Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 16. Apr. 2015 - 9 L 1421/15
Tenor
1.
Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. August 2012 im Verfahren 9 K 4212/10 wird hinsichtlich der Verpflichtung der Antragstellerin zur Erteilung des positiven Bauvorbescheides bis zum Erlass des Urteils über die Vollstreckungsabwehrklage der Antragstellerin im Verfahren 9 K 913/15 im Wege einstweiliger Anordnung eingestellt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten dieses Anordnungs-verfahrens.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 60.000,- Euro festgesetzt.
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Gründe:
2Der gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 769 Abs. 1 ZPO zulässige Anordnungsantrag ist begründet.
3Gemäß § 769 Abs. 1 ZPO kann das Prozessgericht auf Antrag anordnen, dass bis zum Erlass des Urteils über die in den §§ 767, 768 ZPO bezeichneten Einwendungen die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung eingestellt oder nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt wird und dass Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben sind. Gemäß Satz 2 sind die tatsächlichen Behauptungen, die den Antrag begründen, glaubhaft zu machen. Nach diesen Vorgaben ist es sachgerecht und geboten, die Zwangsvollstreckung aus dem Verpflichtungsurteil im Verfahren 9 K 4212/10 bis zum Erlass des Urteils über die Vollstreckungsabwehrklage im Verfahren 9 K 913/15 einstweilen einzustellen.
4Die von der Antragstellerin erhobene Vollstreckungsgegenklage ist nicht offensichtlich aussichtslos. Die mit ihr geltend gemachten Einwendungen sind grundsätzlich geeignet, der Verpflichtung zur Erteilung des Vorbescheides aus dem Ursprungsurteil entgegenzustehen. Es steht außer Frage und ist im Übrigen zwischen den Verfahrensbeteiligten nach den Erkenntnissen des Vorprozesses unstreitig, dass der Einzelhandelsausschluss unter Nr. 1.2.3 der textlichen Festsetzungen des am 21. November 2014 im Amtsblatt der Antragstellerin bekannt gemachten Bebauungsplanes HM 227 Teil A, 1. Änderung, „Am X. “, sollte er wirksam sein, dem Vorhaben (Lebensmittelvollsortimenter mit 800 qm Verkaufsfläche) entgegenstehen würde. Diese Einwendung ist auch nicht gemäß § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert, weil diese Änderung des Bebauungsplanes erst nach der mündlichen Verhandlung im Ausgangsverfahren und namentlich nach der mündlichen Verhandlung beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17.06.2014 im dortigen Verfahren 2 A 2198/12 und sogar erst nach Abschluss des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens beim Bundesverwaltungsgericht (vgl. Beschluss vom 30.09.2014 im Verfahren BVerwG 4 B 49.14) in Kraft gesetzt worden ist.
5Der Antragsgegner kann der Vollstreckungsabwehrklage der Antragstellerin nach Lage der Dinge auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass ihre Erhebung rechtsmissbräuchlich sei. Richtig ist, dass Vollstreckungsabwehrklagen insoweit Grenzen gesetzt sind, als sie ihrem Wesen nach wegen des Erfordernisses der Rechtssicherheit einen Angriff gegen einen bestehenden Vollstreckungstitel nur in beschränktem Umfang zulassen. In diesem Sinne eingrenzend kann sich der Grundsatz von Treu und Glauben auswirken, insbesondere darf sich der Angriff gegen den bestehenden Vollstreckungstitel nicht als ein Akt unzulässiger Rechtsausübung darstellen,
6-vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1984 – 4 C 53/80 -, juris.
7Vorbehaltlich einer abschließenden Beurteilung im Hauptsacheverfahren ist nach summarischer Einschätzung der Gegebenheiten nicht erkennbar, dass sich die Antragstellerin mit der Erschaffung ihrer vorerwähnten Einwendung und der nachfolgenden Erhebung der Vollstreckungsgegenklage rechtsmissbräuchlich verhalten hat. Insbesondere durfte der Antragsgegner zu keinem Zeitpunkt damit rechnen, dass sich die Antragstellerin mit den Tatsachenurteilen des Verwaltungsgerichts und des Berufungsgerichts abfinden würde, wie sich nicht zuletzt daraus ergibt, dass sie alle Rechtsmittel und selbst die Nichtzulassungsbeschwerde voll ausgeschöpft hat. Im Übrigen entspricht es einer heute allgemeinen Erfahrung im Städtebau und im Planungsrecht, dass sich die Plangeber in laufenden Gerichtsverfahren, in denen die Überprüfung ihrer Bebauungspläne ansteht, strategisch aufstellen, um zunächst die Normenkontrolle oder auch die gerichtliche Inzidentprüfung abzuwarten, um „aus den Fehlern zu lernen“ und ggfls. Bebauungspläne auch nach rechtkräftigem Abschluss der Verfahren nachzubessern. So gesehen ist es in der Immobilienwirtschaft inzwischen gemeinhin bekannt und Basiswissen von Investoren, sich bei den Investitionen und Grundstückskaufentscheidungen nicht allein auf stattgebende Urteile der Tatsachengerichte zu verlassen, sondern regelmäßig zu berücksichtigen, dass es dem politischen Willen des Planungsgebers vorbehalten bleiben kann, ggfls. auch nachträglich noch – notfalls gegen Entschädigung – die planerischen Voraussetzungen zu schaffen, die dem beabsichtigten Vorhaben am Ende entgegenstehen. Ein solches Vorgehen ist umso weniger zu missbilligen, als Bebauungspläne in der Regel komplexe und fehleranfällige Rechtsgebilde sind, ihre endgültige Fehlerhaftigkeit oft erst nach Abschluss der gerichtlichen Instanzenzüge feststeht, sodass es den Plangebern nachzusehen ist, die Nachbesserung ihrer Pläne (erst) auf dieser Erkenntnisgrundlage vorzunehmen, um die städtebaulichen Ziele unter dem jeweiligen politischen Primat im öffentlichen Interesse letztendlich zu verwirklichen.
8Ob die Antragstellerin hier mit dem nachträglich in Kraft gesetzten Bebauungsplan und den beigefügten Hinweisen zu den Schalldämmmaßen sowie der Überarbeitung der einschlägigen Planungskonzepte und Sortimentsliste die richtigen Lehren aus den vorerwähnten Tatsachenurteilen gezogen hat, muss einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben und kann nicht Gegenstand von Prüfungen in Eilverfahren der vorliegenden Art sein.
9Nach alledem geht die Interessenabwägung auch im Übrigen zu Lasten des Antragsgegners aus. Denn würde die Vollstreckung aus dem Ursprungsurteil fortgesetzt und der Vorbescheid für den Lebensmittelvollsortimenter erteilt, würden ggfls. noch vor einer Entscheidung über die Vollstreckungsabwehrklage der Antragstellerin vollendete Tatsachen geschaffen.
10Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird der im Klageverfahren angesetzte Streitwert regelmäßig halbiert.
11Das Interesse der Antragstellerin an der Verwirklichung der Bauleitplanung ist nicht geringen einschätzen, als das Interesse des Antragsgegners am Erhalt des begehrten Bauvorbescheides.
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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
(1) Das Prozessgericht kann auf Antrag anordnen, dass bis zum Erlass des Urteils über die in den §§ 767, 768 bezeichneten Einwendungen die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung eingestellt oder nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werde und dass Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben seien. Es setzt eine Sicherheitsleistung für die Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht fest, wenn der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Rechtsverfolgung durch ihn hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Die tatsächlichen Behauptungen, die den Antrag begründen, sind glaubhaft zu machen.
(2) In dringenden Fällen kann das Vollstreckungsgericht eine solche Anordnung erlassen, unter Bestimmung einer Frist, innerhalb der die Entscheidung des Prozessgerichts beizubringen sei. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist wird die Zwangsvollstreckung fortgesetzt.
(3) Die Entscheidung über diese Anträge ergeht durch Beschluss.
(4) Im Fall der Anhängigkeit einer auf Herabsetzung gerichteten Abänderungsklage gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend.
(1) Einwendungen, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, sind von dem Schuldner im Wege der Klage bei dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges geltend zu machen.
(2) Sie sind nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können.
(3) Der Schuldner muss in der von ihm zu erhebenden Klage alle Einwendungen geltend machen, die er zur Zeit der Erhebung der Klage geltend zu machen imstande war.
Die Vorschriften des § 767 Abs. 1, 3 gelten entsprechend, wenn in den Fällen des § 726 Abs. 1, der §§ 727 bis 729, 738, 742, 744, des § 745 Abs. 2 und des § 749 der Schuldner den bei der Erteilung der Vollstreckungsklausel als bewiesen angenommenen Eintritt der Voraussetzung für die Erteilung der Vollstreckungsklausel bestreitet, unbeschadet der Befugnis des Schuldners, in diesen Fällen Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckungsklausel nach § 732 zu erheben.
(1) Einwendungen, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, sind von dem Schuldner im Wege der Klage bei dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges geltend zu machen.
(2) Sie sind nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können.
(3) Der Schuldner muss in der von ihm zu erhebenden Klage alle Einwendungen geltend machen, die er zur Zeit der Erhebung der Klage geltend zu machen imstande war.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.