Sozialgericht Ulm Urteil, 28. Juni 2005 - S 1 KR 2522/03

bei uns veröffentlicht am28.06.2005

Tatbestand

 
Der Kläger beansprucht von der Beklagten einen elektrischen Aufrichtrollstuhl.
Der 1971 geborene Kläger ist als Rentner Mitglied der Beklagten. Bei ihm besteht als Folge eines Unfalls mit Polytrauma und einer stattgefundenen massiven Fettembolie eine erhebliche cerebrale Schädigung mit einer spastischen Tetraparese sowie Steh- und Gehunfähigkeit. Er bezieht Leistungen der Pflegestufe III. Pflegekraft ist seine ebenfalls 1971 geborene Ehefrau und Betreuerin H. B., für die wegen der zeitaufwändigen Pflege dementsprechend Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung gutgeschrieben werden. Die Beklagte, die den Kläger mit Rollstühlen versorgt, hat ihm seit Juli 1998 einen Freistehbarren (der 8.937,10 DM kostete) zur Verfügung gestellt. Einen Multifunktionsrollstuhl habe er im Jahr 2004 zurückgegeben. Einen neuen Aktivrollstuhl habe er vor einem Monat erhalten; die benötigte und zugesagte Schiebehilfe müsse noch angepasst werden. Der Freistehbarren steht in der Wohnung des Klägers in einem gesonderten Therapie-Raum; zwei Stufen führen zu diesen Raum. Die Ehefrau des Klägers muss zahlreiche Vorbereitungsmaßnahmen treffen, bis der Kläger in dem Barren „steht", um seine 2xtäglich erforderlichen Übungen a 15 Minuten machen zu können.
Mit Bescheinigung vom 29.10.2002 hielt Dr. B., Leitender Arzt der Orthopädischen Klinik München-Harlaching die Versorgung des Klägers mit einem Elektro-Rollstuhl mit Aufsteh- und Liegefunktion für indiziert. Dies sei effektiver als die Versorgung mit Stehständer und Schieberollstuhl. Der Aufricht-Rollstuhl kostete laut Kostenvoranschlag der Firma F. vom 20.12.2002 brutto 20.367,55 EUR. Die Beklagte hielt wegen der bereits vorhandenen Hilfsmittel das begehrte weitere Hilfsmittel nicht für erforderlich und befragte erneut Dr. B., der unter dem 30.05.2003 antwortete.
Mit Bescheid vom 08.07.2003 lehnte die Beklagte die Verschaffung des Aufrichtrollstuhls auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab.
Der Kläger erhob Widerspruch und beschrieb die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des begehrten Hilfsmittels im Vergleich zu einem ortsgebundenen Freistehbarren. Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Bayern ein, dessen Dr. P. im Hinblick auf die bereits vorhandene Hilfsmittelversorgung die Versorgung mit dem in Rede stehenden Hilfsmittel nicht für notwendig hielt. Der Kläger sei eventuell mit einem elektrisch zu betätigenden Freistehbarren zu versorgen. Er sehe keine Notwendigkeit der Versorgung mit einem Elektro-Rollstuhl mit elektrischer Freisteh-, Liege- und Hubvorrichtung.
Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies mit dem Widerspruchsbescheid vom 22.09.2003 den Widerspruch zurück und stützte sich in der Begründung auf das MDK-Gutachten des Dr. P.
Dagegen hat der Kläger schriftlich am 09.10.2003 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm erhoben. Er legt die Bescheinigung des Dr. B. von 11.02.2004 und die Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. V. vom 18.02.2004 vor, aus der hervorgeht, dass es der Ehefrau des Klägers erhebliche Mühe und gesundheitliche Probleme mache, den Kläger zu versorgen. Zur Veranschaulichung des Hilfsmittel verweist der Kläger auf die von ihm vorgelegte Produktbeschreibung der Firma Le., den Therapie-Vorschlag des Logopädischen und interdisziplinären Behandlungs- und Rehabilitationszentrums für Intensiv-Therapie L. vom 28.05.2004, den ergotherapeutischen Abschlußbericht aus L. nach der Behandlung vom 28.07. bis 10.09.2004, den Bericht der Ergotherapeutin K. ohne Datum und den Brief des Orthopäden Dr. E. vom 21.06.2004. Mit dem Aufricht-Rollstuhl könne er am sozialen Leben im Ort teilnehmen und nicht nur sitzend mit den Menschen um sich herum kommunizieren. Der Kläger nahm an der mündlichen Verhandlung vom 28.06.2005 teil und machte - unterstützt durch seine Ehefrau ergänzende Angaben.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22 09 2003 zu verurteilen, ihm einen Stehrollstuhl „LEVO-combi" mit elektrischer Aufricht-Vorrichtung zu verschaffen.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
die Klage abzuweisen.
12 
Die Beklagte hält an ihrem Standpunkt fest und legt das Gutachten des Dr. S. vom MDK Nürnberg vom 26.02.2004, eine Produktbeschreibung des Elektro-Rollstuhls und des Freistehbarrens einschließlich der Stellungnahme des Sanitätshauses F. zu dem Freistehbarren vom 27.07.1998, u.a. das Gutachten des MDK vom 09.08.2000 wegen Feststellung der Schwerstpflegebedürftigkeit und zuletzt wieder ein Gutachten des MDK - Dr. G. - vom 21.04.2005 nach einem Hausbesuch und nach Aktenlage vom 26.04.2005 vor.
13 
Zur weiteren Darstellung des Tatbestands wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
14 
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, sie ist auch begründet.
15 
Der Bescheid der Beklagten vom 08.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2003 ist fehlerhaft und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung muss diese dem Kläger einen Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen (sog. LEVO-Combi) verschaffen.
16 
Der Kläger ist neben weiteren Funktionseinschränkungen geh- und stehunfähig und ist rund um die Uhr auf die Hilfe und Unterstützung durch seine Ehefrau angewiesen. Er muss deshalb - was im Grundsatz von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt wird - nach § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zum Ausgleich dieser Behinderungen mit Hilfsmitteln versorgt werden, deshalb hat die Beklagte den Kläger u.a. auch fortlaufend mit Rollstühlen versorgt. Zuletzt hat sie ihm vor nicht all zu langer Zeit einen neuen Aktivrollstuhl zur Verfügung gestellt; die Schiebehilfe, die dem Kläger ebenfalls bewilligt wurde, muss zum Einsatz an diesem neuen Aktivrollstuhl angepasst werden. Die Beklagte hatte den Kläger ferner bereits im Jahr 1998 mit einem sogenannten Freistehbarren versorgt, an dem Stehübungen durchgeführt werden können und regelmäßig durchgeführte werden sollten. Der vorhandene Freistehbarren reicht in der jetzigen Form nicht mehr aus, er sollte in jedem Fall elektrisch betrieben werden, dies machte bereits Dr. P. in seinem Gutachten deutlich; damit würde auch eine körperliche Belastung der Ehefrau des Klägers vermieden werden.
17 
Mit der vorstehend genannten Versorgung (Rollstuhl einerseits und Freistehbarren ohne elektrische Unterstützung andererseits) aber ist dem sich aus § 33 SGB V ergebenden Anspruch des Klägers auf den erforderlichen und möglichen Behinderungsausgleich nicht hinreichend Rechnung getragen. Der Kläger hat - wie im Jahr 2003 beantragt - Anspruch darauf, dass der Freistehbarren durch einen Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen (LEVO-Combi) ersetzt wird. Dies umso mehr, als dieser Elektro-Rollstuhl neben der Freistehvorrichtung zusätzlich über eine Liege- und Hubvorrichtung verfügt, mithin ein vielfältiges Einsatzfeld abdeckt, worauf der Kläger zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse einen Rechtsanspruch hat. In dem Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenkassen sind allgemein in der Produktgruppe 18.99.03 (1000-1999) elektrisch betriebene Aufrichtrollstühle aufgeführt.
18 
Der vom Kläger begehrte Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen hat im Vergleich zu dem Freistehbarren, der sich seit einigen Jahren in der Wohnung des Klägers befindet, so erhebliche Gebrauchsvorteile, dass die Beklagte mit dem Argument, das in Rede stehende Hilfsmittel sei nicht notwendig oder erforderlich, der Kläger sei mit dem Aktivrollstuhl und dem Freistehbarren ausreichend versorgt, nicht gehört werden kann. Die Beklagte hat dem Kläger vielmehr einen Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen zu verschaffen. Es steht zu erwarten, dass in diesem Fall der Aktivrollstuhl zurückgegeben werden kann.
19 
Nach den Ausführungen des Klägers und insbesondere seiner Ehefrau unter Mitberücksichtigung der Wohnverhältnisse einerseits und der außerordentlichen umständlichen Art, den Kläger für die Nutzung des Freistehbarrens vorzubereiten, ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die mit der Nutzung des Elektro-Rollstuhls verbundenen deutlichen Gebrauchsvorteile so überwiegen, dass das Argument der fehlenden Wirtschaftlichkeit, mit dem die Beklagte die Anschaffung dieses Hilfsmittels bisher versagt hat, in den Hintergrund tritt.
20 
Der derzeit in der Wohnung des Klägers in einem gesonderten Therapieraum vorhandene Freistehbarren kann nur erreicht werden, wenn zunächst mit dem Rollstuhl zwei Treppenstufen überwunden werden. Hier glaubt die Kammer dem Kläger und seiner Ehefrau, in den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen des MDK - sowohl die Leistungen der Pflegekasse als auch der Krankenkasse betreffend - sind diese zwei Stufen bei der Beschreibung der Wohnverhältnisse nicht gesondert erwähnt. Um den Kläger die täglich erforderlichen Übungen am Freistehbarren machen lassen zu können, muss die Ehefrau des Klägers diesen mit einem sehr breiten Gürtel zur Stabilisierung und Befestigung der Wirbelsäule versehen. Dazu muss die Ehefrau des Klägers zunächst an dem Rollstuhl, in dem der Kläger sitzt, die Fußstützen entfernen, um den Kläger nach vorne beugen zu können. Wenn der Kläger nach vorne gebeugt sitzt, kann die Ehefrau des Klägers den breiten Gürtel hinter den Rücken des Klägers bringen, um ihn dann um die Körpermitte zu legen. Dann muss die Ehefrau des Klägers den Kläger wieder in eine aufrechte Sitzposition verbringen, muss seine Arme anheben und darauf achten, dass die Arme angehoben bleiben, damit sie den breiten Gürtel über der Körpermitte des Klägers befestigen kann. Zeitgleich muss sie dafür sorgen, dass die Beine des Klägers wieder in den Fußstützen des Rollstuhls fest sind, damit der Kläger nicht nach unten aus dem Rollstuhl rutscht. Wenn der Gürtel befestigt ist, muss die Ehefrau den Kläger aufrichten und vom Rollstuhl weg und zugleich hin zum Freistehbarren bringen, dazu muss sie ihn aufstellen. Wenn die Ehefrau des Klägers dabei angibt, dass der Kläger sehr häufig aus diesem Gürtel oder aus dem Rollstuhl rutsche, dass die Befestigung am Freistehbarren problematisch ist, weil der Kläger sich unwillkürlich und auf Grund von Spasmen bewege, ist dies glaubhaft. Erst wenn diese Vorbereitungen für den Kläger abgeschlossen sind, kann die Aufstehhilfe zum Einsatz kommen. Wenn der Kläger schließlich im Stehbarren „steht", kann er seine Übungen machen. Die Vorbereitung für die Übungen im vorhandenen Freistehbarren sind mithin außerordentlich zeitaufwändig und kompliziert und für den, der sie für den Kläger durchführen muss, körperlich anstrengend.
21 
Wenn der Kläger hingegen in dem sog. LEVO-Combi sitzt, also in einem Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen, ist er von vorneherein an den entscheidenden und für ihn wesentlichen Punkten fixiert. Das Aufrichten des Klägers zum Stehen geschieht über Knopfdruck, ebenso jede andere gewünschte Positionsveränderung. Dieses Aufrichten kann überall, wo sich der Kläger in diesem Rollstuhl befindet, vorgenommen werden. Es ist nicht erforderlich, dass in der Wohnung dafür ein besonderer Raum bereit gehalten wird. In dem Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen kann der Kläger sowohl zu Hause als auch unterwegs von der sitzenden vor allem in eine stehende Position gebracht werden. Dies ist für ihn zu Befriedigung seiner Grundbedürfnisse wichtig. Er kann die Umwelt aus anderer Position wahrnehmen, ein Positionswechsel kann ohne viele Vorbereitungen durchgeführt werden, was beim Kläger medizinisch wertvoll ist, denn er äußert sehr häufig Sitzschmerzen. Die Positionsveränderung, die mit einer Entlastung der Sitzmuskulatur verbunden ist, ist zur Vermeidung von Schmerzen indiziert, was keiner medizinischen Begründung bedarf, weil dies jedem, der viel sitzt, bekannt - also allgemein bekannt - ist. Die den Kläger allenthalben begleitende Ehefrau hat keine Schwierigkeiten, die Äußerungen des Klägers zu verstehen. Sind solche Beschwerdeäußerungen zu vernehmen, kann der Kläger, wenn er sich im Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen befindet, sofort hingestellt werden, um eine Entlastung der Sitzfläche zu erreichen. Die Kammer hält es nicht für erforderlich, dass der Kläger selbst - d.h. ohne eine andere Person - den LEVO-Combi bedienen können muss.
22 
Die Gebrauchsvorteile des begehrten Hilfsmittels sind offensichtlich und vielfältig.
23 
Der Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen ist mit einer CE-Kennzeichnung versehen, d.h., dieser Rollstuhl ist im Sinne der Produktsicherheit und Zwecktauglichkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne funktionstauglich, ohne dass dies noch einmal zu prüfen wäre. Der Elektro-Rollstuhl von der Firma LEVO AG wurde vom TÜV geprüft. Dies geht aus den vorgelegten Unterlagen des Herstellers hervor.
24 
Abweichend von der Einschätzung der Beklagten, die dem MDK folgt, ist die Kammer zusammengefasst zu der Überzeugung gelangt, dass die mit der Versorgung des neuen Hilfsmittels für den Kläger verbundenen Vorteile gegenüber der bisherigen Versorgung so erheblich sind, dass eine Verschaffung auf Kosten der GKV die Folge ist. Dass der Kläger in einem solchen neuen Hilfsmittel Grundbedürfnisse des täglichen Lebens in erheblich komfortablerem Umfange realisieren kann, liegt auf der Hand.
25 
Der Klage war danach mit der Kostenfolge aus § 193 SGG stattzugeben.

Gründe

 
14 
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, sie ist auch begründet.
15 
Der Bescheid der Beklagten vom 08.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2003 ist fehlerhaft und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung muss diese dem Kläger einen Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen (sog. LEVO-Combi) verschaffen.
16 
Der Kläger ist neben weiteren Funktionseinschränkungen geh- und stehunfähig und ist rund um die Uhr auf die Hilfe und Unterstützung durch seine Ehefrau angewiesen. Er muss deshalb - was im Grundsatz von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt wird - nach § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zum Ausgleich dieser Behinderungen mit Hilfsmitteln versorgt werden, deshalb hat die Beklagte den Kläger u.a. auch fortlaufend mit Rollstühlen versorgt. Zuletzt hat sie ihm vor nicht all zu langer Zeit einen neuen Aktivrollstuhl zur Verfügung gestellt; die Schiebehilfe, die dem Kläger ebenfalls bewilligt wurde, muss zum Einsatz an diesem neuen Aktivrollstuhl angepasst werden. Die Beklagte hatte den Kläger ferner bereits im Jahr 1998 mit einem sogenannten Freistehbarren versorgt, an dem Stehübungen durchgeführt werden können und regelmäßig durchgeführte werden sollten. Der vorhandene Freistehbarren reicht in der jetzigen Form nicht mehr aus, er sollte in jedem Fall elektrisch betrieben werden, dies machte bereits Dr. P. in seinem Gutachten deutlich; damit würde auch eine körperliche Belastung der Ehefrau des Klägers vermieden werden.
17 
Mit der vorstehend genannten Versorgung (Rollstuhl einerseits und Freistehbarren ohne elektrische Unterstützung andererseits) aber ist dem sich aus § 33 SGB V ergebenden Anspruch des Klägers auf den erforderlichen und möglichen Behinderungsausgleich nicht hinreichend Rechnung getragen. Der Kläger hat - wie im Jahr 2003 beantragt - Anspruch darauf, dass der Freistehbarren durch einen Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen (LEVO-Combi) ersetzt wird. Dies umso mehr, als dieser Elektro-Rollstuhl neben der Freistehvorrichtung zusätzlich über eine Liege- und Hubvorrichtung verfügt, mithin ein vielfältiges Einsatzfeld abdeckt, worauf der Kläger zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse einen Rechtsanspruch hat. In dem Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenkassen sind allgemein in der Produktgruppe 18.99.03 (1000-1999) elektrisch betriebene Aufrichtrollstühle aufgeführt.
18 
Der vom Kläger begehrte Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen hat im Vergleich zu dem Freistehbarren, der sich seit einigen Jahren in der Wohnung des Klägers befindet, so erhebliche Gebrauchsvorteile, dass die Beklagte mit dem Argument, das in Rede stehende Hilfsmittel sei nicht notwendig oder erforderlich, der Kläger sei mit dem Aktivrollstuhl und dem Freistehbarren ausreichend versorgt, nicht gehört werden kann. Die Beklagte hat dem Kläger vielmehr einen Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen zu verschaffen. Es steht zu erwarten, dass in diesem Fall der Aktivrollstuhl zurückgegeben werden kann.
19 
Nach den Ausführungen des Klägers und insbesondere seiner Ehefrau unter Mitberücksichtigung der Wohnverhältnisse einerseits und der außerordentlichen umständlichen Art, den Kläger für die Nutzung des Freistehbarrens vorzubereiten, ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die mit der Nutzung des Elektro-Rollstuhls verbundenen deutlichen Gebrauchsvorteile so überwiegen, dass das Argument der fehlenden Wirtschaftlichkeit, mit dem die Beklagte die Anschaffung dieses Hilfsmittels bisher versagt hat, in den Hintergrund tritt.
20 
Der derzeit in der Wohnung des Klägers in einem gesonderten Therapieraum vorhandene Freistehbarren kann nur erreicht werden, wenn zunächst mit dem Rollstuhl zwei Treppenstufen überwunden werden. Hier glaubt die Kammer dem Kläger und seiner Ehefrau, in den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen des MDK - sowohl die Leistungen der Pflegekasse als auch der Krankenkasse betreffend - sind diese zwei Stufen bei der Beschreibung der Wohnverhältnisse nicht gesondert erwähnt. Um den Kläger die täglich erforderlichen Übungen am Freistehbarren machen lassen zu können, muss die Ehefrau des Klägers diesen mit einem sehr breiten Gürtel zur Stabilisierung und Befestigung der Wirbelsäule versehen. Dazu muss die Ehefrau des Klägers zunächst an dem Rollstuhl, in dem der Kläger sitzt, die Fußstützen entfernen, um den Kläger nach vorne beugen zu können. Wenn der Kläger nach vorne gebeugt sitzt, kann die Ehefrau des Klägers den breiten Gürtel hinter den Rücken des Klägers bringen, um ihn dann um die Körpermitte zu legen. Dann muss die Ehefrau des Klägers den Kläger wieder in eine aufrechte Sitzposition verbringen, muss seine Arme anheben und darauf achten, dass die Arme angehoben bleiben, damit sie den breiten Gürtel über der Körpermitte des Klägers befestigen kann. Zeitgleich muss sie dafür sorgen, dass die Beine des Klägers wieder in den Fußstützen des Rollstuhls fest sind, damit der Kläger nicht nach unten aus dem Rollstuhl rutscht. Wenn der Gürtel befestigt ist, muss die Ehefrau den Kläger aufrichten und vom Rollstuhl weg und zugleich hin zum Freistehbarren bringen, dazu muss sie ihn aufstellen. Wenn die Ehefrau des Klägers dabei angibt, dass der Kläger sehr häufig aus diesem Gürtel oder aus dem Rollstuhl rutsche, dass die Befestigung am Freistehbarren problematisch ist, weil der Kläger sich unwillkürlich und auf Grund von Spasmen bewege, ist dies glaubhaft. Erst wenn diese Vorbereitungen für den Kläger abgeschlossen sind, kann die Aufstehhilfe zum Einsatz kommen. Wenn der Kläger schließlich im Stehbarren „steht", kann er seine Übungen machen. Die Vorbereitung für die Übungen im vorhandenen Freistehbarren sind mithin außerordentlich zeitaufwändig und kompliziert und für den, der sie für den Kläger durchführen muss, körperlich anstrengend.
21 
Wenn der Kläger hingegen in dem sog. LEVO-Combi sitzt, also in einem Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen, ist er von vorneherein an den entscheidenden und für ihn wesentlichen Punkten fixiert. Das Aufrichten des Klägers zum Stehen geschieht über Knopfdruck, ebenso jede andere gewünschte Positionsveränderung. Dieses Aufrichten kann überall, wo sich der Kläger in diesem Rollstuhl befindet, vorgenommen werden. Es ist nicht erforderlich, dass in der Wohnung dafür ein besonderer Raum bereit gehalten wird. In dem Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen kann der Kläger sowohl zu Hause als auch unterwegs von der sitzenden vor allem in eine stehende Position gebracht werden. Dies ist für ihn zu Befriedigung seiner Grundbedürfnisse wichtig. Er kann die Umwelt aus anderer Position wahrnehmen, ein Positionswechsel kann ohne viele Vorbereitungen durchgeführt werden, was beim Kläger medizinisch wertvoll ist, denn er äußert sehr häufig Sitzschmerzen. Die Positionsveränderung, die mit einer Entlastung der Sitzmuskulatur verbunden ist, ist zur Vermeidung von Schmerzen indiziert, was keiner medizinischen Begründung bedarf, weil dies jedem, der viel sitzt, bekannt - also allgemein bekannt - ist. Die den Kläger allenthalben begleitende Ehefrau hat keine Schwierigkeiten, die Äußerungen des Klägers zu verstehen. Sind solche Beschwerdeäußerungen zu vernehmen, kann der Kläger, wenn er sich im Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen befindet, sofort hingestellt werden, um eine Entlastung der Sitzfläche zu erreichen. Die Kammer hält es nicht für erforderlich, dass der Kläger selbst - d.h. ohne eine andere Person - den LEVO-Combi bedienen können muss.
22 
Die Gebrauchsvorteile des begehrten Hilfsmittels sind offensichtlich und vielfältig.
23 
Der Elektro-Rollstuhl zum Aufstehen ist mit einer CE-Kennzeichnung versehen, d.h., dieser Rollstuhl ist im Sinne der Produktsicherheit und Zwecktauglichkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne funktionstauglich, ohne dass dies noch einmal zu prüfen wäre. Der Elektro-Rollstuhl von der Firma LEVO AG wurde vom TÜV geprüft. Dies geht aus den vorgelegten Unterlagen des Herstellers hervor.
24 
Abweichend von der Einschätzung der Beklagten, die dem MDK folgt, ist die Kammer zusammengefasst zu der Überzeugung gelangt, dass die mit der Versorgung des neuen Hilfsmittels für den Kläger verbundenen Vorteile gegenüber der bisherigen Versorgung so erheblich sind, dass eine Verschaffung auf Kosten der GKV die Folge ist. Dass der Kläger in einem solchen neuen Hilfsmittel Grundbedürfnisse des täglichen Lebens in erheblich komfortablerem Umfange realisieren kann, liegt auf der Hand.
25 
Der Klage war danach mit der Kostenfolge aus § 193 SGG stattzugeben.

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Referenzen - Gesetze

Sozialgericht Ulm Urteil, 28. Juni 2005 - S 1 KR 2522/03 zitiert 5 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 33 Hilfsmittel


(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen od

Referenzen

(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Die Hilfsmittel müssen mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 2 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte erfüllen, soweit sie im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 1 gelistet oder von den dort genannten Produktgruppen erfasst sind. Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich hängt bei stationärer Pflege nicht davon ab, in welchem Umfang eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft noch möglich ist; die Pflicht der stationären Pflegeeinrichtungen zur Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln, die für den üblichen Pflegebetrieb jeweils notwendig sind, bleibt hiervon unberührt. Für nicht durch Satz 1 ausgeschlossene Hilfsmittel bleibt § 92 Abs. 1 unberührt. Der Anspruch umfasst auch zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringende, notwendige Leistungen wie die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Ein Anspruch besteht auch auf solche Hilfsmittel, die eine dritte Person durch einen Sicherheitsmechanismus vor Nadelstichverletzungen schützen, wenn der Versicherte selbst nicht zur Anwendung des Hilfsmittels in der Lage ist und es hierfür einer Tätigkeit der dritten Person bedarf, bei der durch mögliche Stichverletzungen eine Infektionsgefahr besteht oder angenommen werden kann. Zu diesen Tätigkeiten gehören insbesondere Blutentnahmen und Injektionen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in seiner Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 bis zum 31. Januar 2020 die Tätigkeiten, bei denen eine erhöhte Infektionsgefährdung angenommen werden kann. Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen. § 18 Absatz 6a des Elften Buches ist zu beachten.

(2) Versicherte haben bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen entsprechend den Voraussetzungen nach Absatz 1. Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie

1.
nach ICD 10-GM 2017 auf Grund ihrer Sehbeeinträchtigung oder Blindheit bei bestmöglicher Brillenkorrektur auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 oder
2.
einen verordneten Fern-Korrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als 6 Dioptrien bei Myopie oder Hyperopie oder mehr als 4 Dioptrien bei Astigmatismus
aufweisen; Anspruch auf therapeutische Sehhilfen besteht, wenn diese der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dienen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen therapeutische Sehhilfen verordnet werden. Der Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen umfaßt nicht die Kosten des Brillengestells.

(3) Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen besteht für anspruchsberechtigte Versicherte nach Absatz 2 nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen Kontaktlinsen verordnet werden. Wählen Versicherte statt einer erforderlichen Brille Kontaktlinsen und liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht vor, zahlt die Krankenkasse als Zuschuß zu den Kosten von Kontaktlinsen höchstens den Betrag, den sie für eine erforderliche Brille aufzuwenden hätte. Die Kosten für Pflegemittel werden nicht übernommen.

(4) Ein erneuter Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen nach Absatz 2 besteht für Versicherte, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, nur bei einer Änderung der Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien; für medizinisch zwingend erforderliche Fälle kann der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Ausnahmen zulassen.

(5) Die Krankenkasse kann den Versicherten die erforderlichen Hilfsmittel auch leihweise überlassen. Sie kann die Bewilligung von Hilfsmitteln davon abhängig machen, daß die Versicherten sich das Hilfsmittel anpassen oder sich in seinem Gebrauch ausbilden lassen.

(5a) Eine vertragsärztliche Verordnung ist für die Beantragung von Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 nur erforderlich, soweit eine erstmalige oder erneute ärztliche Diagnose oder Therapieentscheidung medizinisch geboten ist. Abweichend von Satz 1 können die Krankenkassen eine vertragsärztliche Verordnung als Voraussetzung für die Kostenübernahme verlangen, soweit sie auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichtet haben. § 18 Absatz 6a und § 40 Absatz 6 des Elften Buches sind zu beachten.

(5b) Sofern die Krankenkassen nicht auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichten, haben sie den Antrag auf Bewilligung eines Hilfsmittels mit eigenem weisungsgebundenem Personal zu prüfen. Sie können in geeigneten Fällen durch den Medizinischen Dienst vor Bewilligung eines Hilfsmittels nach § 275 Absatz 3 Nummer 1 prüfen lassen, ob das Hilfsmittel erforderlich ist. Eine Beauftragung Dritter ist nicht zulässig.

(6) Die Versicherten können alle Leistungserbringer in Anspruch nehmen, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse sind. Vertragsärzte oder Krankenkassen dürfen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist oder aus medizinischen Gründen im Einzelfall eine Empfehlung geboten ist, weder Verordnungen bestimmten Leistungserbringern zuweisen, noch die Versicherten dahingehend beeinflussen, Verordnungen bei einem bestimmten Leistungserbringer einzulösen. Die Sätze 1 und 2 gelten auch bei der Einlösung von elektronischen Verordnungen.

(7) Die Krankenkasse übernimmt die jeweils vertraglich vereinbarten Preise.

(8) Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, leisten zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Hilfsmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrag zu dem von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrag an die abgebende Stelle. Der Vergütungsanspruch nach Absatz 7 verringert sich um die Zuzahlung; § 43c Abs. 1 Satz 2 findet keine Anwendung. Die Zuzahlung bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt 10 vom Hundert des insgesamt von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrags, jedoch höchstens 10 Euro für den gesamten Monatsbedarf.

(9) Absatz 1 Satz 9 gilt entsprechend für Intraokularlinsen beschränkt auf die Kosten der Linsen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Die Hilfsmittel müssen mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 2 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte erfüllen, soweit sie im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 1 gelistet oder von den dort genannten Produktgruppen erfasst sind. Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich hängt bei stationärer Pflege nicht davon ab, in welchem Umfang eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft noch möglich ist; die Pflicht der stationären Pflegeeinrichtungen zur Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln, die für den üblichen Pflegebetrieb jeweils notwendig sind, bleibt hiervon unberührt. Für nicht durch Satz 1 ausgeschlossene Hilfsmittel bleibt § 92 Abs. 1 unberührt. Der Anspruch umfasst auch zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringende, notwendige Leistungen wie die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Ein Anspruch besteht auch auf solche Hilfsmittel, die eine dritte Person durch einen Sicherheitsmechanismus vor Nadelstichverletzungen schützen, wenn der Versicherte selbst nicht zur Anwendung des Hilfsmittels in der Lage ist und es hierfür einer Tätigkeit der dritten Person bedarf, bei der durch mögliche Stichverletzungen eine Infektionsgefahr besteht oder angenommen werden kann. Zu diesen Tätigkeiten gehören insbesondere Blutentnahmen und Injektionen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in seiner Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 bis zum 31. Januar 2020 die Tätigkeiten, bei denen eine erhöhte Infektionsgefährdung angenommen werden kann. Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen. § 18 Absatz 6a des Elften Buches ist zu beachten.

(2) Versicherte haben bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen entsprechend den Voraussetzungen nach Absatz 1. Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie

1.
nach ICD 10-GM 2017 auf Grund ihrer Sehbeeinträchtigung oder Blindheit bei bestmöglicher Brillenkorrektur auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 oder
2.
einen verordneten Fern-Korrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als 6 Dioptrien bei Myopie oder Hyperopie oder mehr als 4 Dioptrien bei Astigmatismus
aufweisen; Anspruch auf therapeutische Sehhilfen besteht, wenn diese der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dienen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen therapeutische Sehhilfen verordnet werden. Der Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen umfaßt nicht die Kosten des Brillengestells.

(3) Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen besteht für anspruchsberechtigte Versicherte nach Absatz 2 nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen Kontaktlinsen verordnet werden. Wählen Versicherte statt einer erforderlichen Brille Kontaktlinsen und liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht vor, zahlt die Krankenkasse als Zuschuß zu den Kosten von Kontaktlinsen höchstens den Betrag, den sie für eine erforderliche Brille aufzuwenden hätte. Die Kosten für Pflegemittel werden nicht übernommen.

(4) Ein erneuter Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen nach Absatz 2 besteht für Versicherte, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, nur bei einer Änderung der Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien; für medizinisch zwingend erforderliche Fälle kann der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Ausnahmen zulassen.

(5) Die Krankenkasse kann den Versicherten die erforderlichen Hilfsmittel auch leihweise überlassen. Sie kann die Bewilligung von Hilfsmitteln davon abhängig machen, daß die Versicherten sich das Hilfsmittel anpassen oder sich in seinem Gebrauch ausbilden lassen.

(5a) Eine vertragsärztliche Verordnung ist für die Beantragung von Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 nur erforderlich, soweit eine erstmalige oder erneute ärztliche Diagnose oder Therapieentscheidung medizinisch geboten ist. Abweichend von Satz 1 können die Krankenkassen eine vertragsärztliche Verordnung als Voraussetzung für die Kostenübernahme verlangen, soweit sie auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichtet haben. § 18 Absatz 6a und § 40 Absatz 6 des Elften Buches sind zu beachten.

(5b) Sofern die Krankenkassen nicht auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichten, haben sie den Antrag auf Bewilligung eines Hilfsmittels mit eigenem weisungsgebundenem Personal zu prüfen. Sie können in geeigneten Fällen durch den Medizinischen Dienst vor Bewilligung eines Hilfsmittels nach § 275 Absatz 3 Nummer 1 prüfen lassen, ob das Hilfsmittel erforderlich ist. Eine Beauftragung Dritter ist nicht zulässig.

(6) Die Versicherten können alle Leistungserbringer in Anspruch nehmen, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse sind. Vertragsärzte oder Krankenkassen dürfen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist oder aus medizinischen Gründen im Einzelfall eine Empfehlung geboten ist, weder Verordnungen bestimmten Leistungserbringern zuweisen, noch die Versicherten dahingehend beeinflussen, Verordnungen bei einem bestimmten Leistungserbringer einzulösen. Die Sätze 1 und 2 gelten auch bei der Einlösung von elektronischen Verordnungen.

(7) Die Krankenkasse übernimmt die jeweils vertraglich vereinbarten Preise.

(8) Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, leisten zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Hilfsmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrag zu dem von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrag an die abgebende Stelle. Der Vergütungsanspruch nach Absatz 7 verringert sich um die Zuzahlung; § 43c Abs. 1 Satz 2 findet keine Anwendung. Die Zuzahlung bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt 10 vom Hundert des insgesamt von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrags, jedoch höchstens 10 Euro für den gesamten Monatsbedarf.

(9) Absatz 1 Satz 9 gilt entsprechend für Intraokularlinsen beschränkt auf die Kosten der Linsen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.