Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2020 - 2 StR 582/18
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. Januar 2020 gemäß § 44 Satz 1, § 45 Abs. 1 und 2, § 46 Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in fünf Fällen, wegen versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betruges und wegen Anstiftung zur Untreue in drei Fällen zu vier Jahren und drei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Ferner hat es gegen den Angeklagten als Gesamtschuldner die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 242.245,33 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat lediglich den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Ergänzend zu dem von der Re- vision geltend gemachten Verstoß gegen den Grundsatz des „ne bis in idem“ bemerkt der Senat:
- 3
- Hat ein Angeklagter die ihm gemäß § 153a Abs. 2 StPO auferlegten Pflichten vollständig erfüllt, kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden (§ 153a Abs. 1 Satz 5 StPO). Dieses Verfahrenshindernis erfasst die gesamte prozessuale Tat (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2015 – 1 StR 154/15, juris Rn. 6; LR-StPO/Mavany, 27. Aufl., § 153a Rn. 112). Verfahrensgegenstand sind aber nur Taten einer bestimmten Person; daher bleibt die Tat im prozessualen Sinn stets auf die in der Anklageschrift als Angeschuldigte bezeichneten Personen bezogen (vgl. Senat, Urteil vom 29. Juni 2016 – 2 StR 89/16, NStZ-RR 2016, 316, 317 mwN). Soweit die hier abgeurteilten Taten bereits Gegenstand der Anklage vom 1. November 2011 waren, richtete sich der aus der Anklageschrift zu entnehmende Verfolgungswille in allen – für sich genommen selbständigen – Fällen nicht gegen den Angeklagten A. . Hinsichtlich der insofern nicht angeklagten Taten kann die Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO kein Verfahrenshindernis begründen (vgl. auch KK-StPO/Diemer, 8. Aufl., § 153a Rn. 44).
- 4
- 2. Die umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung führt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen nur zu einer Korrektur der Einziehungsentscheidung.
- 5
- a) Nach den Feststellungen des Landgerichts beantragte der Zeuge T. im Fall 8 der Urteilsgründe, einem gemeinsamen Tatplan mit dem Angeklagten, dem Mitangeklagten Tu. und weiteren Tatbeteiligten entsprechend , unter Vorlage einer gefälschten Gehaltsbescheinigung ein Verbraucherdarlehen in Höhe von 25.000 €, das ihm im Vertrauen auf die Richtigkeit seiner Angaben gewährt und ausgezahlt wurde. Vom erhaltenen Geld gabT. 20.000 € an den rechtskräftig verurteilten K. , der den Betrag in voller Höhe an den Angeklagten und den Mitangeklagten Tu. weiterleitete, die das Geld unter sich aufteilten. Die kreditgebende Bank zog insgesamt 10.187,48 € vom Konto des T. ein und erhielt von diesem infolge eines Vergleichs weitere 6.000 €, nach deren Zahlung ihm die Restschuld erlassen wurde.
- 6
- b) Hiervon ausgehend unterliegt im Fall 8 der Urteilsgründe nur ein Be- trag in Höhe von 8.812,52 € der Einziehung, imÜbrigen ist der Anspruch der geschädigten Bank durch die Zahlungen des Zeugen T. entsprechend § 73e Abs. 1 StPO erloschen. Dies bedingt die aus der Beschlussformel ersichtliche Korrektur der Einziehungsentscheidung, die der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst vornehmen kann.
- 7
- Durch § 73e StGB soll die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme des Tatbeteiligten oder Drittbegünstigten durch den Staat einerseits und den Verletzten andererseits vermieden werden (BT-Drucks. 18/9525, S. 54). Schon hieraus erhellt, dass der Anspruch eines Verletzten auch dann als ganz oder teilweise erloschen anzusehen ist, wenn einer der als Gesamtschuldner haftenden Tatbeteiligten den Verletzten ganz oder teilweise schadlos stellt (vgl. Senat, Beschluss vom 10. September 2019 – 2 StR 245/19). Der Forderungsübergang nach § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB macht den Tatbeteiligten nicht zum Verletzten oder zu dessen Rechtsnachfolger im einziehungsrechtlichen Sinn. Rechtsnachfolger im Sinne der §§ 73 ff. StGB, 459h ff. StPO kann nur sein, wer – wie der Erbe (§ 1922 BGB) oder der Versicherer (§ 86 VVG) – dem Tatopfer nicht selbst wegen der Tat zu Schadensersatz verpflichtet ist. Anderes wäre mit dem das Einziehungsrecht beherrschenden Konzept der Rückgewinnungshilfe zugunsten der Tatopfer nicht vereinbar.
Vorinstanz:
Rostock, LG, 07.05.2018 - 161 Js 33525/15 11 KLs 25/16
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht,
- 1.
zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen, - 2.
einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen, - 3.
sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen, - 4.
Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe nachzukommen, - 5.
sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich) und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut zu machen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben, - 6.
an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder - 7.
an einem Aufbauseminar nach § 2b Abs. 2 Satz 2 oder an einem Fahreignungsseminar nach § 4a des Straßenverkehrsgesetzes teilzunehmen.
(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten die in Absatz 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Auflagen und Weisungen erteilen. Absatz 1 Satz 3 bis 6 und 8 gilt entsprechend. Die Entscheidung nach Satz 1 ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar. Satz 4 gilt auch für eine Feststellung, daß gemäß Satz 1 erteilte Auflagen und Weisungen erfüllt worden sind.
(3) Während des Laufes der für die Erfüllung der Auflagen und Weisungen gesetzten Frist ruht die Verjährung.
(4) § 155b findet im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 6, auch in Verbindung mit Absatz 2, entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, dass personenbezogene Daten aus dem Strafverfahren, die nicht den Beschuldigten betreffen, an die mit der Durchführung des sozialen Trainingskurses befasste Stelle nur übermittelt werden dürfen, soweit die betroffenen Personen in die Übermittlung eingewilligt haben. Satz 1 gilt entsprechend, wenn nach sonstigen strafrechtlichen Vorschriften die Weisung erteilt wird, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Juni 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung, als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger des Angeklagten,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Der Schuldspruch wird dahin berichtigt, dass der Angeklagte M. des gewerbsmäßigen Schleusens von Ausländern in sechs Fällen und des unerlaubten Erwerbs und Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition schuldig ist.
Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
Die im Verfahren zu II. Ziffer 8 der Urteilsgründe sowie die übrigen im Revisionsverfahren entstandenen Kosten und die dem Angeklagten M. insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Schleusens von Ausländern in sieben Fällen und wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft , die auf die Verurteilung des Angeklagten M. im Fall II. Ziffer 8 der Urteilsgründe beschränkt ist. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
- 2
- 1. Die vom Landgericht unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift sah folgendes vor:
- 3
- a) Nach dem abstrakten Anklagesatz wurde dem Angeklagten M. und dem Nichtrevidenten Br. vorgeworfen, „in der Zeit vom 19.Dezember 2013 bis zum 9. Dezember 2014 in F. und andernorts der Angeklagte M. durch sieben selbständige Handlungen (Ziffer 1 bis 4, 6, 7 und 10), der Angeschuldigte Br. durch fünf selbständige Handlungen (Ziffer 5, 7 bis 9 und Ziffer 11), im siebten Fall gemeinschaftlich handelnd 1. bis 9. Ausländern, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzen, Hilfe geleistet zu haben, entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 des Aufenthaltsgesetzes in das Bundesgebiet oder in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder eines Schengenstaates einzureisen, wobei die Angeschuldigten dafür einen Vermögensvorteil erhielten oder sich versprechen ließen, sie wiederholt oder zugunsten der Ausländer handelten und es hinsichtlich des Angeschuldigten Br. im achten Fall bei einem Versuch blieb sowie
10.
der Angeschuldigte M. ohne Erlaubnis … eine halbautomatische Kurzwaffe zum verschießen von Patronenmunition … besessen zu haben …“- 4
- b) Zu Ziffer 8 wurde das Geschehen im konkreten Anklagesatz dahin geschildert , dass die Angeschuldigten den Entschluss gefasst hätten, in der Nacht vom 10. auf den 11. Januar 2014 fünf eritreische Staatsangehörige gegen Entgelt von Ma. nach F. zu schleusen. Der Angeschuldigte M. habe den Personentransport mit einem Mietfahrzeug von Ma. nach Ba. durchführen sollen, der Mitangeschuldigte Br. von Ba. nach F. . Br. habe sich deshalb gegen 21.26 Uhr auf den Weg nach Ba. gemacht. Zu einem Treffen mit M. sei es dort nicht gekommen, weil dieser bereits an der italienisch-schweizerischen Grenze kontrolliert und festgenommen worden sei. Deshalb sei der Mitangeklagte Br. ohne Passagiere nach F. zurückgekehrt.
- 5
- 2. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil entsprechende Tatsachenfeststellungen getroffen. Diese hat es auf die Geständnisse der Angeklagten und Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung gestützt. Bei der rechtlichen Wertung hat es auch einen Fall des Einschleusens von Aus- ländern durch den Angeklagten M. im Fall II. Ziffer 8 der Urteilsgründe angenommen und dafür eine Einzelfreiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt.
II.
- 6
- Die in zulässiger Weise erhobene Revision der Staatsanwaltschaft gegen die Verurteilung des Angeklagten M. im Fall II. Ziffer 8 der Urteilsgründe ist begründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und die Verhängung einer Einzelstrafe richtet. Insoweit liegt ein vom Senat von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Verfahrens zwingt (§ 260 Abs. 3 StPO). Der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe bleibt davon aber entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin unberührt.
- 7
- 1. Aus dem Anklagesatz ergibt sich eine Beschränkung des Verfolgungswillens der Staatsanwaltschaft, der die Tatbeteiligung des Angeklagten M. im Fall II. Ziffer 8 der Urteilsgründe vom Verhandlungsgegenstand ausschließt.
- 8
- a) Der Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung und Entscheidung reicht nur soweit wie der aus der Anklageschrift erkennbare Verfolgungswille der Anklagebehörde (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1997 – 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96, 99 f.). Enthält die Anklageschrift mehrere Taten, sind nur diejenigen angeklagt , auf die sich der aus der Anklageschrift zu entnehmende Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft bezieht (vgl. LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 264 Rn. 35). Eine weitere Tat darf nicht zum Gegenstand des Sachurteils gemacht werden, auch wenn sie in der Anklageschrift erwähnt ist, ohne dass sich jedoch der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft darauf bezieht.
- 9
- Verfahrensgegenstand sind nur Taten einer bestimmten Person. Daher bleibt die Tat im prozessualen Sinn stets auf die in der Anklageschrift als Angeschuldigter bezeichnete Person bezogen (vgl. Senat, Urteil vom 21. Dezember 1983 – 2 StR 578/83, BGHSt 32, 215, 217; Urteil vom 20. Dezember 1995 – 2 StR 113/95, NStZ 1996, 243, 244; BeckOK-StPO/Eschelbach, StPO, 24. Ed. 2015, § 264 Rn. 4; MünchKomm-StPO/Norouzi, StPO, 2016, § 264 Rn. 4; Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, 2012, § 264 Rn. 8). Taten eines Angeschuldigten , die nicht vom Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft umfasst sind, können daher vom Gericht nicht abgeurteilt werden, selbst wenn sie in Bezug auf einen Mitangeschuldigten zum Gegenstand der Anklage gemacht wurden.
- 10
- Ob ein konkreter Lebenssachverhalt in Bezug auf einen Angeschuldigten zum Verfahrensgegenstand gehören soll, ist durch Auslegung der Anklageschrift zu ermitteln. Diese ist aus sich heraus zu interpretieren (BGH, Urteil vom 17. August 2000 – 4 StR 245/00, BGHSt 46, 130, 134). Auf die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft nach ihrem Schlussvortrag keinen Antrag zu Fall II. Ziffer 8 hinsichtlich des Angeklagten M. gestellt hat, kommt es daher nicht an.
- 11
- Die Beschreibung eines strafrechtlich relevanten Geschehens im Anklagesatz ist zwar ein Indiz dafür, dass dieses Geschehen vom Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft umfasst sein könnte (BGH aaO, BGHSt 43, 96, 100). Die Auslegung kann aber im Einzelfall etwas anderes ergeben, insbesondere wenn mehrere Taten verschiedenen Angeschuldigten in unterschiedlichem Umfang vorgeworfen werden.
- 12
- b) Dem abstrakten Anklagesatz ist eindeutig zu entnehmen, welche Fälle den Mitangeschuldigten M. und Br. jeweils zur Last gelegt werden sollten. Dort ist nicht nur die Anzahl der rechtlich selbständigen Handlungen ge- nannt, die den Mitangeschuldigten vorgeworfen wurden, sondern es wurden auch durch individuelle Zuordnung der Fallziffern die den Mitangeschuldigten jeweils vorgeworfenen Einzeltaten gekennzeichnet. Ergänzend wurde hervorgehoben , dass im siebten Fall von einem gemeinschaftlichen Handeln der beiden Mitangeschuldigten ausgegangen werden sollte. In allen anderen Fällen wurde der Vorwurf demnach jeweils nur gegen den einen oder den anderen Mitangeschuldigten erhoben. Das gilt auch für den Fall II. Ziffer 8.
- 13
- Die Tatsache, dass der Lebenssachverhalt zum Vorwurf im Fall II. Ziffer 8 im konkreten Anklagesatz mitgeteilt wurde und dazu das Verhalten der beiden Mitangeschuldigten umschreibt, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Diese Beschreibung war der Tatsache geschuldet, dass die Staatsanwaltschaft zur Begründung der Erfüllung des Versuchstatbestands durch den Mitangeschuldigten Br. den Ablauf des Geschehens erläutern musste, an dem der Angeklagte M. bis zum Erreichen der italienisch-schweizerischen Grenze beteiligt war. Ein Rückschluss aus dieser Tatsachenschilderung darauf, dass deshalb – entgegen dem abstrakten Anklagesatz – auch das Verhalten des Angeschuldigten M. in diesem Fall Gegenstand des Anklagevorwurfs sein sollte, ist nicht angezeigt.
- 14
- Das Legalitätsprinzip zwingt nicht stets dazu, alle Sachverhalte zum Gegenstand einer Anklage gegen alle erkannten Tatbeteiligten zu machen. Welche Gründe die Staatsanwaltschaft hatte, von einer Anklageerhebung gegen den Angeklagten M. im Fall Ziffer 8 abzusehen, ist zwar der Anklageschrift nicht zu entnehmen. Dies ist aber angesichts des eindeutigen Wortlauts des abstrakten Anklagesatzes unerheblich. Auf die diesbezüglichen Erläuterungen der Staatsanwaltschaft in der Revisionsbegründung im Hinblick auf eine Strafverfolgung im Ausland kommt es für die Auslegung der Anklageschrift daher nicht an.
- 15
- c) Der als Fall II. Ziffer 8 der Urteilsgründe zum Gegenstand der Verurteilung gemachte Sachverhalt war nach allem nicht Teil des Anklagevorwurfs gegen den Mitangeschuldigten M. . Die Sachurteilsvoraussetzung einer wirksamen Anklagerhebung (§ 151 StPO) ist insoweit nicht erfüllt. Daraus ergibt sich ein Prozesshindernis, das den Senat zur Einstellung des Verfahrens zwingt, soweit der Angeklagte M. vom Landgericht im Fall II. Ziffer 8 seiner Urteilsgründe verurteilt wurde (§ 260 Abs. 3 StPO).
- 16
- Der Senat berichtigt den Schuldspruch entsprechend.
- 17
- 2. Eine Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe ist trotz Wegfalls der Einzelstrafe gegen den Angeklagten M. im Fall II. Ziffer 8 der Urteilsgründe nicht angezeigt.
- 18
- Das Landgericht hat gegen den Angeklagten M. vier Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und vier weitere Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zehn Monaten verhängt; daraus hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gebildet. Durch die Verfahrenseinstellung entfällt eine Einzelfreiheitsstrafe von zehn Monaten im Fall II. Ziffer 8 der Urteilsgründe. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei Absehen von dieser Verurteilung auf eine niedrigere als die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng
(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht,
- 1.
zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen, - 2.
einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen, - 3.
sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen, - 4.
Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe nachzukommen, - 5.
sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich) und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut zu machen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben, - 6.
an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder - 7.
an einem Aufbauseminar nach § 2b Abs. 2 Satz 2 oder an einem Fahreignungsseminar nach § 4a des Straßenverkehrsgesetzes teilzunehmen.
(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten die in Absatz 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Auflagen und Weisungen erteilen. Absatz 1 Satz 3 bis 6 und 8 gilt entsprechend. Die Entscheidung nach Satz 1 ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar. Satz 4 gilt auch für eine Feststellung, daß gemäß Satz 1 erteilte Auflagen und Weisungen erfüllt worden sind.
(3) Während des Laufes der für die Erfüllung der Auflagen und Weisungen gesetzten Frist ruht die Verjährung.
(4) § 155b findet im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 6, auch in Verbindung mit Absatz 2, entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, dass personenbezogene Daten aus dem Strafverfahren, die nicht den Beschuldigten betreffen, an die mit der Durchführung des sozialen Trainingskurses befasste Stelle nur übermittelt werden dürfen, soweit die betroffenen Personen in die Übermittlung eingewilligt haben. Satz 1 gilt entsprechend, wenn nach sonstigen strafrechtlichen Vorschriften die Weisung erteilt wird, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
(1) Die Einziehung nach den §§ 73 bis 73c ist ausgeschlossen, soweit der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen ist, erloschen ist. Dies gilt nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind.
(2) In den Fällen des § 73b, auch in Verbindung mit § 73c, ist die Einziehung darüber hinaus ausgeschlossen, soweit der Wert des Erlangten zur Zeit der Anordnung nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist, es sei denn, dem Betroffenen waren die Umstände, welche die Anordnung der Einziehung gegen den Täter oder Teilnehmer ansonsten zugelassen hätten, zum Zeitpunkt des Wegfalls der Bereicherung bekannt oder infolge von Leichtfertigkeit unbekannt.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 10. September 2019 gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO beschlossen:
a) das Verfahren im Fall II.2 der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte S. der besonders schweren räuberischen Erpressung und der Angeklagte H. der schweren räuberischen Erpressung schuldig sind; bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafen aufgehoben; der Angeklagte S. ist zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten, der Angeklagte H. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt ; cc) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen aufgehoben; die Anordnung entfällt. 2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
3. Die Beschwerdeführer haben die verbleibenden Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen „gemeinschaftlicher“ besonders schwerer räuberischer Erpressung (Fall II.1: Freiheitsstrafe sechs Jahre und drei Monate) und wegen versuchter „gemeinschaftlicher“ besonders schwerer räuberischer Erpressung (Fall II.2: Freiheitsstrafe drei Jahre) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Den Angeklagten H. hat es wegen „gemeinschaftlicher“ schwerer räuberischer Erpressung (Fall II.1: Freiheitsstrafe zwei Jahre und zehn Monate) und wegen versuchter „gemeinschaftlicher“ schwerer räuberischer Erpressung (Fall II.2: Freiheitsstrafe ein Jahr und sechs Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen beide Angeklagte hat das Landgericht „die Einziehung eines Betrages in Höhe von 430 Euro“ als Gesamtschuldner angeordnet.
- 2
- Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen.
- 3
- Die Rechtsmittel führen auf Antrag des Generalbundesanwalts zur teilweisen Einstellung des Verfahrens und zum Entfall der Einziehungsentscheidung ; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
- 4
- 1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Erwägungen eingestellt, soweit die Angeklagten im Fall II.2 der Urteilsgründe wegen eines versuchten Erpressungsdelikts verurteilt worden sind; denn das Landgericht hat es bei der Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs versäumt, den Rücktrittshorizont – die Vorstellung der Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung – zu erörtern.
- 5
- 2. Die durch die Teileinstellung bedingte Änderung der Schuldsprüche und der Wegfall der zugehörigen Einzelstrafen führen zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafen.
- 6
- 3. Die angeordnete, auf § 73c StGB gestützte Einziehungsentscheidung hat ebenfalls keinen Bestand. Sie war gemäß § 73e StGB ausgeschlossen, weil der Angeklagte H. die durch die Tat Verletzten finanziell entschädigt hat.
Grube Schmidt
(1) Die Gesamtschuldner sind im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Kann von einem Gesamtschuldner der auf ihn entfallende Beitrag nicht erlangt werden, so ist der Ausfall von den übrigen zur Ausgleichung verpflichteten Schuldnern zu tragen.
(2) Soweit ein Gesamtschuldner den Gläubiger befriedigt und von den übrigen Schuldnern Ausgleichung verlangen kann, geht die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner auf ihn über. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden.
(1) Steht dem Versicherungsnehmer ein Ersatzanspruch gegen einen Dritten zu, geht dieser Anspruch auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden.
(2) Der Versicherungsnehmer hat seinen Ersatzanspruch oder ein zur Sicherung dieses Anspruchs dienendes Recht unter Beachtung der geltenden Form- und Fristvorschriften zu wahren und bei dessen Durchsetzung durch den Versicherer soweit erforderlich mitzuwirken. Verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit vorsätzlich, ist der Versicherer zur Leistung insoweit nicht verpflichtet, als er infolgedessen keinen Ersatz von dem Dritten erlangen kann. Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer.
(3) Richtet sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen eine Person, mit der er bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt, kann der Übergang nach Absatz 1 nicht geltend gemacht werden, es sei denn, diese Person hat den Schaden vorsätzlich verursacht.