Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Beschluss, 20. Okt. 2014 - VGH N 7/14, VGH N 8/14, VGH N 9/14, VGH N 10/14, VGH N 11/14

ECLI:ECLI:DE:VERFGRP:2014:1020.VGHN7.14.0A
bei uns veröffentlicht am20.10.2014

1. Die Zwischenverfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. Richterin Y. ist nicht von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen.

3. Die Selbstablehnung der Richterin Y. wird für begründet erklärt.

Gründe

1

Die Zwischenverfahren, in welchen der Verfassungsgerichtshof entsprechend § 13a Abs. 3 VerfGHG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung des betroffenen Mitglieds entscheidet, betreffen die dienstliche Äußerung der Richterin Y. vom 5. August 2014.

I.

2

1. Die Antragsteller wenden sich in den Ausgangsverfahren mit ihren Anträgen jeweils gegen Landesgesetze vom 20. Dezember 2013, mit denen Neugliederungen im kommunalen Bereich vorgenommen wurden. Im Zuge dieser Gebietsreform erfolgten in mehreren Fällen Eingliederungen von Verbandsgemeinden bzw. einer bislang verbandsfreien Stadt in bestehende Verbandsgemeinden. In einem Fall wurde die Bildung einer neuen Verbandsgemeinde beschlossen.

3

2. Die Richterin Y. hat unter dem 5. August 2014 die folgende dienstliche Äußerung abgegeben:

4

„[Z]u den Verfahren VGH N 7/14, VGH N 8/14, VGH N 9/14, VGH N 10/14 und VGH N 11/14 weise ich vorsorglich auf den Umstand hin, dass ich am 1. August 2014 als Rechtsanwältin in die Kanzlei X. Rechtsanwälte am Standort Z. eingetreten bin.

5

Dieser Umstand könnte nach meiner Überzeugung in den genannten Verfahren die Besorgnis der Befangenheit begründen, da in diesen Verfahren die jeweiligen Antragsteller von der Kanzlei X. vertreten werden. Ich bitte daher um eine Entscheidung nach § 13a Abs. 4 VerfGHG (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 10. Januar 2014 - VGH B 35/12 -, NVwZ-RR 2014, 249 f.).“

6

3. Den Antragstellern sowie den Äußerungsberechtigten (§ 25 Abs. 1 VerfGHG) wurde die dienstliche Äußerung übersandt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Landesregierung und Landtag halten die Selbstablehnung für begründet. Die Antragsteller haben von der Möglichkeit zur Äußerung keinen Gebrauch gemacht.

II.

7

Die Richterin Y. ist von der Mitwirkung in den fünf Normenkontrollverfahren nicht gemäß § 13 VerfGHG kraft Gesetzes ausgeschlossen (1.). Indessen besteht bei vernünftiger Würdigung aller Umstände aus der hier maßgeblichen Sicht der Antragsteller und auch der in diesem Verfahren Äußerungsberechtigten (§ 25 Abs. 1 VerfGHG) Anlass, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der Richterin zu zweifeln (§ 13a VerfGHG) (2.).

8

1. Die Richterin Y. ist in den vorliegenden Verfahren nicht kraft Gesetzes von der Ausübung ihres Richteramtes ausgeschlossen (§ 13 VerfGHG).

9

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VerfGHG ist ein Richter des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er „an der Sache beteiligt“ ist. Eine solche „Beteiligung“ mit der Folge des Ausschlusses von der Ausübung des Richteramtes liegt nach § 13 Abs. 2 VerfGHG nicht vor, wenn der Richter „aufgrund (…) seines Berufs (…) oder aus einem ähnlichen allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist“. Deshalb kann vorliegend dahinstehen, ob die Zugehörigkeit eines nicht berufsrichterlichen Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs als Rechtsanwalt zu derselben Kanzlei, die die Antragsteller vor dem Verfassungsgerichtshof vertritt, überhaupt dazu führt, dass der Richter im Sinne des § 13 Abs. 2 VerfGHG am Ausgang des Verfahrens interessiert ist oder ob diese „Beteiligung“ i.d.R. vielmehr noch unterhalb dieser Schwelle bleibt (vgl. zu § 18 Abs. 2 BVerfGG: BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2000 – 2 BvF 1/100 –, BVerfGE 102, 192 [195]). Der bloße Umstand, dass der Richter derselben Rechtsanwaltskanzlei angehört wie ein Bevollmächtigter in einem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof führt nämlich als eine „bloß“ beruflich veranlasste Beziehung zum konkreten Verfahren nicht zum Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2000
2 BvF 1/100 –, BVerfGE 102, 192 [195] und vom 18. Juni 2003 – 2 BvR
383/03 –, BVerfGE 108, 122 [127]; im Ergebnis auch BayVerfGH, Entscheidung vom 20. Januar 1994 – Vf. 71-IVa-93 –, NVwZ-RR 1995, 58).

10

2. Der von der Richterin Y. angezeigte Umstand gibt allerdings bei vernünftiger Würdigung aller Umstände aus der hier maßgeblichen Sicht der Antragsteller und der Äußerungsberechtigten nachvollziehbar Anlass, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der Richterin zu zweifeln (§ 13a VerfGHG).

11

a) Bei der dienstlichen Äußerung der Richterin Y. handelt es sich um eine Erklärung im Sinne des § 13a Abs. 4 VerfGHG. Diese Bestimmung setzt nicht voraus, dass der Richter sich selbst für befangen hält. Es reicht vielmehr aus, dass er – wie vorliegend – Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit zu treffen (VerfGH RP, Beschlüsse vom 10. Januar 2014 – VGH B 35/12 –, AS 42, 120 [121] und vom 10. Juni 2014
– VGH N 29/14 u.a. –; vgl. zu § 19 Abs. 3 BVerfGG: BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2014 – 1 BvR 471/10 u.a. –, NJW 2014, 1227 [1228] m.w.N.).

12

b) Der von der Richterin Y. mit dienstlicher Äußerung vom 16. April 2014 angezeigte Umstand begründet die Besorgnis der Befangenheit. Er ist geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit der Richterin Y. auszulösen.

13

aa) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters des Verfassungsgerichtshofs setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Maßgeblich ist nicht, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Denn bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es darum, bereits den „bösen Schein“ einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden. Die Anwendung der §§ 13 und 13a VerfGHG garantiert den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV, vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 2. Dezember 2003 – VGH B 13/03 –, AS 31, 85 [97]). Für die Entscheidung über die Selbstablehnung nach § 13a Abs. 4 VerfGHG gilt danach der gleiche Maßstab wie bei der Ablehnung durch Verfahrensbeteiligte nach § 13a Abs. 1 VerfGHG (VerfGH RP, Beschlüsse vom 10. Januar 2014 – VGH B 35/12 –, AS 42, 120 [121] und vom 10. Juni 2014
– VGH N 29/14 u.a.).

14

Eine Besorgnis der Befangenheit i.S.d. § 13a VerfGHG kann allerdings nicht aus den in § 13 Abs. 2 und 3 VerfGHG aufgeführten Gründen hergeleitet werden, die einen Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes ausdrücklich nicht rechtfertigen. Was die in § 13 Abs. 2 VerfGHG aufgeführten Tatbestände anbelangt und damit auch ein Interesse des Richters am Ausgang des Verfahrens „aufgrund (…) seines Berufs (…) oder aus einem ähnlichen allgemeinen Gesichtspunkt“ ergibt sich dies bereits aus der ausdrücklichen Regelung in § 13a Abs. 1 Halbsatz 2 VerfGHG. Es wäre aber auch darüber hinaus ein Wertungswiderspruch, könnte auf die in § 13 Abs. 2 und 3 VerfGHG genannten Ausschlussgründe ohne Weiteres eine Besorgnis der Befangenheit gestützt werden. Es muss daher etwas Zusätzliches hinzukommen, das über diese Ausschlussgründe hinausgeht, damit eine Besorgnis der Befangenheit begründet erscheinen kann (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 10. Januar 2014 – VGH B 35/12 –, AS 42, 120 [121 f.] m.w.N.).

15

bb) Hieran gemessen vermag der Umstand, dass die Richterin Y. als Rechtsanwältin in der Kanzlei tätig ist, die die Antragsteller vor dem Verfassungsgerichtshof vertritt, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richterin auszulösen. Die Beziehung der Richterin Y. zum Gegenstand der Verfassungsstreitverfahren geht über eine allgemeine, in der Regel keine Besorgnis der Befangenheit auslösende „Beteiligung“ hinaus.

16

Anders als im Falle der Zugehörigkeit eines Bevollmächtigten im Verfassungsbeschwerdeverfahren als Richter im 2. Hauptamt zu demselben Spruchkörper, dem ein Richter des Verfassungsgerichtshofs in seinem Hauptamt angehört (vgl. dazu VerfGH RP, Beschluss vom 10. Januar 2014 – VGH B 35/12 –, AS 42, 120 [122 ff.]), stellt die Tätigkeit eines nicht berufsrichterlichen Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs als Rechtsanwalt in der Kanzlei, die die Antragsteller im konkreten verfassungsgerichtlichen Verfahren als Bevollmächtigte vertritt, eine derart enge Verbindung dar, dass die Beteiligten bzw. die Äußerungsberechtigten (§ 25 Abs. 1 VerfGHG) von ihrem Standpunkt aus Grund zu Zweifeln haben können, ob das nicht berufsrichterliche Mitglied Y. bei der Entscheidung unvoreingenommen wäre (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 20. Januar 1994 – Vf. 71-IVa-93 –, NVwZ-RR 1995, 58; VerfG Brandenburg, Beschluss vom 15. Mai 2014
– 17/14 –). Die berufliche Nähe innerhalb der Kanzlei und damit der Richterin des Verfassungsgerichtshofs zu den Bevollmächtigten der Antragsteller in den anhängigen Normenkontrollverfahren gibt begründeten Anlass zur Sorge, dass es dadurch zu einer unzulässigen Einflussnahme auf die Richterin kommen könnte, denn durch diese enge berufliche Beziehung besteht der Anschein, der Bevollmächtigte könnte allein aufgrund dieses Umstands seinen Mandanten zu einem ungerechtfertigten Erfolg verhelfen (vgl. entsprechend BGH, Beschluss vom 15. März 2012 – V ZB 102/11 –, NJW 2012, 1890).

17

Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Richter des Verfassungsgerichtshofs über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, in Unvoreingenommenheit und Objektivität zu entscheiden. Bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es aber bereits darum, den „bösen Schein“ einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2003 – 2 BvR 383/03 –, BVerfGE 108, 122 [129]). Es kann deshalb aus der hier maßgeblichen Sicht der Beteiligten und der Äußerungsberechtigten nicht pauschal darauf vertraut werden, dass eine solche unzulässige Einflussnahme unterbleiben wird (vgl. entsprechend BGH, Beschluss vom 15. März 2012 – V ZB 102/11 –, NJW 2012, 1890). Bei vernünftiger Würdigung aller Umstände besteht wegen ihrer Tätigkeit in der Kanzlei X. Rechtsanwälte hinreichender Anlass, an der Unvoreingenommenheit der Richterin Y. zu zweifeln.

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Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 18


(1) Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er 1. an der Sache beteiligt oder mit einem Beteiligten verheiratet ist oder war, eine Lebenspartnerschaft führt oder führte, in gerader Linie

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 19


(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. (2) Die Ablehnung ist zu

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Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2012 - V ZB 102/11

bei uns veröffentlicht am 15.03.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 102/11 vom 15. März 2012 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 42 Abs. 2 Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn sein Ehegatte als Recht

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(1) Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er

1.
an der Sache beteiligt oder mit einem Beteiligten verheiratet ist oder war, eine Lebenspartnerschaft führt oder führte, in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist oder
2.
in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist.

(2) Beteiligt ist nicht, wer auf Grund seines Familienstandes, seines Berufs, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist.

(3) Als Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gilt nicht

1.
die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren,
2.
die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein kann.

(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(2) Die Ablehnung ist zu begründen. Der Abgelehnte hat sich dazu zu äußern. Die Ablehnung ist unbeachtlich, wenn sie nicht spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärt wird.

(3) Erklärt sich ein Richter, der nicht abgelehnt ist, selbst für befangen, so gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Hat das Bundesverfassungsgericht die Ablehnung oder Selbstablehnung eines Richters für begründet erklärt, wird durch Los ein Richter des anderen Senats als Vertreter bestimmt. Die Vorsitzenden der Senate können nicht als Vertreter bestimmt werden. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 102/11
vom
15. März 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden,
wenn sein Ehegatte als Rechtsanwalt in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner
vor diesem Richter vertritt.
BGH, Beschluss vom 15. März 2012 - V ZB 102/11 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter
Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 18. März 2011 aufgehoben. Das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Oberlandesgericht D. wird für begründet erklärt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 612.000 €.

Gründe:


I.

1
Die Parteien haben gegen ein Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt. Über diese hat ein Senat des Oberlandesgerichts zu entscheiden, dem ein Richter angehört, dessen Ehefrau als Rechtsanwältin in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers tätig ist. Der Richter hat den Parteien gemäß § 48 ZPO von diesem Verhältnis Mitteilung gemacht. Die Beklagte hat den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Oberlandesgericht hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen , mit der die Beklagte ihr Ablehnungsgesuch weiter verfolgt.

II.

2
Das Berufungsgericht meint, allein der Umstand, dass der Ehegatte eines Richters als Rechtsanwalt in der Kanzlei eines der beteiligten Prozessbevollmächtigten tätig sei, vermöge dann keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Richters zu begründen, wenn dessen Ehegatte das Mandat nicht bearbeite und mit der Angelegenheit auch zuvor nicht befasst gewesen sei. Als Teilzeitkraft im Angestelltenverhältnis sei die Ehefrau des Richters von dem Ausgang des Rechtsstreits allenfalls mittelbar betroffen, da sie an den Einnahmen der Sozietät nicht beteiligt sei. Es bestünden auch keine persönlichen Beziehungen zwischen dem Richter und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers, die geeignet seien, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu wecken.

III.

3
Die Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung des Gesuchs auf Ablehnung eines Richters am Oberlandesgericht ist infolge der Zulassung durch das Oberlandesgericht als Berufungsgericht nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO statthaft (BGH, Beschlüsse vom 8. November 2004 - II ZB 24/03, NJW-RR 2005, 294 und vom 5. Februar 2008 - VIII ZB 56/07, NJW-RR 2008, 800; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 46 Rn. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 46 Rn. 14a). Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (vom 27. Juli 2001, BGBl. I, S. 1887) ist die uneinheitliche frühere Regelung, nach der die Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs durch das Landgericht als Berufungsgericht zulässig (§ 567 Abs. 3 Satz 2 ZPO aF), die durch das Oberlandesgericht als Berufungsgericht jedoch unstatthaft (§ 567 Abs. 4 Satz 1 ZPO a.F.) war, beseitigt und durch eine einheitliche, allerdings von einer Zulassung - hier durch das Berufungsgericht - abhängige Rechtsbeschwerde ersetzt worden (BT-Drucks. 14/4722, S. 69 und 116). Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig und hat in der Sache Erfolg.
4
1. Die Frage, ob allein eine Ehe oder nahe Verwandtschaft eines Richters mit einem in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Gegners tätigen Rechtsanwalt für die Partei die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO begründet, ist streitig.
5
a) Nach einigen Stimmen ist das zu bejahen (OLG Schleswig OLGR 2000, 390; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 42 Rn. 13). Zur Begründung wird auf § 20 Abs. 1 Nr. 3 BRAO aF verwiesen. Nach dieser Vorschrift konnte der Ehepartner oder ein Verwandter eines Richters in demselben Gerichtsbezirk grundsätzlich nicht als Rechtsanwalt zugelassen werden, womit das Ziel verfolgt wurde, den Anschein zu vermeiden, dass der Rechtsanwalt allein auf Grund der persönlichen Beziehungen zu dem Richter in der Lage sei, seinem Mandanten zu einem ungerechtfertigten Erfolg zu verhelfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 1994 - AnwZ (B) 53/94, NJW-RR 1995, 1266 und vom 4. Mai 1998 - AnwZ (B) 78/97, NJW-RR 1999, 572). Dieser allgemeine, früher schon der Zulassung des Rechtsanwalts entgegenstehende Gesichtspunkt komme in einem Rechtsstreit für eine Partei besonders zum Tragen, wenn der Ehegatte des Richters in der den Gegner vertretenden Anwaltskanzlei (als Sozius oder als angestellter Rechtsanwalt) tätig sei. Allein dieser Umstand vermöge aus der Sicht einer vernünftigen Partei die Besorgnis zu begründen, dass der Richter bei der Ausübung seines Amts davon beeinflusst sein könnte (OLG Schleswig, aaO). Zudem wird darauf verwiesen, dass eine Partei nicht wissen könne, ob der in der Anwaltskanzlei des Gegners tätige Ehegatte mit der Sache tatsächlich befasst sei oder nicht, da dies die interne Aufgabenverteilung in einer Kanzlei betreffe (Zöller/Vollkommer, aaO).
6
b) Dem steht die Ansicht gegenüber, dass die Ehe des Richters mit einer Rechtsanwältin, die zwar Mitglied der Sozietät oder angestellte Anwältin in der den Gegner vertretenden Kanzlei, aber nicht dessen Prozessbevollmächtigte sei, nicht die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertige; es müssten vielmehr konkrete Anhaltspunkte für eine Befangenheit hinzutreten (KG, NJW-RR 2000, 1164, 1165; OLG Celle, OLGR 1995, 272, 273; OLG Hamburg, OLGR 2005, 406; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 43 Rn. 9; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 42 Rn. 4). Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Annahme der Befangenheit des Richters wegen der Tätigkeit seines Ehegatten in der Kanzlei des Gegners einem gesetzlichen Ausschließungsgrund im Sinne des § 41 ZPO gleichkäme, der Gesetzgeber aber einen solchen Ausschließungstatbestand in den Katalog des § 41 ZPO nicht aufgenommen habe (OLG Celle, aaO). Auch gebe die inzwischen aufgehobene Vorschrift des § 20 BRAO aF für die Auslegung des § 42 ZPO nichts her, da deren Ziel der Schutz der Rechtspflege vor abstrakten Gefährdungen gewesen sei, während es bei der Frage, ob eine Befangenheit des Richters anzunehmen sei, um eine Entscheidung im konkreten Einzelfall unter Zugrundelegung eines parteiobjektiven Maßstabes gehe (OLG Hamburg, aaO).
7
Umstände, welche die Besorgnis der Befangenheit in diesen Fällen rechtfertigen, werden dann angenommen, wenn es infolge der Ehe zu einem Gespräch zwischen dem Richter und dem Prozessvertreter des Gegners über den Rechtsstreit gekommen ist (vgl. KG, NJW-RR 2000, 1164, 1165) oder der als Rechtsanwalt tätige Ehegatte des Richters ein besonderes wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Prozesses hat (vgl. LG Hanau, NJW-RR 2003, 1368 - Rechtsstreit über eine Honorarforderung).
8
c) Der Bundesgerichtshof hat zu der Rechtsfrage noch nicht Stellung genommen. Die Entscheidungen, in denen es um persönliche Beziehungen von Richtern zu Rechtsanwälten ging, betrafen Mitglieder in den Vorinstanzen tätiger Rechtsanwaltskanzleien.
9
2. Der Senat teilt die Ansicht, dass ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, wenn sein Ehegatte als Rechtsanwalt in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner vor diesem Richter vertritt.
10
a) Ein Ablehnungsgrund nach § 42 Abs. 2 ZPO liegt vor, wenn aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (Senat, Beschlüsse vom 2. Oktober 2003 - V ZB 22/03, BGHZ 156, 269, 270 und vom 6. April 2006 - V ZB 194/05, NJW 2006, 2492, 2494 Rn. 26). Dafür genügt es, dass die Umstände geeignet sind, der Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben, da es bei den Vorschriften der Befangenheit von Richtern darum geht, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (BVerfGE, 108, 122, 126 = NJW 2003, 3404, 3405). Die Vorschriften dienen zugleich der Verwirklichung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs der Parteien, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt (vgl. BVerfGE 89, 28, 36; BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 - I ZR 121/92, NJW 1995, 1677, 1678).
11
b) Gemessen daran ist das auf die Tätigkeit der Ehefrau des Richters in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers gestützte Ablehnungsgesuch der Beklagten begründet. Schon die besondere berufliche Nähe der Ehefrau des Richters zu dem Prozessbevollmächtigten des Gegners gibt der Partei begründeten Anlass zur Sorge, dass es dadurch zu einer unzulässigen Ein- flussnahme auf den Richter kommen könnte. Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen ist, dass Richter über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen , die sie befähigen, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden, ist es einer Partei nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, dass eine unzulässige Einflussnahme durch den Gegner unterbleiben wird, und den Richter erst dann abzulehnen, wenn dies doch geschieht und ihr das bekannt wird (zur Begründetheit einer Ablehnung in diesem Falle: vgl. KG, NJW-RR 2000, 1164,

1165).

IV.

12
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Festsetzung des Beschwerdewerts , der hier dem Wert der Hauptsache entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 1968 - IV ZB 2/68, NJW 1969, 796), folgt aus § 3 ZPO. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 19.11.2010 - 1 O 3447/09 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 18.03.2011 - 13 U 62/10 -