Verwaltungsgericht Regensburg Urteil, 06. Nov. 2014 - RN 8 K 14.30658

06.11.2014

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz, hilfsweise die Zuerkennung von subsidiärem Schutz und die Feststellung von Abschiebungsverboten.

Der am …1994 geborene Kläger ist nach seinen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, pashtunischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens aus dem Dorf Bohen (Bezirk Khan Abad) in der Provinz Kundus (Nordostregion). Er reiste nach seinen Angaben am 19.8.2012 auf dem Landweg von Moskau kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 29.10.2012 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für ... (Bundesamt) am 17.6.2013 gab der Kläger im Wesentlichen an: Er habe bis zu seiner Ausreise bei seinem Onkel und dessen Familie gelebt. Seine Eltern seien verstorben, als er fünf oder sechs Monate alt gewesen sei. In Deutschland habe er eine Tante mütterlicherseits, die in Gießen lebe. Er sei bis vor fünf bzw. sechs Jahren zur Schule gegangen. Er habe insgesamt sieben Jahre die Schule besucht. Er spreche auch ein bisschen Russisch und Englisch. Er habe dann bei seinem Onkel mitgeholfen. Anfang 2012 sei er von Afghanistan nach Pakistan gegangen, wo er sich fünf Tage aufgehalten habe. In Pakistan habe er dann von dem Schlepper einen Reisepass mit einem Visum für Russland erhalten.. Er sei dann nach Moskau geflogen. In Moskau sei er einen Monat geblieben, dann sei er mit verschiedenen Fahrzeugen weitergefahren. Er sei auch zu Fuß unterwegs gewesen. Am 19.8.2012 sei er in Berlin angekommen. Von Moskau bis Berlin sei er insgesamt 25 Tage unterwegs gewesen. Die Reise habe insgesamt ca. 13.700 US-Dollar gekostet. Von seinem Vater habe er paar Hektar Land geerbt. Vor der Ausreise habe er alles verkauft. Auf Frage warum er aus Afghanistan ausgereist und in Deutschland einen Asylantrag gestellt habe: Als er fünf oder sechs Monate alt gewesen sei, seien seine Eltern und seine ältere Schwester getötet worden. Einige Leute hätten ihm gesagt, dass sie von Dieben umgebracht worden seien, andere, dass sie von einer Rakete getroffen worden seien. Er habe dann fünf Jahre bei seiner Großmutter väterlicherseits gelebt. Als diese gestorben sei, sei er dann zu seinem Onkel väterlicherseits gekommen. Der Onkel habe ihn nicht zur Schule gelassen; er habe sich um die Tiere auf den Weiden kümmern müssen. Auf Vorhalt seiner Angabe, dass er sieben Jahre zur Schule gegangen sei: Wenn er bei den Tieren auf den Weiden gewesen sei, sei er ohne Wissen seines Onkels in die Schule in einem Nachbardorf gegangen. Eines Tages habe der Onkel zufällig den Lehrer getroffen, der dem Onkel gesagt habe, dass er (der Kläger) in der Schule sehr gut sei. Das sei 2005 oder 2006 gewesen. Sein Onkel und seine Tante hätten ihm dann Ärger gemacht, er sei geschlagen worden. Er sei oft von Onkel und Tante geschlagen worden; besonders mit seiner Tante habe er Probleme gehabt; sie habe dem Onkel abends immer schlecht über ihn erzählt. Er sei nicht nach Kabul gegangen, weil die Situation in Afghanistan anders sei als in Deutschland und weil er dort niemanden habe. Wenn er dort eine Wohnung miete, würde das Geld nur für eine bestimmte Zeit reichen. Auf Frage, was passieren könne, wenn er jetzt nach Afghanistan zurückkehren würde: Sein Cousin sei im Alter von fünf Jahren so unglücklich gefallen, dass sein Arm ausgekugelt gewesen sei. Er habe ihn zum Arzt gebracht. Zu Hause habe seine Tante behauptet, dass er ihn auf den Esel gesetzt habe von dem der Cousin heruntergefallen sei. Sie habe ihm die Schuld gegeben. Er könne nicht mehr nach Afghanistan zurückkehren. Er habe vor der Ausreise alles verkauft und habe dort niemanden.

Mit Bescheid des Bundesamtes für ... vom 21.8.2014 (Az.: 5585063 - 423) wurde in Ziffer 1 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft versagt. In Ziffer 2 des Bescheids wurde die Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt. In Ziffer 3 des Bescheids wurde die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus versagt. In Ziffer 4 des Bescheids wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. In Ziffer 5 forderte das Bundesamt den Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens auf. Sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Afghanistan abgeschoben. Er könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Auf die Begründung des am 9.9.2014 zugestellten Bescheids wird Bezug genommen.

Gegen den Bescheid ließ der Kläger mit dem am 19.9.2014 beim Verwaltungsgericht Regensburg eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten Klage erheben, zu deren Begründung auf die Angaben des Klägers beim Bundesamt Bezug genommen wurde.

Es wird beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21.8.2014 in Ziffern 1, 3 - 5 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Für die Beklagte beantragt das Bundesamt unter Bezugnahme auf die Begründung des Bescheids vom 21.8.2014,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 6.10.2014 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 6.11.2014 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger erfüllt im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG) nicht die die Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG (vgl. unter 1.). Auch steht dem Kläger kein subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr.1, 2 oder 3 AsylVfG zu und es bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. unter 2. und 3.). Nicht zu beanstanden sind schließlich Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (vgl. unter 4.). Der Bescheid des Bundesamtes vom 21.8.2014 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskommission - GFK) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sind. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG insbesondere voraus, dass der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Verfolgung im Sinne der Vorschrift kann nach § 3 c AsylVfG vom Staat (Buchst. a), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Buchst. b), aber auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (Buchst. c). Letzteres gilt jedoch nur, sofern die staatlichen Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylVfG Schutz vor der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu bieten, unabhängig davon, ob in dem betreffenden Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylVfG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. § 3 e AsylVfG). Die Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften hat in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie – QRL) zu erfolgen. Wie sich aus Art. 4 Abs. 1, 2 und 5 QRL ergibt, kann dabei entsprechend der überkommenen Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 68/81 – juris Rn. 5 m.w.N.) von dem schutzsuchenden Ausländer erwartet werden, dass er sich nach Möglichkeit unter Vorlage entsprechender Urkunden bemüht, seine Identität und persönlichen Umstände sowie die geltend gemachte Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr nachzuweisen oder jedenfalls substantiiert glaubhaft zu machen.

Gesichtspunkte welche die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz wegen politischer Verfolgung des Klägers in Afghanistan begründen könnten, sind aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich:

Ein individuelles Verfolgungsschicksal hat der Kläger nicht substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich seine Verfolgungsfurcht ergibt, in schlüssiger Form und von sich aus bei seinen Anhörungen vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung darzulegen. Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass sein Onkel und seine Tante ihn immer wieder geschlagen hätten; er habe insbesondere mit seiner Tante Probleme gehabt, die seinem Onkel gegenüber immer schlecht über ihn geredet habe. Dieses Vorbringen kann selbst bei Wahrunterstellung (vgl. aber die Ausführungen unter 3.) nicht als relevante Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG, sondern allenfalls als innerfamiliärer Konflikt angesehen werden. Im Übrigen fehlt es dem geschilderten Geschehen auch der für eine Verfolgung erforderlichen Intensität.

2. Dem Kläger steht auch kein subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 AsylVfG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 2 AsylVfG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung), oder § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf Afghanistan, wohin ihm die Abschiebung angedroht wurde, zu.

Insoweit bedarf vorliegend lediglich die Schutzregelung nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylVfG der Erörterung. Danach steht einem Ausländer subsidiärer Schutz zu, wenn er in seinem Herkunftsland als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre. Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss dabei nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückzuführen sein. Der betreffende subsidiäre Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07).

Davon ist nach den vorliegenden Erkenntnissen jedoch nicht auszugehen. Zwar besteht nach wie vor in Afghanistan landesweit ein bewaffneter Konflikt zwischen den von den internationalen Kräften unterstützten Regierungseinheiten und den pauschal als Taliban bezeichneten Oppositionskräften. Auch hat die Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2013 gegenüber dem Vorjahr wieder deutlich zugenommen, so dass die hohen Opferzahlen des Jahres 2011 wieder erreicht werden (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report 2013, S. 1). Auch in der ersten Jahreshälfte 2014 ist die Zahl der Opfer gegenüber der ersten Jahreshälfte 2013 noch deutlich angestiegen (vgl. UNAMA, Afghanistan Midyear Report 2014, S. 1) Daraus allein kann jedoch weder für das ganze Land noch für einzelne Gebiete auf eine Extremgefahr im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. Art. 15 Buchst. c QRL geschlossen werden. Eine solche lässt sich auch für die Herkunftsregion des Klägers, die Provinz Kundus (Nordostregion), nicht feststellen. Dass nicht gleichsam jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist, folgt im Übrigen bereits daraus, dass die Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2013 für ganz Afghanistan (knapp 30 Millionen Einwohner) von UNAMA mit 2.959 Toten und 5.656 Verletzten angegeben wird (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report 2013, S. 1) und für das erste Halbjahr 2014 mit 1.564 Toten und 3.289 Verletzten (vgl. UNAMA, Afghanistan Midyear Report 2014, S. 1). Die abstrakte Gefahr, angesichts der fragilen Sicherheitslage in Afghanistan Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, reicht für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht aus.

3. Auch die Voraussetzungen für die außerdem hilfsweise begehrte Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG (menschenrechtswidrige Behandlung) bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht erfüllt.

Nach Sachlage ist auch hier wiederum nur auf die letztgenannte Anspruchsnorm einzugehen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Dass für ihn in Afghanistan eine individuelle erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestehen würde, hat der Kläger aber nicht hinreichend geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich individuelle Gefahren ergeben, in schlüssiger Form und von sich aus bei seinen Anhörungen vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung darzulegen. Der Kläger hat, wie bereits ausgeführt, im Wesentlichen nur vorgetragen, dass sein Onkel und seine Tante ihn immer wieder geschlagen hätten; er habe insbesondere mit seiner Tante Probleme gehabt, die seinem Onkel gegenüber immer schlecht über ihn geredet habe. Diesem Vorbringen sind schon keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass dem inzwischen erwachsenen Kläger von Seiten seines Onkels und seiner Tante eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben drohen würde. Im Übrigen sind die vom Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gemachten Angaben zu der geltend gemachten Bedrohungssituation aber auch sehr knapp, vage und unpräzise geblieben und ist sein Vorbringen auch nicht frei von Widersprüchen. So wurden die Misshandlungen durch den Onkel und durch die Tante nur ganz pauschal und ohne jede Konkretisierung nach Zeit, Ort und näheren Umständen vorgetragen, denn der Kläger hat lediglich ausgeführt, durch Onkel und Tante oft geschlagen geworden zu sein. Dies gilt gerade auch für das zeitliche Moment. Es ist kaum vorstellbar, dass der Kläger auch noch im Alter von 17, 18 Jahren entsprechende Schläge seines Onkels und (erst recht) seiner Tante einfach akzeptiert hat. Der Kläger hat auch nicht die Möglichkeit genutzt, im Klageverfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, das entsprechende Vorbringen noch zu präzisieren. Widersprüchlich und wenig überzeugend sind die Angaben des Klägers zu seinem Schulbesuch. So hat er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt zunächst vorgetragen, sieben Jahre die Schule besucht zu haben, an anderer Stelle dann aber erklärt, dass sein Onkel ihn nicht zur Schule habe gehen lassen und er sich um die Tiere auf den Weiden habe kümmern müssen. Dem entsprechenden Vorhalt ist er nicht überzeugend mit dem Hinweis begegnet, dass er die Schule heimlich besucht habe; erst 2005 oder 2006 sei sein Onkel dahinter gekommen. Es ist aber kaum vorstellbar und widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass es dem Kläger bis zum Alter von etwa 12 Jahren, also jedenfalls über mehrere Jahre hinweg gelang, dem Onkel vorzuspiegeln, dass er sich um die Tiere auf den Weiden kümmere, während er tatsächlich regelmäßig die Schule besuchte. Schließlich sind auch die näheren Angaben des Klägers zu seiner Ausreise aus Afghanistan und seiner Reise nach Deutschland nicht frei von Widersprüchen. Denn einerseits hat er ausweislich des Bundesamtsprotokolls erklärt, dass er Anfang 2012 Afghanistan verlassen habe, sich dann 5 Tage in Pakistan und einen Monat in Moskau aufgehalten habe und dann etwa 25 Tage von Moskau bis Berlin unterwegs gewesen sei. Insgesamt wären damit etwa zwei Monate zwischen seiner Ausreise aus Afghanistan und der Einreise nach Deutschland vergangen gewesen. Andererseits hat er aber ausweislich des Bundesamtsprotokolls angegeben, erst am 19.8.2012 in Berlin angekommen zu sein, also etwa sieben Monate nach der geltend gemachten Ausreise Anfang 2012. Im Ergebnis erscheint dem Gericht das Vorbringen des Klägers daher auch insgesamt als nicht glaubhaft.

Davon abgesehen ist auch nicht ersichtlich, warum der Kläger im Hinblick auf die geltend gemachten Konflikt mit Onkel und Tante nicht in andere Gebiete Afghanistans (z.B. nach Herat oder Kabul) ausweichen konnte, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Dafür, dass der Kläger aufgrund des geltend gemachten familiären Konflikts landesweit konkrete Verfolgungsmaßnahmen befürchten müsste, gibt es keinerlei konkreten Anhaltspunkte.

Die Not- und Gefahrenlage in Afghanistan, der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, ist nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG grundsätzlich bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, d.h. im Wege einer generellen politischen Leitentscheidung der obersten Landesbehörden und nicht durch Einzelfallentscheidungen des Bundesamts. Fehlt es – wie hier – an einem solchen Abschiebestopp-Erlass oder einem sonstigen vergleichbar wirksamen Abschiebungshindernis, ist die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bei verfassungskonformer Auslegung ausnahmsweise dann unbeachtlich, wenn dem Ausländer auf Grund der allgemeinen Verhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit extreme Gefahren drohen. Diese Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung mit der Formulierung umschrieben, eine Abschiebung müsse ungeachtet der Erlasslage dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 14.11.2007 – 10 B 47/07 – juris m.w.N.). Eine extreme Gefahrenlage in diesem Sinn ist indes auch dann anzunehmen, wenn dem Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage in seiner Heimat landesweit der alsbaldige sichere Hungertod drohen würde.

Von einer derartigen extremen Gefahrenlage ist hier jedoch nicht auszugehen. Trotz der sich aus den verwerteten, den Beteiligten mitgeteilten Erkenntnisquellen ergebenden desolaten Sicherheits- und Versorgungslage kann gleichwohl nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jeder Rückkehrer in Afghanistan alsbald in existenzielle Gefahr gerät. Zwar weist der UNHCR darauf hin, dass die traditionell erweiterten Familien- und Gemeinschaftsstrukturen der afghanischen Gesellschaft – insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen die Infrastruktur nicht so entwickelt ist – weiterhin den vorwiegenden Schutzmechanismus bieten und insbesondere rückkehrende Familien ohne männlichen Familienvorstand auf diese familiären Strukturen und Verbindungen zum Zweck der Sicherheit, des Zugangs zur Unterkunft und eines angemessenen Niveaus des Lebensunterhalts angewiesen seien (Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender - Zusammenfassende Übersetzung - vom 24.3.2011, S. 14). Alleinstehende Männer und Kernfamilien können unter gewissen Umständen auch nach Einschätzung des UNHCR (a.a.O., S. 15) aber auch ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft insbesondere in städtischen Gebieten mit entwickelter Infrastruktur und unter effektiver Kontrolle der Regierung ihr Auskommen finden.

Der Kläger ist ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann. Er hat nach seinen Angaben sieben Jahre die Schule besucht und auch ein wenig Russisch und Englisch gelernt und verfügt damit über eine für afghanische Verhältnisse bereits überdurchschnittliche Ausbildung. Auch unter Berücksichtigung der familiären Verbindungen und Unterstützungsmöglichkeiten, über die der Kläger jedenfalls mit einer Tante in Deutschland verfügt, ist daher ohne weiteres davon auszugehen, dass es ihm möglich sein wird, sein Leben in Afghanistan zu bestreiten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es aus dem europäischen Ausland zurückkehrenden, alleinstehenden männlichen arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen auch ohne nennenswertes Vermögen, ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne familiären Rückhalt möglich ist, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich (wieder) in die afghanische Gesellschaft zu integrieren. (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 4.6.2013 – 13a B 12.30063 m.w.N).

4. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung beruhen als gesetzliche Folge der Nichtanerkennung als Asylberechtigter, der Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des fehlenden Aufenthaltstitels auf §§ 34 Abs. 1, 38 AsylVfG.

Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83 b AsylVfG; deshalb ist auch die Festsetzung eines Streitwerts nicht veranlasst. Die Entscheidung im Kostenpunkt war gemäß § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.