Sozialgericht Aachen Gerichtsbescheid, 29. Apr. 2015 - S 12 SB 311/15
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Klage SG Aachen S 12 SB 459/14 durch wirksame Klagerücknahme im Termin vom 07.10.2014 erledigt ist. Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Frage, ob das Verfahren S 12 SB 459/14 erledigt ist.
3In diesem Verfahren, in dem es um die Höhe des dem Kläger zustehenden Grades der Behinderung (GdB) sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G ging, erklärte der Kläger – nachdem dem Kläger insbesondere das Ergebnis des Gutachtens der Orthopädin, Rheumatologin und speziellen Schmerztherapeutin Dr. Q erläuterte worden war -im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 07.10.2014 auf Nachfrage des Kammervorsitzenden, er nehme die Klage zurück.
4Diese Erklärung wurde dem Kläger vom Band vorgespielt und von diesem genehmigt.
5Mit Schreiben vom 10.10.2014, eingegangen bei Gericht am 13.10.2014 erklärte der Kläger, er wolle die Klage, die er am 07.10.2014 "zurücknehmen musste", nicht zurücknehmen. Der Richter habe ihn in zehn Minuten dreimal gefragt, ob er die Klage zurücknehme. Deshalb habe er sich genötigt gefühlt, und ja gesagt, was ihm aber leid tue. Er nehme die Klage nicht zurück, weil er starke Schmerzen habe seit Dezember 2012 Tag und Nacht. Er sei erheblich gehbehindert. Seine Ärzte hätten ihn falsch behandelt. Er bleibe bei seiner Klagebegründung.
6Der Kammervorsitzende hat dem Kläger daraufhin formlos mitgeteilt, das Verfahren sei aufgrund der erklärten Rücknahme beendigt. Eine Weiterführung komme nicht in Betracht. Es stehe ihm frei, beim Beklagten einen neuen Antrag zu stellen.
7Hieraufhin hat sich der Kläger an das Landessozialgericht gewandt. Er hat im Wesentlichen ausgeführt, er sei durch den Kammervorsitzenden durch das dreimalige Fragen danach, ob er die Klage zurücknehme, genötigt worden. Er habe Schmerzen. Diese könne man nicht sehen. Er sei seit 2012 erheblich gehbehindert und er verlange den Ausweis mit G und alle ihm seither entstandenen Fahrkosten zurück. Diese beliefen sich auf 1.300,00 EUR.
8Die zuständige Berichterstatterin hat dem Kläger mit Schreiben vom 11.03.2015 mitgeteilt, das an das Landessozialgericht herangetragene Rechtsschutzbegehren sei unzulässig. Es sei aber dem geäußerten Begehren zu entnehmen, dass er die Fortführung des Verfahrens vor dem Sozialgericht begehre. Dies möge er klarstellen und den Antrag an das Landessozialgericht zurücknehmen.
9Am 17.03.2015 hat der Kläger erklärt, er bitte darum, dass alle Unterlagen als Klage an das Sozialgericht Aachen geschickt würden. Danach werde er die Berufung schreiben.
10Die zuständige Berichterstatterin des Landessozialgerichts ist auf Grundlage des Akteninhalts davon ausgegangen, dass der Kläger die Wiederaufnahme des erledigten Verfahrens bzw. die Anfechtung der Klagerücknahme begehre und hat die Akten an das Sozialgericht mit der Bitte in eigener Zuständigkeit darüber zu entscheiden zurückgesandt.
11Mit gerichtlicher Verfügung vom 14.04.2015 hat der Kammervorsitzende den Beteiligten erklärt, es sei beabsichtigt, durch Gerichtsbescheid festzustellen, dass die Klage erledigt ist. Der Beklagte hat sich ausdrücklich mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt. Der Kläger hat das Schreiben des Gerichts mit einem handschriftlich versehen Vermerk zurück gesandt. Darin wiederholt der Kläger, dass er seit Dezember 2012 vom Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G ausgeht und er die seitdem angefallenen Fahrtkosten, die er mit nunmehr 1.400,00 EUR beziffert zurückverlangt.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Gemäß § 105 Abs. 1 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher gehört worden.
15Da die Schriftsätze des unvertretenen Klägers einen klar formulierten Antrag nicht erkennen lassen, sind sie auszulegen. Es geht dem Kläger offensichtlich darum, den für erledigt erklärten Rechtsstreit S 12 SB 459/14 fortzuführen.
16Unabhängig davon, dass die Klage nach Auffassung der Kammer in ihrer Besetzung vom 07.10.2014 – unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme – materiell-rechtlich keine Aussicht auf Erfolg haben konnte, weswegen dem Kläger auch die Rücknahme der Klage nahegelegt worden ist, kommt eine Fortführung auch prozessual nicht in Betracht. Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 GG erledigt die Klagerücknahme den Rechtsstreit in der Hauptsache. Die Klagerücknahme ist eine einseitige Prozesshandlung, mit der der Kläger seine Bitte um Gewährung von Rechtsschutz zurückzieht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 102 Rn. 2). Diese Prozesshandlung ist auch gemäß § 122 SGG i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 8 Zivilprozessordnung (ZPO) in die Verhandlungsniederschrift aufgenommen worden. Sie wurde auch vorgelesen und durch den Kläger genehmigt, was sich ebenfalls aus dem Sitzungsprotokoll ergibt. Dass der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird von ihm auch nicht in Abrede gestellt. Es reut ihn offensichtlich aber. Nach allgemeiner Meinung sind indes Willensmängel, die bei anderen Willenserklärungen zu deren Nichtigkeit oder Anfechtung führen können, für Prozesshandlungen nicht anwendbar (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, Vor § 60 Rn. 12; Bundesverwaltungsgericht – BVerwG – Beschluss vom 07.08.1998 – 4 B 75/98 = juris). Für die erklärte Rücknahme gilt dies ausdrücklich auch nach der Rechtsprechung des für das Schwerbehindertenrecht zuständigen 9. Senats des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 19.03.2002 – B 9 V 75/01 B = juris).
17Danach kommt eine Anfechtung der Rücknahme – unabhängig davon, dass auch keine Anfechtungsgründe erkennbar sind, nicht in Betracht.
18Soweit es den Kläger reut, dass er die Klage zurückgenommen hat, handelte es sich um einen bloßen Motivirrtum, der ohnehin nicht zur Anfechtung berechtigen würde. Soweit der Kläger angibt, er habe sich zur Rücknahme genötigt gefühlt wäre ein Anfechtungsgrund ebenfalls nicht gegeben. Eine Nötigung im rechtlichen Sinne lag hier keinesfalls vor. Der Kammervorsitzende hat – nachdem er die Erfolgsaussichten der Klage mit der Kammer beraten hatte – den Kläger darüber in Kenntnis gesetzt, dass er das, was er sich von der Klage erhoffte, nämlich einen höheren GdB und insbesondere die Zuerkennung des Merkzeichens G, nicht erhalten könne. Die Kammer beabsichtige, die Klage abzuweisen. Er wurde daraufhin gefragt, ob er die Klage zurücknehme. Da der schwerhörige Kläger hierauf zunächst nicht antwortete, wiederholte der Kammervorsitzende die Frage in der Tat mehrfach und legte hierbei jedes Mal in knapper Form die Gründe dar, aus denen die Kammer zur Abweisung der Klage kommen werde. Nachdem der Kläger dreimal gefragt worden war, erklärte er die Klagerücknahme. Hierbei war er aber zuvor nicht im Ansatz vom Kammervorsitzenden in irgendeiner Form bedroht oder getäuscht worden. Dies trägt der Kläger im Übrigen auch nicht vor. Vielmehr fühlte er sich offensichtlich durch die Situation und das mehrfache Nachfragen dazu veranlasst die Klage zurück zu nehmen. Für den Kammervorsitzenden machte die Klagerücknahme demgegenüber nur deutlich, dass der Kläger letztendlich doch von dem Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt worden war. Hierauf kommt es aber – wie ausgeführt – nicht an, da eine Anfechtung per se ausscheidet.
19Ein Widerruf der Rücknahmeerklärung kommt nur dann in Betracht, soweit die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 179 SGG in Verbindung mit §§ 578 ff. ZPO bzw. § 180 SGG gegeben sind (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 27.01.2015 – L 13 R 303/14 = juris, vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 07.08.1998 – 4 B 75.98 = juris; Oberverwaltungsgericht – OVG – Lüneburg, Beschluss vom 05.09.2014 – 5 LA 57/14 = juris). Denn lässt der Gesetzgeber es nach Maßgabe der §§ 179 i.V.m. 578 ff. ZPO, § 180 SGG ausdrücklich zu, sich selbst von der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil zu lösen, so entspricht es seinem Regelungswillen, die von ihm gezogenen Konsequenzen unter den genannten Tatbestandsvoraussetzungen auch dann zu ziehen, wenn ein Verfahren anderweitig beendet worden ist (so überzeugend zur Rechtslage in der VwGO, Verwaltungsgericht – VG – Schwerin – Beschluss vom 29.01.2015 – 4 A 1052/14 = juris).
20Die Voraussetzungen für die Annahme einer Nichtigkeits- oder Restitutionsklage sind offensichtlich nicht erfüllt. Insbesondere das vom Kläger beschriebene Gefühl der Nötigung erfüllt die Voraussetzungen nicht.
21Es bleibt daher dabei, dass die Klage SG Aachen S 12 SB 459/14 durch wirksame Klagerücknahme im Termin vom 07.10.2014 erledigt ist. Dies war im Übrigen auch der Grund, weswegen der Kammervorsitzende den Kläger zunächst darauf hingewiesen hatte, dass das Verfahren erledigt sei. Nachdem der Kläger durch sein Hinwenden an das Berufungsgericht freilich zum Ausdruck gebracht hat, dass er den formlosen Hinweis des Gerichts nicht zu akzeptieren bereit ist, war das Gericht gehalten, hierüber förmlich zu entscheiden und dies durch Gerichtsbescheid festzustellen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 105 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 193 SGG.
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(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.
(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.
(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.
(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
Für das Protokoll gelten die §§ 159 bis 165 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(1) Das Protokoll enthält
- 1.
den Ort und den Tag der Verhandlung; - 2.
die Namen der Richter, des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und des etwa zugezogenen Dolmetschers; - 3.
die Bezeichnung des Rechtsstreits; - 4.
die Namen der erschienenen Parteien, Nebenintervenienten, Vertreter, Bevollmächtigten, Beistände, Zeugen und Sachverständigen und im Falle des § 128a den Ort, von dem aus sie an der Verhandlung teilnehmen; - 5.
die Angabe, dass öffentlich verhandelt oder die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden ist.
(2) Die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung sind aufzunehmen.
(3) Im Protokoll sind festzustellen
- 1.
Anerkenntnis, Anspruchsverzicht und Vergleich; - 2.
die Anträge; - 3.
Geständnis und Erklärung über einen Antrag auf Parteivernehmung sowie sonstige Erklärungen, wenn ihre Feststellung vorgeschrieben ist; - 4.
die Aussagen der Zeugen, Sachverständigen und vernommenen Parteien; bei einer wiederholten Vernehmung braucht die Aussage nur insoweit in das Protokoll aufgenommen zu werden, als sie von der früheren abweicht; - 5.
das Ergebnis eines Augenscheins; - 6.
die Entscheidungen (Urteile, Beschlüsse und Verfügungen) des Gerichts; - 7.
die Verkündung der Entscheidungen; - 8.
die Zurücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels; - 9.
der Verzicht auf Rechtsmittel; - 10.
das Ergebnis der Güteverhandlung.
(4) Die Beteiligten können beantragen, dass bestimmte Vorgänge oder Äußerungen in das Protokoll aufgenommen werden. Das Gericht kann von der Aufnahme absehen, wenn es auf die Feststellung des Vorgangs oder der Äußerung nicht ankommt. Dieser Beschluss ist unanfechtbar; er ist in das Protokoll aufzunehmen.
(5) Der Aufnahme in das Protokoll steht die Aufnahme in eine Schrift gleich, die dem Protokoll als Anlage beigefügt und in ihm als solche bezeichnet ist.
(1) Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozeßordnung wieder aufgenommen werden.
(2) Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat.
(3) Auf Antrag kann das Gericht anordnen, daß die gewährten Leistungen zurückzuerstatten sind.
(1) Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist auch zulässig, wenn
- 1.
mehrere Versicherungsträger denselben Anspruch endgültig anerkannt haben oder wegen desselben Anspruchs rechtskräftig zur Leistung verurteilt worden sind, - 2.
ein oder mehrere Versicherungsträger denselben Anspruch endgültig abgelehnt haben oder wegen desselben Anspruchs rechtskräftig von der Leistungspflicht befreit worden sind, weil ein anderer Versicherungsträger leistungspflichtig sei, der seine Leistung bereits endgültig abgelehnt hat oder von ihr rechtskräftig befreit worden ist.
(2) Das gleiche gilt im Verhältnis zwischen Versicherungsträgern und einem Land, wenn streitig ist, ob eine Leistung aus der Sozialversicherung oder nach dem sozialen Entschädigungsrecht zu gewähren ist.
(3) Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist bei einem der gemäß § 179 Abs. 1 für die Wiederaufnahme zuständigen Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu stellen. Dieses verständigt die an dem Wiederaufnahmeverfahren Beteiligten und die Gerichte, die über den Anspruch entschieden haben. Es gibt die Sache zur Entscheidung an das gemeinsam nächsthöhere Gericht ab.
(4) Das zur Entscheidung berufene Gericht bestimmt unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide oder richterlichen Entscheidungen den Leistungspflichtigen.
(5) Für die Durchführung des Verfahrens nach Absatz 4 gelten im übrigen die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens entsprechend.
(6) (weggefallen)
Tenor
I.
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 17. März 2014 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob der Rechtsstreit vor dem Sozialgericht München (SG) mit dem Az. S 4 KN 133/13 durch Rücknahme erledigt oder ob er vor dem SG fortzuführen ist.
Mit Klageschriftsatz vom 10. Dezember 2013 an das SG bemängelte die Klägerin unter Hinweis auf die Rentenbescheide vom 18. Februar 1991 und 2. Dezember 1991 (betreffend A.) bzw. 20. September 1988 und 2. Dezember 1991 (betreffend W. A.) die Höhe ihrer Regelaltersrente. Zuletzt hatte die Beklagte mit Bescheid vom 27. März 2013 einen - in der Vergangenheit bereits mehrfach erfolglos gestellten - Antrag gemäß § 44 SGB X auf Rücknahme des Bescheids vom 2. Dezember 1991 abgelehnt.
Im Erörterungstermin am 18. Februar 2014 hat der Vorsitzende am SG darauf hingewiesen, auch nach der Verhandlung bleibe unklar, gegen welchen Bescheid die Klägerin vorgehe. Eine Klage gegen den Bescheid vom 2. Dezember 1991 sei unzulässig. Insoweit habe das BSG auch bereits entschieden, dass dieser Bescheid rechtmäßig gewesen sei. Eine Überprüfung des Bescheids aus 1991 gemäß § 44 SGB X sei derzeit nicht möglich, da ein entsprechender Überprüfungsbescheid der Beklagten nicht vorliege. Auch insoweit wäre die Klage unzulässig. Die Klägerin könne aber einen Überprüfungsantrag bei der Beklagten stellen. Daraufhin hat die Klägerin erklärt: „Ich beantrage die Überprüfung des Bescheids vom 2. Dezember 1991 bei der Beklagten gemäß § 44 SGB X. Ich verweise auf die bislang vorgelegten Schreiben. Die Klage S 4 KN 133/13 nehme ich zurück.“ Ausweislich der Niederschrift über den Erörterungstermin wurde diese Erklärung der Klägerin vorgelesen und von ihr genehmigt.
Mit Schreiben vom 21. Februar 2014 hat die Klägerin vorgetragen, mit dem Inhalt der Niederschrift über den Erörterungstermin sei sie nicht einverstanden. Sie habe nicht die Worte gesagt: „Die Klage S 4 KN 133/13 nehme ich zurück“. Es gebe zwei Bescheide vom 2. Dezember 1991, einmal die Regelaltersrente und einmal die Witwenrente betreffend. Die Beklagte solle endlich die Alters- und die Witwenrente richtig berechnen.
Mit Gerichtsbescheid vom 17. März 2014 hat das SG festgestellt, dass der Rechtsstreit S 4 KN 133/13 durch Rücknahme erledigt ist. Die Klägerin habe im Erörterungstermin am 18. Februar 2014 die Klagerücknahme erklärt. Die protokollierte Erklärung der Klägerin sei vom Vorsitzenden vorformuliert, dann von der Urkundsbeamtin vorgelesen und von der Klägerin anschließend genehmigt worden. Sie gelte deshalb als Erklärung der Klägerin. Eine Anfechtung wegen Irrtums scheide aus. Ein Widerruf der Klagerücknahme komme nicht in Betracht, da die Voraussetzungen gemäß § 179 f. SGG i. V. m. §§ 580 ff. ZPO nicht erfüllt seien.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt, den Sachverhalt vorgetragen und im Wesentlichen nur Ausführungen in Bezug auf die aus ihrer Sicht unzutreffende Rentenberechnung gemacht.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 17. März 2014 aufzuheben und den Rechtsstreit zur Fortsetzung des Verfahrens an das Sozialgericht München zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Gründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass der Rechtsstreit vor dem SG mit dem Az. S 4 KN 133/13 durch die von der Klägerin im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 18. Februar 2014 erklärte Klagerücknahme erledigt ist. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Ergänzend weist er auf folgendes hin:
Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vor dem SG am 18. Februar 2014 hat die Klägerin die Klage S 4 KN 133/13 zurückgenommen, nachdem der Vorsitzende am SG die Klägerin auf die Unzulässigkeit der Klage und auf die Möglichkeit der Stellung eines Überprüfungsantrags gemäß § 44 SGB X hingewiesen hatte. Die Erklärung der Klagerücknahme im Sinne des § 102 Sozialgerichtsgesetz - SGG - wurde ausweislich der Niederschrift vorgelesen und genehmigt (vgl. § 122 SGG i. V. m. §§ 160 Abs. 3 Nr. 8, 162 Abs. 1, 165 Zivilprozessordnung - ZPO).
Eine Anfechtung der Rücknahmeerklärung wegen Irrtums ist nicht möglich (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, § 102 Rdnr. 7c). Im Übrigen wurde von der Klägerin auch nicht geltend gemacht, sie habe sich bei der Abgabe der Rücknahmeerklärung geirrt. Der Umstand, dass sie nicht selbst die Worte „Ich nehme die Klage S 4 KN 133/13 zurück“ ausgesprochen hat, ist unerheblich. Denn die Klägerin hat die vom Vorsitzenden am SG vorformulierte Erklärung der Klagerücknahme, nachdem sie ihr vorgelesen worden war, ausweislich der sowohl vom Vorsitzenden am SG als auch von der Urkundsbeamtin unterzeichneten Niederschrift über den Erörterungstermin genehmigt.
Ein Widerruf der Rücknahmeerklärung kommt nur dann in Betracht, soweit die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 179 SGG in Verbindung mit §§ 578 ff. Zivilprozessordnung bzw. § 180 SGG gegeben sind. Die Voraussetzungen dieser Bestimmungen sind offensichtlich nicht erfüllt. Insoweit fehlt auch jeglicher nachvollziehbarer Vortrag der Klägerin.
Der Rechtsstreit vor dem SG mit dem Az. S 4 KN 133/13 ist damit durch die wirksame Rücknahme der Klage erledigt. Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Sie berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin mit ihrem Begehren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
(1) Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist auch zulässig, wenn
- 1.
mehrere Versicherungsträger denselben Anspruch endgültig anerkannt haben oder wegen desselben Anspruchs rechtskräftig zur Leistung verurteilt worden sind, - 2.
ein oder mehrere Versicherungsträger denselben Anspruch endgültig abgelehnt haben oder wegen desselben Anspruchs rechtskräftig von der Leistungspflicht befreit worden sind, weil ein anderer Versicherungsträger leistungspflichtig sei, der seine Leistung bereits endgültig abgelehnt hat oder von ihr rechtskräftig befreit worden ist.
(2) Das gleiche gilt im Verhältnis zwischen Versicherungsträgern und einem Land, wenn streitig ist, ob eine Leistung aus der Sozialversicherung oder nach dem sozialen Entschädigungsrecht zu gewähren ist.
(3) Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist bei einem der gemäß § 179 Abs. 1 für die Wiederaufnahme zuständigen Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu stellen. Dieses verständigt die an dem Wiederaufnahmeverfahren Beteiligten und die Gerichte, die über den Anspruch entschieden haben. Es gibt die Sache zur Entscheidung an das gemeinsam nächsthöhere Gericht ab.
(4) Das zur Entscheidung berufene Gericht bestimmt unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide oder richterlichen Entscheidungen den Leistungspflichtigen.
(5) Für die Durchführung des Verfahrens nach Absatz 4 gelten im übrigen die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens entsprechend.
(6) (weggefallen)
Tenor
Der Antrag auf Aufhebung bzw. Wiederaufnahme des Beschlusses des Gerichts vom 2. Dezember 2013 in der Sache 4 A 1230/13 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
- 1
Die Klägerin begehrt die „Wiederaufnahme“ des durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendeten und mit Beschluss vom 2. Dezember 2013 eingestellten Klageverfahrens 4 A 1230/13.
- 2
In der dortigen Klage war Streitgegenstand ein Zwangsgeldfestsetzungsbescheid vom 9. Juli 2013 über 100 € betreffend den Anschluss- und Benutzungszwang der öffentlichen Einrichtung zur dezentralen Schmutzwasserentsorgung. Nach Abfuhr des Klärschlamms aus der Kleinkläranlage am 26. September 2013 hatte der Beklagte die Vollstreckung des Zwangsgelds eingestellt und in der mündlichen Verhandlung am 28. November 2013 erklärt, das Zwangsgeld nicht mehr beitreiben zu wollen. Daraufhin haben beide Beteiligte in der mündlichen Verhandlung erklärt, der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt. Das Gericht hat das Verfahren mit dem erwähnten Beschluss eingestellt und die Kosten des Verfahrens der Klägerin auferlegt. Zur Begründung wird ausgeführt, es entspreche der Billigkeit (nach § 161 Abs. 2 VwGO), die Kosten des Verfahrens der Klägerin aufzuerlegen. Gründe, die Zwangsgeldfestsetzung als rechtswidrig einzustufen, seien nicht ersichtlich gewesen.
- 3
Mit Schriftsatz vom 3. April 2014, bei Gericht am nächsten Tag eingegangen, hat sich die Klägerin an das Gericht gewandt und begehrt die Aufhebung des Beschlusses vom 2. Dezember 2013 in der Sache 4 A 1230/13 „als Wiederaufnahmeverfahren nach dem Vierten Buch der ZPO“.
- 4
Die Klägerin trägt vor:
- 5
Ihre Klage sei eine Restitutionsklage nach § 580 Nr. 2 ZPO i. V. m. § 153 VwGO. Hier gehe es um die Urkunde, die der Zwangsgeldfestsetzungsbescheid vom 9. Juli 2013 darstelle. Diese Urkunde sei verfälscht.
- 6
Es habe kein wirksam gewordener Verwaltungsakt vorgelegen, der eine Zwangsgeldfestsetzung erlaubt habe. Ein unwirksamer oder nichtiger Verwaltungsakt entfalte keine Rechtswirkung. Der Mangel lasse sich durch eine spätere Erfüllung der Voraussetzungen nicht beseitigen. Die Vorschriften regelten die Statthaftigkeitsvoraussetzungen einer Zwangsgeldfestsetzung in öffentlich-rechtlichen Verwaltungsverfahren.
- 7
Diese Voraussetzungen seien durch das Gericht nicht geprüft worden. Der Beschluss vom 2. Dezember 2013 gehe deutlich über die Grenzen des „einfachen Rechtsfehlers“ hinaus und sei offensichtlich rechtswidrig.
- 8
Der Zwangsgeldfestsetzungsbescheid vom 9. Juli 2013 sei unrechtmäßig und nichtig. Dies hätte auch bei summarischer Prüfung durch das Gericht festgestellt werden können. Ausreichende Ansatzpunkte seien vorgetragen worden. Der Bescheid und Vollzug des Beklagten vom 14. Juni 2013 sei nichtig, da aufgrund der fehlenden Bekanntmachung durch die Gemeinde und des Beklagten kein wirksames Rechtsverhältnis entstanden sei.
- 9
Durch die fehlende Anhörung, die nicht nachholbar sei, sei ein nicht durch Gesetz abgedecktes Rechtsverhältnis durch das Gericht geschaffen und der Fortbestand zugelassen worden.
- 10
Sie sei der festen Ansicht, dass sie die Flut an Bescheiden der Empfehlung des Einzelrichters in der mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2013 zu verdanken gehabt habe.
- 11
Es seien durch das Gericht nur teilweise die dargelegten Argumente geprüft worden, eine eigene Sachermittlung zur Wahrheit sei nicht durchgeführt worden.
- 12
Die Klägerin beantragt,
- 13
das Verfahren dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen.
- 14
Sie stütze sich dabei auf Art. 267 AEUV i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG. Das Rechtsstaatsprinzip gebiete, dass verkündete Rechtsnormen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden, dass Betroffene sich zuverlässig Kenntnis vom Inhalt verschaffen könnten (vgl. BVerwG, Urt. v. 6. Juli 1984 - 4 C 24.80 - und Entscheidung des BVerwG v. 27. Juni 2013 - 3 C 21.12 -). Es stelle sich die Frage, ob hier dem Normadressaten die Möglichkeit einer verlässlichen Kenntnisnahme vom Inhalt des geltenden Ortsrechts erschwert werde. Diese Möglichkeit erfordere das rechtsstaatliche Publizitätsgebot.
- 15
Die Klägerin beantragt in der Sache,
- 16
das Klageverfahren 4 A 1230/13 unter Aufhebung des Beschlusses des Gerichts vom 2. November 2013 wiederaufzunehmen und sodann den Zwangsgeldfestsetzungsbescheid des Beklagten vom 9. Juli 2013 und den Widerspruchsbescheid vom 15. August 2013 aufzuheben.
- 17
Der Beklagte beantragt,
- 18
die Klage abzuweisen.
- 19
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 12. Dezember 2014 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
II.
- 20
Das Wiederaufnahmebegehren der Klägerin - bei dem es sich allerdings nicht um eine Restitions“klage“, sondern der Sache nach um einen Restitutions“antrag“ handelt – ist unzulässig.
- 21
I. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 153 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit den §§ 578 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) scheidet im Hinblick auf Einstellungsbeschlüsse nach übereinstimmenden Hauptsacheerledigungserklärungen aus (OVG Lüneburg, Beschl. v. 5. September 2014 – 5 LA 57/14 –, NVwZ-RR 2015, 77 = juris).
- 22
1. Zwar setzt § 578 Abs. 1 ZPO seinem Wortlaut nach voraus, dass das Verfahren, welches wiederaufgenommen werden soll, durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossen wurde. Es entspricht aber allgemeiner Auffassung, dass über den Wortlaut dieser von anderen Prozessordnungen ebenfalls in Bezug genommenen Bestimmung hinaus auch verfahrensbeendende Beschlüsse der Wiederaufnahme unterliegen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 5. September 2014 – 5 LA 57/14 –, a. a. O., Rn. 10 unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 22. Jan. 1992 - 2 BvR 40/92 -, juris Rn. 6; Beschl. v. 9. Juni 1993 - 1 BvR 380/93 -, juris Rn. 5; BVerwG, Beschl. v. 26. März 1997 - 5 A 1.97 [5 PKH 15 PKH 14.97], juris Rn. 2; BSG, Beschl. v. 23. April 2014 - B 14 AS 368/13 B -, juris Rn. 5; OVG Münster, Beschl. vom 18. Dezember 2002 - 21 A 4534/02 -, juris Rn. 5; Bader, in: ders. u. a., VwGO, 5. Auflage 2011, § 153 Rn. 2; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 153 Rn. 5; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage 2010, § 153 Rn. 10). Die entsprechende Anwendung der Wiederaufnahmevorschriften auf verwaltungsgerichtliche Beschlüsse rechtfertigt sich deshalb, weil Mängel im Sinne der §§ 578, 579 ZPO auch in Verfahren auftreten können, die durch Beschluss beendet werden, so dass auch in diesen Fällen wegen des Gewichts der gesetzlich geregelten Nichtigkeits- und Restitutionsgründe die Möglichkeit bestehen muss, ausnahmsweise einen nicht mehr anfechtbaren Beschluss aufheben zu können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30. Sept. 1958 - 1 A 19.57 III -, NJW 1959, 117 f.). Außerdem setzt die Verweisungsvorschrift des § 153 Abs. 1 VwGO lediglich voraus, dass es sich um ein rechtskräftig beendetes „Verfahren“ handelt (BVerwG, Beschl. v. 26. März 1997, a. a. O., Rn. 2).
- 23
2. Im Unterschied zum Wiederaufnahmeverfahren gegen ein rechtskräftiges Urteil wird das Wiederaufnahmeverfahren gegen einen Beschluss nach einhelliger Auffassung allerdings nicht durch Klage, sondern durch einen Antrag eröffnet, über den – wie hier - durch Beschuss zu entscheiden ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 5. September 2014 – 5 LA 57/14 –, a. a. O., unter vergleichendem Hinweis auf etwa BVerfG, Beschl. vom 22. Jan. 1992, a. a. O., Rn. 6; BVerwG, Beschl. v. 11. Mai 1960 - BVerwG 5 A 1.58 -, DVBl 1960, 641, 642; Beschl. v. 26. März 1997, a. a. O., Rn. 2).
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3. Ein verfahrensbeendender Beschluss im Sinne der zitierten Rechtsprechung und Literatur ist allerdings nicht schon dann gegeben, wenn dieser Beschluss unanfechtbar ist, wie dies beim Einstellungsbeschluss nach Erledigung der Hauptsache in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO und hinsichtlich der nach § 161 Abs. 2 VwGO zu treffenden Kostenentscheidung gemäß § 158 Abs. 2 VwGO der Fall ist. Erforderlich ist vielmehr eine Entscheidung, welche das gerichtliche Verfahren rechtskräftig abschließt (OVG Lüneburg, Beschl. v. 5. September 2014 – 5 LA 57/14 –, a. a. O., Rn. 11 unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. vom 30. Mai 1958, a. a. O., Rn. 117, 118; BAG, Beschl. v. 11. Jan. 1995 - 4 AS 24/94 -, juris Rn. 11; OVG Hamburg, Beschl. v. 16. Jan. 2006 - 4 Bf 435/03 -, juris Rn. 6), d. h. der Beschluss muss auf einer Sachprüfung beruhen und ein Verfahren konstitutiv beenden (OVG Magdeburg, Urteil vom 13. März 2000 - A 2 S 323/99 -, juris Rn. 20; Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch u. a., VwGO, Stand: März 2014, § 153 Rn. 5 f.), mithin der materiellen Rechtskraft fähig sein (BVerfG, Beschl. v. 22. Jan. 1992, a. a. O., Rn. 6; BGH, Beschl. v. 8. Mai 2006 - II ZB 10/05 -, juris Rn. 5). Dies ergibt sich aus dem Ziel der Wiederaufnahmevorschriften, nämlich der Beseitigung eines rechtskräftigen Urteils bzw. Beschlusses sowie der Neuverhandlung und Neuentscheidung der Sache (Kopp/Schenke, a. a. O., § 153 Rn. 1). Eine neue (Sach-)Entscheidung setzt aber voraus, dass auch die Entscheidung, deren Aufhebung begehrt wird, auf einer Sachprüfung/Sachentscheidung beruht; in materieller Rechtskraft erwächst nur die Entscheidung des Gerichts über den Streitgegenstand (Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 121 Rn. 19).
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In Anwendung dieser Grundsätze halten Rechtsprechung und Literatur die §§ 578 ff. ZPO für entsprechend anwendbar bei sog. urteilsvertretenden Beschlüssen - also Beschlüssen, durch die die Berufung verworfen oder zurückgewiesen wird - (vgl. etwa BGH, Urteil vom 29. Juli 2010 - Xa ZR 118/09 -, juris Rn. 11; Guckelberger, a. a. O., § 153 Rn. 11), aber auch bei Beschlüssen, mit denen die Zulassung der Berufung abgelehnt (OVG Hamburg, Beschl. v. 16. Jan. 2006, a. a. O., Rn. 6; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Auflage 2010, § 153 Rn. 5; vgl. auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 24. Mai 2005 - 2 PS 225/05 -) oder die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen wurde (BVerfG, Beschl. v. 22. Jan. 1992, a. a. O., Rn. 6; BVerwG, Beschl. v. 11. Mai 1960, a. a. O., 641, 642; Beschl. v. 26. März 1997, a. a. O., Rn. 2; BAG, Beschl. v. 12. Sept. 2012 - 5 AZN 1743/12 [F] -, juris Rn. 3; zum Ganzen OVG Lüneburg, Beschl. v. 5. September 2014 – 5 LA 57/14 –, a. a. O., Rn. 12).
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4. Von diesen Arten eines gerichtlichen Beschlusses unterscheidet sich der Beschluss des Gerichts vom 2. Dezember 2013 im Verfahren 4 A 1230/13 jedoch grundlegend. Das genannte Verfahren ist durch die Abgabe übereinstimmender Hauptsacheerledigungserklärungen der Beteiligten wirksam beendet worden. Wie bei der Rücknahmeerklärung entziehen bereits die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten dem Verfahren den Streitgegenstand; anhängig bleibt es nur wegen der Kostenentscheidung (OVG Lüneburg, Beschl. v. 5. September 2014 – 5 LA 57/14 –, a. a. O., Rn. 13 unter Hinweis auf OVG Magdeburg, Urt. v.13. März 2000 - A 2 S 323/99 -, juris Rn. 21); der in analoger Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO ergehende Einstellungsbeschluss stellt die eingetretene Verfahrensbeendigung lediglich deklaratorisch fest (Kopp/Schenke, a. a. O., § 161 Rn. 15). Die nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu treffende Kostenentscheidung erwächst nicht in materieller Rechtskraft; sie beinhaltet keine Sachprüfung, sondern stellt eine Billigkeitsentscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes dar. Dementsprechend scheidet im Hinblick auf Einstellungsbeschlüsse nach übereinstimmenden Hauptsacheerledigungserklärungen eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 153 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 578 ff. ZPO aus (OVG Lüneburg, Beschl. v. 5. September 2014 – 5 LA 57/14 –, a. a. O., Rn. 13 unter Hinweis auf VGH München, Urt. v. 6. Nov. 2008 - 13 A 08.2579 -, juris Rn. 24; Urt. v. 29. Jan. 2009 - 13 A 08.1688 -, juris Rn. 25; Beschl. v. 8. Aug. 2011 - 13a B 10.30362 -, juris Rn. 7; OVG Magdeburg, Urt. v. 13. März 2000, a. a. O., Rn. 20, 25; Guckelberger, a. a. O., § 153 Rn. 11; a. A. offenbar Baumbach u. a., ZPO, 72. Auflage 2014, Grundz § 578 Rn. 12).
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II. Dass ein Wiederaufnahmeantrag nach §§ 153 Abs. 1 VwGO, 578 ff. ZPO ausscheidet, bedeutet indes nicht, dass sich die Prozessbeteiligten an ihrer Erledigungserklärung ausnahmslos festhalten lassen müssen. Es ist vielmehr anerkannt, dass Prozesserklärungen unter bestimmten Umständen widerrufen werden können, und zwar insbesondere, wenn ein Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO vorliegt (OVG Lüneburg, Beschl. v. 5. September 2014 – 5 LA 57/14 –, a. a. O., Rn. 15 unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. v. 7. Aug. 1998 - 4 B 75.98 -, juris Rn. 3 m. w. N.; ebenso VGH München, Urt. v. 6. Nov. 2008, a. a. O., Rn. 25; Urt. v. 29. Jan. 2009, a. a. O., Rn. 26; Beschl. v. 8. Aug. 2011, a. a. O., Rn. 8; Rennert, a. a. O., § 153 Rn. 2). Denn lässt der Gesetzgeber es nach Maßgabe der §§ 153 Abs. 1 VwGO, 578 ff. ZPO ausdrücklich zu, sich selbst von der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil zu lösen, so entspricht es seinem Regelungswillen, die von ihm gezogenen Konsequenzen unter den in § 580 ZPO genannten Tatbestandsvoraussetzungen auch dann zu ziehen, wenn ein Verfahren anderweitig beendet worden ist.
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Selbst wenn das Gericht hier zugunsten der juristisch nicht gebildeten Klägerin davon ausgeht, dass mit dem Schriftsatz vom 3. April 2014 ein Widerruf der im Verfahren 4 A 1230/13 abgegebenen Prozesserklärung zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache gesehen werden könnte, wäre hier ein Wiederaufnahmegrund zum Widerruf nicht substantiiert bzw. schlüssig dargelegt worden (vgl. VGH München, Beschl. v. 23. Juli 2013 – 6 BV 13.1273 –, juris, Rn. 9; VG München, Gerichtsbescheid v. 1. Dezember 2011 – M 10 K 11.1347 –, juris Rn. 18 m. w. N.; Guckelberger in Sodan/Ziekow, a. a. O., § 153 Rn. 30 m. w. N.; Kopp/Schenke, a. a. O., § 153 Rn. 4 m. w. N.).
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Die Klägerin führt in der Art einer Berufungsschrift (angebliche) Mängel des Einstellungsbeschlusses vom 2. Dezember 2013 bzw. vor allem des Zwangsgeldfestsetzungsbescheids des Beklagten vom 9. Juli 2013 auf.
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Wie bereits in den anderen, durch Urteil abgeschlossenen Wiederaufnahmeklagen ausgeführt, eröffnet weder die Nichtigkeits- noch die Restitutionsklage aber die Grundlage für eine Überprüfung eines rechtskräftigen Urteils durch dasselbe Gericht, wenn der durch das Urteil beschwerte Beteiligte es lediglich verabsäumt hat, Rechtsmittel gegen das frühere (und deshalb rechtskräftige) Urteil einzulegen.
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Dies gilt entsprechend bei der Frage, ob eine Prozesserklärung ausnahmsweise widerrufen werden kann. Auch hier gibt es keine Widerrufsmöglichkeit als Ersatz für ein nicht zu Ende geführtes Klageverfahren. Der von der Klägerin hier und in den Parallelverfahren dargelegte Vortrag für den vorliegenden Sinneswandel ist aus den dort dargelegten Gründen aber nicht als zulässiger Widerrufsgrund für die Prozesserklärung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei, anzuerkennen.
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So geht es der Klägerin erkennbar aber mindestens auch um eine andere, nämlich zu ihren Gunsten erfolgende Billigkeitsentscheidung zur im Beschluss vom 2. Dezember 2013 beantworteten Frage, wer die Kosten des Verfahrens 4 A 1230/13 trägt. Sie ist insoweit sinngemäß der Auffassung, dass der Beklagte die Kosten des Verfahrens tragen müsse, da die Zwangsgeldfestsetzung rechtswidrig gewesen sei. Dies hat das Gericht indessen – im Gegensatz zu einer Vielzahl von Entscheidungen einmal nicht mit vielen Worten - allerdings anders gesehen. Selbst wenn der Schriftsatz der Klägerin vom 3. April 2014 hier vor diesem Hintergrund auch als „Gegenvorstellung“ zu werten wäre, hielte das Gericht an seiner Bewertung fest, dass die Zwangsgeldfestsetzung bis zum erledigenden Ereignis rechtmäßig gewesen und deshalb die Billigkeitsentscheidung ohne Bedenken zu Lasten der Klägerin ausgefallen ist.
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III. Der Antrag auf Vorlage dieses Rechtsstreits an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit Sitz in Luxemburg nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist abzulehnen.
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1. Bereits die Voraussetzungen dieser Norm liegen nicht vor. Die Vorschrift lautet:
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„Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung
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a) über die Auslegung der Verträge,
- 37
b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union,
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Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.
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Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.
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Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren, das eine inhaftierte Person betrifft, bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, so entscheidet der Gerichtshof innerhalb kürzester Zeit.“
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Vorliegend trägt die Klägerin nicht vor und ist auch nicht ersichtlich, welche unionsrechtliche/n Vorschrift/en des Primär- oder Sekundärrechts der Europäischen Union hier betroffen sein könnte/n bzw. welche unionsrechtlich determinierte/n nationale/n Vorschrift/en einschlägig sein soll/en. Weder das Kommunalabgabengesetz (des Landes Mecklenburg-Vorpommern) noch die Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern noch das Landesverwaltungsverfahrensgesetz hinsichtlich seines vollstreckungsrechtlichen Teils noch die (insoweit landesrechtliche) Abgabenordnung, jedenfalls soweit sie gemeint sein sollten, sind grundsätzlich durch europa- bzw. unionsrechtliches (Sekundär-) Recht determiniert. Prüfungsgrundlage im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht ist allein nationales höherrangiges Recht wie die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Verf M-V) und das Grundgesetz (GG). Das von der Klägerin zur Begründung herangezogene Rechtsstaatsprinzip kann daher nur landesverfassungsrechtlich aus Art. 2 Verf M-V bzw. bundesverfassungsrechtlich aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG abgeleitet werden. Diese nationalen Verfassungsnormen sind aber kein Prüfungsmaßstab des Gerichtshofs der Europäischen Union.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Eine Streitwertfestsetzung ist nicht erforderlich. Anders als in den Parallelklageverfahren (z. B. 4 A 726/14) handelt es sich hier nämlich in Wahrheit um einen Streit zur Frage, ob das vorangegangene Klageverfahren 4 A 1230/13 unter Aufhebung des Einstellungsbeschlusses des Gerichts vom 2. Dezember 2013 fortzusetzen bzw. ob nicht zumindest eine andere Kostenentscheidung zu treffen ist. Da es sich dabei, wie gesagt, dann um einen Antrag zum (und eigentlich „im“) Verfahren 4 A 1230/13 und nicht um eine (neue) Wiederaufnahmeklage handelt, fallen keine neuen Gerichtsgebühren an. Eine anwaltliche Vertretung, die eine Streitwertfestsetzung neben derjenigen im genannten Einstellungsbeschluss des Gerichts in der Sache 4 A 1230/13 erfordert hätte, liegt bei keinem der Beteiligten vor.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.