Sozialgericht Duisburg Urteil, 16. Jan. 2014 - S 52 SO 504/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten Kosten der Unterkunft und Heizung beanspruchen kann bzw. ob diese Kosten bei ihrer Bedarfsermittlung erhöhend Berücksichtigung finden können.
3Die am 10.03.19xx geborene Klägerin leidet an einem Down-Syndrom; sie ist insoweit geistig behindert. Sie bezieht Leistungen ihrer gesetzlichen Pflegekasse aufgrund der Pflegestufe III und ist seit dem 19.06.1979 anerkannt schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von zur Zeit 100 % sowie den festgestellten Nachteilsausgleichen "erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr", Merkzeichen "G", "Hilflosigkeit", Merkzeichen "H" und "Befreiung von bzw. Ermäßigung der Rundfunkgebührenpflicht", Merkzeichen "RF". Sie erzielte ein geringfügiges Einkommen bei einer Werkstätte für behinderte Menschen von rund 120,00 Euro netto monatlich im klageerheblichen Zeitraum. Daneben bezieht sie von der Beklagten seit Jahren ergänzende Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII in Form der Grundsicherung bei dauerhafter, vollständiger Erwerbsminderung.
4Die Klägerin lebt zusammen in einem Haushalt mit ihrer Mutter und Betreuerin in einer Mietwohnung. Die Wohnung wird seit dem 01.05.19xx bewohnt. Ausweislich des Mietvertrages vom 17.04.19xx ist ausschließlich die Mutter Mieterin. Im Juni 2012 zahlte die Mutter an die Vermieterin monatlich 449,26 Euro an Mietkosten einschließlich Neben- und Heizkosten.
5Die Mutter der Klägerin bezog seit dem 01.07.2012 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Deutschen Rentenversicherung Bund in Höhe von monatlich 833,81 Euro Auszahlungsbetrag netto. Seit Oktober 2013 erhält sie eine Regelaltersrente von zur Zeit 953,00 Euro Auszahlungsbetrag netto monatlich. Wohngeld wurde der Mutter der Klägerin bis einschließlich August 2013 in Höhe von monatlich 25,00 Euro gewährt. Bis einschließlich zum 30.06.2012 wurden für die Klägerin hälftige Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 238,13 Euro bei der Bedarfsermittlung durch die Beklagte bedarfserhöhend mit berücksichtigt. Die Klägerin erhielt und erhält zudem ein Kindergeld in Höhe von monatlich 184,00 Euro.
6Mit Bescheid vom 22.06.2012 bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 01.07.2012 bis einschließlich 30.06.2013 monatliche Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII in Höhe von 279,45 Euro. Hierbei berücksichtigte sie bedarfserhöhend einen Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII aufgrund der anerkannten Schwerbehinderung und des Merkzeichens "G" der Klägerin. Kosten der Unterkunft und Heizung wurden hierbei nicht mehr berücksichtigt.
7Am 11.07.2012 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein und begehrte die weitere Berücksichtigung von eigenen Kosten der Unterkunft und Heizung.
8Mit Änderungsbescheid vom 22.08.2012, der den identischen Bewilligungszeitraum wie der Ausgangsbescheid vom 22.06.2012 betraf, blieb die monatliche Bewilligung der Höhe nach unverändert. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2012 wies die Beklagte sodann den Widerspruch der Klägerin zurück.
9Die Klägerin hat am 07.11.2012 Klage erhoben. Sie führt unter anderem zur Begründung aus, dass die Kosten der Wohnung insgesamt ihre Mutter an deren Leistungsgrenze führe; die Mutter der Klägerin hielte sich eine entsprechend große und teure Wohnung nicht, falls sie ohne ihre Tochter lebte.
10Die Klägerin beantragt,
111. den Bescheid der Beklagten vom 22.06.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 22.08.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2012 abzuändern und 2. die Beklagte zu verurteilen, bei ihrer Bedarfsermittlung für den Zeitraum vom 01.07.2012 bis einschließlich 30.06.2013 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 2.650,62 Euro, d. h. den jeweils hälftigen Anteil der insgesamt für ihre Mutter und sie anfallenden Miet- und Mietnebenkosten, zu berücksichtigen und dementsprechend weitere Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII zu gewähren.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Außer der Gerichtsakte hat der die Klägerin betreffende Verwaltungsvorgang der Beklagten vorgelegen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Akten sowie die Sitzungsniederschrift vom 16.01.2014 ergänzend Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16I.
17Klagegegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 22.06.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 22.08.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2012. Der Änderungsbescheid vom 22.08.2012 betrifft den identischen Bewilligungszeitraum. Der Verfügungssatz jedoch lässt die monatliche Bewilligungshöhe von 279,45 Euro unberührt.
18Inhaltlich streitig ist die bedarfserhöhende Mitberücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich jeweils 224,63 Euro. Ausweislich der dem Gericht vorgelegten Kontoauszüge der Mutter der Klägerin wurden im klagegegenständlichen Zeitraum 11 mal Miet- und Mietnebenkosten in Höhe von insgesamt monatlich 449,26 Euro gezahlt; die Hälfte hiervon beträgt 224,63 Euro. Ausweislich dieser Kontoauszüge sind jedoch am 04.02.2013 nicht die regelmäßigen 449,26 Euro an die Vermieterin überwiesen worden, sondern lediglich 359,38 Euro. Hiervon die Hälfte beträgt 179,69 Euro. 11 multipliziert mit 224,63 Euro zuzüglich 179,69 Euro ergibt die Gesamtsumme von 2650,62 Euro, die letztlich klagegegenständlich sind. Weshalb im Februar 2013 ein gekürzter Betrag an die Vermieterin überwiesen wurde, ließ sich auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16.01.2014 nicht abschließend und mit Gewissheit klären; vermutlich wurde ein Guthaben aus einer Nebenkosten- bzw. Heizkostenabrechnung zu Gunsten der Mutter der Klägerin verrechnet.
19Zeitraum des Klagegegenstandes ist der 01.07.2012 bis einschließlich 30.06.2013.
20II.
21Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf bedarfserhöhende Mitberücksichtigung eigener Kosten der Unterkunft und Heizung sowie auf Gewährung entsprechender Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum vom 01.07.2012 bis 30.06.2013 gemäß §§ 42 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. § 29 Abs. 1 SGB XII. Der Bescheid der Beklagten vom 22.06.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 22.08.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
22Lebt eine hilfebedürftige Person mit nicht hilfebedürftigen Verwandten oder verschwägerten Personen in einer Haushaltsgemeinschaft, setzt die Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und Heizung tatsächliche Aufwendungen des Hilfebedürftigen voraus (Leitsatz Bundessozialgericht, Urteil vom 14.04.2011, Aktenzeichen B 8 SO 18/09 R). Die von der Klägerin begehrte, fortgesetzte Anwendung der Kopfteilmethode ist vorliegend nicht zu rechtfertigen: denn ihre Mutter ist nicht selbst hilfebedürftig im Sinne des SGB II bzw. SGB XII und rechtlich verpflichtende bzw. rechtlich zu vertretene, eigene Kosten für Unterkunft und Heizung fallen für die Klägerin schlichtweg nicht an (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 14.04.2011, Aktenzeichen B 8 SO 18/09 R, Randnummer 15).
23Lediglich die Mutter ist Vertragspartnerin der Vermieterin und hat den Mietvertrag unterzeichnet; auch lediglich die Mutter ist zur Zahlung von Neben- und Heizkosten alleine verpflichtet. Ein Untermietvertrag zwischen der Klägerin und ihrer Mutter, der im Wege einer Ergänzungsbetreuung gegebenenfalls abgeschlossen werden könnte, lag bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 16.01.2014 nicht vor.
24Es sind keinerlei Umstände ersichtlich, aus denen die Klägerin selbst zur Zahlung irgendwelcher Kosten für Unterkunft und Heizung rechtlich verpflichtet wäre. Allein das faktische "Mit-Wohnen" in der Mietwohnung der Mutter reicht nicht für die Begründung eines sozialhilferechtlichen Anspruches aus. Eigene Kosten der Klägerin für ihr "Mit-Wohnen" bei der Mutter fallen zumindest rechtlich notwendig nicht an.
25Auch ist der Sachverhalt nicht gleichzusetzen mit einer Haushaltsgemeinschaft, in der auch die übrigen Mitglieder hilfebedürftig im Sinne der Sozialgesetzbücher II bzw. XII sind. Denn die Einkünfte der Mutter der Klägerin und insbesondere die Gesamteinkünfte beider liegen deutlich über denjenigen Mitteln, die Haushaltsgemeinschaften zur Verfügung stehen, welche existenzsichernder Leistungen bedürfen. Neben der im streitgegenständlichen Zeitraum relevanten Erwerbsminderungsrente der Mutter der Klägerin in Höhe von 833,81 Euro netto monatlich wurde ein Wohngeld in Höhe von 25,00 Euro monatlich, Kindergeld in Höhe von 184,00 Euro monatlich, Grundsicherungsleistungen für die Klägerin in Höhe von 279,45 Euro monatlich gewährt und es stand ein Einkommen der Klägerin von ca. 120,00 Euro netto monatlich aus ihrer Werkstattarbeit zur Verfügung. Diese Gesamtsumme liegt im Verhältnis zu den Mietkosten in Höhe von monatlich 449,26 Euro nicht nur knapp oder marginal über den sozialhilferechtlichen Bedarfssätzen, sondern deutlich darüber.
26Schließlich ist für die Kammer kein Entscheidungsmaßstab, dass für die Beklagte eine Fortgewährung der kopfteiligen Unterkunftskosten günstiger wäre als der Auszug der Klägerin in eine eigene Wohnung und eine anschließende, vollständige Kostenübernahme einschließlich der Betreuung der Klägerin, die zur Zeit von der Mutter der Klägerin übernommen wird. Derlei wirtschaftliche Aspekte kann die Kammer – im Gegensatz zur Beklagten – nicht mit berücksichtigen.
27III.
28Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 Abs. 1 Satz 1, 183 Satz 1 SGG. Die Berufung ist zulässig, § 143 SGG.
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(1) Für Personen, die
- 1.
die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 erreicht haben oder - 2.
die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind
(2) Für werdende Mütter nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, wird ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.
(3) Für Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist, soweit kein abweichender Bedarf besteht, ein Mehrbedarf anzuerkennen
- 1.
in Höhe von 36 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für ein Kind unter sieben Jahren oder für zwei oder drei Kinder unter sechzehn Jahren, oder - 2.
in Höhe von 12 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für jedes Kind, wenn die Voraussetzungen nach Nummer 1 nicht vorliegen, höchstens jedoch in Höhe von 60 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28.
(4) § 42b Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden auf Leistungsberechtigte, die das 15. Lebensjahr vollendet haben.
(5) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, wenn deren Ernährungsbedarf aus medizinischen Gründen von allgemeinen Ernährungsempfehlungen abweicht und die Aufwendungen für die Ernährung deshalb unausweichlich und in mehr als geringem Umfang oberhalb eines durchschnittlichen Bedarfs für Ernährung liegen (ernährungsbedingter Mehrbedarf). Dies gilt entsprechend für aus medizinischen Gründen erforderliche Aufwendungen für Produkte zur erhöhten Versorgung des Stoffwechsels mit bestimmten Nähr- oder Wirkstoffen, soweit hierfür keine vorrangigen Ansprüche bestehen. Die medizinischen Gründe nach den Sätzen 1 und 2 sind auf der Grundlage aktueller medizinischer und ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse zu bestimmen. Dabei sind auch die durchschnittlichen Mehraufwendungen zu ermitteln, die für die Höhe des anzuerkennenden ernährungsbedingten Mehrbedarfs zugrunde zu legen sind, soweit im Einzelfall kein abweichender Bedarf besteht.
(6) Die Summe des nach den Absätzen 1 bis 5 insgesamt anzuerkennenden Mehrbedarfs darf die Höhe der maßgebenden Regelbedarfsstufe nicht übersteigen.
(7) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Wohnung, in der besonderen Wohnform oder der sonstigen Unterkunft nach § 42a Absatz 2 installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und denen deshalb kein Bedarf für Warmwasser nach § 35 Absatz 5 anerkannt wird. Der Mehrbedarf beträgt für jede leistungsberechtigte Person entsprechend der für sie geltenden Regelbedarfsstufe nach der Anlage zu § 28 jeweils
- 1.
2,3 Prozent der Regelbedarfsstufen 1 und 2, - 2.
1,4 Prozent der Regelbedarfsstufe 4, - 3.
1,2 Prozent der Regelbedarfsstufe 5 oder - 4.
0,8 Prozent der Regelbedarfsstufe 6.
(8) § 42b Absatz 2 ist entsprechend anzuwenden.
(9) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.
(10) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein einmaliger, unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht, der auf keine andere Weise gedeckt werden kann und ein Darlehen nach § 37 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist.
(1) Werden die Regelbedarfsstufen nach § 28 neu ermittelt, gelten diese als neu festgesetzte Regelsätze (Neufestsetzung), solange die Länder keine abweichende Neufestsetzung vornehmen. Satz 1 gilt entsprechend, wenn die Regelbedarfe nach § 28a fortgeschrieben werden.
(2) Nehmen die Länder eine abweichende Neufestsetzung vor, haben sie die Höhe der monatlichen Regelsätze entsprechend der Abstufung der Regelbedarfe nach der Anlage zu § 28 durch Rechtsverordnung neu festzusetzen. Sie können die Ermächtigung für die Neufestsetzung nach Satz 1 auf die zuständigen Landesministerien übertragen. Für die abweichende Neufestsetzung sind anstelle der bundesdurchschnittlichen Regelbedarfsstufen, die sich nach § 28 aus der bundesweiten Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ergeben, entsprechend aus regionalen Auswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ermittelte Regelbedarfsstufen zugrunde zu legen. Die Länder können bei der Neufestsetzung der Regelsätze auch auf ihr Land bezogene besondere Umstände, die die Deckung des Regelbedarfs betreffen, berücksichtigen. Regelsätze, die nach Absatz 1 oder nach den Sätzen 1 bis 4 festgesetzt worden sind, können von den Ländern als Mindestregelsätze festgesetzt werden. § 28 Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt für die Festsetzung der Regelsätze nach den Sätzen 1 bis 4 entsprechend.
(3) Die Länder können die Träger der Sozialhilfe ermächtigen, auf der Grundlage von nach Absatz 2 Satz 5 bestimmten Mindestregelsätzen regionale Regelsätze festzusetzen; bei der Festsetzung können die Träger der Sozialhilfe regionale Besonderheiten sowie statistisch nachweisbare Abweichungen in den Verbrauchsausgaben berücksichtigen. § 28 Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt für die Festsetzung der Regelsätze nach Satz 1 entsprechend.
(4) Werden die Regelsätze nach den Absätzen 2 und 3 abweichend von den Regelbedarfsstufen nach § 28 festgesetzt, sind diese in den Jahren, in denen keine Neuermittlung der Regelbedarfe nach § 28 erfolgt, jeweils zum 1. Januar durch Rechtsverordnung der Länder mit der Veränderungsrate der Regelbedarfe fortzuschreiben, die sich nach der Rechtsverordnung nach § 40 ergibt.
(5) Die nach den Absätzen 2 und 3 festgesetzten und nach Absatz 4 fortgeschriebenen Regelsätze gelten als Regelbedarfsstufen nach der Anlage zu § 28.
Tenor
-
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. August 2009 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 5. Januar 2007 zurückgewiesen, soweit Kosten für Unterkunft und Heizung in der Zeit vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Januar 2006 betroffen sind.
-
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
- 1
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Im Streit sind (noch) Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 1.1.2003 bis 31.12.2004 nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) sowie für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 31.1.2006 nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
- 2
-
Die 1969 geborene Klägerin ist schwerbehindert bei einem Grad der Behinderung (GdB) von 100. Bei ihr sind die Nachteilsausgleiche "G", "H" und "RF" festgestellt worden. Sie lebt bei ihren Eltern in deren Eigenheim, ohne dass ein (Unter-)Mietverhältnis begründet oder eine finanzielle Belastung der Klägerin an den Gesamtkosten der Unterkunft vereinbart worden wäre; vertragliche Verpflichtungen gegenüber Gemeinde, Energieversorger oder Versicherung im Zusammenhang mit Nebenkosten und Heizung sind von der Klägerin ebenfalls nicht aufzubringen. Ab 1.1.2003 bezog sie Leistungen nach dem GSiG und ab dem 1.1.2005 nach § 41 ff SGB XII(Bescheid vom 17.4.2003, 15.9.2005, zwei Bescheide vom 16.9.2005, Bescheide vom 21.9.2005 und 2.12.2005; Widerspruchsbescheid vom 9.3.2006 unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter). Die Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und Heizung lehnte der Beklagte dabei mit der Begründung ab, die Klägerin habe insoweit keine Aufwendungen.
- 3
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Die Klage, mit der die Klägerin unter anderem Leistungen für Unterkunft und Heizung geltend gemacht hat, hat das Sozialgericht (SG) Stade abgewiesen, weil die Klägerin keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung habe (Urteil vom 5.1.2007). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat auf die Berufung der Klägerin den Beklagten verurteilt, "der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Januar 2006 höhere Grundsicherungsleistungen für Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu zahlen, und zwar unter Berücksichtigung von einem Drittel der für das Haus L. anfallenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" (Urteil vom 27.8.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass die Aufwendungen für die Unterkunft einer hilfebedürftigen Person, die mit nicht hilfebedürftigen, mit ihr verwandten oder verschwägerten Personen in Haushaltsgemeinschaft lebten, in einem Teil der angemessenen Aufwendungen bestünden, die für die Wohnung der Haushaltsgemeinschaft zu entrichten seien. Die Unterkunftskosten seien dabei nach Kopfzahlen - hier drei - aufzuteilen. Dies gelte auch dann, wenn tatsächliche Aufwendungen im Sinne der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen nicht bestünden.
- 4
-
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 3 Abs 1 Nr 2 GSiG sowie des § 42 Satz 1 Nr 2 SGB XII. Übernahmefähig seien danach nur tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, die der Klägerin nicht entstanden seien.
- 5
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Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, soweit Kosten für Unterkunft und Heizung in der Zeit vom 1.1.2003 bis zum 31.1.2006 betroffen sind.
- 6
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 7
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Sie hält die Auffassung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
- 8
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Die Revision des Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz
) . Das LSG hat zu Unrecht den Beklagten zur Zahlung anteiliger Aufwendungen für Unterkunft und Heizung verurteilt. Die Klägerin hat in dem streitigen Zeitraum von Januar 2003 bis Januar 2006 keinen Bedarf an Kosten der Unterkunft und Heizung, der von dem Beklagten zu decken war.
- 9
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Gegenstand des Verfahrens sind die Bescheide vom 15.9.2005, 16.9.2005 (zwei Bescheide) sowie die Änderungsbescheide vom 21.9.2005 und 2.12.2005, alle in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.3.2006. Der ursprüngliche Bescheid vom 17.4.2003, mit dem Leistungen der Grundsicherung nach dem GSiG ab 1.1.2003 bewilligt wurden, ist - soweit es den streitbefangenen Zeitraum betrifft - durch die genannten Bescheide, die Gegenstand des Vorverfahrens nach § 86 SGG geworden sind, ersetzt worden. Gegenstand des Verfahrens ist, was vom LSG übersehen wurde, insoweit auch der Bescheid vom 2.12.2005, mit dem der Beklagte in Abänderung des Bescheids vom 15.9.2005 idF des Änderungsbescheids vom 21.9.2005 die Leistungen für den Monat Januar 2006 auf 28,26 Euro festgesetzt hat.
- 10
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Der Senat hat hinsichtlich der angegriffenen Bescheide nur über die Kosten von Unterkunft und Heizung zu entscheiden, nachdem die Klägerin den ursprünglichen Klagegegenstand, höhere Leistungen nach dem GSiG bzw SGB XII, durch ihren Antrag in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG auf die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zulässigerweise (BSGE 103, 181 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 42 Nr 2; zum Recht des SGB II: BSGE 97, 217 ff RdNr 18 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; BSGE 104, 41 ff RdNr 13 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23; BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 70/08 R - RdNr 10) beschränkt hat. Bei den Ansprüchen auf Leistungen für Unterkunft und Heizung handelt es sich um abtrennbare selbstständige Ansprüche (BSGE 97, 217 ff RdNr 18 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 70/08 R- RdNr 10). Dabei spielt es keine Rolle, dass eine ausdrückliche Ablehnung von Kosten für Unterkunft und Heizung in den angegriffenen Bescheiden im Sinne einer Verfügung fehlt, weil eine solche Ablehnung stillschweigend in den Bewilligungsbescheiden enthalten ist, sich hiergegen der Widerspruch richtete und in dem Widerspruchsbescheid vom 9.3.2006 ausdrücklich eine (den Widerspruch zurückweisende) Entscheidung über Kosten für Unterkunft und Heizung getroffen wurde.
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Mangels in Niedersachsen angeordneten Behördenprinzips (vgl § 70 Nr 3 SGG) richtet sich die Klage zu Recht gegen den Rechtsträger, hier den Landkreis Cuxhaven als sachlich (§ 1 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
vom 20.11.2002 - GVBl 728 iVm § 4 Abs 1 und 3 GSiG; ab 1.1.2005 §§ 3 Abs 2, 97 SGB XII iVm dem Niedersächsischen Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs vom 16.12.2004 - GVBl 644) und örtlich (§ 4 Abs 1 GSiG; ab 1.1.2005 § 98 Abs 1 Satz 2 SGB XII) zuständigen Träger der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem GSiG bzw nach dem SGB XII.
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Hieran ändert auch nichts, dass die Samtgemeinde Beverstedt die ursprüngliche Entscheidung über Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung getroffen hat; dies beruhte auf § 3 Nds AG-GSiG iVm § 4 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes(vom 20.3.1997 - GVBl 85), wonach die Landkreise zur Durchführung der ihnen als Grundsicherungsträger obliegenden Aufgaben unter anderem Samtgemeinden heranziehen können. Hiervon hatte der Landkreis Cuxhaven in der Satzung über der Heranziehung der Gemeinden und Samtgemeinden des Landkreises Cuxhaven sowie der Stadt Langen zur Durchführung von Aufgaben nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 18.12.2002 (Amtsblatt Landkreis Cuxhaven Nr 1 vom 2.1.2003) zunächst Gebrauch gemacht. Dabei kann dahinstehen, ob die Entscheidung der Samtgemeinde eigenverantwortlich in eigenem Namen oder in einem bloßen Auftragsverhältnis zum Landkreis erging; denn die Satzung vom 18.12.2002 trat nach § 7 Abs 2 Nr 2 der Satzung über die Heranziehung der Gemeinden und Samtgemeinden des Landkreises Cuxhaven sowie der Stadt Langen zur Durchführung von Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - vom 8.12.2004 (Amtsblatt Landkreis Cuxhaven Nr 48 vom 30.12.2004) am 1.1.2005 außer Kraft. Zwar sah die (neue) Satzung vom 8.12.2004 für Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII die Heranziehung der Samtgemeinde Beverstedt ab 1.1.2005 vor (§ 1 der Satzung). Die mit der Satzung übertragenen Aufgaben wurden aber nach § 7 Abs 1 dieser Satzung ab dem 1.1.2006 wieder vom Landkreis Cuxhaven wahrgenommen.
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Wird ein Gesetz mit verwaltungsverfahrensrechtlichem Inhalt während des gerichtlichen Verfahrens geändert, so richtet sich der zeitliche Anwendungsbereich des Gesetzes nach allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts, sofern nicht ein verfassungskonform abweichender Geltungswille des Gesetzes festzustellen ist (BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 17). Danach sind Änderungen des Verfahrensrechts - soweit nichts anderes vorgeschrieben - bei bereits anhängigen Verfahren zu beachten. Deshalb ist das ab 1.1.2006 geltende Recht anzuwenden.
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Ob die - vom LSG bejahten - Voraussetzungen für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem GSiG bzw nach dem SGB XII für den streitigen Zeitraum gegeben sind, kann hier dahingestellt bleiben, weil ein Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung - auf den die Klage beschränkt wurde - unabhängig vom Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen schon mangels Bedarf ausscheidet. Nach § 3 Abs 1 Nr 2 GSiG umfasst die bedarfsorientierte Grundsicherung die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Eine entsprechende Regelung für die Zeit ab 1.1.2005 sieht § 42 Nr 2 SGB XII vor. Danach umfassen die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung entsprechend § 29 SGB XII. Nach § 29 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 Satz 1 werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe erbracht.
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Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin jedoch keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Insoweit kommt nach dem Wortlaut der genannten Bestimmungen nur die Berücksichtigung tatsächlich anfallender Kosten als die Hilfebedürftigkeit begründender Bedarf in Betracht (BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 14),wenn - wie hier - eine hilfebedürftige Person mit nichthilfebedürftigen verwandten oder verschwägerten Personen in Haushaltsgemeinschaft lebt. Die vom LSG herangezogene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), die eine Aufteilung der Kosten für Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen vorsah, trifft nicht den vorliegenden Sachverhalt. Dort hatte - anders als vorliegend - die Hilfebedürftige über ihren Kopfteil hinausgehende Kosten für Unterkunft und Heizung (BVerwGE 79, 17, 21 f). Die Kopfteilmethode kann deshalb insbesondere zur Vermeidung eines Missbrauchs ihre Rechtfertigung erhalten, wenn überhaupt Kosten der Unterkunft anfallen, insbesondere wenn auch die übrigen Mitglieder des Haushalts hilfebedürftig sind.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.
Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.