Sozialgericht Landshut Gerichtsbescheid, 26. Jan. 2016 - S 11 AS 70/15 FdV

bei uns veröffentlicht am26.01.2016
nachgehend
Bayerisches Landessozialgericht, L 9 AS 113/16, 15.09.2016

Gericht

Sozialgericht Landshut

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit S 11 AS 79/14 durch den Vergleich der Beteiligten vom 28.08.2014 beendet ist.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Verfahren S 11 AS 79/14 durch den Vergleich vom 28.08.2014 beendet ist.

Die Kläger bezogen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten.

Mit Schreiben vom 06.02.2014 hat die Klägerin Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 10.12.2013 in Form des Bescheides vom 21.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21.01.2014 erhoben (S 11 AS 81/14).

Mit Schreiben vom selben Tage hat der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 07.01.2014 in Form des Bescheides vom 07.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21.01.2014 erhoben (S 11 AS 80/14).

Mit einer dritten Klage vom selben Tage hat sich der Kläger gegen den Bescheid des Beklagten vom 10.12.2013 in Form des Bescheides vom 21.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21.01.2014 gewandt (S 11 AS 79/14). Die Kläger haben sich von einer Rechtsanwältin als Prozessbevollmächtigte vertreten lassen.

Die Kläger beantragen,

die Bescheide des Beklagten vom 10.12.2013 in Form des Bescheides vom 21.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21.01.2014, den Bescheid vom 07.01.2014 in Form des Bescheides vom 07.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21.01.2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10.12.2013 in Form des Bescheides vom 21.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21.01.2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vom 28.08.2014 hat die Kammer alle drei Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung unter dem Az. S 11 AS 79/14 verbunden.

Nach ausführlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage haben die Beteiligten folgenden Vergleich geschlossen:

„I. Der Beklagte verpflichtet sich, die Bescheide vom 21.12.2013 in der Gestalt des Ersetzungsbescheides vom 21.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2014 (W 10/14), den Bescheid vom 07.01.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2014 (W 18/14) aufzuheben und des Weiteren den Bescheid vom 10.12.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2014 (W 9/14) aufzuheben, soweit vom Kläger mehr als EUR 2.000,00 zurückgefordert werden.

II. Der Kläger, Herr B. A., stimmt der unter I. abgegebenen Verpflichtung des Beklagten zu.

III. Der Beklagte trägt die Hälfte der den Klägern entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten.

IV. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit diesem Vergleich der Rechtsstreit S 11 AS 74/14 endgültig erledigt ist.“

Der protokollierte Vergleich ist nach Verlesung von den Beteiligten genehmigt worden.

Mit Schreiben vom 04.02.2015 hat der Kläger den Vergleich als nicht zu Stande gekommen erklärt. Er hat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Er habe keine Willenserklärung abgegeben und nichts unterschrieben.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

Gründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten hierzu angehört wurden.

Bei Streit über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs ist das alte Verfahren, in dem der Vergleich geschlossen wurde, vor dem Gericht, vor dem das Verfahren anhängig war, fortzusetzen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 101 Rn. 17).

Hält das Gericht den Vergleich für wirksam, stellt es die Beendigung des Rechtsstreits fest. Anderenfalls entscheidet es in der Sache selbst.

Der am 28.08.2014 geschlossene Prozessvergleich ist wirksam.

Ein Prozessvergleich stellt nach herrschender Meinung eine Prozesshandlung der Beteiligten und gleichzeitig einen materiell-rechtlichen Vertrag dar (vgl. zu dieser Doppelnatur BSG, Urteil vom 26. April 1963 - 2 RU 228/59 -). Der Vergleich vom 28.08.2014 ist weder prozessrechtlich noch materiell-rechtlich unwirksam. Mängel der Prozesshandlung sind nicht ersichtlich. Durch die Erklärungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 28.08.2014 haben die Beteiligten den Streit darüber beseitigt, in welcher Höhe die Kläger verpflichtet sind, Leistungen zu erstatten. Der Beklagte erklärte sich dazu bereit, vom Kläger lediglich 2.000,- EUR zu verlangen. Der Rechtsstreit ist folglich von den Beteiligten im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt worden.

Die Vereinbarung ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam. Insbesondere verstößt der Vergleich nicht gegen § 101 Abs. 1 SGG. Danach können die Beteiligten einen Vergleich nur schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können (vgl. Meyer-Ladewig, aaO, § 101 Rn. 7af). Eine Behörde darf sich nicht zur Gewährung von Leistungen verpflichten, für welche die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Gleichwohl ist ein materiell-rechtlich unrichtiger Prozessvergleich nicht ohne weiteres unwirksam. Denn es muss bereits zwischen der Zulässigkeit und der Wirksamkeit eines materiell-rechtlich fehlerhaften Prozessvergleichs unterschieden werden. Das „Verfügen-können“ i.S. des § 101 SGG deckt sich nicht mit dem „Verfügen-dürfen“ (BSG, Urteil vom 17. Mai 1989 - 10 RKg 16/88 -).

Soweit Meinungsverschiedenheiten, die in der Frage des Bestehens eines Rechtsverhältnisses oder der sich daraus ergebenden Ansprüche und Verpflichtungen hervorgetreten sind, durch eine vergleichsweise Regelung ganz oder teilweise beigelegt werden, ist eine Regelung dennoch wirksam, auch wenn sie inhaltlich dem objektiven Recht widerspricht. Die Unwirksamkeit eines Vergleichs ist nur dann anzunehmen, wenn sein Inhalt gegen ein gesetzliches Verbot (vgl. §§ 134, 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) verstößt, nicht aber, soweit sein Inhalt mit sonstigen materiell-rechtlichen Vorschriften ganz oder teilweise im Widerspruch steht (vgl. Meyer-Ladewig, aaO). Denn nicht jede zwingende Norm des Verwaltungsrechts oder Sozialrechts hat die Bedeutung eines Verbotsgesetzes im Sinne von § 134 BGB (BSG aaO).

Ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot kann nicht erkannt werden.

Soweit der Kläger die Nichtigkeit des Vergleichs durch Anfechtung geltend gemacht hat, liegen deren Voraussetzungen ebenfalls nicht vor.

Eine Nichtigkeit gemäß § 142 BGB nach einer Anfechtung scheidet aus. Denn zum einen lag bei den Klägern bereits kein beachtlicher Rechts- oder Inhaltsirrtum vor, zum anderen ist die Anfechtung nicht unverzüglich erklärt worden.

Der Vergleich ist auch nicht gemäß §§ 58 Abs. 1, 54 SGB X i.V.m. § 779 BGB unwirksam. Hiernach wäre ein Vergleich unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht. Dafür ist nichts ersichtlich.

Soweit der Kläger darlegt, das Gericht habe den Vergleich nicht hinreichend begründet oder unzutreffend formuliert, fehlt es zum einen an einer Pflicht des Gerichts einen Vergleich, den die Beteiligten schließen, zu begründen.

Der in der mündlichen Verhandlung vom 28.08.2014 geschlossene Vergleich einschließlich der übereinstimmenden Erledigterklärung der Beteiligten wurde ordnungsgemäß in der Sitzungsniederschrift protokolliert, vorgelesen und von den Beteiligten genehmigt sowie von dem Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin unterschrieben. Anhaltspunkte für Geschäfts- oder Prozessunfähigkeit eines Beteiligten bestehen nicht. Außerdem wurden die Kläger durch eine Rechtsanwältin vertreten und haben sich laut Protokoll mit dieser besprochen.

Nach alledem ist der Prozessvergleich nicht nachträglich weggefallen. Der Rechtsstreit ist folglich durch Vergleich beendet worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 193 SGG und folgt dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache. Eine Kostenregelung wurde im Vergleich vom 28.08.2014 getroffen.…

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Referenzen - Gesetze

Sozialgericht Landshut Gerichtsbescheid, 26. Jan. 2016 - S 11 AS 70/15 FdV zitiert 11 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher


(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen W

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 134 Gesetzliches Verbot


Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 142 Wirkung der Anfechtung


(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen. (2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgesc

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 779 Begriff des Vergleichs, Irrtum über die Vergleichsgrundlage


(1) Ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), ist unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sach

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 101


(1) Um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, können die Beteiligten zu Protokoll des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegensta

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 58 Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages


(1) Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches ergibt. (2) Ein Vertrag im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 2 ist ferner nichtig, wenn 1. ein

Referenzen

(1) Um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, können die Beteiligten zu Protokoll des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können. Ein gerichtlicher Vergleich kann auch dadurch geschlossen werden, dass die Beteiligten einen in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters schriftlich oder durch Erklärung zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht annehmen.

(2) Das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs erledigt insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache.

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen.

(2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen.

(1) Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches ergibt.

(2) Ein Vertrag im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 2 ist ferner nichtig, wenn

1.
ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nichtig wäre,
2.
ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers im Sinne des § 42 rechtswidrig wäre und dies den Vertragschließenden bekannt war,
3.
die Voraussetzungen zum Abschluss eines Vergleichsvertrages nicht vorlagen und ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers im Sinne des § 42 rechtswidrig wäre,
4.
sich die Behörde eine nach § 55 unzulässige Gegenleistung versprechen lässt.

(3) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Vertrages, so ist er im Ganzen nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre.

(1) Ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), ist unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.

(2) Der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis steht es gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.