Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 14. Apr. 2014 - 4 W 25/14

ECLI:ECLI:DE:POLGZWE:2014:0414.4W25.14.0A
bei uns veröffentlicht am14.04.2014

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen wird der angefochtene Beschluss teilweise geändert.

1. Der zuständige Gerichtsvollzieher wird angewiesen, im Beisein der nachstehend unter IV. genannten Sachverständigen

a) alle Computer im Eigentum, im Besitz und in den Geschäftsräumen der Antragsgegnerin, insbesondere in

B…

H…

vorübergehend in den Räumlichkeiten der Antragsgegnerin in Verwahrung zu nehmen, sicherzustellen, dass an den Computern keine Veränderungen durch die Antragsgegnerin vorgenommen werden und der vom Gericht bestimmten Sachverständigen eine sofortige Besichtigung dieser Computer zu ermöglichen,

2. Zur Durchführung dieser Handlungen wird dem Gerichtsvollzieher erlaubt, Geschäftsräume der Antragsgegnerin einschließlich aller Räumlichkeiten und Behältnisse zwangsweise zu öffnen und zu durchsuchen.

II. Die vom Gericht bestimmte Sachverständige wird angewiesen,

1. festzustellen, welche Vervielfältigungen von Computerprogrammen der Antragstellerinnen auf den Festplatten der Computer der Antragsgegnerin gespeichert sind und welche dieser Programminstallationen über ein Netzwerk von einem anderen Computer aus benutzt werden können, indem durch Bedienung der Computer vor Ort oder mittels Fernzugriffs über ein Netzwerk die Inhalte der Festplatten besichtigt, die Zugriffs- und Nutzungsmöglichkeiten festgestellt, die Inhaltsverzeichnisse auf einen von dem Sachverständigen mitgebrachten Datenträger kopiert und/oder die auf den Festplatten gespeicherten Computerprogramme der Antragstellerinnen ausgeführt und die jeweiligen Produkt- und Lizenzschlüssel erfasst werden.

2. über die Feststellungen einen schriftlichen Bericht anzufertigen, in dem insbesondere die Art und genaue Anzahl der festgestellten Vervielfältigungen von Computerprogrammen der Antragstellerinnen aufgeführt sind und festgestellt wird, in welchem Umfang auf den Computern der Antragsgegnerin Vervielfältigungen gespeichert sind und Ausfertigungen dieses Berichts dem Landgericht Frankenthal (Pfalz) zu dem Aktenzeichen 6 O 37/14 und den Parteien zu übergeben.

III. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben,

1. a) an den Computern für die Dauer der Verwahrung keine Veränderungen vorzunehmen und alle angeordneten Handlungen zu dulden.

b) dem vom Gericht bestimmten Sachverständigen alle für die Bedienung der Computer vor Ort oder mittels Fernzugriffs über ein Netzwerk erforderlichen Informationen und Ressourcen, insbesondere Passwörter, Netzwerkzugänge und elektrische Energie zur Verfügung zu stellen und ihm Auskunft über die Eigentums- und Besitzverhältnisse an den Computern in ihren Geschäftsräumen zu erteilen.

c) während der angeordneten Handlungen die Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen zu dulden.

2. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorgenannten Pflichten ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, bei Nichtbeitreibbarkeit Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht, die an ihrem Geschäftsführer zu vollziehen ist.

3. Für den Fall, dass angeordnete Besichtigungen nicht in den Räumlichkeiten der Antragsgegnerin durchgeführt werden, insbesondere, weil die Antragsgegnerin die ihr aufgegebenen Handlungen nicht vornimmt und/oder die Besichtigung nicht duldet, ist sie verpflichtet, die Computer in ihrem Eigentum, ihrem Besitz und in ihren Geschäftsräumen unverzüglich an den zuständigen Gerichtsvollzieher herauszugeben. Der Gerichtsvollzieher ist befugt, die Gegenstände aus den Räumlichkeiten der Antragsgegnerin zu entfernen und sie dem Sachverständigen zur Durchführung und für die Dauer der unter II. 1. genannten Handlungen zu übergeben.

IV. Als Sachverständige wird benannt:

Frau Diplom-Informatikerin S…

öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Systeme und Anwendungen der Informationsverarbeitung, insbesondere Systemsicherheit und Softwareentwicklung

S…-H... & P…, IT-Sachverständige

P…

Sie wird mit der Durchführung der angeordneten Handlungen beauftragt. Ihr wird gestattet, sich dabei durch Hilfspersonen unterstützen zu lassen.

V. Die bei den angeordneten Handlungen anwesenden Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen sind verpflichtet, über Tatsachen zum Geschäftsbetrieb der Antragsgegnerin, die ihnen währenddessen zur Kenntnis gelangen und über den Gegenstand der Handlungen hinausgehen, Stillschweigen zu bewahren, und zwar auch gegenüber den Antragstellerinnen und deren Mitarbeitern.

VI. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen zurückgewiesen.

VII. Von den Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens haben die Antragstellerinnen 1/4 und die Antragsgegnerin 3/4 zu tragen.

VIII. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf

15.000,00 €

festgesetzt.

Gründe

1

Die zulässige sofortige Beschwerde (§§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO) der Antragstellerinnen führt überwiegend zum Erfolg.

2

Die Antragstellerinnen haben gegen die Antragsgegnerin einen Besichtigungsanspruch (§ 101 a UrhG) in dem tenorierten Umfang.

3

Nach der genannten Vorschrift kann derjenige, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Urheberrecht eines anderen widerrechtlich verletzt hat, von dem Verletzten auf Besichtigung der Sache in Anspruch genommen werden, die sich in seiner Verfügungsgewalt befindet, wenn dies zur Begründung der Ansprüche des Verletzen erforderlich ist. Die Verpflichtung zur Duldung einer Besichtigung kann im Wege der einstweiligen Verfügung nach §§ 935 ff ZPO angeordnet werden (§ 101 a Abs. 3 UrhG).

4

1. Der Senat hat keinen Zweifel am Vorliegen eines Verfügungsgrundes für die begehrte einstweilige Verfügung. Ein dringlichkeitsschädliches Zuwarten der Antragstellerinnen kann nicht angenommen werden. Die eidesstattliche Versicherung der Zeugin A… über die von Mitarbeiterinnen der Antragsgegnerin gemachten Angaben zur Verwendung von Computerprogrammen im Betrieb der Antragsgegnerin datiert vom 27. April 2014. An diesem Tag stellten zudem die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen fest, dass die Antragsgegnerin im Internet in einem Stellenangebot Mitarbeiter anwarb, die im Umgang mit "branchenüblicher" Software der Antragstellerinnen zu 2) und 3) vertraut waren. Der am 5. März 2014 beim Landgericht eingereichte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erfolgte deshalb rechtzeitig.

5

2. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Kammer, dass es vorliegend an einer "hinreichenden Wahrscheinlichkeit" für eine Urheberrechtsverletzung (§ 101 a Abs. 1 UrhG) durch die Antragsgegnerin - hier nach §§ 69 a ff UrhG - mangelt. Erforderlich ist ein "gewisser Grad" an Wahrscheinlichkeit. Zu berücksichtigen ist, dass der Anspruch gerade auch demjenigen zusteht, der sich mit Hilfe der Besichtigung erst Gewissheit über das Vorliegen eines Anspruchs verschaffen möchte. Der Besichtigungsanspruch besteht deshalb insbesondere in den Fällen, in denen ungewiss ist, ob überhaupt eine Rechtsverletzung vorliegt. Es reicht der aufgrund zahlreicher Übereinstimmungen begründete Verdacht einer Verletzung, der allerdings nicht wahllos geltend gemacht werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 1. August 2006 - X ZR 114/03 -; 13. November 2003 - I ZR 187/01 -; 2. Mai 2002 - I ZR 45/01 -). Daran gemessen hat das Landgericht zu strenge Anforderungen an das Vorliegen des Besichtigungsanspruchs gestellt.

6

Die von den Antragstellerinnen für ihren Verdacht einer Urheberrechtsverletzung durch die Antragsgegnerin vorgelegten Indizien sind jedenfalls in ihrer Gesamtschau zur Begründung des geltend gemachten Besichtigungsanspruchs ausreichend. Auch der vorgelegten anonymen Mitteilung eines Mitarbeiters der Antragsgegnerin, dass diese drei Programme "C..." der Antragstellerin zu 1), 130 Programme ("M...", "M..." und "M... benutze, kann nicht jeder Beweiswert abgesprochen werden, weil durchaus ein nachvollziehbares Interesse des Hinweisgebers angenommen werden kann, anonym zu bleiben (vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.05.2012 - 11 W 15/12 -). Die Angaben des Informanden über die Verwendung von Computerprogrammen der Antragstellerinnen wird erhärtet durch die eidesstattliche Versicherung der Zeugin A… vom 27.02.2014, die bei mehreren Mitarbeitern der Antragsgegnerin eruiert hatte, dass diese die Programme "M… O..." und "M... P..." verwende, sowie mehrere "C…" und ein Warenwirtschaftssystem benutze. Das bestätigt auch das Stellenangebot der Antragsgegnerin im Internet, in welchem Mitarbeiter gesucht werden, die über einen sicheren Umgang mit "branchenüblicher Software" C..., A... und M… .verfügen. Mit den Antragstellerinnen zu 1) und 3) wurden keine Volumenlizenzverträge geschlossen, bezüglich der Antragstellerin zu 3) - nach Auskunft des anonymen Informanten - Lizenzen nur für elf der angeblich genutzten 130 Programme, und bezüglich der Antragstellerin zu 2) nur Lizenzen bezüglich anderer Programme als dem nach Auskunft des anonymen Informanten genutzten Programms "C…". Damit ergeben diese Indizien jedenfalls in ihrem Zusammenwirken eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 101 a Abs. 1 UrhG. Zwar mag - wie die Kammer nicht ausschließen wollte- eine legale Nutzung der Softwareprogramme auch ohne Registrierung bei den Antragstellerinnen möglich sein, wenn diese als Einzelprodukte im Handel erworben wurden. Gleichwohl kommt der fehlenden Lizenzierung als Volumenlizenznehmer durchaus Aussagekraft zu, da gerade ein größerer Bedarf an kostenintensiven Softwareprogrammen für die betriebswirtschaftliche Gebotenheit des Vertragsschlusses einer deutlich günstigeren und flexibleren Volumenlizenz seitens der Antragsgegnerin spricht, welche deren Registrierung notwendig machen würde (vgl. auch OLG Frankfurt/Main a.a.O.).

7

3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist indes unbegründet, soweit die Antragstellerinnen auch die Sicherstellung von Lizenzbelegen der Antragsgegnerin zu den Computerprogrammen und deren Feststellung durch die Sachverständige begehren (Anträge Nr. I. 2., II. 2., III. 1. c). Ein schutzwürdiges Interesse der Antragstellerinnen an der Feststellung, über welche Lizenzen die Antragsgegnerin verfügt, ist nicht ersichtlich. Der Bestand von Lizenzen ist in erster Linie für die Antragsgegnerin entscheidend, weil sie damit die rechtsmäßige Nutzung der von ihr geprüften Programme beweisen kann. Zwar haben auch die Antragstellerinnen möglicherweise ein Interesse, den Umfang der rechtmäßig genutzten Computerprogramme zu überprüfen, jedoch gibt es keinen Anlass, diese Überprüfung in Verfahren der einstweiligen Verfügung durchzuführen (vgl. KG, Urteil vom 11. August 2000 - 5 U 3069/00 -; Obst in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl., § 101 a, Rdnr. 14).

8

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO und entspricht dem von der Klägerin angegebenen Interesse.

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Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 14. Apr. 2014 - 4 W 25/14 zitiert 5 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Zivilprozessordnung - ZPO | § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen


Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 567 Sofortige Beschwerde; Anschlussbeschwerde


(1) Die sofortige Beschwerde findet statt gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde E

Zivilprozessordnung - ZPO | § 935 Einstweilige Verfügung bezüglich Streitgegenstand


Einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand sind zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

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Referenzen

Tenor

1. Die einstweilige Verfügung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 14. April 2014 – Az. 4 W 25/14 – wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 4. März 2014 zurückgewiesen.

2. Die Verfügungsklägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist für die Verfügungsbeklagte wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die drei Verfügungsklägerinnen sind weltweit tätige Softwarehersteller. Die Verfügungsklägerin zu 1) produziert Computerprogramme der Marke “Adobe”. Die Verfügungsklägerin zu 2) entwickelt Grafik-, Animations- und Konstruktionsprogramme der Marke “Autodesk”, insbesondere die Komplexe CAD-Anwendung. Die Verfügungsklägerin zu 3) produziert und vertreibt zahlreiche Computerprogramme der Marke “Mircosoft”.

2

Die Verfügungsbeklagte ist ein Bau- und Konstruktionsunternehmen mit den Standorten ... und ... in .... In dem Unternehmen sind über 100 Mitarbeiter beschäftigt, davon 35 in den Bereichen Planung, Statik, Kalkulation und Administration.

3

In der Datenbank der Verfügungsklägerin zu 1) ist die Verfügungsbeklagte nicht als Kunde und Lizenznehmerin von Produkten der Verfügungsklägerin zu 1) aufgeführt. Aus der Datenbank der Verfügungsklägerin zu 2) ist zu entnehmen, dass die Verfügungsbeklagte von dem Programm Autodesk AUTO CAD insgesamt 13 Lizenzen erworben hat. Aus der Datenbank der Verfügungsklägerin zu 3) ergibt sich, dass die Verfügungsbeklagte keinen Volumenlizenzvertrag mit dieser besitzt.

4

Am 16. Juni 2012 hinterließ eine unbekannte Person über eine Formularseite einen schriftlichen Hinweis auf dem Internet-Portal des Softwareherstellerverbandes BSA, dem auch die Verfügungsklägerinnen angehören. In diesem Hinweis stand, dass die Verfügungsbeklagte 130 Mitarbeiter und 70 Computer habe. Weiterhin enthielt der – nach Einschätzung der Antragstellerinnen “spärliche” – Hinweis die Angaben, dass die (Adobe) Creative Suite dreimal installiert, aber nicht lizenziert sei. Das Programmpaket Microsoft Office Professional mit Microsoft Office sei fünfmal erworben und auf 50 Computern installiert, Microsoft Project sei einmal erworben und auf 30 Computern installiert. Der Hinweisgeber bejahte die Frage, ob die Benutzung unlizenzierter Software der Geschäftsführung gegenüber thematisiert worden sei. Er bezeichnete sich als aktuellen Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten namens “... ...” und hinterließ eine E-Mail-Adresse.

5

Eine weitere Aufklärung hinsichtlich dieser Angaben konnte nicht erfolgen, insbesondere schlug ein Kontakt mit dem Absender fehl. Im November 2012 beauftragten die Verfügungsklägerinnen einen Privatdetektiv mit der Aufgabe, die Hinweise in der anonymen Mail zu verifizieren. Der Privatdetektiv erklärte im April 2013, er habe keine relevanten Erkenntnisse gegenüber der Verfügungsbeklagten ermitteln können.

6

Im Zeitraum vom 14. bis 29. Oktober 2013 sowie zwischen dem 21. November 2013 und dem 25. Februar 2014 führte eine Mitarbeiterin einer ... ... GmbH - Frau ... ... - mit einer Mitarbeiterin der Verfügungsbeklagten ein Gespräch. Nach der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Frau ... ... vom 27. Februar 2014 (Bl. 50 d.A.) habe die Mitarbeiterin der Verfügungsbeklagten folgende Angaben gemacht:

7

- 40 Mitarbeiter der Antragsgegnerin arbeiteten im Büro;
- Die Antragsgegnerin habe eine eigene Serverlandschaft;
- Die Antragsgegnerin benutzte Microsoft Office und Microsoft Project;
- Die Antragsgegnerin benutzte mehrere CAD-Systeme und ein Warenwirtschaftssystem.

8

Auf der Webseite der Verfügungsbeklagten ist den Verfügungsklägerinnen am 27. Februar 2014 zudem eine Stellenanzeige aufgefallen (Ausdruck des Stellenangebots vgl. Bl. 51/52 d.A.), wobei u.a. bezüglich des Profils ein sicherer Umgang mit branchenüblicher Software (CAD, AutoCAD und MS-Office-Paket) genannt wurde.

9

Mit ihrem Antrag vom 04. März 2014 begehrten die Verfügungsklägerinnen den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel der Besichtigung sämtlicher Computer der Verfügungsbeklagten und deren Überprüfung dahingehend, ob dort möglicherweise nicht lizenzierte Software verwendet wird.

10

Mit Beschluss des Gerichts vom 07. März 2014 (Bl. 60 – 66 d.A.) wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 14. März 2014 kostenfällig zurückgewiesen. Der Beschluss wurde den Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerinnen am 19. März 2014 (Bl. 67 d.A.) zugestellt.

11

Mit Schriftsatz vom 01. April 2014 (Bl. 68 d.A.) legten die Verfügungsklägerinnen sofortige Beschwerde zum Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken ein, welche am 01. April 2014 dort einging. Mit Beschluss des Gerichts vom 08. April 2014 (Bl. 138/139 d.A.) wurde der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken zur Entscheidung vorgelegt. Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken hob mit Beschluss vom 14. April 2014 (Bl. 142 – 148 d.A.) den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 07. März 2014 teilweise auf und erließ – soweit die Aufhebung erfolgte – die beantragte einstweilige Verfügung der Verfügungsklägerinnen. Der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken wurde am 14. Mai 2014 zugestellt.

12

Mit Schriftsatz vom 03. Juni 2014 – beim Landgericht Frankenthal (Pfalz) am gleichen Tage eingegangen – legte die Verfügungsbeklagte Widerspruch ein.

13

Die Verfügungsklägerinnen sind der Ansicht,
das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken habe die einstweilige Verfügung zu Recht erlassen. Aus der Gesamtschau aller von ihnen vorgetragenen Indizien ergebe sich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Verfügungsbeklagte unlizenzierte Software benutze. Die Verfügungsbeklagte habe zu keinem Zeitpunkt eine vollständige Lizensierung glaubhaft gemacht.

14

Die Verfügungsklägerinnen beantragen,

15

die einstweilige Verfügung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 14. April 2014 – 4 W 25/14 – aufrechtzuerhalten.

16

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

17

die einstweilige Verfügung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 14. April 2014 – Az.: 4 W 25/14 – aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 04. März 2014 zurückzuweisen.

18

Die Verfügungsbeklagte trägt vor,
den Verfügungsklägerinnen stünde der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Auf Grund der von den Verfügungsklägerinnen vorgelegten Indizien könne von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht ausgegangen werden. So könne die inhaltlich falsche anonyme Anzeige aus dem Jahre 2012 nicht als Indiz gewertet werden, zumal sie von einer nicht näher bekannten, sich hinter einer E-Mail-Anschrift mit der Endung "@trash-mail.de" verbergenden Person stamme. Auch die Ergebnisse der tätigen Detektei hätten keinerlei Anhaltspunkte für eine unberechtigte Nutzung durch die Verfügungsbeklagte ergeben. Im Übrigen hätte bezüglich der einzelnen Verfügungsklägerinnen differenziert werden müssen. Hinsichtlich der Software Verfügungsklägerin zu 1) sei noch nicht einmal die Nutzung durch die Verfügungsbeklagte hinreichend behauptet. Was die Produkte Verfügungsklägerin zu 2) angehe, seien nach deren Vortrag mehrere Lizenzen registriert und im Übrigen verschiedene Programme im Einsatz. Schließlich sei das Nichtvorliegen von (Einzelplatz-)Lizenzen für Programme der Verfügungsklägerin zu 3) nicht glaubhaft gemacht worden, die Behauptungen zur angeblichen Unwirtschaftlichkeit solcher Lizenzen irrelevant und unrichtig.

Entscheidungsgründe

19

Die einstweilige Verfügung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 14. April 2014 – Az.: 4 W 25/ 14 – war aufzuheben und der Antrag auf einer einstweiligen Verfügung der Verfügungsklägerinnen vom 4. März 2014 zurückzuweisen, da der auf die §§ 101 a Abs. 1 Satz 1, 2 UrhG, § 809 BGB gestützte Antrag mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit nach Ansicht der Kammer nicht gegeben ist.

20

Die Kammer bleibt nach nochmaliger, eingehender Prüfung sowie durchgeführter mündlicher Verhandlung bei ihrer bereits im Beschluss vom 7. März 2014 vertretenen Auffassung, wonach kein Verfügungsanspruch besteht.

21

Der von den Verfügungsklägerinnen geltend gemachte Vorlage- und Besichtigungsanspruch gem. § 101 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UrhG setzt u.a. eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer widerrechtlichen Urheberrechtsverletzung voraus. Das Erfordernis der “hinreichenden Wahrscheinlichkeit” trägt dem Umstand Rechnung, dass § 101 a UrhG gerade der Gewinnung von Beweismitteln dient, d.h. die Rechtsverletzung noch nicht nachgewiesen werden kann, der Anspruch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Antragsgegners aber auch nicht bei jedwedem Verdacht gewährt werden kann (vgl. BT-Drucksache 16/5048, 40). Auch wenn der Gesetzgeber den Grad der Wahrscheinlichkeit nicht vorgegeben hat, besteht grundsätzlich Einigkeit, dass die Anforderungen einerseits nicht überspannt werden dürfen, da anderenfalls ein schneller und wirksamer Schutz nicht möglich ist, andererseits aber dennoch jedenfalls so hohe Anforderungen zu stellen sind, dass die Möglichkeit falscher Anschuldigungen auf ein Mindestmaß beschränkt wird (vgl. Wandtke/Bullinger, UrhR 3. Aufl. § 101 a Rn 10 m.w.N). Ausreichend, aber auch erforderlich ist eine Glaubhaftmachung i.S. von § 294 ZPO, in deren Rahmen der Anspruchsteller alle ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel zur hinreichenden Begründung seines Anspruches vorzulegen hat; ein bloßer Vortrag ohne Beweismittel genügt nicht (Wandtke/Bullinger, a.a.O Rn 13 m.w.N). In Betracht kommen insbesondere Aussagen des Anspruchsgegners sowohl in der Öffentlichkeit als auch in seinen Prospekten oder allgemein in der Werbung sowie Schutzrechtsanmeldungen. Außerdem können auch Aussagen Dritter, insbesondere ehemaliger Mitarbeiter oder Besucher von Messen etc., die dort Möglichkeit hatten, die Sache zu besichtigen, eine Rolle spielen.

22

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann nach dem Vorbringen der Antragstellerinnen von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 101 a UrhG nicht ausgegangen werden, weshalb der geltend gemachte Anspruch nicht besteht.

23

1. Aus der E-Mail des Unbekannten vom 16. Juni 2012 lässt sich die zur Vermeidung einer Wahllosigkeit und Willkürlichkeit der Geltendmachung eines Verdachts notwendige Wahrscheinlichkeit auch dann nicht entnehmen, wenn man trotz der Nichtaufklärbarkeit des Verfassers der E-Mail den dortigen Angaben nicht jeden Beweiswert absprechen möchte. Ein weiterer Kontakt mit dem Versender der E-Mail und damit eine weitere Aufklärung waren nicht möglich. Insbesondere verliefen entsprechende Recherchen durch Beauftragung eines Privatdetektives im November 2012 ergebnislos. Die Verfügungsklägerinnen selbst sehen dies in ihrem Antrag offensichtlich nicht anders und bewerten die Angaben des Hinweisgebers in der E-Mail vom 16. Juni 2012 explizit als “spärlich”.

24

Bezüglich einer möglichen Verletzung gegenüber der Verfügungsklägerin zu 1) werden keine weiteren Anhaltspunkte vorgetragen und nicht ausreichend dargelegt, worin eine mögliche Verletzung von deren Rechten erfolgt sein soll. So konnte die Zeugin ... eine Nutzung der Software der Verfügungsklägerin zu 1) durch die Verfügungsbeklagte nicht feststellen; die von ihr unterzeichnete eidesstattliche Versicherung gibt dazu vielmehr nichts her. Da insofern auch nicht von einer „Erhärtung“ durch die späteren Mitteilungen der Informantin ... ausgegangen werden kann, kann der Antrag der Verfügungsklägerin zu 1) nicht zu dem gewünschten Erfolg führen.

25

2. Aus der eidesstattlichen Versicherung der ... ... vom 27. Februar 2014 und den Angaben, welche eine Mitarbeiterin danach gegenüber Frau ... gemacht haben soll, lässt sich nach Ansicht der Kammer eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf die unberechtigte Verwendung von Software der Verfügungsklägerin zu 2) ebenfalls nicht entnehmen.

26

Soweit danach eine Mitarbeiterin angegeben hat, die Verfügungsbeklagte benutze “mehrere CAD-Systeme und ein Warenwirtschaftssystem” reicht dies für die Annahme einer wahrscheinlichen Urheberrechtsverletzung nicht aus. Eine Überprüfung durch die Verfügungsklägerin zu 2) hat ergeben, dass die Verfügungsbeklagte insgesamt 13 Lizenzen von ihren Produkten besitzt. Ob nun weitere Mitarbeiter dieses Programm ohne Lizenzierung benutzen - wie die Verfügungsklägerin zu 2) annimmt - bewegt sich im Bereich reiner Spekulation. Dies gilt insbesondere für die Mutmaßung, wonach “vermutlich etwa 20 Mitarbeiter” der Verfügungsbeklagten mit professioneller CAD-Software wie dem Programm AutoCAD der Verfügungsklägerin zu 2) arbeiten. Aus der eidesstattlichen Versicherung der ... ... vom 27. Februar 2014 lässt sich insofern nichts entnehmen. Im Übrigen kann insofern von einer „Erhärtung“ eines (Anfangs-)Verdachts schon deshalb nicht die Rede sein, weil sich die Angaben des anonymen Verfassers der E-Mail aus dem Jahr 2012 zur Verwendung von Programmen der Verfügungsklägerin zu 2) gar nicht verhalten.

27

3. Auch die weitere Angabe der Mitarbeiterin der Verfügungsbeklagten gegenüber der Informantin ..., wonach die Verfügungsbeklagte die Programme Microsoft Office und Microsoft Project der Verfügungsklägerin zu 3) benutze, begründet nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Urheberrechtsverletzung. Allein der Umstand, dass die Verfügungsklägerin zu 3) in ihrer Datenbank die Verfügungsbeklagte nicht als Kunde führt und die Verfügungsbeklagte auch keinen Volumenlizenzvertrag erworben hat, steht dem nicht entgegen. Zu möglicherweise erworbenen Einzelplatzlizenzen fehlt jeglicher Vortrag der Verfügungsklägerin zu 3), so dass es keinesfalls unwahrscheinlich oder gar ausgeschlossen erscheint, dass die Verfügungsbeklagte die entsprechende Software regulär im Handel oder von Dritten erworben hat, ohne sich bei der Verfügungsklägerin zu 3) als Kundin zu registrieren. Die Annahme des Oberlandesgerichtes im Beschluss vom 14. April 2014, wonach der Erwerb von Volumenlizenzen bei einem - hier nicht erkennbaren - „größeren Bedarf an kostenintensiven Softwareprogrammen“ aus betriebswirtschaftlicher Sicht geboten sei, erscheint jedenfalls bei der hier in Rede stehenden, äußerst gängigen und verbreiteten Software der Verfügungsklägerin zu 3) (vgl. exemplarisch, etwa hinsichtlich der überdurchschnittlich starken Handelbarkeit des Programms 'Microsoft Office' in neuem und gebrauchten Zustand nur das umfassende Angebot bei 'ebay', http://www.ebay.de/sch/i.html?_from=R40&_trksid=p2050601.m570.l1313.TR12.TRC2.A0.H0.Xmicrosoft+office&_nkw=microsoft+office&_sacat=0) keinesfalls zwingend und lässt sich mit den aus anderen urheberrechtlichen Verfahren gewonnenen Kenntnissen der Kammer nicht ohne weiteres in Einklang bringen.

28

4. Schließlich lassen sich auch aus der Stellenanzeige der Verfügungsbeklagten vom 27. Februar 2014 keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ableiten, dass die Verfügungsbeklagte Software der Verfügungsklägerinnen nutzt, ohne dazu berechtigt zu sein. Ungeachtet der insofern bereits unter 2. angeführten Gesichtspunkte, kann aus dem in der Anzeige wiedergegebenen Anforderungsprofil, wonach der Bewerber einen sicheren Umgang mit branchenüblicher Software haben solle, lediglich geschlossen werden, dass hier - unabhängig vom Einsatz konkreter Softwareprodukte im Unternehmen der Verfügungsbeklagten - bestimmte allgemeine Fähigkeiten (“Skills”) des Bewerbers als Einstellungsvoraussetzung genannt werden. Keinesfalls spricht die Aufzählung einer entsprechenden Anforderung in einer Stellenanzeige mit auch nur gewisser Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Bewerber im Falle der Einstellung tatsächlich mit bereits vorhandener, nicht-lizensierter (!) Software der Verfügungsklägerinnen arbeiten soll.

29

Auf Grund der dargelegten Umstände verbleibt die Kammer bei ihrer rechtlichen Auffassung im Erstbeschluss vom 07. März 2014, wonach die einstweilige Verfügung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 14. April 2014 aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Verfügungsklägerinnen zurückzuweisen war.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

(1) Die sofortige Beschwerde findet statt gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist.

(2) Gegen Entscheidungen über Kosten ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(3) Der Beschwerdegegner kann sich der Beschwerde anschließen, selbst wenn er auf die Beschwerde verzichtet hat oder die Beschwerdefrist verstrichen ist. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Beschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 114/03 Verkündet am:
1. August 2006
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Restschadstoffentfernung
ZPO § 142; DurchsetzungsRL Art. 6

a) Die Bestimmung des § 142 ZPO ist - auch im Licht völkerrechtlicher Vorgaben
und europarechtlich bindender Normen wie Art. 6 der Richtlinie
2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April
2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums - in verschiedenen
Rechtsgebieten, wie im gewerblichen Rechtsschutz insgesamt und
insbesondere bei den technischen Schutzrechten, differenziert zu betrachten
und anzuwenden.

b) Bei Rechtsstreitigkeiten über technische Schutzrechte kann eine Vorlegung
von Urkunden oder sonstigen Unterlagen nach § 142 ZPO angeordnet werden
, wenn die Vorlegung zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet und erforderlich
, weiter verhältnismäßig und angemessen, d.h. dem zur Vorlage
Verpflichteten bei Berücksichtigung seiner rechtlich geschützten Interessen
nach Abwägung der kollidierenden Interessen zumutbar ist.

c) Als Anlass für eine Vorlageanordnung kann es ausreichen, dass eine Benutzung
des Gegenstands des Schutzrechts wahrscheinlich ist.
BGH, Urt. v. 1. August 2006 - X ZR 114/03 - OLG München
LG München I
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 1. August 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Keukenschrijver, die Richterinnen Ambrosius und Mühlens und den
Richter Dr. Kirchhoff

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das am 10. Juli 2003 verkündete Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Kläger war Inhaber des auf einer freigegebenen Diensterfindung beruhenden , am 11. Juni 1985 angemeldeten deutschen Patents 35 20 885 (Lizenzpatents ), das in der Fassung, die es im Einspruchsbeschwerdeverfahren erhalten hat, bis zum Ablauf der Höchstschutzdauer in Kraft stand und "Verfah- ren und Anlage zur weitgehenden Restentfernung von gasförmigen, aerosolartigen und/oder staubförmigen Schadstoffen" betraf. Patentanspruch 1 des Lizenzpatents lautet in dieser Fassung wie folgt: "Verfahren zur weitgehenden Restentfernung von gasförmigen, aerosolartigen und/oder staubförmigen Schadstoffen aus Abgasen von Müll- und Sondermüllverbrennungsanlagen, wobei das aus der Verbrennungszone der Anlage abströmende und Schadstoffe enthaltende heiße Rauchgas entstaubt und das entstaubte Rauchgas in einer Rauchgasnachbehandlung gemäß dem Naßverfahren, Halbtrockenverfahren und Trockenverfahren behandelt wird und sich ein Wasserdampf enthaltendes Restwaschgas ergibt, dadurch gekennzeichnet, daß man das wasserdampfhaltige Restwaschgas mit einer mittleren Temperatur T in einem Kühlsystem aus Glas, Graphit, korrosionsbeständigem Metall, Keramik oder Kunststoff durch indirekte Kühlung mittels eines Kühlmediums so weit abkühlt, daß die Temperatur auf einen mittleren Wert T-x unter Wahl einer Temperaturdifferenz derart herabgesetzt wird, daß mindestens jeweils die Hauptmenge des im Gas enthaltenen Wasserdampfs auskondensiert , wobei dem Restwaschgas im Kühlsystem zusätzlich ein Mittel zudosiert wird, das mit Schadstoffkomponenten des Restwaschgases reagiert und diese zu Verbindungen mit herabgesetzter Flüchtigkeit und/oder Löslichkeit umsetzt, bzw. deren Alkaligehalt verändert, und[/]oder dem Restwaschgas im Kühlsystem zusätzlich ein Mittel zudosiert wird, das Schadstoffkomponenten oder Derivate derselben adsorptiv oder absorptiv chemisch-physikalisch bindet, und/oder das Restwaschgas zusätzlich mit einem Kondensationshilfsmittel beaufschlagt wird, das die Bildung von Kondensa- tionskeimen fördert, und daß das abgeschiedene Kondensat abgezogen sowie chemisch-physikalisch nachbehandelt wird."
2
Mit Lizenzvertrag vom 23./28. Januar 1987 hat der Kläger der Beklagten zu 1, deren Tochtergesellschaften sowie deren Lieferanten und Kunden ein Mitbenutzungsrecht gegen eine Einmalzahlung und eine Lizenzgebühr in Höhe von 2 % des Nettoverkaufswerts aller unter Verwertung der Vertragsschutzrechte von der Beklagten und den Tochtergesellschaften in Verkehr gebrachten Vertragsanlagen eingeräumt. Die frühere Beklagte zu 2 (L. AG), eine Tochtergesellschaft der Beklagten, hat für die frühere Beklagte zu 3 (B. AG) als Bauherrin und Betreiberin einer von dritter Seite gelieferten Rückstandsverbrennungsanlage in D. ("R. ") Einzelkomponenten, insbesondere zwei Kondensationselektrofilter, geliefert. Der Kläger meint, dass diese Komponenten von verschiedenen Patentansprüchen des Lizenzpatents wortsinngemäß oder zumindest in äquivalenter Weise Gebrauch machten; er hat die Beklagte zu 1 und die früheren weiteren Beklagten zu 2 und 3 zunächst auf Auskunft und Zahlung eines angemessenen Lizenzentgelts sowie die Beklagte zu 1 auf weiteren Schadensersatz und Feststellung einer weitergehenden Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der dieser sein Begehren mit teilweise geänderten Anträgen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben; die Klageabweisung gegen die früheren Beklagten zu 2 und 3 durch die Vorinstanzen ist infolge Nichtzulassung der Revision in diesem Umfang inzwischen unanfechtbar. Mit seiner insoweit vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger, unter Aufhebung des Berufungsurteils und Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte zu 1 zur Auskunftserteilung zu verurteilen, welchen Nettoverkaufswert die fertiggestellte, angebotene und betriebene R. bzw. deren Komponenten im Sinne des Verbrennungsanlagenbegriffs des § 2 Ziff. 2 des zwischen den Parteien bestehenden Patentlizenzvertrags vom 23./28. Januar 1987 hatte, nach Erledigung der Auskunftserteilung an den Kläger für die bisherige Nutzung des Patents DE 35 20 885 C 3 im Rahmen der fertiggestellten, angebotenen oder betriebenen R. ein angemessenes Lizenzentgelt in Höhe von 2 % des Nettoverkaufswerts der R. zu bezahlen, sowie die Beklagte zu 1 zu verurteilen, an den Kläger zusätzlich 120.482,43 DM zuzüglich Mehrwertsteuer zu bezahlen, hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte zu 1 verpflichtet ist, an den Kläger für die bisherige Nutzung des Patents DE 35 20 885 C 3 im Rahmen der fertiggestellten, angebotenen oder betriebenen R. ein angemessenes Lizenzentgelt in Höhe von 2 % des Nettoverkaufswerts der R. zu bezahlen. Die Beklagte zu 1 tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


3
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.
4
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte zu 1 Ansprüche aus einem Lizenzvertrag an dem Lizenzpatent geltend, nach dem der Beklagten, ihren Tochtergesellschaften, Lieferanten und Kunden die Mitbenutzung des Lizenzpatents u.a. gegen Zahlung einer Lizenzgebühr in Höhe von 2 % des Nettoverkaufswerts zustand.
5
1. Zwischen den Parteien besteht insbesondere Streit darüber, ob die R. vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Lizenzpatents Gebrauch macht, und zwar, nachdem die Benutzung der übrigen Merkmale dieses Pa- tentanspruchs zwischen den Parteien unstreitig ist, nur hinsichtlich der im bisherigen Verfahren wie folgt bezeichneten Merkmale:
c) das aus der Verbrennungszone der Anlage abströmende und Schadstoffe enthaltende heiße Rauchgas wird entstaubt;
d) das entstaubte Rauchgas wird in einer Rauchgasnachbehandlung gemäß dem Nassverfahren, Halbtrockenverfahren und Trockenverfahren behandelt; wobei k1) dem Restwaschgas im Kühlsystem zusätzlich ein Mittel zudosiert wird, das mit Schadstoffkomponenten des Restwaschgases reagiert und diese zu Verbindungen mit herabgesetzter Flüchtigkeit und/oder Löslichkeit umsetzt, bzw. deren Alkaligehalt verändert, und/oder k2) dem Restwaschgas im Kühlsystem zusätzlich ein Mittel zudosiert wird, das Schadstoffkomponenten oder Derivate derselben adsorptiv oder absorptiv chemisch-physikalisch bindet, und/oder k3) das Restwaschgas zusätzlich mit einem Kondensationshilfsmittel beaufschlagt wird, das die Bildung von Kondensationskeimen fördert.
6
2. a) Bei der R. werden nach den Feststellungen im Landgerichtsurteil , die sich das Berufungsgericht zu eigen gemacht hat, Abfälle zunächst in einem Drehrohrofen verbrannt und dabei anfallende Rückstände in einer Nachbrennkammer weiter verbrannt. Die dabei anfallenden Rauchgase werden in einem Abhitzekessel auf ca. 300°C abgekühlt; anschließend erfolgt die Rauchgasreinigung in zwei parallelen Straßen derart, dass das Rauchgas in Quenche (Einspritzkühler) geleitet und dort durch Eindüsen von Wasser auf ca. 65°C abgekühlt und gesättigt wird. Anschließend wird das Rauchgas in einer Nasswäsche in zwei hintereinander liegenden Rotationswäschern durch einen intensiven Sprühfilm aus sauer und alkalisch eingestelltem Wasser geleitet, wobei weitere Schadgase und Staub abgesondert werden. Nachgeordnet ist sodann eine zweistufige Gasreinigung in einem Elektrokondensationsfilter, in dem sich die im Rauchgas befindlichen Restschadstoffe in einem elektrischen Feld aufladen und an Elektroden abgeschieden werden, wobei Stäube und Tröpfchen durch einen von auskondensiertem Wasser gebildeten Film regelmäßig ausgeschleust werden. Vor der Abgabe in die Atmosphäre findet noch eine Entstickung statt und in einer zweiten Katalysatorstufe werden restliche Dioxine und Furane vermindert.
7
b) Die Vorinstanzen haben verneint, dass die R. von den Merkmalen c und d sowie einem der Merkmale k1 - k3 Gebrauch mache.
8
aa) Zu den Merkmalen c und d hat das Berufungsgericht, gestützt auf den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. E. , ausgeführt, dass eine Quenche zwar auch eine begrenzte entstaubende Wirkung habe, dies aber für die Einhaltung der gesetzlichen Emissionswerte nicht ausreiche. Das Berufungsgericht hat aber verneint, dass die durch eine Quenche erzielte Entstaubungswirkung als Entstaubung im Sinn der Merkmale c und d verstanden werden könne und im Übrigen die Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen im wesentlichen mit der Begründung übernommen, aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns stelle eine Quenche in erster Linie einen Einspritzkühler zum plötzlichen Abschrecken eines Gases oder Gasgemischs dar, nicht jedoch eine Abscheideeinrichtung. Eine vorrangige Wirkung der Quenche als Entstaubungsanlage sei nicht belegt. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass eine Quenche in erster Linie als Entstaubungsanlage anzusehen sei. Am Verfahrensschritt d fehle es selbst dann, wenn Quenche und Rotationswäscher als Gesamtkomplex die Entstaubungszone gemäß Merkmal c bildeten.

9
bb) Die Verwirklichung der Merkmale k1 - k3, deren Verwirklichung das Lizenzpatent nur alternativ fordert, hat das Berufungsgericht im Wesentlichen mit folgender Begründung verneint:
10
(1) Der gerichtliche Sachverständige habe ausgeführt, dass die Zugabe von Mitteln, die mit den Schadstoffkomponenten in Wechselwirkung stehen, zweckmäßigerweise kontinuierlich zu erfolgen habe. Die an der Oberfläche der Feinstpartikel befindlichen Schadstoffe lägen in einer Form vor, die sich während der Verweilzeit im hier maßgeblichen Teil des Kühlsystems nicht ändere. Die Zugabe von Wasser bewirke keine Änderung. Deshalb sei Merkmal k1 in Bezug auf Wasser als zusätzlich dosiertes Mittel nicht erfüllt.
11
(2) Zu Merkmal k2 habe der gerichtliche Sachverständige ausgeführt, dass eine Adsorption der Schadstoffe an das zudosierte Mittel nicht in Betracht komme. Die Bindung von Feinstpartikeln an Wassertröpfchen sei anderer Natur.
12
(3) Bezüglich Merkmal k3 sei der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen , dass für den Durchschnittsfachmann das Wasser das Kondensationsmittel selbst sei, nicht aber ein zusätzliches Hilfsmittel, das die Bildung von Kondensationskeimen fördere.
13
(4) Insgesamt habe der Sachverständige ausgeführt, dass der Anschlusswert der Düse nicht für eine kontinuierliche Bedüsung, sondern allein für einen Spülvorgang gedacht sei. Der Sachverständige habe die Düsen zwar selbst nicht gesehen, aber den Flanschansatz begutachten können. Ihm sei klar, welche Art Düsen bei welchen Flanschdurchmessern angebracht werden könnten. Er habe auch die Spülung in Betrieb und die 58-kW-Pumpe begutach- ten können. Ein Wasserfilm zum Besprühen könne nicht erzeugt werden. Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgehe, dass nicht eine ununterbrochene Bedüsung erforderlich sei, setze eine Zudosierung begrifflich eine Intervalldauer von unter 8 Stunden voraus. Die Anlagen K12 und K13, auf die sich der Parteigutachter des Klägers gestützt habe, könnten kein Beurteilungsmaßstab für die Frage sein, wieweit die R. vom Patent des Klägers Gebrauch mache, denn sie seien nicht unbedingt ausschließliche Grundlage der Anlage und bei Abschluss des Lizenzvertrags noch nicht existent gewesen.
14
c) Die Revision greift dies an:
15
aa) Sie verweist darauf, dass der Kläger eine Anordnung gemäß Art. 43 Abs. 1 TRIPS-Übk. und nach § 142 ZPO i.d.F. des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887; nachfolgend: n.F.) dahin beantragt hat, den Plan DO 1 111 691-6 mit Fließbild 9.1. vorzulegen, worin der genaue Ablauf der Kondensation gezeigt sei. Eine Vorlagepflicht sei im wesentlichen mit der Begründung verneint worden, dass rechtserhebliche Tatsachen nicht betroffen seien. Der Kläger habe indessen vorgetragen, dass es sich um das zentrale Beweismittel im Prozess handle, wie ihm der zuständige Referent im Regierungspräsidium Düsseldorf mitgeteilt habe. Er habe die Relevanz des Plans u.a. damit begründet, dass sich das Verfahren aus den vorgelegten Unterlagen nur in seinen Grundzügen ergebe, das Fließbild die Anlage aber so zeige, wie sie erstellt worden sei. Die vorliegenden Pläne enthielten Unsicherheiten, und der Gerichtsgutachter habe den genauen Sachverhalt nicht feststellen können.
16
bb) Zur Benutzung des Lizenzpatents macht die Revision geltend, nach dem Klagevortrag werde das Rauchgas zunächst gemäß Merkmal c in der Quenche entstaubt und danach gemäß Merkmal d in den Rotationswäschern einer Rauchgasnachbehandlung unterzogen, wobei es sich um eine Nassbehandlung im Sinn dieses Merkmals handle. Letzteres habe der gerichtliche Sachverständige bestätigt. Soweit das Berufungsgericht den Begriff des Entstaubens durch die Quenche als nicht verwirklicht angesehen hat, beanstandet die Revision, dass es sich nicht auf die Patentbeschreibung gestützt und damit die Auslegungsregel des § 14 Satz 2 PatG nicht angewendet habe. Eine fachgerechte Auslegung des Patentanspruchs 1 des Lizenzpatents hätte nach Auffassung der Revision zu dem Ergebnis geführt, dass wegen der weiteren vorgesehenen Reinigungsschritte unter Entstauben entsprechend dem Vortrag des Klägers schon eine deutlich verminderte Verminderung des Staubgehalts zu verstehen sei.
17
Das Berufungsurteil gehe weiter unzutreffend davon aus, dass in der Quenche eine Entstaubung auf Emissionswerte nach den gesetzlichen Vorschriften erreicht werden müsse. Schon die Fragestellung des Berufungsgerichts sei falsch, weil es nicht auf das fachmännische Verständnis des Begriffs Quenche, sondern auf das des Begriffs Entstauben ankomme. Entscheidend sei allein die Frage, ob das Rauchgas in der Quenche in einem für den Verfahrenschritt ausreichenden Maß entstaubt werde. Das habe das Berufungsgericht aber nicht geprüft. Ein vom gerichtlichen Sachverständigen zunächst angenommener möglicher Staubabscheidegrad von 90 % könne dem Verfahrensschritt c genügen.
18
cc) Die Revision rügt zudem Vortrag zu den Merkmalen k1 bis k3 als übergangen, als Mittel im Sinn dieser Merkmale könne auch Wasser zudosiert werden, was bei der R. neben der periodisch im Abstand von acht Stunden vorgesehenen Schwallspülung auch kontinuierlich über die Filterbedüsungen XIII und XIII’ erfolge, wobei das Wasser die Schadstoffkomponenten binde. Auch wenn dies streng wissenschaftlich mit Adsorption oder Absorption nichts zu tun habe, komme es darauf an, wie der Fachmann nach dem Sprachgebrauch der Patentschrift diese Begriffe verstehe. Danach sei das vom Gerichtsgutachter beschriebene Einfangen der Schadstoffpartikel durch Grenzflächeneffekte als Adsorption oder Absorption im Sinn des Merkmals k2 zu verstehen ; die Adsorption und Absorption molekular-disperser Schadstoffe habe der Gerichtsgutachter ohnehin bestätigt.
19
II. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Abweisung der auf lizenzvertragliche Ansprüche gestützten Klage nicht.
20
1. a) Die Verneinung der Verwirklichung der Merkmale c und d kann mit der vom Berufungsgericht hierfür gegebenen Begründung keinen Bestand haben.
21
aa) Nach Merkmal c wird das aus der Verbrennungszone der Anlage abströmende und Schadstoffe enthaltende heiße Rauchgas entstaubt. Nach Merkmal d wird das "entstaubte" Rauchgas einer Nachbehandlung unterzogen. Dem Begriff des "entstaubten" Rauchgases kann sprachlich sowohl die Bedeutung zugeordnet werden, dass das Rauchgas nach Entstaubung staubfrei sein soll, aber auch die Bedeutung, dass nur ein Teil des vorhandenen Staubs entfernt worden ist. Von welcher Bedeutung auszugehen ist, muss durch Auslegung des Lizenzpatents geklärt werden.
22
bb) (1) Diese Auslegung ist grundsätzlich Aufgabe des Gerichts. Der Tatrichter hat das Patent dabei eigenständig auszulegen; er darf die Ergebnisse eines Sachverständigengutachtens nicht unbesehen übernehmen oder gar die Auslegung dem Sachverständigen überlassen (Sen. BGHZ 164, 261 - Seitenspiegel ; Sen.Urt. v. 7.3.2001 - X ZR 176/99, GRUR 2001, 770, 772 - Kabeldurchführung II). Er muss sich aber erforderlichenfalls sachverständiger Hilfe bedienen, weil das Verständnis des Fachmanns von den im Patentanspruch verwendeten Begriffen und vom Gesamtzusammenhang des Patentanspruchs die Grundlage der Auslegung bildet, so etwa dann, wenn zu ermitteln ist, welche objektiven technischen Gegebenheiten, welches Vorverständnis der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Sachkundigen, welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen und welche methodische Herangehensweise dieser Fachleute das Verständnis des Patentanspruchs und der in ihm verwendeten Begriffe bestimmen oder beeinflussen können (vgl. Meier-Beck, Mitt. 2005, 529, 532).
23
(2) Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht. Insbesondere hat das Berufungsgericht die erforderliche eigene Auseinandersetzung mit dem Gutachten unterlassen (vgl. Meier-Beck, Der gerichtliche Sachverständige im Patentprozess, FS 50 Jahre VPP, 2005, S. 356, 363 f., 366).
24
(3) An die Auslegung des Lizenzpatents durch den Tatrichter könnte das Revisionsgericht nur insoweit gebunden sein, als sich der Tatrichter mit konkreten tatsächlichen Umständen befasst hat, die für die Auslegung von Bedeutung sein können (Sen. BGHZ 160, 204, 213 - bodenseitige Vereinzelungseinrichtung ). Das ist hier nicht der Fall. Das Lizenzpatent unterliegt im Übrigen - wie das Klagepatent im Verletzungsstreit - anhand des in den Tatsacheninstanzen festgestellten technischen Sachverhalts und des Wissensstands, von dem für die rechtliche Bewertung auszugehen ist, der eigenen Auslegung durch das Revisionsgericht (st. Rspr.; vgl. in jüngerer Zeit Sen.Urt. v. 26.9.1996 - X ZR 72/94, GRUR 1997, 116 - Prospekthalter; v. 27.10.1998 - X ZR 56/96, Mitt. 1999, 365 - Sammelförderer; Sen. BGHZ 142, 7, 15 - Räumschild; Sen. BGHZ 160, 204, 213 - bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; Sen.Urt. v. 7.6.2005 - X ZR 247/02, GRUR 2005, 848, 851 - Antriebsscheibenaufzug; v. 25.10.2005 - X ZR 136/03, GRUR 2006, 311, 312 - Baumscheibenabdeckung; Sen. BGHZ 164, 261 - Seitenspiegel; Sen.Urt. v. 22.11.2005 - X ZR 79/04, GRUR 2006, 570 - extracoronales Geschiebe; v. 7.6.2006 - X ZR 105/04 - Luftabscheider für Milchsammelanlage, zur Veröffentlichung bestimmt).
25
(4) Diese Auslegung ergibt vorliegend, dass eine "qualifizierte" Entstaubung ("Staubfreiheit" oder doch zumindest hochgradige Staubarmut), wie sie das Berufungsgericht mit seiner Bemerkung, für eine Entstaubung auf Emissionswerte nach den gesetzlichen Vorschriften sei eine Entstaubung durch eine Quenche nicht ausreichend, ersichtlich im Auge hat, dem Patentanspruch 1 des Lizenzpatents auch unter Berücksichtigung der Beschreibung nicht zu entnehmen ist. Seite 8 Zeilen 19 ff. der Beschreibung des Lizenzpatents nennt zwar die Quenche als häufig dem Rauchgaswäscher beim Nassverfahren vorgeschaltetes Element, eine Einschränkung des Gegenstands des Patentanspruchs 1 des Lizenzpatents dahin, dass die Entstaubung im Sinn des Merkmals c nicht in einer Quenche stattfinden könne oder dürfe, ist dem aber nicht zu entnehmen. Eine Angabe, wie groß der Entstaubungsgrad sein soll, findet sich in Patentanspruch 1 nicht. Auch die Beschreibung des Lizenzpatents (Seite 9 Zeile 53 - Seite 10 Zeile 1) gibt hierzu keinen näheren Aufschluss. Danach werden die aus der Verbrennungszone abströmenden Rauchgase entstaubt; anschließend erfolgt eine Nachbehandlung des entstaubten Rauchgases, was den Merkmalen c und d des Patentanspruchs 1 entspricht. Die Entstaubung erfolgt beim Nassverfahren im Verfahrensablauf an anderer Stelle als beim Trockenverfahren (Seite 9 Zeilen 62 - 67). Dieses Verfahren ist so variabel und anpassbar, dass das Verbrennungsgut reproduzierbar und kontrollierbar verbrannt werden kann (Seite 10 Zeilen 2 - 5). Ein Hinweis darauf, dass das "entstaubte" Rauchgas ein "staubfreies" Rauchgas sein soll, ist auch sonst der Beschreibung nicht zu entnehmen. Wenn diese (Seite 5 Zeilen 13 ff.) anspricht, die im Restwaschgas enthaltenen Restschadstoffe müssten mindestens so weit entfernt werden können, dass die Grenzwerte der novellierten TA Luft II ohne weiteres einzuhalten seien, so hat dies in Patentanspruch 1 keinen Niederschlag gefunden. Interpretierte man Patentanspruch 1 gleichwohl in diesem Sinn, legte man ihn unter seinen Wortsinn aus, was grundsätzlich nicht zulässig ist. Auch aus der Aussage in der Beschreibung Seite 6 Zeilen 32/33 ("Das Verfahren ist zwar auch bei einem geringeren Kondensationsgrad ... noch ausführbar , die Trennergebnisse sind in diesem Fall jedoch weitaus schlechter") folgt, dass eine qualifizierte Entstaubung im ersten Entstaubungsschritt nicht Voraussetzung für die Verwirklichung des Merkmals c ist. In diese Richtung weist auch Beschreibung Seite 7 Zeilen 62 ff. mit der Aussage: "Das erfindungsgemäße Verfahren ist ... so ausgelegt, daß ... bestimmte Höchstkonzentrationen ... nicht überschritten werden brauchen." Daraus kann jedenfalls nicht im Gegenschluss die Notwendigkeit abgeleitet werden, dass erfindungsgemäß diese Konzentrationen auch nicht überschritten werden dürfen. Nach alledem spricht der Inhalt des Lizenzpatents auch unter Heranziehung der Beschreibung deutlich dafür und Patentanspruch 1 ist deshalb dahin auszulegen, dass das Entstauben in seinem Sinn kein qualifiziertes sein muss. Das Berufungsgericht wird jedoch Gelegenheit haben, dieses Ergebnis anhand einer eigenverantwortlichen Feststellung dazu, was sich anhand des technischen Sachverhalts und des Wissensstands, von dem für die rechtliche Bewertung auszugehen ist, für die Auslegung ergibt, zu überprüfen; an das Ergebnis der Auslegung durch den Bundesgerichtshof ist es allerdings gebunden, wenn es ebenfalls von den vom Bundesgerichtshof zugrunde gelegten Ausgangstatsachen ausgeht.
26
cc) Die tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Benutzungsform bei der R. beschränken sich im Wesentlichen darauf, dass eine Entstaubungswirkung durch die Quenche erfolgt.
27
(1) An die Würdigung des Berufungsgerichts, dies stelle keine Entstaubung im Sinn des Merkmals c dar, ist der Senat schon deshalb nicht gebunden, weil sich das Berufungsgericht insoweit nicht mit den konkreten tatsächlichen Umständen befasst hat, die für die Auslegung von Bedeutung sein können (Sen. BGHZ 160, 204, 213 - bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).
28
(2) Das Berufungsgericht ist dem gerichtlichen Sachverständigen zunächst darin gefolgt, dass in einem "Einspritzkühler", d.h. einer Quenche, das Rauchgas in gewissem Umfang entstaubt werde. Es meint aber, als Staubabscheider seien Einspritzkühler im Vergleich zu gängigen Nasswäschern nur von bescheidener Leistungsfähigkeit. Damit hat das Berufungsgericht aber eine Entstaubung, wenngleich mit geringem Wirkungsgrad, festgestellt, die fachüblich auch als hilfreich akzeptiert werde. Zudem hat das Berufungsgericht keine Feststellungen zu Abscheidegradangaben (bis zu 90 %) getroffen, die es nur als wenig aussagekräftig ansieht. Sollten diese Angaben zutreffen, erschiene eine Verneinung der Benutzung der Merkmale c und d schon von vornherein als schwer nachvollziehbar.
29
(3) Darauf, ob die Quenchen Abscheideeinrichtungen darstellen, worauf das Berufungsgericht weiter abstellt, kommt es für die Verwirklichung der Merkmale c und d schon deshalb nicht an, weil diese eine solche Einrichtung nicht voraussetzen, sondern nur ein Entstauben, das das Berufungsgericht aber festgestellt hat. Es kam erst recht nicht darauf an, wie der Fachmann den im Patentanspruch 1 des Lizenzpatents nicht vorkommenden Begriff der Quenche versteht, sondern darauf, wie der Begriff der Entstaubung zu verstehen ist; das ist aber eine Frage der Auslegung des Lizenzpatents. Darauf, ob die Quenche "vorrangig" als Entstaubungsanlage diente, kam es deshalb ebenfalls nicht an.
30
(4) Ob im Sinn des Merkmals d das entstaubte Rauchgas einer Nachbehandlung zugeführt wird, ergibt sich wiederum daraus, was unter dem Begriff "entstaubt" im Sinn des Patentanspruchs 1 des Lizenzpatents zu verstehen ist, und richtet sich demnach nach denselben Grundsätzen wie der Begriff der Entstaubung. Damit kann auch die Verwirklichung des Merkmals d nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts verneint werden.
31
b) aa) Was die Merkmale k1 bis k3 betrifft, von denen nach Patentanspruch 1 des Lizenzpatents im Sinn einer Alternativität nur eines erfüllt sein muss, hat das Berufungsgericht zunächst eine Auslegung dieser Merkmale ebenso unterlassen wie eine Auseinandersetzung mit den Äußerungen des gerichtlichen Sachverständigen. Zudem hat es sich eine Überzeugung nur dahin gebildet, dass Merkmal k1 durch die diskontinuierliche Zugabe von Wasser nicht erfüllt sei.
32
bb) Dabei hat sich das Berufungsgericht zunächst nicht mit der Frage befasst, ob das Merkmal k1 nicht durch Zugabe eines anderen Mittels erfüllt sein kann. Schon aus diesen Gründen ist die Annahme, dass Merkmal k1 nicht erfüllt werde, nicht tragfähig, wenngleich daraus nicht notwendig folgt, dass sie unzutreffend ist.
33
cc) Weiter findet sich im Berufungsurteil keine Darlegung, warum eine Absorption, die schon von seinem Wortlaut her ebenfalls von Merkmal k2 erfasst wird, nicht gegeben ist.
34
dd) Aus den Gründen des Berufungsurteils (Umdruck S. 35 zweiter Absatz ) folgt zudem, dass das Berufungsgericht die Zugabe von Wasser nicht ohne weiteres im Weg der Auslegung des Lizenzpatents als Mittel im Sinn der Merkmale k1 bis k3 ausschließen wollte, sondern dies nur auf Grund der von ihm zugrundegelegten Intervalldauer bei der Bedüsung getan hat. Feststellungen zu dieser hat es indessen nicht getroffen. Damit fehlt es auch insoweit an tragfähigen Feststellungen dafür, dass die Anlage in D. die Merkmale k1 bis k3 nicht verwirklicht.
35
2. Ebenfalls begründet ist die Rüge der Revision, dass das Berufungsgericht mit der Nichtheranziehung des Plans DO 1 111 691-8 nebst Fließbild den Streitstoff nicht ausgeschöpft habe. Die Verneinung einer Vorlagepflicht der früheren Beklagten zu 3 wird durch die Ausführungen im Berufungsurteil nicht getragen.
36
a) § 142 ZPO n.F., der auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl. 2005, Art. 26 EGZPO Rdn. 2), bildet die Grundlage für Vorlageansprüche auch gegen Dritte und damit auch gegen die frühere Beklagte zu 3, die im Sinn dieser Bestimmung schon deshalb als "Dritte" anzusehen ist, weil sie auf der Grundlage des Lizenzvertrags, den der Kläger mit der Beklagten zu 1 geschlossen hat, als zum Empfang der Lieferung ausdrücklich empfangsberechtigte Kundin von vornherein zu Unrecht mitverklagt worden war.
37
b) Die Reichweite dieser Bestimmung ist in der Rechtsprechung allerdings noch nicht abschließend geklärt. Nach verbreiteter Meinung soll sie nicht zur Ausforschung des Betroffenen führen dürfen; auch entbinde sie denjenigen, der sich auf die Urkunde bezieht, nach der Gesetzesbegründung nicht von schlüssigem Vortrag (so der Bericht der Abgeordneten Bachmeier, Stünker, Geis, Dr. Röttgen, Beck, Funke und Dr. Kenzler, BT-Drucks. 14/6036 S. 120 f.; vgl. Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117e). Ein Ausforschungsverbot ist dem Wortlaut dieser Bestimmung allerdings nicht zu entnehmen, jedoch ist sie nach ihrem Absatz 2 Dritten gegenüber dadurch be- grenzt, dass Zumutbarkeit und ein Zeugnisverweigerungsrecht nach den §§ 383 bis 385 ZPO Schranken für die Vorlageverpflichtung bilden. Hierzu hat das Berufungsgericht indessen nur bemerkt, es sei vorgetragen worden, die Urkunde beziehe sich auf ein Geheimverfahren; die Ablehnung einer Vorlageanordnung hat es allerdings darauf gestützt, dass der rechtserhebliche Bezug der Darstellung zum Streitstoff nicht ausreichend dargelegt sei.
38
c) Die Revision meint demgegenüber, der Kläger habe alle ihm vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung seiner Ansprüche vorgelegt, sich aber weiterhin in Beweisnot befunden. Das Berufungsgericht habe die Beweiserheblichkeit des Fließbilds 9.1. mit widersprüchlichen und denkgesetzwidrigen Erwägungen verneint. Dafür, dass der Gerichtsgutachter dieses Fließbild eingesehen habe, spreche nichts. Damit ständen sich die Behauptung des Klägers über den Inhalt der Zeichnung und die Behauptung der früheren Beklagten zu 3 gegenüber, diese zeige nur die Einrichtungen zur Entstickung und Dioxinverminderung. Vom klagenden Patentinhaber könne aber jedenfalls nicht verlangt werden, dass er als Voraussetzung einer Vorlageanordnung den genauen beweiserheblichen Inhalt der vorzulegenden Urkunde vortrage und nachweise; die Anforderungen an seinen Vortrag müssten vielmehr deutlich niedriger liegen. Ausreichend sein müsse eine gewisse Substantiierung des beweiserheblichen Inhalts zusammen mit einer Darlegung der Quelle für den Vortrag. Abzulehnen sei (mit Schlosser, JZ 2003, 427, 428 - Anm. zu BGHZ 150, 377 - Faxkarte) die verbreitete Auffassung, § 142 ZPO n.F. dürfe nicht zu einer Ausforschung der Gegenseite führen. Die Bestimmung diene auch zu Beweiszwecken, was sich schon aus ihrer Stellung im Gesetz ergebe. Deshalb könne als Voraussetzung für eine Vorlageanordnung nur ein im wesentlichen schlüssiger Klagevortrag und eine schlüssige Darlegung verlangt werden, dass die Unterlagen entscheidungserheblich sein könnten. Bei der Anwendung dieser Bestimmung seien in Angelegenheiten des ge- werblichen Rechtsschutzes die sich aus dem TRIPS-Übereinkommen ergebenden Verpflichtungen zu beachten, wie dies zu § 809 BGB im "Faxkarte"Urteil des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGHZ 150, 377) entschieden sei. Entsprechendes müsse für die prozessuale Bestimmung des § 142 ZPO n.F. gelten.
39
Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme einer Erheblichkeit des Plans mit dem Fließbild; dieser zeige nur die nach einem Geheimverfahren durchgeführte Entstickung, nicht aber das gesamte auf der R. betriebene Verfahren. Auf Grund ins Blaue hinein erfolgenden Parteivortrags dürften Urkunden vom Gericht nicht angefordert werden. Eine Beweiserheblichkeit in diesem Sinn habe das Berufungsgericht zutreffend mit der Begründung verneint, es sei nicht Aufgabe des Gerichts, mit Hilfe des § 142 ZPO n.F. die Beweislastregeln der Zivilprozessordnung zu revidieren oder ausforschend eigene Ermittlungen anzustellen.
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d) aa) Art. 43 des TRIPS-Übereinkommens bezieht sich anders als § 142 ZPO n.F. seinem Wortlaut nach nur auf Beweismittel, die sich in der Verfügungsgewalt des Gegners befinden und nicht auch auf solche, die wie hier in der Verfügungsgewalt eines Dritten sind (vgl. Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 PatG Rdn. 117e a.E.). Dass die frühere Beklagte zu 3 - von Anfang an ohne Rechtsgrundlage - mitverklagt worden war, kann den Anwendungsbereich dieser Bestimmung nicht erweitern. Es kommt daher nicht darauf an, ob diese Bestimmung im Inland unmittelbar anwendbar ist (verneinend insoweit BGHZ 150, 377, 385 - Faxkarte).
41
bb) Allerdings sind die fraglichen Bestimmungen des deutschen Rechts in einer Weise auszulegen, dass mit ihrer Hilfe den Anforderungen des TRIPSÜbereinkommens Genüge getan wird (BGHZ 150, 377, 385; vgl. auch Til- mann/Schreibauer, GRUR 2002, 1017; dies., FS W. Erdmann (2002), 901, 909 ff.). Die Bestimmung des § 142 ZPO n.F. ist wie die materiellrechtliche Norm des § 809 BGB ein Mittel, einem Beweisnotstand des Klägers zu begegnen, wie er sich gerade im Bereich der besonders verletzlichen technischen Schutzrechte in besonderem Maß ergeben kann (vgl. etwa Tilmann/Schreibauer FS W. Erdmann (2002), 901 ff.). Im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes kommt einer Bestimmung wie der des § 142 ZPO n.F. nunmehr auch die Funktion zu, die Maßnahmen zu verwirklichen, die nach Art. 6 der bis zum 26. April 2006 in das nationale Recht umzusetzenden Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (berichtigte Fassung ABl. EG L 195/16 vom 2.6.2004, nachfolgend: Durchsetzungsrichtlinie) zur Vorlage von Beweismitteln vorgesehen sind und die etwa das französische Recht in Form der "saisie contrefaçon" oder das Recht des Vereinigten Königreichs in Form der "search order" ("Anton Piller Order") kennen (vgl. BGHZ 150, 377, 385 - Faxkarte; Benkard /Rogge/Grabinski aaO. PatG § 139 Rdn. 117a m.w.N.). Gerade die Regelungen im TRIPS-Übereinkommen und in der Durchsetzungsrichtlinie zeigen zudem, dass eine differenzierte Betrachtung und Anwendung von generell formulierten Bestimmungen wie des § 809 BGB und des § 142 ZPO n.F. in verschiedenen Rechtsgebieten, wie etwa im gewerblichen Rechtsschutz insgesamt und insbesondere bei den technischen Schutzrechten, nicht nur angebracht , sondern jedenfalls insoweit auch geboten ist, als eine differenzierte Regelung nicht spezialgesetzlich erfolgt ist (vgl. auch die Durchsetzungsrichtlinie, Erwägungsgründe 7 bis 10). An derartigen spezialgesetzlichen Regelungen fehlt es bisher, und sie sind nach dem derzeitigen Stand der Gesetzgebungsarbeiten auch nicht vorgesehen.
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cc) Bei Rechtsstreitigkeiten über technische Schutzrechte kann eine Vorlegung von Urkunden oder sonstigen Unterlagen nach § 142 ZPO n.F.
demnach jedenfalls dann angeordnet werden, wenn diese zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet und erforderlich, weiter verhältnismäßig und angemessen , d.h. dem zur Vorlage Verpflichteten bei Berücksichtigung seiner rechtlich geschützten Interessen nach Abwägung der kollidierenden Interessen zumutbar ist. Dabei kann für die Abwägung nach Sachlage auch auf die Intensität des Eingriffs in das Schutzrecht und in die rechtlich geschützten Interessen des von der Vorlage Betroffenen abzustellen sein. Das Zumutbarkeitserfordernis ergibt sich gegenüber dem Prozessgegner anders als bei Dritten allerdings nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der maßgeblichen Norm des § 142 ZPO n.F., es ist aber unmittelbar aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, etwa in Art. 12 Abs. 1 GG, abzuleiten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.3.2006, 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03, WM 2006, 880). Die Einschaltung einer zur Verschwiegenheit verpflichteten Person allein wird jedenfalls nicht ohne weiteres in Betracht kommen (vgl. BVerfG aaO., juris-Tz. 108, 109, zum "in camera"-Verfahren Tz. 112). Belangen des Dritten könnte erforderlichenfalls jedoch dadurch Rechnung getragen werden, dass diesem gestattet wird, die vorzulegenden Unterlagen soweit unkenntlich zu machen, als rechtlich geschützte Interessen des Dritten einer Vorlage entgegenstehen.
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dd) Als Anlass für eine Vorlageanordnung kann es ausreichen, dass eine Benutzung des Gegenstands des Schutzrechts wahrscheinlich ist (vgl. auch den Vorschlag zu § 140c PatG in dem nach Ergehen der angefochtenen Entscheidung , der Öffentlichkeit zugänglich gemachten, vom Bundesministerium der Justiz vorgelegten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vom 3.1.2006). Die Literatur hat allerdings überwiegend konkretisierten Tatsachenvortrag desjenigen verlangt, der die Vorlageanordnung nach § 142 ZPO n.F. begehrt, und eine Ausforschung als unzulässig angesehen (vgl. Stadler in Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 142 Rdn. 1; Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 142 Rdn. 2; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 142 Rdn. 9; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 142 Rdn. 1; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 64. Aufl. 2006, § 142 Rdn. 2; Bericht zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung usw. (Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses) BT-Drucks. 14/6036 S. 120; Zekoll/Bolt, Die Pflicht zur Vorlage von Urkunden im Zivilprozess …, NJW 2002, 3129, 3130; anders Wöstmann in Hk-ZPO, § 142 Rdn. 2). In der Instanzrechtsprechung ist die Erforderlichkeit einer Substantiierung - soweit ersichtlich - durchgehend bejaht und ein "globales" Vorlageverlangen als nicht ausreichend angesehen worden (vgl. LG Karlsruhe, Entsch. v. 24.1.2005 - 4 O 67/04, Volltext in juris; OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.12.2004 - 13 W 98/04, Volltext in juris; LAG Berlin, Urt. v. 13.12.2002 - 6 Sa 1628/02 Volltext in juris, Ls. auch in EzA-SD 2003, Nr. 4, 13). Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem in einer Urheberrechtssache ergangenen "Faxkarte" -Urteil (BGHZ 150, 377, 386) zu § 809 BGB einen "gewissen Grad" an Wahrscheinlichkeit ausreichen lassen, dass eine Rechtsverletzung vorliegt, allerdings nicht schon eine entfernte Möglichkeit; diesen "gewissen Grad" lassen u.a. auch LG Nürnberg-Fürth CR 2004, 890; LG Nürnberg-Fürth InstGE 5, 153, 155; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2003, 327; OLG Düsseldorf v. 3.1.2003 - 2 U 71/00, Ls. in Mitt. 2003, 333; LG Hamburg InstGE 4, 293, 295 und nachfolgend OLG Hamburg InstGE 5, 294, 299 genügen. Der materiellrechtliche Vorlageanspruch aus § 809 BGB besteht schon dann, wenn ungewiss ist, ob eine Rechtsverletzung vorliegt (RGZ 69, 401, 405 f. - Nietzsche-Briefe; Sen. BGHZ 93, 191, 203 f. - Druckbalken; BGHZ 150, 377, 384 - Faxkarte); das Ausforschungsverbot steht dem nicht entgegen (BGHZ 150, 385 - Faxkarte m.w.N., wo darauf hingewiesen wird, dass prozessuale Darlegungspflichten das Ausforschungsverbot ohnehin einschränken). Diese Rechtsprechung ist bei Anwendung der Bestimmung des § 142 ZPO n.F. entsprechend heranzu- ziehen. Nach der Wertentscheidung des nationalen Gesetzgebers, die Grundsätze , wie sie gegenüber dem Prozessgegner gelten, mit den Einschränkungen des § 142 Abs. 2 ZPO n.F. auch gegenüber Dritten anzuwenden, kann insoweit nichts anderes gelten. Die Wahrscheinlichkeit wird das Berufungsgericht bei seiner erneuten Befassung zu beurteilen haben.
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ee) Einer Vorlageanordnung steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass der Kläger keine Ansprüche wegen Patentverletzung geltend macht, sondern solche aus lizenzvertraglichen Verpflichtungen. Wie schon Art. 28 Abs. 2 TRIPS-Übk. zeigt, sind insoweit die gleichen Grundsätze wie bei Schutzrechtsverletzungen anzuwenden.
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e) Das Berufungsgericht hat sich bei seiner Ablehnung einer Vorlageanordnung auf die Feststellung beschränkt, dass der gerichtliche Sachverständige die Anlage in Augenschein genommen habe und sich damit ein ausreichendes Bild von ihr habe machen können.
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aa) Damit hat das Berufungsgericht nicht aufgeklärt, was der Sachverständige tatsächlich zu Gesicht bekommen hat. Anhaltspunkte dafür, dass er die Zeichnung eingesehen hat, finden sich im Berufungsurteil nicht. Das ist, wie die Revision mit Recht rügt, keine hinreichende Grundlage für die Ablehnung.
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bb) Die Anforderungen an eine Vorlageanordnung hat das Berufungsgericht auch mit seiner Begründung, § 142 n.F. ZPO diene nicht dazu, die Beweislastregeln der Zivilprozessordnung zu revidieren, verkannt. Dies folgt schon aus der Rechtsprechung des Senats zur sekundären Darlegungslast im Patentrecht (vgl. Sen.Urt. v. 30.9.2003 - X ZR 114/00, GRUR 2004, 268, 269 - blasenfreie Gummibahn II; v. 22.11.2005 - X ZR 81/01, GRUR 2006, 313, 315 - Stapeltrockner; v. 16.5.2006 - X ZR 169/04 - Kunststoffbügel, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
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f) Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen erneut zu prüfen haben, ob es eine Vorlage des Plans mit dem Fließbild anordnet. Diese wird allerdings nicht erforderlich sein, wenn es bereits aus anderen Gründen zu dem Ergebnis kommt, dass auch die Merkmale des Patentanspruchs 1 verwirklicht werden, hinsichtlich derer es dies bisher verneint hat.
Melullis Keukenschrijver Ambrosius
Mühlens Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 30.03.2000 - 7 O 11125/97 -
OLG München, Entscheidung vom 10.07.2003 - 6 U 3231/00 -

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.