Verwaltungsgericht Schwerin Beschluss, 17. Sept. 2014 - 2 B 615/14

bei uns veröffentlicht am17.09.2014

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 21. Mai 2014 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 2500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag,

2

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 10. Juni 2014 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. Mai 2014 wiederherzustellen,

3

hat Erfolg.

4

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Für die von dem Gericht zu treffende Entscheidung ist eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und des privaten Interesses des Betroffenen, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Hauptsacherechtsbehelf davon verschont zu bleiben, vorzunehmen. Im Rahmen dessen kommt den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs besondere Bedeutung zu.

5

Allerdings kommt es auf die dargestellte Interessenabwägung nicht an, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formelle oder materielle Fehler aufweist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 80 Rn. 146, 148). So liegt der Fall hier. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. Mai 2014 genügt nicht dem formellen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO. In einem solchen Fall ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs durch das Verwaltungsgericht wiederherzustellen und nicht (lediglich) die Sofortvollzugsanordnung aufzuheben (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 148).

6

Die in dem Bescheid für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegebene Begründung erweist sich als (jedenfalls) formell fehlerhaft. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Einer solchen Begründung bedarf es nach § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO (nur) dann nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum, vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft. Eine Bezeichnung der Ordnungsverfügung als Notstandsmaßnahme hat die Antragsgegnerin nicht getroffen, so dass die Ausnahme zum Begründungserfordernis nicht greift.

7

Die Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO muss eine auf den konkreten Fall bezogene und nicht lediglich formelhafte schriftliche Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür geben, dass die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm bekämpften Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 85). Allerdings sind die Anforderungen an die Einzelfallbezogenheit der Begründung weniger hoch anzusetzen, wenn sich das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung aus Art und generellem Zweck der Maßnahme ergibt (vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 80 Rn. 97). Je mehr das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung nach der Art des Verwaltungsaktes nicht nur in individuell abgrenzbaren Einzelfällen, sondern vielmehr im typischen Anwendungsfall zu erwarten ist, um so mehr reicht es aus, in der Begründung der Vollziehungsanordnung auch nur die typischen Gesichtspunkte zu bezeichnen, die dafür maßgebend sind (vgl. VG A-Stadt, Beschl. v. 04.11.2009 – 10 E 2851/09, NVwZ-RR 2010, 370). Dann muss die Behörde aber auch gerade diese typischen Gründe mit ihrer Begründung treffen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

8

Die Antragsgegnerin hat die Nutzungsuntersagungsverfügung für das in Rede stehende mit einer Wohnung vermietete Wohnhaus erlassen im Blick auf festgestellten echten Hausschwamm, nachdem im ersten Obergeschoss im Bad „Teile der Deckenkonstruktion (Holzpaneele) und den darüberliegenden Lehmwickel“ abgestürzt sind. Bereits im Juni 2013 war im Heizungs- und Kellerraum Schwammbefall festgestellt worden.

9

Die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf Seite 3 des Bescheides vom 21. Mai 2014 verhält sich in keinster Weise zu der sich aus den festgestellten Tatsachen aus Sicht der Antragsgegnerin gegebenen Gefahr der Beeinträchtigung der Holztragkonstruktion und der Gefahr für die Standsicherheit des Gebäudes. Vielmehr stellt die Begründung, nach formelhafter Einleitung, darauf ab, dass es „gegenüber rechtstreuen Bürgern nicht gerechtfertigt“ sei, „wegen der infolge möglicher Rechtsbehelfe langen Verfahrensdauer demjenigen, der illegal bauliche Anlagen errichtet hat, für die Dauer der Rechtsbehelfsverfahren die Nutzungsmöglichkeiten verbleiben zu lassen“. Weiter heißt es: „Anderenfalls könnte der rechtswidrig Handelnde aus diesem Handeln über einen längeren Zeitraum Vorteile ziehen, die auf anderem Wege nicht verhindert oder „abgeschöpft“ werden könnten (…).“ Diese Begründung bleibt ohne jeden Bezug zum konkreten Fall. Sie stellt offenbar auf einen Fall der formell, vielleicht auch materiell illegal errichteten baulichen Anlage ab, nicht aber auf die von der Antragsgegnerin gesehene Einsturzgefahr eines legal errichteten und bisher legal genutzten Gebäudes. Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung von der Antragsgegnerin gegebene Begründung mag für den ihr an sich zugedachten Fall des illegal errichteten Gebäudes die typischen Gründe für die Rechtfertigung des Sofortvollzugs nennen und daher nicht zu beanstanden sein. Denselben Textbaustein im vorliegenden, anders gelagerten Fall heranzuziehen, stellt indes nichts anderes als eine bloß formelhafte und damit auf den konkreten Fall bezogen nichts-sagende und daher gänzlich unzureichende Begründung dar.

10

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

11

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG), wobei das Gericht den sich danach ergebenden Hauptsachestreitwert für das vorliegende Rechtsschutzverfahren halbiert hat.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Schwerin Beschluss, 17. Sept. 2014 - 2 B 615/14

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Schwerin Beschluss, 17. Sept. 2014 - 2 B 615/14

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht Schwerin Beschluss, 17. Sept. 2014 - 2 B 615/14 zitiert 4 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Referenzen

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.