Sozialgericht Augsburg Urteil, 16. Dez. 2014 - S 4 BL 15/14

bei uns veröffentlicht am16.12.2014

Gericht

Sozialgericht Augsburg

Tenor

I.

Der Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2014 der Klägerin weiterhin Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz zu zahlen.

II.

Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Wohnsitz bzw. den gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin als Anspruchsvoraussetzung nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).

Die Klägerin ist am 1992 geboren und somit 22 Jahre alt. Sie ist aufgrund einer Frühgeborenenretinopathie beidseits seit Geburt blind. Eine Besserung der Behinderung ist nicht zu erwarten.

I.)

Verfahren vor dem streitbefangenen Verfahren

Eingegangen am 25.11.1993 wurde erstmals ein Antrag auf Blindengeld in Bayern - damals noch nach dem Zivilblindenpflegegeldgesetz (ZPflG) - bei dem Beklagten gestellt. Mit Bescheid vom 18.05.1994 wurde festgestellt, dass der Anspruch auf Zivilblindenpflegegeld vorlag. In der folgenden Zeit erließ der Beklagte gestützt auf § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) diverse Änderungsbescheide:

- Mit Bescheid vom 01.10.2003 wurde der letzte Bescheid dahingehend geändert, dass die Klägerin mit Wirkung ab 01.05.2003 nur noch einen Anspruch auf Zahlung von Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindenG) unter Anrechnung von Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege nach Stufe I hat.

- Mit Bescheid vom 20.09.2006 wurde der vorangegangene Bescheid dahingehend geändert, dass die Klägerin nach Wegfall von Leistungen der Pflegeversicherung nun wieder mit Wirkung ab 01.10.2006 Anspruch auf das volle Blindengeld hat.

- Mit Schreiben vom 28.06.2009 teilte die Mutter und Vertreterin der Klägerin mit, dass die Klägerin ab dem 15.08.2010 ein Internat der Deutschen Blindenstudieranstalt in B-Stadt besuchen werde.

Daraufhin wurde der vorangegangene Bescheid mit Bescheid vom 27.08.2010 dahingehend geändert, dass die Klägerin nur noch die Hälfte des Blindengeldes erhielt. Grund dafür sei ihr Aufenthalt in dem Internat, einer zu einem Heim gleichartigen Einrichtung, welcher durch öffentlich-rechtliche Leistungsträger zumindest teilweise finanziert würde.

- Mit E-Mail vom 10.06.2013 teilte die Mutter der Klägerin mit, dass die Klägerin nach Abschluss ihres Abiturs ab dem 21.06.2013 bis zum 12.09.2013 ihren Wohnsitz wieder in A-Stadt/Bayern habe. Vom 12.09.2013 bis zum 12.03.2014 absolviere sie einen Kurs beim Berufsförderungswerk in W. Ab April 2014 sei geplant, dass die Klägerin eine Ausbildung zur Physiotherapeutin im Berufsförderungswerk in M./Rheinland-Pfalz mache.

Der Beklagte reagierte darauf mit Bescheid vom 11.06.2013: Ab 01.06.2013 erhielt die Klägerin nun wieder das volle Blindengeld.

II.)

Streitbefangenes Verwaltungsverfahren

Per E-Mail teilte die Mutter der Klägerin dem Beklagten mit, dass die Klägerin ab dem 31.03.2014 bis zum 30.03.2017 ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin im Berufsförderungswerk in M. mache.

Der Bezirk Schwaben trägt nach dem von ihm am 24.01.2014 erlassenen Bescheid die Heimkosten und die Ausbildungskosten der Klägerin. Es handle sich dabei nach Einschätzung des Bezirks um Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Die Ermittlungen des Beklagten und Nachfrage bei der Mutter der Klägerin ergaben, dass es sich nicht um ein Internat handle, sondern um ein reines Wohnheim ohne Betreuung. Auf Nachfrage des Beklagten teilte das Berufsförderungswerk M. mit, dass die Ausbildung sich speziell an blinde und sehbehinderte Menschen richte. Die Ausbildung erfolge in Vollzeit. Für alle Teilnehmer, die nicht in unmittelbarer Nähe wohnten, gäbe es Wohnhäuser, in denen die Teilnehmer wie in einem normalen gemieteten Zimmer lebten. Es fände keine 24-Stunden-Betreuung statt. Die Teilnehmer entschieden selbst, an welchen Wochenenden sie nach Hause führen. Der Lebensmittelpunkt der Klägerin liege nach dortiger Ansicht weiterhin an deren Heimatadresse in A-Stadt. Für Mahlzeiten bestünde die Möglichkeit, in der Mensa zu essen oder in einer der Gemeinschaftsküchen im Wohnhaus zu kochen.

Die Klägerin wurde mit Schreiben der Beklagten vom 15.05.2014 davon unterrichtet, dass in Frage stünde, ob sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt noch in Bayern habe, wie dies Art. 1 Abs. 1 BayBlindenG erfordere. Die Klägerin habe nach der Einschätzung des Beklagten für die Dauer ihrer Ausbildung ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in Bayern sondern in M./Rheinland-Pfalz. Der Beklagte stützte dies argumentativ auf einen Schiedsspruch der Zentralen Spruchstelle für Fürsorgeangelegenheiten in der Streitsache des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe gegen die Stadt M. vom 07.10.1993.

Die Klägerin teilte mit, dass sie der Ansicht sei, durch ihre Ausbildung in M. weder ihren Wohnort noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern aufgegeben zu haben. Die Klägerin behalte ihren Wohnsitz bei ihren Eltern in A-Stadt bei. Sie würde am Wochenende heimfahren und beabsichtige, auch ihre Praktika in der Nähe dieses Hauptwohnsitzes durchzuführen. Sie vertrat die Ansicht, dass entscheidend sei, wo der Lebensmittelpunkt liege. Der Lebensmittelpunkt der Klägerin liege nach wie vor an ihrem Herkunftsort. Die Klägerin habe auch die Absicht, nach ihrer Ausbildung zurückzukehren, da am Herkunftsort gefestigte Beziehungen zu ihrer Familie und den Freunden bestünden.

Mit Bescheid vom 16.06.2014 entzog der Beklagte der Klägerin das Blindengeld mit Wirkung ab 01.07.2014. Er begründete dies damit, dass die Klägerin ihren Wohnsitz nicht mehr in Bayern habe. Der Wohnsitz könne nur dann bei einem außerbayerischen Aufenthalt aufrechterhalten werden, wenn dieser zwei Jahre nicht überschreite. Die Klägerin wurde darauf verwiesen, dass sie einen Antrag auf das Landesblindengeld Rheinland-Pfalz bei der Kreisverwaltungsbehörde in M. stellen könne.

Dies tat die Klägerin: Am 06.07.2014, eingegangen am 10.07.2014, beantragte sie bei der Beigeladenen Blindengeld nach dem rheinland-pfälzischen Landesblindengeldgesetz und legte den letzten Bescheid des Beklagten bei.

Die Beigeladene lehnte mit Bescheid vom 15.07.2014 einen Anspruch der Klägerin auf das rheinland-pfälzische Blindengeld ab. Als Grund gab sie an, dass der Lebensmittelpunkt der Klägerin weiterhin in ihrer Herkunftsgemeinde liege. Dort befinde sich ihr soziales Umfeld, sie führe an den Wochenenden und in der Freizeit dorthin. Der Aufenthalt in M. diene nur der Ausbildung und sei zeitlich befristet.

Die Klägerin legte gegen den Bescheid der Beigeladenen am 28.07.2014 Widerspruch ein und regte an, das Verfahren zunächst ruhend zu stellen.

Am 16.07.2014 legte die Klägerin daraufhin gegen den Bescheid des Beklagten vom 16.06.2014 Widerspruch ein. Sie begründet dies damit, dass das Haus der Eltern anders als das Studentenwohnheimszimmer in M. als ständiges Heim geeignet sei. Ein ständiger Aufenthalt sei in M. auch nicht geplant. Vielmehr sei bereits jetzt geplant, dass die Klägerin mit Abschluss ihrer Ausbildung an ihren Heimatort zurückkehre. Die Rechtsgrundlage der im Bescheid genannten Zeitspanne von zwei Jahren sei nicht erkennbar.

Weiterhin teilte die Klägerin dem Beklagten mit Schreiben vom 23.07.2014 mit, dass der in Rheinland-Pfalz gestellte Antrag auf das dortige Blindengeld von der Beigeladenen abgelehnt worden sei.

Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2014 den Widerspruch zurück. Nach Art. 7 Abs. 1 BayBlindG sei hinsichtlich der Begriffe „Wohnsitz“ und „gewöhnlicher Aufenthalt“ der § 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) anzuwenden. Die Klägerin befände sich drei Jahre zur Ausbildung in M. Sie habe deshalb dort und nicht mehr an ihrem bayerischen Heimatort ihren gewöhnlichen Aufenthalt und Wohnsitz, daran änderten auch die Familienheimfahrten nichts. Der Beklagte verwies auf eine Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts in einem aus ihrer Sicht völlig vergleichbaren Fall vom 24.11.2010 unter dem Aktenzeichen L 6 AS 168/08.

III.)

Klageverfahren

Mit Klage vom 16.10.2014, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag, hat sich die Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 16.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2014 gewandt. Die Klägerin habe ihren Lebensmittelpunkt weiterhin an ihrem Herkunftsort. Die ununterbrochene Anwesenheit sei dafür nicht erforderlich. In einer Aufstellung legt die Klägerin dar, dass sie sich durch die häufigen Heimfahrten in den Monaten April bis Dezember 2014 sogar zu 55% in Bayern aufhalten werde. Die Entscheidung des LSG Hessen sei nicht mit dem Fall der Klägerin vergleichbar. Wegen der engen Bindung an Familie und Freunde am Herkunftsort werde die Klägerin mit äußerst hoher Wahrscheinlichkeit nach der dreijährigen Ausbildung zurückkehren und bei ihren Eltern wohnen. Sie habe ihre Ausbildung lediglich deshalb beim Berufsförderungswerk in M. angefangen, weil es deutschlandweit das einzige sei, wo die Ausbildung zum Physiotherapeuten auf die Bedürfnisse Blinder und Sehbehinderter abgestimmt sei.

Mit Beschluss vom 10.11.2014 ist die Landeshauptstadt M. nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen worden.

IV.)

Lebenssituation der Klägerin

Aus dem Auszug des Einwohnermelderegisters geht hervor, dass der Hauptwohnsitz der Klägerin ohne Unterbrechung seit Geburt an ihrem Herkunftsort gemeldet ist. Seit 31.03.2014 ist ein Nebenwohnsitz in M. gemeldet.

In der mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin der Klägerin, deren Mutter, in eigener Schilderung und auf Nachfrage des Gerichts die Lebenssituation ihrer blinden Tochter dargestellt:

1.) Gründe für die Wahl des Ausbildungsortes

Die Klägerin habe ihren Herkunftsort höchst ungern verlassen, um ihre Ausbildung in M. anzutreten. Grund dafür sei gewesen, dass ihr durch Fachkreise das Berufsförderungswerk M. als der qualitativ beste Ausbildungsort für blinde Menschen im Fachbereich Physiotherapie genannt worden sei. Die Ausbildung dort habe auch über die internen Fachkreise hinaus einen guten Ruf. Man habe dort sehr viel mehr Erfahrung als etwa beim Berufsförderungswerk Nürnberg.

2.) Wochenrhythmus der Klägerin

Sie fahre am Sonntagabend mit dem Zug nach M. und käme dort in der Nacht an. Von Montag bis Freitag nehme sie von morgens bis abends bzw. am Freitag bis mittags an der Ausbildung teil. Nach dem Unterricht gehe sie in ihr Zimmer und lerne. Am Freitagmittag führe sie nach dem Unterricht mit dem Zug an ihren Herkunftsort und komme dort am Nachmittag an. Sie sei nur zu Beginn ihrer Ausbildung einmal ein Wochenende in M. geblieben.

3.) Praktika und Lernen

Die ausbildungsbegleitenden Praktika mit parallelem Unterricht unter der Woche mache sie in M. in Kliniken vor Ort. Das etwa 3-monatige Vollzeitpraktikum gegen Ende der Ausbildung werde sie aber heimatnah in Bayern machen. Dafür bestünde bereits von zwei Stellen Interesse und eine mündliche Zusage. Die Klägerin lerne sehr viel. Die Eltern hätten für die Klägerin in ihrem Haus eine Massageliege angeschafft, damit sie auch zu Hause an Familienmitgliedern üben könne.

4.) Wohnsituation in M.

In M. habe die Klägerin für den Zeitraum der Ausbildung (31.03.2014 - 30.03.2017) ein zum Berufsförderungswerk gehöriges Wohnheimszimmer mit einem mit Dusche und Toilette ausgestatteten Bad. Es gäbe eine Gemeinschaftsküche, die sie nutzen könnte. Allerdings sei die Funktion der Geräte der Klägerin nicht erklärt worden, weshalb sie diese derzeit nicht allein bedienen könne. Sie nähme alle Mahlzeiten (Frühstück, Mittag und Abendbrot) in der Mensa ein. Aktuell habe die Mutter der Klägerin mit ihr begonnen, das Kochen auf einem Ceranfeld zu üben, d. h. den elterlichen Herd zu bedienen und Speisen zuzubereiten.

Die Klägerin habe in M. die Möglichkeit, ihre Wäsche in einer Gemeinschaftswaschküche zu reinigen. Die Maschinen seien ihr jedoch ebenfalls nicht hinreichend erklärt worden. Das System zum Wäschewaschen sei außerdem nicht blindengerecht. Die Klägerin bringe ihre schmutzige Wäsche bei ihren Wochenendheimfahrten mit zu ihren Eltern.

5.) Wohnsituation am Herkunftsort

Am Herkunftsort habe die Klägerin nach wie vor unverändert ihr Kinderzimmer im Haus der Eltern. Ihr Zimmer stünde der Klägerin jederzeit zur Verfügung und werde nicht anderweitig genutzt. Sie habe ihre eigene Toilette, die sie selbst putze. Sie helfe im elterlichen Haushalt, decke zum Beispiel den Tisch. Die elterliche Waschmaschine könne die Klägerin bedienen.

6.) Soziale Kontakte in M.

In M. fühle sie sich nicht heimisch und habe außerhalb des Unterrichts auch keine engeren sozialen Kontakte. Freundschaften mit ihren Ausbildungskollegen hätten sich bisher nicht ergeben. Dies sei u. a. darauf zurückzuführen, dass die Ausbildungskollegen alle sehr viel älter als die Klägerin seien. Sie seien anders als die Klägerin erst später in ihrem Leben erblindet und machten eine Umschulung. Die Klägerin lerne außerhalb des Unterrichts allein für sich. Auch die anderen Auszubildenden führen am Wochenende heim. Sozialen, sportlichen, musikalischen oder anderen Freizeitaktivitäten ginge sie in M. nicht nach.

7.) Soziale Kontakte am Herkunftsort

Im Elternhaus lebe neben den Eltern auch die nur wenig ältere Schwester der Klägerin. Die Geschwister würden viel miteinander unternehmen und stünden sich sehr nahe. Da die Schwester ebenfalls im Bereich Medizin tätig sei, würden sie sich auch fachlich austauschen. Die Klägerin habe außerdem am Herkunftsort Freunde, mit denen sie sich oft treffen würde. Sie sei wie die restliche Familie auch beim Bayerischen Roten Kreuz aktiv. Dort sei sie fest integriert, spiele Theater und bei den Weihnachtsfeierlichkeiten spiele sie Flöte und trage Gedichte vor. Alle Wochenenden, Feiertage und den Urlaub verbringe sie am Herkunftsort bzw. fahre mit ihren Eltern in den Urlaub. Sie habe im Sommer etwa drei Wochen und um Weihnachten herum etwa zwei Wochen Urlaub.

8.) Zukunftspläne

Die Ausbildung in M. sei nicht darauf angelegt, dass Auszubildende dort übernommen würden. Auch den Wohnheimsplatz in M. könne die Klägerin nach Abschluss ihrer Ausbildung nicht behalten. Die Klägerin wolle auch nicht dauerhaft außerhalb von Bayern leben. Sie plane, in ihren Herkunftsort ins Elternhaus zurückzukehren und heimatnah nach einem Arbeitsplatz zu suchen. Ihr sei bereits von einem Arbeitgeber signalisiert worden, dass nach Abschluss der Ausbildung Interesse an einem Arbeitsverhältnis bestünde. Das Elternhaus sei so groß, dass vorgesehen sei, die untere Wohnung blindengerecht für die Klägerin auszubauen, so dass diese nach endgültiger Rückkehr aus M. darin selbstständig wohnen könne.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 16.06.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin weiterhin Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz zu zahlen.

Die Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGG zulässig.

Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte hat der Klägerin zu Unrecht die Leistung des Blindengeldes entzogen. Denn die Klägerin hat nach Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 BayBlindG i. V. m. § 30 Abs. 1, Abs. III S. 1 SGB I weiterhin ihren Wohnsitz in Bayern und somit Anspruch auf die Leistungen nach dem BayBlindG.

I.)

Zugrunde zu legender Sachverhalt

Das Gericht hält alle Angaben der Klägerin zu ihrer Wohn- und Lebenssituation für glaubhaft. Es hat keinen Zweifel daran, dass der ausführliche Vortrag der Mutter der Klägerin den tatsächlichen Umständen entspricht. Aus dem Verhalten der Klägerin bzw. ihrer Bevollmächtigten ergibt sich, dass sie den Beklagten durchgängig wahrheitsgemäß und ohne Verzögerung über den aktuellen Stand informierte. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Klägerin an dem Bezug der höheren Landesleistung für blinde Menschen oder beider Leistungen gleichzeitig interessiert war. Auch der Beklagte hat die Angaben der Klägerin zu keiner Zeit angezweifelt. Die Beteiligten streiten folglich lediglich darüber, wie die Wohn- und Lebenssituation der Klägerin rechtlich einzuordnen ist.

II.)

Gesetzliche Voraussetzungen des Wohnsitzbegriffs

Nach Art. 1 Abs. 1 BayBlindG ist der Wohnsitz bzw. gewöhnliche Aufenthalt im Freistaat Bayern Anspruchsvoraussetzung.

Art. 1 Abs. 1 BayBlindG lautet:

„(1) Blinde und taubblinde Menschen erhalten auf Antrag, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen ein monatliches Blindengeld.“

Art. 7 Abs. 1 BayBlindG verweist auf die Anwendbarkeit des SGB I und des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X). Damit ist für die Definition des Wohnsitzes/gewöhnlichen Aufenthaltes § 30 SGB I anwendbar.

§ 30 SGB I lautet:

„(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.“

Sinn und Zweck des § 30 SGB I ist die Missbrauchsabwehr und Leistungsbegrenzung auf Inländer (vgl. Schlegel in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 30 SGB I Rn. 23 ff.). Die Bundesnorm differenziert also zwischen Inland (innerhalb der BRD) und Ausland (außerhalb der BRD). Die Norm kann jedoch unproblematisch auch für die Differenzierung innerhalb Deutschlands zwischen den einzelnen Bundesländern herangezogen werden.

Nach § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. § 30 Abs. 3 SGB I ist der Vorschrift des § 8 Abgabenordnung (AO) nachgebildet, so dass zur Auslegung des § 30 Abs. 3 SGB I ergänzend die zu den §§ 8 ff. AO ergangene Rechtsprechung und Kommentierung herangezogen werden kann. Beim sozialrechtlichen Wohnsitzbegriff kommt es wie im Steuerrecht (vgl. § 8 AO) nicht auf den rechtsgeschäftlichen Willen, sondern auf die tatsächlichen, objektiven Umstände an. Dies gilt für Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt gleichermaßen.

Mehrere sozialrechtliche Wohnsitze sind möglich. Dies führt jedoch nicht zu einer Vervielfältigung der Ansprüche, sondern, wenn nicht ein Wohnsitz in seiner Gewichtung klar überwiegt, zu einem Wahlrecht (vgl. Gutzler in BeckOK SozR SGB I § 30 Rn. 33).

Ein Doppelwohnsitz im In- und Ausland bzw. ein Auseinanderfallen von Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt ist nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) möglich, erfordert jedoch ausreichend intensive Beziehungen zum Inland (hier: Bayern) (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 1980 - 8b RKg 6/79 -, SozR 5870 § 1 Nr. 7).

Ein Wohnsitz liegt dann vor, wenn die objektiven Umstände darauf schließen lassen, dass jemand eine Wohnung beibehalten und benutzen wird. Da der Wohnsitzbegriff der engere Begriff ist, ist vorrangig zu prüfen ist, ob ein Wohnsitz (hier: in Bayern) besteht. Liegt der Wohnsitz innerhalb des Leistungsgebietes vor, kommt es auf den gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr an.

Ob die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Sätze 1 oder 2 SGB I vorliegen, ist durch

vorausschauende Betrachtungsweise zu beurteilen, also durch eine Wertung, die die zukünftige Entwicklung mit einbezieht (vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 1988 - 10 RKg 17/87 -, SozR 5870 § 1 Nr. 14, BSGE 63, 47-51; BSG, Urteil vom 17. Mai 1989 - 10 RKg 19/88 -, SozR 1200 § 30 Nr. 17, BSGE 65, 84-89).

Rechtsprechung und Literatur haben folgende objektive Umstände als besonders entscheidend hervorgehoben: Anwesenheit am Wohnsitz, Mittelpunkt der Lebensbeziehungen, Räumlichkeiten, die als ständiges Heim geeignet sind.

1.) Anwesenheit am Wohnsitz

Ununterbrochene Anwesenheit am Wohnsitz ist nicht erforderlich. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG entfällt ein Wohnsitz nicht bei einer nur vorübergehenden Abwesenheit, wenn die Abwesenheit zeitlich begrenzt ist, die jederzeitige Möglichkeit zur dauerhaften Rückkehr besteht und der Betroffene die Wohnung nicht nur besuchsweise nutzt (vgl. zur vorübergehenden Abwesenheit eines Kindes zur Schul- und Berufsbildung BSG, Urteil vom 25. April 1984 - 10 RKg 2/83 -, SozR 5870 § 2 Nr. 32; bei Internatsunterbringung BSG, Urteil vom 26. Juni 1996 - 10 RKg 16/94 -, SozR 3-5870 § 2 Nr. 32; zu mehrjährigem Studium im Ausland BSG, Urteil vom 28. Mai 1997 - 14/10 RKg 14/94 -, SozR 3-5870 § 2 Nr. 36, SozR 3-1200 § 30 Nr. 19, SozR 3-1200 § 30 Nr. 19).

Es ist umstritten, welche Zeitspanne für die Abwesenheit maximal möglich ist, ohne dass der Wohnsitz erlischt. In der Rechtsprechung und der juristischen Fachliteratur wird häufig eine Zweijahresfrist herangezogen (vgl. Schlegel in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 30 SGB I Rn. 47; Gutzler in BeckOK SozR SGB I § 30 Rn. 36), welche aus dem Rechtsgedanken des supranationalen Entsendungsrechts bei Arbeitnehmern entwickelt worden ist (vgl. Art. 12 VO (EG) 883/2004). Jedoch besteht Einigkeit darüber, dass eine klare zeitliche Grenze aus § 30 Abs. 3 SGB I nicht hergeleitet werden kann. Je länger die Abwesenheit vom Wohnsitz ist, desto gravierender müssen jedoch die weiteren Umstände sein, die für die Rückkehr sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 1996 - 10 RKg 29/95 -, SozR 3-5870 § 2 Nr. 33, BSGE 79, 147-152, SozR 3-1200 § 30 Nr. 17; Schlegel in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 30 SGB I Rn. 45; Gutzler in BeckOK SozR SGB I § 30 Rn. 36; Hauck/Noftz, SGB I K § 30 Rn. 11 - 13). Auch das von der Beklagten für die Verwaltungsentscheidungen herangezogene Urteil des Hessischen Landessozialgerichts hat in seiner Entscheidung zum gewöhnlichen Aufenthalt ausgeführt, dass hinsichtlich der Länge des Aufenthaltes an einem anderen Ort eine konkrete Abwägung erforderlich sei und nicht von einem pauschalisierten Zeitraum ausgegangen werden dürfe (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 24. November 2010 - L 6 AS 168/08 -, juris, Rn. 30).

Für die Häufigkeit der tatsächlichen Benutzung einer Wohnung kann - wie oben dargelegt - auch die die Rechtsprechung des BFH zu § 8 AO und die entsprechende Kommentierung herangezogen werden: Eine erforderliche Mindestnutzung oder feste zeitliche Grenze gibt es nicht. Maßgebend ist aber, dass der Betroffene die Wohnung mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wenn auch in größeren Abständen, nutzt. Bei mehrjähriger Abwesenheit reichen kurzzeitige Besuche nicht aus (BFH, Urteil vom 06. März 1968 - I 38/65 -, BFHE 92, 5, BStBl II 1968, 439; BFH, Urteil vom 27. April 1995 - III R 57/93 -, juris; BFH, Urteil vom 23. November 2000 - VI R 107/99 -, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294;

Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Auflage 2009, § 8 Rn. 13).

2.) Mittelpunkt der Lebensbeziehungen

Für die Beurteilung, ob ein Wohnsitz Mittelpunkt der Lebensbeziehungen ist, ist die Bindung des Betroffenen an den jeweiligen Wohnsitz und die Art des Aufenthalts zu betrachten. Indizien für eine enge Bindung an einen Ort sind die Verbundenheit mit am Ort lebenden Menschen (Familie, Freunde ...), mit der Arbeit, dem Arbeitsumfeld und Arbeitskollegen, sowie Freizeitaktivitäten und soziales Engagement vor Ort (vgl. Gutzler in BeckOK SozR SGB I § 30 Rn. 36).

Bei einem Aufenthalt an zwei Orten ist abzuwägen, welchem das entscheidende Gewicht für die Lebensbeziehungen zukommt (vgl. zum Internatsaufenthalt eines Kindes Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. April 1981 - L 13 Ar 54/80 -, juris; Seewald in KassKomm SGB I § 30 Rn. 16).

3.) Räumlichkeiten, die als ständiges Heim geeignet sind

Räumlichkeiten sind dann als ständiges Heim geeignet, wenn in ihnen ein selbstständiger Haushalt auf Dauer geführt werden kann. Ausstattung und sonstige Gegebenheiten müssen auf eine - zumindest regelmäßige - Benutzung hinweisen (vgl. Seewald in KassKomm SGB I § 30 Rn. 16). Als wichtige Ausstattung angesehen werden eine Wasserversorgung und -entsorgung, eine Kochgelegenheit und eine Toilette. Es fehlt hieran, wenn nur eine Mitbenutzung von Bad, Toilette und Küche in einer fremden Wohnung gestattet sind (Schlegel in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 30 SGB I, Rn. 32).

III.)

Bewertung der objektiven Umstände

Im vorliegenden Fall sprechen die überwiegenden objektiven Umstände für das Bestehen eines anspruchsbegründenden Wohnsitzes der Klägerin an ihrem Herkunftsort in Bayern trotz ihres Ausbildungswohnsitzes außerhalb von Bayern.

Das Gericht hat hierfür alle tatsächlichen Umstände gegeneinander abgewogen.

Die Klägerin hat zwei Wohnsitze gemeldet: Sie ist seit Geburt ohne Unterbrechung mit Hauptwohnung (1. Wohnsitz) in A-Stadt/Bayern mit der Adresse ihres Elternhauses gemeldet. Seit 31.03.2014 ist zusätzlich als Nebenwohnung (2. Wohnsitz) die Adresse ihres Studentenwohnheims in M./Rheinland-Pfalz gemeldet.

Das Gericht hält diese Rangfolge der Wohnungen der Klägerin auch für die sozialrechtliche Bewertung für zutreffend. Grund für das Wertungsergebnis des Gerichts ist die besonders intensive Beziehung der Klägerin zu dem Wohnsitz am Herkunftsort.

1.) Anwesenheit der Klägerin am Wohnsitz in Bayern bzw. in Rheinland-Pfalz

Das Gericht hält die Anwesenheit der Klägerin am Wohnsitz in Bayern für ausreichend, um diesen weiterhin als sozialrechtlichen Wohnsitz anzusehen.

Der Zeitraum der Ausbildung (31.03.2014 - 30.03.2017) beträgt drei Jahre und liegt somit klar über dem üblicherweise als Orientierungswert herangezogenen Zeitraum von zwei Jahren. Es kann dahinstehen, ob die drei Monate für das Pflichtpraktikum, welches die Klägerin konkret plant an ihrem Herkunftsort zu machen, von den drei Jahren abgezogen werden kann, so dass es sich nur noch um einen Zeitraum von 2 3/4 Jahren handelte.

Der Ausbildungszeitraum ist jedenfalls eindeutig zeitlich begrenzt und wird von der Klägerin glaubhaft als nur vorübergehend angegeben. Denn weder besteht die Möglichkeit zur Übernahme durch die Ausbildungsstätte noch die Möglichkeit im Wohnheim nach Abschluss der Ausbildung weiter zu wohnen.

Da jedoch eine ununterbrochene Anwesenheit am Wohnsitz nicht erforderlich ist, hält das Gericht im konkreten Fall die Anwesenheit der Klägerin am Wohnsitz in Bayern für ausreichend. Als entscheidend sieht das Gericht die Tatsache an, dass die Klägerin jede sich ihr bietende Gelegenheit (quasi jede freie Minute) nutzt, um zu ihrem Herkunftsort zu fahren und dort so lange wie möglich zu verweilen.

Die Klägerin hat auch die Möglichkeit, jederzeit dort zu leben und dauerhaft zu bleiben. Dass ihr im Elternhaus ein eigenes Zimmer unverändert und ohne konkurrierende Nutzung zur Verfügung steht, sie dort ebenfalls lernt, sie durch die eigens angeschaffte Massageliege auch die Möglichkeit zu praktischen Übungen hat und sie sich durch Hilfstätigkeiten in den elterlichen Haushalt einbringt, zeigt, dass es sich bei den Heimfahrten nicht nur um bloße Besuchsfahrten handelt.

Auch in der prognostischen Betrachtung ist davon auszugehen, dass die Klägerin zu ihrem Herkunftsort in Bayern zurückkehren wird. Dafür sprechen insbesondere folgende Faktoren:

- keine Möglichkeit zur Übernahme im Ausbildungsbetrieb,

- aktive Anstrengungen der Klägerin für das dreimonatige Vollzeitpraktikum gegen

Ende der Ausbildung eine Stelle an ihrem Herkunftsort in Bayern zu bekommen und

- aktive Anstrengungen der Klägerin nach Abschluss der Ausbildung an ihrem Herkunftsort beruflich Fuß zu fassen.

Das Gericht verkennt nicht, dass die Klägerin unter der Woche Sonntagnacht bis Freitagnachmittag (also rund 4 1/2 Tage die Woche) an ihrem Zweitwohnsitz in M. verbringt. Unter Berücksichtigung von Feiertagen, Urlaubstagen und des zu erbringenden Vollzeitpraktikums ist nach Wertung des Gerichts aber nicht von einem starken Überwiegen der Anwesenheit der Klägerin am Ausbildungsort auszugehen.

2.) Mittelpunkt der Lebensbeziehungen der Klägerin

Durch das Verhalten der Klägerin wird deutlich, dass ihr Lebensschwerpunkt an ihrem Herkunftsort in Bayern und nicht in M. liegt. Bei dem Zweitwohnsitz in M. handelt es sich für die Klägerin tatsächlich um einen Wohnsitz zweiten Ranges.

Für das Gericht stellt sich das Leben der Klägerin eindeutig so dar, dass die Aufenthalte an ihrem Lebensmittelpunkt in Bayern durch die (ungewollten) Aufenthalte am Ausbildungsort unterbrochen werden. Ganz eindeutig ist die Klägerin tief an ihrem Herkunftsort verwurzelt. Sie ist eng mit ihrer Familie, ihren Freunden und dem Bayerischen Roten Kreuz verbunden, pflegt am Herkunftsort in Bayern ihre Hobbys, lernt und beteiligt sich an der Haushaltsführung.

Dagegen bestehen keine engen sozialen Bindungen am Ausbildungsort. Die Klägerin schätzt zwar die hohe Qualität der Ausbildung, hat jedoch mit ihren Ausbildungskollegen und den Unterrichtenden außerhalb des Unterrichts nichts zu tun und übt auch keine Hobbys aus. Ihr Aufenthalt in M. dient der reinen Aufnahme von Lernstoff und den ansonsten ausschließlich für die Lebenserhaltung notwendigen Tätigkeiten (Essen, Schlafen, Hygiene ...).

3.) Räumlichkeiten, die für die Klägerin als ständiges Heim geeignet sind

Die Räumlichkeiten am Herkunftsort der Klägerin in Bayern sind im Gegensatz zu dem Wohnheimszimmer am Ausbildungsort als ständiges Heim geeignet.

Die Ausstattung ist an beiden Wohnorten nicht komplett im Sinne der zuvor dargestellten relevanten Ausstattung: Im Wohnheim hat die Klägerin ein eigenes Zimmer mit eigener Toilette und Dusche und könnte die Gemeinschaftsküche und die Gemeinschaftswaschküche mitbenutzen. Tatsächlich fehlt es der Klägerin jedoch wegen ihrer Behinderung und der fehlenden entsprechenden Organisation der Nutzung durch das Wohnheim an den Kenntnissen und Möglichkeiten, die Gemeinschaftsräume entsprechend zu nutzen. Sie nimmt deshalb alle Mahlzeiten in der Mensa zu sich und nimmt ihre schmutzige Wäsche zum Reinigen mit an ihren Herkunftsort.

Im Elternhaus in Bayern hat die Klägerin auch ein eigenes Zimmer und eine eigene Toilette. Eine eigene Dusche hat sie nicht. Die Küche und die Waschmaschine kann sie auch hier nur gemeinsam nutzen mit ihrer Familie. Jedoch ist die Klägerin in der Lage, die Waschmaschine selbstständig zu bedienen und erlernt derzeit auch die Kochgelegenheit selbstständig zu nutzen. Faktisch ist die Klägerin somit - obwohl eingebunden in den familiären Haushalt - sehr viel mehr am Herkunftsort in der Lage, einen eigenständigen Haushalt zu führen.

Dazu kommt die prognostische Betrachtung, dass die Klägerin im Studentenwohnheim in M. nur für die Zeit ihrer Ausbildung bleiben kann. Beim Elternhaus ist dagegen ein blindengerechter Ausbau der unteren Wohnung geplant, so dass die Klägerin zukünftig dort dauerhaft selbstständig wohnen kann.

Dem Antrag der Klägerin war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, § 193 SGG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Augsburg Urteil, 16. Dez. 2014 - S 4 BL 15/14

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Sozialgericht Augsburg Urteil, 16. Dez. 2014 - S 4 BL 15/14 zitiert 10 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 183


Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kos

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 30 Geltungsbereich


(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. (2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt. (3) Einen Wohnsitz hat jem

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 136


(1) Das Urteil enthält 1. die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,2. die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidun

Abgabenordnung - AO 1977 | § 8 Wohnsitz


Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Referenzen

(1) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
den Ort und Tag der mündlichen Verhandlung,
4.
die Urteilsformel,
5.
die gedrängte Darstellung des Tatbestands,
6.
die Entscheidungsgründe,
7.
die Rechtsmittelbelehrung.

(2) Die Darstellung des Tatbestands kann durch eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zu Protokoll erfolgten Feststellungen ersetzt werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand richtig und vollständig ergibt. In jedem Fall sind jedoch die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorzuheben.

(3) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsaktes oder des Widerspruchsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(4) Wird das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet, so bedarf es des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe nicht, wenn Kläger, Beklagter und sonstige rechtsmittelberechtigte Beteiligte auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichten.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.