Sozialgericht Magdeburg Urteil, 12. Feb. 2015 - S 14 BL 6/12

ECLI:ECLI:DE:SGMAGDE:2015:0212.S14BL6.12.00
bei uns veröffentlicht am12.02.2015

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Gewährung eines höheren Blindengeldes vom Beklagten.

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Dem Kläger wurde zunächst mit den Bescheiden vom 21.01.1997 und vom 09.07.1998 rückwirkend ab Januar 1994 Blindengeld wegen einer hochgradigen Sehbehinderung gewährt. Seit dem 17.08.2004 wurde der Kläger als Internatsbewohner des L. f. B. in H. beschult und ausgebildet. Vom 17.08.2004 bis 15.07.2005 nahm er an ein Berufsvorbereitungsjahr teil und vom 13.08.2005 bis 24.06.2009 absolvierte er eine 2jährige Berufsfachschule. Anschließend absolvierte er vom 04.08.2009 bis 25.06.2010 eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme und vom 03.08.2010 bis 30.07.2012 eine Ausbildung zum Büropraktiker. Kostenträger der schulischen Maßnahmen war die L. M., S. u. W ... Kostenträger der Ausbildungsmaßnahmen vom 04.08.2009 bis 30.07.2012 war die BA. Das L. f. B. (LBZB) gliedert sich in 3 Internatsformen für Schüler, für mehrfach behinderte Schüler und den Wohnbereich der beruflichen Bildung. Der Kläger hat das Internat für Schüler und anschließend den Wohnbereich der beruflichen Bildung besucht. Im Internat stehen den Blinden verschiedene Berufsgruppen wie Erzieher, Krankenschwester/-Pfleger, Sozialassistent/innen usw. zur Verfügung. Es bestehen diverse hausinterne Freizeitmöglichkeiten wie Fitnessraum, Schwimmbad, Sportzentrum, Instrumentalunterricht usw. Es ist eine Punktschriftbücherei vorhanden. Es werden Kulturveranstaltungen besucht und Gruppenfreizeiten veranstaltet. Ausweislich der Leistungsbeschreibung für das Internat Schüler ist die Wohnstätte eine stationäre Einrichtung i.S.d. § 13 Sozialgesetzbuch (SGB) – Zwölftes Buch – (XII). Es werde eine umfassende Betreuung gewährleistet. Es bestünden Hilfen zur alltäglichen Lebensführung, eine Unterstützung der schulischen Arbeit, Hilfen zur individuellen Basisversorgung, Hilfen zur Gestaltung sozialer Beziehungen im unmittelbaren Nahbereich, Hilfen zur Teilnahme am religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben, Hilfen zur Kommunikation/Unterstützung der Kulturtechniken, Hilfen zur emotionalen und psychischen Entwicklung, Hilfen zur Gesundheitsförderung- und Erhaltung. Die Leistungen würden in der Regel von Sonntags bis Freitags angeboten. Alle 14 Tage werde ein offenes Wochenende angeboten. Die Leistungsbeschreibung zum Wohnbereich der beruflichen Bildung ist ähnlich strukturiert, nur dass die Leistungen werktäglich und an den Wochenenden angeboten werden. Es gibt im Jahr 2 Schließzeiten von insgesamt 30 Tagen.

3

Der Kläger stellte am 01.08.2006 einen Neufeststellungsantrag zur Gewährung eines Blindengeldes für eine vollständige Blindheit. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 19.09.2006 zunächst abgelehnt. Nach dem Widerspruch vom 11.11.2006 erging der Abhilfebescheid vom 07.12.2006, mit dem eine vollständige Blindheit ab August 2006 festgestellt wurde. Gleichzeitig wurde das Blindengeld wegen des Aufenthaltes im LBZB auf die Hälfte reduziert. Im Zeitraum von 2007 bis 2011 gingen diverse Änderungsbescheide, mit denen dem Kläger für die Ferienzeiten das volle Blindengeld gewährt wurde. Mit Bescheid vom 02.11.2012 wurde ihm ab Juli 2012 das volle Blindengeld wegen Beendigung der Ausbildung gewährt.

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Am 24.04.2012 stellte er einen Überprüfungsantrag mit dem Begehren, dass volle Blindengeld ab dem 01.01.2008 zu zahlen, da es sich bei dem LBZB lediglich um eine teilstationäre Einrichtung handele. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 09.05.2012 mit der Begründung ab, dass der Begriff der "Einrichtung" nicht auf seine allgemein bekannte Bedeutung i.S. einer Pflege- oder Behinderten- oder Betreuungseinrichtung zu beschränken sei. Vielmehr orientiere sich der Begriff "Einrichtung" daran, ob Leistungen erbracht werden, die aus Mitteln der Sozialhilfe zu finanzieren sind, wenn nicht ein anderer öffentlichrechtlicher Leistungsträger hierfür aufkommen würde. Unerheblich sei es hierbei, ob es sich um eine teil- oder vollstationäre Einrichtung handele. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 31.05.2012 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2012 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

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Dagegen richtet sich die Klage vom 15.10.2012. Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung, dass es sich beim LBZB lediglich um eine teilstationäre Einrichtung handele, so dass die Reduzierung des Blindengeldes nicht gerechtfertigt sei.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 09.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 07.12.2006 zu verurteilen, ihm von Januar 2008 bis Juni 2012 volles Blindengeld zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er vertritt die Auffassung, dass der Kläger während seines Aufenthaltes im Internat des LBZB erheblich hinsichtlich seiner blindenbedingten Mehraufwendungen entlastet worden sei. Eine Kürzung des Blindengeldes sei nicht nur bei einer Inanspruchnahme von Pflege und Therapie möglich. Entscheidend sei, dass ein entsprechendes Betreuungsangebot verfügbar gewesen sei. Eine individuelle Betrachtung sei hierbei nicht angezeigt.

11

Das LBZB ist noch hinsichtlich der Leistungsbeschreibung befragt worden. Zum Ergebnis der Befragung wird auf das Schreiben des LBZB vom 24.10.2013 nebst Anlagen verwiesen.

12

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

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Der Bescheid des Beklagten vom 09.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

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Soweit sich nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) – Zehntes Buch – (X) im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nach dem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Der Bescheid des Beklagten vom 07.12.2006, mit dem lediglich die Hälfte des Blindengeldes ab August 2006 gewährt wurde, ist rechtmäßig.

16

Nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das Blinden- und Gehörlosengeld im Land Sachsen-Anhalt in der bis zum 31.12.2013 geltenden Fassung vermindert sich das Blindengeld auf die Hälfte, solange der Blinde die erforderliche Pflege in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung erhält, es sei denn, dass die Kosten des Anstalts- oder Heimaufenthaltes überwiegend vom Blinden oder einem nach bürgerlichem Recht unterhaltspflichtigen Dritten getragen werden. Hintergrund einer solchen Regelung ist es, dass mit der Gewährung von Blindengeld dem Blinden ein Ausgleich für die durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen gewährt wird. Hier kann der Blinde entlastet sein, der in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung untergebracht ist, sofern dort eine die Mehraufwendungen mindernde Betreuung in nicht unerheblichem Umfang gewährt wird. In diesem Fall kann eine Kürzung des Blindengeldes gerechtfertigt sein, um Doppelleistungen zu vermeiden (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 05.12.2001, - B 7/1 SF 1/00 R -, juris). Eine bezüglich des Blindengeldesrechts erhebliche Ersparnis durch einen Aufenthalt in einer Einrichtung kann nur dort eintreten, wo der Aufenthalt in der Einrichtung regelmäßig Leistungen einschließt, die auf eine entsprechende Betreuung der Blinden in sozialen und kulturellen Lebensbereichen zugeschnitten sind. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Betreuung in der Einrichtung alle Lebensbereiche abdeckt bzw. "rund um die Uhr" erfolgt. Eine Kürzung des Blindengeldes ist bereits dann gerechtfertigt, wenn ein nicht unerheblicher Teil des blindenspezifischen Mehrbedarfes durch die Unterbringung in der Einrichtung abgedeckt wird (Urteil des BSG vom 05.12.2001 a.a.O.). Hierbei kommt es nicht darauf an, welche blindenspezifische Betreuungsangebote dem Kläger gemacht worden sind und ob diese Angebote im Einzelfall angenommen worden sind. Das Blindengeld wird ohne Rücksicht auf einen im Einzelfall nachzuweisen oder nachweisbaren Bedarf pauschal bezahlt (Urteil des BSG vom 05.12.2001 a.a.O.). Ausweislich der Mitteilung des LBZB im Schreiben vom 24.10.2013 nebst beigefügter Leistungsbeschreibung wird sowohl im Schulinternat als auch im Berufsbildungsinternat eine umfassende Betreuung angeboten. Es steht eine Vielzahl von Mitarbeitern unterschiedlicher Berufsgruppen wie Erzieher, Heilerziehungspfleger, Krankenschwestern/Pfleger, Sozialassistent/innen usw. zur Verfügung. Es werden eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten angeboten und auch außerhalb des LBZB Kulturveranstaltungen besucht und Gruppenfreizeiten veranstaltet. Ausweislich der Leistungsbeschreibung werden Hilfen zur alltäglichen Lebensführung, zur individuellen Basisversorgung, Hilfen zur Gestaltung sozialer Beziehungen unmittelbar im Nahbereich, Hilfen zur Teilnahme am religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben, Hilfen zur Kommunikation/Unterstützung der Kulturtechniken, Hilfen zur emotionalen und psychischen Entwicklung und Hilfen zur Gesundheitsförderung und -erhaltung gewährt. Es besteht eine Medikamentenversorgung einschließlich Überwachung und eine Kooperation und Koordination mit Dienstleistern (Küche, hauswirtschaftlicher Dienst, Wäscherei, Handwerksbetriebe, Verwaltung). Im Schulinternat werden diese Leistungen Sonntag bis Freitag angeboten und alle 14 Tage ein offenes Wochenende durchgeführt. Der Wohnbereich der beruflichen Bildung bietet seine Leistungen werktäglich und an den Wochenenden an. Lediglich bei Feiertagen und den Urlaubszeiten der beruflichen Bildung werden die Leistungen nicht angeboten. Insoweit bietet das LBZB eine erhebliche Entlastung bezüglich blindenbedingter Mehraufwendungen an, da insbesondere der Einsatz blindenspezifischer Hilfsmittel und Hilfen zur Teilnahme am religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben angeboten werden. Es wird ein umfassender Katalog an Freizeitaktivitäten angeboten und darüber hinaus gibt es eine Punktschriftbücherei. Dass der Gesetzgeber mit der Wortwahl "die erforderliche Pflege" in § 3 Abs. 1 Satz 1 des Landesblindengeldgesetzes nur auf die Pflege in vollstationären Einrichtungen i.S.v. § 43 Sozialgesetzbuch (SGB) – Elftes Buch – (XI) abstellen wollte, ist nicht ersichtlich, da er entgegen der Vorschrift des § 2 des Landesblindengeldgesetzes nicht ausdrücklich auf die Vorschriften des SGB XI Bezug genommen hat. Für eine entsprechende Auslegung spricht auch § 3 Abs. 3 Nr. 2 des Landesblindengeldgesetzes, wonach § 3 Abs. 1 auch dann gelten solle, wenn Mittel der sozialen Pflegeversicherung i.S.d. XI. Buches Sozialgesetzbuch in Anspruch genommen werden. Diese Regelung hätte sich erübrigt, wenn in § 3 Abs. 1 Satz 1 des Landesblindengeldgesetzes lediglich die Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung i.S.v. § 43 SGB XI gemeint ist.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.


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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgesetzbuch (SGB) - Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014) - SGB 11 | § 43 Inhalt der Leistung


(1) Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 haben Anspruch auf Pflege in vollstationären Einrichtungen. (2) Für Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen übernimmt die Pflegekasse im Rahmen der pauschalen Leistungsbeträge nach Satz 2 die

Referenzen

(1) Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 haben Anspruch auf Pflege in vollstationären Einrichtungen.

(2) Für Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen übernimmt die Pflegekasse im Rahmen der pauschalen Leistungsbeträge nach Satz 2 die pflegebedingten Aufwendungen einschließlich der Aufwendungen für Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Der Anspruch beträgt je Kalendermonat

1.
770 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 2,
2.
1 262 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 3,
3.
1 775 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 4,
4.
2 005 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 5.
Abweichend von Satz 1 übernimmt die Pflegekasse auch Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung, soweit der nach Satz 2 gewährte Leistungsbetrag die in Satz 1 genannten Aufwendungen übersteigt.

(3) Wählen Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 vollstationäre Pflege, erhalten sie für die in Absatz 2 Satz 1 genannten Aufwendungen einen Zuschuss in Höhe von 125 Euro monatlich.

(4) Bei vorübergehender Abwesenheit von Pflegebedürftigen aus dem Pflegeheim werden die Leistungen für vollstationäre Pflege erbracht, solange die Voraussetzungen des § 87a Abs. 1 Satz 5 und 6 vorliegen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.