SGDU S 51 VJ 41/11
Tenor
Der Bescheid vom 30.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Lähmung des Klägers als Impfschaden aufgrund der Impfung vom 11.09.1950 zu entschädigen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger macht einen Impfschaden geltend.
3Der Kläger wurde am 21.11.1948 geboren.
4Am 11.09.1950 wurde der Kläger gegen Pocken geimpft.
5Eine Kopie des Impfscheines ist in der Gerichtsakte Blatt 15 abgeheftet. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass die Gerichtsakte in der Folierung einen Fehler aufweist. Nach Blatt 17 geht es noch einmal mit Blatt 9 weiter.
6Die Pockenschutzimpfung war seinerzeit gesetzlich vorgeschrieben.
7Im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung erkrankte der Kläger schwer. Als Krankheitsfolge verblieb eine schwerwiegende Lähmung beider Beine.
8Im Oktober 2009 beantragte der Kläger die Anerkennung seiner Erkrankung als Impfschaden.
9Die Beklagte informierte sich über den Gesundheitszustand des Klägers und die Umstände und den Verlauf zur Zeit der Impfung. Aufgrund des langen Zeitablaufs war dies naturgemäß mit Schwierigkeiten verbunden.
10Die Beklagte holte ein Gutachten von Prof. Dr. Sch. zu der Frage ein, ob die Erkrankung des Klägers ursächlich auf die Impfung zurückgeführt werden könne.
11Prof. Dr. Sch. kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger an einer Poliomyelitis erkrankt ist. Er geht von einem schicksalhaften Verlauf aus, der mit der Pockenimpfung in keinem Zusammenhang steht.
12Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten vom 23.09.2011verwiesen (188 V – Zahlen in Klammern sind Blattzahlen der Akten, das V weist auf die Verwaltungsakten der Beklagten hin).
13Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Impfschadens ab (142 V).
14Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
15Mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück (202 V).
16Hiergegen hat der Kläger am 30.11.2011 Klage erhoben.
17Der Kläger ist der Auffassung, seine Erkrankung sei kausal auf die Pockenschutzimpfung aus dem Jahr 1950 zurückzuführen. Insofern müsste seine Erkrankung als Impfschaden anerkannt werden.
18Der Kläger beantragt,
19die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.o03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 zu verurteilen, seine Erkrankung als Impfschaden nach dem Impfschutzgesetz anzuerkennen.
20Die Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22In der mündlichen Verhandlung waren die Anträge der Beteiligten im Einvernehmen mit den Beteiligten in der Absicht so gestellt worden, zunächst die Zusammenhangsfrage rechtskräftig dem Grunde nach zu entscheiden. Bei der Schwere der Erkrankung bestand ebenfalls Konsens, dass gegebenenfalls ein Versorgungsanspruch vorliegt.
23Die Beklagte ist der Auffassung, der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig. Ein Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung sei zwar möglich, dies reiche jedoch zur Anerkennung eines Impfschadens nicht aus.
24Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. K ... Wegen des Ergebnisses dieser Begutachtung wird auf das schriftliche Gutachten vom 04.07.2013 verwiesen (70).
25Die Beklagte hat hierzu ein Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. D. eingeholt. Wegen des Ergebnisses dieser Begutachtung wird auf das schriftliche Gutachten vom 07.11.2013 verwiesen (85).
26Hierzu hat das Gericht zwei ergänzende Stellungnahmen des Gerichtsgutachters eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahmen vom 16.06.2014 (113) und vom 05.02.2015 (131) verwiesen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
28Entscheidungsgründe:
29Die Klage ist begründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid beschwert, denn er ist rechtswidrig.
30Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung seiner Erkrankung als Impfschaden aufgrund der Impfung vom 09.11.1950.
31Die Kammer folgt der Einschätzung von Prof. Dr. K. in vollem Umfang. Das Gericht hält das Begutachtungsergebnis von Prof. Dr. K. für überzeugend.
32Es handelt sich hier um eine besondere und außergewöhnliche Fallkonstellation.
33Beide ursprünglich von der Klägerseite verfolgten Ansätze haben der gutachterlichen Überprüfung nicht standgehalten.
34Die eine Überlegung war, dass der Kläger seinerzeit an einer Erkältung erkrankt war und deshalb gar nicht hätte geimpft werden dürfen. Für diese Überlegung haben sich keine medizinischen Anhaltspunkte und Fakten finden lassen.
35Die andere Überlegung war die, dass die Pockenerreger unmittelbar im Wege der Impfkomplikation eine Hirnschädigung hervorgerufen hätten, die zu Lähmungserscheinungen führen kann. Auch hierfür ergaben sich keine medizinischen Fakten.
36Vielmehr sind sich alle Gutachter darüber einig, dass der Kläger an einer Poliomyelitis (im Volksmund: Kinderlähmung) erkrankte.
37Die Besonderheit besteht jetzt darin, dass durch die Impfung eine "Schadstelle am Körper" entsteht, die den Polioerregern den Weg ebnet.
38Prof. Dr. K. nimmt mit überzeugenden Argumenten diesen Hergang im Nachhinein an.
39Das Gericht kann diese Überlegungen nachvollziehen.
40Trotz Befall mit Polioerregern erkranken längst nicht alle Menschen. Der Verlauf der Erkrankung ist sehr unterschiedlich. Die Erkrankungsfolgen reichen von ausgeheilt bis zu dauerhaft schweren Schäden mit Lähmungen. Gerade die schweren Schäden kommen gehäuft vor, wenn die Polioerreger über eine äußere Schnittstelle, wie z.B. eine Injektion bzw. die Injektionsverletzung eindringen können.
41Bei Abwägung aller Möglichkeiten geht die Kammer davon aus, dass der genannte Kausalzusammenhang der wahrscheinlichste ist. Insofern ist das Gutachten von Prof. Dr. K. besonders überzeugend.
42Prof. Dr. K. ist für die Beurteilung des Falles besonders gut geeignet. Er ist der Leiter eines Institutes für medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene. Die entscheidenden Fragestellungen fallen genau in sein Fachgebiet.
43Seine Kompetenz ist unzweifelhaft, denn er ist Leiter eines Instituts der Uniklinik Köln.
44Es handelt sich um einen unbefangenen Gutachter, denn der Ausgang des Verfahrens ist für ihn ohne Bedeutung.
45Der Gutachter hat die einschlägigen medizinischen Studien ausgewertet. Hieraus ergibt sich ein weiterer Grund für die besondere Überzeugungskraft des Gutachtens. Prof. Dr. K. ist der Einzige, der die Koinzidenz von Impfung und eventueller Hautverletzung der Impfung in Zusammenhang mit der Polioerkrankung gesetzt hat. Insofern hat er auch gerade die entsprechenden Studien gefunden, die für einen Zusammenhang sprechen.
46Das Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren ist für das Gericht weniger überzeugend, denn gerade die hier angenommene Fallvariante, dass die Impfung den Ausbruch der Erkrankung gerade erst ermöglichte bzw. begünstigte, ist im Verwaltungsgutachten nicht einmal erkannt und problematisiert worden.
47Auch das im Weiteren von der Beklagten eingeholte Gutachten ist für die Kammer weniger überzeugend. Hier wird argumentativ zu stark auf die Zeitvariante abgestellt. Die Frage der Inkubationszeit nach einer Impfung stellt sich insbesondere für eine "normale Impfkomplikation". So liegt der Fall hier gerade nicht. Vielmehr hatte der Kläger Kontakt zu Polioerregern und durch die Impfung ergab sich für diese der Infektionsweg.
48Dieser für einen Impfschaden untypische Verlauf muss berücksichtigt werden. Die Argumentation von Prof. Dr. D. ist zu sehr dem Normalfall verhaftet.
49Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
ra.de-Urteilsbesprechung zu SGDU S 51 VJ 41/11
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu SGDU S 51 VJ 41/11