Penis in die Scheide der Nebenklägerin eingeführt (Anklagevorwurf 3), in einem im Garten aufgebauten Pool habe er dies versucht (Anklagevorwurf 2). Auf dessen Aufforderung habe die Nebenklägerin am Angeklagten masturbiert und diesen dann mit dem Finger anal penetriert (Anklagevorwurf 5). Ferner habe der Angeklagte ein Fieberthermometer in den Anus der Nebenklägerin eingeführt und sie dann aufgefordert, mit dem Thermometer an seinem Glied Manipulationen vorzunehmen (Anklagevorwurf 6). Einer Aufforderung des Angeklagten , sich auf seinen Penis zu setzen und an ihm den Oralverkehr durchzuführen , habe sich die Nebenklägerin verweigert (Anklagevorwurf 10). Auf einem Ergometer sitzend habe der Angeklagte in Gegenwart der Nebenklägerin seinen unbedeckten Penis mit Öl eingerieben, um sich sexuell zu erregen, und dabei vorgegeben, er behandle auf diese Weise Mückenstiche (Anklagevorwurf

11).


3
2. Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der die Vorwürfe bestreitende Angeklagte die Taten begangen hat. Dafür hat es tragend auf das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten des aussagepsychologischen Sachverständigen abgestellt, der – anders als in seinen vorbereitenden schriftlichen Ausführungen – die Auffassung vertreten habe, bei der Nebenklägerin sei eine Überlappung von tatsächlich Erlebtem mit Auffüllen durch Filminhalte nicht auszuschließen, weswegen die „Unglaubhaftigkeitshy- pothese“ nicht habe widerlegt werden können. Aus diesem Grund vermochte die Jugendschutzkammer die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten „trotz aller belastenden Umstände“ nach einer Gesamtwürdigung nicht mit einer zur Verurteilung notwendigen Sicherheit festzustellen.
4
3. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
5
a) Sind nach den Urteilsgründen zwischen schriftlichem (vorbereitendem) und in der Hauptverhandlung mündlich erstattetem Sachverständigengutachten in entscheidenden Punkten Widersprüche aufgetreten, so muss sich das Gericht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hiermit im Einzelnen auseinandersetzen; es hat dann nachvollziehbar darzulegen, warum es das eine Ergebnis für zutreffend, das andere (im vorbereitenden Gutachten) für unzutreffend erachtet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Dezember 1989 – 4 StR 630/89, NStZ 1990, 244, 245; vom 13. Juli 2004 – 4 StR 120/04, NStZ 2005, 161, 162; LR-StPO/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 90; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 114, jeweils mwN). Die Widersprüche müssen dabei eine Erklärung finden, die Zweifel an der Richtigkeit des angenommenen Ergebnisses beseitigt (vgl. BGH, aaO).
6
Diesen Maßgaben wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Den Urteilsgründen ist lediglich zu entnehmen, dass es dem Sachverständigen in der Hauptverhandlung nicht möglich gewesen sei zu differenzieren, wo eine Übertragung von Filminhalten in das Erinnerungsvermögen der Zeugin stattgefunden habe. Warum der Sachverständige seine im vorbereitenden Gutachten verlautbarte anderweitige Einschätzung geändert hat, wird nicht mitgeteilt. Entsprechendes gilt für die Frage, welche Inhalte welcher Filme aus welchen Quellen sich auf das Erinnerungsbild der Nebenklägerin in der vermuteten Weise aus- gewirkt haben könnten. Angesichts der teils sehr originellen Schilderungen der Nebenklägerin insbesondere zu Manipulationen mit einem Schraubenzieher und einem Fieberthermometer sowie zu einem mit der Behandlung von Mückenstichen erklärten Einölen des Geschlechtsteils des Angeklagten liegt eine Übertragung pornographischer Filmszenen zwischen Erwachsenen bereits für sich betrachtet nicht besonders nahe.
7
Eine revisionsgerichtliche Überprüfung, ob das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin entsprechend den wissenschaftlichen Anforderungen beurteilt hat, ist unter solchen Vorzeichen nicht möglich.
8
b) Die Beweiswürdigung ist auch ansonsten lückenhaft.
9
Das Landgericht bescheinigt der „sehr umfangreichen und detaillierten Aussage“ der im Zeitpunkt der audiovisuellen Vernehmung neun Jahre und neun Monate alten Nebenklägerin eine hohe Konstanz im Verhältnis zu ihren Bekundungen gegenüber dem aussagepsychologischen Sachverständigen. Der Sachverständige, dem die Jugendschutzkammer gefolgt ist, hat seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, dass die intellektuell normal entwickelte und nicht über das Normalmaß hinaus zu Lügen neigende Nebenklägerin eigene Erlebnisse wiedergegeben habe. Fremdsuggestive Einflüsse und eine bewusst wahrheitswidrige Belastung des Angeklagten hat er ausgeschlossen. Jedoch hat die Nebenklägerin im Rahmen der audiovisuellen Vernehmung eingeräumt, bei auf Initiative ihrer Mutter vorgenommenen Eintragungen in einem Buchka- lender insoweit „Quatsch“ hingeschrieben zu haben, als sie dort erklärt habe, dass sie „ganz oft“ das Geschlechtsteil des Angeklagten habe in den Mund nehmen müssen. Hierzu sei sie in Wahrheit nur einmal aufgefordert worden. Angesichts dessen bedarf es nach Auffassung des Landgerichts Beweisanzei- chen außerhalb der Aussage der Nebenklägerin, um dieser gleichwohl glauben zu können.
10
Wie das Landgericht im Grundsatz nicht verkannt hat, werden die Be- kundungen der Nebenklägerin indessen durch „äußere“ Beweisanzeichen ge- rade gestützt. Deren Art und Gewicht sind zum Teil sogar geeignet, die Annah- me einer Konstellation „Aussage gegen Aussage“ in Frage zu stellen (vgl. hier- zu LR-StPO/Sander, aaO, Rn. 72, 83d mwN). Das gilt namentlich für den Umstand , dass bei der gynäkologischen Untersuchung der Nebenklägerin im Bereich des Hymenrandes bis zu 4 mm tiefe Einkerbungen festgestellt wurden. Diese müssen nach Einschätzung der die Untersuchung durchführenden Ärztin bei der hierfür verantwortlichen Penetration noch tiefer und breiter gewesen sein, wobei die Nebenklägerin sich die Verletzungen nicht selbst beigebracht haben könne. Ferner ist an zwei Slips, die die Nebenklägerin während ihres letzten Besuchs beim Angeklagten getragen hatte, DNA gefunden worden, die nach dem molekulargenetischen Gutachten mit der des Angeklagten übereinstimmt bzw. hinsichtlich derer er als Verursacher nicht ausgeschlossen werden kann. Darüber hinaus sind auf dem Computer des Angeklagten rund 2.000 Bildund 50 Videodateien pornographischen Inhalts festgestellt worden, was mit der Aussage der Nebenklägerin vereinbart werden kann, der Angeklagte habe ihr häufig pornographische Filme gezeigt. Schließlich hat das Landgericht der Mutter der Nebenklägerin und Tochter des Angeklagten geglaubt, dieser habe sie selbst in ihrer Jugend missbraucht , indem er ihr erlaubt habe, abends länger fernzusehen, während er im selben Zimmer nackt im Sessel gesessen und dabei onaniert habe, so dass sie es habe sehen müssen. Die Tat ist dem Anklagevorwurf 11 nicht unähnlich.
11
Es hätte dem Landgericht oblegen, diese Beweisanzeichen zu den Bekundungen der Nebenklägerin betreffend die einzelnen Tatvorwürfe in Beziehung zu setzen und in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Daran fehlt es.

12
4. Der Senat hebt auch die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen auf. Denn der freigesprochene Angeklagte konnte diese nicht mit einem Rechtsmittel angreifen.
13
5. Die Sache bedarf damit insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung , wobei gegebenenfalls ein anderer aussagepsychologischer Gutachter heranzuziehen sein wird. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
14
a) Das angefochtene Urteil genügt nicht den Anforderungen, die an die Darlegung der Ergebnisse von DNA-Gutachten zu stellen sind (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187 zu eindeutigen Einzelspuren; vom 31. Mai 2017 – 5 StR 149/17, NStZ 2017, 723 zu Mischspuren ; siehe auch BGH, Beschluss vom 20. November 2019 – 4 StR 318/19 Rn.

5).


15
b) Es liegt nahe, hinsichtlich des gynäkologischen Befundes einen Sachverständigen hinzuzuziehen.
Sander Schneider König
Berger Mosbacher

Vorinstanz:
Chemnitz, LG, 28.02.2019 - 220 Js 8494/17 jug 2 KLs 25 Ss 590/19

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 149/17
vom
31. Mai 2017
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:310517B5STR149.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 31. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23. November 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der einschlägig vorbestrafte Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 5. Dezember 2015 mit einer U-Bahn, die auch die auf ihrem Heimweg befindliche Nebenklägerin bestieg. Der Angeklagte entschloss sich, sie zu verfolgen, um an geeigneter Stelle an ihr sexuelle Handlungen auch gewaltsam zu vollziehen. Als die Nebenklägerin die U-Bahn verließ, folgte er ihr auf ihrem weiteren Nachhauseweg. Er sprach sie mit der Frage an, ob sie ihn mitnehme, und ließ sich auch durch ihre ablehnende Antwort nicht von seinem Vorhaben abbringen. Um den weiter hinter ihr herlaufenden Angeklagten zur Aufgabe seiner Verfolgung zu bewegen, drehte sich die Nebenklägerin, als er sich direkt hinter ihr befand, zu ihm um, schrie ihn an und schlug mit ihrer Handtasche in seine Richtung, ohne ihn zu treffen.
3
In Umsetzung seines Tatplans drängte der Angeklagte die Nebenklägerin nunmehr gegen eine Mauer, griff ihr in das Gesicht und erklärte, er wolle sie „ficken“. Er fasste ihr unter dem Rock zwischen die Beine und versuchte, mit der Hand unter ihrer Strumpfhose in den Scheidenbereich zu gelangen. Durch ihre Hilfeschreie auf die Tat aufmerksam geworden öffnete ein Anwohner ein Fenster und veranlasste mit seinem Ausruf „Polizei“ den Angeklagten zur Flucht.
4
2. Das Landgericht hat sich von der Täterschaft des Angeklagten, der sich dahin eingelassen hat, keine Erinnerung an einen solchen Vorfall zu haben , aufgrund einer Gesamtschau folgender Umstände überzeugt:
5
Als „gewichtiges Indiz“ sieht es das Landgericht vor allem an, dass an bestimmten Stellen der Strumpfhose der Nebenklägerin Mischspuren mit Merkmalen gefunden worden seien, für deren Verursachung der Angeklagte in Betracht komme. Nach Erläuterung des Sachverständigen sei die Übereinstimmung des DNA-Identifizierungsmusters der Spuren mit dem des Angeklagten so groß, dass weltweit – wenn überhaupt – diese Spuren nur wenigen Personen zugeordnet werden könnten. Die mögliche Zuordnung der Spuren zu anderen Personen sei eher theoretischer Natur.
6
Das Landgericht hält weiter den in Augenschein genommenen Angeklagten für identisch mit der Person, die von den Videoaufzeichnungen in der U-Bahn erfasst und darauf von der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren als Täter identifiziert worden sei. Die äußere Erscheinungsform (Größe), Kopfform und Gesicht stimmten überein. Das auf den Videoaufnahmen erkennbare Gesicht entspreche auch dem auf den Fotos aus der letzten erkennungsdienstlichen Behandlung des Angeklagten. Demgegenüber habe dessen Wiedererkennung durch die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung nur geringes Gewicht.
7
Als weiteres Indiz wertet das Landgericht, dass eine bei Festnahme des Angeklagten am 30. Dezember 2015 sichergestellte schwarze wollene Schirm- mütze und eine schwarze Jacke „vom Erscheinungsbild her“ identisch seien mit der Mütze und der Jacke, die von der auf den Videoaufzeichnungen abgebildeten Person getragen worden seien; auch habe der Täter nach den Angaben der Nebenklägerin und der beiden seine Flucht beobachtenden Anwohner eine schwarze Mütze getragen. Schließlich decke sich das Tatbild mit jenem mehrerer nächtlicher Überfälle auf ihm unbekannte Frauen in den Jahren 2006 und 2007, die den Gegenstand einer Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe bildeten.

II.


8
1. Diese Beweiswürdigung enthält – trotz des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs – sachlich-rechtlich beachtliche Fehler, da sie lückenhaft ist.
9
a) Dies gilt zunächst für die Heranziehung der DNA-Spuren auf der Strumpfhose der Nebenklägerin.
10
Das Tatgericht hat in den Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Für die Darstellung des Ergebnisses einer auf einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung ist nach bisheriger Rechtsprechung in der Regel zumindest erforderlich, dass das Tatgericht mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2017 – 5 StR 606/16 mwN).
11
Hier hat das Landgericht mit seiner pauschalen Verweisung auf ein DNA-Gutachten des Landeskriminalamts und mit der Wiedergabe allgemein gehaltener Ausführungen des Sachverständigen nicht nur davon abgesehen, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen des Gutachtens im Urteil anzugeben, sondern nicht einmal als Ergebnis der Analyse den Seltenheitswert der Spuren mitgeteilt, aus denen sich ableiten ließe, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Angeklagte als Spurenleger anzusehen ist.
12
b) Auch beschränkt sich das Landgericht darauf, zu seiner Überzeugung von der Identität des Angeklagten mit der Person, die von den Videoaufzeichnungen in der U-Bahn erfasst wurde, das Ergebnis seiner vergleichenden Betrachtung pauschal mitzuteilen, ohne dies anhand von Einzelmerkmalen des äußeren Erscheinungsbildes wie etwa der konkreten Körpergröße oder Kopfform zu belegen. In diesem Zusammenhang mag dahinstehen, ob es hier für eine wirksame Verweisung auf Abbildungen gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO (vgl. zu den Anforderungen BGH, Urteil vom 28. Januar 2016 – 3 StR 425/15, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 3 Verweisung 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 267 Rn. 8 mwN), die ohnehin nur „wegen der Einzelheiten“ erlaubt ist, schon genügt, dass zu einem Standbild aus der Videoaufzeichnung lediglich zwei Fundstellen in der Akte angegeben werden verbunden mit dem Hinweis auf eine Inaugenscheinnahme durch die Strafkammer (UA S. 33). Jedenfalls hat sich das Landgericht nicht mit der Ergiebigkeit des Bildes und seiner Eignung als Grundlage einer Identifizierung auseinandergesetzt, an deren Begründung umso höhere Anforderungen zu stellen sind, je schlechter die Bildqualität ist (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 – 4 StR 170/95, BGHSt 41, 376,

384).


13
Ebenso wenig wird für den Umstand, dass die Nebenklägerin tatzeitnah auf dem betreffenden Standbild aus der Videoaufzeichnung eine bestimmte Person als Täter wiedererkannt hat (UA S. 30 f.), mitgeteilt, ob und gegebenenfalls an welche bestimmten individuellen Identifizierungsmerkmale sie ihr Wiedererkennen geknüpft hat. Insofern könnte zudem von Bedeutung sein, ob die Zeugin zuvor schon eine auf diese Person und damit den Angeklagten zutreffende Täterbeschreibung abgegeben hatte.
14
2. Der Senat kann – trotz der den Angeklagten erheblich belastenden Beweislage – nicht ausschließen, dass das Urteil auf den erörterten Lücken in der Beweiswürdigung beruht. Das Landgericht hat den weiteren von ihm ange- gebenen Indizien für die Täterschaft des Angeklagten, die zudem eher einen geringen Beweiswert besitzen, ersichtlich nur eine ergänzende Bedeutung beigemessen.
Mutzbauer Sander Dölp
König Berger

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 318/19
vom
20. November 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Diebstahl
ECLI:DE:BGH:2019:201119B4STR318.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. November 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 19. Februar 2019 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Diebstahl zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
1. Das Urteil hält wegen eines durchgreifenden Darstellungsmangels in der Beweiswürdigung der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
3
a) Das Landgericht hat sich auf Grund einer Vielzahl von Beweiszeichen von der Täterschaft des Angeklagten, der die Tat bestritten hat, überzeugt. Es hat den Angeklagten unter anderem deshalb als überführt angesehen, weil von der Polizei am Tatfahrzeug, nämlich an der Außenseite der Beifahrertür und am Türgriff innen, sichergestellte DNA-Spuren eindeutig dem Angeklagten zuzuordnen seien. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich jeweils die Mehrheit der in den beiden Spuren befindlichen Zellen nach dem Abgleich in der DNAAnalyse -Datenbank mit erhöhter Signalstärke dem Angeklagten zuordnen ließen. Das ermittelte DNA-Muster habe exakt dem des Angeklagten entsprochen. In beiden Spuren deute sich zwar zudem eine fragmentarische Beimengung weiterer Zellen an; diese seien aber nur von minimaler Intensität gewesen. Nach der biostatistischen Bewertung des beim Landeskriminalamt NordrheinWestfalen tätigen Gutachters bestünden keine berechtigten Zweifel daran, dass die in den Spuren dominierend nachgewiesenen DNA-Merkmale von dem Angeklagten stammten.
4
b) Dies genügt den Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung nicht. Grundsätzlich hat das Tatgericht in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2019 – 1 StR 79/19, Rn. 5; vom 24. Januar 2019 – 1 StR 564/18, Rn. 7; vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 410/18, NStZ 2019, 294; jeweils mwN). Liegt dem Gutachten jedoch ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren zu Grunde, wie dies etwa bei daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung von Blutgruppen der Fall ist, so genügt die bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 410/18, NStZ 2019, 294; vom 15. September 2010 – 5 StR 345/10, NStZ 2011, 171 mwN).
5
Für molekulargenetische Vergleichsgutachten gilt nichts anderes. Nach der neueren Rechtsprechung muss in den in der forensischen Praxis gebräuch- lichen Verfahren lediglich das Gutachtenergebnis in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form mitgeteilt werden, sofern sich die Untersuchungen auf eindeutige Einzelspuren beziehen und keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen (BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, NJW 2018, 3192, 3193). Bei Mischspuren, d.h. solchen Spuren, die mehr als zwei Allele in einem DNA-System aufweisen und demnach von mehr als einer einzelnen Person stammen (vgl. Schneider/ Fimmers/Schneider/Brinkmann, NStZ 2007, 447), ist jedoch in den Urteilsgründen weiterhin mitzuteilen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer anderen Person zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, ob dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2019 – 1 StR 79/19, Rn. 6; vom 24. Januar 2019 – 1 StR 564/18, Rn. 8 f.; vom 6. Februar 2019 – 1 StR 499/18, NStZ 2019, 427, 428; jeweils mwN). Je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls können strengere Anforderungen gelten. Dabei wird sich regelmäßig die Angabe empfehlen, wie viele Spurenverursacher in Betracht kommen und um welchen Typ von Mischspur es sich handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2019 – 1 StR 79/19, Rn. 6; vom 27. Juni 2017 – 2 StR 572/16, Rn. 13; jeweils mwN; Schneider/Fimmers/Schneider/Brinkmann, NStZ 2007, 447).
6
Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Den Ausführungen der Strafkammer, dass sich in beiden Spuren jeweils eine fragmentarische Beimengung weiterer Zellen von minimaler Intensität andeute, ist zu entnehmen , dass es sich bei beiden Spuren um Mischspuren mit eindeutigem Hauptverursacher handelt. Die Zahl der möglichen Spurenverursacher sowie die dem Begriff „minimale Intensität“ zu Grunde liegenden Berechnungsgrundlagen er- geben sich aus dem Urteil allerdings nicht. Darüber hinaus fehlt es an der erforderlichen Darstellung der untersuchten Systeme und den sich ergebenden Übereinstimmungen. Dem Urteil sind auch die Ergebnisse der biostatistischen Berechnung nicht zu entnehmen.
7
c) Da das Landgericht dem Umstand, dass am Tatfahrzeug DNA-Spuren des Angeklagten aufgefunden wurden, bei der Gesamtschau aller Indizien besonderes Gewicht beigemessen hat, kann der Senat das Beruhen des Urteils auf diesem Darstellungsmangel nicht ausschließen.
8
2. Für die neue Hauptverhandlung merkt der Senat an:
9
Im Fall einer erneuten Verurteilung des Angeklagten wird der neue Tatrichter im Hinblick auf die Frage, ob der Angeklagte im Tatzeitpunkt unter laufender Bewährung stand, Feststellungen zur Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Osnabrück vom 21. Januar 2015 und zur Dauer der Bewährungszeit zu treffen haben. Auf den Zeitpunkt des Straferlasses nach § 56g StGB kommt es insoweit nicht an. Quentin Roggenbuck Cierniak Bender Bartel