Sozialgericht München Endurteil, 13. Apr. 2016 - S 30 R 1549/14

bei uns veröffentlicht am13.04.2016

Gericht

Sozialgericht München

Tenor

I.

Die Klage gegen den Bescheid vom 14.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2014 wird abgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Streitig zwischen der Beteiligten ist der versicherungsrechtliche Status der Beigeladenen.

Die Klägerin beantragte am 08.04.2013 bei der Beklagten, den sozialversicherungsrechtlichen Status der am ... 1979 geborenen Beigeladenen festzustellen. Sie arbeitete bei der Klägerin als Doktorandin. Zu ihrer beruflichen Tätigkeit teilte sie mit, es handele sich um wissenschaftliche Forschung im Rahmen einer Doktorarbeit. Dabei sei sie auch in die täglichen Arbeiten der Arbeitsgruppe des Auftraggebers eingebunden. Zu Vorgaben und Kontrolle berichtete sie über Vorträge auf Mitarbeiterbesprechungen über den Stand der Arbeit, regelmäßige Treffen mit dem A-Firma-Betreuer sowie die Teilnahme an Mitarbeiter- und Projektbesprechungen, Zielvereinbarungsgesprächen und Sicherheitsunterweisungen wie alle anderen Mitarbeiter des Auftraggebers in der Arbeitsgruppe auch. Es sei nicht möglich, Materialien außer über A-Firma-Mitarbeiter selbst zu bestellen. Urlaubsabsprachen seien mündlich erfolgt, wobei man sich an die 30-Tage-Urlaubsregelung halten sollte. Für Abwesenheit wegen Krankheit, Messebesuch oder Konferenzen sei eine Abmeldung beim A-Firma-Betreuer notwendig gewesen. Sämtliche Laborarbeiten, Auswertungen etc. müssten in den Räumen des Auftraggebers durchgeführt werden. Alle hierzu benötigten Materialien, Hardware, Software etc. würden von A-Firma gestellt. Das Schreiben der Dissertationsschrift solle auf dem Gelände erfolgen, wobei die Bereitstellung eines Laptops für Heimarbeit in Aussicht gestellt und ab 01.04.2013 realisiert wurde. Der Auftraggeber habe Arbeitskleidung gestellt. Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation sei über Mitarbeiter- und Projektbesprechungen und Mitarbeiter-Sicherheitsunterweisungen erfolgt. Man sei in Organigramme aufgenommen worden und habe A-Firma-interne Schulungen und Seminare besucht. Ein eigener unternehmerischer Auftritt sei ausgeblieben. Es habe keine eigene Werbung, kein eigenes Büro und keine Möglichkeit der Preisgestaltung gegeben, weil eine vertraglich vereinbarte monatliche Vergütung gezahlt werde.

Diese sei nicht an konkrete Leistungserfolge geknüpft, sondern werde monatlich pauschal fällig.

Zur Eingliederung in die Arbeitsorganisation berichtete die Beigeladene noch über die fachliche Weisung durch den Laborleiter, die Abstimmung der Arbeitsinhalte mit ihm, die Arbeit ausschließlich mit Arbeitsmitteln von A-Firma, die Kommunikation über die dortige E-Mail-Adresse und den dortigen Telefonanschluss, die Materialbestellung über A-Firma, die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern, Praktikanten und Auszubildenden von A-Firma, die Aufzeichnung der experimentellen Arbeit entsprechend Vorgaben des Auftraggebers, die Mitarbeit an Projekten gemeinsam mit A-Firma-Angestellten, den Besitz eines blauen Werksausweises im Gegensatz zum rosa Ausweis der Mitarbeiter von Fremdfirmen und über den Rabatt von 50% in der A-Firma-Kantine wie für Auszubildende und Praktikanten.Vorgelegt wurde ein Doktorandenvertrag zwischen der Klägerin und der Beigeladenen für die Zeit von 01.04.2010 bis 31.03.2013. Er enthielt die Vereinbarung einer Vergütung von monatlich EUR 2178,45 nebst einem monatlichen Mietkostenzuschuss in Höhe von EUR 200,00 sowie Erstattung von Fahrtkosten, die zur Aufrechterhaltung des Kontaktes zwischen der Doktorandin und dem Doktorvater notwendig sind. Die im Rahmen der Doktorarbeit gewonnenen Ergebnisse standen ausschließlich A-Firma zur unentgeltlichen, unwiderruflichen und unbeschränkten Nutzung und Verwertung zu. Ein Folgevertrag vom 25.10.2012 verlängerte die Gültigkeit des Doktorandenvertrages bis zum 31.07.2013.

Die Beklagte richtete am 13.05.2013 an die Klägerin 12 und an die Beigeladene 20 ergänzende Fragen. Die Beigeladene skizzierte in der Beantwortung die Zusammenarbeit in der Forschung in Gruppen, bestehend aus selbstständigen Doktoranden, sowie „Post-Docs“, einer technischen Assistentin und jeweils einer Praktikantin (sämtlich Mitarbeiter von A-Firma). Bei wöchentlichen Mitarbeiterbesprechungen hätten die Doktoranden immer anwesend sein und teilweise sogar das Protokoll führen müssen. Die Weisungen des Laborleiters hätten immer befolgt werden müssen. Die Doktoranden wiederum seien in gewissem Maße gegenüber den Praktikanten und Auszubildenden weisungsbefugt gewesen. Zur Arbeitszeit habe es keine festen Regelungen gegeben, doch sei den Doktoranden nahe gelegt gewesen, zwischen 8 und 18 Uhr da zu sein und maximal 30 Tage Urlaub nach Absprache zu nehmen. Eine Arbeit für andere Auftraggeber oder Arbeitgeber sei allein schon aufgrund einer wöchentlichen Inanspruchnahme über 60 Stunden unmöglich gewesen und wäre wohl auch nicht akzeptiert worden. Eine Stellungnahme der Klägerin blieb aus.

Mit Schreiben vom 15.08.2013 hörte die Beklagte die Klägerin und die Beigeladene zu ihrer Absicht an, die Tätigkeit der Beigeladenen für die Klägerin ab 01.04.2010 als abhängige und damit dem Grunde nach sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) festzustellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, zwischen der Klägerin und der Beigeladenen bestehe über den Laborleiter eine hinreichende Weisungsbefugnis. Die Arbeitszeit sei vorgegeben. Die Tätigkeit werde in der Betriebsstätte ausgeübt. Arbeitsplatz, Arbeitsmittel und Arbeitskleidung würden durch die Klägerin gestellt. Es werde ein erfolgsunabhängiges Pauschalentgelt gezahlt. Für die Auftragnehmerin bestehe kein unternehmerisches Risiko. Gegenüber diesen Merkmalen für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis seien keine Merkmale für eine selbstständige Tätigkeit erkennbar.

Gegenvorstellungen der Klägerin stellten die Fertigung der Doktorarbeit im dortigen Unternehmen als selbstständige Tätigkeit mit umfassender Unterstützung durch Material, Räumlichkeiten und fachliche Ansprechpartner dar. Darüber hinaus gewähre man einen Zuschuss zum Lebensunterhalt.

Erstellung und Qualität der Doktorarbeit würden allein der Verantwortung des jeweiligen Doktoranden sowie der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit unterliegen. Die Beigeladene habe kein Forschungsprojekt des Unternehmens betreut, sondern eine eigene wissenschaftliche Bearbeitung ausgeführt. Fachliche Weisungen habe sie nicht erhalten; sie habe eigenverantwortlich entschieden, wann und wo sie sich mit ihrer Dissertation auseinandersetzte; eine Anwesenheitspflicht habe nicht bestanden. Das Dissertationsthema sei nicht durch das Unternehmen vorgegeben gewesen. Eine Vorlagepflicht habe erst bei Abschluss der Dissertation bestanden. Es habe keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und keinen Urlaubsanspruch gegeben. Es bestehe kein schriftlicher Arbeitsvertrag, sondern ein Doktorandenvertrag über die Erstellung einer Dissertation mit Unterstützung des Unternehmens. Weder vertraglich noch nach mündlicher Weisung seien ein Tätigkeitsort oder eine Arbeitszeit bestimmt worden. Aus sicherheitstechnischen Gründen sei bei Arbeiten im Labor eine bestimmte Kleidung vorgeschrieben, die zur Verfügung gestellt werde. Dabei handele es sich nicht um Arbeitsmittel oder Arbeitskleidung im eigentlichen Sinne. Eine Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern und eine Teilnahme an Besprechungen habe stattgefunden, soweit sie für den wissenschaftlichen Austausch aus Sicht der Beigeladenen erforderlich gewesen sei.

Mit Bescheid vom 14.09.2013 stellte die Beklagte wie angekündigt fest, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit für die Klägerin im Rahmen eines dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt habe. Sie sei in die Arbeitsorganisation ihres Auftraggebers eingebunden gewesen, der Auftraggeber habe ihr einseitig im Wege des Direktionsrechts Weisungen über Zeit, Dauer und Ort der zu beurteilenden Tätigkeit sowie über die Art und Weise ihrer Durchführung gegeben.

Der Widerspruch hiergegen skizzierte die wissenschaftliche Thematik der Dissertation der Beigeladenen. Die Arbeit habe aus organisatorischen Gründen nur nach koordinierender Abstimmung durch verschiedene Personen erfolgen können. Es habe keine Verpflichtung bestanden, an Projektbesprechungen teilzunehmen. Die monatliche Unterstützung zum Lebensunterhalt stelle keine Gegenleistung für eine erbrachte Tätigkeit dar. Vielmehr solle sie den Doktoranden ermöglichen, sich auf die Erstellung der Doktorarbeit zu konzentrieren. Darüber hinaus erfolge sie im Hinblick auf die Übertragung der Verwertungsrechte der Dissertation. Selbstverständlich habe die Beigeladene ihre Arbeit höchstpersönlich erbringen müssen. Andernfalls habe die Doktorarbeit nicht den Anforderungen genügen können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie verwies auf ältere Rechtsprechung zum Beschäftigtenstatus von Doktoranden.

Nach dem Willen der Beteiligten habe zwar ein Anstellungsverhältnis ausdrücklich vermieden werden sollen, doch könne dies das Zustandekommen einer Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne nicht verhindern, da die sozialversicherungsrechtliche Einordnung des jeweiligen Vertragsverhältnisses nicht der Disposition der Vertragsparteien unterliege. Es sei reine Vertragsrhetorik, wenn festgelegt sei, dass die Beigeladene bei der Durchführung der übertragenen Tätigkeiten oder den Arbeitszeiten keinen Weisungen unterliegt. Dies entspreche offenkundig nicht der tatsächlichen Handhabung, da die Beigeladene ihre Dienstleistung unter Einhaltung der vom Auftraggeber vorgegebenen Leistungsstandards zu erbringen haben dürfte. Alle von ihr erbrachten Leistungen seien innerhalb eines fremdbestimmten Rahmens erfolgt. Sie habe sich nur innerhalb eines durch Arbeitsort, Arbeitszeit, Laborinfrastruktur und Sicherheitsbestimmungen vorgegebenen Rahmens bewegen können. Hierbei seien organisatorische und fachliche Abstimmungen mit den Mitarbeitern des Auftraggebers notwendig gewesen. Ein durch Kapitaleinsatz geprägtes unternehmerisches Risiko habe für die Beigeladene nicht bestanden.

Die Klage hält an der Betrachtungsweise des Tätigwerdens der Beigeladenen als Selbstständigkeit fest. Sämtliche örtliche, zeitliche und organisatorische Einbindungen seien nur durch die Begrenzung der Laborzeiten und die Sicherheitsbestimmungen bedingt, nicht jedoch durch eine betriebliche Eingliederung der Beigeladenen. Sie habe auch keiner Arbeitszeiterfassung und keiner fachlichen Weisung unterlegen. Der Austausch mit Mitarbeitern zum Zwecke der Doktorarbeit und die Teilnahme an Besprechungen seien der Beigeladenen freigestellt gewesen. Die Vergütung könne der Höhe nach nur als Aufwandsentschädigung und Zuschuss zum Lebensunterhalt betrachtet werden.

Beigefügt war eine Ablichtung der Bundestagsdrucksache 17/9639 vom 14.05.2012. Darin hatte die Bundesregierung eine kleine Anfrage über die Beschäftigungssituation von Promovierenden in außeruniversitären Forschungseinrichtungen beantwortet. Die Bundesregierung hatte in der Beantwortung drei Modelle für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses gegenübergestellt, nämlich ein Promotionsstipendium, einen Arbeitsvertrag zwischen den Promovierenden und der Forschungseinrichtung und (wie vorliegend) einen Doktoranden- oder Fördervertrag.

Dieser begründe eine Beschäftigung mit Arbeitspflicht für die wissenschaftliche Nachwuchskraft, die in die aktuellen Forschungsaktivitäten der Einrichtung integriert ist und (Forschungs-) Aufgaben weisungsgebunden zu erledigen hat.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung wurde die Beigeladene zu den Bedingungen ihrer Tätigkeit bei der Klägerin befragt. Sie teilte mit, ihr Promotionsthema sei nicht frei wählbar gewesen und habe zur Gruppe passen müssen. Sie sei zur Anwesenheit verpflichtet gewesen und wäre bei Abwesenheit sofort nach den Gründen gefragt worden.Zur Teilnahme an Mitarbeiterbesprechungen sei sie genauso verpflichtet gewesen wie die promovierten Kollegen. Sie habe Einladungen zu Besprechungen als verbindlich empfunden, könne sich aber an den genauen Wortlaut nicht mehr erinnern. Die Besprechungen seien gegenüber den Chefs, den promovierten Kolleginnen und Kollegen und den Doktoranden in gleicher Weise kommuniziert worden.

Die Klägerin beantragte Einräumung einer Schriftsatzfrist zur neuerlichen Einlassung der Beigeladenen und die Einvernahme bereits benannter Zeugen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 17.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2014 aufzuheben und festzustellen, dass bei der Tätigkeit der Beigeladenen keine abhängige Beschäftigung vorlag.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig.

Sie ist jedoch nicht begründet. § 7 a Abs. 1 S. 1 SGB IV ermöglicht ein Anfrageverfahren über die Frage einer strittigen Beschäftigung in Abgrenzung zu einer selbstständigen Tätigkeit. Abs. 1 S. 3 der Vorschrift begründet eine bundesweite Sonderzuständigkeit der Beklagten für entsprechende Statusfeststellungen. Nach Abs. 2 der Vorschrift entscheidet die Beklagte aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt.

Das Gericht konnte den Rechtsstreit auf der Basis des vorhandenen Materials und der bisherigen Äußerungen entscheiden und eine Vertagung zur Fortsetzung der Beweiserhebung ablehnen. Anders als von der Klägerin dargestellt kommt es nämlich nicht entscheidend darauf an, mit welcher förmlichen oder nichtförmlichen Verbindlichkeit die Beigeladene beispielsweise zu Besprechungen geladen worden ist. Eine in der mündlichen Verhandlung Zeugeneinvernahme angeklungene geradezu kriminalistische Detailgenauigkeit insoweit ist nicht streitentscheidend.

Bereits die unstrittigen grundsätzlichen Rahmenbedingungen des Tätigwerdens der Beigeladenen lassen ein kaum mehr korrigierbares Bild einer abhängigen Beschäftigung entstehen. Wenn ein Unternehmen oder auch eine Behörde jemanden im allerweitesten eigenen Produktions- oder Dienstleistungsspektrum, in der Erhaltung oder Verbesserung der betrieblichen Struktur oder in der Förderung und Fortbildung des Personals in großer Regelmäßigkeit arbeiten lässt und dafür ein entsprechendes regelmäßiges festes Entgelt ohne Orientierung an konkreten Einzelleistungen oder Erfolgen bezahlt, ist der Grundtypus einer Beschäftigung nach der äußerst kurzen Legaldefinition des § 7 Abs. 1 SGB IV bereits verwirklicht, und zwar ganz unabhängig von der Frage, ob in einem schriftlichen Vertrag typische arbeitsrechtliche Begriffe enthalten sind. Allein schon aufgrund der selbstverständlichen Verantwortung gegenüber den Eigentümern eines Unternehmens ist zu unterstellen, dass ein regelmäßiges Entgelt in Anerkennung eines benennbaren betriebswirtschaftlichen Nutzens erbracht wird. Die Klägerseite selbst hat mit der Beibringung einer Bundestagsdrucksache die alternative Möglichkeit eines Stipendiums benannt, das jedoch definitionsgemäß nur in Betracht kommt, wenn die fördernde Institution ganz ausdrücklich und typischerweise satzungsgemäß eine Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ohne jeden eigenen Vorteil erbringen will. Vorliegend bedingt sich A-Firma jedoch ganz explizit die vollständige wirtschaftliche Verwertung der Dissertation aus.

Damit steht das erbrachte Entgelt im unmittelbaren ökonomisch relevanten Austausch zu einer wissenschaftlichen Gegenleistung. Dass die konkrete Nutzbarkeit der jeweiligen Doktorarbeiten recht unterschiedlich ausfallen kann, liegt in der Natur der grundsätzlichen Offenheit von Forschungsarbeiten im Spektrum zwischen langfristig wertvoller Grundlagenarbeit, zügiger Beantwortung aktueller Fragestellungen und einer möglicherweise als Reserve angelegten ergänzenden Abdeckung von Randthemen.

Ein Entgelt von EUR 2178,45 nebst einem Mietkostenzuschuss von EUR 200,00 kann im breiten Umfeld von Tariflöhnen und Beamtenbesoldungen keineswegs nur als „Unterhaltszuschuss“ gelten. Wissenschaftlicher Nachwuchs darf zwar hoffen, bei entsprechendem beruflichem Erfolg sehr viel mehr zu verdienen, muss aber in der heute oft prekären Situation der Praktika und Hospitationen oftmals mit einem Bruchteil dieses Betrages leben.

Die Beigeladene hat in anschaulicher Weise dargestellt, dass die Grundpflichten des Beschäftigungsverhältnisses, nämlich Anfertigung der Doktorarbeit und Zahlung des Entgelts, in einem System der engen arbeitsteiligen und hierarchischen Einbindung in den wissenschaftlichen Apparat der Klägerin erfolgte. Die Beigeladene ist weder Juristin noch Betriebspsychologin, so dass ihre entsprechenden Schilderungen auch ohne exakte Differenzierung zwischen verbindlichen Anweisungen und gespürten Gewohnheiten und Erwartungshaltungen einleuchten.

Insoweit ist auch zu unterstellen, dass hochqualifizierte technische Mitarbeiter und ambitionierte Wissenschaftler miteinander nicht in einem Stil von Befehl und Gehorsam, von Hierarchie und Stechuhr und von Kontrolle und Wachsamkeit miteinander verkehren, sondern auf der Basis kollegialer Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. Eine gelebte betriebliche Wirklichkeit wird nicht nur durch formelle Regeln und ausdrückliche Anweisungen geprägt, sondern auch durch nonverbale Botschaften.

Das Bild eines Beschäftigungsverhältnisses wird nicht durch das Fehlen von Regelungen über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und über Urlaub relativiert. Eine Selbstständigkeit ist nicht durch die Abbedingung von Arbeitnehmerrechten zu konstruieren, die bereits vor vielen Jahrzehnten gesetzliche und tarifliche Selbstverständlichkeiten geworden sind.

Innerhalb der zur Statusfeststellung notwendigen Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit kann die Klägerseite nicht allein schon mit dem Nachweis einer gewissen akademischen Freiheit der Beigeladenen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Vergleich zur Position etwa von fest angestelltem Laborpersonal Erfolg haben. Vielmehr müsste sie die überreichlich mit Argumenten für eine Beschäftigung gefüllte argumentative Waagschale mit einer noch gewichtiger gefüllten Waagschale mit Argumenten für eine Selbstständigkeit der Beigeladenen aufwiegen können. Diese Waagschale bleibt jedoch völlig leer. Wer seine komplette wöchentliche, monatliche und jährliche Arbeitszeit in eine einzige Firma einbringt und von dort ein festes Entgelt bezieht, verwertet kein eigenes Kapital mit der ungewissen Aussicht auf Ertrag, riskiert keinen Verlust von Kapital und keine Fehlinvestition von Arbeitszeit, hat keinerlei Anlass für Werbemaßnahmen, kann die Abhängigkeit vom Hauptarbeitgeber nicht durch die Erfüllung von Aufträgen aus anderen Richtungen relativieren und verzichtet auf jede Kalkulation und Buchführung. Verhandlungen zwischen A-Firma und der Beigeladenen fanden zu keiner Zeit statt und hätten auch kein definierbares Thema haben können.

Im Gesamtergebnis ist nicht annähernd auch nur der bei der Statusfeststellung häufige Grenzfall zwischen einer sehr freizügig gehandhabten Teilzeitbeschäftigung und einer selbstständigen Auftragserledigung in relativ engem Rahmen zu erkennen, sondern der eindeutige Fall einer Vollzeitbeschäftigung in enger betrieblicher Eingliederung.

Im Rückblick auf die mündliche Verhandlung darf nochmals daran erinnert werden, dass Frau Dr. C. in prozessualer Hinsicht keine Zeugin ist, deren Glaubwürdigkeit von den Prozessparteien infrage zu stellen ist, sondern als Beigeladene eine dritte Prozessbeteiligte mit eigenen Rechten. Ihre plausibel und widerspruchsfrei vorgetragenen Schilderungen gelten dem Gericht auch bei der einen oder anderen begrifflichen Unschärfe als wahr und bedürfen genauso wenig wie die Äußerungen der Klägerin oder Beklagten einer detaillierten Beweisführung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

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Referenzen - Gesetze

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Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 7 Beschäftigung


(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. (1a) Eine B

Referenzen

(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

(1a) Eine Beschäftigung besteht auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat, wenn

1.
während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b fällig ist und
2.
das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die vorausgegangenen zwölf Kalendermonate abweicht, in denen Arbeitsentgelt bezogen wurde.
Satz 1 gilt entsprechend, wenn während einer bis zu dreimonatigen Freistellung Arbeitsentgelt aus einer Vereinbarung zur flexiblen Gestaltung der werktäglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit oder dem Ausgleich betrieblicher Produktions- und Arbeitszeitzyklen fällig ist. Beginnt ein Beschäftigungsverhältnis mit einer Zeit der Freistellung, gilt Satz 1 Nummer 2 mit der Maßgabe, dass das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die Zeit der Arbeitsleistung abweichen darf, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll. Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht während der Zeit der Freistellung auch, wenn die Arbeitsleistung, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll, wegen einer im Zeitpunkt der Vereinbarung nicht vorhersehbaren vorzeitigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr erbracht werden kann. Die Vertragsparteien können beim Abschluss der Vereinbarung nur für den Fall, dass Wertguthaben wegen der Beendigung der Beschäftigung auf Grund verminderter Erwerbsfähigkeit, des Erreichens einer Altersgrenze, zu der eine Rente wegen Alters beansprucht werden kann, oder des Todes des Beschäftigten nicht mehr für Zeiten einer Freistellung von der Arbeitsleistung verwendet werden können, einen anderen Verwendungszweck vereinbaren. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigte, auf die Wertguthaben übertragen werden. Bis zum 31. Dezember 2024 werden Wertguthaben, die durch Arbeitsleistung im Beitrittsgebiet erzielt werden, getrennt erfasst; sind für die Beitrags- oder Leistungsberechnung im Beitrittsgebiet und im übrigen Bundesgebiet unterschiedliche Werte vorgeschrieben, sind die Werte maßgebend, die für den Teil des Inlandes gelten, in dem das Wertguthaben erzielt worden ist.

(1b) Die Möglichkeit eines Arbeitnehmers zur Vereinbarung flexibler Arbeitszeiten gilt nicht als eine die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber begründende Tatsache im Sinne des § 1 Absatz 2 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes.

(2) Als Beschäftigung gilt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung.

(3) Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt als fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Eine Beschäftigung gilt auch als fortbestehend, wenn Arbeitsentgelt aus einem der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben bezogen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn Krankengeld, Krankentagegeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Pflegeunterstützungsgeld oder Mutterschaftsgeld oder nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen oder Wehrdienst oder Zivildienst geleistet wird. Satz 1 gilt auch nicht für die Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes.

(4) Beschäftigt ein Arbeitgeber einen Ausländer ohne die nach § 284 Absatz 1 des Dritten Buches erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4a Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit, wird vermutet, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt für den Zeitraum von drei Monaten bestanden hat.