Verwaltungsgericht München Beschluss, 01. Juni 2015 - M 12 S 15.50465
Tenor
I.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
II.
„Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und Organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zweckes eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, einige Mängel aufweisen mag, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen, wie es im Fall M.S.S. gegen Belgien und Griechenland der Fall war. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars weisen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigen übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten sind. (...) Vor diesem Hintergrund kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Beschwerdeführerin nicht aufgezeigt hat, dass ihr im Fall einer Rückkehr nach Italien aus wirtschaftlicher, gesundheitlicher und psychologischer Sicht ein tatsächliches und dringliches Härtefallrisiko droht, das schwer genug wiegen würde, um von Art. 3 EMRK erfasst zu werden.“
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BVERFG 2 BvR 2333/08
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache unter dem Aktenzeichen 5 K 1233/13.TR bei dem beschließenden Gericht anhängigen Klage des Antragstellers wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
- 1
Der am 6. September 2013 gestellte Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. August 2013 anzuordnen, ist gemäß § 80 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO – in Verbindung mit §§ 34a Abs. 2, 75 Satz 1 Asylverfahrensgesetz – AsylVfG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), geändert durch den insoweit gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG seit dem 6. September 2013 anwendbaren Artikel 1 des Gesetzes vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474), zulässig.
- 2
Mit dem vorgenannten Bescheid hat die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers unter Bezugnahme auf § 27a AsylVfG und Art. 16 Abs. 1e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin-II-VO - für unzulässig erklärt und auf der Grundlage des § 34a AsylVfG die Abschiebung des Antragstellers nach Italien angeordnet. Gegen beide Entscheidungen ist in der Hauptsache eine Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO statthaft, da die Antragsgegnerin mit ihrem Bescheid das Asylverfahren des Antragstellers ohne Sachprüfung abgeschlossen hat (vgl. insoweit BVerwG, Urteile vom 7. März 1995 - 9 C 264/94 - und vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 -, juris; Bayerischer VGH, Urteil vom 14. Januar 2013 - 20 B 12.30348 -, juris; Urteil der erkennenden Kammer vom 30. Mai 2012 - 5 K 967/11.TR -, ESOVGRP), so dass § 80 VwGO anwendbar ist.
- 3
Des Weiteren wurde der Antrag ungeachtet der Frage, welche Frist für eine Antragstellung bei bereits vor Inkrafttreten der Änderung des § 34a AsylVfG bekannt gegebenen Bescheiden gilt, jedenfalls fristgerecht gestellt.
- 4
Der Antrag ist auch in der Sache begründet.
- 5
Bei der Entscheidung darüber, ob die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist, ist das öffentliche Interesse an einer alsbaldigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse des Betroffenen an einer Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzuwägen. Insoweit finden die in den Fällen der vorliegenden Art in der Vergangenheit geltenden Einschränkungen, die darauf gründeten, dass aufgrund der bislang geltenden gesetzlichen Bestimmungen eine angeordnete Abschiebung in einen anderen EU-Mitgliedstaat kraft Gesetzes nicht nach §§ 80, 123 VwGO ausgesetzt werden durfte, keine Anwendung mehr, so dass die allgemeinen Grundsätze gelten, zumal der Gesetzgeber insoweit die für offensichtlich unbegründete Asylanträge geltende Bestimmung des § 36 Abs. 4 AsylVfG, der zufolge eine Aussetzung der Abschiebung nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes angeordnet werden darf, nicht für entsprechend anwendbar erklärt hat und die Gesetzesmaterialen keine Anhaltspunkte für eine abweichende Gesetzauslegung bieten.
- 6
Die Bundestags-Drucksache 17/13556, die der Änderung des § 34a AsylVfG zugrunde liegt, enthält keine Angaben zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden kann. In der Bundestagssitzung vom 7. Juni 2013 (vgl. Plenarprotokoll 17/244 S. 30891 ff, insbesondere S. 30895) wurde alsdann vor der Beschlussfassung in 2. und 3. Lesung ausdrücklich auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes eingegangen und darauf hingewiesen, dass nur noch entscheidend sei, ob dem Aussetzungsinteresse des Schutzsuchenden Vorrang vor dem Vollzugsinteresse der Behörde einzuräumen sei.
- 7
Die Materialien über die Beteiligung des Bundesrats am Gesetzgebungsverfahren ergeben ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 4 AsylVfG.
- 8
In der Bundesratsdrucksache 495/1/13 vom 21. Juni 2013 ist festgehalten, dass der Bundesratsausschuss für Innere Angelegenheiten dem Bundesrat gegenüber unter 3. eine Empfehlung folgenden Inhalts abgegeben hat:
- 9
„Der Bundesrat stellt aber fest, dass die Änderungen in § 34a AsylVfG ergänzungsbedürftig sind, weil sie das verwaltungsgerichtliche Verfahren bei Anträgen nach § 80 Absatz 5 VwGO ungeregelt lassen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, bei dem nächsten Gesetzentwurf zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes vorzusehen, dass im beschleunigten Verfahren bei Unbeachtlichkeit und offensichtlicher Unbegründetheit von Asylanträgen (§ 36 AsylVfG) entsprechende Bestimmungen ergänzt werden. Die Aussetzung der Überstellung darf nur angeordnet werden, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber erkennbar sind, sodass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH vom 21. Dezember 2011, Rs. C-411/10 und C-493/10).“
- 10
In der Sitzung des Bundesrates vom 5. Juli 2013 (vgl. Stenografischer Bericht, Plenarprotokoll 912, S. 401, 429 - Anlage 19) gab alsdann die rheinland-pfälzische Staatsministerin Margit Conrad eine Erklärung dahingehend zu Protokoll, dass die vorstehend zitierte Entschließung aus dem Innenausschuss nicht mitgetragen werden könne, weil sie den gerade wieder eingeführten einstweiligen Rechtsschutz wieder relativieren würde.
- 11
Bei der anschließenden Beschussfassung des Bundesrates schloss sich alsdann nur eine Minderheit des Bundesrates der dargestellten Beschlussempfehlung an (vgl. Plenarprotokoll 912, S. 401 zu Punkt 14, Ziffer 3).
- 12
Demnach kommt eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 4 AsylVfG nicht in Betracht, so dass die bei der Anwendung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO für kraft Gesetzes sofort vollziehbare Verwaltungsakte allgemein geltenden Grundsätze Anwendung finden müssen. Danach haben die Gerichte die Erfolgsaussichten der in der in der Hauptsache erhobenen Klage zu prüfen. Zu einer weitergehenden Einzelfallbetrachtung sind sie grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2003 - 1 BvR 2025/03 -, juris).
- 13
Ausgehend hiervon erscheint es der Kammer interessengerecht, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, weil sie die Erfolgsaussichten der Klage unter Berücksichtigung der Gründe des den Beteiligten bekannten Beschlusses des OVG Rheinland-Pfalz vom 19. Juni 2013 - 10 B 10627/13.OVG –, auf die die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen in entsprechender Anwendung des § 77 Abs. 2 AsylVfG verweist, als zumindest offen einstuft, da der dortige Sachverhalt – insbesondere im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachten gesundheitlichen Probleme - mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar erscheint, und in dem von dem Antragsteller vorgelegten fachärztlichen Attest, auf das die Antragsgegnerin in ihrer ausführlichen Antragserwiderung nicht eingegangen ist, nachvollziehbar dargelegt ist, warum bei dem Antragsteller aufgrund besonderer Umstände seines Einzelfalles in Italien eine Verschlimmerung seiner gesundheitlichen Lage zu befürchten sei, so dass die vorzunehmende Interessenabwägung zu seinen Gunsten auszufallen hat.
- 14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben.
- 15
Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
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Der Gegenstandswert der Tätigkeit des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers wird auf 60.000 € (in Worten: sechzigtausend Euro) festgesetzt.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
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Tenor
Der Antrag und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. aus N. werden abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 26. Februar 2015 bei Gericht sinngemäß anhängig gemachte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 1535/15.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2015 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Absatz 4 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
5I. Der hier gestellte Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist statthaft, da der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 VwGO in Verbindung mit § 75 Absatz 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
6Der Antrag ist auch innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Bescheides und damit fristgerecht erhoben worden (§ 74 Absatz 1 AsylVfG).
7II. Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
8Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil der angefochtene Bescheid des Bundesamtes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
9Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil Italien für dessen Prüfung zuständig ist. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
10Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß ihrem Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden, also auch auf den Asylantrag des Antragstellers vom 8. Oktober 2014.
11Nach den Vorschriften der Dublin III-VO ist Italien der zuständige Staat für die Prüfung dieses Asylantrags.
12Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien aus der EURODAC-Datei festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat gemäß Artikel 13 Absatz 1 Satz 1 Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Der Antragsteller hat sich nach seinen eigenen Angaben in der Befragung durch das Bundesamt am 8. Oktober 2014 vor seiner Einreise nach Deutschland in Italien aufgehalten. Dies wird bestätigt durch das Ergebnis der Abfrage der Eurodac-Datenbank durch das Bundesamt am 21. Oktober 2014. Die Antragsgegnerin hat am 9. Dezember 2014, und damit innerhalb der von Artikel 23 Absatz 2 Dublin III-VO vorgesehenen Frist von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung, Italien um Wiederaufnahme des Antragstellers ersucht. Nachdem Italien nicht innerhalb der nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von zwei Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmegesuchs geantwortet hat, ist nach Artikel 25 Absatz 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmeersuchen stattgegeben wird. Italien ist daher grundsätzlich verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Aufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, aufzunehmen (Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO). Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
13Lediglich vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass sich der Antragsteller auf einen etwaigen Verstoß gegen diese Fristenregelung auch nicht berufen könnte, da die Vorschrift ihm kein subjektives Recht einräumt.
14Vgl. hierzu ausführlich Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014– 13 K 8286/13.A –, juris.
15Dem Antragsteller bleibt es unbenommen, sich freiwillig bei den zuständigen Behörden in Italien zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. Dies betreffend regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, die ausweislich der der Dublin III-VO vorangestellten Erwägungen (Nr. 24) entsprechend anwendbar ist, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
16Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
17Hat es der Asylbewerber folglich selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgt und dass sie überhaupt erfolgt, kann er mithin selbst zu der von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet schon der allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB abgeleitete – Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“), sich auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland zu berufen.
18Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der Zuständigkeit Italiens eine Verpflichtung der Antragsgegnerin begründen könnten, von dem Selbsteintrittsrecht nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Antragsteller nach Italien abzuschieben.
19Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die jeweiligen Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen – wie die der bisherigen Dublin II VO – zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin.
20Vgl. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteile vom 10. Dezember 2013 – C 394/12 –, juris, Rn. 60, 62 und 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7.
21Die Antragsgegnerin ist aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO zugunsten des Antragstellers – nach Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO gehindert, diesen nach Italien zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich brächten. Die Voraussetzungen, unter denen dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs,
22EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413,
23der Fall wäre, liegen hier nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben syste-misch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können.
24Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
25Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
26EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
27Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 ff. m.w.N.
29Nach diesen Maßstäben fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Italien mit systemischen Mängeln behaftet wären, die eine beachtliche Gefahr einer dem Antragsteller drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta, Artikel 3 EMRK im Falle seiner Überstellung nach Italien nach sich ziehen könnten.
30So auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 21. April 2015– 22 L 1020/15.A –, S. 5 ff. des Beschussabdrucks.
31Soweit der EGMR in seinem Urteil vom 4. November 2014 die Rückführung einer Familie mit Kindern nach Italien davon abhängig gemacht hat, dass der abschiebende Staat zunächst die individuelle Garantie seitens der italienischen Behörden erhalten hat, dass die Familie in einer Art und Weise in Obhut genommen wird, die dem Alter der Kinder angepasst ist, und dass die Familie zusammengehalten wird,
32vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, – 29217/12 – (Tarakhel . /. Schweiz), juris,
33kann der Antragsteller als alleinstehender junger Mann daraus für sich nichts herleiten. Der EGMR stützt seine Entscheidung auf die besondere Situation einer Familie mit sechs minderjährigen Kindern, insbesondere auf die spezifische Schutzbedürftigkeit von Kindern und das Gebot der Wahrung der Familieneinheit. Die allgemeinen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien stehen nach Auffassung des EGMR – anders als diejenigen in Griechenland – für sich genommen einer Rückführung von Asylbewerbern dorthin gerade nicht entgegen,
34vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, – 29217/12 – (Tarakhel . /. Schweiz), Rn. 114 f., juris und Entscheidung vom 13. Januar 2015, – 51428/10 – (A.M.E. ./. Niederlande), Rn. 35, juris (in englischer Sprache).
35Im Falle eines jungen männlichen Asylbewerbers sieht der EGMR gerade keine Grundlage für die Vermutung, ihm drohe im Falle der Rückführung nach Italien eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Artikel 3 EMRK.
36EGMR, Entscheidung vom 13. Januar 2015, – 51428/10 – (A.M.E. ./. Niederlande), juris (in englischer Sprache).
37Auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) hat in seinem Urteil vom 24. April 2015 (14 A 2356/12.A) unter Bezugnahme auf die vorstehend genannte Entscheidung des EGMR und eine seinerseits eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 2015 entschieden, dass nicht festgestellt werden kann, dass in Italien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen, die die Annahme erlaubten, dass der Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Zur Begründung führt es unter anderem folgendes aus:
38„Nach der im hiesigen Verfahren eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6.1.2015 (dort irrtümlich 6.1.2014) hat sich an der Erkenntnislage, die der Entscheidung des beschließenden Gerichts vom 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - zu Grunde lag, nichts geändert. Auch sonst liegen dem Senat keine Erkenntnisse über relevante Veränderungen vor. Insbesondere stellt die gegenwärtig besonders hohe Zahl von Einwanderern nach Italien keinen Umstand dar, der eine veränderte Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung dieses Problems ergriffen würden. Davon kann nicht ausgegangen werden.“
39OVG NRW, Urteil vom 24. April 2015 – 14 A 2356/12.A –, juris, Rn. 35.
40Das erkennende Gericht schließt sich diesen obergerichtlichen Ausführungen an.
41Schließlich bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG keine Bedenken. Es sind weder zielstaatsbezogene noch in der Person des Antragstellers, also inlandsbezogene, Abschiebungshindernisse ersichtlich.
42Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den geschilderten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 166 VwGO, 114 Absatz 1 Satz 1 ZPO).
43Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
44Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
45Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e
2Der Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 7a K 1847/15.A gegen die Abschiebungsanordnung nach Italien im Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Januar 2015 anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Der Antrag ist bereits unzulässig.
6Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht innerhalb der in § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylverfahrensgesetz – AsylVfG – vorgesehenen Frist von einer Woche nach Bekanntgabe erhoben worden.
7Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Januar 2015 mit der Abschiebungsanordnung gilt aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 10 Abs. 2 Satz 1, 4 AsylVfG spätestens am 28. Januar 2015 als zugestellt. Die Vorschrift sieht vor, dass die Zustellung unter der zuletzt von dem Ausländer mitgeteilten Anschrift mit der Aufgabe zur Post als bewirkt gilt, wenn die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden kann, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Der Antragsteller teilte der Antragsgegnerin am 24. Juli 2014 seine Anschrift T.--------straße 119 in C. mit. Eine weitere Anschrift teilte der Antragsteller, soweit aus dem Verwaltungsvorgang ersichtlich, nicht mit. Ausweislich der Zustellungsurkunde wurde am 28. Januar 2015 unter der mitgeteilten Anschrift ein erfolgloser Zustellungsversuch unternommen. Die Zustellungsurkunde ist mit dem Vermerk „Empfänger unbekannt verzogen“ versehen. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt gleichwohl noch unter dieser Anschrift wohnte und eine Zustellung möglich gewesen wäre,
8vgl. dazu VG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Februar 2015 ‑ 13 L 3079/14.A ‑, juris,
9sind nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Antragsteller vorgetragen, dass er den Bescheid der Antragsgegnerin aufgrund seines Wohnungswechsels erst später erhalten habe. Der Antragsfrist begann danach jedenfalls am 29. Januar 2015 zu laufen. Der Eilantrag wurde am 20. April 2015 und damit nach Ablauf der Wochenfrist erhoben.
10Dem Antragsteller ist auch keine Wiedereinsetzung in die Antragsfrist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren. Dieser hat innerhalb der Zweiwochen-Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1, 2 VwGO keine Tatsachen glaubhaft gemacht, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen. Der Antragsteller hat lediglich vorgetragen, dass er den Bescheid wegen seines Wohnungswechsels erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten habe. Insoweit ist die Versäumung der Antragsfrist nicht unverschuldet, da der Asylbewerber gemäß § 10 Abs. 1 AsylVfG verpflichtet ist, einen Wechsel der Anschrift unverzüglich anzuzeigen.
11Der Antrag ist darüber hinaus auch unbegründet.
12Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Nach dem Stand des Eilverfahrens ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller durch die Abschiebungsanordnung in seinen Rechten verletzt wird.
13Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt, wenn die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) erfolgen soll, die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Gegenüber dem Antragsteller ist die Abschiebung nach Italien, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union und insofern in einen kraft verfassungsrechtlicher Bestimmung sicheren Drittstaat (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG; § 26a Abs. 2 AsylVfG), angeordnet worden. Darüber hinaus ergibt sich die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens aus § 27a AsylVfG i. V. m. Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) bzw. Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO). Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das ist hier grundsätzlich der Fall, weil der Antragsteller sich vor seiner Einreise ins Bundesgebiet mehr als sieben Jahre in Italien aufgehalten hat (Art. 10 Abs. 1, 2 Dublin-II-VO; vgl. Art. 13 Abs. 1, 2 Dublin-III-VO).
14Ob die Zuständigkeit Italiens wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist inzwischen auf die Antragsgegnerin übergegangen ist (Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO, Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO) bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Der Antragsteller kann sich jedenfalls nicht auf einen Ablauf der Überstellungsfrist berufen. Der Verstoß gegen die Überstellungfrist als solcher verletzt keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers, sofern damit keine weitere Grundrechtsverletzung einhergeht. Die Überstellungsfrist dient nicht dem Schutz des Antragstellers, sondern wie die sonstigen Fristbestimmungen allein den objektiven Zwecken einer sachgerechten Verteilung der mit Durchführung der Asylverfahren verbundenen Lasten in Abstimmung mit dem um (Wieder-)Aufnahme ersuchten Mitgliedsstaat. Ein aus den Grundrechten folgendes subjektives Recht des Asylbewerbers kann vielmehr allein dann bestehen, wenn sich das Asylverfahren ohne besonderen Grund unangemessen lange verzögert. In diesem Fall kann der Mitgliedstaat zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts verpflichtet sein.
15VG Gelsenkirchen, Urteil vom 13. Januar 2015 – 6a K 2712/14.A –, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 12. September 2014 – 13 K 8286/13.A –, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –.; VG Stuttgart, Urteil vom 28. Februar 2014 – A 12 K 383/14 –, juris.
16Eine Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO, vgl. Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO) nicht.
17Die Antragsgegnerin ist zum einen nicht aufgrund einer überlangen Dauer des Asylverfahrens zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts verpflichtet. Eine unangemessene Verzögerung ist nach dem Stand des Eilverfahrens nicht gegeben. Dabei kann offen bleiben, ab wann oder unter welchen Umständen eine solche unangemessene Verzögerung des Asylverfahrens vorliegt und ob diese frühestens ab einer Dauer des Asylverfahrens von mehr als neun oder zwölf Monaten seit der Antragstellung angenommen werden kann.
18Vgl. dazu VG Gelsenkirchen, Urteil vom 13. Januar 2015 ‑ 6a K 2712/14.A ‑, juris.
19Jedenfalls im vorliegenden Fall ist eine unangemessene Verzögerung des Asylverfahrens nicht anzunehmen. Denn zum einen war die sechsmonatige Überstellungsfrist (Fristende 24. März 2015) bei der Erhebung des gerichtlichen Eilantrags am 20. April 2015 erst weniger als einen Monat abgelaufen. Zum anderen ist der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nach § 10 Abs. 1 AsylVfG nicht nachgekommen (Mitteilung der aktuellen Anschrift) und hat damit mit zu der Verzögerung des Asylverfahrens bzw. der hieran anschließenden gerichtlichen Eilverfahrens beigetragen.
20Die Antragsgegnerin ist zum anderen auch nicht wegen der geltend gemachten systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Italien zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts verpflichtet. Nach der Rechtsprechung der Kammer, der sich das Gericht für das vorliegende Verfahren anschließt, sind bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung systemische Schwachstellen derzeit jedenfalls nicht im Hinblick auf Asylsuchende anzunehmen, die nicht zum Kreis der verletzlichen bzw. besonders schutzbedürftigen Personen gehören.
21VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 26. März 2015 ‑ 7a L 498/15.A.; Beschluss vom 13. März 2015, 7a L 462/15.A ‑ juris; Beschluss vom 6. März 2015 ‑ 7a L 327/15.A ‑.
22In den genannten Entscheidungen wird hierzu ausgeführt:
23„Die Kammer hält an ihrer bisherigen Rechtsprechung
24vgl. u. a. Urteil vom 18. Dezember 2014 ‑ 7a K 4590/14.A, Beschluss vom 13. November 2014 ‑ 7a L 1718/14.A, beide nrwe,
25wonach festgestellte systemische Mängel des Asylverfahrens in Italien, die auch gegenwärtig noch nicht beseitigt sind, für alle Asylbewerber ungeachtet ihrer individuellen Verhältnisse schwere Rechtsverletzungen i. S. d. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ‑ EUGrdRCH ‑, Art. 3 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ‑ EMRK ‑ nach sich ziehen, die eine Selbsteintrittspflicht der Bundesrepublik nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO begründen, nicht mehr uneingeschränkt fest. Vielmehr geht sie nach der jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ‑ EGMR ‑
26Urteil 51428/10 vom 13. Januar 2015 ‑ A.M.E. vs. The Netherlands,
27davon aus, dass systemische Mängel des Asylverfahrens in Italien für den Kreis der Antragsteller, die nicht zu einem besonders schützenswerten Personenkreis („underprivileged and vulnerable population group in need of special protection“, s. EGMR, Urteil vom 13. Januar 2015, a.a.O.) i. S. der Genfer Konvention und der ihr folgenden Richtlinien zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten ‑ Aufnahmerichtlinien ‑ (Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013) zählen, nicht den Schweregrad einer Verletzung von Art. 3 EMRK erreichen. Gesunde Männer ohne Familienangehörige, die den Weg aus ihrer Heimat nach Italien allein geschafft haben, sind den dort vorzufindenden Schwierigkeiten und Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung regelmäßig weit eher gewachsenen als dies für Familien mit Kindern oder Minderjährige zutrifft. Sie sind grundsätzlich in der Lage, auch eine Übergangsfrist unter schwierigen Bedingungen auszuhalten, ohne dass dies zu einer Rechtsverletzung im oben dargelegten Sinne führt.“
28Der 37-jährige Antragsteller ist als alleinstehender Mann diesem Personenkreis, der keines besonderen – über die allgemeinen Standards hinausgehenden – Schutzes bedarf, zuzurechnen. Die Kinder des Antragstellers leben nach dessen Angaben weiter in Accra (Ghana). Der Antragsteller selbst hat sich mehr als sieben Jahre und damit eine nicht unerhebliche Zeit in Italien aufgehalten und spricht nach seinen Angaben jedenfalls rudimentär italienisch. Unter diesen Bedingungen ist im Sinne der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Italien ausgesetzt sein wird.
29Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Antragsteller.
1
G r ü n d e :
21. Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage - 1 K 832/15.A - gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.03.2015 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Italien anzuordnen,
4hat keinen Erfolg. Dabei lässt das Gericht offen, ob der am 20.03.2015 gestellte Eilantrag die einwöchige Frist nach Bekanntgabe (§ 34a Abs. 2 Satz 1 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG -) wahrt; in den von der Antragsgegnerin überreichten Verwaltungsvorgängen befindet sich kein Zustellungsnachweis. Denn der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist jedenfalls unbegründet.
5Für die vorzunehmende Interessenabwägung gelten die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO anwendbaren allgemeinen Grundsätze. Dementsprechend ist das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung gegen das öffentliche Interesse an deren alsbaldiger Vollziehung abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich zu berücksichtigen.
6Dagegen setzt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage - anders als in Fällen der Unbeachtlichkeit oder der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags (§ 36 Abs. 1 und 4 Satz 1 AsylVfG) - nicht voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen. Im Gegensatz zu § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG enthält § 34a Abs. 2 AsylVfG keine entsprechende Einschränkung. Ein Antrag, § 34a Abs. 2 AsylVfG entsprechend zu fassen, fand im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit.
7Vgl. VG Trier, Beschluss vom 18. September 2013 - 5 L 1234/13.TR -, juris Rn. 5 ff. mit ausführlicher Darstellung des Ablaufs des Gesetz-gebungsverfahrens; VG Minden, Beschlüsse vom 29.12.2014 - 10 L 607/14.A -, juris Rn. 5, und vom 14.10.2014 - 1 L 759/14.A -, juris Rn. 4.
8Die vorgenannte Interessenabwägung fällt hier zu Lasten des Antragstellers aus. Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.03.2015 begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Vorliegend ist die Zuständigkeit der Italienischen Republik für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers gegeben; diese Zuständigkeit ist auch nicht auf einen anderen Staat übergegangen.
10Nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, vom 26.06.2013 (sog. "Dublin-III-Verordnung") ist Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat.
11Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden. Welcher Mitgliedstaat dies ist, bestimmt sich nach den Kriterien der Art. 8 bis 15 Dublin-III-VO und zwar in der Rangfolge ihrer Nummerierung (Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO). Lässt sich anhand dieser Kriterien nicht bestimmen, welcher Mitgliedsstaat zuständig ist, so ist der erste Mitgliedstaat zuständig, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin-III-VO). Bei Anwendung dieser Kriterien ist die Italienische Republik für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig geworden.
12Die primäre Zuständigkeit Italiens folgt mangels vorrangiger Kriterien aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO. Danach ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, dessen Land-, See- oder Luftgrenze der Antragsteller aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Denn ausgehend von seinen eigenen, von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Antragsteller aus der Türkei kommend als erstes die Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte - soweit ersichtlich - ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Die daraus resultierende Zuständigkeit Italiens hat auch nicht nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO, wonach die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts endet, geendet. Nach Aktenlage reiste der Antragsteller in Italien am 07.10.2014 ein. Einen Asylantrag stellte er dort nicht; seine Angaben stehen im Einklang mit dem erzielten EURODAC-Treffer der Kategorie 2. Am 26.10.2014 traf der Antragsteller nach seinem Bekunden im Bundesgebiet ein.
13Aufgrund der daraus folgenden Zuständigkeit der Italienischen Republik ist diese gemäß Art. 18 Abs. 1 a) Dublin-III-VO zur Aufnahme des Antragstellers verpflichtet. Nach Art. 22 Abs. 7 1. Alt Dublin-III-VO ist davon auszugehen, dass die italienischen Behörden die Aufnahme des Antragstellers akzeptieren, weil sie nicht innerhalb von zwei Monaten auf das Übernahmeersuchen vom 17.12.2014 reagiert haben.
14Die Pflicht Italiens zur Aufnahme des Antragstellers ist auch nicht nachträglich erloschen; die einschlägigen Antrags- und Überstellungsfristen sind nicht verstrichen.
15Die Antragsgegnerin ist auch nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens in Italien gehindert, den Antragsteller nach Italien zu überstellen. Eine Überstellung muss dann ausscheiden, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem Drittstaat bestehen und der Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthaft Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechte-Charta ausgesetzt zu werden.
16Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris Rn. 106 - 108.
17Danach ist die Abschiebung nach Italien rechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesamt ist in dem angefochtenen Bescheid vom 10.03.2015 unter Berücksichtigung der aktuellen Berichte zur Situation von Asylbewerbern in Italien nachvollziehbar zu der Erkenntnis gelangt, dass dort jedenfalls gegenwärtig keine systemischen Mängel im oben dargestellten Sinne vorliegen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Begründung des Bescheides entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO verwiesen. Diese Sichtweise wird in der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung geteilt. Danach müssen nach Italien zurückkehrende Asylbewerber im Regelfall derzeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung befürchten.
18Vgl. z.B. OVG NRW, Urteil vom 24.04.2015 - 14 A 2356/12.A -, juris Rn. 35, und Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris Rn. 129 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 27.05.2014 - 2 LA 308/13 -, juris Rn. 4 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -, juris Rn. 43 ff.; Bay. VGH, Urteil vom 28.02.2014 - 13a B 13.30295 -, juris Rn. 41 ff.; Hess. VGH, Beschluss vom 28.02.2014 - 10 A 681/13.Z.A -, bei juris als PDF-Datei veröffentlicht; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21.02.2014 - 10 A 10656/13 -, juris Rn. 41 ff.; nachfolgend in Eilbeschlüssen: z.B. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 26.03.2015 - 7a L 498/15.A -, juris Rn. 7 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2015 - 13 L 2878/14.A -, juris Rn. 17 ff.; VG Aachen, Beschluss vom 17.12.2014 - 2 L 622/14.A -, juris Rn. 16 ff.; a.A. etwa die 10. Kammer des beschließenden Gerichts, die wegen einer erkennbaren Verschlechterung der Situation von einer offenen, im Hauptsacheverfahren zu klärenden Rechtslage ausgeht: Beschluss vom 20.03.2015 - 10 L 117/15.A -, juris Rn. 42.
19Die Kammer teilt die Bewertung der Situation in Italien in den die Zumutbarkeit der Überstellung bejahenden Entscheidungen. Eine wesentliche Änderung der Sachlage ist seitdem nicht eingetreten. Jedenfalls für junge arbeitsfähige Männer vermag die Kammer im Fall des weiteren Aufenthalts in Italien keine beachtliche Gefahr unmenschlicher Behandlung zu erkennen.
20Vgl. OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, a.a.O.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 26.03.2015 - 7a L 498/15.A -, a.a.O.
21Auch nach der aktuellen Rechtsprechung des EGMR gilt, dass die Situation eines jungen Mannes bei einer Rückführung nach Italien nicht mit der Lage einer Familie mit minderjährigen Kindern verglichen werden kann und die allgemeinen Aufnahmebedingungen in Italien nicht den Umständen in Griechenland oder zeitweise in Belgien entsprechen. Dementsprechend ist eine Beschwerde eines Asylbewerbers gegen eine Überstellung nach Italien vor dem EGMR erfolglos geblieben.
22Vgl. EGMR, Entscheidung vom 13.01.2015 - 51428/10 -, juris Rn. 35 f.
23Auch das Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine andere Bewertung. Soweit er mit seiner eidesstattlichen Versicherung vom 17.03.2015 geltend macht, er sei in Bari geschlagen worden und habe als Asylsuchender keine Unterstützung erhalten, kann er daraus nichts zu seinen Gunsten herleiten. Denn selbst wenn dieses Vorbringen richtig wäre, ließe sich aus einem rechtswidrigen staatlichen Handeln im Einzelfall nicht auf systemische Mängel schließen. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass es in Italien systematisch zu gegen Asylsuchende gerichtete Misshandlungen bzw. Repressalien kommt, so dass durch eine etwaige Fehlleistung im Falle des Antragstellers das Konzept der normativen Vergewisserung nicht in Frage gestellt wird.
24Auch im Übrigen bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Anordnung der Abschiebung des Antragstellers in die Italienische Republik. Die Abschiebung kann durchgeführt werden. Ihr stehen weder tatsächliche noch rechtliche Hindernisse entgegen. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf zielstaatsbezogene, sondern auch in Bezug auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse (§ 60a Abs. 2 AufenthG) einschließlich sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebender Ansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, die im Rahmen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ebenfalls vom Bundesamt zu prüfen sind.
25Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25.04.2014 - 2 B 215/14 -, juris Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 30.08.2011 - 18 B 1060/11 -, juris Rn. 4; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.05.2011 ‑ A 11 S 1523/11 -, juris Rn. 3 sowie BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 ‑ 2 BvR 732/14 -, juris Rn. 11.
26Entsprechende Abschiebungshindernisse nicht ersichtlich.
27Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83 b AsylVfG.
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
1
G r ü n d e
2Der Antrag des Antragstellers,
3ihm unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. aus Hannover Prozesskostenhilfe zu bewilligen,
4ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den nachfolgend genannten Gründen nicht die gemäß § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
5Der – unter Berücksichtigung von § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG sinngemäß auszulegende – Antrag des Antragstellers,
6die aufschiebende Wirkung seiner Klage 1 K 694/15.A gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. März 2015 anzuordnen,
7ist zulässig, aber unbegründet.
8Die nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung der widerstreitenden Interes-sen fällt zum Nachteil des Antragstellers aus. Sein Aussetzungsinteresse über-wiegt nicht ausnahmsweise das nach der gesetzlichen Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 34 a Abs. 2 Satz 1, § 75 Absatz 1 AsylVfG grundsätzlich vorrangige öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 11. März 2015, mit der der Antrag auf Durchführung eines Asylverfahrens abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wurde, nicht zu beanstanden.
9Der Asylantrag des Antragstellers ist gemäß § 27a AsylVfG unzulässig und die Anordnung der Abschiebung nach Italien entspricht den Anforderungen des § 34a Abs.1 Satz 1 AsylVfG. Die italienischen Behörden haben innerhalb der Frist von zwei Monaten (Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO) keine Antwort auf das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin gemäß Art. 21 Dublin III-VO in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 und Art. 18 Abs. 1 lit. a) Dublin III-VO vom 16. Dezember 2014 erteilt. Ohne Antwort innerhalb der Zweimonatsfrist wird gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon ausgegangen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
10Dafür, dass das Konzept der normativen Vergewisserung, welches den §§ 26 a, 27 a, 34 a AsylVfG sowie der Dublin III-VO zugrunde liegt, hinsichtlich Italiens entfallen wäre, bestehen entgegen der Auffassung des Antragstellers keine hinreichenden Anhaltspunkte. Der Flüchtlingsschutz mit dem Grundsatz der Nichtzurückweisung und der Schutz der Menschenrechte sind in Italien gewährleistet. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe dafür bestehen, dass der Antragsteller aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta bzw. des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Grundlage ist zunächst die auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründende Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK.
11Diese Vermutung wird nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit widerlegt. Die Widerlegung der Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
12BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, Rn. 9 des Beschlussabdrucks.
13Hiervon ausgehend kommt das Gericht – auch unter Berücksichtigung gegenteiliger Rechtsprechung und Auskünfte – zu dem Ergebnis, dass Italien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz gegebenenfalls vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates Italien vorläge, welches für „Dublin-Rückkehrer“ wie den Antragsteller nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
14Der Einzelrichter schließt sich in Anknüpfung an die bisherige Rechtsprechung der Kammer,
15vgl. VG Münster, Beschlüsse vom 16. Juli 2012 – 1 L 328/12.A –, 8. Oktober 2012 – 1 L 574/12.A – und 23. September 2013 – 1 L 488/13.A –,
16der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
17OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –,
18sowie weiterer Obergerichte an.
19Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 –, juris; Bayerischer VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 – 13a B 13.30295 –, juris; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 4 LA 167/13 –, juris.
20Die Gefährdungsprognose, die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vorgenommen hat, ist auf den vorliegenden Fall übertragbar. Der Antragsteller hat in Italien noch keinen Asylantrag gestellt. Er ist weder als Flüchtling anerkannt worden, noch hat er einen subsidiären Schutzstatus erlangt. Bei seiner Rücküberstellung nach Italien ist davon auszugehen, dass er ein Asylverfahren einleiten kann und wie andere Asylbewerber behandelt wird.
21An dieser Bewertung ändert auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte,
22EGMR, Urteil vom 4. November 2014 – 29217/12 – (Tarakhel),
23nichts. Das Urteil betrifft einen anderen, nicht vergleichbaren Fall. Denn im dort entschiedenen Fall wurde eine unmenschliche Behandlung gemäß Art. 3 EMRK deshalb angenommen, weil angesichts der schlechten Aufnahmesituation die italienischen Behörden keine Garantien dafür gegeben hätten, dass für die Familie in einer Weise, die den Kindern angemessen sei, gesorgt werde und dass die Familie zusammenbleibe. Auf den Antragsteller, der ohne Kinder nach Italien überstellt werden soll, treffen diese Bedenken nicht zu. Im Übrigen hat das italienische Innenministerium inzwischen als Reaktion auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durch eine generelle Erklärung garantiert, dass alle Familien mit kleinen Kindern nach einer Rückführung gemäß der Dublin-Vereinbarung zusammenbleiben und in einer den familiären Verhältnissen und dem Kindesalter entsprechenden Unterkunft versorgt werden. Weiteres kann der Antragsteller aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht herleiten. Dies gilt namentlich auch in Anbetracht einer jüngst ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach die Überstellung eines jungen gesunden Mannes – wie dies auch auf den Antragsteller zutrifft – nach Italien keinen durchgreifenden Bedenken unterliegt,
24EGMR, Entscheidung vom 13. Januar 2015 – 51428/10 – (A.M.E.).
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1VwGO, § 83b AsylVfG.
Tenor
Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.03.2013 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte und die Kläger zu je 1/2.
1
T a t b e s t a n d
2Der am 00.00.0000 geborene Kläger zu 1) und seine am 00.00.0000 geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2), sind syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Am 10.10.2012 stellten sie – gemeinsam mit ihrem am 00.00.0000 geborenen Sohn K. - in der Bundesrepublik einen Asylantrag.
3Mit Schreiben vom 12.10.2012 gaben die Bevollmächtigten an, der Kläger zu 1) habe bereits seinen 2 1/ 2 jährigen Militärdienst abgeleistet. Im Rahmen der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Syrien habe er wiederum zum Militärdienst verpflichtet werden sollen, was er aus Überzeugungsgründen abgelehnt habe. Der Kläger zu 1) habe schon früher politische Probleme gehabt aufgrund seiner Tätigkeit in einer Theatergruppe. Die Familie sei über die Türkei und Kasachstan, wo sie inhaftiert worden sei, geflohen. Die Klägerin zu 2) sei im 8. Monat schwanger.
4Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 31.10.2012 gab der Kläger zu 1) zum Reiseweg an, sie seien von Syrien über die Türkei zunächst nach Kasachstan gereist und von dort wieder zurück in die Türkei. Am 10.09.2012 seien sie dann nach Italien geflogen und direkt am Flughafen festgenommen worden. Sie hätten dort einen Tag lang auf Stühlen gesessen und weder Kleidung noch Lebensmittel erhalten. Es sei ihnen schlecht gegangen, der Sohn sei krank gewesen. Man habe sie erkennungsdienstlich behandelt, einen Asylantrag hätten sie nicht gestellt. Man habe sie als Algerier behandelt, da man ihnen die syrische Staatsangehörigkeit nicht geglaubt habe. Am 12.09.2012 seien sie in die Türkei zurückgeschickt worden. Von dort seien sie schließlich erneut mit dem Auto bis nach Deutschland gefahren, wo sie am 26.09.2012 angekommen seien. Zu den Gründen der Ausreise erklärte der Kläger zu 1), dass man ihn zum Militärdienst habe einziehen wollen. Sicherheitskräfte seien bei ihm zu Hause gewesen, um ihn mitzunehmen. Zu der Zeit sei er aber auswärts zur Arbeit gewesen. Sein Vater habe ihn gewarnt. Ferner gab der Kläger zu 1) an, sein Bruder K. , der jetzt in Frankreich lebe, habe im Jahre 2008 Probleme mit der Regierung gehabt. Sie seien in einer fokloristischen Gruppe aktiv gewesen und in dem Zusammenhang sei sein Bruder festgenommen worden. Sein Bruder sei während der Haft schwer misshandelt worden. Er sei später auch festgenommen und nach den Hintermännern befragt worden. Ihm sei während der Haft die Nase gebrochen worden. Er sei mit Hilfe von Bestechungsgeld frei gekommen. Bis ins Jahr 2009 habe er sich dann einmal im Monat auf der Wache melden müssen. Seit Beginn der Revolution seien Leute, die vorher bereits in Haft gewesen seien, im Visier der Regierung. Er sei deshalb untergetaucht, d.h. er habe sich bei Bekannten und Verwandten in Damaskus aufgehalten. Außer dem genannten Bruder in Frankreich habe er noch einen Bruder in Wien, eine Schwester in Toulose sowie Verwandte in Deutschland.
5Am 14.12.2012 ersuchte das Bundesamt Italien nach der Dublin II-VO um Wiederaufnahme der Kläger und ihres Sohnes. Mit Schreiben vom 27.12.2012 stimmte Italien dem Wiederaufnahmersuchen zu.
6Mit Bescheid vom 04.03.2013 lehnte die Beklagte die Asylanträge als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung der Kläger und des Sohnes K. nach Italien an. Der Bescheid wurde mit Schreiben vom 17.04.2013 zwecks Zustellung an die Prozess-bevollmächtigte der Kläger übersandt.
7Am 23.04.2013 haben die Kläger – und ihr Sohn K. - die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung beziehen sie sich auf ihre Angaben im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt. Die Beklagte sei auch zur Durchführung des Asylverfahrens verpflichtet, da das Asylverfahren in Italien nicht den einschlägigen EU-Normen enspreche. Im konkreten Fall seien die Kläger bei ihrer Ankunft in Italien so schlecht behandelt worden, dass sie traumatisiert seien. Hinsichtlich des Klägers zu 1) wird insoweit eine fachärztliche Bescheinigung der Rheinischen Kliniken Bonn vom 08.08.2013 vorgelegt.
8Ein gleichzeitig gestellter Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war erfolgreich (Beschluss vom 07.05.2013 – 20 L 613/13.A).
9Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Kläger die Klage hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigte zurückgenommen. Hinsichtlich des gemeinsamen Sohnes K. ist das Verfahren abgetrennt worden (20 K 1017/14.A).
10Im Übrigen beantragen die Kläger,
11die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.03.2013 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
12hilfsweise den Klägern den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie bezieht sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides und vertieft die Ausführungen zur Aufnahmesituation in Italien.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie im Verfahren 20 L 613/13.A und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges verwiesen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
19Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.
20Der auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise Zuerkennung subsidiären Schutzes, gerichtete Klageantrag ist als Verpflichtungsantrag gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig. Das Verpflichtungsbegehren entspricht nicht nur dem ausdrücklich gestellten Klageantrag, sondern auch dem eigentlichen Klageziel der Kläger, das bei sachdienlicher Auslegung nicht lediglich auf die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, sondern auf die Gewährung internationalen Schutzes durch die Bundesrepublik gerichtet ist.
21Gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spricht das Gericht die Verpflichtung der Behörde zum Erlass des begehrten Verwaltungsaktes aus, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten Verwaltungsaktes rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dabei hat das Gericht die Streitsache in vollem Umfang spruchreif zu machen. Es ist daher grundsätzlich nicht zulässig, bei rechtswidriger Verweigerung des begehrten Verwaltungsaktes lediglich die Ablehnung aufzuheben und die Sache zur Prüfung und Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen an die Behörde gewissermaßen zurückzuverweisen. Dieser grundsätzliche Vorrang der Verpflichtungsklage entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gerade auch in Asylverfahren,
22vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998 – 9 C 28/97 – E 106, 171-177,
23und es sind zur Überzeugung des Gerichts in sog. Dublin-Fällen keine Gesichtspunkte erkennbar, die eine Abweichung hiervon rechtfertigen könnten. Nicht zuletzt unter dem Aspekt der im Asylverfahren geltenden Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime gilt vielmehr auch hier, dass Zurückverweisungen an das Bundesamt zu vermeiden und Spruchreife herzustellen ist.
24Vgl. zuletzt Urteil der Kammer vom 23.05.2013 – 20 K 5506/12.A -; s. auch: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.06.2012 – A 2 S 1355/11 -; VG Braunschweig, Urteil vom 21.02.2013 – 2 A 126/11 -; VG Göttingen, Urteil vom 25.07.2013 – 2 A 652/12 -.
25Die Klage ist auch begründet.
26Der Asylantrag ist zunächst zulässig. Der Zulässigkeit steht § 27 a AsylVfG nicht entgegen. Denn die Kläger haben einen Anspruch darauf, dass die Beklagte von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der hier noch gemäß Art. 49 der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 vom 26.06.2013 (Dublin III-VO) anwendbaren Verordnung Nr. 343/2003 vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) Gebrauch macht. Das der Beklagten insoweit zustehende Ermessen ist vorliegend auf Null reduziert.
27Als unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht bildet die Dublin-II-VO eine geeignete Grundlage für die Begründung subjektiver Rechte. Dies gilt hinsichtlich der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO für Ausländer jedenfalls dann, wenn die Entscheidung – wie hier im Hinblick auf den unzureichenden Zugang zum Asylverfahren und die mangelhafte Sicherstellung des Lebensunterhaltes einschließlich der gesundheitlichen Versorgung im nach der Dublin-II-VO zuständigen Mitgliedstaat – durch nationales Verfassungsrecht, namentlich durch die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflichten, geprägt wird. Diese Auslegung steht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in Einklang, wonach es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. Erforderlichenfalls muss der Mitgliedstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, den Antrag selbst prüfen.
28Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – Rs C 411/10 und C-493/10, N.S. und M.E. – Juris; s. hierzu auch: Reinhard Marx, Juristische Bewertung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 21.12.2011, 06.02.2012 - http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/redaktion/Dokumente/Stellungnahmen/2012-02-06-Marx-EuGH.pdf.
29Eine derartige Situation, die die Bundesrepublik zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts verpflichtet, liegt zur Überzeugung des Gerichts gegenwärtig in Bezug auf Italien vor. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer reichen die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis in Italien nicht an die zu fordernden und bei Einfügung des § 27 a AsylVfG vorausgesetzten unions- bzw. völkerrechtlichen Standards heran. Zur weiteren Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss des Gerichts vom 07.05.2013 im Verfahren 20 L 613/13.A verwiesen.
30An der dortigen Einschätzung der Situation von Asylsuchenden in Italien insbesondere im Hinblick auf die materiellen Aufnahmebedingungen hält des Gericht auch unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisquellen fest.
31Insbesondere ist die Aufnahmekapazität in Italien unverändert völlig unzureichend, so dass zahlreichen Asylsuchenden Obdachlosigkeit droht oder sie auf prekäre Notunterkünfte in besetzten Häusern angewiesen sind.
32Vgl. borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V., Gutachten vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig im Verfahren 2 A 126/11; s. hierzu auch VG Braunschweig, Urteil vom 21.02.2013 – 2 A 126/11 -; UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien, Juli 2013; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen - Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013.
33Nach der Veröffentlichung der vorgenannten Berichte hat sich zudem die Zahl der in Italien ankommenden Flüchtlinge weiter dramatisch erhöht. So sind nach Angaben von UNHCR alleine im Zeitraum von August 2013 bis 30.09.2013 über 6.000 Schutzsuchende nach Italien gekommen, darunter überwiegend syrische Flüchtlinge,
34vgl. UNHCR, Artikel vom 13.09.2013 „Tausende Syrer über Seeweg in Italien angekommen“ und vom 18.10.2013 „UNHCR mahnt Länder Grenzen für Syrer offen zu halten“,
35wodurch alleine das Aufnahmesystem bereits nahezu ausgelastet wäre. Insgesamt hat sich die Zahl neu angekommener Flüchtlinge in Italien 2013 mit ca. 43.000 im Vergleich zu 2012 etwa verdreifacht. Dieser zunehmende Druck auf das italienische Aufnahmesystem manifestiert sich in zahlreichen Medienberichten über skandalöse Praktiken in Aufnahmelagern und Aufnahmezentren.
36Vgl. etwa Tagesschau-Bericht „Das ist Italien“ vom 19.12.2013, http:// www.tagesschau.de/ausland/lampedusa-video108.html, „Mehr als 1.000 Flüchtlinge gerettet“ vom 4.01.2014, https://www.tagesschau.de/ausland/mittelmeer-fluechtlinge100.html ; VG Köln, Beschluss vom 17.02.2014 – 8 L 212/14.A – m.w.N.
37Die Entscheidung des EGMR vom 02.04.2013 betreffend das Verfahren S. Mohammed Hussein a.O./Niederlande – Nr. 27725/10 –führt zu keiner anderen Bewertung der Aufnahmesituation in Italien. Der EGMR hat in seiner Entscheidung zwar die Rückschiebung der dortigen Antragstellerin und ihrer zwei minderjährigen Kinder nach Italien für zulässig erachtet, allerdings unterschied sich der Fall insoweit von dem hier zu entscheidenden Fall erheblich, da der dortigen Antragstellerin, die tatsächlich Aufnahme in einem CARA gefunden hatte, kurz nach ihrer Einreise im Jahr 2008 in Italien subsidiärer Schutz gewährt und eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis sowie eine Arbeitserlaubnis erteilt worden war. Soweit der EGMR über diesen Einzelfall hinaus den Nachweis für systemische Mängel hinsichtlich der materiellen Aufnahmebedingungen, die den Grad einer Verletzung von Art. 3 der EMRK erreichen, nicht als erbracht angesehen hat, lagen ihm bei seiner Entscheidung weder die oben zitierten neueren Gutachten und Stellungnahmen vor noch die aktuellen Zahlen über die dramatische Zunahme des Flüchtlingsstroms.
38Bereits im Eilverfahren 20 L 613/13.A wurde zudem darauf hingewiesen, dass sich die prekären Aufnahmebedingungen in Italien und die erheblichen Probleme beim Zugang zum Asylverfahren nach den glaubhaften Angaben der Kläger im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung im Falle der Kläger auch realisiert haben. Denn entsprechend ihren Angaben sind sie nach der Einreise in Italien am Flughafen festgenommen und ohne zureichende Versorgung mit Kleidung, Lebensmitteln und Medikamenten drei Tage dort festgehalten worden, obwohl die Klägerin zu 2) hochschwanger war und der seinerzeit erst zwei Jahre alte Sohn K. an einer akuten Bronchitis mit Atemnot litt. Am dritten Tag sind die Kläger sodann von Italien in die Türkei zurückgeführt worden und haben von dort aus ca. zwei Wochen später einen erneuten Einreiseversuch in die Bundesrepublik unternommen. Vorliegend ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 1) ausweislich der fachärztlichen Bescheinigung der Rheinischen Kliniken Bonn, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 08.08.2013 an einer schweren depressiven Episode und Posttraumatischen Belastungsstörung leidet und deswegen dort durch Medikamente und psychotherapeutische Verfahren behandelt wird und weiterhin dauerhaft behandelt werden muss. An der Richtigkeit dieser fachärztlichen Bescheinigung bestehen zur Überzeugung des Gerichts angesichts der gerichtsbekannten Fachkunde und Seriösität der Rheinischen Kliniken keine Zweifel. Der Kläger zu 1) gehört damit – ebenso wie die beiden 2011 bzw. 2012 geborenen minderjährigen Söhne - zu den besonders schutzbedürftigen Personen im Sinne der EU-Aufnahmerichtlinie, für die nach übereinstimmenden Stellungnahmen die Versorgung in Italien generell unzureichend ist.
39Der Asylantrag der Kläger ist auch materiell begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
40Nach § 3 AsylVfG idF der Änderung vom 28.08.2013 (BGBl v. 28.08.2013) ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er sich 1) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2) außerhalb des Landes befindet a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln nunmehr die §§ 3 a – d AsylVfG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337. Vom 20.12.2011, S. 9-26).
41Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich der Kläger die Voraussetzungen des
42§ 3 AsylVfG vor.
43Die Kläger sind zur Überzeugung des Gerichts bereits vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Denn der Kläger zu 1) ist aufgrund seiner kulturell-politischen Aktivitäten in einer kurdischen Theatergruppe bereits im Jahre 2008 festgenommen worden und befand sich anschließend ca. zwei Monate in Haft, während der er gefoltert und misshandelt wurde. Im Anschluss an die Haft musste er sich regelmäßig über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr bei der Sicherheitsbehörde melden. Der Kläger hat dies in der mündlichen Verhandlung eindringlich und glaubhaft geschildert. Diese Schilderungen stehen auch in Einklang mit den Angaben im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt, geringfügige aufgetretene Widersprüche konnte er spontan und nachvollziehbar auflösen. Das Gericht teilt die Einschätzung des Klägers zu 1), dass die Gefahr bestand, dass er sich infolge dieser Inhaftierung und anschließender Meldeauflagen mit zunehmender Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien besonders im Visier der Sicherheitskräfte befand. Die Furcht des Klägers, dass sich diese Gefährdungslage auch aus Anlass der versuchten Einberufung zum Militärdienst erneut konkretisieren würde, war daher zur Überzeugung des Gerichts begründet. Einer steigenden Gefährdung waren die Kläger zudem unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft ausgesetzt. Dies gilt für die Klägerin zu 2) schon unter Berücksichtigung der Verfolgungsgeschichte ihres Ehemannes. Für beide Kläger gilt dies unter Berücksichtigung des Umstandes, dass zahlreiche Geschwister u.a. in der Bundesrepublik als anerkannte Flüchtlinge leben.
44Gemäߠ § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG besteht daher eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien erneut schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen in Anknüpfung an ihre – jedenfalls vermutete - politische Überzeugung sowie die illegale Ausreise und Asylantragstellung ausgesetzt sein werden, so dass ihre Verfolgungsfurcht begründet und eine Rückkehr unzumutbar ist. Stichhaltige Gründe dafür, dass dies nicht der Fall sein könnte, liegen nicht vor.
45Im Gegenteil entspricht es unter Berücksichtigung der verschärften politischen Situation in Syrien seit langem der ständigen Entscheidungspraxis der Beklagten, dass Rückkehrer im Falle einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben und davon auszugehen ist, dass bereits diese Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslöst.
46Vgl. hierzu auch: OVG NRW, Urteil vom 14.02.2012, 14 A 2708/10.A – Juris; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Syrien – Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation, April 2011.
47Die Abschiebungsanordnung nach Italien (Nr. 2 des Bescheides) war nach alledem aufzuheben.
48Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
Gründe
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I.
- 1
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Die Beschwerdeführer sind äthiopische Staatsangehörige; die Beschwerdeführerin zu 1. ist die Mutter des am 26. März 2011 geborenen Beschwerdeführers zu 2. Sie reisten im Januar 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten einen Asylantrag; zuvor hatte die Beschwerdeführerin zu 1. bereits in Italien einen Asylantrag gestellt, aufgrund dessen sie dort subsidiären Schutz zuerkannt bekam. Sie wenden sich gegen einen am 9. Juli 2014 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 8. Juli 2014, mit dem ihnen Eilrechtsschutz gegen die auf § 34a Abs. 1 Satz 1, § 26a AsylVfG gestützte Anordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 16. Juni 2014 versagt wurde, sie in den sicheren Drittstaat Italien abzuschieben.
- 2
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1. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag der Beschwerdeführer mit der Begründung ab, dass kein Ausnahmefall nach dem Konzept der normativen Vergewisserung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 ff.) gegeben sei, insbesondere weil anhand der in der jüngeren Rechtsprechung des EGMR (vgl. EGMR
, Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. v. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, S. 413; Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336) entwickelten Maßstäbe Mängel der Aufnahmesituation in Italien, die eine Aussetzung der Abschiebung in Anwendung von Art. 3 EMRK gebieten könnten, derzeit nach der Auskunftslage auch für die Gruppe der Inhaber eines Schutzstatus nicht erkennbar sei. Anders stelle sich die Lage nur bei alleinstehenden Elternteilen mit Kind dar, zu der die Beschwerdeführer aber deshalb nicht gehörten, weil auch der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin zu 1. aufgrund eines Beschlusses in seinem Eilverfahren mittlerweile vollziehbar nach Italien ausreisepflichtig sei.
- 3
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2. Die Beschwerdeführer rügen mit ihrer am 11. August 2014, einem Montag, erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
- 4
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Sie befürchten unter Bezugnahme insbesondere auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu den Aufnahmebedingungen in Italien vom Oktober 2013, bei einer Rückkehr nach Italien wie die große Mehrheit der Schutzbedürftigen obdachlos zu werden und keinen Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Nahrungsmitteln zu erhalten. Schutzberechtigte seien einem sehr hohen Risiko der Verelendung ausgesetzt; ihre Situation sei wesentlich prekärer als die eines Asylsuchenden, der sich noch im Verfahren befinde. Verletzungen ihrer Grundrechte aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, welche die Beschwerdeführer in Folge einer Abschiebung nach Italien erlitten, müsse sich die Bundesrepublik Deutschland zurechnen lassen. In den geschilderten Zuständen in Italien liege eine Verletzung sowohl der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG als auch eine Gefahr für ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).
-
II.
- 5
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, und die Annahme ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>); sie ist unzulässig (dazu 1.). Hiervon unabhängig besteht allerdings Anlass zu dem Hinweis, dass die mit der Rückführung befassten deutschen Behörden in dem vorliegenden Einzelfall geeignete Vorkehrungen zum Schutz des Beschwerdeführers zu 2. zu treffen haben (dazu 2.).
- 6
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1. Die Beschwerdeführer zeigen schon die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht auf (vgl. zu diesem Erfordernis nur BVerfGE 108, 370 <386 f.>). Sie setzen sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 <95 ff.>) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR
, Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. v. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, S. 413; Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336) nicht auseinander, die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegt.
- 7
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Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aufgrund einer drohenden Obdachlosigkeit bei einer Abschiebung geltend machen, legen sie im Übrigen auch nicht hinreichend substantiiert dar, dass sie in Italien mit Obdachlosigkeit zu rechnen haben und dem Beschwerdeführer zu 2. als Folge der Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Gesundheitsgefahren drohen. Es bedarf daher keiner Klärung, ob dahingehende systemische Mängel des italienischen Aufnahmesystems bestehen und ob solche strukturelle Defizite in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union einen im Konzept der normativen Vergewisserung nicht aufgefangenen Sonderfall darstellen können (vgl. dazu nur Moll/Pohl, ZAR 2012, S. 102 <104 ff.>; zu den Darlegungslasten für die Begründung eines solchen Sonderfalles vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Hierbei wäre ohnehin zu berücksichtigen, dass etwaige mit der Überforderung des Asylsystems eines Mitgliedstaats der Europäischen Union verbundene transnationale Probleme vornehmlich auf der Ebene der Europäischen Union zu bewältigen sind (vgl. BVerfGE 128, 224 <226>).
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2. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es allerdings - unbeschadet der Prüfung, ob einer Zurückweisung oder Rückverbringung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen - in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden vor einer solchen mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, den Sachverhalt klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen treffen (vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241 <242>).
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a) Nach der - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob "feststeht", dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04, juris; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, S. 310, dort <311> auch m.w.N. zur a.A.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, InfAuslR 2012, S. 383; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris; zuletzt VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris).
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Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rn. 7; VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris, Rn. 4).
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b) Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats. In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen abwehren (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 11 S 2439/07 -, InfAuslR 2008, S. 213 <214> unter Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241).
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Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 2 M 38/11 -, InfAuslR 2011, S. 390 <392>).
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c) So liegt es auch im vorliegenden Fall. Bei Rückführungen in sichere Drittstaaten können hiervon betroffene Ausländer - anders als bei der Rückführung in ihr Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen. Bestehen - wie gegenwärtig im Falle Italiens - aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen.
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Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen allgemein besonders zu beachtenden Gesichtspunkte der Familieneinheit und des Kindeswohls (vgl. etwa Erwägungsgrund 22 und Art. 14 Abs. 1 a) und d) der Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 16. März 2015 bei Gericht gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 2076/15.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. März 2015 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Absatz 4 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist unbegründet.
5Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragsteller fällt zu Lasten der Antragsteller aus, weil der angefochtene Bescheid des Bundesamtes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
6Das Bundesamt hat den Asylantrag der Antragsteller zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil Polen für dessen Prüfung zuständig ist. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
7I. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß ihrem Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden, also auch auf die Asylanträge der Antragsteller vom 5. Februar 2015.
8Danach ist Polen der zuständige Staat für die Prüfung dieser Asylanträge. Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat gemäß Artikel 13 Absatz 1 Satz 1 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Vorliegend haben die Antragsteller in ihrer Anhörung beim Bundesamt am 5. Februar 2015 selbst angegeben, sich zuvor in Polen aufgehalten zu haben. Dies wird bestätigt durch das Ergebnis der Abfrage der Eurodac-Datenbank durch das Bundesamt.
9Dementsprechend hat die Antragsgegnerin unter dem 26. Februar 2015 ein Übernahmeersuchen an Polen gerichtet. Dieses wurde am 3. März 2015 angenommen. Polen ist daher grundsätzlich gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO verpflichtet, die Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Aufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
10Lediglich vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass sich die Antragsteller auf einen etwaigen Verstoß gegen diese Fristenregelung auch nicht berufen könnten, da die Vorschrift ihnen kein subjektives Recht einräumt.
11Vgl. hierzu ausführlich Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014– 13 K 8286/13.A –, juris.
12Den Antragstellern bleibt es unbenommen, sich freiwillig bei den zuständigen Behörden in Polen zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. Dies betreffend regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, die ausweislich der der Dublin III-VO vorangestellten Erwägungen (Nr. 24) entsprechend anwendbar ist, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
13Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
14Hat es der Asylbewerber folglich selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgt und dass sie überhaupt erfolgt, kann er mithin selbst zu der von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet schon der allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abgeleitete – Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“), sich auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland zu berufen.
15Entgegen der Ansicht der Antragsteller vermag das Gericht auch nicht zu erkennen, dass das Verfahren unangemessen lange gedauert hat. Dahingestellt bleiben kann, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer infolge einer verspäteten Anhörung auszugehen ist. Zwar sind die Antragsteller nach eigenem Vortrag bereits am 1. Oktober 2014 in die Bundesrepublik eingereist. Indes haben sie erst am 5. Februar 2015 einen Asylantrag gestellt. Die Anhörung konnte aber naturgemäß erst erfolgen, nachdem ein entsprechender Asylantrag vorlag. Vorliegend wurden die Antragsteller noch am Tage ihrer Asylbeantragung angehört.
16Anhaltspunkte für die Annahme von systemischen Mängeln im Asylverfahren und in den Aufnahmebedingungen Polens haben die Antragsteller nicht hinreichend substantiiert vorgetragen; solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
17Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10. März 2015 – 6a K 3687/14.A –, juris, Rn. 27 m.w.N.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Februar 2015 – 10 L 3022/14.A –, juris, Rn. 24 m.w.N.
18Schließlich ist die Antragsgegnerin auch nicht gemäß Artikel 16 Absatz 1 Dublin III-VO zu einer Familienzusammenführung verpflichtet. Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, entscheiden danach die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben. Ungeachtet dessen, dass die gemeinsame Tochter der Antragsteller (Themine Arakelian) den Wunsch von ihren Eltern unterstützt zu werden nicht schriftlich erklärt hat und nicht erkennbar ist, ob die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, fehlt es jedenfalls an einem rechtmäßigen Aufenthalt der Tochter der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts setzt voraus, dass der Aufenthalt durch einen exekutiven oder legislativen Akt legalisiert wurde. Das ist der Fall, wenn die Gebietszulassung – wie bei einer Duldung oder Aussetzung der Abschiebung – nicht nur hingenommen, sondern ausdrücklich ermöglicht wird. Ein bloßes gesetzliches vorübergehendes verfahrensbegleitendes Aufenthaltsrecht wie etwa § 81 Absatz 3 Satz 1 bzw. Absatz 4 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) oder – wie vorliegend – § 55 Absatz 1 AsylVfG vermitteln, stellt keine Legalisierung in dem vorstehend genannten Sinne dar.
19Vgl. Funke-Kaiser, in GK-AsylVfG, Stand: 98 Ergänzungslieferung 2013, § 27a, Rn. 75 f.
20Damit kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob die Tochter der Antragsteller eine abhängige Person im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 Dublin III-VO ist.
21II. Gegen die Rechtmäßigkeit der auf § 34a Absatz 1 AsylVfG beruhenden Abschiebungsanordnung bestehen ebenfalls keine rechtlichen Bedenken. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedsstaat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Das ist hier der Fall. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung liegen weder zielstaatsbezogene (2.) noch in der Person der Antragsteller bestehende, also inlandsbezogene (1.) Abschiebungshindernisse, vor.
221. Einer Überstellung der Antragsteller nach Polen stehen weder rechtliche (a) noch tatsächliche (b) Gründe im Sinne von § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG entgegen.
23a) Die Trennung der Antragsteller von ihrer gemeinsamen volljährigen Tochter und ihrem Enkelkind, deren Asylanträge ebenfalls wegen der nach der Dublin III-VO bestehenden Zuständigkeit Polens als unzulässig abgelehnt worden sind, wogegen sie ebenfalls einen Eilantrag gestellt und Klage (22 K 2472/15.A) erhoben haben, verstößt nicht gegen den verfassungsrechtlich- und unionsrechtlich verankerten Grundsatz der Familieneinheit (Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz [GG] und Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention[EMRK]). Zwar kann auch die Bindung zwischen volljährigen Kindern und ihren Eltern in den Schutzbereich von Artikel 6 Absatz 1 GG bzw. Artikel 8 EMRK fallen. Indes kann sich daraus nur ausnahmsweise ein Anspruch auf Abschiebungsschutz, beispielsweise wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitgliedes angewiesen ist und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt, ergeben. Unter diesen Voraussetzungen erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft. Kann der Beistand nur in der Bundesrepublik Deutschland geleistet werden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zuzumuten ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück.
24Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Mai 1996 – A 13 S 1431/94 –, juris, Rn. 27; Hailbronner, AuslR, Stand: 64. Aktualisierung Juni 2009, § 60a Rn. 40.
25Ein solcher Ausnahmefall liegt bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht vor. Zwar folgt aus dem eingereichten ärztlichen Attest des die Tochter der Antragsteller behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Valentin Agadzanov vom 3. Februar 2015, dass das Zusammenleben der Tochter mit den Antragstellern aus seiner Sicht notwendig sei um die Verschlechterung des psychopathologischen Zustandes zu vermeiden. Indes lässt sich dem Attest bereits nicht entnehmen, dass und wenn ja inwieweit die Tochter und/oder das Enkelkind der Antragsteller auf ihre Hilfe angewiesen ist/sind.
26Ungeachtet dessen erfüllt das Attest auch nicht die Mindestanforderungen, die in der Rechtsprechung an ärztliche Atteste gestellt werden. Zur Substantiierung eines Vorbringens einer psychischen Erkrankung gehört regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen.
27Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 17. März 2015 – 13 L 937/15.A –, juris, Rn. 14.
28Vorliegend lässt sich dem Attest bereits keine genaue Diagnose entnehmen. Das Attest enthält auch keine näheren Angaben zur Behandlungsbedürftigkeit sowie dem bisherigen Behandlungsverlauf.
29b) Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG in Gestalt einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit liegt vor, wenn krankheitsbedingt schon keine Transportfähigkeit besteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne) oder wenn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass sich der Gesundheitszustand als unmittelbare Folge der Abschiebung erheblich verschlechtern wird (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne).
30Bei einer psychischen Erkrankung, wie sie hier beim Antragsteller zu 1.) in Rede steht, kann vom Vorliegen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses im genannten Sinn außer in Fällen einer Flugreise- bzw. Transportuntauglichkeit im engeren Sinne nur dann ausgegangen werden, wenn entweder im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Ausländers droht, der auch nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise wirksam begegnet werden kann, oder wenn dem Ausländer unmittelbar durch die Abschiebung bzw. als unmittelbare Folge davon sonst konkret eine erhebliche und nachhaltige Verschlechterung des Gesundheitszustands droht, die allerdings – in Abgrenzung zu zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen – nicht wesentlich (erst) durch die Konfrontation des Betreffenden mit den Gegebenheiten im Zielstaat bewirkt werden darf. Ferner kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis aufgrund einer (auch psychischen) Erkrankung vorliegen, wenn dem Ausländer bei seiner Ankunft im Zielstaat eine Gefährdung im Sinne des oben aufgezeigten Maßstabs droht, weil es an einer erforderlichen, unmittelbar nach der Ankunft einsetzenden Versorgung und Betreuung fehlt.
31Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 29. November 2010 – 18 B 910/10 –, juris, Rn. 15 f. m.w.N.
32Einen diesen Anforderungen genügenden Nachweis einer Vorerkrankung, die zur Annahme der Reiseunfähigkeit führen könnte, hat der Antragsteller zu 1.) nicht erbracht. Zwar diagnostiziert der den Antragsteller zu 1.) behandelnde Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Valentin Agadzanov ihm eine posttraumatische Belastungsstörung mit latenter Suizidalität sowie eine rezidivierende depressive Störung. Zudem wird eine Reiseunfähigkeit für die voraussichtliche Dauer von einem Jahr prognostiziert. Allerdings genügt diese Bescheinigung schon nicht den vorstehend dargestellten Anforderungen, die an die Substantiierung eines Vorbringens einer solchen Erkrankung zu stellen sind.
33Das vorgelegte ärztliche Attest vom 13. März 2015 enthält keine nachvollziehbaren tatsächlichen Umstände bezüglich der Erkrankung des Antragstellers, die die Prognose zuließen, dass sich sein psycholpathologischer Zustand infolge der Abschiebung in den Zielstaat Polen – und gerade nicht nach Armenien – massiv verschlechtern und höchstwahrscheinlich ein Suizid durchgeführt werden wird. Die die psychische Erkrankung des Antragstellers zu 1.) ausgelösten Erlebnisse beziehen sich ausschließlich auf Armenien. Da ein Zusammenhang zwischen den psychischen Problemen des Antragstellers zu 1.) und dem Aufenthalt in Polen nicht erkennbar ist, erschließt sich dem Gericht auch nicht ohne weiteres, dass sich der Gesundheitszustand des Antragstellers zu 1.) infolge der Überstellung nach Polen derart verschlechtern wird. Die geschilderten traumatischen Erlebnisse in Armenien werden durch die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers in Polen grundsätzlich weder positiv noch negativ beeinflusst. Überdies steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Antragsteller zu 1.) sich auch in Polen in fachärztliche Behandlung begeben kann. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller zu 1.) auf eine kontinuierliche Behandlung in kürzesten Abständen angewiesen ist, liegen dem Gericht nicht vor. Insbesondere enthält das vorgelegte Attest keine Angabe hinsichtlich der erforderlichen zeitlichen Abstände der empfohlenen „systemischen Traumatherapie“. Selbst wenn der Antragsteller zu 1.) auf eine psychologische Behandlung unmittelbar nach der Überstellung angewiesen sein sollte, bestehen aber keine Zweifel, dass die Republik Polen als Mitgliedstaat der Europäischen Union in einem auf psychischen Erkrankungen beruhenden Notfall die etwa notwendigen Notpsychiatrieaufenthalte oder die in Krisensituationen etwa notwendige medikamentöse und sonstige Notversorgung zur Verfügung zu stellen Willens und in der Lage ist, da die Erkenntnisse des Gerichts keinerlei Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme enthalten. Vielmehr ergibt sich aus den Erkenntnissen, dass die Versorgung psychischer Erkrankungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen in Polen grundsätzlich auch für Asylbewerber zugänglich ist.
34Vgl. VG Berlin, Urteil vom 01. April 2014 – 33 K 548.13 A –, juris, Rn. 63 m.w.N.
352. Schließlich liegen auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse vor.
36Gemäß § 60 Absatz 7 Satz 1 AsylVfG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben oder Freiheit besteht. Leidet der Ausländer bereits vor der Abschiebung unter einer Erkrankung, ist von einer solchen Gefahr auszugehen, wenn sich die Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände nach der Abschiebung voraussichtlich in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht,
37BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 – 1 C 18.05 –, BVerwGE 127,33 = juris, Rn. 15.
38Dies ist der Fall, wenn die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen etwa als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, das heißt eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lässt,
39vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. April 2007 – 13 A 4611/04.A –, juris Rn. 32 = NRWE.
40Die Gefahr einer solchen Gesundheitsbeeinträchtigung besonderer Intensität ist hier nicht ersichtlich. Wie bereits ausgeführt sind keine Umstände ersichtlich oder vorgetragen, die einen Anhaltspunkt dafür geben könnten, dass eine Behandlung der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1.) in Polen ausgeschlossen ist. Vielmehr bestehen in Polen grundsätzlich auch Behandlungsmöglichkeiten (s.o.).
41Dass Polen nach bestandskräftiger Ablehnung der dort gestellten Asylanträge die Asylbewerber in ihr Heimatland zurückführt, ist kein Umstand, der eine Ausnahme vom Verbot der Aussetzung der Abschiebung nach Polen rechtfertigen würde.
42Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 10. Februar 2014 – M 16 S7 14.30157 –, juris, Rn. 12.
43Soweit sich aufgrund gesundheitlicher Erwägungen womöglich eine Abschiebung in den Herkunftsstaat verbieten sollte, ist ein entsprechender Einwand in dem zuständigen Mitgliedstaat, also Polen, zu erheben. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies den Antragstellern nicht möglich sein soll.
44Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
45Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Der Beschluss soll der Ausländerbehörde der Stadt P. per Telefax bekanntgegeben werden.
1
Gründe:
2Der am 10. Dezember 2014 gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage (10 K 8285/14.A) gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. November 2014 anzuordnen,
4hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, insbesondere nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG fristgerecht gestellt, aber unbegründet.
5Bei seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO entscheidet das Gericht aufgrund einer Interessenabwägung zwischen dem Vollzugsinteresse der Behörde und dem Suspensivinteresse des Antragstellers, wobei das erstere regelmäßig überwiegt, wenn der eingelegte Rechtsbehelf wegen Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, und das letztere regelmäßig überwiegt, wenn der Rechtsbehelf wegen Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat.
6Die Abschiebungsanordnung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 14. November 2014 ist offensichtlich rechtmäßig.
7Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
8Das Bundesamt hat die Asylanträge der Antragstellerinnen zu Recht gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzung liegt vor. Da die Antragstellerinnen ihre Asylanträge am 29. Juli 2014 und damit nach dem 1. Januar 2014 gestellt haben, richtet sich die Bestimmung des zuständigen Staates nach der Dublin-III-Verordnung, vgl. Art. 49 Abs. 2 Dublin-III-VO. Danach ist für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerinnen nicht die Antragsgegnerin, sondern die Republik Polen zuständig. Denn am 22. September 2014 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Polen, woraufhin die polnische Behörde am 24. September 2014 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d) Dublin-III-VO erklärte.
9Diese Zuständigkeit ist nicht nach Art. 23 Abs. 3 Dublin-III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen. Nach dieser Vorschrift ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, in dem der neue Antrag gestellt wurde, wenn das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Absatz 2 festgesetzten Frist erfolgt. Die in Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO festgesetzte Frist für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs beträgt zwei Monate nach der Eurodac-Treffermeldung im Sinne von Artikel 9 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 (Eurodac-Verordnung). Diese Frist hat das Bundesamt eingehalten: Die Eurodac-Treffermeldung lag am 30. Juli 2014 vor (vgl. Bl. 43 bis 46 des Verwaltungsvorgangs), das Wiederaufnahmeersuchen wurde spätestens am 24. September 2014 – wenn man zugrundelegt, dass an diesem Tag das undatierte Wiederaufnahmeersuchen von der polnischen Behörde beantwortet wurde – und damit vor Ablauf von zwei Monaten gestellt. Es mag sein, dass – wie die Antragstellerinnen zutreffend bemerken – nach Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO das Wiederaufnahmegesuch vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgebotes so bald wie möglich zu stellen ist. Die von Art. 23 Abs. 3 Dublin-III-VO in Bezug genommene Frist beträgt aber zwei Monate und wurde gewahrt.
10Ebenso VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. August 2014 – 13 L 1645/14.A –, juris Rdnr. 16; VG Aachen, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 7 L 322/14.A –, juris Rdnr. 11, m. w. N. aus der Rspr.
11Die Antragsgegnerin ist auch nicht für die Durchführung des Asylverfahrens nach Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO durch Ausübung des Selbsteintrittsrechts zuständig geworden. Nach Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO kann jeder Mitgliedsstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Diese in das Ermessen des Mitgliedsstaats gestellte Entscheidung setzt ein Verhalten des Mitgliedstaates voraus, das zweifelsfrei den Entschluss des Mitgliedstaates verdeutlicht, das Asylverfahren abweichend vom Regelfallsystem des Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO in eigener Verantwortung durchzuführen.
12Vgl. zur Dublin-II-VO: Bayerischer VGH, Beschluss vom 3. März 2010 – 15 ZB 10.30005 –, juris Rdnr. 3.
13Bestimmte Förmlichkeiten werden dazu von der Dublin-III-Verordnung nicht vorgegeben. Maßgeblich kann daher nur sein, dass die zuständige Stelle (in der Bundesrepublik das Bundesamt) ihre Entschließung in irgendeiner verlässlichen Art und Weise nach außen erkennbar werden lässt.
14Vgl. Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rdnr. 177.
15Gemessen daran hat die Antragsgegnerin ihr Selbsteintrittsrecht nicht ausgeübt. Sie hat an keiner Stelle des Verwaltungsverfahrens ausdrücklich erklärt, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Ob im Einzelfall auch eine „konkludente“ Ausübung des Selbsteintrittsrechts denkbar sein mag, kann dahinstehen.
16Dies bejahend: Bayerischer VGH, Beschluss vom 3. März 2010 – 15 ZB 10.30005 –, juris Rdnr. 4; Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rdnr. 177.
17Denn eine solche „konkludente“ Ausübung müsste ebenso zweifelsfrei den Willen des Mitgliedsstaates erkennen lassen, das Asylverfahren entgegen der Zuständigkeitsverteilung nach der Dublin-III-VO in eigener Zuständigkeit durchzuführen.
18Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 3. März 2010 – 15 ZB 10.30005 –, juris Rdnr. 4; VG Minden, Beschluss vom 23. Januar 2015 – 10 L 1013/14.A –, juris Rdnr. 48; VG Ansbach, Urteil vom 5. November 2009 - AN 5 K 09.30201 - juris Rdnr. 17 und 18;
19Daran fehlt es aber vorliegend. Allein in der durch das Bundesamt am 19. August 2014 durchgeführten Anhörung nach § 25 AsylVfG zu den Asylgründen der Antragstellerin zu 1) hat das Bundesamt nicht zweifelsfrei zu erkennen gegeben, dass es das Selbsteintrittsrecht wahrnehmen wolle.
20Vgl. auch VG Minden, Beschluss vom 23. Januar 2015 – 10 L 1013/14.A –, juris Rdnr. 48; VG Hamburg, Beschluss vom 2. März 2010 – 15 AE 44/10 –, juris; VG Münster, Beschluss vom 4. März 2009 – 9 L 77/09.A –, juris Rdnr. 15; a. A. (allerdings auch bei einem etwas anderen Sachverhalt): VG Hamburg, Beschluss vom 20. August – 8 AE 356/08 –, juris Rdnr. 3 f.
21Daran ändert nichts, dass das Bundesamt vor der Anhörung nach § 25 AsylVfG am 19. August 2014 bereits am 29. Juli 2014 das „persönliche Gespräch“ im Sinne des Art. 5 Dublin-III-VO zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates durchgeführt hatte. Zwar wäre die Einleitung eines Dublin-Verfahrens schon nach diesem persönlichen Gespräch und dem am 30. Juli 2014 erhaltenen Eurodac-Treffer ohne Weiteres möglich gewesen. Davon ausgehend kann aber nicht im Umkehrschluss aus dem Umstand, dass das Bundesamt dies zunächst unterlassen und stattdessen die Anhörung zu den materiellen Asylgründen der Antragstellerin zu 1) durchgeführt hat, darauf geschlossen werden, dass die Antragsgegnerin damit von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen wollte.
22Zunächst verhält sich Art. 5 Dublin-III-VO nicht zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO. Vielmehr lässt die Vorschrift das Selbsteintrittsrecht gerade unberührt, weil das persönliche Gespräch nach Art. 5 Dublin-III-VO nur dazu dient, das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern. Hingegen zeichnet das Selbsteintrittsrecht gerade aus, dass es unabhängig davon ausgeübt wird, welcher Staat nach der Dublin-III-VO rechtlich zuständig wäre, und stattdessen politischen, humanitären oder praktischen Erwägungen im Einzelfall folgt.
23Vor diesem Hintergrund kann im vorliegenden Fall die weitere Anhörung der Antragstellerin zu 1) auch dadurch motiviert gewesen sein, eine breitere Entscheidungsgrundlage für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts zu erlangen, eine solche Entscheidung also nur vorzubereiten. Angesichts dessen, dass sich die Antragstellerin zu 1) in ihrem Asylantrag mit anwaltlichem Schriftsatz vom 3. Juli 2014 unter anderem auch darauf berufen hat, in Polen keine staatliche Unterstützung erhalten zu haben und bedroht worden zu sein, mithin systemische Mängel bei der Unterbringung in Polen beständen, kann die weitere Anhörung der Antragstellerin zu 1) am 19. August 2014 auch dazu gedient haben, nähere Informationen von ihren persönlichen Erlebnissen in Polen zu erhalten und auf dieser Grundlage die Ausübung des Selbsteintrittsrechts näher prüfen zu können. Dementsprechend bezog sich die Befragung auch im Wesentlichen darauf, warum die Antragstellerinnen nicht in Polen bleiben könnten. Dass die Antragstellerin zu 1) daneben auch dazu befragt wurde, warum sie nicht in ihre Heimat Russland zurückkehren könne, ändert nichts daran, dass allein anhand der Befragung die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nicht zweifelsfrei abgeleitet werden kann. Der anhörende Mitarbeiter hat nämlich auch nicht gegenüber der Antragstellerin zu 1) erklärt, dass ihr Asylbegehren inhaltlich-sachlich in der Bundesrepublik geprüft werde, sondern allein, dass sie zu ihrem Verfolgungsschicksal und den Gründen für ihren Asylantrag angehört werde. Im Übrigen kann die Anhörung nach § 25 AsylVfG vorliegend auch nur deshalb erfolgt sein, weil das Bundesamt bereits am 29. Juli 2014 im direkten Anschluss an die Asylantragstellung irrtümlich verfrüht diesen Termin festgelegt hatte. All dies zeigt, dass die Durchführung der Anhörung nach § 25 AsylVfG jedenfalls nicht ausschließlich und damit zweifelsfrei dahin verstanden werden kann, die Antragsgegnerin habe von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen wollen, sondern auch andere mögliche Erklärungen denkbar sind.
24Etwas anderes können die Antragstellerinnen auch nicht aus den von ihnen zitierten Entscheidungen herleiten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 3. März 2010 – 15 ZB 10.30005 – vielmehr betont, dass es von den – soeben gewürdigten – Umständen des Einzelfalls abhänge, ob eine Anhörung des Asylbewerbers zu den Gründen der Verfolgungsfurcht hinreichend zweifelsfrei die Ausübung des Selbsteintrittsrechts zum Ausdruck bringe. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat sich in seinem Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 – zu der hier erheblichen Frage nicht geäußert, sondern in dem anderen Zusammenhang eines verspätet gestellten Übernahmeersuchens lediglich ohne weitere Begründung angedeutet, dass in dem Beginn einer sachlichen Prüfung – ungeachtet dessen, ob dieser hier überhaupt schon angenommen werden kann – durch das Bundesamt die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gesehen werden könnte.
25Schließlich war die Antragsgegnerin auch nicht verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, weil in Polen systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende bestünden. Denn solche bestehen in Polen nicht.
26Vgl. dazu ausführlich mit weiteren Nachweisen: Beschluss des Einzelrichters vom 15. Januar 2015 – 10 L 2636/14.A –.
27Die Abschiebung kann auch durchgeführt werden, § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Insbesondere stehen vom Bundesamt in diesem Rahmen zu prüfende inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe,
28vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2011 – 18 B 1060/11 –, juris,
29mit Blick auf die gesundheitliche Verfassung der Antragstellerin 2) einer Abschiebung nicht entgegen.
30Ein inlandsbezogenes Ausreisehindernis in Form von Reiseunfähigkeit liegt nur vor, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers unmittelbar durch die Ausreise bzw. Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon voraussichtlich wesentlich oder lebensbedrohlich verschlechtern wird.
31Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Mai 2007 – 19 B 352/07 –, juris Rdnr. 5.
32Eine derartige Reiseunfähigkeit der Antragstellerin zu 2) ist nicht belegt. In der Antragsschrift vom 10. Dezember 2014 haben die Antragstellerinnen lediglich behauptet, dass die Antragstellerin zu 2) „wohl“ vom 1. bis 3. Dezember 2014 stationär in P. behandelt worden sei, da sie seit zwei Monaten keine Nahrung mehr zu sich nehme, sondern nur trinke. Eine fundierte ärztliche Aussage zur Reisefähigkeit der Antragstellerin zu 2) liegt jedoch nicht vor. Aus den vorgelegten Attesten des Kinder- und Jugendarztes S. C. vom 9. Dezember 2014 geht lediglich hervor, dass die Antragstellerin zu 2) seit drei Tagen alles erbreche und anhaltend Verstopfung habe sowie die Gabe von Microklist, einem Abführmittel, und gegebenenfalls eine stationäre Aufnahme empfohlen werde. Diese vagen Angaben, die noch nicht einmal eine Diagnose enthalten und die Angaben der Antragstellerinnen, die Antragstellerin zu 2) nehme seit zwei Monaten keine feste Nahrung zu sich, nicht bestätigen, rechtfertigen ohne nähere Angaben aus sich heraus nicht zwangsläufig die Annahme der Reiseunfähigkeit, d. h. dass der konkrete gesundheitliche Zustand der Antragstellerin zu 2) eine Reise nicht erlaube. Die dazu erforderlichen weiteren Angaben haben die Antragstellerinnen entgegen ihrer eigenen Ankündigung und trotz Erinnerung durch das Gericht innerhalb eines Zeitraums von mehr als zwei Monaten nicht vorzulegen vermocht.
33Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG.
34Die Mitteilung des Beschlusses an die Ausländerbehörde beruht auf § 83a AsylVfG.
35Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.