Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 19. Mai 2015 - 6a K 2710/14.A
Tenor
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 2. Juni 2014 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG zuzuerkennen.
Die Kosten des – gerichtskostenfreien – Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 00.00.0000 in Sipan/Armenien geborene Kläger ist nach eigenen Angaben georgischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er ist verheiratet mit der Klägerin des Verfahrens 6a K 2974/14.A, N. E. . Aus der Ehe ist der im Jahre 2008 geborene L. E. hervorgegangen, der ebenfalls Kläger des Verfahrens 6a K 2974/14.A ist. Ein weiteres Kind (B. E. ) ist am 28. November 2014 in Deutschland geboren worden. Ferner hat der Kläger zwei Kinder aus erster Ehe, die in den Jahren 1994 und 1996 geborenen S. und L1. B1. (Kläger der Verfahren 6a K 2709/14.A und 6a K 2711/14.A).
3Im Oktober 2013 reiste der Kläger nach eigenen Angaben mit dem Flugzeug in das Bundesgebiet ein und stellte hier einen Asylantrag.
4Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: „Bundesamt“) vom 28. Oktober 2013 führte der Kläger aus, er sei ehemaliger Jeside, der im Jahre 2002 zum Christentum konvertiert sei. Nach dem Bekanntwerden des Glaubenswechsels hätten er und seine Familie Armenien verlassen müssen und seien nach Tiflis/Georgien gegangen. Anfang 2004 seien das Haus der Familie überfallen und seine erste Frau, M. N1. , von ihrem eigenen Bruder in einer Weise verletzt worden, die zwei Monate später zu ihrem Tod geführt habe. Die Kinder aus erster Ehe litten bis heute an den psychischen Folgen dieser Vorgänge. Er sei dann mit den Kindern nach Novosibirsk gegangen. im Jahre 2005 habe er dort seine jetzige Frau N. E. kennen gelernt. 2008 sei die Familie nach Georgien zurückgekehrt, weil ihr Aufenthalt in Russland nicht mehr geduldet worden sei. In Georgien seien sie immer wieder Schikanen und Repressionen durch Jesiden ausgesetzt gewesen. Im November 2012 habe dann der seinerzeit wegen Mafia- und Drogengeschäften inhaftierte der Bruder seiner ersten Frau angekündigt, er ihn werde nach seiner Entlassung töten. Im Januar 2013 sei sein Geschäft auf dem Markt angezündet worden. Ende Februar 2013 habe in der Nacht ein „Mob“ vor der Tür gestanden. Seine Frau habe sofort die Flucht ergriffen. Er und sein Sohn seien erheblich verletzt worden und hätten zwei Wochen im Krankenhaus verbracht.
5Bei der am 24. März 2014 durchgeführten Anhörung durch das Bundesamt gab der Kläger zu 1. an: Im Jahre 2013 habe er telefonische Drohungen erhalten. Am 15. Januar 2013 sei sein Laden in Brand gesetzt worden; es seien die Leute des jesidischen Vereins „T. B2. “ gewesen. Sie hätten ihn gerufen und als „Verräter“ beschimpft. Er habe daraufhin seiner Frau gesagt, sie müsse ihre Sachen packen und mit den Kindern verschwinden. Seine Frau habe infolge der Ereignisse eine Fehlgeburt erlitten. Er selbst sei geschlagen worden und habe das Bewusstsein verloren. Er sei mit seinem Sohn zehn Tage im Krankenhaus gewesen. Er habe den Übergriff bei der Verwaltung des Marktes angezeigt. Es sei dann auch ein Polizist gekommen und habe ihn zu den Vorgängen befragt. Der Ermittler sei nach einigen Tagen wiedergekommen und habe gesagt, der sie könnten doch nicht alle ins Gefängnis schicken, wenn die Möglichkeit bestehe, solle er das Land verlassen. Er sei dann mit seinem Sohn ebenfalls nach Deutschland ausgereist.
6Mit Bescheid vom 2. Juni 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag und den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet ab. Zudem stellte die Behörde fest, dass der subsidiäre Schutzstatus nicht zuzuerkennen sei und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorlägen. Das Bundesamt forderte den Kläger zur Ausreise binnen einer Woche auf und drohte ihm die Abschiebung nach Georgien, in die Russische Föderation, nach Armenien oder in einen sonstigen aufnahmebereiten Staat an. Zur Begründung führte die Behörde aus: Die Darstellung des Klägers begegne erheblichen Zweifeln. Die von den verschiedenen Familienmitgliedern vorgetragenen Details passten nicht zusammen. Der Kläger habe offenkundig verheimlichen wollen, dass er auch noch armenischer Staatsangehöriger sei. Die geschilderten Vorgänge im Februar 2013 seien ersichtlich nicht kausal für die Ausreise gewesen. Für eine Verfolgung von Christen durch Jesiden in Georgien gebe es keine Anhaltspunkte. Die Anträge seien offensichtlich unbegründet im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 AsylVfG.
7Am 12. Juni 2014 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung er seinen bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Juni 2014 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
10hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 3. bis 5. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Juni 2014 zu verpflichten, ihm subsidiären internationalen Schutz zuzuerkennen,
11hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 4. und 5. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Juni 2014 zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG besteht.
12Die Beklagte beantragt (schriftsätzlich),
13die Klage abzuweisen.
14Sie nimmt Bezug auf die angefochtene Entscheidung.
15Die Kammer hat auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 1. Juli 2014 (6a L 909/14.A) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
16In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger mit Hilfe einer Dolmetscherin für die russische und die georgische Sprache eingehend zu den Vorgängen in Georgien angehört worden.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Klage ist zulässig und begründet.
20Die Entscheidung des Bundesamtes ist hinsichtlich der mit dem Hauptantrag begehrten Flüchtlingsanerkennung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO); der Kläger hat auf der Grundlage der gemäß § 77 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG. Über die Hilfsanträge war unter diesen Umständen nicht zu entscheiden.
21Dass die Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft als „offensichtlich“ im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 AsylVfG nicht haltbar ist, hat die Kammer bereits in ihrem Beschluss vom 1. Juli 2014 betreffend den Eilantrag des Klägers (6a L 909/14.A) dargelegt; daran wird festgehalten.
22Der Kläger hat indes darüber hinaus Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ist – unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben – einem Ausländer dann internationaler Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG in Form der Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr.1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 2a) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2b).
23Von einer „Verfolgung“ kann dabei nur ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen, so dass der davon Betroffene gezwungen ist, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es hingegen regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsstaat zu erleiden hat, etwa in Folge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen.
24Vgl. OVG NRW, Urteile vom 14. Dezember 2010 - 19 A 2999/06.A -, vom 10. Mai 2011 - 3 A 133/10.A -, vom 2. Juli 2013 - 8 A 2632/06.A -, und vom 3. November 2014 - 18 A 2638/07.A -, juris, jeweils mit weiteren Nachweisen und unter maßgeblicher Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 ff.
25Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn sie aufgrund der im Herkunftsland des Klägers gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 (81), OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 - 8 A 4063/06.A -, juris, Rn. 35 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen.
27Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 337, S. 9-26) – sog. Qualifikationsrichtlinie – privilegiert dabei den von ihm erfassten Personenkreis im Falle der Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab.
28Vgl. zur Vorgängerregelung in Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG BVerwG, Urteile vom 7. September 2010 - 10 C 11.09 -, vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 - und vom 1. Juni 2011 - 10 C 10.10 u. 10 C 25.10 -; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 - 8 A 4063/06.A -.
29Es obliegt dem Schutz vor Verfolgung Suchenden, die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft glaubhaft zu machen. Er muss in Bezug auf die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, seinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lückenlos zu tragen. Ein in diesem Sinne schlüssiges Schutzbegehren setzt im Regelfall voraus, dass der Schutz Suchende konkrete Einzelheiten seines individuellen Verfolgungsschicksals vorträgt und sich nicht auf unsubstantiierte allgemeine Darlegungen beschränkt. Er muss nachvollziehbar machen, wieso und weshalb gerade er eine Verfolgung befürchtet. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es regelmäßig, wenn er im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheinen oder er sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere, wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgebend bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst spät in das Asylverfahren einführt.
30Vgl. zu alledem nur OVG NRW, Urteil vom 2. Juli 2013 - 8 A 2632/06.A -, juris, mit weiteren Nachweisen.
31Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft im Falle des Klägers vor. Das Gericht geht davon aus, dass dem Kläger und seiner Familie bei einer Rückkehr nach Georgien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG droht.
32Denn bereits vor ihrer Ausreise aus Georgien ist die Familie des Klägers Opfer von gravierenden Übergriffen gewesen, bei denen Leib und Leben der einzelnen Familienmitglieder ernsthaft gefährdet waren; der Kläger selbst und sein Sohn S. sind bei dem letzten Vorfall, bei dem das Haus der Familie überfallen und in Brand gesetzt worden ist, sogar gravierend verletzt worden. Dass die Vorfälle sich im Wesentlichen so zugetragen haben, wie von dem Kläger, seiner Frau und den beiden volljährigen Kindern in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht geschildert, steht zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Einzelrichter hat alle vier Personen eingehend und unabhängig voneinander über einen Zeitraum von insgesamt annähernd fünf Stunden hinweg befragt. Größere Widersprüche oder Ungereimtheiten sind dabei nicht zutage getreten. Die einzelnen Familienmitglieder – insbesondere die besonders ausführlich befragten Eltern – haben lebendig und detailreich von den maßgeblichen Vorgängen berichtet und ihre Befürchtungen nachvollziehbar dargelegt. Auch von den gegenüber dem Bundesamt abgegebenen Erklärungen weicht der Vortrag des Klägers und seiner Familie im gerichtlichen Verfahren nicht wesentlich ab. Dass die Ausführungen in dem Bescheid vom 2. Juni 2014 zu einem vermeintlichen Täuschungsversuch betreffend die Staatsangehörigkeit des Klägers und den Nachnamen seiner Tochter die Kammer nicht überzeugen, ist bereits in ihrem Beschluss vom 1. Juli 2014 (6a L 909/14.A) erläutert worden.
33Die geltend gemachte Bedrohung durch eine Gruppe besonders religiös eingestellter Jesiden und den dem kriminellen Milieu zuzurechnenden, ebenfalls strenggläubigen Bruder der ersten Ehefrau des Klägers ist auch nicht von vornherein unvereinbar mit den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen über das Jesidentum. Dass die Loyalität zur Familie und zur eigenen Religionsgemeinschaft sowie die Achtung der grundlegenden religiösen Vorgaben in der traditionellen jesidischen Gemeinschaft eine große Rolle spielen und abweichendes Verhalten unter Umständen ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen kann, ist nicht von der Hand zu weisen.
34Vgl. dazu auch VG Aachen, Urteil vom 21. Februar 2013 - 8 K 738/10.A -, juris, mit Nachweisen zur Erkenntnislage.
35Lässt sich somit eine Vorverfolgung des Klägers und seiner Familie in ihrem Heimatland feststellen, so bedürfte es stichhaltiger Gründe dafür, dass von einem Fortbestand der Bedrohungssituation im Falle der Rückkehr nach Georgien nicht mehr auszugehen ist. Derartige Gründe sind weder vom Bundesamt benannt worden, noch sonst ersichtlich.
36Hintergrund der von dem Kläger und seiner Familie erlittenen Übergriffe und der nach wie vor bestehenden Bedrohung ist ihr Wechsel vom Jesidentum zur christlich-orthodoxen Kirche. Die Verfolgung knüpft damit an die religiöse Überzeugung, also an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 AsylVfG genannten Merkmale „politischer Verfolgung“ an.
37Die Bedrohung geht dabei von einem nichtstaatlichen Akteur im Sinne von § 3c Nr. 3 AsylVfG aus, nämlich der von dem Kläger und seiner Familie beschriebenen Gruppe von streng religiösen Jesiden, zu denen auch der Bruder der ersten Ehefrau des Klägers, U. N2. , zählt. Dass der georgische Staat nicht grundsätzlich willens ist, Schutz gegen Übergriffe dieser Gruppe zu gewähren, wird man zwar nicht annehmen können, zumal die georgisch-orthodoxe Kirche nach den vorliegenden Auskünften über die Lage in Georgien einen erheblichen Einfluss auf das staatliche Handeln hat. Angesichts der zwischen den Jesiden in Georgien untereinander bestehenden engen Vernetzung, der Kontakte des Bruders der ersten Ehefrau des Klägers in das kriminelle Milieu und der sonstigen besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles dürfte der georgische Staat aber letztlich nicht in der Lage sein, effektiven Schutz gegen die aufgezeigte Bedrohung zu leisten.
38Die vorgenannten Umstände führen zudem dazu, dass ein interner Schutz im Sinne von § 3e AsylVfG nicht angenommen werden kann. Selbst wenn man unterstellt, dass der Kläger und seine Familie in einem anderen Teil Georgiens eine auskömmliche Existenz finden könnten, lassen die geographische Überschaubarkeit Georgiens, die Anzahl und intensive Vernetzung der dort lebenden Jesiden und die Beziehung des Bruders der ersten Ehefrau des Klägers in das kriminelle Milieu die Bedrohung in Georgien als allgegenwärtig erscheinen.
39Hat die Klage demnach bereits mit dem Hauptantrag Erfolg, so ist über die gestellten Hilfsanträge, die sich auf den subsidiären internationalen Schutz und auf nationale Abschiebungshindernisse beziehen, nicht zu entscheiden.
40Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
41Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 19. Mai 2015 - 6a K 2710/14.A zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage (6a K 2710/14.A) gegen die unter Ziffer 5 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 2. Juni 2014 ausgesprochene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragsgegnerin.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag ist zulässig und begründet.
3Die Klage gegen die in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. Juni 2014 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung hat gemäß § 75 AsylVfG grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG kann das Gericht die aufschiebende Wirkung jedoch anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen.
4Vorliegend bestehen unter Zugrundelegung der jetzigen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, mit dem das C. die Anträge des Antragstellers als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt hat.
5Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylVfG dann offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen. Die Beurteilung als offensichtlich unbegründet ist dann gerechtfertigt, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylantrags geradezu aufdrängt. Erweist sich der Asylantrag als nicht offensichtlich, sondern lediglich schlicht unbegründet, hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
6Vgl. zu alldem BVerfG, Beschlüsse vom 21. Juli 2000 - 2 BvR 1429/98 -, Juris, vom 8. März 1995 - 2 BvR 2148/94 -, DVBl. 1995, 846, und vom 28. April 1994 - 2 BvR 2709/93 -, DVBl. 1994, 921.
7Hat das C. einen Asylantrag allerdings unter Heranziehung von § 30 Abs. 3 Nr. 1 ff. AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt, so bezieht sich die Prüfung, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, in erster Linie auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der betreffenden Normalternative, also des vom C. herangezogenen „Offensichtlichkeitsgrundes“.
8Vgl. nur Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: 2013, § 36 Rdnr. 76; VG Leipzig, Beschluss vom 26. September 2011 - A 1 L 451/11 -, juris.
9Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel daran, dass das C. den Asylantrag gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AsylVfG als offensichtlich unbegründet ablehnen durfte.
10Das C. stützt seine Entscheidung zunächst auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Danach ist ein unbegründeter Antrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird.
11Das C. führt auf Seite 9 des angefochtenen Bescheides zur Begründung der Offensichtlichkeitsfeststellung aus, dass die von dem Antragsteller vorgelegte Taufbescheinigung augenscheinlich nicht mit dem richtigen Namen der Tochter übereinstimme, so dass „dieses Dokument offenkundig nicht den Tatsachen“ entspreche. Sollte damit gemeint sein, dass der Antragsteller falsche Angaben über den Namen seiner Tochter gemacht hat, so bestehen dafür keine durchgreifenden Anhaltspunkte. In allen der Kammer vorliegenden Verfahren ist der Name der Tochter des Antragstellers konsequent mit „B. “ angegeben, dem Namen ihres Vaters. Sollte das C. hingegen der Auffassung sein, in der vorgelegten Taufbescheinigung der Kirchengemeinde T. H. in X. sei ein falscher Name der Tochter des Antragstellers benannt, so erscheint auch dies fraglich. Der dort genannte Name „N. “ ist in den Verwaltungsverfahren der Familie durchweg als der Name der ersten Frau des Antragstellers und Mutter der betreffenden Tochter angegeben worden. Dass die Tochter des Antragstellers sich bei der Taufe auf den Nachnamen ihrer verstorbenen Mutter berufen bzw. die Kirchengemeinde diesen herangezogen hat, erscheint nicht von vornherein abwegig, zumal Vorteile, welche die Familie aus der Benutzung eines „falschen“ Namens gerade in der Taufbescheinigung hätte erlangen können, nicht erkennbar sind.
12Des Weiteren führt das C. auf Seite 9 des Bescheides an, dass die „gesamten Aussagen widersprüchlich“ seien, und nimmt diesbezüglich auf die Begründungspassagen auf Seite 6 f. des Bescheides Bezug. Dort hatte die Behörde ausgeführt, dass die gesamten, von den verschiedenen Familienmitgliedern vorgetragenen Details und Einzelheiten nicht zusammenpassen. Ob die Schilderungen des Antragstellers und der übrigen Familienmitglieder Widersprüche untereinander aufweisen, ist im Rahmen des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG indes nicht von Bedeutung, wie bereits der Gesetzeswortlaut („in sich widersprüchlich“) belegt.
13Vgl. dazu schon das Urteil der Kammer vom 8. Februar 2013 - 6a K 5500/11.A -, juris.
14Schließlich stützt das C. sein Offensichtlichkeitsurteil auf § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG. Danach ist der Antrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert. Das C. erklärt auf Seite 9 seines Bescheides, der Antragsteller habe über seine Staatsangehörigkeit getäuscht, indem er nur die georgische Staatsangehörigkeit benannt habe, während er tatsächlich – ausweislich der Heiratsurkunde – auch die armenische Staatsangehörigkeit besitze. Dieser Vorwurf des C1. ist schon deshalb etwas zweifelhaft, weil das georgische Staatsangehörigkeitsgesetz in Art. 1 Abs. 1 S. 2 eine doppelte Staatsangehörigkeit ausschließt. Der Frage, ob der Antragsteller entgegen dieser Vorschrift wirklich beide Staatsangehörigkeiten besitzt, ist das C. offenbar nicht nachgegangen. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob der Antragsteller seinerseits die – komplizierte – Rechtslage zutreffend bewerten konnte und bewertet hat. Eine Täuschung im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG verlangt bewusst falsche Angaben; keine Täuschung liegt hingegen vor, wenn der Antragsteller infolge einer unzutreffenden rechtlichen Wertung irrtümlich eine falsche Staatsangehörigkeit benennt.
15Vgl. nur Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: 2013, § 30 Rdnr. 82 ff.
16Vor allem aber ist festzustellen, dass der Antragsteller die Heiratsurkunde, aus der sich seine (möglicherweise) doppelte Staatsangehörigkeit ergibt, selbst – und zwar schon Monate vor der Bundesamtsanhörung – vorgelegt hat. Auch hat er bei der Bundesamtsanhörung ohne Weiteres angegeben, dass er in Armenien geboren worden sei und dort bis 2003 gelebt habe. Diese Umstände wecken erhebliche Zweifel an einem Täuschungsvorsatz des Antragstellers und sie hätten im Übrigen Anlass für eine entsprechende Nachfrage sein müssen, wenn das C. eine weitreichende Entscheidung wie das „Offensichtlichkeitsurteil“ an die entsprechende Bekundung knüpfen wollte.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage (6a K 2710/14.A) gegen die unter Ziffer 5 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 2. Juni 2014 ausgesprochene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragsgegnerin.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag ist zulässig und begründet.
3Die Klage gegen die in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. Juni 2014 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung hat gemäß § 75 AsylVfG grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG kann das Gericht die aufschiebende Wirkung jedoch anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen.
4Vorliegend bestehen unter Zugrundelegung der jetzigen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, mit dem das C. die Anträge des Antragstellers als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt hat.
5Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylVfG dann offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen. Die Beurteilung als offensichtlich unbegründet ist dann gerechtfertigt, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylantrags geradezu aufdrängt. Erweist sich der Asylantrag als nicht offensichtlich, sondern lediglich schlicht unbegründet, hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
6Vgl. zu alldem BVerfG, Beschlüsse vom 21. Juli 2000 - 2 BvR 1429/98 -, Juris, vom 8. März 1995 - 2 BvR 2148/94 -, DVBl. 1995, 846, und vom 28. April 1994 - 2 BvR 2709/93 -, DVBl. 1994, 921.
7Hat das C. einen Asylantrag allerdings unter Heranziehung von § 30 Abs. 3 Nr. 1 ff. AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt, so bezieht sich die Prüfung, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, in erster Linie auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der betreffenden Normalternative, also des vom C. herangezogenen „Offensichtlichkeitsgrundes“.
8Vgl. nur Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: 2013, § 36 Rdnr. 76; VG Leipzig, Beschluss vom 26. September 2011 - A 1 L 451/11 -, juris.
9Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel daran, dass das C. den Asylantrag gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AsylVfG als offensichtlich unbegründet ablehnen durfte.
10Das C. stützt seine Entscheidung zunächst auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Danach ist ein unbegründeter Antrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird.
11Das C. führt auf Seite 9 des angefochtenen Bescheides zur Begründung der Offensichtlichkeitsfeststellung aus, dass die von dem Antragsteller vorgelegte Taufbescheinigung augenscheinlich nicht mit dem richtigen Namen der Tochter übereinstimme, so dass „dieses Dokument offenkundig nicht den Tatsachen“ entspreche. Sollte damit gemeint sein, dass der Antragsteller falsche Angaben über den Namen seiner Tochter gemacht hat, so bestehen dafür keine durchgreifenden Anhaltspunkte. In allen der Kammer vorliegenden Verfahren ist der Name der Tochter des Antragstellers konsequent mit „B. “ angegeben, dem Namen ihres Vaters. Sollte das C. hingegen der Auffassung sein, in der vorgelegten Taufbescheinigung der Kirchengemeinde T. H. in X. sei ein falscher Name der Tochter des Antragstellers benannt, so erscheint auch dies fraglich. Der dort genannte Name „N. “ ist in den Verwaltungsverfahren der Familie durchweg als der Name der ersten Frau des Antragstellers und Mutter der betreffenden Tochter angegeben worden. Dass die Tochter des Antragstellers sich bei der Taufe auf den Nachnamen ihrer verstorbenen Mutter berufen bzw. die Kirchengemeinde diesen herangezogen hat, erscheint nicht von vornherein abwegig, zumal Vorteile, welche die Familie aus der Benutzung eines „falschen“ Namens gerade in der Taufbescheinigung hätte erlangen können, nicht erkennbar sind.
12Des Weiteren führt das C. auf Seite 9 des Bescheides an, dass die „gesamten Aussagen widersprüchlich“ seien, und nimmt diesbezüglich auf die Begründungspassagen auf Seite 6 f. des Bescheides Bezug. Dort hatte die Behörde ausgeführt, dass die gesamten, von den verschiedenen Familienmitgliedern vorgetragenen Details und Einzelheiten nicht zusammenpassen. Ob die Schilderungen des Antragstellers und der übrigen Familienmitglieder Widersprüche untereinander aufweisen, ist im Rahmen des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG indes nicht von Bedeutung, wie bereits der Gesetzeswortlaut („in sich widersprüchlich“) belegt.
13Vgl. dazu schon das Urteil der Kammer vom 8. Februar 2013 - 6a K 5500/11.A -, juris.
14Schließlich stützt das C. sein Offensichtlichkeitsurteil auf § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG. Danach ist der Antrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert. Das C. erklärt auf Seite 9 seines Bescheides, der Antragsteller habe über seine Staatsangehörigkeit getäuscht, indem er nur die georgische Staatsangehörigkeit benannt habe, während er tatsächlich – ausweislich der Heiratsurkunde – auch die armenische Staatsangehörigkeit besitze. Dieser Vorwurf des C1. ist schon deshalb etwas zweifelhaft, weil das georgische Staatsangehörigkeitsgesetz in Art. 1 Abs. 1 S. 2 eine doppelte Staatsangehörigkeit ausschließt. Der Frage, ob der Antragsteller entgegen dieser Vorschrift wirklich beide Staatsangehörigkeiten besitzt, ist das C. offenbar nicht nachgegangen. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob der Antragsteller seinerseits die – komplizierte – Rechtslage zutreffend bewerten konnte und bewertet hat. Eine Täuschung im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG verlangt bewusst falsche Angaben; keine Täuschung liegt hingegen vor, wenn der Antragsteller infolge einer unzutreffenden rechtlichen Wertung irrtümlich eine falsche Staatsangehörigkeit benennt.
15Vgl. nur Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: 2013, § 30 Rdnr. 82 ff.
16Vor allem aber ist festzustellen, dass der Antragsteller die Heiratsurkunde, aus der sich seine (möglicherweise) doppelte Staatsangehörigkeit ergibt, selbst – und zwar schon Monate vor der Bundesamtsanhörung – vorgelegt hat. Auch hat er bei der Bundesamtsanhörung ohne Weiteres angegeben, dass er in Armenien geboren worden sei und dort bis 2003 gelebt habe. Diese Umstände wecken erhebliche Zweifel an einem Täuschungsvorsatz des Antragstellers und sie hätten im Übrigen Anlass für eine entsprechende Nachfrage sein müssen, wenn das C. eine weitreichende Entscheidung wie das „Offensichtlichkeitsurteil“ an die entsprechende Bekundung knüpfen wollte.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.