Sozialgericht Ulm Urteil, 06. Dez. 2005 - S 2 AL 2720/05

bei uns veröffentlicht am06.12.2005

Tenor

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin verpflichtet ist, für ihre ehemalige Arbeitnehmerin der Beklagten Arbeitslosengeld zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin verpflichtet ist, für ihre ehemalige Arbeitnehmerin der Beklagten Arbeitslosengeld zu erstatten.
Am 18. März 2004 beantragte die 1946 geborene ehemalige Arbeitnehmerin der Klägerin die Gewährung von Arbeitslosengeld. Die Klägerin gab dazu auf der Arbeitsbescheinigung an, dass das mit ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin seit dem 18. November 1968 bestandene Beschäftigungsverhältnis durch Aufhebungsvertrag vom 10. März 2004 zum 30. April 2004 im gegenseitigen Einvernehmen gelöst wurde. Die Kündigungsfrist hatte sechs Monate zum Ende des Vierteljahres betragen. Die ehemalige Arbeitnehmerin gab dazu am 27. April 2004 ergänzend an, dass durch ihre persönlichen und familiären Umstände zum Zeitpunkt ihrer „Kündigung" kein geordnetes Arbeitsverhältnis mehr möglich gewesen war.
Nachdem die Beklagte gegen die ehemalige Arbeitnehmerin der Klägerin mit Bescheid vom 14. Mai 2004 vom 1. Mai 2004 bis zum 23. Juli 2004 eine 12-wöchige Sperrzeit verhängt hatte, fragte sie bei der ehemaligen Arbeitnehmerin mit Schreiben vom 21. Februar 2005 an, ob eine andere Sozialleistungsbezugsberechtigung bestünde, was diese verneinte.
Im Rahmen der Anhörung (§ 24 SGB X) teilte die Klägerin mit Schreiben vom 29. April 2005 mit, dass ihre ehemalige Arbeitnehmerin auf ihren Antrag hin vom 13. Oktober 2003 bis zum 14. Januar 2004 von der Arbeit freigestellt worden sei, um wegen der Erkrankung der Schwiegertochter die Betreuung der Enkelkinder übernehmen zu können. Nach Wiederaufnahme der Arbeit habe die ehemalige Arbeitnehmerin schriftlich darum gebeten, ihr Arbeitsverhältnis zum 30. April 2004 aufzulösen, um sich weiterhin den dringenden familiären Betreuungsaufgaben widmen zu können. Aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelung hätten die maßgeblichen Kündigungsfristen dazu geführt, dass die ehemalige Arbeitnehmerin erst mit einer Frist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres, das heiße, zum 30. September 2004 hätte ausscheiden können. Die Klägerin habe deshalb dem ausdrücklichen Wunsch der ehemaligen Arbeitnehmerin entsprochen, das Arbeitsverhältnis durch Auflösungsvertrag zum 30. April 2004 zu beenden. Leistungen im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses seien weder gezahlt worden, noch bestünde hierauf ein Anspruch. Eine Kündigungsschutzklage sei nicht erhoben worden, da die Beendigung auf den ausdrücklichen Wunsch der ehemaligen Arbeitnehmerin hin erfolgt sei. Es handele sich hier um einen eindeutigen Fall einer Parallele zur Eigenkündigung. Die ehemalige Arbeitnehmerin habe wegen der notwendigen Betreuungsarbeit so schnell wie möglich aus dem Arbeitsverhältnis entlassen werden wollen. Da diese schnelle Umsetzung nicht mit einer Eigenkündigung hätte erreicht werden können, sei es für die ehemalige Arbeitnehmerin das beste Mittel gewesen, ihrem Wunsch auf Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu entsprechen. Die Klägerin legte dazu das Schreiben ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin vom 27. Januar 2004 vor, worin sie aus privaten Gründen ihren Arbeitsvertrag vom 30. April 2004 auflösen wollte.
Mit Bescheid vom 7. Juni 2005 setzte die Beklagte die Erstattungspflicht der Klägerin für die Zeit vom 24. Juli 2004 bis zum 28. Februar 2005 mit insgesamt 4.862,59 EUR fest.
Den dagegen am 24. Juni 2005 eingereichten Widerspruch begründete die Klägerin im Wesentlichen damit, § 147a SGB III hier anzuwenden verstoße gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 1990. Es sei hier nämlich nicht gerechtfertigt, ihr, der Klägerin, eine Erstattungspflicht aufzubürden, wenn sie keinerlei Verantwortung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses trage. Es sei deshalb nicht gerechtfertigt, ihr die sozialen Folgekosten aufzuerlegen. Die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses sei auf den ausschließlichen Wunsch der ehemaligen Arbeitnehmerin hin vorgenommen worden. Außerdem sei deren Stelle wieder besetzt worden. Der ehemaligen Arbeitnehmerin werde ab dem 1. September 2005 die Wiederaufnahme der Beschäftigung mit den gleichen Tätigkeiten angeboten, das Arbeitsverhältnis mit der jetzigen Stelleninhaberin würde dann zum 31. August 2005 beendet werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Erstattungspflicht trete nur dann nicht ein, wenn eine arbeitnehmerseitige Kündigung vorliege. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages, auch auf Drängen des Arbeitnehmers, führe hingegen nicht zum Nichteintritt der Erstattungspflicht.
Dagegen hat die Klägerin am 1. September 2005 Klage zum Sozialgericht Ulm erhoben. Wiederholend hat sie darauf hingewiesen, dass die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses nicht der Verantwortung der Klägerin unterfalle. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei lediglich auf den ausdrücklichen Wunsch der ehemaligen Mitarbeiterin hin erfolgt. Die Form des Aufhebungsvertrages sei nur deshalb gewählt worden, weil die ehemalige Arbeitnehmerin wegen der Betreuung der Kinder ihres Sohnes eine gegenüber der ordentlichen Kündigungsfrist frühere Beendigung gewünscht habe. Die Klägerin sei davon ausgegangen, dass ihre ehemalige Mitarbeiterin keinen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld stellen werde. Nach Mitteilung der Erstattungspflicht habe man dieser angeboten, ihre Tätigkeit in vollem Beschäftigungsumfang wieder aufzunehmen. Auch eine Teilzeitbeschäftigung habe diese aber abgelehnt.
Die Klägerin beantragt,
10 
den Bescheid vom 7. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2005 aufzuheben.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie auf die vorgelegten Leistungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
14 
Die beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Ulm form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Die Klage ist auch begründet, die Klägerin ist nicht zur Erstattung des an ihre ehemalige Arbeitnehmerin gewährten Arbeitslosengeldes verpflichtet. Der angefochtene Bescheid verletzt die Klägerin deshalb in ihren Rechten.
15 
Gemäß § 147a Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 124 Abs. 1 die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 24 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat, der Bundesagentur vierteljährlich das Arbeitslosengeld für die Zeit nach Vollendung des 57. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 32 Monate. Die Erstattungspflicht tritt nach § 147a Abs. 1 Satz 2 SGB III unter anderem dann nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet und weder eine Abfindung noch eine Entschädigung oder ähnliche Leistungen wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten oder zu beanspruchen hat (Ziff. 3).
16 
Unstreitig ist hier, dass die ehemalige Arbeitnehmerin der Klägerin keine Entlassungsentschädigung erhalten hat. Umstritten ist allein, ob der zwischen der Klägerin und ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin geschlossene Aufhebungsvertrag vom 10. März 2004 einer Kündigung im Sinne des § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff 3 SGB III gleichzustellen ist. Dies bejaht die Kammer ausnahmsweise.
17 
Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes tritt die Erstattungspflicht des § 147a SGB III zunächst dann nicht ein, wenn der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet hat. Ansatzpunkt für den vom Gesetzgeber gewollten Eintritt der Erstattungspflicht ist, dass der ehemalige Arbeitgeber die sozialen Folgelasten (teilweise) tragen soll, wenn er das Ausscheiden seines älteren Arbeitnehmers in irgendeiner Form zu verantworten hat. Dies hat er selbstverständlich nicht, wenn der Arbeitnehmer selbst kündigt und der Arbeitgeber dies weder in irgendeiner Weise initiiert noch gefördert hat (Niesel, SGB III, § 147a, Rdnr. 32). Deswegen soll bei der Eigenkündigung des Arbeitnehmers, bei der diese besondere Verantwortungsbeziehung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit zu vermeinen ist, die Erstattungspflicht nicht eintreten. Dieser Gedanke liegt § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III zugrunde.
18 
Zur Überzeugung der Kammer greift § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III aber zu kurz, wenn diese Vorschrift ausschließlich auf die Eigenkündigung des Arbeitnehmers abstellt, andere Fälle aber, in denen die Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers - wie hier - ebenso wenig zu bejahen ist, vom Nichteintritt der Erstattungspflicht ausnimmt. Zwar lehnt das BSG die Einbeziehung anderer Beendigungsformen wie den Aufhebungsvertrag in ständiger Rechtsprechung ab (BSG, Urteil vom 27. Januar 2005 - B 7a / 7 AL 32/04 R - m.w.N.). Das BSG begründet dies im Wesentlichen mit der in den Nrn. 3 bis 5 geforderten Formstrenge, die es verbiete, § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III auf andere Beendigungsformen anzuwenden. Wenn ein Arbeitgeber durch die Abgabe einer auf den Abschluss eines Aufhebungsvertrages gerichteten Willenserklärung einen ursächlichen Beitrag zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geleistet hat, so soll er sich deshalb nicht auf den Befreiungstatbestand berufen können (Niesel, SGB III, § 147a Rdnr. 33).
19 
Diese im Ansatz von der Kammer geteilte Rechtsauffassung steht hier aber ausnahmsweise einer Anwendung des § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III nicht entgegen. Entscheidend muss nämlich immer sein, ob den Arbeitgeber im konkreten Einzelfall eine besondere Verantwortung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit seines (älteren) Arbeitnehmers trifft. Ist dies nicht der Fall, so darf vom Zweck der Norm her die Erstattungspflicht nicht eintreten.
20 
Hier hatte die Klägerin einzig und allein dem nachhaltigen und ausdrücklichen Wunsch ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin auf alsbaldige Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsprochen und sie durch Aufhebungsvertrag aus dem seit 1968 bestandenen Beschäftigungsverhältnis entlassen. Sogar die ehemalige Arbeitnehmerin ging offensichtlich davon aus, dass sie das Arbeitsverhältnis eigentlich selbst durch Kündigung beendet hatte, wie ihre Erklärung vom 27. April 2004 hinreichend deutlich macht. Die Klägerin ist hier lediglich ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihrer Arbeitnehmerin, die aus nachvollziehbaren familiären Gründen auf eine frühest mögliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gedrängt hatte, nachgekommen, sie jetzt mit der Erstattungspflicht zu belegen, liefe Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 1990 (BVerfGE 81, 156) zuwider. Hätte die Klägerin hier auf der Kündigung durch ihre ehemalige Arbeitnehmerin bestanden, so wäre sie nicht mit der Erstattungspflicht belegt worden, letztendlich dann aber allein zum Nachteil ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin. Dass sie dies nicht getan hat, darf ihr jetzt nicht zum Nachteil gereichen. Triebfeder für das klägerische Handeln war es nicht, die ältere Arbeitnehmerin aus im Verantwortungsbereich der Klägerin liegenden Gründen zu Lasten der Sozialkassen in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Dies zeigt schon die Tatsache, dass der Arbeitsplatz neu besteht wurde.
21 
Der Klägerin kann auch nicht der Vorhalt gemacht werden, dass sie die Kündigung der Arbeitnehmerin hätte akzeptieren können, ohne auf die Einhaltung der Kündigungsfrist zu bestehen. Der Klägerin war diese Möglichkeit, wie sie anlässlich des Termin zur mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2005 eingeräumt hat, schlichtweg nicht bekannt. Es darf auch nicht entscheidend sein, ob das Arbeitsverhältnis zum 30. April 2004 dadurch zu Ende gekommen ist, dass die Klägerin mit ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin einen Aufhebungsvertrag geschlossen hat oder deren Kündigung unter Verzicht auf Einhaltung der Kündigungsfrist akzeptiert hätte. Auch im letzten Fall wäre nach der engen Auslegung des BSG der Klägerin eine Berufung auf § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III möglicherweise verwehrt, da sie ja auch in diesem Falle zum Eintritt der Arbeitslosigkeit zu diesem Zeitpunkt einen kausalen Beitrag geleistet hätte. Würde man hingegen in diesem Falle (Kündigung durch Arbeitnehmer unter Verzicht des Arbeitgebers auf Einhaltung der Kündigungsfrist) den Befreiungstatbestand des § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III zur Anwendung kommen lassen, so wäre durch eine juristische Raffinesse der Weg aus der Erstattungspflicht eröffnet, ohne dass sich am eigentlichen Sachverhalt eine Änderung ergeben würde, die dies rechtfertigen könnte.
22 
Nachdem zur Überzeugung der Kammer der Eintritt der Erstattungspflicht hier der Gesetzesintention zuwiderlaufen würde, war der angefochtene Bescheid aufzuheben.
23 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG.

Gründe

 
14 
Die beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Ulm form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Die Klage ist auch begründet, die Klägerin ist nicht zur Erstattung des an ihre ehemalige Arbeitnehmerin gewährten Arbeitslosengeldes verpflichtet. Der angefochtene Bescheid verletzt die Klägerin deshalb in ihren Rechten.
15 
Gemäß § 147a Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 124 Abs. 1 die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 24 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat, der Bundesagentur vierteljährlich das Arbeitslosengeld für die Zeit nach Vollendung des 57. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 32 Monate. Die Erstattungspflicht tritt nach § 147a Abs. 1 Satz 2 SGB III unter anderem dann nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet und weder eine Abfindung noch eine Entschädigung oder ähnliche Leistungen wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten oder zu beanspruchen hat (Ziff. 3).
16 
Unstreitig ist hier, dass die ehemalige Arbeitnehmerin der Klägerin keine Entlassungsentschädigung erhalten hat. Umstritten ist allein, ob der zwischen der Klägerin und ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin geschlossene Aufhebungsvertrag vom 10. März 2004 einer Kündigung im Sinne des § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff 3 SGB III gleichzustellen ist. Dies bejaht die Kammer ausnahmsweise.
17 
Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes tritt die Erstattungspflicht des § 147a SGB III zunächst dann nicht ein, wenn der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet hat. Ansatzpunkt für den vom Gesetzgeber gewollten Eintritt der Erstattungspflicht ist, dass der ehemalige Arbeitgeber die sozialen Folgelasten (teilweise) tragen soll, wenn er das Ausscheiden seines älteren Arbeitnehmers in irgendeiner Form zu verantworten hat. Dies hat er selbstverständlich nicht, wenn der Arbeitnehmer selbst kündigt und der Arbeitgeber dies weder in irgendeiner Weise initiiert noch gefördert hat (Niesel, SGB III, § 147a, Rdnr. 32). Deswegen soll bei der Eigenkündigung des Arbeitnehmers, bei der diese besondere Verantwortungsbeziehung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit zu vermeinen ist, die Erstattungspflicht nicht eintreten. Dieser Gedanke liegt § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III zugrunde.
18 
Zur Überzeugung der Kammer greift § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III aber zu kurz, wenn diese Vorschrift ausschließlich auf die Eigenkündigung des Arbeitnehmers abstellt, andere Fälle aber, in denen die Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers - wie hier - ebenso wenig zu bejahen ist, vom Nichteintritt der Erstattungspflicht ausnimmt. Zwar lehnt das BSG die Einbeziehung anderer Beendigungsformen wie den Aufhebungsvertrag in ständiger Rechtsprechung ab (BSG, Urteil vom 27. Januar 2005 - B 7a / 7 AL 32/04 R - m.w.N.). Das BSG begründet dies im Wesentlichen mit der in den Nrn. 3 bis 5 geforderten Formstrenge, die es verbiete, § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III auf andere Beendigungsformen anzuwenden. Wenn ein Arbeitgeber durch die Abgabe einer auf den Abschluss eines Aufhebungsvertrages gerichteten Willenserklärung einen ursächlichen Beitrag zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geleistet hat, so soll er sich deshalb nicht auf den Befreiungstatbestand berufen können (Niesel, SGB III, § 147a Rdnr. 33).
19 
Diese im Ansatz von der Kammer geteilte Rechtsauffassung steht hier aber ausnahmsweise einer Anwendung des § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III nicht entgegen. Entscheidend muss nämlich immer sein, ob den Arbeitgeber im konkreten Einzelfall eine besondere Verantwortung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit seines (älteren) Arbeitnehmers trifft. Ist dies nicht der Fall, so darf vom Zweck der Norm her die Erstattungspflicht nicht eintreten.
20 
Hier hatte die Klägerin einzig und allein dem nachhaltigen und ausdrücklichen Wunsch ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin auf alsbaldige Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsprochen und sie durch Aufhebungsvertrag aus dem seit 1968 bestandenen Beschäftigungsverhältnis entlassen. Sogar die ehemalige Arbeitnehmerin ging offensichtlich davon aus, dass sie das Arbeitsverhältnis eigentlich selbst durch Kündigung beendet hatte, wie ihre Erklärung vom 27. April 2004 hinreichend deutlich macht. Die Klägerin ist hier lediglich ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihrer Arbeitnehmerin, die aus nachvollziehbaren familiären Gründen auf eine frühest mögliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gedrängt hatte, nachgekommen, sie jetzt mit der Erstattungspflicht zu belegen, liefe Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 1990 (BVerfGE 81, 156) zuwider. Hätte die Klägerin hier auf der Kündigung durch ihre ehemalige Arbeitnehmerin bestanden, so wäre sie nicht mit der Erstattungspflicht belegt worden, letztendlich dann aber allein zum Nachteil ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin. Dass sie dies nicht getan hat, darf ihr jetzt nicht zum Nachteil gereichen. Triebfeder für das klägerische Handeln war es nicht, die ältere Arbeitnehmerin aus im Verantwortungsbereich der Klägerin liegenden Gründen zu Lasten der Sozialkassen in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Dies zeigt schon die Tatsache, dass der Arbeitsplatz neu besteht wurde.
21 
Der Klägerin kann auch nicht der Vorhalt gemacht werden, dass sie die Kündigung der Arbeitnehmerin hätte akzeptieren können, ohne auf die Einhaltung der Kündigungsfrist zu bestehen. Der Klägerin war diese Möglichkeit, wie sie anlässlich des Termin zur mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2005 eingeräumt hat, schlichtweg nicht bekannt. Es darf auch nicht entscheidend sein, ob das Arbeitsverhältnis zum 30. April 2004 dadurch zu Ende gekommen ist, dass die Klägerin mit ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin einen Aufhebungsvertrag geschlossen hat oder deren Kündigung unter Verzicht auf Einhaltung der Kündigungsfrist akzeptiert hätte. Auch im letzten Fall wäre nach der engen Auslegung des BSG der Klägerin eine Berufung auf § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III möglicherweise verwehrt, da sie ja auch in diesem Falle zum Eintritt der Arbeitslosigkeit zu diesem Zeitpunkt einen kausalen Beitrag geleistet hätte. Würde man hingegen in diesem Falle (Kündigung durch Arbeitnehmer unter Verzicht des Arbeitgebers auf Einhaltung der Kündigungsfrist) den Befreiungstatbestand des § 147a Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 SGB III zur Anwendung kommen lassen, so wäre durch eine juristische Raffinesse der Weg aus der Erstattungspflicht eröffnet, ohne dass sich am eigentlichen Sachverhalt eine Änderung ergeben würde, die dies rechtfertigen könnte.
22 
Nachdem zur Überzeugung der Kammer der Eintritt der Erstattungspflicht hier der Gesetzesintention zuwiderlaufen würde, war der angefochtene Bescheid aufzuheben.
23 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG.

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Referenzen - Gesetze

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 197a


(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskosten

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 24 Anhörung Beteiligter


(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. (2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn 1. eine sof

Referenzen

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4.
Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen,
5.
einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen,
6.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen oder
7.
gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll; Nummer 5 bleibt unberührt.

(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.

(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.