Sozialgericht Neubrandenburg Urteil, 14. Mai 2014 - S 3 AS 2217/12

bei uns veröffentlicht am14.05.2014

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15.07.09 hob der Beklagte gegenüber den Klägern teilweise Leistungen für Juli 2009 auf. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Am 04.10.2011 beantragten die Kläger die Überprüfung des vorgenannten Bescheides ohne diesen Antrag zu begründen. Mit Bescheid vom 16.08.2012 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Zur Begründung führt der Beklagte aus, dass es Ziel der Regelung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sei, nicht an Entscheidungen festhalten zu müssen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage anders darstelle oder geändert habe. Um dies überprüfen zu können, sei es erforderlich, dass der Leistungsberechtigte zu erkennen gebe, was an der zu überprüfenden Entscheidung fehlerhaft gewesen sein sollte. Werde eine Begründung nicht abgegeben oder werde pauschal darauf verwiesen, dass zu geringe Leistungen bewilligt worden seien, sei nicht ansatzweise etwas vorgebracht, was für die Unrichtigkeit spreche. In diesem Fall dürfe sich die Behörde ohne Sachprüfung darauf berufen, dass der Bescheid bindend geworden sei.

2

Hiergegen haben die nunmehr anwaltlich vertretenen Kläger am 17.09.2012 Widerspruch eingelegt. Der Widerspruch enthielt keine Begründung. Durch Widerspruchsbescheid vom 19.11.2012 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wird in dem Widerspruchsbescheid nochmals ausgeführt, dass durch die Kläger nicht einmal ansatzweise etwas vorgebracht werde, was für die Unrichtigkeit der bestandskräftigen Entscheidung sprechen könnte. Bei fehlenden bzw. vollkommen unsubstantiiert vorgebrachten Angaben bei Überprüfungsanträgen sei eine Verpflichtung der Behörde für eine nochmalige Sachprüfung nicht gegeben und der Verweis auf die Bindungswirkung des Bescheides daher grundsätzlich nicht zu beanstanden.

3

Hiergegen haben die Kläger am 13.12.12 Klage erhoben. Zur Begründung führen sie aus, dass die Behörde aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes nach § 20 Abs. 1 SGB X den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln müsse. Eine weitere Klagebegründung sollte in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen. Nach dreimaliger Aufforderung des Gerichts um Stellungnahme, aus welchen Gründen der zur Überprüfung gestellte Bescheid rechtswidrig sein soll, teilte der Kläger über seine Prozessbevollmächtigte mit, dass bei der Berechnung der Kosten der Unterkunft die Kopfteilmethode nicht beachtet worden sei. Im Verhandlungstermin wurde zudem ausgeführt, dass zu Gunsten des Klägers A. die Versicherungspauschale vom Kindergeld abzuziehen sei. Der leicht adipöse Kläger A. habe ein erhöhtes Unfallrisiko und daher eine Unfallversicherung abgeschlossen. Zudem sei das Pflegekind R. P. als Mitglied der Haushaltsgemeinschaft berücksichtigt worden, obwohl er diese bereits verlassen hatte.

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Die Kläger beantragen,

5

den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15.07.2009 in Gestalt des Überprüfungsbescheides vom 16.08.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2012 aufzuheben, soweit er rechtswidrig ist.

6

Der Beklagte beantragt,

7

die Klage abzuweisen.

8

Er verbleibt bei seiner Argumentation im Widerspruchsbescheid.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet.

10

Der Bescheid des Beklagten vom 16.08.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

11

Der Beklagte hat in seinen angegriffenen Entscheidungen zu Recht darauf hingewiesen, dass die Kläger keinerlei Begründung für ihren Überprüfungsantrag angegeben haben. Es wurde nur pauschal angegeben, dass sie der Meinung seien, dass ihnen mehr Geld zustehen würde. Trotz anwaltlicher Vertretung im Widerspruchs- und Klageverfahren sei nicht angegeben worden, aus welchen Gründen der zur Überprüfung gestellte Bescheid rechtwidrig sein sollte.

12

Der Beklagte hat sich zu Recht ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung seiner bestandskräftigen Bescheide berufen, weil von den Klägern nichts vorgebracht worden sei, was für die Unrichtigkeit der zu überprüfenden Bescheide sprechen könnte.

13

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 20 SGB X. Nach dem klaren Wortlaut des § 20 Abs. 1 S. 2 SGB X bestimmt die Behörde „Art und Umfang der Ermittlungen…“. Sie ist - und zwar auch nach der Kommentierung von Schütze (in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, 2010, § 44 Rn. 39 m.w.N.) - nicht verpflichtet, Akten von sich aus auf Rücknahmemöglichkeiten durchzuarbeiten; aus der Formulierung „im Einzelfall“ ergibt sich vielmehr, dass sich konkret in der Bearbeitung eines Falles ein Anhaltspunkt für eine Aufhebung ergeben muss (Schütze, a.a.O.). Zum anderen gelten auch im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X die allgemeinen Beweisgrundsätze. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen fehlerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten dieses Verwaltungsaktes. Können diese Voraussetzungen nicht festgestellt werden, geht dies zu Lasten des die Überprüfung begehrenden Adressaten (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.09.2011, Az.: L 29 AS 728/11, Schütze, a.a.O., Rn. 12, m.w.N.).

14

Wird nicht einmal die erste von mehreren Stufen eines Überprüfungsverfahrens von einem Kläger erreicht, weil nichts vorgetragen oder ersichtlich ist, was zur Unrichtigkeit der bestandskräftigen Bescheide führen könnte, so ist regelmäßig auch kein Anlass für weitere Ermittlungen zu sehen. Für Gedanken, ob sich ohne jeden Anhaltpunkt die Rechtswidrigkeit der Bescheide erweisen und ein (höherer) Leistungsanspruch ergeben wird, ist insoweit kein Raum (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.09.2011, Az.: L 29 AS 728/11).

15

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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Die Berufung wird gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da die Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen eine Behörde im Fall des nicht näher begründeten Überprüfungsantrags von Amts wegen erneut in die sachliche und rechtliche Prüfung einzusteigen hat, bisher in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt ist.

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Sozialgericht Neubrandenburg Urteil, 14. Mai 2014 - S 3 AS 2217/12 zitiert 5 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes


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(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. (2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch

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(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden.

(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(3) Die Behörde darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.